Paradoxe Interventionen


Ausarbeitung, 2022

13 Seiten, Note: /


Leseprobe


Inhalt

1 Abstract

2 Einleitung

3 Theoretische Einordnung

4 Funktionsweise paradoxer Interventionen

5 Methoden paradoxer Interventionen

6 Visuelle Notizen

7 Leitfragen zur Planung paradoxer Interventionen

8 Schluss

9 Literatur

10 Bildnachweis

1 Abstract

Diese Arbeit thematisiert die Beeinflussung von Verhaltensauffälligkeiten im Kontext Schule. Nach einer theoretischen Einordnung in den Zusammenhang systemisch-lösungsorientierter Beratung und der Erläuterung notwendiger Grundhaltungen werden konkrete Varianten von paradoxen Interventionen im Unterricht vorgestellt. Zur Erleichterung der praktischen Umsetzung dienen zahlreiche Leitfragen sowie farbige visuelle Notizen (Sketchnotes).

2 Einleitung

Welcher Lehrer stimmt da nicht zu?! – Wissensvermittlung ist häufig der geringste Teil der Arbeit. Die Lehrerin verwendet viel Zeit und Energie darauf, Schülerverhalten zu verbessern, um überhaupt erst die Bedingungen zu schaffen, unter denen Lernen stattfinden kann. Unaufmerksamkeit, Widerspruch, Gleichgültigkeit, Häme oder Aggression sind schon längst nicht mehr auf bestimmte Schularten begrenzt, sondern tauchen inzwischen auch an Schulen auf, an denen Lehrkräfte bisher kaum mit Störungen zu kämpfen hatten. Wenn Schülerinnen allen gut gemeinten Vorschlägen und Maßnahmen das Fundament entziehen, bringen sie dadurch ihre Lehrer nicht selten an den Rand der Rat- und Hilflosigkeit. Auseinandersetzungen münden in Machtkämpfe, Eskalationsspiralen drehen sich, Beziehungen werden beschädigt. Geht es auch anders? – Vorab sei eine Warnung an all jene Lehrerinnen ausgesprochen, die hier nach einem Rezept zur Änderung des Schülers suchen. Auch sollte der Leser bereit sein, die Idee der Steuerung und Kontrolle loszulassen. Vielleicht ist es sogar angezeigt, das eigene Lehrerverhalten zu reflektieren oder gar zu ändern – und dabei ganz unverhofft auf verblüffende Entwicklungen zu stoßen. Insgeheim hofft die Autorin, dass Sie dabei „paradoxerweise“ etwas Freude verspüren!

Wenn in diesem Artikel die Rede von „Verhaltensauffälligkeiten“ ist, muss dies nicht im Zusammenhang mit der Pädagogik bei Verhaltensstörungen verstanden werden. Diese Arbeit ist an Lehrkräfte aller Schularten gerichtet, die sich alle auf ihre Weise mit herausfordernden Verhaltensweisen konfrontiert sehen. Zentral sind demnach konkrete Praxishilfen. Dennoch sind Begrifflichkeiten nicht zu vernachlässigen: „Begriffe könnte man als unwichtig abtun, aber sie sind ein Ausdruck des dahinter stehenden Denkens und Verstehens – und sie wirken unter Umständen auf das Verständnis dessen, was der Begriff bezeichnet, zurück“ (Stein 2002 zit. n. Popp/Methner 2014). Die Begriffsvielfalt aus „Verhaltensauffälligkeit“, „Verhaltensstörung“, „abweichendes Verhalten“, „sonderpädagogischer Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung“, „sozial-emotionale Störung“, „Erziehungshilfeschüler“ u. v. a. m. findet oft synonyme und wenig reflektierte Verwendung, was die Gefahr von Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozessen birgt. Im Sinne der in Kapitel 3 dargelegten Ressourcen- und Lösungsorientierung sollte jede „Störung“ oder „Auffälligkeit“ als positiv konnotierte „Herausforderung“ genommen werden.

