Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wodurch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank rechtlich und institutionell gesichert ist und welche ökonomischen Auswirkungen die Abhängigkeit der Zentralbank von der Regierung hat.
Versuche, die Unabhängigkeit der EZB in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestimmen, gab es in der Vergangenheit viele. Jedoch stammen diese Forschungen aus einer Zeit, in der es den Euroraum und die EZB noch nicht gab. Diese Arbeit soll daher, in Anlehnung an vorausgegangene Studien, die Unabhängig der EZB in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bestimmen.
In einem nächsten Schritt werden die Inflationsraten des Euroraums untersucht, mit Blick auf die Frage, ob es die EZB tatsächlich schafft, für stabile Preise im Euroraum zu sorgen. Dazu wird zunächst der Aufbau und die Aufgaben der EZB-Gremien beschrieben und untersucht, inwiefern der institutionelle Aufbau die Maßgabe von höchstmöglicher Unabhängigkeit unterstützt.
Dann wird deren gesetzliche Verankerung im Primärrecht unter Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen von Zentralbankunabhängigkeit dargelegt. Es folgt eine Analyse der Unabhängig der EZB unter Zugrundelegung des Cukierman/Webb/Neyapti Indexes sowie die Untersuchung der durchschnittlichen Inflationsraten im Euroraum.
Der nächste Teil wird geleitet von der Frage, ob die EZB wirklich so autonom ist, wie ihre Gründer es sich erhofft haben, und ob dies Auswirkungen auf ihre Fähigkeit hat, die Preisstabilität zu wahren.
Zum Abschluss wird ein Blick auf die neue Aufgabe der EZB, die europäische Bankenaufsicht sowie auf das geldpolitische Instrument des PSPP geworfen. Dabei steht im Vordergrund der Erläuterungen, inwiefern diese eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit, und somit mittelbar für die Unabhängigkeit der EZB darstellen können.
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
TABELLEN -UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 GESCHICHTE UND AUFGABEN DER EZB
2.1 Geschichte
2.2Organisation der EZB
2.2.1 Direktorium
2.2.1.1 Zusammensetzung und Aufgaben
2.2.1.2 Staggered Board System
2.2.2 Der Rat der EZB
2.2.2.1 Zusammensetzung und Verhältnis zum Direktorium
2.2.2.2 Aufgaben
2.2.2.3 Rotation der Stimmrechte
2.2.3 Das Aufsichtsgremium
2.3 Ziele und Aufgaben der EZB
3 ZENTRALBANKUNABHÄNGIGKEIT AUS RECHTLICHER UND ÖKONOMISCHER SICHT
3.1 Gesetzliche Verankerung
3.2Merkmale von Zentralbankunabhängigkeit
3.2.1 Institutionelle Unabhängigkeit
3.2.2 Personelle Unabhängigkeit
3.2.3 Funktionelle Unabhängigkeit
3.2.4. Finanzielle Unabhängigkeit
3.3Begründung von Zentralbankunabhängigkeit
3.3.1 Inflation Bias
3.3.2 Glaubwürdigkeitsproblem
3.4Messung von Zentralbankunabhängigkeit 22
3.4.1 Cukierman/Webb/Neyapti Index
3.4.1.1 Vorgehensweise
3.4.1.2.1 Quantifizierung der rechtlichen Unabhängigkeit
3.4.1.2.2 Quantifizierung sonstiger Faktoren der Unabhängigkeit
3.4.1.2 Zusammenhang von Zentralbankunabhängigkeit und Inflation
3.4.2 Unabhängigkeit der EZB
3.4.2.1 Rechtliche Unabhängigkeit
3.4.2.2. Sonstige Unabhängigkeitsfaktoren
3.4.2.3. Inflationsraten und Inflationsziele der EZB im Vergleich
4 NEUE AUFGABEN ALS GEFAHREN FÜR DIE UNABHÄNGIGKEIT DER EZB .
4.1 Single Supervisory Mechanism (SSM)
4.1.1 Beschreibung
4.1.2 Der SSM als Gefahr für die Unabhängigkeit der EZB
4.1.2.1 Art. 127 Abs. 6 AEUV als Ermächtigungsgrundlage
4.1.2.2. Demoktratische Kontrolle der Bankenaufsicht
4.1.2.3. Zielkonflikt zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht
4.2 Public Sector Purchase Programme (PSPP)
4.2.1 Beschreibung
4.2.2 Das PSPP als Gefahr für die Unabhängigkeit
5 FAZIT & AUSBLICK
VERZEICHNIS DER ABGEKÜRZTEN ZITIERTEN LITERATUR
ANHANG
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellen -und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 1: Cukierman/Webb/Neyapti Index zur Gewichtung der rechtlichen 25-26 Unabhängigkeit von Zentralbanken
Tabelle 2: Aggregierte Ergebnisse des CWN Indexes zur rechtlichen 27 Unabhängigkeit
Tabelle 3: Wechselfrquenz von Zentralbankpräsidenten in Industrienationen und 29-30 Entwicklungsländern
Tabelle 4: Cukierman/Webb/Neyapti Index zur Gewichtung der sonstigen 32 Unabhängigkeitsfaktoren von Zentralbanken
Tabelle 5: Ergebnisse der Expertenbefragung von Cukierman/Webb/Neyapti als 33 Index
Tabelle 6: Ergebnisse der Expertenbefragung von Cukierman/Webb/Neyapti als 34 aggregierter Index
Abbildung 1: Europäische Union & Euro-Zone: Inflationsrate von 2010 bis 2020 [38] (gegenüber dem Vorjahr)
Abbildung 2: Graphische Darstellung des Rotationsprinzips im EZB-Direktorium [59]
Abbildung 3: Häufigkeit der Stimmrechte im EZB-Direktorium [59]
Abbildung 4: Sitzungskalender des EZB-Rates
1 Einleitung
Als im November 1923 eine Straßenbahnfahrt in Dresden zehn Milliarden Mark kostete und der am Morgen erhaltene Lohn bereits am Abend wertlos geworden war, hatte die Inflation in der Weimarer Republik ihren dramatischen Höhepunkt erreicht. Sie war das Resultat einer fast zehn Jahre andauernden Geldentwertung, welche mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann: 1914 finanzierte die fest vom Sieg überzeugte Reichsleitung die "Materialschlachten" des Krieges mit Anleihen. Deren Tilgung, so der Plan, würden dann die besiegten Gegner übernehmen. Weiter stellte die Reichsbank in Berlin dem Staat 47 Milliarden frisch gedruckte Mark zur Verfügung. Das zusätzlich in Umlauf gebrachte Geld verursachte zweierlei: Der Wert der Mark sank und die Preise stiegen. Damit waren die ersten Weichen für die Hyperinflation neun Jahre später gestellt (FRANK 2021).
