Kulturelle Vielfalt im Elementarbereich. Wie thematisieren pädagogische Fachkräfte Diskriminierung in Grundschulen?


Bachelorarbeit, 2021

83 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsdefinitionen und Rahmenbedingungen
2.1 KulturelleVielfalt
2.2 Elementarpädagogik
2.3 Wie erleben Kinder Vielfalt?

3. Pädagogische Konzepte zum Umgang mit Vielfalt
3.1 Allgemeine Konzepte und deren Entwicklung
3.2 Ansätze zum Umgang mit kulturellerVielfalt im Elementarbereich
3.1.1 Vorurteilsbewusste Haltung der pädagogischen Fachkräfte als Vorbild
3.1.2 Kultursensitive Elternarbeit

4. Ziele und Methodik der qualitativen Studie
4.1 Erhebungsmethode
4.1.1 Begründung des qualitativen Forschungsdesigns
4.1.2 Einordnung der Forschungsperspektive
4.1.3 Leitfaden-Interview
4.1.4 Stichprobe
4.1.5 DurchführungderStudie
4.3 Erhebungsinstrument
4.3.1 Induktive Kategorienbildung
4.3.2 Interviewleitfaden
4.4 Auswertungsmethode
4.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
4.4.2 Die Vorgehensweise

5. Ergebnisse
5.1 Kulturelle Unterschiede
5.2 Migrationshintergrund
5.3 Sprache
5.4 Projekte
5.5 Rolle und Methoden
5.6 Ziele
5.7 Persönliche Einstellung
5.8 Zusammenfassung

6. Diskussion
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2 Limitationen der qualitativen Studie
6.3 Gütekriterien
6.4 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Interviewleitfaden tabellarisch

Anhang 2: Interviewverlauf und -leitfaden

Anhang 3: Z-Regeln nach Mayring

Anhang 4: Interview - Transkripte im Rahmen der Bachelorarbeit „kulturelle Vielfalt im Elementarbereich“

Anhang 6: Exemplarische Auswertungstabelle

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Forschungsperspektiven in der qualitativen Forschung (Flick et al., 2000, S.19)

Tabelle 2: Zusammensetzung der Stichprobe

Tabelle 3: Induktive Kategorien

Tabelle 4: Zusammenfassung der Ergebnisse

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vergleich zweier Formen von Transkripten

Abbildung 2: Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse

1. Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten kam es zu einer breiten Zuwanderung in die Bun­desrepublik Deutschland. Seit 2012 wandern mindestens eine Million Menschen pro Jahr in das Land ein (vgl. Statista 2021). Die Einwanderer1 kommen aus den unter­schiedlichsten Ländern und Kulturen, wodurch die Bevölkerung sich in einem steten Wandel befindet und die kulturelle Vielfalt nie an Aktualität verliert. Während im Jahr 1991 der Ausländeranteil noch bei 7,6% lag, war ein Wachstum auf 12,7% im Jahr 2020 in Deutschland zu verzeichnen (vgl. Statista 2021). Der Jahresbericht der An­tidiskriminierungsstelle des Bundes weist darauf hin, dass sie im Jahr 2020 insge­samt 6.383 Beratungsanfragen erhalten hat. Von diesen waren 2.121 aufgrund eth­nischer Herkunft begründet, was somit einem Drittel der Anfragen entspricht (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021, S. 42ff.). Die Verschiedenheit ist nicht nur in der Gesellschaft ein präsentes Thema, sondern speziell auch in der Elemen­tarpädagogik (vgl. Warnecke 2014, S. 27). Immer mehr Kinder mit einer nichtdeut­schen Familiensprache besuchen Kindertageseinrichtungen. Die Anzahl an Kin­dern, die aus einer Migrationsfamilie stammen, stieg in den Kinderkrippen zwischen 2009 bis 2019 von 50,5% auf 60,6% an. Dagegen hatten die Kinder in den Kinder­gärten, also in den Ü3-Einrichtungen, bereits im Jahr 2009 zu 60,3 % aller Kinder eine andere Muttersprache. Diese Prozentzahl stieg 2019 auf 68,0% an (vgl. Auto­rengruppe Bildungsberichterstattung 2020).

In pädagogischen Einrichtungen treffen Kinder auf andere Individuen aus kulturell unterschiedlichen Lebenszusammenhängen. Kindertageseinrichtungen werden von einer hohen Anzahl an Kindern mit einem Migrationshintergrund besucht (vgl. Sauter, 2020, S. 155). Daher ist es wichtig, bestimmte Unterschiede zu thematisie­ren und die Kinder für die Vielfalt zu sensibilisieren, um Benachteiligungen abzu­bauen und ein gerechtes Miteinander zu sichern (vgl. Zeißig 2018, S.9). In ihrer Entwicklung werden die Kinder von pädagogischen Fachkräften begleitet und diese nehmen eine wichtige Rolle in ihrer Erziehung ein. Dabei stehen sie vor der Her­ausforderung, allen Heranwachsenden in Bezug auf die Vielfalt gleiche Entwick­lungschancen und positive Erfahrungen zu vermitteln (ebd.), denn ,,[.][d]iversitätskompetente Menschen verfolgen das Ziel, soziale Vielfalt konstruktiv zu nutzen, Diskriminierung zu verhindern und Chancengleichheit zu erhöhen“ (Koch 2017).

Vor diesem Hintergrund erfolgt in der vorliegenden Bachelorarbeit die Auseinander­setzung mit der kulturellen Vielfalt im Elementarbereich. Ziel ist es, die Wichtigkeit der pädagogischen Fachkräfte zur Sensibilisierung aller Kinder in Bezug auf die kulturelle Vielfalt aufzuzeigen. Die Arbeit geht somit der Frage nach, wie pädagogi­sche Fachkräfte im Elementarbereich mit der bereits existenten kulturellen Vielfalt umgehen und wie sie diese gemeinsam mit den Kindern thematisieren, um Diskri­minierung und Ausgrenzung zu verhindern. Aufgrund dessen geht die Thesis auf die Bedeutung derAkzeptanz aller Menschen, und zwar unabhängig von ihren kul­turellen Hintergründen, ein.

