Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort „Wir können nicht nicht singen“
1. Definition
2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021
3. Kritische Betrachtung
3.1. Nachteile und Probleme
3.2. Vorteile und Chancen
4. Videokonferenz-Programme im Vergleich
4.1. Jamulus
4.2. Jitsi
4.3. Skype
4.4. Whatsapp Video
4.5. Zoom
4.6. Resümee und Zukunftsblick
5. Medienpsychologische Betrachtung
6. Therapie und Seelsorge
7. Die Rolle der Chorleitung
7.1. Persönlichkeit
7.2. Körpersprache und Dirigat
8. Digitale Chorprobenmethodik
8.1. Probenmethodische Unterschiede im Analogen und Digitalen
8.2. Digitale Probenmethodik im Erwachsenenchor
8.3. Digitale Probenmethodik im Kinderchor
9. Fallbeispiele
9.1. Projektchor Klangfarben
9.2. Kinderchor Die Ohrwurm-Kids
Danksagung
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Vorwort „Wir können nicht nicht singen“
Montagabend im Gemeindehaus der Kirchengemeinde, Männer und Frauen Schulter an Schulter im Saal, der Raum erfüllt von Stimmen und Klängen – eine „ganz normale“ Chorprobe bis zum Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020. Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote oder Maskenpflicht sind Begriffe, die bis dahin kaum präsent waren. Seit über einem Jahr sind sie nun allgegenwärtig, beherrschen Arbeit, Alltag und auch das Leben innerhalb der Kirchengemeinden.
Chöre dürfen nicht mehr proben.
Wir dürfen nicht mehr singen.
Singen ist verboten.
Unseren Chor gibt es jetzt nicht mehr.
Mein Chor wird sterben.
Dies sind Aussagen von Chorleiterinnen und Chorleitern, Sängerinnen und Sängern, die mich nach wie vor schockieren. Selbstverständlich ist das gemeinsame Proben und Singen im gleichen Raum ein großer Verlust, dennoch dürfen wir uns davon nicht abhalten lassen, neue Möglichkeiten zu finden. Die Digitalisierung hat im vergangenen Jahr große Fortschritte gemacht. Meetings, Vorlesungen oder Schulunterricht als Videokonferenzen sind zur Normalität geworden. Warum also nicht auch die Chorarbeit digitalisieren?
Eine Chorprobe als Videokonferenz klingt auf Anhieb ungewohnt und für viele unvorstellbar. Doch das gemeinsame Singen und Proben über digitale Plattformen ist ein Weg, weiterhin Gemeinschaft zu leben, als Sängerin und Sänger die Stimme oder als Bläserin und Bläser den Ansatz weiterhin zu trainieren und Musik zu erleben. Einen Chor zu leiten bedeutet nicht nur, musikalisch mit dem Chor zu arbeiten. Gerade im Laienbereich geht es um viel mehr: Es geht um Gemeinschaft und Miteinander, um Wertschätzung und Aufmerksamkeit, um Hoffnung und Zuversicht. Jede Chorleitung ist dazu aufgefordert, für ihren Chor individuelle Wege und Lösungen zu finden, die auch in scheinbar aussichtslosen Zeiten Perspektiven schaffen. Das Singen an sich wurde nicht verboten und wird es vermutlich und hoffentlich auch niemals werden. Das Motto „ Wir können nicht nicht singen “ zeigt den Hauptinhalt der digitalen Chorarbeit auf: Kein Gesang ist keine Option. Auch Corona kann die Freude am Singen, an der Musik und an der Gemeinschaft nicht schmälern. Chorsingen im digitalen Raum kann eine ganz normale Chorprobe sein, nur ein bisschen anders als bisher gewohnt.
In dieser Arbeit möchte ich im ersten Teil die digitale Chorarbeit in vielseitiger Art und Weise betrachten. Die Leitung eines Chores im digitalen Raum geht über die bisher bekannten Standards hinaus. Das Prinzip von Aktion durch die Chorleiterin und den Chorleiter und Reaktion durch den Chor muss aufgehoben werden, demzufolge muss die methodische Herangehensweise an eine Chorprobe weiter gefasst werden. Auch der Stellenwert der Chorarbeit aus psychologischer Sicht muss intensiv betrachtet werden. Bereiche, wie Seelsorge und Musiktherapie bekommen hier eine neue Aufmerksamkeit. Es muss berücksichtigt werden, dass mediale Überanstrengung und Homeoffice zusätzliche Beeinträchtigungen für die digitale Chorarbeit darstellen, die bisher nicht relevant waren. Ein weiterer Aspekt ist der neue anspruchsvolle Aufgabenbereich, dem eine Chorleiterin und ein Chorleiter gerecht werden muss. Chorleitung ohne fundiertes Dirigat oder eine ausgereifte Körpersprache, die dennoch die musikalischen und pädagogischen Ziele erreichen muss, war bisher nicht von Bedeutung. Diese neue Arbeitsweise spielt im digitalen Raum eine große Rolle, denn, mehr noch als im Analogen, steht und fällt die digitale Chorarbeit mit dem Auftreten und der Arbeitsweise der Chorleitung.
Dass das Chorleben in den Kirchengemeinden in den Bereich der Seelsorge fällt, ist eine Sichtweise, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Singen kann Ausdruck des Glaubens, Hoffnung in schweren Zeiten, Zugehörigkeit in Einsamkeit, Gebet, Lobpreis und noch vieles mehr sein. Diese Aspekte muss die musikalische Leitung in ihrer zusätzlichen Rolle als Bezugsperson beachten und unterstützen. Ich möchte alle Chorleiterinnen und Chorleiter ermutigen, auch unter erschwerten Bedingungen kreativ zu bleiben, lösungsorientiert zu denken und neue Herangehensweisen zu entdecken. Im Zentrum unseres Tuns und Handelns sollten zum einen stets unsere Sängerinnen und Sänger stehen, die den Chor als Anker, Ruhepol, festen Termin oder Highlight im Alltag erleben und zum anderen unser christlicher Glaube, der uns dazu aufruft, auch in schweren Zeiten füreinander einzustehen und gemeinsam Hoffnung und Zuversicht zu verbreiten.
Im zweiten Teil Handbuch – Schritt für Schritt zur digitalen Chorprobe mit dem Videokonferenz-Programm Zoom, welcher separat erhältlich ist, wird eine Anleitung vorgestellt, mit welcher Laienchöre und besonders deren Chorleiterinnen und Chorleiter zum Schritt in die Digitalität ermutigt und unterstützt werden. Arbeitsschritte wie der technische Aufbau, die konkrete musikalische und pädagogische Vorbereitung, sowie die exemplarische Durchführung einer digitalen Chorprobe werden ausführlich vorgestellt und erklärt. Dieses Handbuch soll als Leitfaden genutzt werden, um sich selbst und den eigenen Chor schrittweise an das neue Probenformat zu gewöhnen, bis eigenständig mit Kreativität und Zusammenarbeit aller Beteiligten eigene neue Methoden und Lösungen entstehen, die dann dementsprechend persönlich auf die Leitung sowie auf die Sängerinnen und Sänger zugeschnitten sind.
Die Grundlage dieser Arbeit bilden die Chöre der evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern (ELKB). Die Chorarbeit der ELKB seit Beginn der Coronapandemie ist nicht nur statistisch interessant, sondern fungiert auch als die wichtigste Quelle für die dargestellten Erkenntnisse, methodischen Ansätze und Schlussfolgerungen, die im weiteren Verlauf getroffen werden. Der starke Bezug zur ELKB resultiert zum einen aus meiner eigenen kirchlichen Zugehörigkeit und großen Verbundenheit, zum anderen aus der Verbindung zur Hochschule für evangelische Kirchenmusik in Bayreuth, an welcher ich mein Studium Bachelor of music (Evangelische Kirchenmusik) absolvieren darf.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Vielfältigkeit der digitalen Chorarbeit darzustellen. Ich möchte Chorleiterinnen, Chorleiter und Chöre dazu ermutigen, die neuen Wege gemeinsam auszuprobieren und auf die jeweilige eigene Situation anzupassen. Wir haben uns zu lange mit der Frage beschäftigt, wie die Chorarbeit nach der Coronapandemie aussehen könnte und dabei die Notwendigkeit nach der Frage, wie Chorleben trotz einer solchen Pandemie aussehen kann in vielen Fällen aus den Augen verloren. Das Bedürfnis nach adäquaten musikalischen Proben und nach einem sozialen Miteinander muss trotz unerwarteter Umstände gestillt werden können. Gemäß unseres Auftrages, in der Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft, ist es an uns Chorleiterinnen und Chorleitern Hoffnung und Trost durch die Sprache der Musik gerade in aussichtslosen Lebenslagen zu vermitteln. Chorproben im digitalen Raum sind in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Versammlungsverboten die einzige Möglichkeit Chöre weiterhin am Leben zu erhalten, weshalb diese möglichst vielen Menschen zugänglich gemacht werden sollten. Selbstverständlich können digitale Chorproben keine Präsenzproben ersetzen, das ist auch nicht das Ziel.
Dennoch eröffnet uns die digitale Chorarbeit für die Zukunft zahlreiche neue Ideen, die auch zusätzlich zu den Präsenzproben bestehen bleiben und weiterhin durchgeführt werden können. Im Hinblick darauf, dass pandemische Zeiten wieder auftreten können und dass das Singen in großer Gruppe auf wenig Platz und ohne Bedenken zum jetzigen Zeitpunkt noch in weiter Ferne liegt, soll diese Arbeit, und insbesondere das Handbuch, für jeden Chor die Möglichkeit offen halten, jederzeit problemlos die Digitalität für die Chorarbeit zielorientiert und effektiv nutzen zu können.
Magdalena Simon
1. Definition
Im Duden wird ein Chor unter anderem als „Gruppe gemeinsam singender Personen“1 definiert. Diese Definition offenbart den Hauptinhalt einer Chorprobe: die Gemeinschaft. Im Chorgesang geht es darum, gemeinsam mit anderen zu singen, egal ob digital oder real.
Um dennoch Missverständnissen vorzubeugen, soll die digitale Probe hier nun explizit definiert werden. Digitale Chorarbeit bedeutet nicht das Bereitstellen von Videos und Audiodateien zum eigenen Üben, sondern das zeitgleiche Zusammentreffen im virtuellen Raum mittels einer Videokonferenz.
Digitale Chorarbeit
Mit digitaler Chorarbeit bezeichnet man eine Chorprobe, die im virtuellen Raum stattfindet. Die Chormitglieder treffen sich, wie auch im Analogen, mit deren Chorleitung zu einem regelmäßigen Probentermin in Form einer Videokonferenz zum gemeinsamen Singen.
2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021
Zur evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) zählen 1535 Kirchengemeinden.2 Im November 2020 wurden von der Verfasserin die dazugehörigen 1155 Pfarrämter per E-Mail angefragt, ob in Ihrem Gemeindegebiet ein Vokal- oder Instrumentalchor seit Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 digital probe oder es seitdem einmal oder mehrfach ausprobiert habe.3 53 Gemeinden gaben an, dass deren Chorleiterinnen und Chorleiter mit je einem oder mehreren Chören die digitale Probenarbeit praktizieren würden. Einige Chorleitungen, die nicht digital proben, würden ihre Chöre mit Audioaufnahmen oder Videodateien unterstützen, welche den Mitgliedern für das eigenständige Üben zuhause zur Verfügung gestellt werden. Inwieweit diese Methode aber dem Grundcharakter des Chorsingens in Form von Gemeinschaft und Miteinander gerecht wird, sei dahingestellt.
Von den Chorleiterinnen und Chorleitern der oben genannten 53 Gemeinden, haben 43 eine Umfrage zum Thema „digitale Chorarbeit“ mit 25 Fragen zu deren Chören, deren Probenmethodik und deren persönlicher und chorischer Resonanz auf die digitale Chorprobe vollständig beantwortet.4 Der Stand der Umfrage beläuft sich hierbei auf Februar 2021.
Auch wenn sich das folgende Kapitel der Vollständigkeit halber mit Vokal- und Posaunenchören der ELKB befasst, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit der Schwerpunkt auf vokale Erwachsenen- und Kinderchöre gelegt. Dies beruht vor allem auf der Tatsache, dass für Posaunen- oder andere Instrumentalchöre die Quellengrundlage fehlt, wie in Abbildung (Abb.) 1 deutlich ersichtlich ist.
Von den 43 Chorleiterinnen und Chorleitern führen zum Zeitpunkt Februar 2021 26 aktiv digitale Chorproben durch, 14 haben es mehrfach und 3 einmalig probiert. Nach Angaben der Chorleitungen proben 1 Posaunenchor, 39 Erwachsenenchöre, 4 Jugendchöre und 6 Kinderchöre aktiv digital. Betrachtet man nun die 1837 Vokalchöre, davon 1295 Erwachsenenchöre und 542 Kinder- und Jugendchöre, und 935 Posaunenchöre5, die 2019 zur evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern zählten, wird deutlich, welchen großen Einbruch die Chorarbeit mit Beginn der Pandemie und der damit nicht mehr möglichen Präsenzprobe erleidet. Daraus ergibt sich, dass im Februar 2021 in der ELKB noch ca. 2,67% der Vokalchöre insgesamt, 1,85% der Kinder- und Jugendchöre und 0,11% der Posaunenchöre aktiv miteinander in musikalischem Austausch stehen und regelmäßig im Proben Gemeinschaft erleben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Aktive Chöre der ELKB 2019 und 2021 (Quelle: Eigene Darstellung)
Die 43 Chorleiterinnen und Chorleiter verteilen sich auf 71 Chöre. Das entspricht 1,65 Chören pro Chorleitung. Ausgehend von 1,65 Chören pro Chorleiterin und Chorleiter, ergibt sich, dass die insgesamt 2772 Vokal- und Posaunenchöre der ELKB von 1680 Personen geleitet werden. Im Februar 2021 verteilen sich in der ELKB 125 hauptberufliche Kantorinnen und Kantoren auf 104 Stellen.6 Setzt man voraus, dass jeder der 125 Hauptamtlichen selbst 1,65 Chöre leitet, arbeiten 1555 Chorleiterinnen und Chorleiter demnach neben- oder ehrenamtlich. Von 26 aktiv digital probenden Chorleitungen sind 8 als hauptamtliche Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, die übrigen 18 nebenamtlich, selbstständig oder ehrenamtlich tätig. Setzt man die Zahlen in Relation, wird deutlich, dass 21,6%, also weniger als ¼ der hauptamtlichen Kantorinnen und Kantoren aktiv digitale Proben durchführen. Bei den neben- und ehrenamtlichen Chorleiterinnen und Chorleitern fällt das Ergebnis etwas drastischer aus: 18 aktiv probende Chorleitungen von 1555 entsprechen 1,16%. Diese Minderheiten sind wahrscheinlich auf die geläufigen negativen Aspekte der digitalen Chorarbeit zurückführen, welche in Teil I, 3 . Kritische Betrachtung näher beleuchtet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Verteilung von Chorleiterinnen und Chorleitern auf Chöre der ELKB 2019 und 2021 (Quelle: Eigene Darstellung)
Im Folgenden wird die Umfrage zur digitalen Chorarbeit, ausgehend von den 26 aktiv digital probenden Chorleiterinnen und Chorleitern der ELKB im Februar 2021, ausgewertet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Aktiv probende Bläserinnen und Bläser, Sängerinnen und Sänger 2019 und 2021 (Quelle: Eigene Darstellung)
In den 2772 Vokal- und Posaunenchören der ELKB musizierten 2019 insgesamt 54.087 Menschen, davon 16.101 Bläserinnen und Bläser und 37.986 Sängerinnen und Sänger.7 Dies entspricht im Schnitt 19,5 Teilnehmerinnen und Teilnehmern pro Chor. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl in den digitalen Chören liegt bei 17 Personen. In Relation zu dem Ergebnis der aktiv probenden Chören ergibt sich daraus, dass von den 2019 aktiven Bläserinnen und Bläsern in den Posaunenchören nach Beginn der Coronapandemie nur noch 10 (0,06%) aktive Probenarbeit erleben. Bei den Vokalchören sind 850 von den ursprünglich fast 38.000 Sängerinnen und Sängern aktiv in digitalen Chorproben, was 2,24% entspricht. 84,62% der aktiv probenden Chorleiterinnen und Chorleiter gaben an, dass sich die Teilnehmerzahl mit Beginn der digitalen Chorproben reduziert habe. Nur 4 Chorleitungen konnten allen Teilnehmenden den Umstieg in das neue Probenformat ermöglichen. In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Chor im Durchschnitt beim Übergang zur digitalen Chorarbeit nur 2 Mitglieder pro Chor verloren hat, hält sich der Teilnahmeschwund bezogen auf die aktiv probenden Chöre demzufolge dennoch in Grenzen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 Elemente der Probenmethodik (Quelle: Eigene Darstellung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die durchschnittliche Dauer einer digitalen Chorprobe beträgt 75 Minuten. 61,54% der Chorleiterinnen und Chorleiter gaben an, dass sich die Probenzeit im Vergleich zur Präsenzprobe verkürzt habe. 92,31% gaben eine Veränderung in ihre Methodik innerhalb der Chorprobe an. Ebenfalls bei 92,31% hat sich die Vorbereitung auf die Chorprobe verändert. Die Probeninhalte gehen über das rein Musikalische hinaus, beschäftigen sich auch mit der Arbeit am Text oder mit der eigenen Wahrnehmung des Körpers. Weitere Aspekte, außer den im Diagramm aufgezeigten, sind beispielsweise Blattsingen, musikalische Interpretation oder auch das gemeinsame Gebet. In Teil I, 8. Digitale Chorprobenmethodik wird diese Thematik noch ausführlicher behandelt.
Die Chorleiterinnen und Chorleiter empfinden die Reaktion der Chöre auf das digitale Chorprobenformat in zehn Fällen im positiven Bereich (≤ 25). In nur einem Fall wird die Reaktion als negativ (> 75) wahrgenommen, die restlichen Chorleitungen ordnen ihre Chöre im noch positiven und mittleren Bereich ein. Auffallend ist hier, dass keiner der Chorleiterinnen und Chorleiter ein deutlich negatives Feedback (> 80) weitergeben kann, wohl aber zwei die Auffassung ihrer Sängerinnen und Sänger mit dem bestmöglichen Wert (0) als sehr positiv bezeichnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5 Reaktion der Chöre der ELKB auf das digitale Probenformat (Quelle: Eigene Darstellung)
88,46% der Chorleiterinnen und Chorleiter arbeiten mit dem Videokonferenz-Programm Zoom, 7,69% mit der Plattform Skype und 3,85% mit der Software Jamulus. Ein Drittel der Chorleitungen hat darüber hinaus mehrere Videokonferenztools ausprobiert. In Teil I, 4. Videokonferenz-Programme im Vergleich wird auf die verschiedenen Plattformen näher eingegangen und mit diesem doch aussagekräftigen Ergebnis im Hintergrund ein Resümee gezogen.
Die digitale Probenarbeit erfordert im Grunde ein minimales technisches Equipment. Theoretisch genügen ein Telefon und die eigene Stimme, um eine digitale Chorprobe durchzuführen. Angenehmer für alle Beteiligten wird es durch den Einsatz eines Laptops oder Computers und die Erreichbarkeit eines Klaviers oder E-Pianos. In der Umfrage zeigt sich, inwieweit die aktiv probenden Chorleiterinnen und Chorleiter der ELKB zusätzlich mit technischen Geräten ausgestattet sind. Die Grafik zeigt deutlich, dass die am häufigsten genutzte Ausstattung ein Laptop, ein externes Mikrofon und ein Instrument, wie ein Klavier, das nicht elektronisch mit dem Endgerät verbunden ist, ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6 Technische Ausstattung bei digitalen Chorproben (Quelle: Eigene Darstellung)
Die befragten Chorleiterinnen und Chorleiter gaben überwiegend an, sich in der Durchführung von digitalen Chorproben relativ sicher zu fühlen. 88,46% ordnen sich im ersten Drittel ein, was dazu führt, dass der Durchschnittswert im deutlich positiven Bereich liegt. Dennoch ist auffallend, dass 3 Chorleitungen eine große Unsicherheit in der Probendurchführung empfinden. Diese 11,54% dürfen aufgrund der im Durchschnitt positiven Resonanz nicht übergangen werden. Um mehr Sicherheit zu gewährleisten und die Chorleiterinnen und Chorleiter in ihrer Arbeit zu unterstützen, wäre es wünschenswert, dass weiterhin Lösungen in Form von Fortbildungsmöglichkeiten, Workshops und Schulungen in einer großen Vielfalt auch auf zentraler Ebene geschaffen werden würden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7 Sicherheit der Chorleiterinnen und Chorleiter in der digitalen Chorprobe (Quelle: Eigene Darstellung)
Die digitale Chorarbeit ist mit Sicherheit die beste und unter den Einschränkungen einer Pandemie auch die einzige Möglichkeit, eine wöchentliche Chorarbeit mit Musik und Gemeinschaft zu gewährleisten. Dennoch sollten die Probengestaltungen flexibel bleiben, sofern es die Situation zulässt: Ensembleproben im kleinen Kreis, Singangebote im Freien oder die Gottesdienstgestaltung im Quartett. Denn, wie im Diagramm deutlich erkennbar, ist die Mehrheit der im Februar 2021 aktiv digital probenden Chorleiterinnen und Chorleiter der Meinung, dass eine digitale Chorprobe einer analogen Probe nicht entsprechen kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 8 Vergleichbarkeit einer digitalen mit einer analogen Chorprobe (Quelle: Eigene Darstellung)
3. Kritische Betrachtung
Wie die Ausführungen in Teil I, 2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021 zeigen, sind nur sehr wenige Chöre seit Beginn der Coronapandemie 2020 noch im wöchentlichen Proben musikalisch aktiv. Diese Tatsache kann vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass insbesondere die Nachteile der digitalen Chorarbeit weit verbreitet sind und darüber hinaus die Skepsis vor der neuen Art der Chorprobe sehr groß ist. Dennoch beweisen die aktiv probenden Chöre die Funktionalität und Positivität der neuen Probenarbeit. Im Folgenden sollen die Grenzen und die Chancen der Chorarbeit im digitalen Raum objektiv dargestellt werden.
3.1. Nachteile und Probleme
Die digitale Chorarbeit bringt Nachteile und Probleme mit sich, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Die Skepsis von Sängerinnen, Sängern, Chorleiterinnen und Chorleitern ist in jeder Hinsicht berechtigt. Die folgenden Argumente, die die Nachteile und Grenzen einer digitalen Chorarbeit aufzeigen, sind persönlichen Gesprächen mit aktiven Sängerinnen und Sängern8, Ausführungen aktiv digital probender Chorleiterinnen und Chorleiter9 sowie Meinungen von nicht aktiv probenden Chorleitungen10 der ELKB, im Rahmen der in Teil I, 2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021 vorgestellten Umfrage, entnommen.
Ein grundlegendes Problem stellt die generelle Ablehnung der digitalen Chorarbeit dar. Viele Sängerinnen und Sänger stehen dem neuen Konzept der Chorprobe skeptisch gegenüber. Diese Art der Chorprobe ist eine neue Methode, die befremdlich klingt und die für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer unvorstellbar erscheint. Die Skepsis und Ablehnung des Chores ist ein großes Hindernis, welches sich für Chorleiterinnen und Chorleiter als unüberwindbar darstellt, selbst wenn deren Willen zur digitalen Arbeit vorhanden ist. Doch nicht nur die Sängerinnen und Sänger können durch deren Abneigung der Digitalisierung die Chorarbeit in Zeiten einer Pandemie zum Stillstand bringen. Auch einige musikalischen Leitungen stellen sich gegen die digitalen Chorproben. Persönliche Skepsis, negative Erfahrungsberichte von Kolleginnen und Kollegen oder der fehlende Wille zur Durchführung sind Aspekte, die die Chorarbeit im digitalen Raum verhindern. Besonders erfolglose Beispiele und ablehnende Meinungen aus dem Umfeld führen zu Unmut und schließen den Versuch einer digitalen Chorprobe oft von vornherein aus. Zusätzlich fehlt der Mut, neues Terrain zu betreten und eigenständig, in Zusammenarbeit mit den Chormitgliedern, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln.
Zu dieser Situation kommt die fehlende Unterstützung hinzu. Chöre, insbesondere deren Chorleiterinnen und Chorleiter, brauchen in der digitalen Chorarbeit Angebote, die sie auf die neue Arbeitsweise vorbereiten und sie anleiten. Da sich die Vielfalt an Seminaren und Kursen von Verbänden, Kirchen oder Gemeinden aber noch in Grenzen hält, sind viele Chorleitungen der Aufgabe, sich selbstständig weiterzuentwickeln, nicht gewachsen. Eine Chorleiterin oder ein Chorleiter, in der Rolle als musikalische und organisatorische Leitung des Chores, beschließt das Stattfinden oder Ausfallen der Proben. So ist es letztendlich deren oder dessen Meinung, welche ausschlaggebend ist, selbst wenn die Sängerinnen und Sänger der neuen Probenart aufgeschlossen gegenüberstehen.
Der grundlegenden Ablehnung schließt sich die Problematik des hohen Altersdurchschnittes zahlreicher Chöre an. Aus Gründen des Datenschutzes lässt sich das durchschnittliche Alter der Sängerinnen und Sänger nicht ermitteln, dennoch ist es bekannt, dass viele Chöre an einer Überalterung leiden und sich vielerorts aufgrund des fehlenden Nachwuchses auflösen müssen. Das fortgeschrittene Alter der Chormitglieder stellt für viele Chorleiterinnen und Chorleiter eines der Hauptargumente gegen die digitale Chorarbeit dar. Die technische Affinität der älteren Generation reicht nicht aus, um mit der digitalen Chorarbeit umgehen zu können. Hier fehlt es sowohl an notwendigem Zubehör als auch an technischem Verständnis und dem Willen, den neuen Umgang zu erlernen.
Darüber hinaus sind die technischen Anforderungen grundsätzlich ein abschreckender Aspekt. Zwar hält sich die benötigte Ausstattung mit Hardware in Grenzen – die Grundvoraussetzung zur Teilnahme für die Sängerinnen und Sänger ist ein Telefon – dennoch besteht natürlich eine gewisse Notwendigkeit, mit der benötigen Technik umgehen zu können. Hinzu kommen die rein regionalen Schwierigkeiten in der Infrastruktur. Nicht alle Orte, geschweige denn alle Haushalte, sind mit einem ausreichend guten und funktionierenden Internetzugang ausgestattet. Videokonferenztools fordern aber eine stabile und schnelle Verbindung. Ist diese nicht gewährleistet, werden beispielsweise Bild und Ton nicht synchron übertragen oder die Teilnahme am Meeting ist zeitweise gar nicht möglich. Der Zustand der Internetanbindung, gerade in Chören in ländlicheren Gegenden, ist ein großer Hinderungsgrund, der zum einen die Möglichkeit überhaupt, zum anderen auch die Freude an der digitalen Chorprobe nimmt. Diese technischen Grundlagen, also das grundsätzliche technische Verständnis, die Ausstattung und eine stabile Internetverbindung, sind in vielen Chören nur teilweise oder gar nicht gegeben.
Neben der Alters- und Infrastruktur spielt der daraus resultierenden Zeitaufwand ebenfalls eine große Rolle. Der erhöhte Zeitfaktor ist ein großer Kritikpunkt im Blick auf die digitale Chorarbeit. Vor allem für die Chorleiterinnen und Chorleiter, aber auch für die Sängerinnen und Sänger, gestaltet sich die Vorbereitung einer Probe im digitalen Raum zeitaufwendiger als im Analogen. Für die Chorleitung zeigt sich dies hauptsächlich in der veränderten Planung und Strukturierung des gesamten Probenablaufes. Beginnend mit dem technischen Aufbau, der Vorbereitung der Noten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bis hin zum genau geplanten Ablauf der Probe ist der Arbeitsaufwand deutlich höher. Sowohl für Haupt-, als auch für Nebenamtliche ist der erhöhte Zeitaufwand im Alltag oft nicht zu leisten, um dennoch eine adäquate und qualitativ hochwertige Probenarbeit zu gewährleisten. Für die Sängerinnen und Sänger gestaltet sich der zeitliche Aufwand dadurch höher, dass das eigene technische Equipment vor der Probe vorbereitet werden muss, was gerade in den ersten Probeneinheiten noch viel Zeit und Geduld erfordern kann. In der Kinderchorarbeit verändert sich die Situation dahingehend, dass ein Elternteil zur Vorbereitung, aber auch während der gesamten Probe, beispielsweise für technische Schwierigkeiten, in Reichweite bleiben muss. Dies wiederum bedeutet, dass Kinder meist nur an digitalen Chorproben teilnehmen können, wenn es Mutter, Vater oder auch ältere Geschwister zeitlich einrichten können. Diese Veränderung, die für Familien eine große Einschränkung bedeuten kann, ist eine Hürde, die oft nicht zu überwinden ist.
Dieser Situation schließt sich das Problem an, dass eine Chorprobe als Videokonferenz zuhause im familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld selten ohne Zuhörerinnen und Zuhörer ablaufen kann. Beispielsweise sind bei der aktiven Teilnahme eines Elternteils oder eines in einer Wohngemeinschaft lebendes Chormitgliedes unweigerlich Familienmitglieder oder Mitbewohnerinnen und Mitbewohner im Hintergrund, welche das Singen und Üben verfolgen können. Hier werden die betreffenden Sängerinnen und Sänger in ihrem Selbstvertrauen und im Trainingsprozess automatisch eingeschränkt, da das Gefühl entsteht, unter Beobachtung zu stehen. In Häusern mit mehreren Wohnungen werden Nachbarinnen und Nachbarn zu Zeuginnen und Zeugen der Probenarbeit. Auch hier wird der Eindruck erweckt, überwacht zu werden. Darüber hinaus können Beschwerden und Unstimmigkeiten, beispielsweise die Ruhestörung betreffend, die Freiheit der Sängerinnen und Sänger einschränken und somit die Freude an der digitalen Chorarbeit enorm hemmen.
Die unter anderem daraus entstehende Freudlosigkeit und Frustration haben in der analogen Chorarbeit bislang kaum eine Rolle gespielt. Dass Chorleitungen und Chormitglieder so entmutigt und unzufrieden waren, dass die Chorarbeit grundsätzlich aufgegeben werden musste, war bisher wohl eher eine Seltenheit. Nun können Enttäuschung und Ärger in vielen verschiedenen Bereichen entstehen. Überarbeitung und Überanstrengung im digitalen Raum, wenig positive Resonanz oder auch wiederkehrende technische Probleme sind Gründe für die vielerorts hohe Frustrationsquote. Viele Sängerinnen und Sänger sowie Chorleiterinnen und Chorleiter sind aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten einer Probe in der Videokonferenz unzufrieden. Die daraus resultierende allgemeine Niedergeschlagenheit des Chores ist für die digitale Chorprobenarbeit nicht förderlich.
Die oben schon angesprochene Überanstrengung ist in diesem Kontext das wohl schwerwiegendste Problem, welches kaum lösbar ist. Die Zeit vor dem Bildschirm und die eingeschränkte Wahrnehmungsmöglichkeit des Chores ist kräftezehrend, da die Sängerinnen und Sänger in ihrer Aufmerksamkeit, Konzentration und in der Leistung ihrer Augen wesentlich intensiver gefordert sind als in einer analogen Probe. Chorleiterinnen und Chorleiter müssen zudem die ganze Probenzeit über singen und sprechen. Dieser Zustand mindert die Konzentrationsfähigkeit und belastet darüber hinaus auch die Stimme. Hinzu kommt, dass der Anteil des Homeoffice im Alltag seit Beginn der Coronapandemie extrem zugenommen hat. Zahlreiche Firmenangestellte, aber auch Lehrkräfte oder Kinder verbringen, anders als ursprünglich gewohnt, täglich sehr viel Zeit vor dem Computer. Zusätzliche Freizeitaktivitäten, die durch die Kontaktbeschränkungen auch in den virtuellen Raum verlegt werden mussten, nehmen in dem ohnehin schon anstrengenden digitalen Alltag überhand. Für viele Chormitglieder und Chorleitungen ist es aus diesen Gründen psychisch und körperlich nicht möglich, eine Chorprobe im digitalen Raum sinnvoll zu gestalten und zu erleben.
Des Weiteren kann der Sinn der digitalen Chorarbeit auch aus pädagogischer Sicht in Frage gestellt werden. Zum einen wird das eigentliche Ziel einer Chorprobe, das Musizieren in Gemeinschaft, nicht erreicht. Auch wenn in der digitalen Chorprobe mehrere Sängerinnen und Sänger visuell gemeinsam singen können und sie auditiv immer die Chorleitung hören, bleibt die Tatsache bestehen, dass jede und jeder allein vor dem eigenen Computer sitzt und ohne Sitznachbarinnen und -nachbarn auf sich selbst gestellt ist. Hier entsteht ein Gefühl von Einsamkeit und Isolation, welches die Freude an der Chorprobe nimmt und dem eigentlichen Ziel einer Chorprobe widerspricht. Zum anderen lässt sich der Sinn der Chorprobe anzweifeln, wenn man die fehlende Interaktion näher betrachtet. Diese zeigt sich nicht nur in der gerade genannten fehlenden musikalischen, aber auch sozialen Gemeinschaft, sondern vor allem auch in der fehlenden Korrekturmöglichkeit und grundlegenden musikalischen Arbeit der Chorleitung. Chorleiterinnen und Chorleiter haben in der Chorarbeit nicht nur die Funktion inne, den Chor zusammenzuführen und ein Klangerlebnis zu ermöglichen, sondern insbesondere auch die Sängerinnen und Sänger zu schulen und in allen Bereichen der Musik weiterzubilden. Dies kann beispielsweise durch Rückmeldungen zu Klang oder Technik geschehen, die anschließend durch Hilfestellungen und Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden können. Da es in der digitalen Chorarbeit mit Videokonferenz-Tools nicht möglich ist, direkt auf Gehörtes zu reagieren, fehlt hier ein entscheidender Punkt innerhalb der Chorprobe. Dadurch besteht zudem die Gefahr, dass die Sängerinnen und Sänger Fehler unbewusst antrainieren, da sie ausschließlich auf das eigene Reflexionsvermögen angewiesen sind. Diese Aspekte sind Gründe, weshalb Chorleiterinnen und Chorleiter, aber auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die digitale Chorarbeit grundsätzlich in Frage stellen.
Diesen Punkten folgt die Frage nach der Zielsetzung. Das konkrete Proben für Konzerte oder Gottesdienste mit dem ganzen Chor ist seit dem Frühjahr 2020 vorläufig ausgesetzt. Durch diesen Einbruch im Chorleben und das fehlende Ziel in Form eines Auftrittes wird eine dennoch stattfindende Chorarbeit vielerorts als nicht notwendig angesehen. Dem tritt die Tatsache hinzu, dass die musikalischen und theoretischen Inhalte nur eingeschränkt vermittelt werden können. Die Stückauswahl und der Schwierigkeitsgrad werden beschränkt. Chormusik, bei der Polyphonie und Klanggestaltung eine große Rolle spielen, kann digital kaum vermittelt werden. Das Gefühl des ganzen Chores kann darüber hinaus nicht wahrgenommen werden. Dadurch, dass maximal eine echte Zweistimmigkeit mit Klavierbegleitung möglich ist, kann den Sängerinnen und Sängern nur ansatzweise ein Choreindruck gezeigt werden. Chorleiterinnen und Chorleiter wiederum können nicht auf Gehörtes reagieren und den Chor nicht als Klangeinheit wahrnehmen. Diese Einschränkungen sind nicht zu leugnen und digital kaum zu ersetzen.
Dieses beschriebene Szenario hat seine Ursache vor allem in der Latenz der gängigen Videokonferenz-Programme. Schon durch minimale zeitliche Verzögerungen wird das zeitgleiche Sprechen oder gar Singen ausgeschlossen. Die Latenzzeiten variieren bei jeder Teilnehmerin und jedem Teilnehmer im Meeting, was dazu führt, dass ein gesendetes Bild bei vier Personen zu vier verschiedenen Zeiten eintrifft. Dieses Phänomen verhindert, bezogen auf die Audioübertragung, nicht nur das simultane Singen, sondern erschwert zusätzlich auch die Kommunikation während und nach der Probe. Durch Störungen in der Übertragung des Audiosignals können Satzteile verspätet, verzerrt oder auch gar nicht übertragen werden. Daraus entsteht eine erhöhte Schwierigkeit, im Probenverlauf auf Fragen einzugehen oder Inhalte direkt zu vermitteln. Außerhalb der reinen Probenarbeit werden Gespräche des Chores dadurch mühsam und anstrengend und können ein analoges Zusammentreffen aus Sicht vieler Chöre keinesfalls ersetzten. Dieser Aspekt des nur eingeschränkten Zusammenseins führt zusätzlich dazu, dass die Chorgemeinschaft ihren Halt verliert. Sängerinnen und Sängern fehlt die persönliche Bindung zueinander. Eine digitale Chorprobe neigt dazu, anonym und emotionslos zu werden.
An dieser Stelle verstärkt sich auch das Problem der Nachwuchsarbeit. Neue Chormitglieder zu gewinnen ist ohnehin kein leichtes Unterfangen, doch die digitale Chorarbeit in der geschilderten Anonymität wirkt auf neue Sängerinnen und Sänger oft nicht attraktiv und behindert die Eingewöhnung in ein bestehendes Gefüge.
Die dargelegten Themen zeigen deutlich, wie weitreichend, komplex und herausfordernd die digitale Chorarbeit ist. An dieser Stelle kann nur dazu geraten werden, den Problemen offen und lösungsorientiert gegenüberzutreten. Im Anbetracht der Tatsache, dass in Zeiten einer Pandemie die digitale Chorarbeit die einzige Alternative zu dem Stillstand der Chorproben ist, müssen Schwierigkeiten und Herausforderungen zwar beachtet werden, dürfen aber nicht zur grundsätzlichen Ablehnung und Verhinderung einer Probenarbeit führen.
3.2. Vorteile und Chancen
Die digitale Chorarbeit bringt zahlreiche Vorteile und Chancen mit sich. Die neuen Methoden eröffnen bisher unbeachtete Möglichkeiten und lassen es zu, dass fernab von Konzertvorbereitungen Schwerpunkte auf Stimmbildung und Musiktheorie gelegt werden. Die Chorproben im digitalen Raum können eine Präsenzprobe mit Sicherheit nicht dauerhaft ersetzten, doch in Zeiten wie der Coronapandemie sind sie die einzige Möglichkeit Chorarbeit überhaupt zu gewährleisten. Darüber hinaus bieten sich einzelne Aspekte dafür an, auch künftig neben der analogen Chorarbeit ergänzend eingesetzt zu werden. Die folgenden positiven Eigenschaften sind persönlichen Gesprächen mit aktiven Chorsängerinnen und Chorsängern digitaler Chorproben11 und aktiv probenden Chorleiterinnen und Chorleitern12 der ELKB, im Rahmen der in Teil I, 2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021 vorgestellten Umfrage, entnommen.
Ein wirkungsvoller Aspekt ist, dass die digitale Chorarbeit einen regelmäßigen Termin darstellt. Die Coronapandemie hat seit dem Frühjahr 2020 Alltag und Lebensrhythmus durcheinander gebracht. Der Wunsch nach geregelten Tagesabläufen ist bei Erwachsenen und besonders auch bei Kindern groß. Mit den Chorproben im digitalen Raum ermöglichen Chorleiterinnen und Chorleiter den Sängerinnen und Sängern Regelmäßigkeit und Beständigkeit, die Halt geben können und ein Ziel für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer darstellen.
Ein weiterer grundlegender Vorteil der digitalen Chorarbeit ist die vertragliche Verpflichtung einiger Chorleiterinnen und Chorleiter. Eine für eine wöchentliche Chorprobe angestellte Chorleitung kann ihrem Arbeitsauftrag nur dann gerecht werden, wenn sie jede Woche eine Chorprobe durchführt. Ist dies analog, sei es aus staatlich angeordneten Einschränkungen oder auch aufgrund der entfernten Wohnsituation der Leitung, nicht möglich, bietet sich alternativ die digitale Chorarbeit an. Nicht unbeachtet darf in diesem Zusammenhang der Faktor eines geregelten Einkommens bleiben. Durch regelmäßig stattfindende Proben erhalten Chorleiterinnen und Chorleiter weiterhin die Chance, das ihnen zustehende Honorar zu erhalten. Da seit dem Frühjahr 2020 für viele Musikerinnen und Musiker durch zahlreiche Absagen von Konzerten und Auftrittsmöglichkeiten wichtige Einnahmequellen verloren gegangen sind, bieten digitale Chorproben hier weiterhin eine sichere Möglichkeit auf ein regelmäßiges Gehalt.
Die bereits angedeutete Tatsache, dass diese neue Art der Chorprobe nicht örtlich gebunden ist, erscheint für alle Beteiligten vorteilhaft. So können beispielsweise Sängerinnen und Sänger auch nach einem Umzug die Verbindung zu ihrem Chor aufrechterhalten und an den Chorproben teilnehmen. Chorleiterinnen und Chorleiter können wiederum Chöre an anderen Orten leiten oder beispielsweise trotz einer Dienstreise eine Chorprobe anbieten. Ein weiterer Vorteil dieser Überregionalität ist, dass durch den entfallenden Fahrtweg eine große Zeitersparnis entsteht. Gerade in ländlichen Regionen stellt der Weg zum Probenort oft einen erheblichen Zeitfaktor dar. Durch die Teilnahme von zuhause aus ist somit eine schnellere und zeitlich effizientere Beteiligung möglich. Dies erhöht für alle Teilnehmenden zudem die Flexibilität. Eltern müssen für die Abende beispielsweise keine Kinderbetreuung organisieren, Kinder wiederum können ohne große Vorbereitungen an einer Probe teilnehmen. Auch eine verspätete Teilnahme an der Probe ist leichter möglich, da dies in einer Videokonferenz kaum Aufmerksamkeit erregt und der Probenfluss nicht unterbrochen wird. Nach Aussagen der aktiv probenden Chöre hat sich zudem auch die Pünktlichkeit der Sängerinnen und Sänger in der digitalen Chorprobe enorm erhöht.
Darüber hinaus bringt die digitale Chorarbeit ein neues Maß an Produktivität und Detailarbeit mit sich. Die gesamte Probenstruktur im digitalen Bereich gestaltet sich effektiver und detaillierter als im Analogen. Dies erklärt sich durch verschiedene Aspekte. Die Sängerinnen und Sänger sind innerhalb der Probe fokussierter, da Ablenkungen, wie Gespräche mit Sitznachbarinnen und -nachbarn während Stimmproben oder große Pausen zwischen den Probeneinheiten, wegfallen. Des Weiteren kann der Probenablauf in schneller aufeinanderfolgenden Einheiten erfolgen. Da die Interaktion wegfällt und die Reaktion auf Gehörtes nicht umzusetzen ist, gestaltet sich der Probenplan der Chorleitung ausführlicher und konzentrierter. Innerhalb einzelner Probenabschnitte können die Themen intensiviert und komprimiert an die Sängerinnen und Sänger weitergegeben werden. Das bedeutet, dass die Probeneinheiten einer digitalen Probe schneller aufeinander folgen und Inhalte in einer größeren Menge und Dichte vermittelt werden können als in einer Präsenzprobe. Hinzu kommt die Möglichkeit des parallelen Arbeitens. Beispielsweise können Stimmproben gleichzeitig umgesetzt werden, indem die Funktion von Breakout Sessions 13 genutzt wird. Was im Analogen zeitaufwendig und oft auch räumlich kompliziert ist, kann im Digitalen schnell und simpel arrangiert werden. Diese parallele Arbeit bietet darüber hinaus den Vorteil, dass die Sängerinnen und Sänger ihre Stimme fortwährend eigenständig üben können, selbst wenn gerade eine andere Stimmlage geprobt wird. Durch die gewonnene Effektivität gelingt es dem Chor grundsätzlich schneller, eine größere Menge an Literatur kennenzulernen und einzustudieren. Dies hat ein größeres Repertoire zur Folge, welches beispielsweise in der Vorbereitung für Gottesdienste mit Ensembles schnell abrufbar ist. Diesem Gewinn an Flexibilität und Wirksamkeit in der Probenstruktur schließen sich die Vorteile der Freiheit und des persönlichen Fortschrittes an. Das alleinige Singen fernab von weiteren Sängerinnen und Sängern oder der Möglichkeit des Anlehnens an führende Stimmen muss kein Nachteil sein. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind auf sich selbst gestellt und erhalten gleichzeitig die Chance, über die eigene Komfortzone hinauszuwachsen. Dass die Chorleitung und die Sitznachbarinnen und -nachbarn beim Üben in der Probe nicht zuhören können, ermöglicht den Sängerinnen und Sängern eine neue Freiheit, die eigene Stimme auszuprobieren. Beispielsweise können Soloparts mit einstudiert werden oder andere Stimmlagen zu der eigenen geübt werden. Ein Alt kann sich trauen, die hohen Soprantöne zu üben, um seinen Tonraum nach und nach zu erweitern. Ein Sopran kann wiederum den Alt üben, um zu lernen, gegen eine Melodiestimme zu singen. Dies sind neue Aspekte, die bisher probentechnisch kaum umsetzbar waren und für die es auch keinen Anlass gab. In der digitalen Chorarbeit werden die Sängerinnen und Sänger dagegen dazu ermutigt, in dieser Richtung über sich selbst hinauszuwachsen. Die Folge ist, dass das persönliche Selbstvertrauen gestärkt und der Chor durch diesen Zuwachs insgesamt flexibler und stabiler wird.
Zusätzlich erhält das Selbststudium der Sängerinnen und Sänger einen neuen Stellenwert. Da der Gesamtklang fehlt und nur die Stimme der Chorleitung hörbar ist, gestalten sich Aufgaben wie Zweistimmigkeit oder Polyphonie schwieriger als in den analogen Proben. Dies liegt vor allem daran, dass den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Stütze fehlt, die sie durch verschiedene Stimmen, die Mehrstimmigkeit oder durch führende Stimmen im Chor in der Präsenzprobe erhalten. Dieser neue Schwierigkeitsgrad ist für die Sängerinnen und Sänger ein gutes Training. Es fördert die Sicherheit der eigenen Stimme, das persönliche Selbstvertrauen und auch die eigene Reflexion.
Den Chorleiterinnen und Chorleitern bietet sich in der digitalen Chorarbeit darüber hinaus die Möglichkeit, den Chor zusätzlich zur rein musikalischen Bildung auch in musiktheoretischen Einheiten zu schulen. Für solche Probenabschnitte bleibt in der Präsenzprobe in der Regel kaum Zeit, denn der Fokus liegt auf den vorzubereitenden Auftritten, Gottesdiensten oder Konzerten. Da diese Zielsetzung seit dem Frühjahr 2020 brachliegt, können in der Chorprobe neue Ziele gesetzt werden. So gibt es in der digitalen Probe nun beispielsweise Raum für Gehörbildungseinheiten, Tonsatzstrukturen, Rhythmusübungen, Erklärungen zu musikalischen Fachbegriffen oder für die Einführung in das Notenbild. Dies hat zur Folge, dass die Sägerinnen und Sänger ihren Horizont erweitern und mehr Verständnis für die musikalischen Parameter erhalten. Mit einem größeren Wissen des Chores lassen sich Probeneinheiten sowohl im Digitalen, als auch im Analogen einfacher und unmissverständlicher gestalten. Die Chorleitung hat hier die Möglichkeit, ihren Chor individuell zu fördern, theoretische Schwächen auszugleichen und eine große Bandbreite an musikalischen, inhaltlichen oder geschichtlichen Einblicken weiterzugeben.
Neben der Musiktheorie erhält auch die Stimmbildung einen neuen Schwerpunkt in der digitalen Chorarbeit. Die menschliche Stimme ist ein komplexes Zusammenspiel aus Muskeln, Bändern, Nerven, Knochen und Schleimhäuten. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass alle beteiligten Körperteile einwandfrei funktionieren. Ebenso wie Sportlerinnen und Sportler ihre Muskeln und Sehnen regelmäßig gezielt trainieren oder sich Musikerinnen und Musiker um den Zustand ihrer Instrumente kümmern, müssen sich Sängerinnen und Sänger um ihre Stimme bemühen. Durch ein beständiges Training der Atmung, des Zwerchfells und des Stimmapparates wird die Stimme gefördert und kann in der Regelmäßigkeit Fortschritte erzielen. Diese können beispielsweise die Ausdehnung des Tonraumes und des Atemvolumens oder die Beweglichkeit der Stimme bedeuten. Die digitale Chorprobenarbeit bietet die Möglichkeit, eine stetige Stimmbildung zu gewährleisten. Auch in Zeiten, in denen das analoge Zusammentreffen nicht möglich ist, bietet die Probe im digitalen Raum einen Lösungsansatz, der vor einem Abbruch des regelmäßigen Singens schützt. Durch Körper- und Einsingübungen, Atemtraining und das gemeinsame Singen an sich werden die Sängerinnen und Sänger immer wieder neu gefordert und dazu ermutigt, ihr Training beizubehalten. Die Aktivierung von Körper und Atmung bietet neben den stimmbildnerischen Vorteilen einen guten Kontrast zum Arbeitsalltag der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Durch die Coronapandemie haben das Homeoffice und die Zeit vor dem Bildschirm enorm zugenommen. Das beinhaltet unweigerlich viel Zeit ohne Bewegung in einer gebeugten Sitzhaltung. Für regelmäßige Übungen zu einer geraden Haltung, einer Stärkung der Rückenmuskulatur und einem bewussten Atmen eignet sich die digitale Chorarbeit hervorragend. Im Einsingen kann der Fokus auf die Körperübungen und während der Probe explizit auf Haltung und Atmung gelegt werden. Somit erhalten die Sängerinnen und Sänger wöchentlich neue Anregungen und Techniken, die im Alltag angewendet werden können. Dieser Bereich der Chorarbeit stellt regelrecht ein Bedürfnis der Chormitglieder dar und erfährt so eine neue Aufmerksamkeit und Notwendigkeit.
In der digitalen Chorarbeit erleben die Sängerinnen und Sänger also konkrete Fortschritte in musikalischen, klanglichen, körperlichen und theoretischen Bereichen. Doch auch das Thema Technik, das in den Präsenzproben bisher keinerlei Bedeutung hatte, führt bei allen Beteiligten nun zu Entwicklungsprozessen und wiederkehrenden Erfolgen. Blickt man auf die erforderliche technische Ausstattung einer digitalen Probe, zeigt sich, dass die technische Hardware inzwischen so gut ausgebaut ist, dass ein handelsüblicher Laptop als Equipment durchaus ausreichend ist. Die integrierten Kameras und Mikrofone liefern eine stabile Qualität und können eine digitale Probe über ein Videokonferenz-Tool bewältigen. Deshalb kann eine digitale Chorprobe trotz nicht beeinflussbarer Kriterien, wie der Infrastruktur und der Netzanbindung vor Ort, stattfinden. So kann beispielsweise ein anderes Videokonferenz-Programm Störungen besser ausgleichen oder der eigene Internetzugang mit einer kabelgebundenen (LAN) statt kabellosen (WLAN) Netzwerkverbindung verbessert werden. Hier ist es ratsam als Chorleitung gemeinsam mit dem Chor verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren und die beste Lösung ausfindig zu machen. Ein Beispiel für den technischen Aufbau einer Chorprobe im digitalen Raum mit der Plattform Zoom findet sich in Teil II, 3. Technischer Aufbau. Für Chorleiterinnen und Chorleiter öffnet sich im Digitalen auch die Möglichkeit, den Chören eigene Videos mit verschiedenen Einsingübungen oder Probenabschnitten zur Verfügung zu stellen. Dieses Resultat ist zwar nicht zwingend notwendig, dennoch ist es eine gute Möglichkeit, dem Chor für die Zeit zwischen den Probeneinheiten Anleitungen zum eigenständigen Üben anzubieten. Vielleicht liegt es an der zusätzlichen Zeit, die viele durch den Wegfall der Freizeitaktivitäten seit Beginn der Coronapandemie haben, dass der Wunsch vieler Sängerinnen und Sänger neben den Chorproben selbstständig und regelmäßig zu üben, zugenommen hat. Möglicherweise liegt der Grund dieses Bedürfnisses auch darin, dass in der digitalen Chorarbeit der Fokus vermehrt auf die Stimmbildung gerückt wird und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Fortschritte bei sich selbst stärker wahrnehmen als vorher.
Darüber hinaus können digitale Chorproben auch der älteren Generation einen Aufschwung im technischen Verständnis ermöglichen. Betrachtet man eine Studie der österreichischen Telekommunikationsfirma emporia Telecom in Zusammenarbeit mit der deutschen Seniorenliga e.V., zeigt sich, dass ein hoher Altersdurchschnitt eines Chores nicht unbedingt gegen die digitale Chorarbeit spricht. Diese Untersuchung erläutert, dass in Deutschland von etwa 17,5 Millionen über 65 Jährigen bereits 30% im Besitz eines Smartphones sind.14 Eine weitere Studie zeigt, dass ¾ der befragten Seniorinnen und Senioren über 60 lieber auf das Festnetztelefon als auf das Smartphone verzichten würden.15 Beide Studien machen deutlich, dass ältere Menschen mit Smartphone und Technik durchaus firm sind und man mit dem Altersdurchschnitt nicht unbedingt die Scheu vor der digitalen Chorprobe begründen kann. Prof. Dr. Claudia Müller, Kuratoriumsmitglied der deutschen Seniorenliga e.V., erläutert die Notwendigkeit der Digitalkompetenz für Seniorinnen und Senioren, besonders seit Beginn der Coronapandemie: Die Digitalisierung schreite in allen Lebensbereichen mit großen Schritten voran, ältere Menschen müssten dabei unterstützt werden. Auch sie hätten in Zeiten der Kontaktbeschränkungen und gesellschaftlichen Distanz nur über die Medien die Chance, Kontakt zu Familie und Freunden zu halten und so ein Stück des Alltags aufrechtzuerhalten.16 Unter diesem Aspekt ist es die Aufgabe jedes Chores, den Älteren mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihnen Unterstützung anzubieten, um die Möglichkeit der digitalen Kontakte zu gewährleisten. Mit Hilfe und Anleitung kann es auch der älteren Generation ermöglicht werden, an digitalen Chorproben mit Freude teilzunehmen.
Dem Ziel eines Chores miteinander musikalisch zu arbeiten und allen Sängerinnen und Sängern eine Teilnahme zu ermöglichen, schließt sich der große Bereich der Gemeinschaft an. Diese ist nicht nur analog, sondern auch digital möglich. Auch wenn sich die beteiligten Personen nicht im gleichen Raum befinden, kann ein gemeinsamer Austausch und eine Form des Soziallebens über technische Medien stattfinden. Für viele Laienchöre hat der Aspekt des sozialen Miteinanders einen höheren Stellenwert als die rein musikalische Arbeit. Die Chorprobe im digitalen Raum ermöglich ein Aufeinandertreffen der Sängerinnen und Sänger und bietet Raum für Kommunikation, wenn das analoge Zusammensein aus Gründen wie Kontaktbeschränkungen in Zeiten einer Pandemie oder aus örtlichen Gegebenheiten nicht möglich ist.
Die dargelegten Aspekte zeigen deutlich, welche positiven Auswirkungen die digitale Chorarbeit für die Chöre darstellt. Neue Bereiche werden beleuchtet. Inhalte, für die im bisher gewohnten Choralltag kaum Zeit war, rücken in den Mittelpunkt. Sängerinnen, Sänger, Chorleiterinnen und Chorleiter dürfen sich von den Chancen der Digitalität ermutigen lassen und gemeinsam Lösungen finden, die den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht werden.
4. Videokonferenz-Programme im Vergleich
Mit dem Projektchor Klangfarben der evangelischen Kirchengemeinde Velden17 wurden im Zeitraum von November 2020 bis Februar 2021 verschiedene Plattformen für die digitale Chorarbeit genutzt. Ziel war es, die verschiedenen Programme auf die jeweilige Eignung als Medium für digitale Chorproben zu testen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden fünf gängige Videokonferenzdienste vorgestellt und in den Punkten Kosten, Bedienung, Latenz und Sicherheit und der daraus resultierenden Eignung für eine digitale Chorprobe verglichen. Die Nennung der Plattformen erfolgt in alphabetischer Reihenfolge. Abschließend wird ein Resümee gezogen und eine Zukunftsvision für Chorproben im digitalen Raum vorgestellt.
4.1. Jamulus
Jamulus ist ein Programm, welches seit 2006 als eine Open Source Software entwickelt wird. Diese Plattform ermöglicht es Musikerinnen und Musikern, mit einer geringen Verzögerung in der Übertragung weltweit gemeinsam zu musizieren.18 Das Programm ist nur für die Tonübertragung ausgelegt und verfügt nicht über eine Kamerafunktion.
Jamulus ist an sich kostenlos verfügbar. Auf der Website steht sowohl eine Anleitung als auch die Software für die Betriebssysteme Windows, macOs, Linux und Android zum Download zur Verfügung.19 Genügt den Nutzerinnen und Nutzern ein vorinstallierter und öffentlicher Server, fallen auch nach der Installation keine Kosten an. Da auf diese Art von Server aber alle, die Jamulus benutzen, Zugang haben und eine Chorprobe demzufolge nicht in einem geschlossenem Rahmen stattfinden kann, gibt es darüber hinaus die kostenpflichtigen Möglichkeiten, einen administrierten Server verschiedener Anbieter zu mieten oder einen eigenen Server einzurichten.20 So bietet beispielsweise die Unternehmensgruppe 1&1 Ionos SE die Möglichkeit an, für 5 € pro Monat einen Server in einem deutschen Rechenzentrum zu hosten. Pro Jahr belaufen sich die Kosten hier auf 60 €, wobei das Angebot nur für das Betriebssystem Linux gilt. Für Windows fallen beispielsweise monatlich bis zu 20 € zusätzlich an, was pro Jahr eine maximale Summe von 300 € bedeutet.21 Ein weiteres Beispiel ist ein Unternehmen aus Köln, welches Zeitslots für schon organisierte Server vermietet. 120 Minuten kosten hier jeweils 5 €. Bei wöchentlich stattfindenden Chorproben liegt die Investition pro Jahr, ausgehend von 52 Kalenderwochen, bei maximal 260 €.22
Die Bedienung von Jamulus gestaltet sich für alle Beteiligten als relativ komplex. Vordergründig ist für die Nutzung der Software zusätzliche Hardware notwendig.
Alle Nutzerinnen und Nutzer benötigen neben einem Laptop oder Computer in der Regel ein externes Mikrofon, welches eine Abtastrate von 48 Kilohertz (KHz) unterstützt.23 Dies ist bei den internen Audiogeräten neuer Laptops und PCs mittlerweile zwar meistens der Fall, dennoch kann man nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass jedes Gerät der Sängerinnen und Sänger diese Funktion besitzt. Jamulus empfiehlt die Verwendung einer externen Audiohardware, da diese den besseren Standard in Qualität und Verzögerung aufweist.24 Des Weiteren sollten kabelgebundene Kopfhörer verwendet werden, um Übertragungsprobleme oder Störgeräusche wie ein Echo zu vermeiden.25 Zusätzlich ist eine LAN-Verbindung notwendig, da WLAN grundsätzlich störanfälliger ist und somit mit Problemen in der Übertragung zu rechnen wäre.26 Für die Chorleitung empfiehlt sich darüber hinaus die Verwendung eines Audiointerfaces, um eine bessere Tonqualität zu ermöglichen.27
Nach Installation der Software wird auf den Geräten aller Beteiligten zusätzlich ein Audio-Treiber benötigt, ohne welchen das zeitgleiche gemeinsame Musizieren mehrerer Personen nicht möglich ist. Dieser muss, sofern er nicht auf der Soundkarte des Gerätes vorinstalliert ist, zusätzlich als eigenständiges Programm heruntergeladen werden. Für Windows empfiehlt Jamulus hier den Anbieter ASIO.28
Ist die benötigte Hardware vorhanden und sind die Programme installiert, muss die Software zur Nutzung eingerichtet werden. Das vom Programm zur Verfügung gestellte Handbuch ist, wie auch die dazugehörigen Internetforen, nur auf Englisch verfügbar.29 Da die Einrichtung für Laien durchaus komplex ist und durch die Sprachbarriere neue Schwierigkeiten entstehen können, gibt es im Internet mittlerweile zahlreiche Anleitungen in Text- oder Videoformat von aktiv probenden Chören in deutscher Sprache.30 Innerhalb dieser Arbeit würde eine ausführliche Beschreibung zum Umgang mit Jamulus zu weit führen. Deshalb wird an dieser Stelle auf die bereits online verfügbaren Informationen verwiesen.
Soll eine Chorprobe nicht auf einem öffentlichen und weltweit zugänglichen Server stattfinden, muss für den Chor, wie schon erwähnt, entweder ein Server gemietet oder erstellt werden. Während das Mieten mit einem geringen Zeitaufwand verbunden ist, benötigt das eigenständige Hosten eines Servers und dessen Konfiguration zum einen viel Zeit und zum anderen ein großes technisches Wissen. Laien, für welche Technik kein vertrautes Terrain ist, sollten dies nicht ohne Anleitung durchführen oder diese Aufgabe einer Person überlassen, die auf solche Arbeiten spezialisiert ist, um beispielsweise Sicherheitslücken zu vermeiden.
Vor jedem Probenbeginn müssen in Jamulus die Audioeinstellungen überprüft und angepasst werden. Zwar speichert sich das Programm die vorgenommenen Einstellungen, dennoch ist jedes Mal wieder mit kleinen Abweichungen, wie ein verändertes Klangbild durch Unterschiede in der Entfernung zum Mikrofon oder die Stabilität der Internetverbindung, zu rechnen. Somit muss für jede Probe zusätzliche Zeit eingeplant werden, in der die Veränderungen überprüft und angepasst werden. Hinzu kommt, dass allein für die Einstellungen der Audiosignale ein gewissen Domänenwissen vorhanden sein muss. Fachbegriffe, die, wie schon beim Download des Programms oder bei der Erstellung von Servern, in der Regel in englischer Sprache definiert sind, sollten bekannt sein. Zumindest die Chorleitung sollte mit Jamulus so gut umgehen können, dass sie die Konfiguration mit den Sängerinnen und Sängern vornehmen und diese anleiten kann. Besonders in den Anfängen der Nutzung des Programms wird die Vorbereitung der Audioverbindung einen großen Zeitraum einnehmen.
Da die Software nur die Audioübertragung ermöglicht, muss parallel zu Jamulus eine Videokonferenz stattfinden, damit sich die Beteiligten nicht nur hören, sondern auch sehen können. Dies bedeutet zum einen für die Sängerinnen und Sängern, aber auch für die Chorleiterinnen und Chorleiter, eine zusätzliche technische Hürde, zum anderen werden Geräteleistung und Internetverbindung durch die doppelte Nutzung vermehrt strapaziert. Grundsätzlich scheinen aber die gängigen Videokonferenz-Tools wie Zoom oder Jitsi im Probengeschehen mit Jamulus kompatibel zu sein.
Das Programm ist dafür ausgelegt, dass mehrere Personen zeitgleich miteinander musizieren können. Was zu Beginn als Treffpunkt für Jam-Sessions angedacht war, entwickelt sich mit andauernder pandemischer Situation seit dem Frühjahr 2020 zu einem Ort, der nun vermehrt auch von Chören genutzt wird. Das synchrone Musizieren wird dadurch möglich, dass die Latenzzeit, also die Zeitverzögerung in der Übertragung des Audiosignals, sehr gering ist. Je nach Server kann die Verzögerungszeit bei Jamulus im Idealfall im Bereich von 20 bis 25 Millisekunden (ms) liegen. Diese Verzögerung entspricht etwa einem realen Abstand von 7 bis 8 Metern (m) von der Schallquelle zum Hörenden, da die Verzögerung des Schalls pro Meter etwa 2,9 ms beträgt.31
Von der Software werden verschiedene Daten wie die IP-Adresse zwar eingesehen, dennoch wird versucht, diese nicht zu speichern. Die Daten werden jedoch möglicherweise an GitHub Pages, „ein[en] netzbasierte[n] Dienst zur Versionsverwaltung für Software-Entwicklungsprojekte“32 und SourceForge, ein Portal welches zur Unterstützung von Softwareprojekten dient33, weitergeleitet. Jamulus basiert auf einem zentralen Server, an welchen weitere öffentliche oder private Server angeschlossen werden können. Dies hat zur Folge, dass Jamulus direkt nicht unbedingt Daten sammelt, dass diese aber von Dritten eingesehen und abgespeichert werden können. Während des gemeinsamen Musizierens auf einem Server besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Audioaufnahmen zu machen. Dies wird allen Beteiligten vorab aber mitgeteilt. Die Chatfunktion ist nur für die teilnehmenden Personen einsehbar, andere Server haben darauf keinen Zugriff.34 Das Programm stellt sich insgesamt seriös und sicher dar, dennoch kann in Bezug auf den Datenschutz keine Garantie gewährleistet werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich mit einem Programm wie Jamulus für Chöre eine neue Welt der Chorarbeit öffnet. Eine Chorprobe kann ohne größere Einschränkungen in den digitalen Raum verlegt werden, der Chor kann sich weiterhin hören und die Chorleitung kann, ähnlich wie im Analogen, mit den Sängerinnen und Sängern arbeiten. Dennoch ist das notwendige technische Knowhow und die zeitintensive Vorbereitung nicht zu unterschätzen. Die in Teil I, 2. Digitale Chorarbeit in der ELKB, Februar 2021 vorgestellte Umfrage zeigt deutlich, dass Jamulus als Programm für virtuelle Chorproben nicht weit verbreitet ist. Gerade in ländlichen Gebieten mit einer schwachen Infrastruktur, bei Chören mit wenig technikaffinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, Chorleiterinnen und Chorleitern oder bei Chören mit ohnehin ausgelasteten Chorleitungen und Chormitgliedern, die diesen erhöhten Zeitaufwand nicht leisten können, lässt sich eine Probenstruktur mit dieser Software kaum umsetzten. Im Hinblick auf Kinderchöre muss beachtet werden, dass es ohne die Unterstützung der Eltern nicht möglich ist, mit Jamulus zu arbeiten. Installation, Aufbau und Durchführung ist für Kinder alleine nicht möglich.
4.2. Jitsi
Im Jahr 2003 wurde von einem Studenten der Universität Straßburg die vorläufige Plattform SPI Communicator entwickelt. Die Software ist eine Sammlung verschiedener Open Source Projekte. Jitsi Meet wurde 2014 gestartet. 2020 erreichte Jitsi eine monatliche Nutzerzahl von 20 Millionen.35
Die hohe Beliebtheit des Programmes ist, neben der kostenlosen Nutzungsmöglichkeit sowohl im Webbrowser als auch in der zu installierenden Applikation,36 vermutlich der einfachen Bedienung geschuldet. Über meet.jitsi.si kann die Chorleitung ein Meeting mit einem beliebigen Namen erstellen.37 Dieser Link wird anschließend den Sängerinnen und Sängern zugeschickt. Wer über die Internetadresse verfügt, kann den virtuellen Raum zu jeder Zeit betreten.
Die Software verfügt über einige zusätzliche Funktionen, welche die Chorproben angenehmer gestalten können. So kann beispielsweise der Bildschirm geteilt werden, wodurch die Chorleitung Noten auf ihrem Gerät für alle Sängerinnen und Sänger sichtbar machen kann. Audio- und Videodateien können den anderen Teilnehmenden auf diese Weise ebenfalls gezeigt oder vorgespielt werden. Allerdings ist das Video der Chorleitung dann nicht mehr sichtbar, nur das Audiosignal wird noch übertragen, was einen deutlichen Nachteil darstellt. Darüber hinaus können alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Meetings gleichzeitig stummgeschaltet werden. Für die Chorleitung erleichtert das den Probeneinstieg und die Sängerinnen und Sänger müssen nicht selbst nach den Funktionen suchen. Da aber jede teilnehmende Person Zugriff auf diese Möglichkeiten hat, ist das Programm für die Kinderchorarbeit nicht geeignet. Je regelmäßiger Kinder Videokonferenz-Tools nutzen, desto größer wird deren Neugier die verschiedenen Effekte der jeweiligen Software auszuprobieren. Da die Chorleitung keine Host-Funktion innehat, besteht keine Kontrollmöglichkeit und die Kinder können alle Aktionen, wie Bildschirm- und Tonfreigabe, selbstständig nutzen. Die Ablenkung ist dadurch sehr hoch und ein geregelter Probenverlauf ist so kaum möglich.
Das Programm überzeugt auf den ersten Blick mit einer sehr guten Verbindung und wenig Verlusten in der Übertragung. Jedoch fällt auf, dass die Ton- und Bildübertragung in einer digitalen Chorprobe mangelhaft auftritt.38 Laut Aussagen der Sängerinnen und Sänger ist die Zeitverzögerung im Vergleich zu anderen Plattformen als hoch und die Audio- und Videoqualität als schlecht. Hierzu werden nun zwei Ausschnitte betrachtet, in denen Jitsi die Verbindung eines Endgerätes ausführlich beschreibt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 9 Verbindungsdaten „Gut“ Jitsi, Standort: Bayreuth (Quelle: Bildschirmfoto des Webbrowsers Jitsi, abgerufen am 05.05.2021)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Abb. 9 benennt Jitsi die Verbindung als gut, was der nutzenden Person eine stabile Verbindung vermittelt. In Abb. 10 wird diese als nicht optimal beschrieben, was wiederum auf Störungen oder Überlastungen hinweist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 10 Verbindungsdaten „Nicht optimal“ Jitsi, Standort: Bayreuth (Quelle: Bildschirmaufnahme des Webbrowsers Jitsi, abgerufen am 09.06.2021)
Zwar ist die Bitrate, welche angibt, wie viele Datenpakete pro Sekunde übertragen werden können, in Abb. 10 beim Versenden deutlich geringer, nur 47 Kilobit pro Sekunde (Kbps), dennoch liegt dabei der Paketverlust, welcher beschreibt, wie viele Daten in einem Übertragungsprozess verloren gehen, in beiden Fällen bei 0% und ist beim Empfangen in Abb. 10 sogar geringer (1%).
Auch die Bildwiederholrate stellt hier ein Paradoxon dar: Ab 25 Bildern pro Sekunde ergibt sich für das menschliche Auge ein flüssiges Bild.39 Ist die Rate deutlich niedriger, äußert sich dies in einer stockenden oder zeitverzögerten Bildübertragung, oder in der Tatsache, dass zeitweise kein Bild gesendet werden kann. Während laut Abb. 9 nur 7 Bilder pro Sekunde gesendet werden, werden in Abb. 10, trotz der nicht optimalen Verbindung, 27 angegeben.
Beide Abbildungen zeigen, dass Jitsi zwar Verbindungsdaten definiert, dass diese dennoch nicht unbedingt in direktem Zusammenhang mit der jeweils subjektiven Wahrnehmung stehen müssen. Die Ursache für eine instabile Übertragung, trotz der Verbindungsangabe „gut“ kann darin liegen, dass die Internetverbindungen der jeweiligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht ausreichend sind oder der Server der Software überlastet ist. Da viele Chorproben häufig zu den gleichen Zeiten stattfinden und zeitgleich noch weitere Meetings ablaufen, werden Leistungen gefordert, für welche Videokonferenzprogramme wie Jitsi ursprünglich nicht entwickelt wurden und für welche Datenmengen die dazugehörigen Server nicht ausgelegt sind.
Die Meetingräume in Jitsi sind nur während der Benutzung aktiv. Beim ersten Eintritt einer Person ins Meeting wird dieses erstellt und nach Beendigung sofort zerstört. Auch wenn wiederkehrende Meetingräume namentlich gleich bleiben, wird mit jedem Mal ein neuer Raum eingerichtet. Dieses System soll vor möglichen externen Zugriffen schützen. Jitsi rät, ungewöhnliche Namen für die Sitzungen zu wählen und bietet automatisch generierte Wortkombinationen an, um die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Eingriffs in ein erstelltes Meeting zu reduzieren. Meetings können außerdem mit einem Passwort geschützt werden. Dieses wird jeweils zurückgesetzt, sobald die letzte Person das Meeting verlässt.40
Um das Programm nutzen zu können, muss kein Account erstellt werden und somit müssen keine Daten preisgegeben werden. Chatverläufe aus den Sitzungen werden nach deren Beendigung zerstört. Werden Meetings aufgezeichnet, speichert Jitsi diese auf dem Server ab. Sobald die Aufzeichnung auf den ausgewählten Speicherort hochgeladen wurde, derzeit Dropbox, wird das Material vom Server gelöscht. Dies geschieht nach spätestens 24 Stunden. Analysetools werden ausschließlich zur Verbesserung des Produktes genutzt. Diese Daten werden anonym verarbeitet. Sonstige Angaben wie E-Mail-Adressen oder Namen werden nicht gespeichert.41 Mit einer neuen Funktion, der End-zu-End-Verschlüsselung sollen Jitsi- Meetings noch sicherer werden: Nur wer über den Verschlüsselungs-Code zum Meeting dazustößt, kann die restlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen und hören. Dies erhöht die Sicherheit der Software erheblich.42 Das Videokonferenz-Tool verspricht daher ein hohes Maß an Sicherheit.
Jitsi ist mit seinen Funktionen, den zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen und dem vollständig kostenlosen Nutzungsangebot eine eigentlich gute Wahl für die digitale Chorarbeit. Optionen wie der geteilte Bildschirm sind dennoch nur bedingt nutzbar, da eine zeitgleiche Übertragung von beispielsweise Noten und der Chorleitung selbst nicht möglich ist. Zudem schränken die Übertragungsschwierigkeiten das Probengeschehen extrem ein. Da diese je nach Standort und Probenzeit unterschiedlich sein können, ist es ratsam eine Chorprobe über diese Software dennoch auszuprobieren und auf die Eignung zu testen. Für die Arbeit mit Kinderchören sollte allerdings ein anderes Programm genutzt werden. Die Tatsache, dass jedes teilnehmende Kind auf alle Funktionen Zugriff hat und der Reiz des Ausprobierens mit jeder digitalen Chorprobe zunimmt, lässt keine konstruktive Probenarbeit mit den jungen Sängerinnen und Sängern zu.
4.3. Skype
Skype wurde im Jahr 2003 in Luxemburg gegründet und gehört zur Microsoft Corporation. Das Videokonferenz-Tool wird von Millionen Menschen weltweit genutzt. Die Vernetzung von Personen im Alltag und im Beruf benennt die Grundidee der Software.43
Der Video-Dienst überzeugt mit einer einfachen Bedienung und der kostenlosen Nutzungsmöglichkeit. An einem Videotelefonat kann sowohl über den Webbrowser, als auch über eine installierte Applikation auf Laptop, PC, Tablet oder Smartphone und inzwischen sogar über Xbox oder Alexa teilgenommen werden.44 Wird die Software heruntergeladen und nicht über den Browser genutzt, muss zunächst eine Profil angelegt werden. Für andere Nutzerinnen und Nutzer ist aber, je nach Einstellung der betreffenden Personen, nur der ausgewählte Name sichtbar. Informationen wie die E-Mail-Adresse oder personenbezogene Daten werden nicht öffentlich gemacht, sondern genutzt, um Kontakte zu finden oder um profilbezogene Informationen zu erhalten. Eine Besprechung kann über den entsprechenden Button im Web oder in der App erstellt werden und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können entweder per Link oder direkt über einen Anruf in der Applikation zum Meeting eingeladen werden. Skype bietet darüber hinaus die Möglichkeit eines geteilten Bildschirmes nicht nur am Desktop, sondern auch am Smartphone an. Ähnlich wie bei Jitsi gibt es in der kostenlosen Version von Skype keine Hostfunktion. Das bedeutet, dass auch hier alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die verfügbaren Funktionen nutzen können und ebenso andere Personen stummschalten oder aus dem Meeting entfernen können. Für die Nutzung mit Kindern ist die Software aus diesen Gründen nicht empfehlenswert.
Im Meeting selbst werden keine analytischen Daten zur Übertragung zur Verfügung gestellt. Dennoch fällt grundsätzlich auf, dass es während der Nutzung von Skype häufig zu Verbindungsproblemen kommt, welche sich in verzögert gesendetem Bild und Ton widerspiegeln.45 Die Ursachen dafür können zum einen an einem generell überlasteten Server liegen, zum anderen an der benötigten Bandbreite. Bei einer Videokonferenz mit mehr als sieben Personen, was in der digitalen Chorarbeit durchaus realistisch ist, werden im Download 8 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) und im Upload 512 Kilobit pro Sekunde (Kbit/s) empfohlen.46 Kann dies die eigene Internetverbindung nicht durchgehend leisten, werden der eigene Ton und das eigene Video verzögert gesendet und dementsprechend Audio und Bild der anderen Teilnehmenden verspätet heruntergeladen. Sichtbar wird dies in stockenden Videoübertragungen oder Verzerrungen im Ton. Die Übertragung von Skype wird von den Sängerinnen und Sängern sehr unterschiedlich wahrgenommen,47 was darauf hinweist, dass die jeweils eigene Netzverbindung die Hauptursache für Störungen ist.
Skype galt einige Jahre als sehr sicheres Programm für Videotelefonie. In den letzten zehn Jahren gab es dennoch häufig Bedenken gegenüber der dargestellten Sicherheit.48 Das Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme stellte 2013 die Sicherheitsaspekte der Plattform infrage. Durch die „fehlende Offenlegung von Infrastruktur und Protokolle[n]“49 und die Annahme, dass Gespräche abgehört werden können und möglicherweise auch für Wirtschaftsspionage genutzt werden, sei „bei der geschäftlichen Nutzung von Skype durchaus ein Sicherheitsrisiko zu identifizieren“50. Des Weiteren würden die Nutzerinnen und Nutzer überwacht werden, Kommunikationen wie Chatverläufe könnten abgerufen und vom Anbieter mitgelesen werden.51
Heute bietet Skype für die private Nutzung einen umfangreichen Fragenkatalog zu den Themen Datenschutz und Sicherheit. „Alle Sprach- und Videoanrufe, Dateiübertragungen und Sofortnachrichten zwischen Skype-Nutzern werden verschlüsselt. Dadurch werden Sie vor möglichem Mithören von Nutzern mit unlauteren Absichten geschützt.“52 Darüber hinaus bietet das Programm zusätzliche Schutzvorkehrungen für Kinder. Des Weiteren werden zahlreiche Möglichkeiten aufgeführt, das eigene Profil und Verhalten im Internet zu schützen.53
Skype speichert gesendete Nachrichten und Dateien auf allen verbunden Geräten ab. Die Dauer der Verfügbarkeit der Daten variiert und ist in einigen Fällen individuell einstellbar.54 Inwieweit Daten auf den Servern des Anbieters gespeichert werden und einsehbar sind, bleibt an dieser Stelle offen.
Trotz der Sicherheitsrisiken in den vergangenen Jahren stellt sich Skype heute als sicheres Programm für Videotelefonie und Chat dar und bietet Nutzerinnen und Nutzern einen geschützten Rahmen.
Zusammenfassend wird deutlich, dass die Software durch eine einfache Handhabung und die kostenlose Nutzungsmöglichkeit eine Option für die digitale Chorarbeit darstellt. Funktionen wie der geteilte Bildschirm ermöglichen ein angenehmes Probengeschehen. Durch die nicht vorhandene Hostfunktion und die daraus resultierenden Zugriffsmöglichkeiten aller Teilnehmenden auf beispielsweise die Stummschaltung, wird allerdings bei der digitalen Kinderchorarbeit von Skype abgeraten. Probleme in der Übertragung können, müssen aber nicht, auftreten. Je nach Internetverbindung und deren Bandbreite, sowie der Auslastung des Servers, können stabile Chorproben gehalten werden. Da dies variiert und auch mit den örtlichen Begebenheiten zusammenhängen kann, wird dazu geraten, die Plattform in der Chorarbeit mit Erwachsenen auszuprobieren und mit den Sängerinnen und Sängern und den jeweiligen Umständen auf Eignung zu testen.
[...]
1 Duden (2018).
2 vgl. Seidel (2013).
3 vgl. Anhang 1. E-Mail an alle evangelisch-lutherischen Pfarrämter in Bayern, 11.2020.
4 vgl. Anhang 2. Umfrage zur digitalen Chorarbeit, Stand 13.02.2021.
5 vgl. Landeskirchenamt (2020).
6 vgl. Anhang 3. E-Mail des Landeskirchenmusikdirektors Prof. Knörr, 26.02.2021.
7 vgl. Landeskirchenamt (2020).
8 vgl. Anhang 4: Negative Aspekte der digitalen Chorarbeit aus Sicht aktiv digital probender Sängerinnen und Sänger der ELKB, 2020/2021.
9 vgl. Anhang 5: Negative Aspekte der digitalen Chorarbeit aus Sicht aktiv digital probender Chorleiterinnen und Chorleiter der ELKB, 2020/2021.
10 vgl. Anhang 6: Negative Aspekte der digitalen Chorarbeit aus Sicht nicht aktiv digital probender Chorleiterinnen und Chorleiter der ELKB, 2020/2021.
11 vgl. Anhang 7: Positive Aspekte der digitalen Chorarbeit aus Sicht aktiv digital probender Sängerinnen und Sänger der ELKB, 2020/2021.
12 vgl. Anhang 8: Positive Aspekte der digitalen Chorarbeit aus Sicht aktiv digital probender Chorleiterinnen und Chorleiter der ELKB, 2020/2021.
13 s. Teil II, 3.8. Breakout Sessions
14 vgl. Emporia/Deutsche Seniorenliga e.V. (2019).
15 vgl. Emporia (2019).
16 vgl. Deutsche Seniorenliga e.V. (2020).
17 s. Teil I, 9.1. Projektchor Klangfarben
18 vgl. Jamulus (2021f).
19 vgl. Jamulus (2021b).
20 vgl. Völker Joe (2021).
21 vgl. IONOS (2021).
22 vgl. Moißl (2021).
23 vgl. Jamulus (2021a).
24 vgl. Jamulus (2021a).
25 vgl. Jamulus (2021a).
26 vgl. Jamulus (2021c).
27 vgl. Jamulus (2021b).
28 vgl. Jamulus (2021d).
29 vgl. Jamulus (2021g).
30 z.B. Ittig
31 vgl. Segundo (2008).
32 Wikipedia (2021a).
33 vgl. SourceForge (2021).
34 vgl. Jamulus (2021e).
35 vgl. Jitsi (2021a).
36 vgl. CHIP Online (2021).
37 vgl. Jitsi (2021c).
38 vgl. Anhang 9: Feedback zu verschiedenen Videokonferenztools.
39 vgl. 4KMOBILE (2019).
40 vgl. Jitsi (2021b).
41 vgl. Jitsi (2021b).
42 vgl. Ivov (2020).
43 vgl. Microsoft (2021c).
44 vgl. Microsoft (2021e).
45 vgl. Reichlin (2021).
46 vgl. Microsoft (2021f).
47 vgl. Anhang 9: Feedback zu verschiedenen Videokonferenztools.
48 vgl. Esin (2015).
49 Messerer (2013).
50 Messerer (2013).
51 vgl. Messerer (2013).
52 Microsoft (2021b).
53 vgl. Microsoft (2021a).
54 vgl. Microsoft (2021d).