„Es wird Alles immer teurer“. Diesen Satz hört man auch heute noch gerne von älteren Generationen. Und tatsächlich: im November diesen Jahres betrug die voraussichtliche Inflationsrate 5,2% im Vergleich zum Vorjahr (DESTATIS 2021), das ist der höchste Wert seit fast 30 Jahren (TAGESSCHAU 29.11.2021) und eine erhebliche Teuerung der Verbrauchsgüter, welche jeder von uns im Portemonnaie spürt. Diese Zahlen stehen selbstredend außer Vergleich zum Wirtschaftsgeschehen in 2023, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass es heutztage nochmals zu einer solchen Hyperinflation in Deutschland kommen kann; dennoch sind auch die akutellsten Inflationszahlen alarmierend, denn die Geschichte hat gezeigt, was eine zu hohe Inflation für dramatische Konsequenzen hat, und wieso es so wichtig ist, diese zu vermeiden. Für die Beibehaltung von Preisstabilität im Euroraum - und somit für die Verhinderung von stark schwankenden Inflationsraten - ist die Europäische Zentralbank (EZB) zuständig. Jene ist so wichtig, da sie zu einem höheren Lebensstandard beiträgt, indem sie vor allem die Ungewissheit im Hinblick auf die allgemeine Preisentwicklung verringert und dadurch zu einem transparenten Preismechanismus beiträgt. Es wird daher leichter, für Verbraucher und Unternehmen Preisveränderungen zu erkennen. Weiterhin tragen stabile Preise dazu bei, willkürliche Verteilungen von Vermögen und Einkommen, zum Beispiel durch die Aufzehrung des realen Wertes von Löhnen oder Bankeinlagen infolge von starker Inflation, zu verhindern. Ein extremer Wertverlust von realem Vermögen und Einkommen wäre ein Herd für soziale Unruhen, politische Instabiliät und einem Vertrauensverlust in das Bankensystem (EZB 2009). Die Wichtigkeit der Wahrung von Preisstabilität durch die EZB kann daher nicht genug betont werden. Jedoch stand diese in den letzten Jahren nicht immer positiv im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, zuletzt augrund des kontrovers diskutierten PSPP-Urteils des Bundesverfassungsgerichst. Es stellt sich daher die Frage, welche Auswirkungen dies für ein oberstes Organ der europäischen Union und die Erfüllung ihrer Aufgabe hat - schließlich sind negative Berichterstattungen über die Arbeit von poltischen Institutionen keine Seltenheit. Es wird angenommen, dass eine Zentralbank nur dann eine wirklich effektive Geldpolitik betreiben kann, wenn sie von der Regierung unabhängig ist. Aber was sind die Folgen davon, wenn eine „auf dem Papier“ unabhängige Zentralbank von der breiten Öffentlichkeit als inkompenent oder nicht vetrauenswürdig wahrgenommen wird? Was bedeutet das konkret für ihre Unabhängigkeit?
