Das Projekt der Konsequentialisierung deontologischer Moraltheorien. Eine kritische Diskussion der Ansätze von Foot und Portmore


Bachelorarbeit, 2021

31 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen der relevanten Ethiken
2.1 Grundlagen der deontologischen Ethik
2.2 Grundlagen der konsequentialistischen Ethik

3 Motivation für das Projekt der Konsequentialisierung

4 Rekonstruktion zweier Methoden der Konsequentialisierung
4.1 Rekonstruktion der Methode Philippa Foots
4.2 Rekonstruktion der Methode Douglas W. Portmores

5 Bewertung des Projekts der Konsequentialisierung

6 Schluss

1 Einleitung

In der philosophischen Disziplin der Ethik bestimmt seit Jahrzehnten vor allem das Spannungsfeld zwischen Vertretern der konsequentialistischen Ethik auf der einen Seite und denen der deontologischen Ethik auf der anderen Seite die Debatte. Während für die moralische Bewertung einer Handlung in der konsequentialistischen Ethik einzig und allein die Konsequenzen einer Handlung zählen, sind sie in der deontologischen Ethik entweder nicht oder zumindest nicht ausschließlich entscheidend. Doch lassen sich die Handlungsanweisungen dieser beiden ethischen Theorien wirklich immer so strikt voneinander trennen? Zu dieser Frage führte der Philosoph John Broome 1991 in „Weighing Goods“ den folgenden Gedanken aus:

„It is not clear where an act leaves off and its consequences begin. If you perform an act, one consequence will be that you have performed it. If you break a promise, one consequence will be that you have broken a promise, and the wrongness of promise breaking can be taken as a bad feature of this consequence. Teleology, in evaluating the consequences of promise breaking, can therefore take account of the wrongness of promise breaking itself. In this way, the intrinsic values of acts can be absorbed into teleology. […] Certainly, many values that have traditionally been classed as nonteleological can be brought under the umbrella of teleology taken this way. Of course, it means recognizing many sorts of good and bad besides the sorts recognized by the most traditional teleological theories – particularly by traditional utilitarianism. Breaking a promise must be taken as a bad thing in itself, quite apart from what anyone feels about it, and apart from the happiness, pleasure or pain that may result. Another example: the value of fairness can be recognized by teleology, provided unfairness is taken as a bad thing in itself, whether or not it makes the victim unhappy.”

- John Broome: Weighing Goods – Equality, Uncertainty and Time, Oxford 1991 (S. 3 ff.)

Unter anderem auf der Grundlage dieses Zitats wurde in den Jahren darauf eine bereits in den 80er-Jahren entstandene philosophische Debatte um die Frage befeuert, ob die Grenze zwischen deontologischer und konsequentialistischer Ethik wirklich so trennscharf ist oder ob eine liberalere Definition des Begriffs „Konsequenz“ es nicht erlauben würde, deontologische Positionen problemlos in die konsequentialistische Ethik aufzunehmen, da man die Tatsache, dass eine bestimmte Handlung ausgeführt oder ein bestimmter Wert verletzt wurde, letztlich einfach als Konsequenz einer Handlung bezeichnen und dann entsprechend bewerten kann. Philosophinnen und Philosophen wie Philippa Foot und Douglas W. Portmore entwickelten teils über Jahrzehnte hinweg ganze Methodiken mit Stufenschritten, wie ein solches Verfahren zur Konsequentialisierung aussehen könnte.

In dieser Bachelorarbeit setze ich mich auf der Grundlage dieser Diskussion mit der Frage auseinander, ob und inwiefern die Ergebnisse der moralischen Bewertung von Handlungen der konsequentialistischen Ethik je nach Enge oder Weite der Interpretation des Begriffs „Konsequenz“ faktisch dieselben wie die der deontologischen Ethik sein können, beispielsweise weil man auch die Tatsache, dass eine bestimmte Absicht verfolgt, eine bestimmte Handlung ausgeführt oder ein bestimmter Wert oder eine bestimmte Pflicht bzw. ein bestimmtes Recht verletzt wurde, als Konsequenz eben dieser Handlung werten kann, wie z.B. „Es wurde ein Versprechen gebrochen“ als Konsequenz eines gebrochenen Versprechens oder „Es wurde der Wert der Gerechtigkeit verletzt“ als Konsequenz einer ungerechten Handlung.

Zu diesem Zweck skizziere ich im im Anschluss folgenden zweiten Abschnitt als Grundlage für meine Ausführungen zunächst die Kernpunkte der deontologischen und dann die der konsequentialistischen Ethik. Im dritten Abschnitt erkläre und diskutiere ich dann die Gründe, die womöglich für den Versuch des Projekts der Konsequentialisierung deontologischer Moraltheorien sprechen könnten, wie z.B. die Intuitivität der deontologischen Ethik und die Einfachheit der konsequentialistischen Ethik. Dabei möchte ich u.a. die oft getätigte Annahme widerlegen, dass die deontologische Ethik die in jedem Fall im Vergleich zur konsequentialistischen intuitivere Ethik wäre, weil dies bei bekannten Fallbeispielen und Gedankenexperimenten wie z.B. der Notlüge oder dem Weichenstellerfall erfahrungsgemäß meist nicht der Wahrheit entspricht.

Auf der Grundlage dessen rekonstruiere ich im vierten Abschnitt zwei verschiedene einschlägige Methoden zur Konsequentialisierung der deontologischen Ethik, nämlich die aus den Zeitschriftenaufsätzen „Utilitarianism and the Virtues“ von Philippa Foot sowie „Consequentializing Moral Theories“ und „Consequentializing“ von Douglas W. Portmore, wobei die letzten beiden zumindest in Teilen auch eine Entgegnung auf den Ersten darstellen. Während Foots Methode darauf aufbaut, erst eine Rangliste von Handlungen entsprechend ihrer deontologischen Richtigkeit zu erstellen und davon ausgehend deren Auswirkungen zu ordnen, besteht Portmores Methode darin, zusätzlich auch eine Rangliste der möglichen Auswirkungen entsprechend ihrer deontologischen Richtigkeit zu erstellen und daraufhin einen Ausgleich zwischen den beiden Ranglisten herzustellen.

Im fünften Abschnitt diskutiere ich die zuvor rekonstruierten Theorien schließlich und bewerte auf dieser Grundlage abschließend, ob und inwiefern das Projekt der Konsequentialisierung erfolgsversprechend ist und wenn ja, welche Methode sich meines Erachtens am ehesten dafür eignet.

Dabei möchte ich u.a. ein Hauptaugenmerk auf die Kritik Portmores an Foots Methode und seinen Verbesserungsvorschlägen dazu legen sowie Portmores These widerlegen, dass eine Realisierung des Projekts der Konsequentialisierung nur mit einem sehr technischen und damit stark für Vorwürfe des ethischen Egoismus anfälligen Typ der konsequentialistischen Ethik möglich wäre, wenn man auf die Begründung des Konsequentialisierungsvorhabens achtet und sich von dem Gedanken löst, dass eine konsequentialisierte deontologische Ethik zwingend sämtliche vortheoretische Intuitionen des Menschen abbilden müsse.

Im Rahmen der Arbeit möchte ich grundsätzlich die These stützen, dass es eine Möglichkeit gibt, die deontologische Ethik mit konsequentialistischen Argumenten zu begründen und ihr so im Rahmen des Konsequentialismus Rechnung zu tragen.

2 Grundlagen der relevanten Ethiken

In diesem Abschnitt skizziere ich zunächst erst die wichtigsten Kernpunkte der deontologischen und dann die der konsequentialistischen Ethik, um eine Grundlage für den Aufbau meiner darauffolgenden Ausführungen zu haben.

2.1 Grundlagen der deontologischen Ethik

Grob gesagt orientiert sich die deontologische Ethik nicht oder nicht ausschließlich an Konsequenzen bei der moralischen Bewertung von Handlungen, sondern stattdessen an anderen Kriterien wie beispielsweise der Absicht des Akteurs, der Natur der Handlung selbst, moralischen Werten (z.B. Gerechtigkeit, Gleichheit und Wahrhaftigkeit), der Pflicht gegenüber Gott oder dem Staat (Frankena 1963, S. 15) oder den Rechten der von der Handlung betroffenen Lebewesen (z.B. Recht auf Freiheit, Recht auf Gleichheit, Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit). In dieser Ethik können einzelne Handlungen oder Handlungen bestimmter Arten somit intrinsisch und ungeachtet ihrer Konsequenzen als moralisch richtig oder falsch bewertet werden (Broad 1930, S. 206). Daraus entspringt dann z.B. das Kant’sche Verbot, zu lügen, oder die Pflicht, seine Versprechen zu halten. Bekannte Vertreter dieser Ethik sind beispielsweise Immanuel Kant und Sir W. D. Ross (Horster 2009, S. 34).

Zu unterscheiden ist zwischen monistischen deontologischen Theorien, deren Grundlage immer ein „ethische[s] Prinzip, das rational allgemein begründbar ist und uns einen universell anwendbaren Maßstab für die Beurteilung von moralischer Richtigkeit an die Hand gibt, also [ein] Prinzip, das selbst allgemein einsichtig ist und eine unbedingte Aufforderung enthält“ (Lutz-Bachmann 2013, S. 77), bildet, und bei denen somit die Konsequenzen gar keine Rolle spielen, und pluralistischen deontologischen Theorien, deren Handlungsanweisungen sich an mehreren Gesichtspunkten festmachen und bei denen auch Raum für die Betrachtung der Konsequenzen ist (Schmidt 2011, S. 45). Handlungen können dann zum einen auf der Grundlage moralisch bewertet werden, ob sie dem übergeordneten Prinzip bzw. den Gesichtspunkten entsprechen, und zum anderen auf der Grundlage, ob der Akteur sie auch aufgrund dieser Tatsache ausführt (Schroth 2003, S. 124).

Der bekannteste Vertreter der monistischen deontologischen Ethik ist Immanuel Kant. Sein Prinzip ist der Kategorische Imperativ. Demnach soll man sich bei einer möglichen Handlung zunächst ihre Maxime nehmen und sich vorstellen, jeder Mensch würde immer nach eben dieser Maxime handeln. Kommt man dann zu dem Ergebnis, dass die Handlung nicht mehr ausführbar, und die Maxime somit in sich widersprüchlich, wäre, und ihr Erfolg davon abhängt, dass alle anderen sie eben nicht ausführen, handelt es sich dabei um eine moralisch falsche Handlung, die nicht ausgeführt werden darf. Wäre sie hingegen noch ausführbar, handelt es sich im Gegenteil um eine moralisch richtige Handlung. Davon abgekoppelt ist bei Kant allerdings die Frage, ob der Akteur für seine Handlung auch Lob verdient hat. Das hängt davon ab, ob seine Maxime moralischen Gehalt hat – ob er die Handlung also auch nur deshalb ausführt, weil sie moralisch richtig ist, sie also „aus Pflicht“ ausführt. Tut er dies nicht, sondern beispielsweise aus egoistischen Gründen („kluger Kaufmann“), ist sie lediglich „pflichtmäßig“, seine Maxime hat keinen moralischen Gehalt und er hat kein Lob verdient. Die Handlung selbst bleibt aber auch dann moralisch richtig (Kant 1785, S. 8 ff.).

Die moralische Bewertung erfolgt hier also klar aufgrund eines einzigen Prinzips, das die Folgen der Handlung nicht berücksichtigt. Im Gegensatz dazu bestehen pluralistische deontologische Ethiken aus mehr als nur einem Prinzip und beziehen die Folgen einer Handlung ebenfalls in ihre Bewertung mit ein. Zu ihren Vertretern gehört Sir W. D. Ross. Ross definiert nicht nur eine Formel zur moralischen Bewertung von Handlungen, sondern ruft gleich eine ganze Reihe sog. „prima facie-Pflichten“ auf, zu denen seine Ethik in der Regel eine Handlungsanweisung gibt, nämlich die Treuepflicht, die Wiedergutmachungspflicht, die Dankbarkeitspflicht, die Gerechtigkeitspflicht, die Wohltätigkeitspflicht, die Selbstvervollkommnungspflicht und die Nichtschädigungspflicht. Handlungen, die mindestens einer dieser Pflichten entsprechen, werden als moralisch richtig bewertet, Handlungen, die sie verletzen, als moralisch falsch. Da diese Pflichten, wie man es vermuten würde, im Zweifel miteinander konkurrieren können, ist ihre Einhaltung jedoch nicht obligatorisch. Vielmehr können einzelne Pflichten durch andere Gesichtspunkte im Einzelfall aufgehoben werden (Ross 1930, S. 19 ff.).

2.2 Grundlagen der konsequentialistischen Ethik

Die konsequentialistische Ethik orientiert sich im Gegensatz zur deontologischen Ethik ausschließlich an Konsequenzen bei der Bewertung der moralischen Richtigkeit bzw. Falschheit von Handlungen. Sie folgt der Auffassung, dass eine Handlung dann und nur dann als moralisch richtig zu bewerten ist, wenn sie im Vergleich zu all ihren alternativen Handlungen diejenige ist, die zusammengerechnet die besten Folgen für die Betroffenen hervorbringt. Gleichzeitig ist eine Handlung moralisch falsch, wenn es eine andere, alternative Handlung gibt, die bessere Folgen hervorbringen würde. Dieses Prinzip kann in bestimmten Ausprägungen bedeuten, dass der Zweck die Mittel rechtfertigt, muss es aber nicht. Bekannte Vertreter dieser Ethik sind beispielsweise Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Peter Singer (Lutz-Bachmann 2013, S. 65 ff.).

Die Güte der Folgen einer Handlung bestimmt also die moralische Richtigkeit der Handlung. Woran sich diese Güte genau festmacht, ist aber auch unter Konsequentialisten nicht einheitlich definiert. In der Form des Utilitarismus ist eine Folge beispielsweise dann gut, wenn sie den Gesamtnutzen aller Betroffenen der Handlung maximiert. In der Unterform des hedonistischen Utilitarismus ist es diejenige Folge, die den Lustgewinn aller Betroffenen der Handlung maximiert bzw. den Leidgewinn minimiert (Horster 2009, S. 40 ff.). Auch hier kann man noch einmal differenzieren: Während Bentham einen eher quantitativen Hedonismus vertritt, der sich v.a. auf die Menge der in Aussicht gestellten Lust konzentriert (Bentham 1789, S. ii ff.), steht Mill für einen eher qualitativen Hedonismus, bei dem auch die Art der Lust eine Rolle spielt (Mill 1861, S. 395 ff.).

Ebenfalls unterscheiden muss man den Handlungsutilitarismus vom Regelutilitarismus und Präferenzutilitarismus. Während bei Benthams Form des Handlungsutilitarismus tatsächlich für jede einzelne Handlung entschieden wird, ob sie diejenige mit den besten Konsequenzen ist (Bentham 1789, S. ii ff.), werden beim ebenfalls von Mill eingeführten Regelutilitarismus, wie der Name schon sagt, Regeln für Handlungen aufgestellt, deren Befolgung üblicherweise die besten Konsequenzen erzeugen würde. Die Errichtung dieser Form hat den Hintergrund, dass sie auch in Situationen anwendbar ist, in denen möglichst schnell eine moralisch schwerwiegende Entscheidung getroffen werden muss und somit nicht genügend Zeit bleibt, erst alle Handlungsalternativen gegeneinander abzuwägen (Mill 1861, S. 401 ff.). Beim von Singer vertretenen Präferenzutilitarismus hingegen spielt die Lust-Leid-Bilanz keine Rolle mehr, sondern das Kriterium, dass eine moralisch richtige Handlung im Vergleich zu ihren alternativen Handlungen immer die meisten Wünsche ihrer Betroffenen erfüllen muss (Singer 1979, S. 94).

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Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Das Projekt der Konsequentialisierung deontologischer Moraltheorien. Eine kritische Diskussion der Ansätze von Foot und Portmore
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Bachelorarbeit
Note
1,8
Autor
Jahr
2021
Seiten
31
Katalognummer
V1185609
ISBN (eBook)
9783346617361
ISBN (Buch)
9783346617378
Sprache
Deutsch
Schlagworte
philosophie, ethik, philippa foot, douglas w. portmore, utilitarianism and the virtues, consequentializing moral theories, consequentializing
Arbeit zitieren
Jan André Wieland (Autor:in), 2021, Das Projekt der Konsequentialisierung deontologischer Moraltheorien. Eine kritische Diskussion der Ansätze von Foot und Portmore, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1185609

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