Charles Baudelaires "Vom Wesen des Lachens". Welche Anthropologie lässt sich aus Baudelaires Theorie des Lachens extrahieren?


Hausarbeit, 2021

20 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Der melancholische Charles Baudelaire

3. Der Begriff Lachen
3.1. Definition von lachen in der heutigen Zeit
3.2. Das Lachen nach Bergson

4. Baudelaires Theorie über das Phänomen Lachen
4.1. Die Figur des Wanderers Melmoth
4.2. Das satanische Lachen und die Dialektik der „grandeur“ und „misère“
4.3. Das Freudenlachen und Kinderlachen

5. Unterscheidung der Komik
5.1. E.T.A. Hoffmann und die Komik
5.2. Le comique significatif - Das Lachen des Weisen
5.3. Le comique significatif - Virginie
5.4. Le comique absolu -Die englische Pantomime

6. Die Karikatur

7. Diskursive Strategien in Baudelaires Essay

8. Fazit

9. Bibliographie
9.1. Primärliteratur
9.2. Sekundärliteratur
9.3. Internetquellen

1. EINLEITUNG

„Le rire est satanique mais il est profondément humain.“1 - Charles Baudelaire Seit Menschengedenken sorgt das Lachen in der Gesellschaft nicht nur für positive Stimmung, sondern auch für Missstimmung. Das Spektrum des Lachens reicht je nach Situation vom mentalen Befreiungsschlag des Lachenden bis zur vernichtenden Demütigung des Belachten. In seinem kunstphilosophischen Essay „De l'essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques“, der am 8. Juli 1855 veröffentlicht wurde, thematisiert Charles Baudelaire in seiner eigenwilligen Art das Wesen des Lachens.2 Doch welche Anthropologie lässt sich aus Baudelaires Theorie des Lachens extrahieren und wie spiegelt sich diese in seinen Entwürfen von absoluter Komik, Groteske und Karikatur? In der folgenden Analyse wird anfangs das Wesen des französischen Schriftstellers und Lyrikers Charles Baudelaire in Kurzform vorgestellt. Der daran anknüpfende Teil liefert zunächst eine allgemeine, zeitgemäße Definition von lachen. Danach wird Baudelaires Theorie über das Phänomen Lachen erläutert. Anhand der von Baudelaire gewählten Figur des Wanderers Melmoth wird im nächsten Teil das Wesen des Lachens exemplarisch veranschaulicht. Im Anschluss werden das satanische Lachen, die Dialektik der beiden Unendlichkeiten der grandeur und misère sowie das Freudenlachen und das Kinderlachen analysiert. Der folgende Teil geht genauer auf die Unterscheidung der comique absolu und der comique significatif ein und belegt sie mit Beispielen. Anschließend wird der Schriftsteller E.T.A. Hoffmann und sein Verständnis von Komik beleuchtet. Im weiteren Verlauf der Analyse wird der Begriff Komik an den Beispielen das Lachen des Weisen, der Virginie und der englischen Pantomime untersucht. Danach wird das Genre der Karikatur aus der Perspektive von Baudelaire erläutert. Der abschließende Teil analysiert die diskursiven Strategien in Baudelaires Essay.

2. DER MELANCHOLISCHE CHARLES BAUDELAIRE

Am 9. April 2021 jährte sich zum 200. Mal der Geburtstag des Schriftstellers, Essayists, Dichters und Kunstkritikers Charles Baudelaire. Er galt als verfemter Dichter, den Genialität, Provokation und Dandytum ausmachten.3 Charles Baudelaire, der ein wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne in Europa war, wird nachgesagt, ein tief melancholischer Mensch gewesen zu sein, der bereits seit seiner frühen Kindheit an manisch-depressiven Störungen litt. Zeitlebens fühlte er sich als verkanntes und verarmtes Genie, das man aus der Gesellschaft verstoßen hatte. Aufgrund seines Hangs zur Weltuntergangsstimmung und der Einbeziehung der finsteren Seiten des menschlichen Lebens wurde er als Vertreter der Dekadenz­Literatur angesehen. Baudelaire sah das Böse als zentrale Triebkraft des menschlichen Handelns. Er stieß auf heftige Kritik, da er den Mut bewiesen hat, die Kehrseite der Gesellschaft und die in der Natur des Menschen liegende Boshaftigkeit aufzuzeigen.4 So erforschte er das Wesen des Lachens auf der Grundlage seiner Theorie über die Macht des Bösen.