Vor diesem Hintergrund ist das Hauptthema der Arbeit, welche sich an juristisch, ökonomisch und politisch geschulter Leser richtet, die Unabhängigkeit der EZB und die Folgen von dessen Ausbleiben. Es soll dabei vor allem die Frage beantwortet werden, wodurch die Unabhängigkeit der EZB rechtlich und institutionell gesichert ist, und welche ökonomischen Auswirkungen die Abhängigkeit der Zentralbank von der Regierungen hat. Versuche, die Unabhängigkeit von verschiedensten Zentralbanken zu quantifizieren, gab es in der Vergangenheit viele; die wohl bekanntesten Studien wurden von GRILLI/MASCIANDARO/TABELLINI (1991) und CUKIERMAN/WEBB/NEYAPTI (1992) durchgeführt. Jedoch stammen diese Forschungen aus einer Zeit, in der es den Euroraum und die EZB noch nicht gab. Diese Arbeit soll daher, in Anlehnung an vorgegangene Studien, die Unabhängig der EZB in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bestimmen. In einem nächsten Schritt sollen die Inflationsraten des Euroraums untersucht werden mit Blick auf die Frage, ob es die EZB tatsächlich schafft, für stabile Preise im Euroraum zu sorgen. Dazu wird zunächst der Aufbau und die Aufgaben der EZB- Gremien beschrieben und untersucht, inwiefern der institutionelle Aufbau die Maßgabe von höchstmöglicher Unabhängigkeit unterstützt. Sodann wird deren gesetzliche Verankerung im Primärrecht unter Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen von Zentralbankunabhängigkeit dargelegt. Es folgt eine Analyse der Unabhängig der EZB unter Zugrundelegung des CUKIERMAN/WEBB/NEYAPTI Indexes sowie die Untersuchung der durchschnittlichen Inflationsraten im Euroraum. Dieser Teil der
Arbeit wird geleitet von der Frage, ob die EZB wirklich so autonom ist, wie ihre Gründer es sich erhofft haben, und ob dies Auswirkungen auf ihre Fähigkeit hat, die Preisstabilität zu wahren. Zum Abschluss wird ein Blick auf die neue Aufgabe der EZB, die europäische Bankenaufsicht, sowie auf das gelpolitische Instrument des PSPP geworfen. Dabei steht im Vordergrund der Erläuterungen, inwiefern diese eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit, und somit mittelbar für die Unabhängigkeit der EZB darstellen können.
2 Geschichte und Aufgaben der EZB
In diesem Kapitel soll ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der EZB (2.1.), ihren organisatorischen Aufbau (2.2) und ihre Aufgaben (2.3.) geworfen werden. Dabei wird insbesondere gefragt, inwiefern die interne Organisation zur Unabhängigkeit der EZB beiträgt.
2.1 Geschichte
Wie hat alles begonnen? Der Gedanke, eine gemeinsame Währung für die Mitglieder der EWG1 einzuführen, wurde erstmalig 1962 durch die Kommission im sogenannten Marjolin-Memorandum aufgeworfen. Aufgrund dieses Memorandums fanden zum ersten Mal Gespräche über eine währungspolitische Integration auf Gemeinschaftsebene statt, und es wurden die ersten, wenn auch in ihrem Umfang stark begrenzten, Maßnahmen der währungspolitischen Zusammenarbeit erlassen (SCHELLER 2016, S. 15). Konkret wurde aufgrund des Marjolin-Memorandums der Rat der Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. Weitere Maßnahmen, welche im Memorandum gefordert wurden, wie die Umwandlung der Zollunion bis Ende der Sechziger Jahre in eine Währungsunion mit unwiderruflichen Wechselkursen zwischen den Währungen der Mitgliedsstaaten, wurden jedoch nicht eingeführt. Dies lag vor allem daran, dass die Mitgliedstaaten der Ansicht waren, dass das Bretton-Woods System eine ausreichende Wechselkursstabilität gewährleistet und daher für Reformen keine Notwendigkeit besteht (SCHELLER 2016, S. 15).
Im März 1979 kam der währungspolitische Integrationsprozess dann jedoch mit schnellen Schritten durch die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS) ins Rollen. Zentrale Elemente des EWS waren ein fester, aber anpassungsfähiger Leitkurs zwischen den teilnehmenden Gemeinschaftswährungen sowie die Einführung der Europäischen Währungseinheit (EWE), welche als ein „Währungskorb“ definiert war, der sich aus den feststehenden Beträgen der Währungen der Mitgliedstaaten zusammensetze. Hauptaufgaben des EWE war es, als Bezugsgröße für den Wechselkursmechanismus, als Recheneinheit bei Investitions- und Kapitalgeschäften sowie als Reservewährung und Zahlungsmittel zum Saldenausgleich für die teilnehmenden Zentralbanken zu diesen. Es war zwar vorgesehen, dass die EWE im Mittelpunkt des EWS stehen sollte, jedoch spielte sie in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle für die Funktionsweise des Systems. Allerdings wurde ihr an den Finanzmärkten mit der Zeit eine gewisse Bedeutung als Mittel der Portfoliodiversifizierung und zur Absicherung gegen Währungsrisiken beigemessen (SCHELLER 2016, S.20).
Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer Wirtschaft- und Währungsunion wurde durch die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Februar 1986 genommen. Hauptziel dieser Akte war es, den Binnenmarkt als ein weiteres Ziel der Gemeinschaft einzuführen, die erforderlichen Veränderungen zur Vollendung des Binnenmarktes vorzunehmen und zu bekräftigen, dass die Gemeinschaft über währungspolitische Befugnisse verfügen muss, um die Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen. In dieser Zeit entwickelte sich unter den politischen Entscheidungsträgern ein immer größerer Konsens darüber, dass ein Markt ohne Binnengrenzen die nationalen Volkswirtschaften enger miteinander verknüpfen würde, aber auch darüber, dass ein solcher ohne gemeinsame Währung sein volles Potential nicht ausschöpfen kann (SCHELLER 2016, S. 21). Vor diesem Hintergrund bestätigte der Europäische Rat das Ziel im Juni 1988 das Ziel, die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) stufenweise zu verwirklichen. Er beauftragte einen Ausschuss unter dem Vorsitz des damaligen Kommissionpräsidenten Jacques Delors damit, die konkreten Schritte hin zu dieser Union zu untersuchen und entsprechende Vorschläge auszuarbeiten (EZB2021H). Mitglieder des Ausschusses waren neben den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Gemeinschaft auch Alexandre Lamfalussy, Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Niels Thygesen, Professor für Wirtschaftswissenschaften in Kopenhagen, Miguel Boyer, Präsident der Banco Exterior de Espana, und Frans Andriessen, Mitglied der Europäischen Kommission. In dem vom ihnen erarbeiteten „Delores-Bericht“ wurde empfohlen, die WWU in drei Stufen zu verwirklichen (SCHELLER 2016, S.21F). In der ersten Stufe, beginnend ab dem 1. Juli 1990, sollte vollkommen freier Kapitalverkehr, die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Zentralbanken, die freie Verwendung der EWE, welche vor dem Euro als europäische Währungseinheit verwendet wurde, sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Konvergenz zwischen den Mitgliedsstaaten erzielt werden. Zur Vorbereitung der zweiten und dritten Stufe der WWU mussten weiter die Römischen Verträge2 überarbeitet werden, um die notwendige institutionelle Struktur zu schaffen. Es wurde daher eine Regierungskonferenz über die WWU einberufen, die 1991 parallel zur Regierungskonferenz über die politische Union stattfand. Ergebnis der Verhandlungen war der Vertrag von Maastricht3 , durch welchen unter anderem das Protokoll über die Satzung des Europäischen Währungsinstituts eingeführt wurde. Mit der Errichtung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) am 1. Januar 1994 wurde die zweite Stufe der WWU eingeläutet und der Ausschuss der Zentralbankpräsidenten aufgelöst. Dieses wurde nur übergangsweise gegründet und hatte vor allem die Aufgabe, jene Vorbereitungen zu treffen, welche für die Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), der Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik und für die Schaffung einer gemeinsamen Währung in der dritten Stufe der WWU erforderlich waren. Außerdem wurden in Stufe 2 das Verbot der Gewährung von Zentralbankkrediten eingeführt sowie ein Prozess zur Etablierung von Zentralbankunabhängigkeit angestoßen, welcher spätestens mit Schaffung des ESZB abgeschlossen sein sollte. Im Mai 1998 entschied der Rat der Europäischen Union dann einstimmig, dass elf Mitgliedstaaten4 die notwendigen Voraussetzungen für die dritte Stufe der WWU und für die Einführung der einheitlichen Währung, dem Euro, erfüllten. Noch im selben Monat ernannten die Regierungen der elf teilnehmenden Mitgliedstaaten den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die vier weiteren Mitglieder des Direktoriums der EZB mit Wirkung zum 1. Juni 1998 und begründeten damit die EZB. Die EZB und die nationalen Zentralbanken der teilnehmenden Mitgliedstaaten bilden gemeinsam das Eurosystem, das in der dritten Stufe der WWU die gemeinsame Geldpolitik ausgestaltet und festlegt. Mit Errichtung der EZB hatte das EWI seine Arbeit erfüllt und wurde gemäß Art. 123 des Maastricht-Vertrages aufgelöst (EZB 2021G).
In der dritten Stufe ab dem 1. Januar 1999 begann die Durchführung der gemeinsamen Geldpolitik durch das ESZB und der Euro wurde als offizielle Währung eingeführt (EZB 2021G), allerdings nur als Buchgeld. Erst am 1. Januar 2002 kam der Euro auch als Buchgeld in Umlauf (BUNDESFINANZMINISTERIUM 2021A). Das Eurosystem war geschaffen.
2.2 Organisation der EZB
Die EZB ist die gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und bildet mit den nationalen Zentralbanken der EU-Staaten das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) (BUNDESFINANZMINISTERIUM 2021B). Sie ist weiter ein offizielles Organ der EU und die zentrale Institution des Eurosystems5 sowie des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism-SSM). Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 hat sie ihren Sitz in Frankfurt am Main und beschäftigt derzeit 3 500 Mitarbeiter aus ganz Europa (EZB 2021E). Die EZB ist gemäß Art. 282 Abs. 3 AEUV mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet und besitzt in jeden Mitgliedstaat der EU weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit.6
2.2.1 Direktorium
2.2.1.1 Zusammensetzung und Aufgaben
Das Direktorium der EZB ist, neben dem Rat, gemäß Art. 129 Abs. 1 AEUV eines der Beschlussorgane7 und übernimmt vor allem exekutive Aufgaben (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEUV RN. 22). Es setzt sich zusammen aus dem (Vize-)Präsidenten der EZB sowie vier weiteren Mitgliedern, vgl. Art. 283 Abs. 2 AEUV, welche als Kollegialorgan zusammenarbeiten. Alle Mitglieder werden vom Europäischen Rat und auf Empfehlung des ECOFIN-Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie des EZB-Rates mit qualifizierter Mehrheit ausgewählt und ernannt (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEUV RN. 26). Dadurch wird den Mitgliedern des Direktoriums ihre demokratische Legitimation vermittelt und die besondere Stellung des Direktoriums und seiner Mitglieder hervorgehoben (GRABITZ 2021, ART. 283 AEUV Rn. 17). Stand Juni 2021 sind im Direktorium Christina Lagarde (Präsidentin), Luis de Guindos (Vizepräsident) sowie Frank Elderson, Phillip R. Lane, Fabio Panetta und Isabel Schnabel vertreten.8 Zu den Hauptaufgaben des Direktoriums gehört die Vorbereitung der Sitzungen des EZB-Rats und die Durchführung der Geldpolitik des Euroraums gemäß den Leitlinien und Entscheidungen des EZB-Rats, wozu es den nationalen Zentralbanken des Euroraums die notwendigen Weisungen erteilt (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEUV RN. 32). Diese zentrale Entscheidungsfindung gewährleistet eine einheitliche Geldpolitik, welche auf die Gegebenheiten im gesamten Euroraum Rücksicht nimmt. Durch die dezentrale Ausführung eröffnet sich die Chance, die komparativen Vorteile der Zentralbanken auf dem operativen Gebiet in Hinblick auf die unterschiedlichen Finanzmarktstrukturen in den jeweiligen Mitgliedsstaaten zu nutzen (LENZ/BORCHARDT 2012, ART. 127 AEUV RN. 7). Weiterhin ist das Direktorium für die Führung der laufenden Geschäfte der EZB zuständig. Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst die interne Leitung sämtlicher Arbeitseinheiten der EZB, die Festlegung der internen Organisationsstruktur und der Erlass interner Organisationsvorschriften sowie die externe Geschäftsführung, sofern es sich um Geschäfte der laufenden Verwaltung handelt (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEUV RN. 32). Weiterhin ist das Direktorium für die Ausübung bestimmter, vom EZB-Rat übertragener Befugnisse zuständig, worunter insbesondere aufsichtsrechtliche Kompetenzen fallen (EZB 2021B).
2.2.1.2 Staggered Board System
Alle Direktoriumsmitglieder werden für acht Jahre ernannt (vgl. Art. 283 Abs. 2 AEUV), allerdings wurde bei der Ernennung der ersten Direktoriumsmitglieder der EZB im Jahr 1998 Ausnahme von dieser Regel eingeräumt: damit nicht alle Mitglieder im gleichen Jahr aus dem Dienst der EZB ausscheiden, wurden ihre Amtszeiten gestaffelt (EZB 2021B). Dieses so genannte staggered board system führt dazu, dass sich die Amtszeiten der verschiedenen Direktoriumsmitglieder überlappen, und nie das gesamte Direktorium gleichzeitig wechselt. Zum einen führt dieses System dazu, dass die Kontinuität der Arbeit des Gremiums gewährleistet ist: wird jeweils nur ein einzelnes Mitglied neu ernannt, kann dieses problemloser in die neuen Tätigkeiten eingeführt werden, da abrupte Brüche in der personellen Besetzung vermieden und die Kontinuität der Sacharbeit im Gremium gewährleistet werden (GRABITZ, ART. 283 AEUV RN. 16). Wie die Grafik im Anhang9 zeigt, ist das am derzeit längsten tätige Direktoriumsmitglied EZB-Vizepräsident Luis de Guindos, welcher bereits im Juni 2018 in sein Amt eingeführt wurde und somit noch mit fünf weiteren Direktoren zusammengearbeitet hat, deren Ämter alle bis zum heutigen Tag sukzessive an ein neues Mitglied übertragen wurden. Das neuste Direktoriumsmitglied ist Frank Elderson, welcher erst im Dezember 2020 an Stelle vom ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi ins Amt erhoben wurde. Seine Amtszeit endet im Dezember 2028, und er ist somit der Letzte, der vom derzeit eingesetzten Direktorium ausscheiden wird.
Das staggered board system leistet weiter einen wichtigen Beitrag dazu, die Unabhängigkeit des Direktoriums zu wahren. Während gestaffelte Vertragslaufzeiten in der Privatwirtschaft gerne als „Vorsorge und Giftpille“ (Hegmann 2016) gegen feindliche Übernahmen verwendet werden, da bei Wahl eines Blocksystems im Falle eines Eigentümerwechsels das gesamte (unliebsame) Aufsichtsgremium zu Ende ihrer Amtszeit auf einen Schlag ausgetauscht werden kann, trägt der Mechanismus im Falle der EZB dazu bei, die Autonomie des Organs zu stärken. Die gestaffelten Amtszeiten fördern die Kontinuität der Arbeit des Gremiums, so dass es nur schwer möglich, dessen Geldpolitik durch den Neueinsatz von politisch „fügsameren“ Direktoriumsmitgliedern abrupt und radikal zu ändern. Zu Ende der Amtszeit gibt das ausscheidende Mitglied zwar buchstäblich „das Zepter weiter“, jedoch muss das neu eintretende Mitglied mit dem bereits etablierten Direktorium zusammenarbeiten und die Arbeit des ausgeschiedenen Mitglieds weiterführen. Es wird mithin in feste Strukturen und ein eingespieltes Direktorium eingeführt, deren bisherige Geldpolitik wohlbedacht war und sich nicht durch Eintritt nur eines einzelnen neuen Mitglieds schlagartig ändern wird.
Auch die Tatsache, dass die Amtszeiten der Direktoriumsmitglieder auf acht Jahre ohne Möglichkeit der Wiederernennung (vgl. Art. 283 Abs. 2 UA 3 AEUV) begrenzt sind, trägt zur Unabhängigkeit des Gremiums bei. So entstehen für die Mitglieder keine Anreize, sich bei ihren Abstimmungsverhalten in irgendeiner Weise politischem Druck oder Karriereambitionen zu beugen und sie können ihre Arbeit einzig davon leiten lassen, welche Entscheidungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben am förderlichsten sind. Im Übrigen endet die Amtszeit eines Direktoriumsmitglieds nur durch Tod oder Rücktritt. Sofern Direktoriumsmitglieder die Voraussetzungen für die Amtsausübung nicht mehr erfüllen oder eine schwere Verfehlung begehen, können sie im Wege eines Amtsenthebungsverfahrens abgesetzt werden, vgl. Art. 11.4 ESZB- Satzung. Die Entscheidung über die Amtsenthebung wird auf Antrag des EZB-Rates oder des Direktoriums vom EuGH getroffen, womit ein hoher Grad an persönlicher Unabhängigkeit garantiert wird (PECHSTEIN 2017, ART. 283 RN. 27).