3 Theoretische Einordnung

Die wissenschaftlichen Grundlagen der paradoxen Interventionen bei herausfordernden Verhaltensweisen bilden der Konstruktivismus sowie die Systemtheorien. Im Kern des konstruktivistischen Ansatzes steht die Erkenntnis, dass Wirklichkeit nicht von uns gefunden, sondern erfunden wird. „Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ (Heinz von Foerster). Demnach gibt es keine objektive Wirklichkeit. Die sogenannte „Realität“ wird stets über subjektive Wahrnehmungen konstruiert (vgl. Liebl u. a. 2016, 4). Watzlawick formuliert zwei Konsequenzen: „Erstens die Toleranz für die Wirklichkeit anderer – denn dann haben die Wirklichkeiten anderer genau so viel Berechtigung wie meine eigene. Zweitens ein Gefühl der absoluten Verantwortlichkeit. Denn wenn ich glaube, dass ich meine eigene Wirklichkeit herstelle, bin ich für diese Wirklichkeit verantwortlich, kann ich sie nicht jemandem anderen in die Schuhe schieben“ (Watzlawick 1988, 31). Jeder Mensch hat demnach gute Gründe für seine Konstruktionen sowie für das damit verbundene Verhalten und es macht wenig Sinn, über die Richtigkeit oder Angemessenheit der unterschiedlichen Konstruktionen zu diskutieren. Daran anknüpfend sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Erfindungen der individuellen Wirklichkeiten zahlreichen Urteilsfehlern unterliegen (vgl. Dobelli 2011). Systemtheorien wurden in verschiedenen Wissenschaften (Biologie, Soziologie, Kybernetik) entwickelt und durch die Pädagogik bei Verhaltensstörungen aufgegriffen. Die systemischen Konzeptionen gehen davon aus, dass sich jedes System durch Abgrenzung zu seiner Umwelt definiert, selbstreferentiell und autopoietisch agiert und bestrebt ist, sich selbst zu schützen. Veränderungsprozesse werden durch die Umwelt angestoßen, jedoch nicht determiniert (vgl. Hillenbrand 2006, 95-97). Orientiert am Humanismus folgen daraus für jeden Menschen grundlegende Fähigkeiten wie Reflexivität, Rationalität, Emotionalität, Kommunikations- und Handlungskompetenz, Autonomie (vgl. Mutzeck 20086, 50-56). Mutzeck skizziert in seiner Menschenbildkonzeption ein „ganzheitliches Wesen, welches von seinen generellen Möglichkeiten her (potenziell) die Fähigkeiten des Denkens, einschließlich des Entscheidens und Wollens, des Fühlens, des Sprechens und Handelns besitzt.“ (Mutzeck 20086, 49). Die aufgezeigten Menschenbildannahmen gelten demnach auch für alle Kinder und Jugendlichen – ganz gleich ob sie den Unterricht stören, über sonderpädagogischen Förderbedarf verfügen oder sich unauffällig zeigen. Im pädagogischen Geschehen münden diese Ideen schließlich in einem horizontalen Beziehungsverständnis. Verhalten ist zugleich als verursacht und verursachend anzusehen, weshalb Ursache und Wirkung von menschlichem Verhalten in der systemischen Sichtweise zirkulär aufgefasst werden. „Lineare Wenn-dann-Zuschreibungen sind für kommunikative Prozesse immer zu einfach“ (Reich, 2006, 298). Auf diese Weise entsteht eine gesteigerte Offenheit für Multikausalität und -faktorialität. Durch die systemische Brille wird die Person nicht als isolierter Problemfall mit bestimmten Symptomen gesehen, sondern in ihren vielschichtigen Lebenszusammenhängen betrachtet.

Die systemisch-lösungsorientierte Beratung greift die konstruktivistische und die systemische Sichtweise auf und begegnet dem Problem, dass Lösungsversuche selbst Teil des Problems sind, anstatt das gewünschte Ergebnis zu liefern. Dabei ist es „nicht wichtig, das Problem zu lösen, sondern sich von dem Problem zu lösen.“ (Lieb u. a. 2016, 4f) Entsprechend wird nicht auf eine von außen gesteuerte Veränderung abgezielt, sondern versucht, Impulse in ein System zu geben, damit dieses in Bewegung kommt und sich für alle Beteiligten überraschende Wendungen und dienliche Lösungen ergeben können. Zu Beginn der 90er-Jahre thematisierten die systemisch-lösungsorientiert arbeitenden Therapeuten Alex Molnar und Barbara Lindquist paradoxe Interventionen erstmals für den schulischen Kontext und präsentierten damit Methoden zur Beeinflussung auffälliger Verhaltensweisen (vgl. Molnar/Lindquist 1992). Als Ideengeber ist auch De Shazer zu nennen, der in seiner „Kurzzeittherapie“ ressourcen- und lösungsorientiert arbeitet. Dabei ermöglichen gezielte, differenzierte Fragestellungen die Rückbesinnung auf positive Erfahrungen. Wird der Fokus auf Kompetenzen gelenkt, schafft dies Abstand zu Problemen und minimiert die individuell wahrgenommenen Belastungen (vgl. De Shazer 2005, 2008).