3. DER BEGRIFF LACHEN

3.1. Definition von lachen in der heutigen Zeit

Der Begriff Lachen wird als eines der bedeutendsten emotionalen Ausdrucksformen des Menschen beschrieben. Dieses Ausdrucksverhalten entfaltet sich vorwiegend im sozialen Kontakt mit Menschen. Das Lachen ist ein Grundinstinkt des Menschen und ist im Gegensatz zum bloßen Lächeln, bei dem sich nur der Gesichtsausdruck ändert, eine menschliche Eigenschaft, die nicht steuerbar ist. Beim Lachen werden Laute geäußert und Atem wird ausgestoßen. Mit einem Lachen reagiert der Mensch auf komische beziehungsweise erheiternde Situationen. Ein Lachen kann aber auch eine Entlastungsreaktion sein, nachdem Gefahren überwunden wurden. Mit einem Lachen können drohende soziale Konflikte eventuell abgewendet oder soziale Beziehungen dadurch gefestigt werden. Um spontane Angstzustände zu überwinden, dient das Lachen als ein Abwehrmechanismus. Mit einem Lachen kann auch eine andere Gefühlsregung ausgedrückt werden, zum Beispiel indem ein Mensch gehässig oder schadenfroh lacht. Es ist ein Zeichen der Menschlichkeit. Man gelangte zu der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass Tiere nicht lachen können.5

3.2. Das Lachen nach Bergson

Der französische Hauptvertreter der sogenannten Lebensphilosophie Henri Bergson definiert das Lachen als einen intellektuellen Akt und als eine Reaktion. Nach Bergson gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Komik und Automatismus. Das Lachen sieht er stets als soziale Geste, die regulierend eingreift und bestraft. Die Steifheit bezeichnet er als das Komische und das Lachen als ihre Strafe. Sobald etwas Lebendiges mechanisiert wird, kommt es laut Bergson zum Lachen. In seiner Theorie des Komischen als soziales Verhältnis fixiert sich Bergson in erster Linie auf das Auslachen. Gemäß dem Philosophen kann Lachen nur entstehen, wenn man sein Mitgefühl ausschaltet und sich vom anderen distanziert. Für ihn gibt es kein Lachen, ohne einen anderen Menschen zu degradieren. Das Lachen beruht auf dem komisch Abwertenden beziehungsweise auf dem Absurden.6 Bei seiner Definition des Lachens vergisst Bergson allerdings das Freudenlachen.

4. BAUDELAIRES THEORIE ÜBER DAS PHÄNOMEN LACHEN

Aus der philosophischen Sicht von Baudelaire ist das Lachen ein geheimnisvolles Phänomen, das der menschlichen Natur entspringt. Aus diesem Grunde darf es nicht missachtet beziehungsweise geringgeschätzt werden. Charles Baudelaire ist es gelungen sich von den herkömmlichen Interpretationsansätzen des Lachens zu distanzieren, die von Aristoteles bis ins 18. Jahrhundert reichten. Somit lenkt er die „ästhetisch-poetologische Diskussion“ über das Lachen in eine philosophische Richtung.7

In seinen Beschreibungen unterstreicht Baudelaire besonders stark den physiologischen Aspekt des Lachens. Das Gesicht „se contracte d'une fa?on désordonnée“ und die Muskeln „se mettent a jouer subitement comme une horloge a midi“, wie Baudelaire feststellt.8 Für Baudelaire liegt die Mechanik des Lachens „dans la grimace même du rire“.9 Er bemerkt, dass das Lachen, genau wie der Schmerz, durch die Organe zum Ausdruck kommt, in denen das Wissen von Gut und Böse und die Macht darüber liegen. Mund und Augen drücken das Lachen aus.10

Baudelaire spricht in seinem Essay über das Wesen des Lachens und nicht über eine bestimmte Art von Lachen. Während das Lachen einerseits menschlich ist und in seinem Wesen liegt, ist es auch gleichzeitig satanisch. Es zeigt die gemeine Natur des Menschen. Dabei verdeutlicht er den großen Widerspruch zwischen dem satanischen und dem göttlichen Prinzip. Während der Weise, genau wie Christus, niemals beziehungsweise nur mit Zittern oder großen Bedenken lacht, kann sich der schwache Mensch das Lachen nicht verkneifen.11

4.1. Die Figur des Wanderers Melmoth

Seine Wesensbestimmung des Lachens baut Baudelaire auf eine philosophische Anthropologie auf. Er wählt das Motiv „du célèbre voyageur Melmoth“ aus dem im Jahre 1820 erschienen Schauerroman des irischen Schriftstellers Charles Robert Maturin.12 Melmoth, der seine Seele dem Satan verschrieb, um als Gegenleistung eine 150 Jahre lange Lebenszeit und übermenschliches Wissen zu bekommen, symbolisiert das Lachen, das für den lebendigen Widerspruch exemplarisch ist.13 Sein Lachen verkörpert seine Doppelnatur und ist als „l'explosion perpétuelle de sa colère et de sa souffrance“ zu verstehen.14 Melmoths Lachen setzt Baudelaire mit einer Krankheit gleich, die unaufhaltsam fortschreitet. Er hat sich von den Grundbedingungen des Lebens distanziert und seine inneren Organe können schließlich sein Denken nicht mehr aushalten. Melmoth ist dazu verdammt, permanent zu lachen, was ein Zeichen seiner Überheblichkeit und seines Hochmuts ist.15

