Liebe und Ehe im Roman "Erec" von Hartmann von Aue

Eine vergleichende Analyse der Paar-Beziehung im Kontext der zeitgenössischen Eheauffassung


Bachelorarbeit, 2020

39 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand

3. Liebe und Ehe im Mittelalter
3.1. Theologische Ehepraxis
3.2. Exkurs - Hugo von St. Viktor
3.3. Feudale Ehepraxis
3.4. Der Einfluss der Frau im höfischen Kontext
3.5. Höfische Liebe im poetischen Diskurs

4. Liebe und Ehe im „Erec"-Roman Hartmanns von Aue
4.1. Die erste Begegnung und der Beschluss der Ehe
4.2. Die Entstehung der Liebe und die Hochzeit
4.3. Die verligen-Szene
4.4. Die Aventiure-Fahrt
4.5. Die Joie de la court-Szene

5. Die Analyseergebnisse der Entwicklung der Paar-Beziehung
5.1. Die Unterschiede der Versionen Hartmanns von Aue und Chrétien
de Troyes
5.2. Die Paar-Entwicklung zum gleichgestellten Herrscherpaar im

Kontext der zeitgenössischen Eheauffassung

6. Fazit

7. Primär- und Sekundärliteratur
7.1. Primärliteratur
7.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Der mittelalterliche Versroman „Erec" Hartmanns von Aue ist vermutlich 1185 entstanden und von dem französischen Vorbild Chrétien de Troyes „Erec et Enide" adaptiert. Der Roman orientiert sich am deutschen höfischen Leben und wurde in einigen Aspekten angepasst. Der Haupterzählstrang der beiden Romane ist aber gleichbleibend. Inhaltlich erzählt der Roman von einem jungen Ritter, der während seines Entwicklungsweges ein schäme, aber ärmliches Mädchen kennenlernt und diese zu seiner Frau nimmt. Die Beziehung der beiden entwickelt sich von einer zunächst zweckmäßig geschlossenen Ehevereinbarung zu einer Ehe mit körperlichem Verlangen und entstehenden Gefühlen, in der sie ihre höfischen Verpflichtungen vernachlässigen. Dadurch gelangen die beiden Protagonisten in eine Krise, in der sie Ansehen und Ehre verlieren. Nur durch eine Aventiure-Fahrt kann ihre Ehre als Königspaar wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Im Kontext der zeitgenössischen Eheauffassungen spiegelt das antizipierte Eheverständnis ein anderes Bild wider. Während sowohl die theologische als auch die feudale Eheauffassung die Liebe innerhalb der Ehe als zweitrangig oder sogar gänzlich ausschließt, ist die minne im höfischen Roman ein wichtiger Bestandteil. Demnach wird in der vorliegenden Arbeit die Frage untersucht, inwiefern die Protagonisten des „Erec"-Romans Hartmanns von Aue einen Kontrast zur Liebes- und Eheauffassung ihrer Zeit darstellen und damit das Ideal eines höfisch liebenden Herrscherpaares anstreben.

Für das Verständnis, wie mit der Thematik Liebe und Ehe im „Erec“ Roman umgegangen wurde, ist es notwendig, die Eheauffassungen im historischen Kontext darzustellen, um das zum Diskurs stehende Thema untersuchen zu können. Dafür wird zunächst der Forschungsstand im 2. Kapitel dargelegt, um im darauffolgenden Kapitel den historischen Kontext zu erläutern. Hier wird ein besonderes Augenmerk auf die Realität der zeitgenössischen Liebes- und Eheauffassung gelegt. Diese beinhalten die Auffassung der mittelalterlichen Kirche und die Darlegung der Theorie des Theologen Hugo von St. Viktor, die möglicherweise bei Hartmanns „Erec" zugrunde liegt. Des Weiteren werden die feudale Eheauffassung der Adelsgesellschaft und der Einfluss der Frau im höfischen Kontext ausgeführt. Nachdem eine historische Grundlage geschaffen wurde, kann die Analyse des Romans in Kapitel 4 der Arbeit in Hinblick auf die zeitgenössische Realität vorgenommen werden. Dabei wird die Entwicklung des Paares im Kontext des historischen Hintergrundes analysiert. Die Analyse beinhaltet außerdem einen Vergleich mit der französischen Vorlage Chretien de Troyes, da die Adaption Hartmanns vor allem Veränderungen der Paar-Beziehung beinhaltete. Diese Analyse wird darauffolgend in den Analyseergebnissen in Kapitel 5 zusammengefasst dargestellt. Im Fazit dieser Arbeit werden die erarbeiteten Schwerpunkte zusammendfassend dargestellt und die oben angeführten Fragen beantwortet.