4 Funktionsweise paradoxer Interventionen

Die paradoxen Interventionen bei herausforderndem Verhalten machen sich die Chancen der systemisch-lösungsorientierten Beratung zunutze. Ursachen sind in ihrer Bedeutung für den Umgang mit Unterrichtsstörungen marginal. Anstatt über Misserfolge zu sprechen, werden Ausnahmen und bisherige Lösungen gesucht. Die Vergangenheit wird allein unter dem Aspekt der Ressourcenorientierung fokussiert, ansonsten richtet sich der Blick in eine hypothetisierte erfreuliche Zukunft. In kooperativer und wertschätzender Atmosphäre werden vielfältige Such- und Findeprozesse angeregt (vgl. Lieb u. a. 2016, 13).

Der Ansatz der paradoxen Interventionen basiert auf folgenden wesentlichen Grundannahmen: Autonomie, Wertschätzung und Ressourcenorientierung. Erlebte Autonomie schafft maximale Motivation für Veränderung. Eine Haltung der respektvollen Neugier für unterschiedliche Konstruktionen gepaart mit Ermutigung bewirkt Öffnung beim Gegenüber. Stärken und Fähigkeiten führen oft zu überraschenden Lösungsideen.

Im Hinblick auf Unterrichtsstörungen lassen sich wiederkehrende Interaktionsmuster beschreiben, welche offensichtlich durch die Verhaltensweisen aller Beteiligten aufrecht erhalten werden. Diesem System gehören nicht nur „störende“ Schüler, sondern auch Lehrer an. In logischer Konsequenz trägt jede einzelne Lehrerin durch ihr eigenes Verhalten zur Aufrechterhaltung der Störung bei – obwohl sie ja gleichzeitig das genaue Gegenteil intendiert. Ausgehend von der menschlichen Fähigkeit zur Autonomie handelt jeder Schüler, gleich welchen Alters oder Begabungsprofils, autonom. Entsprechend ist das Schülerverhalten nicht direkt beeinflussbar. Die systemische Erkenntnis lautet: Durch Änderung unseres eigenen Verhaltens und unserer Reaktionen können wir mit dem geringsten Aufwand hartnäckige Verhaltensmuster unterbrechen.

Gemeinsam ist allen Maßnahmen wie Tadel, Strafe oder Verweis nicht nur die geringe nachhaltige Wirksamkeit, sondern auch die Gefahr einer gestörten Beziehung. Eskalationsspiralen gilt es zu unterbrechen durch eine konsequent wertschätzende und ressourcenorientierte Grundhaltung. Richtet der Lehrer seinen Blick auf die wertzuschätzenden Anteile eines bislang als störend angesehenen Verhaltens, so ist dies in erster Linie befreiend! Ganz sicher bereitet es mehr Freude, nach anschlussfähigen Motiven und Verhaltensaspekten zu suchen, als nach weiteren (erfolglosen) Sanktionen oder Verhinderungstaktiken. Es gilt, den subjektiven Sinn des Verhaltens aufzuspüren, statt Ursachen zu ergründen. Zu welchem Zweck, mit welchem Ziel verhält sich das Kind oder der Jugendliche so? Jedes Verhalten stellt eine Botschaft dar, die zu entschlüsseln ist (Werning 1996 zit. n. Hillenbrand 2006, 100). Dabei sind die tatsächlichen Motive und Ursachen der Schülerin nicht von Relevanz. Bei dem gefundenen subjektiven Sinn kann es sich durchaus um eine Unwahrheit handeln – Hauptsache, die „Unterstellung“ ist wertschätzend und beziehungsfördernd. Sowohl für die Lehrkraft als auch für den Schüler sollte sie gut nachvollziehbar und positiv besetzt sein. Als besonders günstig erweisen sich Überraschungsmomente, für welche der Kreativität der Lehrerin keine Grenzen gesetzt sind. Wird das Kind oder der Jugendliche plötzlich nicht mehr kritisiert, sondern in einem völlig neuen Licht gesehen, können Beziehungen wiederhergestellt und Kooperation ermöglicht werden. Die Interventionen sollen „paradox“ also nicht im Sinne von absurd, unlogisch oder abwegig sein, sondern unerwartete Verhaltensweisen darstellen.