2.2.2 Der Rat der EZB
2.2.2.1 Zusammensetzung und Verhältnis zum Direktorium
Der Rat ist das zweite oberste Beschlussorgan der EZB. Seine Mitglieder umfassen die oben genannten sechs Mitglieder des Direktoriums und die Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten des Euroraums10 , vgl. Art. 283 Abs. 1 AEUV. Die Mitglieder des Direktoriums bringen das supranationale Element zum Ausdruck, während die Präsidenten der nationalen Zentralbanken (NZB) der EuroMitgliedstaaten die föderale Komponente repräsentieren (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEUV RN. 3). Diese föderale Organisation vermindert den Einfluss der Zentralgewalt. Manche sehen hierin sogar eine Stärkung der Unabhängigkeit der geldpolitischen Entscheidungen, allerdings kann damit auch eine Gefahr für das Stabilitätsbewusstsein aufgrund gegenläufiger nationaler Interessen einhergehen (GRABITZ 2021, ART. 283 AEUV RN. 7). So gehört zu den Aufgaben des Rates (siehe dazu 2.2.2.2) die Beschlussfassung über geldpolitische Ziele und die Festlegung von Leitzinssätzen. Während eine für ein wirtschaftliches schwaches Land ein niedriger Leitzins zur Ankurbelung der Volkswirtschaft von Vorteil wäre, kann dies aber für (viele andere) prosperierende Mitgliedstaaten zu ökonomisch unerwünschten Effekten führen. Es kann daher nie ausgeschlossen werden, dass die Präsidenten der NZBs bei ihrem Abstimmungsverhalten nicht zuerst an die Interessen ihres Heimatlandes denken und auch in diesem Sinne abzustimmen, selbst wenn dies zur Destabilisierung der Eurozone führen könnte. Jedoch wird diese Gefahr durch das unter 2.2.2.3. beschriebene Rotationssystem der Stimmrechte insofern abgemildert, als durch dessen Einführung eine gewisse Machtbalance zwischen den „eurofreundlichen“ Mitgliedern des Direktoriums und einer wachsenden Anzahl von Euro-Mitgliedstaaten, die in Gestalt ihrer Zentralbankpräsidenten eher dazu tendieren, nationale Interessen zu repräsentieren, geschaffen wurde (Pechstein 2017, Art. 283 AEUVRn. 9).
Während der Rat als zentrales Beschlussorgan der EZB eher wie eine „Regierung“ (Vedder 2012, Art. 283 AEUV Rn. 1) fungiert, übernimmt das Direktorium vorwiegend Exekutivaufgaben (siehe dazu 2.2.1). Es lässt sich sagen, dass sich im EZB-Rat als Entscheidungsorgan der Wille der Zentralbank bildet, und dieser vom Direktorium als Handlungsorgan vollzogen wird (Grabitz 2021, Art. 283 AEUVRn. 21). So besteht nach GROß 2015 zwischen den beiden Organen ein „institutionsintemes Gleichgewichts-und KonfrollVerhältnis“ (S. 51). Dennoch besitz der Rat gegenüber dem Direktorium eine übergeordnete Position (Calliess 2016, Art. 283 Rn. 2). Dies folgt, formalrechtlich gesehen, nicht ohne weiteres aus dem AEUV, ergibt sich aber unzweifelhaft aus der Regelungssystematik der Unterabsatz 1 und 2 von Art. 12 ESZB-Satzung, die unter anderem das Recht des EZB-Rates vorsehen, dem Direktorium ausgewählte Befugnisse zu übertragen. Gemindert wird die generelle Nachordnung des Direktoriums dadurch, dass die Direktoriumsmitglieder auch in ihrer Funktion als Mitglieder des EZB-Rates handeln und in geld- und währungspolitischen Fragen mit abstimmen (Pechstein 2017, Art. 283 AEUVRn. 22).
2.2.2.2 Aufgaben
Die Hauptaufgaben des Rates sind der Erlass von Leitlinien und Beschlüsse, die zur Erfüllung der Aufgaben notwendig sind, welche der EZB und dem Eurosystem übertragen wurden sowie die Festlegung der Geldpolitik des Euroraums. Dies beinhaltet die Annahme von Beschlüssen über geldpolitische Ziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im Eurosystem und die Formulierung von Leitlinien zur Umsetzung dieser Beschlüsse. im Zusammenhang mit den neuen Zuständigkeiten der EZB im Bereich der Bankenaufsicht (siehe dazu 4.1) ist der Rat weiter für das Erlassen von Aufsichtsbeschlüssen und zum Erlass der vom Aufsichtsgremium vorgeschlagenen vollständigen Beschlussentwürfe nach dem Verfahren der impliziten Zustimmung verantwortlich (EZB 2021c). Gestützt auf Art. 9ff. GO EZB hat der EZB-Rat zur Unterstützung der Arbeit der Beschlussorgane derzeit fünfzehn beratende Ausschüsse eingesetzt. Diese bestehen im Regelfall aus jeweils bis zu zwei Mitarbeitern der nationalen Zentralbanken des Eurosystems und der EZB, die vom jeweiligen Zentralbankpräsidenten bzw. vom Direktorium ernannt werden (vgl. 9.2 GO EZB). Die Ausschüsse werden von EZB-Rat und Direktorium mit der Bearbeitung bestimmter Themenbereiche betraut, um ihr Fachwissen einzubringen (Dauses/Ludwigs 2021, Rn. 347).