2.Forschungsstand

Das Vorhaben, den „Erec"-Roman Hartmanns von Aue mit der mittelalterlichen Realität zu vergleichen, lässt einen weitgreifenden Forschungshintergrund erwarten. Während die Liebe auch heute noch ein Thema der meisten Filme, Serien und Romane zu sein scheint, ist auch die Forschung nicht davor zurückgeschreckt, das breit diskutierte Thema im Kontext des Mittelalters zu untersuchen. Jedoch wird die Thematik der Liebe vor allem im Rahmen der Institution der Ehe und im Zusammenhang der Sexualität diskutiert. Sowohl Rüdiger Schnell als auch Ruth Karras haben umfangreiche Erkenntnisse über Sexualität und Emotionalität darlegen können und diese im Rahmen der theologischen, aber auch feudalen Ehepraxis analysiert.1 Die Frage nach Liebesgefühlen der mittelalterlichen Gesellschaft sowohl innerhalb, aber auch außerhalb der Ehe, kann auf Grund einer geringen Quellenlage nur schwer beantwortet werden. Dessen ungeachtet wird die Frage nach Liebe innerhalb einer mittelalterlichen Ehe immer wieder Thema der Forschung.2 Schnell und Karras sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sexualität im Mittelalter, besonders im theologischen Kontext, ein tabuisiertes Thema war, welches nicht in Verbindung mit dem Gefühl der Liebe stand.3 Während Sexualität und Liebe einander nicht tangierten, war die Ehe eine legitime Institution, die diese beiden Formen miteinander verband. Bumke widmet in seiner Auseinandersetzung mit der höfischen Kultur dem Thema Liebe und Ehe im Mittelalter ein ganzes Kapitel und trägt zu dem umfassenden Forschungsmaterial bei. Während Liebe, Ehe und Sexualität in den letzten Jahrzehnten einen breiten Forschungsstand verzeichnen konnten, wurde die Frage nach der Stellung der Frau im höfischen Kontext erst in den letzten Jahrzehnten mehr in den Fokus der internationalen Forschung gerückt. Dieses Thema wird nicht nur von Joachim Bunke in seiner Darlegung der höfischen Kultur diskutiert, sondern auch von Claudia Zey, die in dem von ihr herausgegebenen Sammelband versucht, die Frage über die Macht der Frau im Mittelalter neu zu beantworten.4 5

Durch die umfangreiche Forschung von Liebe, Ehe und Sexualität kann vermutet werden, dass dieses Thema auch im Kontext von höfischer Dichtung weitestgehend diskutiert wurde. Wie viele höfische Dichtungen handelt auch der Roman „Erec" Hartmanns von Aue von Liebe, Ehe, Sexualität und einem Geschlechterverhältnis zwischen den Protagonisten. Vor allem in neueren Studien wird der Vergleich zwischen der historischen Realität und der Dichtung gezogen, wie Roth in ihrer Dissertation über „Freundschaft und Liebe." darlegt. Jedoch ist dieser Roman nicht nur in Bezug auf die Paar-Beziehung und der entstehenden Liebe untersucht worden. Er bietet ein weites Spektrum an Themen wie Reden und Schweigen, die Repräsentationsform im höfischen Kontext, Figurenkonstellationen und dem Vergleich von Prä- und Retext. Somit zeigt sich, dass der Roman „Erec" Hartmanns von Aue seit vielen Jahrhunderten breit diskutiert worden ist und bringt innerhalb der Forschung immer wieder neue Erkenntnisse und Interpretationen mit.

3. Liebe und Ehe im Mittelalter

In diesem Kapitel soll sich vor allem der Frage gewidmet werden, ob es Liebe in der Ehe des Mittelalters überhaupt gab. Heute, wie auch damals, war das Thema der Liebe ein breit diskutierter Gegenstand in der Literatur. Während in höfischen Dichtungen und mittelalterlicher Literatur Liebe und Ehe weitereichend thematisiert wird und wurde, greift die Forschung auf die Positionen der mittelalterlichen Kirche und der feudalen Ehepraxis zurück. Wie aber Peter Andorfer erläutert, ist dies kein Verweis darauf, dass es das Gefühl der Liebe nicht auch im Mittelalter schon gab. Durch die größtenteils analphabetische Bevölkerung, besteht in der Gegenwart keine Möglichkeit, auf Liebesbriefe oder Liebesgedichte zurückzugreifen.6 Somit werden im Fortlauf des historischen Kontextes die Darlegungen der theologischen und feudalen Ehepraxis erläutert, die die Liebe größtenteils ausschlossen. Es bedeutet jedoch nicht, dass dies in der Realität der Menschen ebenfalls keine Bedeutung erhielt.

3.1. Theologische Ehepraxis

Die theologische Ehepraxis im 12. Jahrhundert trennt das Motiv der Liebe strikt von der Institution der Ehe.7 Die Ehe wird zwar als eine Verbindung auf emotional-geistiger Ebene verstanden, schließt jedoch die Liebe als „spontanes, leidenschaftliches, auf sexuelle Vereinigung zielendes Verlangen [...]"8 gänzlich aus.

Bevor die Motive der Eheschließung nach theologischer Auffassung des Mittelalters beleuchtet werden, muss deutlich gemacht werden, dass die Kirche die eheliche Zusammenkunft nur als zweitbeste Wahl ansah. Das Ideal einer unberührten Jungfrau dominierte die Sexualethik der mittelalterlichen Kirche.9 Die Ablehnung des Geschlechtsverkehrs beinhaltete ebenfalls den Verzicht des Zwecks der Zeugung von

Nachkommen. Als Vorbild galt demnach die Jungfrau Maria.10 Die negative Bewertung der Ehe wurde durch den ehelich vollzogenen Geschlechtsverkehr hervorgerufen, vor allem in Verbindung mit sexueller Lust. Diese Bewertung wurde weit bis ins 13. Jahrhundert vertreten.11

Daraus resultierte eine negative Bewertung der Ehe, wodurch die Kirche ein enthaltsam gelebtes Leben bevorzugte. Dabei sind folgende Motive herauszustellen, die zu dieser Beurteilung beigetragen haben:

Die Kirche wertet die Ehe vor und nach dem Sündenfall. Vor dem Sündenfall ist die Ehe im Paradies und „nach dem Sündenfall ist die Libido in die Welt gekommen, als etwas Böses, als eine Strafe für die gefallene Menschheit."12 Dabei wird der Charakter der Ehe dahingehend verändert, dass sie zwar zur Fortpflanzung dient, aber hauptsächlich die böse Sinneslust eindämmen soll.13 Als positives Vorbild gilt die Ehe von Maria und Joseph, die trotz einer sexuellen Abstinenz eine enge seelische Verbundenheit hatten.14 Daraus lässt sich resultierend feststellen, dass der Sexualtrieb als gefahrvolle Macht angesehen wurde, der durch den Bund der Ehe reglementiert werden muss.15

Aus verschiedenen Schriften des Mittelalters geht hervor, dass die Zusammenkunft der Ehe für diejenigen, die nicht die Kraft besaßen, rein von allem Geschlechtlichen zu bleiben16, aus drei Gütern heraus geschehen durfte: „die Nachkommenschaft, die Treue und das Sakrament."17 Im Gegensatz dazu zählten zu den weniger ehrenhaften Motiven zur Schließung einer Ehe die Schönheit des Mannes oder der Frau, eine Eheschließung aus Liebe heraus sowie die Erfüllung des Verlangens des Ehepartners gegenüber.18

Die überhaupt stattgefundene theologische Diskussion lässt darauf schließen, dass es Ehen gab, die aus Liebe und sexuellem Begehren heraus geschlossen wurden.19 So erläutert Schnell, dass diese Ehen zwar toleriert wurden, die Kirche aber jeder Art der Liebesehe sehr kritisch gegenüber stand. Die Schließung einer Ehe, die den Wunsch nach Nachkommenschaft oder der Vermeidung von Unzucht vorgab, wurde aus Sicht der Kirche positiver bewertet.20

Innerhalb einer ehelichen Gemeinschaft, so erwähnt Schnell, war davon auszugehen, dass das sexuelle Verlangen eine kaum wegzudenkende Begleiterscheinung war. Jedoch erläutert er weitergehend, dass davon ausgegangen werden kann, dass es innerhalb der Kirche konträre Diskurse über den ehelichen Verkehr gegeben habe.21 Ergänzend dazu erläutert Bumke, dass der eheliche Verkehr, der aus Furcht vor der eigenen Unenthaltsamkeit gesucht wurde oder auch der Verkehr, der nur als Lustbefriedigung galt, als Sünde auch innerhalb der Ehe bezeichnet wurde.22 Die Ehe stellte die Norm in der mittelalterlichen Gesellschaft dar und war die einzig legitime Form für eine sexuelle Betätigung, um die Zeugung von Nachkommen zu rechtfertigen.23

