Diagnose Trisomie 21: Umgang mit der Diagnose, Postnataldiagnostik und die Frage nach Unterstützungsmöglichkeiten


Bachelorarbeit, 2020

67 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Verdachtsdiagnose Trisomie
2.1 Das Erleben der Verdachtsdiagnose
2.2 Das charakteristische Erscheinungsbild bei Trisomie

3. Diagnostik
3.1 Postnataldiagnostik
3.2 Cytogenetische Formen der Trisomie 21
3.2.1 Freie Trisomie 21
3.2.2 Translokations-Trisomie 21
3.2.3 Mosaik-Trisomie 21
3.2.4 Partielle Trisomie 21
3.3 Genetische Beratung
3.4 Echokardiographie
3.5 Gesundheitliche Einschränkungen
3.6 Entwicklung von Kindern mit Trisomie 21
3.6.1 Die kognitive Entwicklung
3.6.2 Die (non-)verbale Kommunikationsentwicklung
3.6.3 Die motorische Entwicklung

4. Umgang und Diagnosebewältigung
4.1 Die Situation der Eltern
4.2 Situation der Geschwister
4.3 Potenzielle Beziehungsbelastungen
4.3.1 Eltern-Kind-Beziehung
4.3.2 Beziehung der Eltern
4.3.3 Geschwisterbeziehung
4.3.4 Beziehungen zu Familie und Bekanntschaft
4.4 Stresstheoretische Perspektive
4.5 Krisenbewältigung
4.6 Ressourcen der Bewältigung
4.6.1 Das soziale Netzwerk

5. Frühförderung
5.1 Physiotherapie
5.2 Ergotherapie
5.3 Logopädie
5.4 Das Förderprogramm „Kleine Schritte“

6. Elternzentrierte Unterstützungsmöglichkeiten
6.1 Selbsthilfegruppen für betroffene Eltern
6.2 Arbeits- und sozialrechtliche Hilfen
6.3 Beratungsangebote
6.4 Therapeutische Unterstützung
6.5 Mobilisierung sozialer Unterstützung

7. Abschließendes Fazit

8. Abbildungen

9. Quellen- und Literaturverzeichnis
9.1 Bibliografie
9.1.1 Primärliteratur
9.1.2 Sekundärliteratur
9.2 Internetquellenverzeichnis
9.3 Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Jedes Jahr wird durchschnittlich eins von 800 Kindern mit Trisomie 21, der bei Neugeborenen häufigst angeborenen Chromosomenaberration, geboren (Wilken, 2009, S. 13). Bereits vor der Entbindung besteht die Möglichkeit im Rahmen der Pränataldiagnostik die Aberration zu diagnostizieren. Erste Hinweise können von Gynäkolog/innen im Rahmen der regulären pränatalen Untersuchungen identifiziert werden. Diese regulären Untersuchungen inkludieren bildgebende Verfahren wie beispielsweise die Durchführung einer Sonographie, die eine Beurteilung der Beschaffenheit der Nackenfalte des Kindes ermöglicht. Die Beschaffenheit der Nackenfalte kann einen ersten Hinweis auf eine potenzielle Trisomie 21 geben. Im Zuge dieser pränatalen Diagnostik erhalten Schwangere mit erhöhtem Risiko oder auf Wunsch die Möglichkeit, eine Blutuntersuchung durchführen zu lassen, welche auf chromosomale Aberrationen untersucht wird. Eine Amniozentese ermöglicht durch die Entnahme einer geringen Menge der Amnionflüssigkeit die Untersuchung der fetalen Zellen auf chromosomale Veränderungen (Heinrich, o.D.). Auch wenn die Ergebnisse der Untersuchungen sehr zuverlässig eine Trisomie 21 diagnostizieren können, geben die Ergebnisse keine eindeutige Sicherheit. Zudem lehnen manche Mütter pränatale Untersuchungen aus persönlichen Gründen vollkommen ab. Das Ergebnis einer Studie, bei der insgesamt 1118 Diagnostikfälle von Trisomie 21 gezählt wurden ergab, dass bei 396 Fällen die Diagnose pränatal und bei 772 Fällen postnatal gestellt wurde (Wilken, 2017, S. 21).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Ausgangslage jener Eltern, die postnatal von der Diagnose Trisomie 21, umgangssprachlich auch als Down-Syndrom bezeichnet, bei ihrem Neugeborenen erfahren. Die Diagnose führt zu erheblichen Belastungen und bedeutet eine Veränderung des bisherigen Lebensstils. Potenzielle physische, psychische und finanzielle Konsequenzen können die Belastungssituation zusätzlich steigern (ebd., S.30). Zu Beginn widmet sich die Ausarbeitung der Verdachtsdiagnose nach der Geburt, welche anschließend im Rahmen der Postnataldiagnostik gesichert wird. Der Ablauf dieser Diagnostik sowie ihre Bedeutung hinsichtlich der Entwicklung und Fähigkeiten stellt die Eltern vor erhebliche Herausforderungen und bedarf der Auseinandersetzung, Bewältigung und Findung des individuellen Umgangs mit der Diagnose und wird im darauffolgenden Teil der Arbeit betrachtet. Zu diesen Veränderungen zählen beispielsweise die Inanspruchnahme von Therapiemaßnahmen, welche im Kapitel „Frühförderung“ dargelegt werden. Abschließend werden die Unterstützungsmöglichkeiten, die den betroffenen Eltern für den Umgang sowie als Bewältigungshilfe zur Verfügung stehen, thematisiert und ein Fazit beschlossen. Das Ziel dieser Ausarbeitung soll die Beantwortung der Frage sein, welche Unterstützungsmöglichkeit Eltern für die Bewältigung der Diagnose und den Umgang mit dieser im Alltag erhalten.