Dem Konstruktivismus zufolge konstruiert sich jeder Lehrer seine eigene Welt des Unterrichtsgeschehens. Keine Lehrerin sieht die Wirklichkeit im Klassenzimmer, wie sie objektiv ist. Alles, was sie wahrnimmt, sieht und hört, hat für jede Lehrkraft eine unterschiedliche Bedeutung und löst deshalb auch unterschiedliche Gefühle und Gedanken aus. Je nachdem, wie eine Situation gedeutet wird, gestaltet sich die Reaktion auf diese. Bewertet ein Lehrer das Hereinrufen eines Schülers ohne vorheriges Melden als respektlosen Akt und Verstoß gegen die Klassenregeln, so liegt eine Reaktion mit Ärger, Ermahnungen, Sanktionen nahe. Erachtet eine Lehrerin das gleiche Hereinrufen jedoch als wertvollen und wichtigen Unterrichtsbeitrag, so wird ihre Reaktion ganz anders ausfallen: Wahrscheinlich wird sie sich freuen, vielleicht wird sie zur Reflexion angeregt. Vorsicht ist beim Lob positiver Verhaltensänderungen geboten, da auf diese Weise altes, als störend wahrgenommenes, Verhalten wieder ausgelöst werden kann. Zur Erklärung ist die „Double-bind“-Theorie zu nennen (vgl. Kriz 1985 zit. n. Hillenbrand 2006, 98). Hierbei befindet sich die Person aufgrund kommunikativer Paradoxien in einem Dilemma. Wenn etwa verbale und nonverbale Äußerungen einen Widerspruch bilden, ist die Möglichkeit einer angemessenen Handlung ausgeschlossen. Aus Sichtweise der Schülerin wird das Verhalten, für welches sich der Lehrer doch inzwischen wertschätzend geäußert hatte, also doch abgelehnt und soll verändert werden. So macht sich der Lehrer unglaubwürdig und die Schülerin beendet die eingegangene Kooperation. Ein weiterer Grund für die negative Wirkweise des Lobens ist der Umstand, dass Lob womöglich schon in der Vergangenheit nicht zielführend war und eventuell zur Aufrechterhaltung des störenden Verhaltensmusters beitrug (vgl. Dichtler 2017). Ferner ist das Risiko des Lobens auch aus der Gewaltfreien Kommunikation bekannt.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Aus systemischer Sicht ist der Fokus nicht auf defizitäre Verhaltensweisen eines Einzelnen, sondern auf Verhaltensmuster aller Beteiligten zu richten. An die Stelle einer Suche nach Ursachen bzw. linearen Ursache-Wirkungs-Mechanismen und deren kräftezehrenden „Bekämpfung“, sollte eine Haltung der respektvollen Neugier treten, die den Blick auf Positives und subjektive Verhaltensmotive ermöglicht.