4.2. Das satanische Lachen und die Dialektik der „grandeur“ und „misère“

Nachdrücklich weist er in seinem Aufsatz daraufhin, dass es ein Lachen ohne Heiterkeit gibt. Dieses schwarze Lachen erklärt er zur Lachart der „École du Mal“.16 Mit seiner Abhandlung über Lachen und Komik hält Baudelaire an der langen mittelalterlichen Tradition christ-katholischer Lachfeindschaft fest.17 Für ihn offenbart sich mit dem Lachen das Teuflische im Menschen, das in der Erbsünde und somit in der satanischen Auflehnung gegen Gott begründet ist. Für den Unheilszustand ist in der christlichen Theologie die Erbsünde, hervorgerufen durch den Sündenfall von Adam und Eva, verantwortlich. Im christlichen Glauben ist seit dieser Zeit jeder Mensch als Nachfahre dieser Stammeseltern an dieser ursprünglichen Sünde

[...]


1 Charles Baudelaire: Curiosités esthétiques, l’art romantique et autres &uvres critiques, Paris, Garnier 1962, 250.

2 Cf. Bettina Full: Karikatur und Poiesis: Die Ästhetik Charles Baudelaires, Heidelberg, Universitätsverlag Winter 2005, 190.

3 Cf. Thomas Meißner: Der prominente Patient: Krankheiten berühmter Persönlichkeiten, Berlin, Springer Medizin Verlag 2007-2018, 13.

4 Cf. Der als online vorliegende Artikel der Süddeutschen Zeitung: 200. Geburtstag von Baudelaire: Zwischen Abscheu und Ekstase, Zugang zum Volltext: URL: https://www.sueddeutsche.de/kultur/literatur-200-geburtstag-von-baudelaire-zwischen-abscheu-und- ekstase-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210408-99-123657. (Zugriff am 28.07.2021)

5 Cf. Jürg Kesselring/Fabian Unteregger: „Wie und warum lacht der Mensch ?“, in: Schweizerisches Medizin-Forum 11 (2011), 691-696, 691ff.

6 Cf. Henri Bergson: Das Lachen, Zürich, Verlag der Arche 1972, 12ff.

7 Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten, Hans Schemann Berlin/Boston, 22012 [1992], 104.

8 Charles Baudelaire: Curiosités esthétiques, l'art romantique et autres wuvres critiques, Paris, Garnier 1962, 248.

9 Cf. Arne Kjell Haugen: „Baudelaire: Le rire et le grotesque“, in: Littérature 72 (1988), 12-29, 13.

10 Cf. Charles Baudelaire: Curiosités esthétiques, l'art romantique et autres wuvres critiques, Paris, Garnier 1962, 245.

11 Cf. Charles Baudelaire: Curiosités esthétiques, l’art romantique et autres &uvres critiques, Paris, Garnier 1962, 244ff.

12 Ibid., 249.

13 Cf. Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten, Hans Schemann Berlin/Boston, 22012 [1992], 104.

14 Charles Baudelaire: Curiosités esthétiques, l’art romantique et autres wuvres critiques, Paris, Garnier 1962, 249.

15 Cf. Ibid.

16 Cf. Prütting, Lenz: Homo riden: Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens, Freiburg/München, Verlag Karl Alber 42016 [2013], 1151.

17 Cf. Rainer Warning: „Baudelaires Prosagedichte: Le vieux Saltimbanque“, in: Charles Baudelaire : Dichter und Kunstkritiker, Karin Westerwelle (Hrsg.), Würzburg, Königshausen & Neumann 2007, S. 175-188, 182.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Charles Baudelaires "Vom Wesen des Lachens". Welche Anthropologie lässt sich aus Baudelaires Theorie des Lachens extrahieren?
Hochschule
Universität Mannheim
Note
2,3
Jahr
2021
Seiten
20
Katalognummer
V1183739
ISBN (eBook)
9783346612151
ISBN (Buch)
9783346612168
Sprache
Deutsch
Schlagworte
charles, baudelaires, welche, anthropologie, theorie, lachens, entwürfen, komik, groteske, karikatur
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Charles Baudelaires "Vom Wesen des Lachens". Welche Anthropologie lässt sich aus Baudelaires Theorie des Lachens extrahieren?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1183739

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Charles Baudelaires "Vom Wesen des Lachens". Welche Anthropologie lässt sich aus Baudelaires Theorie des Lachens extrahieren?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden