Didaktische Interpretation von Musik. Bildungsplan Baden-Württemberg


Seminararbeit, 2005

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Situation der Musikunterrichtes vor Ehrenforth und Richter

2. Zielsetzung der „Didaktischen Interpretation“

3. Formulierung der theoretischen Grundlagen durch Ehrenforth

4. Das zugrundeliegende hermeneutische Modell

5. Theorie und Praxis des didaktischen Ansatzes in der Fortführung durch Richter .
5. 1 Generelle Problematik der didaktischen Praxis
5. 2 Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt; die drei (bzw. vier) Dimensionen der Erfahrung
5. 3 Die „Didaktische Brücke“

6. Orientierung an der Schülerperspektive? - Die „Didaktische Interpretation im Spannungsfeld der Subjekt -, Objekt - und Prozessorientierung

7. Conclusio

Literaturverzeichnis

1. Situation des Musikunterrichtes vor Ehrenforth und Richter

Nachdem die durch die Kestenberg-Reform beschlossenen Neuerungen, die den Musikunterricht durch Anregungen aus Jugendbewegung, Kunsterziehungs­bewegung sowie Reformpädagogik neu konzipierte, durch die instrumentalisierte und ideologietransportierende so genannte „musische Erziehung“ des Dritten Reiches zunichte gemacht worden war, gab es nach 1945 die Aufgabe und Möglichkeit des Neubeginns. Eine grundlegende Neuorientierung des Musikunterrichts, der auch in der Nachkriegszeit noch vordergründig aus rein praktischem Singen bestand, begann allerdings erst in den 60er Jahren. Es entwickelte sich u.a. eine musikwissenschaftlich ausgerichtete, so genannte „kunstwerkorientierte“ Musikpädagogik, als deren Begründer Michael Alt gilt. Musik sollte nach den „Singestunden“, der rein praktischen, intuitiven Ausrichtung, ein „ernstzunehmendes“ Unterrichtsfach mit geisteswissenschaftlichem Anspruch und musikpädagogischer Konzeption werden. Alts Publikation „Didaktik der Musik- Orientierung am Kunstwerk“ (Düsseldorf 1968) stellt die erste in der BRD entworfene Musikdidaktik vor. Die musikwissenschaftliche und objektbezogene, d.h. auf das „musikalische Kunstwerk“ (dies sollte ein kontrovers diskutierter Begriff werden, was Michael Alt dazu veranlasste, den Untertitel „Orientierung am Kunstwerk“ 1973 zu streichen) bezogene Ausrichtung wurde dadurch erleichtert, dass durch die Verbreitung der Schallplatte nun ein Zugriff auf das gesamte Spektrum der Musik möglich geworden war, und dieses wollte Alt Schülern aller Alters- und Schulstufen näherbringen. Neben der „neuen Sachlichkeit“, der Betonung der musikwissenschaftlichen Herangehensweise, die zudem auch eine rezipierend- interpretierende sein sollte, war der didaktische Ansatz Alts geprägt von dem Bestreben, dadurch, dass jedem Schüler der Zugang zur Kunstmusik, nicht nur zur Volksmusik, ermöglicht werden sollte, eine Gleichheit der Bildungschancen im Fach Musik herzustellen. Die dem didaktischen Modell innewohnende Gefahr einer Überbetonung des Rational - Wissenschaftlichen zu Ungunsten des Künstlerisch - Schöpferischen wurde oft kritisch angemahnt.

Eine sich 1972 manifestierende Gegenströmung stellte die „Auditive Wahr­nehmungserziehung“ (Frisius, Fuchs, Günther, Gundlach und Küntzel) dar. Sie orientierte sich am geisteswissenschaftlichen Modell der Kommunikations-theorie, bezog sehr stark soziologische und politische Aspekte mit ein, was von Kritikern, die das Ästhetische zunehmend aus der Musikpädagogik verdrängt sahen, als Gefahr eingestuft wurde. Anstelle des musikalischen Kunstwerks wurden ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens von alltäglichen Klang-ereignissen ausgehende Schallerfahrungen sowie die kognitiven und kommunikativen Lernleistungen der Schüler gestellt. Für Karl Heinrich Ehrenforth barg dieser Versuch, die „angebliche historische Fixierung der Musikwissenschaften zu überwinden“1 die Tendenz der Orientierungslosigkeit durch eine die geschichtsphilosophische Reflexion ausblendende Gesellschafts-bezogenheit.2 Ein weiterer Vorwurf war, dass dieses didaktische Modell die affektive Komponente des Musikerlebens völlig ausklammere, ein „Konzept von Intellektuellen“3 sei. Es zog jedoch, obwohl heute als überholt geltend und lediglich als Lernfeld bzw. Unterrichtssequenz noch im heutigen Musikunterricht präsent, eine stärkere Beachtung kommunikativer Prozesse in der Musikpädagogik nach sich, erweiterte das Blickfeld über den zu behandelnden Unterrichtsgegenstand und dessen Auswahlkriterien hinaus auf das Unterrichtsgeschehen, die Position und das (vermeintliche) Interesse des Schülers, kann also als objekt- und subjektbezogenes musikdidaktisches Konzept eingestuft werden.

2. Zielsetzung der „Didaktischen Interpretation“

Gegen die in den siebziger Jahren vorherrschende Verwissenschaftlichung und den rein rationalen Zugang zur Musik wandte sich auf der fünften Bundestagung des Verbandes deutscher Schulmusiker 1975 in Mainz neben Musikpädagogen wie Bernhard Binkowski und Richard Jakoby auch Karl Heinrich Ehrenforth mit der Forderung, stärker den Menschen in das Zentrum des didaktischen Prozesses zu stellen. 1976 knüpfte Christoph Richter an diese Überlegungen an, er forderte eine „Humanisierung“4 des Musikunterrichtes, der jedoch nicht ausschließlich schülerorientiert sein sollte, sondern eine Balance finden sollte zwischen wissenschaftlich - reflexiver Erschließung von Musik und einer subjektiv - individuellen, auf die Persönlichkeitsentwicklung des Schülers ausgerichteten Erfahrung mit und durch Musik.

3. Formulierung der theoretischen Grundlagen durch Ehrenforth

In seiner 1971 veröffentlichten Schrift „Verstehen und Auslegen - die hermeneutischen Grundlagen einer Lehre von der didaktischen Interpretation der Musik“ stellt Karl Heinrich Ehrenforth die gedanklichen Grundlagen für ein musikdidaktisches Modell vor, dem ein verbal angeleitetes, rezipierendes, prozesshaftes Verstehen als Ideal zugrunde liegt. Ehrenforth prägt den Begriff „Didaktische Interpretation“, um diese spezielle Form der Interpretation auch begrifflich deutlich von der musikpraktischen, reproduktiven Interpretation in Konzertsaal oder Instrumentalunterricht sowie der wissenschaftlich-analytischen Interpretation, welche hauptsächlich in den Sprachwissenschaften betrieben wird, abzugrenzen. “Didaktische Interpretation“ meint laut Ehrenforth eine „verbale Hinführung zum rechten Verstehen von Musik, die vornehmlich den musikalischen Laien und seine Lern -, Sprach - und Erwartungsbedingungen im Auge hat.“5 Dies ist nicht als starres, klar definiertes Unterrichtskonzept gedacht, sondern eher als pädagogische Geisteshaltung oder Grundeinstellung, die überall dort, wo sich musikalische Laien bewusst mit Musik auseinandersetzen können - neben der Schule also ebenso gut in der Erwachsenenbildung, in Oper und Konzert als Werkeinführung oder im Rundfunk. Ziel der „Didaktischen Interpretation“ soll die Vermittlung zwischen Musik und Mensch sein, Ehrenforth spricht hier von einer „Begegnung“, einer „zirkelhaften Dialogstruktur mit dem Ziel der Horizontverschmelzung“6, wobei er sich auf die hermeneutische Theorie von Gadamer bezieht.

Die generelle Problematik der Vermittlung von Musik durch das Medium Sprache räumt Ehrenforth ein, hält das „verbreitete Unbehagen gegenüber dem Reden über Musik“7 für durchaus berechtigt, schätzt jedoch das Wort als Vehikel für diesen komplexen Verständnisprozess bei hinreichendem Problembewusst-sein des verbal zwischen Musik und Mensch Vermittelnden als angemessen ein. (Reflexive Prozesse kommen wohl generell kaum ohne Sprache aus.) Jedoch weist er ausdrücklich auf die Diffizilität der sprachlichen Interpretation hin, auf die großen Anforderungen, die diese an das Sprachvermögen, die verbale Ausdrucksfähigkeit des Lehrers oder Moderators stellt, denn dieser dürfe sich weder allein auf fachterminologische Begrifflichkeiten stützen, noch allzu verbrauchte, klischeehafte sprachliche Bilder verwenden, da beides nicht dazu führen würde, dass das angesprochene Individuum durch diese zu einem reflektiven sowie affektiven Dialog mit einem Musikstück angeregt werden könnte. Es gehe stets um die „Angemessenheit, nicht um Richtigkeit“8 sprachlicher Vermittlung, was wiederum dem Lehrer oder Moderator Spielraum für künstlerisch-pädagogische Kreativität lässt.

Entscheidend für die Ermöglichung des individuellen Dialoges mit der Musik ist laut Ehrenforth, den Zuhörenden dort „abzuholen, wo er nach Hörerwartung und Rezeptionsvermögen erwartet werden muß“9 Hier wird also deutlich nicht das musikalische Werk allein in den Mittelpunkt des Interesses bzw. des didaktischen Geschehens gestellt und wissenschaftlich erschlossen und erklärt, sondern die Musik soll in einen Lebenszusammenhang gestellt werden, sodass Berührungspunkte zwischen Leben und Musik hergestellt bzw. aufgezeigt werden und der Hörer so durch die Verknüpfung mit ihm vertrauten Lebenserfahrungen persönlich involviert wird, sich gedanklich und emotional auf den erwähnten Dialog mit der Musik einlassen kann.

4. Das zugrundeliegende hermeneutische Modell

Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff „Hermeneutik“ ein „wissenschaftliches Verfahren der Auslegung und Erklärung von Texten, Kunstwerken und Musikstücken“10, etymologisch zurückzuführen auf „hermeneus“ (griechisch Erklärer, Dolmetscher, Herold) oder „hermeneutike techne“ (Auslegungskunst). Die Hermeneutik hat allerdings einen historischen Bedeutungswandel, verbunden mit einer kontinuierlichen Ausweitung des Bedeutungsinhaltes, durchlaufen. Vom 17. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war sie in ihrer Anwendung auf akademische Texte beschränkt, eine Hilfsdisziplin der Theologie, Philosophie und Jurisprudenz. Durch Schleiermacher wurde sie im 19.

[...]


1 Karl Heinrich Ehrenforth, Das Verhältnis von Musikwissenschaft und Musikpädagogik, in: H. W. Höhnen (Hg.): „Entwicklung neuer Bildungsgänge für Lehrer der Sekundärstufen 1 und 2 im Fach Musik“, Regensburg, Mainz, 1978, S. 438.

2 Karl Heinrich Ehrenforth, Das Verhältnis von Musikwissenschaft und Musikpädagogik, S. 437, 438.

3 Martin Geck, Musikdidaktik in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 im Spiegel von Schulbuchkonzeptionen, in: Ritzel, F. Stroh, W.M. (Hg), Musikpädagogische Konzeptionen und Schulalltag. Versuch einer kritischen Bilanz der siebziger Jahre. Musikpädagogische Bibliothek. Bd.

31. Wilhelmshaven 1984, S.24, zitiert aus: Helmholz, Musikdidaktische Konzeptionen, S.39

4 Günther Noll, Bericht von der 11.Bundesschulmusikwoche in Düsseldorf 1976. in: Musik und Bildung, 8.Jahrgang, H.7/8 Mainz 1976, S.393.

5 Karl Heinrich Ehrenforth, Didaktische Interpretation von Musik, in: Sachwörter zur Musikpädagogik, Musik und Bildung, 4. Jahrgang 1979, S.250.

6 Ehrenforth, Didaktische Interpretation, S.251.

7 Ehrenforth, Didaktische Interpretation, S.250.

8 Ehrenforth, Didaktische Interpretation, S.252.

9 Ehrenforth, Didaktische Interpretation S.251.

10 Günther Drosdowski, Wolfgang Müller, Werner Schulze-Stubenrecht, Matthias Wermke (Hg.): Der Duden, Das Standardwerk zur deutschen Sprache, Mannheim 1990, S.306.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Didaktische Interpretation von Musik. Bildungsplan Baden-Württemberg
Hochschule
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V1184883
ISBN (eBook)
9783346616159
ISBN (Buch)
9783346616166
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interpretation von Musik, Didaktische Interpretation von Musik, Bildungsplan Baden-Württemberg, Baden-Württemberg
Arbeit zitieren
Kerstin Sieben-Kaiser (Autor:in), 2005, Didaktische Interpretation von Musik. Bildungsplan Baden-Württemberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1184883

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