Die folgende Arbeit beginnt mit der Begriffsdefinition der .kulturellen Vielfalt' und der .Elementarpädagogik' sowie mit einer Einführung in das Thema dahin gehend, wie Kinder Vielfalt erleben. Anschließend wird auf die allgemeinen Konzepte in Bezug auf interkulturelle Bildung eingegangen und zusätzlich genauere Ansätze zur kultu­rellen Vielfalt in elementarpädagogischen Einrichtungen erläutert. Das dritte Kapitel befasst sich somit mit dem Migrationshintergrund und geht dann auf die geschicht­liche Entwicklung interkultureller Konzepte ein. Um nicht vom Thema abzuweichen, wird sich nur auf den Übergang von der .Ausländerpädagogik' zur ,interkulturellen Erziehung und Bildung' konzentriert. Weiterhin werden Ansätze, wie der ,Anti-Bias- Ansatz' und der .Situationsansatz', in dem Kapitel 3.2 erklärt. Daraufhin folgt die Thematisierung der vorurteilsbewussten Haltung der pädagogischen Fachkräfte als Vorbilder, wobei die Wichtigkeit der Erzieher verdeutlicht wird. Am Ende des Kapi­tels wird die kultursensitive Elternarbeit aufgegriffen. Somit wird aufgezeigt, dass die Eltern und Fachkräfte und deren Zusammenarbeit eine wichtige Voraussetzung füreine gelingende, kindliche Entwicklung bilden.

Beim Kapitel vier handelt es sich um den empirischen Teil der Bachelorarbeit. In diesem werden die Erhebungsmethode sowie die Auswertungsmethode und Ergeb­nisse strukturiert und verständlich beschrieben.

Das letzte Kapitel fasst die Ergebnisse nochmals zusammen und geht dabei detail­liert auf deren Bedeutung ein. Anschließend werden die Limitationen der qualitati­ven Studie und die Gütekriterien aufgeführt. Die Arbeit endet mit einem resümieren­den Fazit und einem Ausblick.

2. Begriffsdefinitionen und Rahmenbedingungen

2.1 KulturelleVielfalt

Die UNESCO, also die ,United Nations Educational, Scientific and Cultural Orga­nization“ (2005), beschreibt den Begriff .kulturelle Vielfalt' folgendermaßen:

„Kulturelle Vielfalt bezieht sich auf die mannigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und Gesellschaften zum Ausdruck kommen. Diese Ausdrucksformen werden innerhalb von Gruppen und Gesellschaften sowie zwischen ihnen weitergegeben. Die kulturelle Vielfalt zeigt sich nicht nur in der unterschiedlichen Weise, in der das Kulturerbe der Menschheit durch eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen zum Ausdruck gebracht, bereichert und weitergegeben wird, sondern auch in den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, der Herstellung, der Verbreitung, des Vertriebs und des Genusses von kulturellen Ausdrucksformen, unabhän­gig davon, welche Mittel und Technologien verwendet werden“ (UNESCO 2005, Artikel 4.1).

Das Zusammentreffen heterogener Gruppen aus verschiedenen Kulturkreisen kann man nicht vermeiden. Der Begriff „kulturelle Vielfalt“ beschreibt das Bestehen man­nigfaltiger Kulturen und das Zusammenkommen unterschiedlicher Identitäten an­hand ethnischer oder sprachlicher Besonderheiten (vgl. Stelzer & Monz 2011, S. 10).

2.2 Elementarpädagogik

Die Elementarpädagogik bezieht sich auf denjenigen Bereich der frühen Kindheit, der sich mit der Erziehung der unter Sechsjährigen beschäftigt. Die Begriffe Ele­mentarpädagogik, Frühpädagogik und weitere Bezeichnungen, die unter den Ober­begriff .Pädagogik der frühen Kindheit' subsumiert werden, werden synonym ver­wendet (vgl. Meyer & Walter-Laager 2012, S. 15). Unter die elementarpädagogi­schen Einrichtungen fallen Institutionen, wie Kindergärten und Krippen, wobei sich die Kinderkrippen auf die Erziehung und Bildung von Kindern in der Altersspanne von 6 Monaten bis zu drei Jahren spezialisieren (vgl. Lorber & Neuß 2020, S. 20). Zu den vielfältigen Aufgaben der Elementarpädagogen gehören der fachliche Um­gang mit der Beobachtung und Dokumentation sowie die Sprachförderung, Krip­penpädagogik, Qualitätsentwicklung, Inklusion, Transitionsgestaltung und die El­ternarbeit (a.a.O., S.19).

Nach dem Kinderförderungsgesetz (KiföG) werden die Anforderungen in frühpäda­gogischen Einrichtungen im SGB VIII §22 wie folgt charakterisiert:

„(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und be­zieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssitu­ation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen.“

Die Begriffe Erziehung, Bildung und Betreuung bilden zentrale Aspekte pädagogi­scher Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Erziehung wird als ein zielgerichtetes Ein­wirken auf einen Menschen verstanden. Das intentionale Handeln ist auf eine gute kindliche Entwicklung ausgerichtet (vgl. Frank 2020, S. 24). Der Bildungsbegriff un­terscheidet sich vom hierarchischen Verhältnis bei der Erziehung und definiert das eigene Handeln als einen aktiven und bewusst angehenden Verlauf (vgl. a.a.O., S. 26). Die Aufsicht ohne eine absichtliche Beeinflussung im Entwicklungsgeschehen bezeichnet man als Betreuung (vgl. Gold/ Dubowy2013, S. 18). Kinder werden, wie im SGB VIII § 22 (3) vorgegeben, nach ihrem Entwicklungsstand gefördert und in­dividuell in ihrem Prozess des Heranwachsens akzeptiert.

2.3 Wie erleben KinderVielfalt?

Kindergärten sowie Kinderkrippen repräsentieren Orte, an denen Heranwachsende mit verschiedenen Kulturen, Sprachen und Erscheinungsbildern in Kontakt treten. Sie ordnen sich einer Gruppe zu und nehmen andere Personen wahr, die sich in ihrer Verhaltens- und Ausdrucksweise von den bisher bekannten Verhaltens- und Ausdrucksweisen abgrenzen (vgl. Wagner 2017, S.62). Kinder lernen viel voneinan­der und fixieren sich dabei mehr auf die erkennbaren Unterschiede anstatt auf die Gemeinsamkeiten (vgl. Heimlich/ Behr 2009, S. 70). Aus psychoanalytischer Sicht können Kinder bereits früh Vorurteile, also z.B. „von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken“ (Allport 1971, S.20), bilden (vgl. Auernheimer 2010, 88). Kinder sammeln täglich neue Erfahrungen und erkunden ihre Umwelt auf ver­schiedenste Weise. Sie kommunizieren mit anderen Individuen und werden als Kommunikationspartner an- und wahrgenommen (vgl. York 2003, S. 3). Säuglinge erkennen die ihnen bereits bekannten Personen und zeigen mimisch dann ihre Re­aktion, wenn sie ein fremdes Gesicht sehen. In der Lauflernphase nimmt sich das Kind als Persönlichkeit wahr und nimmt die Erwachsenen in ihrer Vorbildfunktion wahr, mit denen es sich identifiziert (vgl. a.a.O., S. 9). Im Alter von zwei Jahren können Kinder körperliche Merkmale identifizieren und ordnen Personen Ge­schlechtern zu. In dieser Entwicklungsphase können diese dazu in der Lage sein, Etikettierungen zu verwenden (vgl. a.a.O., S. 10).