Abschließend ist festzustellen, dass es innerhalb der Kirche konträre Diskussionen bezüglich der Ehe, aber auch der Sexualität in den Ehen gegeben hat. Die Annahmen und Diskussionen der Kirche müssen jedoch nicht zwangsläufig die Realität dargestellt haben. Es wird deutlich, dass lediglich die Jungfräulichkeit oder die Ehe zur Zeugung von Nachkommen die Ideale der mittelalterlichen Kirche darstellten. Ehen, die aus einer sexuellen Zuneigung und einer Liebesbeziehung heraus geschlossen wurden, besaßen einen eher sündhaften Charakter.24 Dabei wird die Beziehung von Mann und Frau zwar auf geistig-emotionaler Ebene verstanden, jedoch ist dies nicht aus einer spontanen Anziehung der Liebe heraus zu verstehen.25 Aus diesem Grund soll sich im nachfolgenden Exkurs kurz der Auffassung von Hugo von St. Viktor gewidmet werden, der als Theologe für die damalige Zeit eine sehr fortschrittliche Auffassung vertrat.26

3.2. Exkurs - Hugo von St. Viktor

Eine bekannte und außergewöhnliche Perspektive seiner Zeit stellt die Arbeit des Theologen Hugo von St. Viktor dar. Er sieht die Ehe als ein Bündnis der Liebe und eine Gemeinschaft der Herzen an, in der Zweckhaftigkeit keine Rolle spielt, sondern die Ehe einen geistigen Charakter des gemeinsamen Zusammenlebens bekommt.27 Hugo von St. Viktor unterscheidet zwischen dem Wesen und der Aufgabe der Ehe. So war zwar die Aufgabe der Ehe, die geschlechtliche Vereinigung zur Zeugung von Nachkommen sicherzustellen. Das Wesen der Ehe aber war eine freie Wahl des Ehepartners zur geistigen Gemeinschaft von Mann und Frau.28 Mit dieser Auffassung legt Hugo von St. Viktor fest, dass die einzige Basis einer geistigen Ehe sein könne, wenn diese unter einem freien Willensentschluss entsteht. Damit garantiert er die Unauflöslichkeit der Ehe und stellt eine klare Unterscheidung zur klassischen Theologie des Mittelalters dar, die, unter der Berufung der heiligen Schrift, die Ehe als eine Institution zur Erhaltung und Fortpflanzung des Menschengeschlechts sah und diese nur mit nachfolgender Nachkommenschaft für gültig erklärte.29 Der Ausdruck der Liebe realisiert sich bei Hugo als ein

Stufenmodell, in dem sich die Liebe zwischen den Ehegatten entwickelt und „die Liebe der Ehegatten erst ihre wahre Erfüllung finden kann, wenn sie sich zur Liebe zu Gott erhebt."30

In seiner Theorie bezieht er den biblischen Schöpfungsmythos mit ein, in der er darlegt, dass Gott die Frau weder aus dem Kopf noch aus den Füßen des Mannes schuf, weshalb diese weder über- noch untergeordnet sei. Sie ist aus seiner Seite geschaffen, weshalb sie ihm ebenbürtig ist. Diese Ebenbürtigkeit impliziert jedoch nicht automatisch eine Gleichstellung der Partner, denn die Ungleichstellung der Partner ist Voraussetzung der ehelichen Liebe.31

3.3. Feudale Ehepraxis

Die feudale Ehepraxis der adeligen Gesellschaft ist in manchen Punkten mit der theologischen Ehepraxis zu vereinbaren, vertritt jedoch größtenteils ein anderes Ehebild. Die Übereinstimmung ist zunächst auf die rein zweckmäßigen Zusammenschlüsse und dem Ausschluss einer persönlichen Verbindung beschränkt.32

Die Ehe im Laienadel war vorwiegend eine politische Institution für die dynastische Politik. Dabei war der wichtigste Zweck der Schließung dieser Ehen die Zeugung von bestenfalls männlichen Erben. Hierzu bekam die Frau die Aufgabe zugeschrieben, Kinder zu gebären und diese zu erziehen. Die Unfruchtbarkeit einer Frau war ein wesentlicher Grund dafür, Ehen wieder scheiden zu lassen. Dementsprechend wurde der Ehebruch auch nur für die Frau strafrechtlich verfolgt, weil damit die Erzeugung legitimer Erben nicht mehr gesichert werden konnte. Eine außereheliche Beziehung des Mannes wurde nicht strafrechtlich verfolgt.33

Fortführend wurde mit der Verbindung ehelicher Gemeinschaften die Verbindung zu anderen Familien hergestellt, um den eigenen Herrschaftsbereich abzusichern oder zu erweitern, politische Bündnisse zu festigen und um alte Feindschaften wieder zu versöhnen. Das politische Interesse, den Herrschaftsbereich fortzuführen, wurde nicht selten erst in der nachfolgenden Generation erreicht.34

Des Weiteren wurde die Schließung einer Ehe meist zwischen dem Bräutigam und dem Vater der Braut oder bereits im Säuglingsalter zwischen den Eltern beschlossen. Nicht selten sahen die beiden Brautleute einander zum ersten Mal am Tag der Hochzeit. Aufgrund des dynastischen Interesses war eine freie Gattenwahl nicht zu vereinbaren.35 Der Rang der Familie spielte bei der Vereinbarung eine große Rolle. Die dynastische Tradition sah vor, im Mittelpunkt der Vermählung den ältesten Sohn zu sehen. Die Vermählung eines jüngeren Sohns war eher selten, da diese finanziell mit hohen Kosten für die Familie des Bräutigams verbunden war. Dies war einer der Gründe, weshalb es eine Verzerrung des Heiratsmarktes gab. Während es unzählige heiratsfähige Töchter auf dem Markt gab, waren weniger heiratsfähige Söhne vorzufinden. Das Resultat ist die Wertminderung der Frauen, welche infolgedessen mit Männern verheiratet wurden, die einen Rang unter ihnen standen. Dies war meist auch im Interesse der Familien des Mannes, weil diese dadurch an das Haus der Frau gebunden waren.36

Darüber hinaus sieht das Ehebild des Adels die politischen Vorteile einer Heirat und damit die Zeugung von vor allem männlichen Nachkommen ganz eindeutig als Hauptgrund an. Dies lässt vermuten, dass das Motiv der Liebe dort keine große Rolle gespielt haben könnte.37 So schreibt Bumke, dass die Liebe kein geeigneter Maßstab gewesen sein kann, um die Qualität einer Ehe zu ermessen. Die Qualität einer Ehe lässt sich besonders an dem Erfolg und dem Zusammenwirken der dynastischen Interessen ausmachen.38

3.4. Der Einfluss der Frau im höfischen Kontext

Während die Heiratspolitik des Adels auf eine weitgreifende Forschung zurückgreifen kann, blieb die Frage von Macht und Einfluss adeliger Frauen eine lange Zeit in der historischen Forschung unbeachtet. Durch eine erst in den letzten Jahren aufkommende Forschungsdiskussion lässt sich die Frage, welchen Einfluss die Frau im höfischen Kontext hatte, besser beantworten.39 Dass der adeligen Frau ein gewisser Machteinfluss zugeschrieben werden kann, lässt sich nicht negieren. In welchem Ausmaß dieser Einfluss stattgefunden hat, muss an dieser Stelle näher definiert werden.

Die Krönung der Frau geschah häufig im Zusammenhang mit ihrem Mann und erhielt damit den Titel der römischen Königin oder der römischen Kaiserin. Welchen Anteil sie innerhalb des Machtapparats damit bekam, hing jedoch trotzdem gänzlich von den persönlichen Faktoren ihres Mannes ab.40 Auch wenn der Einfluss der Frau im Vergleich zu der theologischen oder auch adeligen Ehepraxis ein anderer war, bedeutete dies nicht, dass sie dadurch automatisch einen größeren Handlungsspielraum zugeschrieben bekam.41

In diesem Zusammenhang muss zunächst die Frage beantwortet werden, wie Macht im höfischen Kontext zu definieren war. So schreibt Christine Reinle, dass die Macht im adeligen Raum vor allem durch eine Gewaltausübung und eine Ritterlichkeit durch die Körperkraft ausgezeichnet war.42 Des Weiteren verschafften sich adelige Familien einen größeren Machtanspruch durch die Verheiratung ihrer Nachkommen und der Zeugung von weiteren Nachkommen mit ebenfalls mächtigen Adelsfamilien im dynastischen Sinne.43 Besonders die geringere Körperkraft sowie andere körperliche Voraussetzungen der Frau trugen dazu bei, dass aus gesellschaftlicher Sicht der Einfluss der Frau für nicht

[...]


1 Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Köln 2002, S. S 136. (im Folgenden zitiert als: Schnell, Sexualität und Emotionalität).

2 Andorfer, Peter: Liebe und Ehe im Mittelalter, in: historia.scribere 1 (2009), S. 443-444. (Im Folgenden zitiert als: Andorfer, Liebe und Ehe im Mittelalter).

3 Schnell, Sexualität und Emotionalität, 139.

4 Zey, Mächtige Frauen?, S. 10.

5 Roth, Freundschaft und Liebe, 114.

6 Vgl. Andorfer, Liebe und Ehe im Mittelalter S. 443.

7 Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 1986, S. 540-541. (im Folgenden zitiert als: Bumke, Höfische Kultur).

8 Schnell, Sexualität und Emotionalität, S 136.

9 Bumke, Höfische Kultur S. 540-541.

10 Karras, Ruth Mazo: Sexualität im Mittelalter, Düsseldorf 2006, S. 80. (Im Folgenden zitiert als: Karras, Sexualität im Mittelalter).

11 Schnell, Sexualität und Emotionalität, S 136.; Höfische Kultur S. 540-541.

12 Bumke, Höfische Kultur S. 541.

13 Bumke, Höfische Kultur S. 541.

14 Schnell, Sexualität und Emotionalität S. 137.

15 Schnell, Sexualität und Emotionalität S. 139.

16 Roth, Nina: Freundschaft und Liebe. Codes der Intimität in der höfischen Epik des Mittelalters. Frankfurt am Main, 2014 [zgl. Diss. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2014], S. 52. (im Folgenden zitiert als: Roth, Freundschaft und Liebe).

17 Bumke, Höfische Kultur S. 541.

18 Bumke, Höfische Kultur S. 542.

19 Schnell, Sexualität und Emotionalität, S. 233.

20 Vgl. Schnell, Sexualität und Emotionalität S. 233.

21 Vgl. Schnell, Sexualität und Emotionalität S. 235-236.

22 Vgl. Bumke, Höfische Kultur S. 541.

23 (Im Folgenden zitiert als: Karras, Sexualität im Mittelalter, S. 125.

24 Schnell, Sexualität und Emotionalität, S 136; Schnell, Sexualität und Emotionalität S. 235-236.

25 Schnell, Sexualität und Emotionalität S 136.

26 Roth, Freundschaft und Liebe S. 57.

27 Roth, Freundschaft und Liebe, S. 57.

28 Metz, Helmut: Die Entwicklung der Eheauffassung von der Früh- zur Hochscholastik. Ein Beitrag zum Verständnis der religiösen Motive der Minne- und Eheproblematik in der mittelhochdeutschen Epik, Köln 1972, S. 34. (Im Folgenden zitiert als: Metz, Die Entwicklung der Eheauffassung).

29 Metz, Die Entwicklung der Eheauffassung, S. 34.

30 Metz, Die Entwicklung der Eheauffassung, S. 43-44.

31 Roth, Freundschaft und Liebe S. 123.

32 Bumke, Höfische Kultur S. 543.

33 Bumke, Höfische Kultur S. 534.

34 Bumke, Höfische Kultur S. 535.

35 Bumke, Höfische Kultur S. 536.

36 Bumke, Höfische Kultur S. 535.

37 Bumke, Höfische Kultur S. 536.

38 Vgl. Bumke, Höfische Kultur S. 536.

39 Zey, Mächtige Frauen?, S. 14.

40 Bumke, Höfische Kultur S. 484.

41 Bumke, Höfische Kultur S. 486.

42 Vgl. Reinle, Christine: Was bedeutet Macht im Mittelalter? In: Zey, Claudia (Hg.): Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.-14. Jahrhundert), Ostfildern 2015. (Vorträge und Forschungen 81), S. 47. (Im Folgenden zitiert als: Reinle, Was bedeutet Macht im Mittelalter?).

43 Reinle, Was bedeutet Macht im Mittelalter?, S. 48.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Liebe und Ehe im Roman "Erec" von Hartmann von Aue
Untertitel
Eine vergleichende Analyse der Paar-Beziehung im Kontext der zeitgenössischen Eheauffassung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
39
Katalognummer
V1187508
ISBN (eBook)
9783346621696
ISBN (Buch)
9783346621702
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erec, Mittelalter, Hartmann von Aue, Liebe, Ehe
Arbeit zitieren
Joana Wagenknecht (Autor:in), 2020, Liebe und Ehe im Roman "Erec" von Hartmann von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1187508

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