2. Die Verdachtsdiagnose Trisomie 21

Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes von der Verdachtsdiagnose Trisomie 21 erfahren, erleben dies meist als traumatische Erfahrung (Wilken, 2009, S. 37). Die sonst typisch positiven Empfindungen nach der Geburt werden meist durch diesen Verdacht überschattet und bedeuten eine Konfrontation mit nicht geplanten Veränderungen für die Familie. Die Konfrontation mit dieser nicht vorhersehbaren Situation bedarf einer genauen Auseinandersetzung mit ihrer Bedeutung für die Eltern, da dies sich sonst negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann (Wilken, 2014, S.203). Mit den zukünftigen Veränderungen korrelieren auch Zukunftsängste, die sich durch Gefühle wie Trauer, Wut und Frustration manifestieren. Diese Gefühle und Befürchtungen müssen zunächst identifiziert und sich anschließend mit ihnen auseinandergesetzt werden. Dies stellt eine immense Herausforderung dar und bedarf der Akzeptanz, Motivation zur Lösungsfindung und Arrangements durch die Eltern (Wilken, 2009, S.38), was eine emotionale Verarbeitung durch eine gesunde psychische Stabilität voraussetzt. Diese Verarbeitung bedeutet auch einen Abschied der bisherigen Lebensvorstellungen (ebd., S.37), was einer persönlichen Lebenskrise gleichkommt. Die Bewältigung einer Lebenskrise stellt dabei einen individuellen Prozess dar, dessen Verarbeitung durch verfügbare Ressourcen der Eltern unterstützt werden kann. Eine postnatale Verdachtsdiagnose bedeutet eine zusätzliche Belastung, da den Eltern eine maßgeblich bedeutsame Zeit der Auseinandersetzung mit dem Gedanken eines Kindes mit Behinderung und die Vorbereitung auf diese Veränderung nicht mehr zur Verfügung steht. Zusätzlich fehlt den Eltern die bedeutsame Möglichkeit der bewussten Entscheidung für oder gegen das Kind und drängt die Eltern in eine neue elterliche Rolle. Dementsprechend muss der Verdacht der Trisomie 21 unter Berücksichtigung der elterlichen Lage mitgeteilt werden. Der Arzt sollte dementsprechend die Diagnose einfühlsam vermitteln und die Eltern dabei unterstützen, diese Konfrontation mit ihrer neuen Lebenssituation zu verarbeiten (Wilken, 2009, S.37). Die Mitteilung wird daher individuell den Bedürfnissen der Eltern angepasst und in einem geeigneten Rahmen durchgeführt. Zur Sicherung einer angemessenen Diagnosemitteilung sollte diese im Zuge einer genetischen Beratung erfolgen. Um das Erleben der Verdachtsdiagnose als Außenstehende ansatzweise nachvollziehen zu können, wird im folgenden Kapitel das Erleben der Verdachtsdiagnose anhand von Gesprächsausschnitten dargestellt. Das Gespräch wurde mit der Mutter Bettina F., welche unter dem Kriterium der eigenen Betroffenheit der Diagnose Trisomie 21 bei ihrem eigenen Kind ausgewählt wurde, durchgeführt. Das eigenständig durchgeführte Gespräch wurde aufgenommen und im Anschluss transkribiert. Um Bettina F. eine angenehme Gesprächssituation zu ermöglichen, wurden keine direkten Fragen gestellt, sondern ein freies Erzählen unter Berücksichtigung der Thematik ermöglicht. Bei Bedarf und Abschweifungen wurde das zweistündige Gespräch lediglich wieder in die thematisierte Richtung gelenkt.

2.1 Das Erleben der Verdachtsdiagnose

Nach der Geburt empfinden Eltern meist eine Vielzahl von positiven Gefühlen der Erleichterung und Freude und werden von den anwesenden Ärzt/innen, Hebammen und Pflegekräften zur Geburt beglückwünscht. Das Verhalten dieser Anwesenden bietet der Mutter eine Rücksicherung, dass keine Komplikationen vorliegen und können dadurch eine Erleichterung darstellen und somit die Gefühle der Eltern entscheidend beeinflussen. Ein ungewöhnliches Verhalten, wie beispielsweise Schweigen, kann die Mutter nach der Geburt verunsichern und Ängste bzgl. der Gesundheit des Kindes auslösen.

Bettina F. berichtet: „Nach einer komplikationslosen Geburt freute ich mich, dass das ganze anstrengende Prozedere nun vorüber war und ich endlich mein Kind in den Armen halten kann. Doch auf einmal war so ein Schweigen im Kreißsaal. Es war bedrückend, niemand sagte etwas und keiner schaute mich mehr direkt an. Da dachte ich nur: Oh da stimmt etwas nicht.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Ein konkreter Verdacht muss daher nicht geäußert werden, da die Mütter trotz der Überflutung von Hormonen die Stimmungswandlung im Kreißsaal unmittelbar wahrnehmen (Tamm, 2006, S. 22). Insbesondere wenn während der Schwangerschaft pränatale Untersuchungen in Anspruch genommen wurden, die spezifisch auf die Früherkennung chromosomaler Aberrationen ausgerichtet ist und diese Ergebnisse negativ ausfielen, kann die Geburt eines Kindes mit Trisomie 21 die Eltern zusätzlich erschüttern, da sie sich auf die Geburt eines gesundes Kindes eingestellt hatten.

Bettina F.: „Nach langem Schweigen, es war als wäre alles eingefroren, wurde mir mein Sohn auf die Brust gelegt. Da hörte ich eine der Schwestern zu einer anderen irgendwas mit Down flüstern. Da raunte eine Ärztin nur so etwas wie „jetzt nicht.“ Aber das konnte doch nicht sein, dachte ich. Ich war erst 32 Jahre alt und habe alle Voruntersuchungen machen lassen. Doch es war nie etwas auffällig. Es deutete wirklich nie etwas darauf hin, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Daher war ich einfach wie in einer Schockstarre und konnte mein Kind gar nicht so richtig wahrnehmen. Wir waren uns so sicher, dass alles in Ordnung sein musste, weil die Medizin und Technik ist doch so weit, da dachten wir, wir sind auf der sicheren Seite.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Infolge dieser aufkommenden Unsicherheit bzgl. des Verdachts entwickeln die Eltern durch ungenaue Aussagen immense Belastungen und Ängste, welche sich auf die psychische Gesundheit der Eltern und deren Beziehungsaufbau zu ihrem Neugeborenen auswirken können. Die Ablehnung eines Gesprächs von Seiten der Ärzte ist bei diesem Verdacht jedoch nicht selten, da manche Ärzte zunächst die Gewissheit durch die Chromosomenanalyse abwarten möchten (ebd., S. 23). Um den Eltern den Umgang mit der Verdachtsdiagnose zu erleichtern, sollte eine respektvolle, offene Kommunikation erfolgen und Transparenz ermöglicht werden. Auch die Kommunikation über den bloßen Verdacht unterstützt Eltern bei der Verarbeitung und ermöglicht ihnen zudem eine Vorbereitung auf den endgültigen Diagnosebefund.

Bettina F.: „ Auch auf Rückfragen kamen keinerlei genaue Antworten. Ich fragte noch ob mein Kind gesund sei und alles okay wäre. Da malt man sich ja dann die schlimmsten Horrorszenarien aus. Wird mein Kind überleben? Das ging mir durch den Kopf. Und ohne Erklärung erhielt ich plötzlich noch ein Einzelzimmer, obwohl das gar nicht vereinbart war. Ich hatte die ganze Zeit ein komisches Gefühl. Das sollte ein so schöner Moment sein, jedoch erinnere ich mich nur an meine Angst. Aber niemand erklärte mir irgendwas. Ich stand da leider vollkommen alleine da.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Neben den Müttern überfordert diese Diagnose auch die Väter. Ein umfängliches Einbeziehen des Vaters in alle Gespräche ist daher dringend erforderlich. Die Väter stehen vor der Aufgabe ihre Partnerin zu unterstützen, sind jedoch meist selbst nicht in der Lage den Verdacht zu verarbeiten und meist aufgrund fehlender Kommunikation verunsichert.

Bettina F.: „ Mein Mann war nicht bei der Geburt dabei, also hatte er nicht das Geflüster mitbekommen, aber ihm fiel beim Tragen die Augen auf, sie sahen anders aus. Zwar versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, aber man merkt ja wenn jemand sich nicht von ganzem Herzen freuen kann. Er hatte eine Vermutung, jedoch teilte er sie mir nicht mit, da er nicht wusste was das Richtige war. Später sagte er mir, dass er sehr verunsichert war und mich nicht mit irgendwelchen Vermutungen belasten wollte und dachte, dass die Ärzte mir das wohl besser erklären könnten, falls da wirklich was dran sei.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Nach den ersten Untersuchungen nach der Entbindung erhalten Mütter die Möglichkeit, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen und eine Beziehung zueinander aufzubauen. Jedoch wird diese Gelegenheit betroffener Eltern meist geprägt von der akuten Krisensituation. Statt des Kennenlernens wird das Aussehen des Neugeborenen analysiert und nach Anhaltspunkten, die für oder gegen die Verdachtsdiagnose sprechen würden, geprüft. Der primäre Aufbau einer Beziehung wird erschwert und rückt zunächst in den Hintergrund.

Bettina F.: „In der Zeit, welche mir nach der Geburt gegeben wurde, konnte ich an nichts außer die geflüsterten Worte der Schwester denken. Da wurde mir dann langsam bewusst, dass das wohl die Diagnose war, die ich gehört habe. Da musste ich dann doch weinen. Auch die Ungewissheit und die Wortkargheit der Ärzte waren eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichtet hätte, da hatte man sich nur mit dem, was sein könnte, beschäftigt und nicht einfach mal den Moment genießen können.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Die ersten gemeinsamen Momente als Familie und die Erfahrungen mit der Verdachtsdiagnose wirken sich auf die Einstellungsentwicklung der Eltern, hinsichtlich einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit der neuen Lebenssituation und den zugehörigen Herausforderungen, aus (Wilken, 2017, S. 28). Mit der Mitteilung einer Verdachtsdiagnose sind Ärzte meist reserviert und warten zunächst die Sicherstellung des Verdachts durch die Chromosomenanalyse ab (Tamm, 2006, S. 23). In Diskrepanz zu dieser Gewissheit durch die Analyse wünschen sich die Eltern eine zügige Besprechung des Verdachts um sich anschließend mit dieser auseinanderzusetzen. Die Mitteilung der Verdachtsdiagnose erfolgt daher zunehmend von den Geburtshelfer/innen (ebd., S. 38), welche häufiger mit den einhergehenden Belastungen der Eltern in Kontakt kommen und dementsprechend emphatisch reagieren.

Bettina F .:„Vor lauter Verzweiflung habe ich dann sogar die Nachtschwester gefragt. Sie bestätigte mir, dass ein Verdacht auf das Down-Syndrom vorliegt. Kein Arzt und auch keine Hebamme kam zu mir, um mir das zu sagen. Die Ärzte redeten von einer Chromosomenanalyse und sonst nur wirres Zeug, das hat mich zusätzlich verunsichert. Im Nachhinein muss ich sagen: Man sieht es ihm schon an, auch schon damals so rückblickend betrachtet. Das hätten die Ärzte uns doch einfach sagen können. Das wäre alles besser gewesen, als diese Ungewissheit.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Die Gefühle nach der Verdachtsäußerung sowie nach der Diagnose stellen ein traumatisches Erlebnis dar, welches nicht direkt realisierbar ist und Eltern darin blockiert, zusätzliche Informationen aufnehmen und verarbeiten zu können (Selikowitz, 1992, S. 14). Nach dieser innerlichen Regungslosigkeit durch das Schockerlebnis tritt häufig eine Ungläubigkeit ein, welche sich durch Abtun des Verdachts als Fehldiagnose äußert. Obgleich die Diagnose geleugnet wird, treten Gefühle der Trauer und Enttäuschung in den Vordergrund. Die Eltern betrauern den Verlust ihres erwarteten Kindes und nehmen Abschied von ihrem bisherigen Lebensplan, welcher nicht voll umfänglich realisierbar wird (Selikowitz, 1992, S.15). Der Zeitraum bis zur Gewissheit durch das Ergebnis einer Chromosomenanalyse kann für die Eltern sehr nervenaufreibend und kräftezehrend sein. Mit dem Nachweis einer Trisomie durch die Chromosomenanalyse erhalten die Eltern eine endgültige Gewissheit. Die Mitteilung wird individuell wahrgenommen und kann nicht nur als Enttäuschung empfunden werden, sondern auch als eine Entlastung (Retzlaff, 2010, S. 45), da es den Eltern den Anfang der Verarbeitung ermöglicht und sich auf die Behinderung des Kindes eingestellt werden kann.

Bettina F.: „Wir haben dann nach einer Woche einen Brief bekommen und dann stand da einfach die Diagnose Mosaik-Trisomie 21 drinnen. Kein Arzt hat uns das mitgeteilt, da gab es nur meinen Mann und mich. Kein Infoblatt. Da sitzt du dann erstmal da und hast das Gefühl du wirst nochmal erschlagen. Es war ein Schock. Da gehen dann ganz viele Dinge durch den Kopf, die man vorher verdrängt hatte. Du weißt plötzlich: Du hast ein behindertes Kind. Du hast ein Sorgenkind. Du weißt nur Down-Syndrom aber nicht ansatzweise, was da alles dahintersteht. Was, wenn das Kind doch einen Herzfehler hat? Was bedeutet das? Doch gleichzeitig war es echt eine Last, die abfiel. Man wusste endlich Bescheid. Man kann endlich etwas tun und nicht mehr untätig rumsitzen und warten.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Eine entscheidende Rolle für das Erleben und Verarbeiten der Diagnosemitteilung stellt die Art und Weise dar, wie über das Neugeborene und seine Behinderung gesprochen wird, welche Informationen mitgeteilt werden und inwiefern die Fragen und Ängste der Eltern miteinbezogen werden (Wilken, 2017, S. 28). Dementsprechend sollte die Diagnosemitteilung in einem geeigneten Rahmen, beispielsweise einer genetischen Beratung, erfolgen und keineswegs durch einen Befundbericht.

Bettina F .: „Im Nachhinein fand ich es gut, dass die Ärzte nicht direkt bei der Geburt oder fünf Minuten später etwas gesagt haben. Den Kommentar hätten sie sich doch einfach verkneifen können. Das gab uns die Möglichkeit, doch erstmal unser Kind kennenzulernen, ohne den Fokus auf das Down-Syndrom zu legen. Auch, wenn der Verdacht im Raum stand und einen beschäftigte, war es doch ein schönes Ankommen, rückblickend betrachtet. Anders hätte ich mir jedoch die endgültige Diagnosemitteilung gewünscht, da war man richtig allein gelassen worden.“ [selbstständige Transkription des Gesprächs mit Bettina F., einer betroffenen Mutter, vom 19.08.2020]

Verständlicherweise sollte das Diagnoseergebnis in einem Gespräch mit dem zuständigen Arzt mitgeteilt und den Eltern somit ermöglicht werden, Fragen und Unsicherheiten zu thematisieren. Auch erste wichtige Informationen bzgl. der Anlaufstellen sollten hier mitgeteilt werden.

2.2 Das charakteristische Erscheinungsbild bei Trisomie 21

Kinder mit Down-Syndrom besitzen ein charakteristisches Erscheinungsbild, welches bei Betrachtung des Neugeborenen eine Verdachtsdiagnose ermöglicht. Auch die Eltern sind durchaus in der Lage, das ungewöhnliche Aussehen zu erkennen, jedoch fällt die Einordnung jener Erscheinungsmerkmale schwer. Anwesende Ärzt/innen und Geburtshelfer/innen sind durch ihre Ausbildung sowie Erfahrung darin geschult, die spezifischen Erscheinungsmerkmale zu erkennen und einzuordnen. Anhand dieser Merkmale können diese zügig eine Verdachtsdiagnose stellen. Die Ausprägung der Trisomie 21 und seines Erscheinungsbildung korreliert mit deren cytogenetischer Form und somit mit dem Verhältnis der di-somen zu den trisomen Zellen (Wilken, 2005, S. 13). Der Schädel zeichnet sich durch einen deutlich abgeflachten Hinterkopf aus und lässt die Stirn schmal erscheinen. Aufgrund dieser Form wirkt das Gesicht zusätzlich breiter und abgeflacht und erweckt den Anschein nicht vollständig entwickelt zu sein. Die Augenpartie zeichnet sich durch eine deutlich ausgeprägte Lidfalte sowie einer schrägen Lidachsenstellung aus, während die Augen meist weit auseinander stehen (Wilken, 2009, S. 174). Die Nase erscheint breiter und flacher als bei Kindern ohne Trisomie, dagegen die Nasenspitze spitzer und kann je nach Ausprägung der Trisomie unterentwickelt erscheinen. Aufgrund der meist für den Mundraum zu großen Zunge kann der Mund teilweise nicht richtig verschlossen werden und steht dementsprechend leicht offen (ebd., S. 174). Die Lippen wirken schmaler und nach unten gebogen. Dieser Eindruck wird durch den hervorstehenden Oberkiefer verstärkt. Die Beschaffenheit der Nackenfalte, welche bereits bei einer Sonographie erkennbar ist, kann auch nach der Geburt festgestellt werden. Die Gliedmaßen und der Hals wirken vergleichsweise zum Körper verkürzt (Havemann, 2013, S. 71). Die Gelenke zeichnen sich durch eine übermäßige Beweglichkeit aus (Unruh, 1998, S. 37). Obgleich alle Kinder mit Down-Syndrom spezifische Merkmale aufweisen, fällt ihr Aussehen dennoch individuell aus (ebd., S. 37). Dieses charakteristische Erscheinungsbild ermöglicht eine Verdachtsdiagnose der Trisomie 21 nach der Geburt, jedoch muss zur endgültigen Diagnosestellung eine Chromosomenanalyse durchgeführt werden.

3. Diagnostik

Anlässlich der Verdachtsdiagnose wird nach der Entbindung im Rahmen der Postnataldiagnostik eine Chromosomenanalyse durchgeführt, welche den Verdacht be- oder widerlegen kann. Sofern sich der Verdacht bestätigt, erfolgt eine genetische Beratung. Die Beratung thematisiert die vorliegende cytogenetische Form der Trisomie sowie ihre Bedeutung und ggf. die Notwendigkeit einer chromosomalen Untersuchung der Eltern. Auch weitere mit der Trisomie verbundene Schwierigkeiten in der Entwicklung und der Gesundheit des Kindes sowie deren Auswirkungen werden erläutert und die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Fördermaßnahmen sowie Unterstützungsmöglichkeiten dargelegt.

3.1 Postnataldiagnostik

Zur klinischen Sicherung der Verdachtsdiagnose wird eine Karyotipisierung durchgeführt. Von der Einsendung der Probe bis zur Ergebnismitteilung nimmt dies durchschnittlich ungefähr zwei bis drei Wochen in Anspruch. Nach dem Aufkommen der Verdachtsdiagnose wird in einem gemeinsamen Aufklärungsgespräch mit den betroffenen Eltern das genaue Vorgehen der Analyse besprochen und geplant. Für die Probenentnahme und Durchführung der Chromosomenanalyse ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Sorgeberechtigten notwendig. Die Einverständniserklärung muss von den Eltern nicht eigenständig aufgesetzt, sondern kann durch ein verfügbares Einverständnisformular eingereicht werden. Die Erklärung sollte die Verdachtsdiagnose beinhalten (Down-Syndrom im Kindes- und Jugendalter, 2016, S. 15). Zur Durchführung der Analyse wird dem Neugeborenen eine geringe Menge peripheren Bluts entnommen und an ein humangenetisches Labor gesendet. Die teilungsfähigen Zellen werden aus dem Blut extrahiert, anschließend gezüchtet und zur Teilung angeregt (Tamm, 2006, S. 46). Die während der Teilung sichtbar gewordenen Chromosomen werden gefärbt und sortiert (ebd., S. 46). Die Sortierung erfolgt nach gewissen Kriterien und wird abschließend auf ein Karyogramm geklebt und beurteilt.

Das Ergebnis wird den Eltern in einem persönlichen Beratungsgespräch mitgeteilt und kann je nach diagnostizierter cytogenetischer Form weitere Analysen in den Fokus rücken lassen. Vor allem bei der Diagnose einer Translokations-Trisomie sollten weitere chromosomale Untersuchungen durchgeführt werden. Eine Translokations-Trisomie 21 kann sich bei einem Nachweis einer balancierten Translokation erblich auf weitere Kinder der betroffenen Eltern auswirken und sollte daher durch eine zytogenetische Untersuchung beider Elternteile beurteilt werden (Wilken, 2009, S. 172).

Die postnatale Chromosomenanalyse ermöglicht den Eltern eine endgültige Sicherheit und ist gleichzeitig die Voraussetzung für eine genetische Beratung, wobei weitere Analysen angesprochen werden können.

3.2 Cytogenetische Formen der Trisomie 21

Die unterschiedlichen cytogenetischen Formen der Trisomie 21 werden in der Beratung thematisiert, da sich bestimmte Formen auf das Wiederholungsrisiko einer erneuten Trisomie bei einem weiteren Kind der betroffenen Eltern auswirken kann. Dies ist vor allem für Eltern, die sich weitere Kinder wünschen oder bereits weitere Kinder haben von besonderem Interesse. Unterschieden wird zwischen vier verschiedenen Formen der Trisomie, welche im Folgenden erläutert werden.

3.2.1 Freie Trisomie 21

Die freie Trisomie ist die häufigste Form der Trisomie 21, welche bei rund 92 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom diagnostiziert wird (Wilken, 2009, S. 13). Diese Form entsteht überwiegend bei der ersten Reifeteilung der Keimzellen. Jedoch kann diese meotische Non-Disjunction auch in der zweiten Reifeteilung erfolgen (Wilken, 2019, S. 19). Bei der Halbierung des elterlichen Erbguts während der Meiose kommt es zur Non-Disjunction, welche die Teilung des Chromosomenpaares 21 verhindert (Hofman, Hofmann & Stengel-Rutkowksi, 1998, S. 56). Bei der darauffolgenden Verschmelzung des jeweiligen Chromosomensatz der Elternteile verschmelzen das nicht geteilte Chromosom 21 des einen Elternteils mit einem geteilten Chromosom 21 des anderen Elternteils und liegt somit trisom vor. Die chromosomale Aberration entsteht mit rund 90 bis 95 Prozent auf Seiten der Mutter und bei rund 5 bis 10 Prozent auf Seiten des Vaters (Wilken, 2019, S. 14). Nach der Zellteilung liegt bei dieser Form der Trisomie das Chromosom 21 in allen Zellen des Körpers trisom statt disom vor. Insgesamt können 23 plus 24, also insgesamt 47 statt 46 Chromosomen in den Zellen nachgewiesen werden (Tamm, 2006, S. 15). Die freie Trisomie ist nicht erblich bedingt, jedoch liegt ein erhöhtes Risiko für ein weiteres Kind mit Trisomie 21 vor (Wilken, 2019, S. 19). Das Risiko des Auftretens einer Trisomie ist bei den späteren Kindern der Geschwister nicht erhöht. Im Rahmen der genetischen Beratung sollten Unsicherheiten sowie jegliche Vor- und Nachteile weiterer Schwangerschaften bzgl. des erneuten Auftretens dieser chromosomalen Aberration erörtert werden.

Die Translokations-Trisomie 21 ist bei 5 Prozent der Kinder mit Trisomie 21 vorzufinden (Wilken, 2009, S. 19) und stellt eine vergleichsweise seltene Form der Trisomie 21 dar. Bei Translokations-Trisomie liegen das Chromosom 21 (wie bei der freien Trisomie) trisom vor. Entgegen der freien Trisomie liegt das Chromosom 21 nicht frei, sondern ist an ein weiteres Chromosom angeheftet. Das zusätzliche Chromosomen(-teil) ist überwiegend an die Chromosomengruppe D, zu welchem die Chromosomen 13, 14 und 15 zählen, oder an die Chromosomengruppe G, welche die Chromosomen 21 und 22 beinhalten, angeheftet (Tamm, 2006, S. 16). Diese Form der Trisomie entsteht meist spontan, kann jedoch auch erblich bedingt auftreten. Bei einem spontanen Auftreten der Translokation wird von einer unbalancierten Translokations-Trisomie gesprochen. Bei einem spontanen Auftreten liegt kein erhöhtes Wahrscheinlichkeitsrisiko für ein erneutes Auftreten der Trisomie bei weiteren Kindern betroffener Eltern vor (Schwinger, 1992, S.33). Bei einer balancierten Translokation dagegen besteht ein erhöhtes Risiko für das erneute Auftreten einer Trisomie 21. Auch die weiteren Geschwister des Kindes mit Trisomie 21 sollten sich einer Analyse unterziehen, um ein erhöhtes Risiko für ihren eigenen Nachwuchs ausschließen zu können. Die Wahrscheinlichkeit für das erneute Vorkommen der balancierten Translokation liegt bei 10 Prozent, wenn der weibliche Elternteil die Trägerin des zusätzlich angehefteten Chromosoms 21 ist. Väterlicherseits liegt die Wahrscheinlichkeit für das erneute Vorkommen der Aberration bei rund 3 Prozent (Tamm, 2006, S. 18). Bei der Diagnose einer Translokation muss durch eine zusätzliche Chromosomenanalyse beider Eltern das Vorhandensein einer balancierten oder unbalancierten Form der Translokation festgestellt werden (Wilken, 2009, S. 172). Diese erneute Ungewissheit bis zur Mitteilung der Translokationsform kann die Eltern zusätzlich belasten, vor allem wenn noch weitere Kinder geplant waren oder das Kind mit Trisomie das Erstgeborene ist.

3.2.3 Mosaik-Trisomie 21

Die Mosaik-Trisomie 21 wird bei rund eins bis drei Prozent der Kinder mit Down-Syndrom diagnostiziert und stellt ebenfalls eine seltenere Form der Trisomie dar (Wilken, 2019, S. 14). Diese cytogenetische Form entsteht gleich den anderen Trisomien während der Zellteilung durch eine Non-Disjunction. Die Besonderheit dieser Trisomie-Form ist das Vorliegen von disomen neben dem trisomen Chromosomen 21 in den Zellen (Wilken, 2017, S. 19) und resultiert aus dem Verlust eines der trisomen Chromosomen. Die exakte Entstehung der Mosaik-Trisomie ist bisher nicht vollständig erforscht (Tamm, 2006, S. 19). Die Ausprägung der Trisomie hängt bei der Mosaik-Trisomie vom Verhältnis der trisomen zu den disomen Zellen sowie den betroffenen Bereichen ab (Wilken, 2017, S. 15). Im Falle einer geringeren Ausprägung des charakteristischen Erscheinungsbildes des Neugeborenen können die Eltern nach der Geburt verunsichert sein, da eine direkte Einordnung aufgrund der Merkmalen nicht möglich ist.

Die vierte Form der Trisomie, die partielle Trisomie 21, kommt äußerst selten vor und bleibt daher häufig unerwähnt. Die partielle Trisomie wurde weltweit weniger als hundertmal diagnostiziert (T21- Referat, 2013). Bei der partiellen Form liegt das Chromosom 21 disom vor. Ein Abschnitt von einem der beiden Chromosomen 21 kommt doppelt vor, sodass dieser Abschnitt trisom vorliegt (Was ist Trisomie 21, 2019).

Im Anschluss der Chromosomenanalyse erhalten die Eltern eine genetische Beratung, welche durch § 10 Abs.1 des Gendiagnostikgesetzes gesichert wird (Down-Syndrom im Kindes- und Jugendalter, 2016, S. 15). Der/die zuständige Arzt/Ärztin führt die Beratung persönlich in einem vertraulichen Rahmen ohne Anwesenheit Unbeteiligter durch. Auf Wunsch der Eltern kann eine Vertrauensperson am Gespräch teilnehmen (ebd., S. 17). Nach § 10 Abs. 3 kann bei Bedarf auch ein Psychologe zum Gespräch hinzugezogen werden (ebd., S.17).

Die genetische Beratung wird zeitlich nicht begrenzt und bietet den Eltern somit die Gelegenheit, sich ohne zeitlichen Druck mit der Diagnose auseinander zu setzen und relevante Themen anzusprechen. Gesetzlich sind einige Themenbereiche in der Beratung verpflichtend zu thematisieren. Zu diesen verpflichtenden Themen zählen die Sicherheit des Befundes der Chromosomenanalyse und die Entstehung der Trisomie 21 (ebd., S. 18). Weiterhin werden Themen bzgl. des erhöhten Erkrankungsrisikos bei Kindern mit Down-Syndrom thematisiert und die potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten besprochen, womit den betroffenen Eltern ein realistisches Bild der zu erwartenden Entwicklungsperspektive ihres Kindes gegeben werden soll.

Bei der Diagnose einer Translokations-Trisomie soll zusätzlich auf die Empfehlung einer Chromosomenanalyse beider Eltern hingewiesen werden (ebd., S. 18). Im weiteren Verlauf ist es empfehlenswert auf die Unterstützungsmöglichkeiten und Anlaufstellen für die Eltern einzugehen sowie weiteres Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen (ebd., S. 18). Das Eingehen auf weitere Beratungsangebote hat einen erheblichen Einfluss auf die elterliche Anpassung und kann der Gefahr einer Traumatisierung nach der Diagnosemitteilung entgegenwirken (Sarimski, 2017, S. 377). Weitere Themen und Inhalte können auf Wunsch der Eltern besprochen werden.

Mithilfe der Beratung soll es den Eltern ermöglicht werden zielgerichtet nach der Diagnosemitteilung eine zielgerichtete Perspektive einzunehmen, die sie aus ihrer Handlungsunfähigkeit, die meist empfunden wird, zu führen.

3.4 Echokardiographie

Besonders häufig kommen Kinder mit Trisomie 21 mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt. Betroffen sind hiervon rund 44 bis 58 Prozent der Kinder mit dieser Chromosomenaberration (Wilken, 2019, S. 31). Angesichts dieser erhöhten Wahrscheinlichkeit wird eine vollständige eckokardiografische Untersuchung zeitnah nach der Entbindung durchgeführt. Insgesamt sind rund 60 Prozent der Herzfehler bei einer Trisomie auf einen atrioventrikulären Septumdefekt zurückzuführen (Reichert, 1990, S. 65) und zeichnet sich durch eine Fehlbildung der Herzscheidewand aus. Auch weitere Herzvitien wie beispielsweise eine Fallot-Tetralogie, sowie ein isolierter Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp sind möglich (Down-Syndrom im Kindes- und Jugendalter, 2016, S. 28). Bei der Durchführung einer eckokardiografischen Untersuchung in der ersten Woche nach der Entbindung erfolgt eine erneute Eckokardiographie nach der vollständigen Ausbildung des Herz-Kreislaufsystems des Kindes (ebd., S. 28). Unabhängig vom Nachweis eines angeborenen Herzfehlers werden weiterhin konstant kardiologische Untersuchungen durchgeführt, um eine pulmonal-arterielle Hypertonie rechtzeitig zu erkennen (ebd., S. 29). Je nach Schwere des Herzfehlers kann sich dieses Herzvitium durch eine mangelnde Ausdauer negativ auf die Entwicklung auswirken (Bruni, 2002, S. 31) und je nach Schwere des Herzvitiums eine Operation erfordern (Sarimski, 2014, S. 229). Mithilfe eines herzchirurgischen Eingriffs kann den Defekten entgegengewirkt und das Kind stabilisiert werden, sowie die Lebenserwartung des Kindes begünstigen (Reichart, 1990, S. 77). Im Rahmen der genetischen Beratung wird die Möglichkeit einer angeborenen Strukturbesonderheit des Herzens thematisiert und die damit verbundenen Risiken sowie Möglichkeiten dargelegt.

3.5 Gesundheitliche Einschränkungen

Mit der Chromosomenanomalie sind eine Reihe von potenziellen gesundheitlichen Einschränkungen verbunden. Rund 80 Prozent der Kinder mit Trisomie 21 sind von charakteristischen, aber auch davon unabhängigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen (Wilken, 2017, S. 63). Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden aufgrund des inhaltlichen Rahmens dieser Ausarbeitung im Wesentlichen zusammengefasst. An dieser Stelle muss daher betont werden, dass auch noch weitere Beeinträchtigungen potenziell auftreten können.

Hör- und Sehbeeinträchtigungen werden bei Kindern mit Trisomie häufig diagnostiziert. Die Sehbeeinträchtigungen schränken die frühkindliche motorische Entwicklung stark ein und können diese auf Dauer erheblich beeinflussen. Bei 50 Prozent der Kinder wird eine Kurzsichtigkeit und bei rund 20 Prozent eine Weitsichtigkeit festgestellt (Gerbatsch, 2002, S. 7). Für diese charakteristischen Sehbeeinträchtigungen werden spezielle Brillen angefertigt, die bereits für Neugeborene geeignet sind und somit die motorische Entwicklung des Kindes frühestmöglich begünstigen. Eine regelmäßige, altersorientierte Kontrolle der Sehschärfe ist die grundlegende Voraussetzung zur Sicherstellung einer optimal angepassten Sehhilfe. Eine potenzielle Hörbeeinträchtigung kann zudem die Laut- und Sprachentwicklung erheblich beeinflussen (Giel, 2012, S. 11). Da Säuglinge mit Trisomie 21 meist verlangsamt und weniger deutlich auf Reize reagieren, gestaltet sich diese Diagnose meist erschwert. Bei der Diagnose einer Schallleistungsstörung ist die Unterstützung des Gehörs durch ein Hörgerät eine zentrale Grundlage zum Erlernen der Lautsprache (ebd., S. 13) Neben der Hörbeeinträchtigung kommt es häufig auch zu Erkrankungen des Ohrs, welche sich zusätzlich auf die Leistung des Gehörs auswirken können. Bei 50 bis 70 Prozent der Kleinkinder mit Trisomie kommt es zu wiederkehrenden Mittelohrentzündungen (Hammersen, 2017, S. 206 f.). Die Entzündung wird meist recht spät festgestellt, da Kinder mit Trisomie ein reduziertes Schmerzempfinden aufweisen. Die Entzündung wird dagegen durch andere Anzeichen, wie dem häufigen Anfassen des Ohres, verdeutlicht (Giel, 2012, S. 13). Bei ersten Anzeichen sollten Eltern nicht zögern potenzielle Entzündungen frühzeitig von einem HNO-Arzt abklären zu lassen. Weitere Hörbeeinträchtigungen können sich durch eine Flüssigkeitsansammlung hinter dem Trommelfell entwickeln und durch eine Parazentese behoben werden (ebd., S. 13). Hierfür wird mithilfe eines schmalen Schnitts in das Trommelfell und ggf. dem operativen Einsetzen eines Paukenröhrchens das Ablaufen des Sekrets ermöglicht (ebd., S. 13).

Darmerkrankungen, wie beispielsweise eine Zöliakie, treten bei 7 bis 16 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom auf (Sarimski, 2014, S. 229). Veränderungen des Magen-Darm-Trakts, dazu zählen auch Verschluss der Speiseröhre oder Erkrankungen des Dickdarms wie Morbus Hirschsprung, werden häufiger bei Kindern mit dieser chromosomalen Aberration festgestellt (Down-Syndrom im Kinder- und Jugendalter, 2016, S. 37). Nach der Feststellung von Morbus Hirschsprung ist eine Operation erforderlich.

Aufgrund der oralen Anatomie, die sich durch eine schmale Mundhöhle mit einer vergleichsweise großen Zunge auszeichnet, kann es zu Schwierigkeiten des Mundschlusses kommen. In Verbindung mit der charakteristischen Hypotonie kann dies zu einer oralen Dysfunktion führen, welche einer spezifischen Behandlung bedarf (Sarimski, 2014, S. 229).

Des Weiteren können vor allem im Kleinkindalter Störungen der Schilddrüsenfunktion und Erkrankungen der Atemwege, beispielsweise Lungenentzündungen, auftreten (Down-Syndrom im Kinder- und Jugendalter, 2016, S. 19). Eine Hypothyreose wird bei 5 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom diagnostiziert und kann die kognitive Entwicklung des Kindes beeinträchtigen sowie zu irreversiblen Schäden führen (ebd., S. 19). Unter einer Hypothyreose wird eine mangelhafte Versorgung mit Schilddrüsenhormonen verstanden.

Aufgrund dieser Vielfalt an potenziellen gesundheitlichen Einschränkungen verlangt es einer genauen Diagnostik und einer zielgerichteten Therapie, um die Erkrankungen erfolgreich zu behandeln sowie potenziellen Folgebeeinträchtigungen und -schäden entgegenzuwirken. Diese Vielzahl potenzieller Erkrankungen kann Eltern sehr verunsichern und beängstigen, jedoch werden mithilfe heutiger Maßnahmen immense Behandlungserfolge erzielt und unerwünschten Folgeerscheinungen der Erkrankungen entgegenwirkt. Trotz anfänglicher Unsicherheiten sollten Eltern auf ihre Instinkte vertrauen, um Anzeichen von Erkrankungen frühestmöglich und erfolgreich zu deuten und somit auch Selbstsicherheit bzgl. der gesundheitlichen Einschätzungen ihres Kindes zu entwickeln.

3.6 Entwicklung von Kindern mit Trisomie 21

Im Vergleich zum Entwicklungsverlauf von Kindern ohne Behinderung verläuft die Entwicklung von Kindern mit Trisomie 21 langsamer (Wilken, 2016, S. 54). Dabei ist nicht nur ein Entwicklungsbereich, sondern die gesamte Entwicklung des Kindes betroffen (Havemann, 2013, S. 68). Die Entwicklungsbereiche der Motorik, Sprache und Kognition sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt, was zu einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung führt (ebd., S. 68). Die Trisomie stellt jedoch nicht den einzigen Einflussfaktor auf die Entwicklung dar, sondern wird auch geprägt durch das Umfeld des Kindes, der familiären Verhältnisse und deren finanziellen wie sozialen Ressourcen (ebd., S. 65). Das Wechselspiel dieser erblichen Faktoren und individuellen Lebensbedingungen machen eine genaue Vorhersage der Entwicklung des Einzelnen unmöglich. Die zusätzlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen korrelieren mit diesen entwicklungsrelevanten Faktoren und dürfen diesbezüglich nicht unbeachtet bleiben (ebd., S. 65). Mithilfe von Fördermöglichkeiten, die auf die Bedürfnisse der Eltern und des Kindes sowie dem Entwicklungsstand des Kindes angepasst, und mit den familiären Ressourcen kombiniert werden, kann die Entwicklung positiv beeinflusst werden. Eine solche Förderung stellt für die Eltern durch die damit verbundene Entwicklung von Selbstständigkeit des Kindes eine erhebliche Erleichterung dar und wirkt zusätzlich potenziellen Belastungen der Eltern entgegen.

Die kognitive Entwicklung verläuft bei Kindern mit Trisomie 21 gleicherweise individuell wie bei Kindern ohne Behinderung und erstreckt sich über einen Behinderungsgrad von einer leichten bis schweren geistigen Behinderung (Sarimski, 2014, S.230). Sarimski (2006) definiert eine geistige Behinderung folgendermaßen: Eine geistige Behinderung wird definiert durch einen „verlangsamten Erwerb von Fähigkeiten, verzögertes Erreichen von Entwicklungsstufen und als asynchrone(n) Entwicklungsverlauf, bei dem Informationsprozesse in unterschiedlichem Maße beeinträchtigt sein können.“ (Sarimski, 2006, zitiert nach Retzlaff, 2010, S. 93). Die verzögerte kognitive Entwicklung korreliert mit einer Verzögerung der motorischen und der (non-) verbalen Entwicklung. Trotz des verlangsamten Entwicklungsverlaufs stagniert jenes nicht (Wilken, 2016, S. 61) und kann durch Förderung angeregt werden. Positiv beeinflusst werden kann die kognitive Entwicklung auch durch die Eltern, indem diese die Umgebung des Kindes anregungsreich gestalten und sich intensiv mit dem Kind und dessen Bedürfnissen auseinandersetzen. Die Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Entwicklung ihres Kindes kann Eltern bestärken, sich aktiv für diese einzusetzen und das Umfeld den Bedürfnissen des Kindes entsprechend anzupassen. Die Anpassung und Gestaltung der Umgebung an die Bedürfnisse des Kindes kann eine angemessene Stimulation darstellen und die intellektuelle Entwicklung positiv begünstigen (Largo, 1993, S. 83). Die Bedeutung einer angemessenen Umgebungsgestaltung kann auf Seiten der Eltern Fragen aufwerfen und Unsicherheiten hervorrufen. Jedoch kann diese Möglichkeit der Einflussnahme auch als Hoffnung auf eine gewisse Formbarkeit der Kindesentwicklung angesehen werden. Beachtet werden muss hierzu, dass die Formbarkeit und Einflussnahme nicht unbegrenzt sind, sondern lediglich in den Grenzen der genetischen Möglichkeiten. Eine angemessene Förderung und Gestaltung des Umfelds stellen nicht die alleinige Aufgabe der Eltern dar, sondern wird durch die Unterstützung der Frühförderung erzielt.

3.6.2 Die (non-)verbale Kommunikationsentwicklung

Die Kommunikationsentwicklung wird in verbale und nonverbale Kommunikation differenziert. Diese Differenzierung ist dahingehend wichtig, da auch Kinder, die nicht in der Lage sind sich verbal auszudrücken, mit ihrer Welt in Kommunikation treten möchten und dies auch können. Bereits Neugeborene teilen sich nonverbal mit, indem sie zur Bedürfnisbefriedigung durch beispielsweise Weinen auf sich aufmerksam machen. Beide Kommunikationsformen können bei Kindern mit Trisomie 21 aufgrund unterschiedlicher Ursachen teilweise nur eingeschränkt genutzt werden. Die Entwicklung wird durch die kognitiven Fähigkeiten beeinflusst und kann durch eine Funktionsstörung im Gehirn eingeschränkt werden (Rus, 2015, S. 20). Diese Funktionsstörung führt zu Einschränkungen im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses, der Informationsverarbeitung und der Sprachentwicklung (Halder, 2014, S. 9). Ebenfalls kann eine verzögerte Wahrnehmung zu Schwierigkeiten in der Kommunikation führen. Das Gehirn erhält verlangsamt

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Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Diagnose Trisomie 21: Umgang mit der Diagnose, Postnataldiagnostik und die Frage nach Unterstützungsmöglichkeiten
Hochschule
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Veranstaltung
Geistige Entwicklung
Note
1,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
67
Katalognummer
V1186408
ISBN (eBook)
9783346621405
ISBN (eBook)
9783346621405
ISBN (eBook)
9783346621405
ISBN (Buch)
9783346621412
Sprache
Deutsch
Schlagworte
diagnose, trisomie, umgang, postnataldiagnostik, frage, unterstützungsmöglichkeiten
Arbeit zitieren
Julia Hassels (Autor:in), 2020, Diagnose Trisomie 21: Umgang mit der Diagnose, Postnataldiagnostik und die Frage nach Unterstützungsmöglichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1186408

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