Glenda Mac Naughton (2006) untersuchte als Erziehungswissenschaftlerin ver­schiedene Bereiche hinsichtlich der Entwicklung in der frühen Kindheit in Bezug auf die Vorurteilswahrnehmung. Die Forschungsergebnisse stammen weitgehend aus den USA und lieferten, zusammengefasst von Mac Naughton, folgende Befunde. Dieses Resümee kann mit dem Entwicklungsstand der in Europa lebenden Kinder verglichen werden, da die frühkindliche Entwicklung sich nicht nach den Ländern und Kontinenten unterscheidet.

Mac Naughton belangte zur Erkenntnis, dass Kinder bereits im Alter von drei Jahren ein Bewusstsein für die Existenz verschiedener Menschenrassen ausgebildet ha­ben (vgl. a.a.O., S.3). Zudem können sie Hautfarben unterscheiden und haben ein positiveres Bild von Personen mit heller Haut als von Menschen mit dunkler Haut entwickelt (vgl. a.a.O., S. 4). Heranwachsende erkennen bereits früh unterschiedli­che Kommunikationsweisen und verhalten sich abweisend gegenüber Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen wie sie selbst (vgl. a.a.O., S.6). Dreijährige können je nach dem Grad der Behinderung eines Kindes Unterschiede feststellen und betiteln diese im Alter zwischen fünf und acht Jahren als „nicht normal“ (vgl. Wagner 2017, S.90). Die Geschlechtsunterschiede werden Kindern erst im Alter von drei Jahren bewusst. Sie identifizieren die Geschlechter und verbinden stereo­typische Verhaltensweisen mit ihnen (vgl. Mac Naughton 2006, S.16). Im Alter zwi­schen fünf und acht Jahren suchen sich Kinder ihre Spielpartner bewusst aus und grenzen dabei das andere Geschlecht aus. Ab dieser Altersstufe erkennen sie die kulturellen Identitäten und befragen oftmals andere Kinder nach ihrer Herkunft. Sie­ben- bis Neunjährige begreifen das Zugehörigkeitsgefühl und können sich Gruppen zuordnen oder sich von ihnen abgrenzen (vgl. York 2003, S. 10). Für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist es wichtig, die Vorurteile zu thematisieren. Denn wenn diese nicht thematisiert werden, können diese bestehen bleiben und sich immer mehrverfestigen (vgl. Ali-Tani 2017, S. 17).

3. Pädagogische Konzepte zum Umgang mit Vielfalt

Für die Arbeit mit kultureller Vielfalt und für ein sensibles Verhalten gegenüber Kin­dern mit einem anderen Migrationshintergrund bedarf es der Thematisierung der kulturellen Unterschiede sowie der Bereitschaft, diese zu akzeptieren. Die Ausei­nandersetzung mit den entsprechenden Ansätzen ist für den kultursensitiven Um­gang deshalb von großer Relevanz (vgl. Keller 2011, S.4). Als Migranten werden diejenigen Personen bezeichnet, die aus unterschiedlichsten Gründen für einen län­geren oder unbegrenzten Zeitraum ihr bisher bewohntes Land verlassen haben (vgl. Hamburger 2018, S. 19). Nach dem Statistischen Bundesamt wird der Migrations­hintergrund in Bezug auf die Staatangehörigkeit definiert. Migranten sind somit Per­sonen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil eine andere Staatsan­gehörigkeit besitzt (vgl. Statistisches Bundesamt, Destatis 2021). Aufgrund der un­terschiedlichen Situationen in den Ländern änderten sich auch die Gründe, warum Migranten nach Deutschland wanderten. In der Vergangenheit gab es viele Men­schen, die aus Kriegsgebieten flüchteten und in die Bundesrepublik Deutschlang sowie in andere Länder zuzogen (vgl. Holzbrecher 2004, S. 53). In der Bundesre­publik haben etwa 6,7 Millionen junge Menschen, also Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, einen Migrationshintergrund (vgl. Lochner/ Langmeyer, 2020, S. 5). Immer mehr Kinder mit einem Migrationshintergrund besuchen die Kinderta­geseinrichtungen. Auch der Besuch von Migrantenkindern in den U3-Einrichtungen nimmt stetig zu. Zum 1. März 2019 wurden über 1 Million Migrantenkinder in Kin­dergruppen bundesweit betreut (vgl. Statistisches Bundesamt/ Destatis 2019, S. 42). 50 Prozent der Kinder haben in fast jedem fünften Kindergarten einen Migrati­onshintergrund (vgl. Olszenka/ Riedel 2020, S. 22).

Auf Basis dieses Grundwissens über die Migrationsdefinition werden im Folgenden allgemeine Konzepte und die Entwicklung, wie unsere Gesellschaft bis zum heuti­gen Tag kulturell vielfältig geworden ist, kurz erläutert. Daraufhin wird eine Eingren­zung der Ansätze auf die kulturelle Vielfalt im Elementarbereich vorgenommen. An­schließend wird Bezug auf den Einfluss einer vorurteilsbewussten Haltung der pä­dagogischen Fachkräfte auf die Kinder genommen und die Wichtigkeit der kultur­sensitiven Elternarbeit herauskristallisiert.

3.1 Allgemeine Konzepte und deren Entwicklung

Interkulturelle Erziehung und Bildung wurden in den 1960er/ 1970er Jahren mit dem Begriff ,Ausländerpädagogik‘ betitelt und bezogen sich zunächst auf den Zuzug von Arbeitsmigranten (vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 14). Kinder und Jugendliche aus ausländischen Familien wurden „ausschließlich als Mängelwesen betrachtet“ (Mar­burger 1991, S.27). Das Ziel war darauf ausgerichtet, ausländische Kinder in die deutsche Gesellschaft zu assimilieren. Kinder aus anderen Kulturen wurden also als Defizite qualifiziert (vgl. Nohl 2010, S.22). In den 1980er Jahren wurde der Be­griff weiter ausdifferenziert und nicht mehr auf eine konkrete Zielgruppe bezogen. Somitwurde der Begriff ,Ausländerpädagogik‘ durch die Bezeichnung der .Interkul­turellen Erziehung und Bildung' ersetzt (vgl. Krüger-Potratz 2005, S. 14). Die Inten­tion war es nunmehr nicht mehr, die Migrantenkinder anzupassen, sondern sie so wertzuschätzen und zu akzeptieren, wie sie sind. Die Kinder sollten da abgeholt werden, wo sie bereits stehen. Dazu gehört auch das Miteinbeziehen bestimmter Gewohnheiten, welche die Kinder von zuhause aus mitbringen (vgl. Keller 2013, S.71). DerWeg hin zur interkulturellen Erziehung ist das Lernen, welches stattfindet, „wenn eine Person bestrebt ist, im Umgang mit Menschen einer anderen Kultur deren spe­zifisches Orientierungswissen der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns zu verstehen, in das eigenkulturelle Orientierungssystem zu integrieren und auf ihr Denken und Handeln in fremdkulturellen Handlungsfeld anzuwenden“ (Thomas 1988, S.83).

So können Kindergärten nach Keller (2013) als Orte fungieren, in denen Kinder mit ihrer Individualität wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Sie werden mit ihren Schwächen und Hintergründen als Teil der Kitagruppe angenommen. So werden für Kinder „die besten Voraussetzungen geschaffen, sich als respektiertes und res­pektvolles Mitglied in die Gesellschaft einbringen zu können“ (S. 76).

Die Einwanderer wurden somit als different anerkannt statt als defizitär. Der neue Ansatz richtet sich auf alle Mitgliederder Gesellschaft aus und erkennt die Tatsache an, dass alle Menschen mit ihren kulturellen Unterschieden in die Gesellschaft ein­gebunden sind (Nohl 2010, S. 49). Erst ab den 1990er Jahren wurde die zuneh­mende Einwanderung der Migranten politisch anerkannt und mehr in den Diskurs gestellt (vgl. Gogolin/ Krüger-Potratz 2020, S. 39). Ab diesem Zeitpunkt wurde die interkulturelle Kommunikation, also die „Pädagogik der Vielfalt“, entwickelt und rich­tete sich an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das Leitziel war es, dass alle Personen in ihrem Handeln sowie in ihren ethnischen und religiösen Hintergründen, die sie mitbringen, anerkannt werden und diese Tatsache zur Sprache gebracht wird (vgl. Roth 2002, S.43). Neben diesen beiden Konzepten beschreibt Arnd-Michael Nohl, Professor in Erziehungswissenschaften, die Antidiskriminierungspädagogik (vgl. Nohl 2010, S. 89f.). Dieser junge Ansatz betrifft deshalb alle, da jedes Indivi­duum mit Diskriminierung konfrontiert werden kann. Unter Diskriminierung ist zu verstehen:

„wenn aus dem Handeln individueller Akteure nachteilig Folgen für andere Akteure eintreten, weil sie diese aufgrund wahrgenommener sozialer oder ethnischer Merkmale als ungleich bzw. minderwertig ansehen“ (Pates et al. 2010, S. 27).

Der Ansatz legt vor allem großen Wert auf die Teilhabe und die Akzeptanz aller Menschen, und zwar unabhängig davon, was sie ausmacht. Wichtig bei der Antidis­kriminierungspädagogik ist es, das eigene Handeln ständig zu reflektieren, um ein ungerechtes Verhalten vorbeugen zu können (vgl. Pates et al. 2010, S. 101ff.). Die beschriebene Pädagogik folgt bestimmten Zielen, um diese umsetzen zu können. Zunächst einmal ist eine kritische Einstellung gegenüber Neuem unverzichtbar. Da­bei sollte die Situation mit Sensibilität betrachtet werden. Das zweite Ziel geht auf das eigene Verständnis von Diskriminierung ein. Für ein professionelles Auftreten sollte jeder Person, die sich mit der Antidiskriminierungspädagogik auseinander­setzt, bewusst sein, was Benachteiligung bedeutet. Dieses Bemühen geht eng mit dem dritten Ziel, Wissen zu erlangen, einher. Das Beschäftigen mit Diskriminierung setzt voraus, Informationen darüber zu sammeln, wie es zu diesem Zustand gekom­men ist und welchen Hintergrund sie verfolgt. Das vierte Ziel folgt der Intention, über Stigmatisierung und Abgrenzung zu sprechen. Die Kommunikation darüber erleich­tert das Sprechen über die eigenen Gefühle und Gedanken. So können sich Perso­nen untereinander austauschen und sich gegenseitig aufzeigen, dass man sich durch Austausch besser verständigen kann, als sich diskriminierend zu verhalten. Um ein solches Gespräch führen zu können, bedarf es als Basis der Selbstreflexion. Wie im fünften Ziel beschrieben wird, ist es für ein respektvolles Miteinander von Relevanz, andere Perspektiven einnehmen und dabei die eigene Einstellung über­denken zu können. Das nächste Bestreben des Konzeptes zielt auf den Umgang mit Verschiedenheit ab. Darunter wird das respektvolle Miteinander verstanden, (vgl. a.a.O., S.103ff.). Der Ansatz entspricht dem Wunsch, dass alle Menschen sich und ihre Umwelt in ihrer Andersartigkeit, also „die Eigenschaft, sich in irgendeiner Weise grundsätzlich von anderen/ etwas anderem zu unterscheiden“ (Wiktionary, o.J.), wertschätzen und annehmen. Das letzte Ziel ist auf das Handeln ausgerichtet, also auf das aktive Agieren im Geschehen gegen die Diskriminierung. Die Zielgrup­pen der Antidiskriminierungspädagogik sind Kinder, Jugendliche und Schüler, sowie auch pädagogische Fachkräfte und Institutionen (vgl. Pates et al. 2010, S. 103ff.). Weiterhin wurden verschiedene Konzepte zur interkulturellen Pädagogik in Bezug auf Geschlechter, Rassismus usw. entwickelt, die für diese Forschungsarbeit irrele­vant sind und daher nicht thematisiert werden. Stattdessen werden im folgenden Unterkapitel die Ansätze zum Umgang mit kultureller Vielfalt thematisiert.

3.2 Ansätze zum Umgang mit kultureller Vielfalt im Elementarbereich Im Jahr 2019 meldete die Mehrheit der benachteiligten Personen einen Diskriminie­rungsfall aufgrund ihrer ethnischen Herkunft an die Antidiskriminierungsstelle (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019, S. 12). Die Beratungsstelle wendet sich auf Anfrage an die diskriminierten Menschen und bietet ihnen eine Beratung an (vgl. a.a.O., S.9). Der Umgang mit kultureller Vielfalt geht somit auch mit der Diskriminierungsarbeit einher.

Der Anti-Bias-Ansatz beschäftigt sich mit der antidiskriminierenden Arbeit. Dieses pädagogische Konzept wurde in den USA von Louise Derman-Sparks und ihren Kolleginnen entwickelt und kommt bereits seit mehreren Jahren in Deutschland zum Einsatz (vgl. Gramelt 2010, S. 11). Das Konzept geht auf die Vielfältigkeit der Men­schen in der Gesellschaft ein und rückt das Wertschätzen und Akzeptieren aller Individuen in den Mittelpunkt (vgl. a.a.O., S. 13).