2.2.2.3 Rotation der Stimmrechte
Mit dem Beitritt Litauens zum Euroraum am 1. Januar 2015 wurde, dem Primärrecht entsprechend, für die stimmrechte der Präsidenten der nationalen Zentralbanken im EZB-Rat ein Rotationssystem eingeführt (EZB 2021C), da sich durch den Beitritt Litauens zum Euroraum die Abstimmungsmodalitäten, wie vom EZB-Rat im Dezember 2002 vorgesehen, änderten (EZB 2014). Das Rotationsprinzip stellt sicher, dass der EZB-Rat seine Handlungsfähigkeit behält, selbst wenn die Zahl der Mitglieder im EZB-Rat mit jedem weiteren Mitgliedstaat im Euroraum wächst. Es beruht auf fünf wesentlichen Grundsätzen: „ein Mitglied - eine Stimme (one member one vote)“, „persönliche Teilnahme“, „Repräsentativität“,
„Automatismus/Beständigkeit“ sowie „Transparenz“ (EZB 2003, 1. Allgemeine ERWÄGuNGEN).
Mit dem neu eingeführten system werden die Präsidenten der NZBs in zwei Gruppen mit einer bestimmten Anzahl von stimmrechten eingeteilt. Die Gruppeneinteilung erfolgt aufgrund der Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten, ausgedrückt vor allem durch ihren Anteil am aggregierten BiP zu Marktpreisen und zu einem sechstel durch den Anteil an der gesamten aggregierten Bilanz der monetären Finanzinstitute (CALLiEss 2016, ART. 283 RN. 5).11 um festzulegen, welcher Zentralbankpräsident zu welcher Gruppe gehört, wurde eine Rangfolge erstellt. Die Zentralbankpräsidenten der Länder, die die Ränge eins bis fünf belegen - zurzeit sind dies Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande - teilen sich vier Stimmrechte. Auf die übrigen 14 Zentralbankpräsidenten entfallen 11 stimmrechte.12 Das stimmrecht der Zentralbankpräsidenten rotiert im monatlichen Turnus zwischen den beiden Gruppen, während die Mitglieder des Direktoriums über ein dauerhaftes Stimmrecht verfügen (EZB 2014). Das Rotationsmodell ermöglicht es, die kurzen Zeiträume ohne Stimmrecht für die einzelnen Zentralbankpräsidenten mit einer relativ stabilen Zusammensetzung des stimmberechtigten Kollegiums zu verbinden (LENZ/BORCHARDT 2012, ART. 283 AEUV RN. 2). Trotz der theoretisch stark veränderten Abstimmungsmodalitäten hatte dieser Schritt keine tiefgreifenden Veränderungen für die praktische Arbeit des Rates zur Folge: alle Mitglieder des EZBRats nehmen an den Sitzungen teil und haben ein Rederecht, so dass sich bezüglich der Beratungen nichts geändert hat. Da die Ratsmitglieder, dem Kooperationsgedanken entsprechend, ihre Beschlüsse meistens auf Konsensbasis treffen, ist auch der Entscheidungsprozess in weiten Teilen gleich geblieben (EZB 2014).
Jedoch muss sich gefragt werden, ob insbesondere der oben erwähnte Grundsatz der „Repräsentativität“ nicht durch das Rotationssystem vereitelt wird. Für eine ausgewogene Repräsentation aller Mitglieder müssten die stimmberechtigten NZB- Präsidenten in den Gruppen jeweils repräsentativ für die Volkswirtschaft der Eurozone sein. Die nationalen Zentralbankpräsidenten aus den größeren Mitgliedstaaten sind aber häufiger stimmberechtigt als die aus kleineren Staaten. Dies belegt die prozentuale Abstimmungshäufigkeit, die für die erste Gruppe konstant bei 80 % liegt, während der zahlenmäßige Anteil der NZB-Präsidenten an den Stimmrechten der zweiten Gruppe immer kleiner wird, je mehr Mitgliedstaaten den Euro als offizielle Währung einführen (und folglich auch einen NZB-Präsidenten in den Rat entsenden).13 Während die großen und wirtschaftlich prosperierenden Mitgliedstaaten daher eher einen Bedeutungszuwachs erfahren, besteht für die wirtschaftlich schwachen oder kleineren Mitgliedstaaten die Gefahr einer unausgewogenen Repräsentation. Jedoch wurde das das Rotationsmodell mit einer Veränderung der Sitzungspraxis, genauer einer Verlängerung der turnusmäßigen Abstimmung des EZB-Rates über geldpolitische Entscheidungen gekoppelt. Während bis 2015 einmal monatlich (typischerweise in der ersten der beiden monatlichen Sitzungen) über geldpolitische Fragen beschlossen wurde, entscheidet der EZB-Rat seit Beginn der Rotation nur noch im Rhythmus von 6 Wochen über geldpolitische Themen (PECHSTEIN 2017, ART. 283 AEuV RN. 19).14 Insgesamt stärkt diese modifizierte Verfahrensweise daher die Kontinuität geldpolitischer Entscheidungen, auch weil somit die Rotation auf die Abstimmungsteilnehmer geringeren Einfluss hat. Jedoch lässt auch eine Veränderung des Abstimmungsturnus die Bedenken um eine gerechte Repräsentanz der Mitgliedstaaten im Rat nicht vollständig erlöschen. Dazu müsste es zu einer Modifikation der Stimmgewichtung kommen, zu welcher jedoch ein Beschluss des Europäischen Rates sowie eine Zustimmung der Mitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften notwendig ist. Eine grundlegende Verschiebung des Kräfteverhältnisses im EZB-Rat wird sich aufgrund dieser rechtlichen Hürden politisch nicht durchsetzen lassen (GRABITZ 2021, ART. 283 RN. 9F).
2.2.3 Das Aufsichtsgremium
Die Planung und Ausführung der der EZB übertragenen besonderen Aufgaben im Rahmen der Bankenaufsicht (siehe dazu 4.1) wurde gemäß Art. 26 SSM-VO dem Aufsichtsgremium übertragen (DAuSES/LuDWIGS, ART. 283 AEuV RN. 353). Die Leitidee hinter der Schaffung dieses neuen Beschlussorgans war die strikte Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik (DINOV 2013, S. 604). Das Gremium setzt sich zusammen aus einem Vorsitzenden (dieser wird für eine nicht verlängerbare Amtszeit von fünf Jahren ernannt), einem Stellvertreter, vier Vertretern der EZB und Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden. Gerade mit Blick auf die oben genannte Leitidee ist folgende personelle Verschränkung zwischen Aufsichtsgremium und Direktorium durchaus bemerkenswert: der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums wird aus den Mitgliedern des Direktoriums der EZB ausgewählt, vgl. Art. 26 Abs. 3 uA 1 S. 1 SSM-VO. Er wird mithin als eine Art Bindeglied zwischen aufsichtsrechtlicher und geldpolitischer Funktion der EZB etabliert, wodurch zum Ausdruck kommt, dass selbst der Verordnungsgeber eine strikte Trennung von Geldpolitik und Bankenaufsicht für ausgeschlossen hielt (DAuSES/LuDWIGS, ART. 283 AEuV RN. 354).
Das Aufsichtsgremium tritt alle drei Wochen zusammen, um die Aufgaben der EZB im Bereich der Aufsicht zu erörtern, zu planen und durchzuführen. Es unterbreitet dem EZB-Rat Beschlussentwürfe im Rahmen des Verfahrens der impliziten Zustimmung (EZB 2021A). Konkret bedeutet dies, dass das Aufsichtsgremium dem EZB-Rat fertige
[...]
1 EWG hieß der Zusammenschluss der europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg, welcher die europäische Integration durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zum Ziel hatte. Sie wurde gegründet durch die Römischen Verträge, welche am 1. Januar 1958 in Kraft traten.
2 Die sog. Römischen Verträge wurden am 25. März 1957 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden in Rom unterzeichnet und traten am 1. Januar 1958. Durch sie wurde die EWG und die EURATOM gegründet. Ihre Unterzeichnung gilt als das Gründungsdatum der EU.
3 Der Vertrag über die Europäische Union, welcher am 7. Dezember 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde und 1. November 1993 in Kraft trat.
4 Bei diesen Mitgliedstaaten handelt es sich um Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland.
5 Das Eurosystem besteht aus der EZB und den den nationalen Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten, die den Euro bereits eingeführt haben.
6 Siehe auch Art. 9.1. der Satzung der EZB.
7 Siehe auch Art. 9.3. der Satzung der EZB.
8 Siehe hierzu Anhang 1: Das Direktorium der EZB.
9 Siehe hierzu Anhang 2: Mitglieder des Direktoriums — Amtszeiten.
10 Die Zentralbanken der gegenwärtig 19 EU-Mitgliedstaaten des Euroraums tragen folgende Bezeichnungen: Nationale Bank van België/Banque Nationale de Belgique (Belgien), Deutsche Bundesbank (Deutschland), Eesti Pank (Estland), Suomen Pankki (Finnland), Banque de France (Frankreich),Tpcots^a tt|^ EXXäöog(Griechenland), Central Bank of Ireland/ Banc Ceannais na hÉireann (Irland), Banca d'Italia (Italien), Latvijas Banka (Lettland), Lietuvos bankas (Litauen), Banque centrale du Luxembourg/Zentralbank von Luxemburg (Luxemburg), Bank Centralita' Malta (Malta), De Nederlandse Bank (Niederlande), Oesterreichische Nationalbank (Österreich), Banco de Portugal (Portugal), Narodna banka Slovenska (Slowakei), Banka Slovenije (Slowenien), Banco de Espana (Spanien),K^piKT|TpóutE^aTqg Knupon/Kibris Merkez Bankasi(Zypern). Siehe dazu Art. 283 I AEUV iVm Art. 10.1. ESZB/EZB-Satzung.
11 Siehe dazu auch Art. 10.2 uA 1, 1. Spiegelstrich, S. 2 ESZB-Satzung.
12 Siehe dazu Anhang 3: Rotationsprinzip im EZB-Rat bei 19-24 Mitgliedsstaaten.
13 Siehe dazu Anhang 4: Häufigkeit der Stimmrechte.
14 Siehe dazu Anhang 5: Sitzungskalender des EZB-Rates.
- Arbeit zitieren
- Annika Fußbroich (Autor:in), 2021, Rechtliche Rahmenbedingungen und ökonomische Bedeutung der Europäischen Zentralbank, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1181979
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