5 Methoden paradoxer Interventionen

Bei der Variante Stürmen durch die Hintertür soll nicht (wie gewohnt) auf Unerwünschtes hingewiesen oder Kritik geübt werden. Stattdessen ist die Schülerin seitens der Lehrkraft auf positive Verhaltensweisen anzusprechen, die jedoch nichts mit dem auffälligen Verhalten zu tun haben. Diese Worte sollten in wertschätzende Anteilnahme, Interesse und Neugier eingebettet sein. Bestenfalls steht und wirkt die Rückmeldung allein für sich. Die Schülerin könnte ohne Kenntnis paradoxer Methoden zu dem Schluss kommen, dass das Ignorieren ihrer Unterrichtsstörung durch den Lehrer sie vor möglichen Sanktionen bewahrt. Der Lehrer scheint sie also zu mögen. Mit dieser Sicht könnte sie von sich aus beschließen, sich besser zu benehmen. Der Lehrer würde von diesen Gedanken nichts mitbekommen, sich aber sicher freuen, dass seine Maßnahme so gut funktioniert. In diesem Fall hätte positives Feedback an die Schülerin seine Berechtigung und würde kaum zu der oben beschriebenen „Double-bind“-Botschaft führen. Unabhängig von der Schülerreaktion wirkt diese Methode positiv auf den Lehrer, da die Störung in dessen subjektiver Wahrnehmung minimiert wird. Das Umdeuten(Reframing) bezweckt neue Sichtweisen auf Unterrichtsstörungen. Dabei begibt sich die Lehrkraft auf eine Metaebene, um Konfliktsituationen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und mit für sie günstig besetzten Konnotationen zu versehen. Eine positive Lehrerhaltung bewirkt veränderte Lehrerreaktionen, die sich wiederum als förderlich für das Lehrer-Schüler-Verhältnis erweisen. Letztlich kann modifiziertes Handeln auf beiden Seiten geschehen. Eine Möglichkeit des Umdeutens besteht darin, positive Funktionen oder Effektefür die Gruppe zu entdecken. Wirft eine Schülerin mit Müll, könnte sie damit die Lehrerin an die Optimierung des Regelsystems erinnern oder an die Sauberkeit und Ordnung aller Mitschüler appellieren. Die Klasse trainiert gleichzeitig den Umgang mit Ablenkungen und das Aufrechterhalten von Konzentration. Zeigen sich Schüler gelangweilt oder Unterbrechen den Unterricht durch Gespräche und Hereinrufen, kann die Lehrerin Störungen als Anlass verstehen, ihren Unterricht wieder interessanter zu gestalten oder besser zu rhythmisieren. Schließlich bietet sich ihr die Chance einer professionellen Weiterentwicklung. Dies ist einerseits ihrer persönlichen Bedürfnisbefriedigung, andererseits der Unterrichtsqualität dienlich. Im nächsten Schritt üben diese Faktoren dann einen optimalen Einfluss auf das Schülerverhalten aus – Die Eskalationsspirale ist nicht nur unterbrochen, sondern dreht sich in entgegengesetzter Richtung. Des Weiteren können beim Reframing positive Motive unterstellt werden. Vielleicht möchte ein Schüler den Sachverhalt erst genau durchdenken, wenn er nicht oder nur stark verzögert mit einer Aufgaben beginnt. Im Falle des Müllwerfens ist der Schülerin womöglich ein sauberer Arbeitsplatz wichtig, sie möchte sich in Zielsicherheit üben oder den anderen zeigen, was sie kann. Zu guter Letzt die paradoxeste Intervention, die Symptomverschreibung. Das unerwünschte Verhalten wird sozusagen „verordnet“, indem es in anderer Form, Intensität oder zu einem anderen Zeitpunkt gezeigt werden soll – jedoch zu genau festgelegten Bedingungen. Etwa könnte am Stundenbeginn ein Eimer in die Mitte geholt werden und alle versuchen, den gesammelten Müll hineinzuwerfen. Weitere Ideen sind die Optimierung der Flugeigenschaften des Papiers, ein Wettbewerb "Zielwerfen" mit der gesamten Klasse oder die Beförderung einer Schülerin zur „Müllmanagerin“. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt, am besten lassen sich vielfältige Ansätze im Lehrerteam entwickeln. Unbedingte Voraussetzung ist der Dreiklang aus Kooperation, Empathie und Wertschätzung seitens der Lehrkraft. Auf keinen Fall darf die Intervention aus einer sarkastischen Haltung heraus erfolgen, da es sonst zu einer Bloßzustellung des Schülers kommen würde. Nur wenn die Lehrerin tatsächlich an einen positiven Effekt glaubt, kann sie authentisch wertschätzend agieren. Die Symptomverschreibung manövriert die Schülerin in einen Zwiespalt: Zeigt sie das störende Verhalten, ordnet sie sich der Anweisung der Lehrkraft unter. Widersetzt sie sich hingegen, demonstriert sie zwar Unabhängigkeit, müsste ihr bisher freiwillig gezeigtes Symptom allerdings aufgeben. Entscheidet sich die Schülerin für den ersten Fall, soll sie genau definierte Verhaltensweisen nun bewusst hervorbringen und lernt dabei ganz automatisch, ihr Verhalten zu kontrollieren. Wenn dieses einen wichtigen (und vom Lehrer rückgemeldeten) Sinn für die Schülerin erfüllt, erfährt die Selbstbeherrschung zusätzliche Verstärkung. Im zweiten Fall dürfte das unerwünschte Betragen alsbald der Vergangenheit angehören.

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Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Paradoxe Interventionen
Note
/
Autor
Jahr
2022
Seiten
13
Katalognummer
V1182972
ISBN (eBook)
9783346606273
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unterricht, Sonderpädagogik, Verhalten, Sketchnote, Erziehungsziele, Methoden
Arbeit zitieren
M.Ed. Julia Bodensteiner (Autor:in), 2022, Paradoxe Interventionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1182972

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