Die Ziele des Anti-Bias-Ansatzes sind für die Umsetzung unverzichtbar und bauen aufeinander auf. Zunächst solltejedes Kind in seiner Ich-Identität und Bezugsgrup­penidentität gestärkt und als Mitglied der Gesellschaft anerkannt und akzeptiert wer­den (Ziel 1). Auf diese Weise kann Kindern Vielfältigkeit aufgezeigt und Vorurteile vorgebeugt werden. Kinder mit einem starken Selbstbewusstsein verhalten sich auf­geschlossener gegenüber Personen, die sich anders verhalten oder durch ein an­deres Erscheinungsbild gekennzeichnet sind (Ziel 2). Mit der Unterstützung von Be­zugspersonen sollte das kritische Denken der Kinder angeregt werden, um das ei­gene Handeln besser steuern zu können (Ziel 3). Kinder können sich somit aktiv gegen das Diskriminierungsgeschehen engagieren und bewusst handeln (Ziel 4) (vgl. Hahn et al. 2012, S. 43ff.). Diese Ziele und Vorgaben des Anti-Bias-Ansatzes stellen eine große Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte dar. Sie ha­ben die Aufgabe zu erfüllen, eine vorurteilsbewusste Haltung einzunehmen und als Vorbild zu agieren (siehe 3.2.1). Hierbei sind die kritische Überprüfung der geleis­teten Arbeit und der respektvolle Umgang ausschlaggebende Aspekte für die Um­setzung desAnsatzes (vgl. Wagner2018, S. 10).

Ein weiteres pädagogisches Konzept, welches sich mit den Verschiedenheiten in den elementarpädagogischen Einrichtungen beschäftigt, ist der Situationsansatz. In den I960 Jahren wurde eine Debatte über die frühe Einschulung von Kindern im Alter ab fünf Jahren geführt (vgl. Deutscher Bildungsrat 1970, S. 45ff., 123ff.), um der kindlichen Entwicklung gleiche Chancen unabhängig von ihrem Hintergrund bie­ten zu können (vgl. Krug 2013, S.3). Im Situationsansatz werden Kinder unter­schiedlicher sozialer und kultureller Herkunft darin unterstützt, „ihre Lebenswelt zu verstehen und selbstbestimmt, kompetent und verantwortungsvoll zu gestalten“ (Kobelt Neuhaus et al. 2021, S. 202). DerAnsatz beschäftigt sich mit der

„Orientierung an Schlüsselsituationen, die Verknüpfung von sozialem und sachbezogenem Lernen, die Beteiligung von Eltern und anderen Erwachsenen als Experten, die Anerken­nung des eigenständigen Anregungsmilieus in der altersgemischten Kindergruppe“ (Preis­sing/ Heller2016, S.10).

Das Menschenbild geht von den Rechten aller Kinder aus. Jedes Kind wird als ein besonderes Individuum begriffen und sollte von den Erwachsenen in seiner subjek­tiven Entwicklung auf jegliche Art unterstützt werden. Der Situationsansatz basiert auf fünf Grundannahmen. Die erste Grundannahme richtet sich auf die Lebenswelt­orientierung aus: „Lasst das Leben rein!“. Bildung und Entwicklung in Kindertages­stätten geschehen also in der Orientierung an den Lebenswelten der Kinder und ihrer Familien (vgl. Kobelt Neuhaus et al. 2021, S. 212). Die zweite Annahme be­zieht sich auf die Bildung der Kinder. Im Situationsansatz gehen die Fachkräfte „in ihrem pädagogischen Handeln von den sozialen und kulturellen Lebenssituationen der Kinder und ihrer Familien aus“ (ebd.). Dabei richten sie sich nach den Schlüs­selsituationen, also nach ,,konkrete[n] soziale[n] und kulturelle[n] Lebenssituationen“ (Preissing/ Heller 2016, S.84), welche im Alltag von den Erzieherinnen aufgegriffen werden (vgl. Kobelt Neuhaus et al. 2021, S. 213). Kindern wird der Raum gegeben, sich selbst zu bilden, und die werden in ihrem Bemühen von ihren Bezugspersonen begleitet und unterstützt. Partizipation, also das Mitwirken von allen Beteiligten, ist in diesem Konzept festgelegt. Der Ansatz unterliegt folgenden Pflichten, um ein de­mokratisches Zusammenleben zu ermöglichen:

„Anerkennung des individuellen Strebens nach Selbstbestimmung und Freiheit (Autonomie), Gerechtigkeit durch Anerkennung gleicher Rechte für alle, wechselseitige Verantwortung von Individuum und Gemeinschaft, gegenseitiger Respekt und das Verbot von Diskriminie­rung (Solidarität), und nicht zuletzt dem Recht auf Teilhabe (vgl. Art 3 & 6 Grundgesetz)“ (Preissing/ Heller2016, S. 49).

Die kindlichen Verhaltensweisen und Entscheidungen werden respektiert. In der Er­ziehung und Bildung existiert kein hierarchisches Verhältnis, sondern es wird ein Miteinander auf Augenhöhe praktiziert. Die nächste Dimension des Ansatzes betrifft die Inklusionsarbeit. Alle Kinder werden gleichbehandelt und individuell gesehen. Durch die Arbeit mit Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung wurde das Konzept erweitert und angepasst.

Die Kindertageseinrichtungen werden von Familien und Heranwachsenden be­sucht, welche durch unterschiedliche Kulturen gekennzeichnet sind. Die Unter­schiede sind Teil des pädagogischen Alltags und werden von den Kindern wahrge­nommen. Der Fokus der Inklusion liegt auf den Beteiligungschancen, die allen ge­boten werden (vgl. Kobelt Neuhaus et al. 2021, S. 216ff.). Unter Inklusionsarbeit ist also ein spezieller Umgang mit Verschiedenheiten zu verstehen und beschreibt die Rechte der Kinder wie folgt:

„Alle Kinder haben ein Recht auf den Zugang zu und auf bestmögliche Bildung. Alle Kinder haben ein Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung und auf Schutz vor Diskriminierung. Es gilt, Unterschiede zwischen den Kindern und individuelle Stärken sensibel wahrzunehmen und die Kinder in ihrer Identitätsentwicklung zu fördern. Pädagogisches Handeln sollte sich nach den vier Zielen derVorurteilsbewussten Bildung und Erziehung richten“ (a.a.O., S.218).

Die vier Ziele der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung wurden bereits zu Beginn diesen Unterkapitels benannt und werden daher nicht nochmals zitiert.

Die letzte Dimension des Situationsansatzes lautet: „Einheit von Inhalt und Form“. Unter diese Überschrift fällt die Übertragung der bereits genannten vier Dimensio­nen auf die Institutionen in Bezug auf die Haltung der Fachkräfte (vgl. a.a.O., S. 219). Das pädagogische Handeln erfordert „eine reflektierte Haltung gegenüber Menschen und der pädagogischen Arbeit“ (Preissing/ Heller 2016, S. 58). Diese Einstellung macht den Situationsansatz aus. Das Ziel der Dimensionen ist darauf ausgerichtet, die existenten Alltagsstrukturen kritisch zu hinterfragen und in Kinder­tageseinrichtungen einzusetzen (vgl. Kobelt Neuhaus et al. 2021, S. 220).

3.1.1 Vorurteilsbewusste Haltung der pädagogischen Fachkräfte als Vorbild

Pädagogische Fachkräfte repräsentieren einen wichtigen Bestandteil der frühkind­lichen Förderung und vermitteln Werte und Ansichten. Sie gestalten die Umgebung der Kinder aktiv mit und stehen in dem Zusammenhang in ständigem Austausch mit den Erziehungsberechtigten (vgl. Roth 2014, S.74). Nach Krenz 2014 umfasst der pädagogische Auftrag das Bemühen, aktiv dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche eine allumfassende, lebendige und vielfältige, die Neugierde unterstützende Erfahrungswelt kennenlernen können, damit sie immer stärker [dazu] in der Lage sind, ihre individuelle Identität zu erfahren und zu begreifen, weiterzuentwickeln und auszubauen“ (S.55).

In der elementarpädagogischen Arbeit müssen die Fachkräfte den Anforderungen in Bezug auf bestimmte Kompetenzen gerecht werden. Darunter zählt die Sozial­kompetenz, unter der die Bereitschaft zur sozialen Interaktion zu verstehen ist und die beispielsweise den Austausch im Team oder mit den Eltern definiert. Die Fach­kräfte befinden sich ebenfalls in einem ständigen Lernprozess und sollten dazu in der Lage sein, Gelerntes anwenden zu können. Diese Art von Fähigkeit wird als Methodenkompetenz tituliert. Die Selbstkompetenz, die auch Persönlichkeitskom­petenz genannt wird, meint die persönliche Reflexion in Bezug auf das Selbstver­halten sowie das Hinterfragen der eigenen Stärken und Schwächen. Durch die Selbsteinschätzung kann die pädagogische Fachkraft sich ein Bild der eigenen Per­son machen und somit an sich selbst arbeiten. Außerdem sollten die Erzieher/Innen die Kompetenz zu Fachwissen haben, um ihrer Arbeit professionell gerecht zu wer­den (vgl. Lorber & Neuß 2020, S. 21).

Nach Sulzer und Wagner 2011 liegt die Fokussierung darin begründet, das Handwerkzeug, das man als Erzieherin bzw. Erzieher mitbringt, kritisch zu überprü­fen und grundlegend um ein Bewusstsein für Diversität wie auch für Diskriminierungs- und Ausschlussrisiken zu ergänzen“ (S.50).

Fachkräfte stehen unter ständiger Eigenkontrolle. Sie müssen ihr Verhalten kritisch analysieren, um Kindern gegenüber einer professionellen Haltung einnehmen zu können. Die Haltung ist demnach „eine Schlüsseldimension, die das Denken, die Weltansicht und die Handlungspraxis von Fachkräften grundlegend prägt“ (Nent- wig-Gesemann et al. 2011, S.53). Kinder lernen durch Beobachtung und sind neu­gierig gegenüber Andersartigkeiten von Personen (vgl. Wagner 2017, S. 27). Vor­urteile werden Kindern aus ihrem Umfeld unbewusst übertragen: „Man lernt Vorur­teile aus dem Kontakt mit den vorherrschenden Einstellungen in einer Gesellschaft, nicht aus dem Kontakt mit Einzelnen“ (Derman-Sparks 1998, S. 6). Deshalb ist es umso wichtiger als pädagogische Fachkraft, bewusst als Vorbild zu fungieren. Er­zieherwerden als Bindungspersonen wahrgenommen und bieten Kindern einen „si­cheren Hafen“. Die Bindungsperson verdeutlicht dem Kind die Möglichkeiten, seine Umwelt zu erkunden, und folgt den kindlichen Bedürfnissen (vgl. Becker - Stoll et al. 2014, S. 39). Durch eine sichere Bindung kann eine gesunde und stressfreie Entwicklung bewirkt werden. Sicher gebundene Kinder sind „flexibler in ihrer Anpas­sung, ausdauernder, enthusiastischer und effektiver im Umgang mit Neuem“ (Grossmann/ Grossmann 2004, S. 200). Kinder nehmen sich schon früh ein Vorbild an ihren Bezugspersonen (vgl. Jetti et al. 2012, S. 42). Bereits während der päda­gogischen Ausbildung werden die Aspekte des professionellen Umgangs mit kultu­reller Vielfalt thematisiert und auf dem aktuellen Stand gehalten (vgl. Wagner 2017, S. 263). Für eine vorurteilsbewusste Haltung der pädagogischen Fachkräfte bildet die kontinuierliche Selbstreflexion des eigenen Handelns eine wichtige Vorausset­zung. In dem Zusammenhang gehen Fachkräfte auf bestimmte Situationen ein und überdenken wichtige Anzeichen in Bezug auf ein diskriminierendes Verhalten. Die Verfestigung der Sensibilität gegenüber Gruppierungen ist ein wichtiger Bestandteil für das Umgehen mit inkompetentem Auftreten (vgl. a.a.O., S. 267). Anhand der ständigen Selbstreflexion erlangen Fachkräfte einen verschärften Blick auf die un­terschiedlichen Zuordnungen der Kinder in ihren sozialen Gruppen und vermeiden das Risiko, Differenzierungen vorzunehmen (vgl. Sulzer & Wagner 2011, S. 39). Die vorurteilsbewusste Vorgehensweise stützt sich auf den Anti - Bias - Ansatz, wel­cher sich speziell auf die Haltung bezieht. Nach Louis Derman - Sparks, dem

Entwickler des Ansatzes, ist der Anti - Bias - Ansatz eine lebenslange Reise, die in uns selbst beginnt.“ (Anti - Bias Netz). Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die Akzeptanz der Individualität von Kindern und Erwachsenen. Aufgrund der Tatsache, dass jede Person Vorurteile entwickeln kann, ist die Thematisierung umso wichtiger für die pädagogische Praxis (vgl. Jetti et al. 2012, S. 43). Wenn Fachkräfte sich ihrer Kompetenzen bewusst sind, können sie Kinder in ihrer Identitätsentwicklung nach­haltig unterstützen und somit das Risiko, sich ein falsches Bild zu machen, verrin­gern. Außerdem ist es wichtig, die Ich- und Bezugsgruppenidentität zu vermitteln und somit Akzeptanz gegenüber Unbekannten zu entwickeln (vgl. Derman-Sparks 2017, S. 308). Dies kann gelingen dann, indem Erzieher ihre eigenen Meinungen vertreten und in Ich-Botschaften sprechen. Auch Erwachsene dürfen „Nein“ sagen. Dadurch werden die eigenen Grenzen vermittelt und die eigenen Bedürfnisse mit­geteilt. Diese Haltung wirkt sich auf die der Kinder aus (vgl. Wedewardt/ Hohmann 2021, S. 103).

3.1.2 Kultursensitive Elternarbeit

Die Elternarbeit bildet einen unverzichtbaren Bestandteil in den elementarpädago­gischen Einrichtungen. Unter Elternarbeit sind die Verbesserung des elterlichen

Erziehungsverhaltens und eine Abstimmung zwischen Einrichtung und Familie“ (Bernitzke/ Schlegel 2004, S. 11) zu verstehen. Nach Verlinden/ Külbel (2005) ge­hört die partnerschaftliche Kommunikation mit den Eltern zu den spannenden

Tätigkeiten im Kindergarten. Sie lebt von der Dynamik der Beziehungen, die Fach­kräfte, Eltern und Kinder zueinander entwickeln“ (S.13). Diese Zusammenarbeit ist gesetzlich im SGB VIII § 22 Abs. 2 geregelt:

„(2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen

1. die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,
2. die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,
3. den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander verein­baren zu können.“

Mögliche Formen der erziehungspartnerschaftlichen Arbeit sind erstens die Doku­mentation der Bildungs- und Erziehungsprozesse des Kindes, durch die ein infor­mativer Austausch gelingt, zweitens das Entwicklungsgespräch, das in regelmäßigen Abständen durchgeführt wird, dessen Grundlage die vorher getätig­ten Beobachtungen bilden, und drittens Tür - und - Angelgespräche, die tagtäglich während der Abholzeiten geführt werden (vgl. Roth 2014, S. 153ff.). Die pädagogi­schen Fachkräfte sowie auch beide Elternteile sind wichtige Personen für die kind­liche Entwicklung der Kleinkinder. Eine gute Kooperation kann es dem Kind ermög­lichen, sich vielfältig zu entfalten. Kinder verknüpfen ihr Vertrauen in die Bildungs­einrichtung mit dem von den Erziehern vermittelten Zugehörigkeitsgefühl zur Fami­lie. Eine gute Elternarbeit wirkt sich auf die Akzeptanz anderer Bezugspersonen durch das Kind aus (vgl. Wagner 2017, S. 249). Die Aufgaben der Bezugspersonen sind die Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kinder und die Akzeptanz gegenüber den sozialen und kulturellen Kontexten, welche die Familien kennzeichnen (vgl. SGB VIII §9, Abs. 2). Eine kultursensitive Elternarbeit geht zunächst davon aus, dass beide Interaktionspartner miteinander gut kommunizieren können und sich da­bei gegenseitig akzeptieren sowie respektieren. Eine bewusste Auseinanderset­zung mit dem Thema Vielfalt seitens der Fachkräfte zusammen mit den Kindern fördert die erziehungspartnerschaftliche Arbeit. Durch das Erfahren der Gemein­samkeiten und Unterschiede der Familienkulturen können die Erzieher diese ge­meinsam mit den Kindern thematisieren und somit eine vorurteilsbewusste Umge­bung schaffen. So lernen Kinder, alle Menschen in ihrer Identität zu schätzen (vgl. Wagner 2017, S. 251). Eltern ist es wichtig, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen und umgesetzt werden. Eine gute Kommunikation entsteht durch den professionellen Umgang miteinander. Für eine gelingende Erziehungspartner­schaft ist die Haltung von großer Wichtigkeit. Darunter zählt vor allem die respekt­volle Haltung gegenüber den Familien. Fachkräfte zeigen dadurch ihr Interesse am Entwicklungsgeschehen und schätzen die unterschiedlichen Ansichtsweisen der El­tern hinsichtlich ihrer Vorstellungen über die Entwicklung ihrer Kinder. Außerdem ist eine vorurteilsbewusste und nicht - beurteilende Haltung, also das Einnehmen einer wertneutralen Stellung, ein wesentlicher Aspekt der pädagogischen Tätigkeit (vgl. Roth 2014, S. 24). Die Erzieher müssen sensibel für ethnische und soziale Kulturen sein und sich mit den unterschiedlichen Lebenswelten auskennen, um mit derViel- falt in der frühkindlichen Förderung feinfühliger in Kontakt treten zu können. Die ressourcenorientierte Haltung rückt die Kompetenzen des Gegenübers in den Vor­dergrund und geht beispielsweise der Frage nach, was für Stärken mein Kommuni­kationspartner mitbringt (vgl. a.a.O., S. 25). Für eine gelingende Elternarbeit ist die dialogische Haltung von großer Relevanz. Somit können beide Parteien Konflikten entgegenwirken (vgl. a.a.O., S. 45). Kultursensitive Arbeit setzt voraus, dass Fach­kräfte dazu bereit sind, sich selbst zu reflektieren. Durch die Selbstreflexion wird ihre Grundhaltung verinnerlicht. Somit können sich die Erzieher besser auf andere Meinungen und Ansichten einlassen (vgl. a.a.O., S. 49f.). Durch die aktive Ausei­nandersetzung mit der Vielfalt können Kinder die Andersartigkeit kennenlernen. Die Bezugspersonen bieten hierfür Anknüpfungspunkte. Für einen kultursensitiven Um­gang untereinander und die Stärkung des Selbstwertgefühls ist es bedeutsam, dass alle Kinder, und zwar ob mit oder ohne einen Migrationshintergrund, in der Kinder­tageseinrichtung auf ihre Vorerfahrungen rekurrieren können (vgl. Yoksulabakan/ Haddou 2013, S. 71). Neben den interindividuellen Beziehungen übt auch die Raumgestaltung eine Einwirkung auf die Wahrnehmung von Vielfalt aus. Die Räume in den pädagogischen Einrichtungen werden von den Fachkräften oftmals gemeinsam mit den Kindern gestaltet. Für eine kultursensitive Elternarbeit sollten die Eltern und Bezugspersonen miteinbezogen werden. Bezüglich der religiösen Tradition können die Räume je nach den Festen ausgestattet werden, wobei die Beteiligung der Eltern eine große Erleichterung für die Fachkräfte darstellt. Die Er­zieher sind nicht dazu verpflichtet, das Wissen über alle Feste zu besitzen und müs­sen diese nicht feiern. Jedoch kann so anhand einer Elternarbeit die kulturelle Viel­falt den Kindern nähergebracht werden (vgl. a.a.O., S. 72f.). Die „Interkulturelle Pä­dagogik will Dialog und Austausch zwischen Kulturen unterstützen“ (Ulrich et al. 2013, S. 11). Der Umgang mit der Sprachenvielfalt ist somit ein wichtiger Bestandteil kultursensitiver Elternarbeit. Die Akzeptanz der Familiensprache vermittelt dem Kind das Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit. Das gelingt, indem die Fach­kräfte auf die Familiensprachen eingehen, Kinderlieder in der Muttersprache der Kinder singen oder aber auch lediglich sprachlich ausdrücken, wie gut die Eltern eine weitere Sprache beherrschen. Denn auch diese Art von Zuneigung verdeutlicht den Respekt der Erzieher gegenüber der Familienkultur. Interkulturelle Kompetenz resultiert also aus dem sensiblen Umgang miteinander. Die Sicht aus einer anderen Perspektive kann die eigene Haltung positiv beeinflussen. Durch die Thematisie­rung der kulturellen Unterschiede wird den Kindern das Gefühl von Zusammenge­hörigkeit vermittelt. Dabei stehen sie mit ihren Stärken, Schwächen und ihrer Ein­zigartigkeit im Mittelpunkt und werden so angenommen, wie sie sind. Kinder erler­nen so die Grundlagen für den respektvollen Umgang miteinander und können sich als vorurteilsbewusste Menschen integrieren (vgl. a.a.O., S. 73ff.). Im Umgang mit Projekten können Kinder aufmerksam auf kulturelle Unterschiede gemacht werden. Kinder lernen durch das selbstständige Tun. Dabei wird ihnen die Möglichkeit ge­boten, ihre eigene Umwelt selbst zu erkunden und kennenzulernen. Dies kann im Freispiel, aber auch durch Projekte geschehen (vgl. Stamer-Brandt 2018, S. 11). Die Begriffsbestimmung von Projekten wird von Knauer und Brandt 1999 folgender­maßen vorgenommen:

„Ein Projekt stellt den gemeinsamen von Erziehenden, Kindern, Eltern und Experten unter­nommenen Versuch dar, Leben, Lernen und Arbeiten zu verbinden. In Projekten findet über einen längeren Zeitraum eine Auseinandersetzung mit einem Thema statt, an der verschie­dene Gruppen gleichberechtigt beteiligt sind. Dabei ist nicht in erster Linie das Produkt, also das Handlungsergebnis, das angestrebt wird, von Bedeutung, sondern der Weg, wie man dahin gelangt. Ausgangspunkt von Projekten ist in aller Regel eine Thematik, die die Betei­ligten besonders beschäftigt“ (Knauer/ Brandt 1999, zit. n. Stamer-Brandt2018, S. 12).

Projekte konzentrieren sich auf die Interessengebiete der Kinder und können zu allen Themen durchgeführt werden. Die Erzieher greifen spontane Ideen der Kinder auf und erarbeiten ein Projekt, in das auch die Eltern miteinbezogen werden können (vgl. Textor 2004). Nach Stamer-Brandt (2018) haben Kinder in Projekten die Mög­lichkeit, „[zu] handeln, sich ein[zu]bringen, Initiative [zu] entwickeln, [zu] planen, Re­geln ein[zu]halten, mit anderen im Team [zu] arbeiten, nach[zu]denken, [zu] for­schen..." (S.14).

4. Ziele und Methodik der qualitativen Studie

Um den pädagogischen Umgang mit kultureller Vielfalt im Elementarbereich aus Sicht pädagogischer Fachkräfte zu untersuchen, wird ein qualitatives Forschungs­design angewendet. Um der Forschungsqualität zu entsprechen, „muss der Weg der Wissensproduktion von der Fragestellung zur Theorie intersubjektiv nachvoll­ziehbar bleiben“ (Berg/ Milmeister 2008, S.2). Das angewandte Verfahren soll also möglichst exakt durchdacht und dargelegt werden, damit die Ergebnisse begutach­tet und begründet werden können (ebd.). Darauf sich stützend, werden im Folgen­den die angewandte Forschungsmethode begründet dargestellt und der For­schungsweg nachvollziehbar gemacht.

Flick et al. (2012) präzisieren die vier theoretischen Grundannahmen qualitativer Forschung:

„1. Soziale Wirklichkeit als gemeinsame Herstellung und Zuschreibung von Bedeutungen.
2. Prozesscharakterund Reflexivität sozialerWirklichkeit.
3. <Objektive> Lebensbedingungen werden durch subjektive Bedeutungen für die Lebens­welt relevant.
4. Der kommunikative Charakter sozialer Wirklichkeit lässt die Rekonstruktion von Konstruk­tion sozialer Wirklichkeit zum Ansatzpunkt der Forschung werden“ (S. 22).

In der vorliegenden, qualitativen Studie wird der Umgang mit der kulturellen Vielfalt im Elementarbereich aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte untersucht. Im theo­retischen Teil wurde bereits dargelegt, dass für kulturelle Vielfalt auf unterschiedli­che Art und Weise sensibilisiert werden kann und dass der Umgang mit dieser The­matik deshalb bedeutsam ist, da immer mehr Kinder mit speziellem kulturellem Hin­tergrund eine Kindertagesstätte besuchen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichter­stattung 2020).

Ziel der geplanten qualitativen Studie ist es, herauszufinden, in welcher Weise pä­dagogische Fachkräfte in elementarpädagogischen Einrichtungen mit kultureller Vielfalt umgehen und wie sie diese mit Kindern gemeinsam aufgreifen und themati­sieren.

...


1 In der vorliegenden Bachelorarbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die Sprachform des generischen Maskulinums verwendet. Es ist anzumerken, dass diese männliche Sprachform geschlechts­unabhängig zu verstehen ist und selbstverständlich auch die weibliche und die diverse Sprachform mitein­schließt.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Kulturelle Vielfalt im Elementarbereich. Wie thematisieren pädagogische Fachkräfte Diskriminierung in Grundschulen?
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Note
2,1
Autor
Jahr
2021
Seiten
83
Katalognummer
V1183505
ISBN (eBook)
9783346607294
ISBN (Buch)
9783346607300
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturelle Bildung, kulturelle Vielfalt, Elementarbereich, Vorurteilsbewusste Haltung, kultursensitive Elternarbeit
Arbeit zitieren
Rabia Yilmaz (Autor:in), 2021, Kulturelle Vielfalt im Elementarbereich. Wie thematisieren pädagogische Fachkräfte Diskriminierung in Grundschulen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1183505

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