Machtprozesse in Abhängigkeitsverhältnissen in der Heimerziehung


Hausarbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffliche Differenzierungen
2.1 Macht und Gewalt
2.2 Macht und Autorität

3 Soziale Arbeit und Macht

4 Hilfe und Kontrolle als Medien der Macht

5 Machtprozesse in Abhängigkeitsverhältnissen
5.1 Machtquellen in der Heimerziehung
5.1.1 Materielle Leistung und Versorgung
5.1.2 Zuwendung und Zuwendungsentzug
5.1.3 Sinnkonstruktion und Sinnentzug
5.1.4 Orientierungsmittel
5.1.5 Körperliche Stärke
5.1.6 Teil des staatlichen Erziehungs- und Sanktionssystems
5.1.7 Gesellschaftliche Deutungsmuster
5.2 Machtüberhang in der Erziehung

6 Fazit und Konsequenzen

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Wenn Eltern nicht mehr im Interesse des Wohles ihres Kindes handeln, beziehungsweise ihre Eltemverantwortung vernachlässigen oder überschreiten, so gilt das Kindeswohl als gefährdet. Das staatliche Wächteramt hat in diesem Fall nach Art. 6 Abs. 2 im Grundgesetz die Pflicht, zu intervenieren (vgl. Jugendrecht 2011: 97). Führen weder ambulante noch teilstationäre Hilfen dazu, dass das Kindeswohl als nicht mehr gefährdet gilt, so wird das Kind / der Jugendliche in einer stationären Institution untergebracht - dem Heim. „Heim“ ist hierbei ein eher veralteter Begriff und wurde mittlerweile von Synonymen wie zum Beispiel dem „betreuten Wohnen“ abgelöst. Die Heimerziehung gilt als stationäres Angebot in der Kinder- und Jugendhilfe. Die Verbindung von Alltagsleben und pädagogischen sowie therapeutischen Angeboten sollten die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern (vgl. Jugendrecht 2011: 30). Über welche Zeitspanne die Hilfe in Anspruch genommen werden muss, variiert. Das oberste Ziel ist zunächst, eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie zu erreichen. Sollte das nicht gelingen, so wird im betreuten Wohnen die Erziehung in einer anderen Familie, oder gänzlich auf ein selbständiges Leben vorbereitet, wenn das Kind oder der Jugendliche die Hilfe für längere Zeit in Anspruch nimmt (bzw. nehmen muss).

Führt man sich vor Augen, dass die Betroffenen aufgrund der Gefährdung ihres Wohles, wenn auch zu ihren Gunsten, in einer dieser Schicksalsgemeinschaften mit „fremden“ Erziehern, die gewissermaßen die Pflichten der leiblichen Eltern in diesem Rahmen übernehmen, sozialisiert werden, gewinnt das Ziel der Entwicklungsförderung auf allen Ebenen an besonderer Bedeutung. Die Pädagogen und Adressaten (Kinder und Jugendliche) stehen hierbei in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Das Heim galt in den 70er Jahren laut Erving Goffinan, einem kanadischen Soziologen, als „totale Institution“ (vgl. Wolf 1999: 111), bei der u.a. die Trennung der Orte, an denen die Kinder und Jugendlichen schlafen, spielen und arbeiten, aufgehoben ist und der Alltag unter ein und derselben Autorität stattfindet. So eng darf man dies heutzutage natürlich nicht mehr fassen. Die Heimerziehung unterlag in den letzten Jahrzehnten einem starken Wandel und Reformprozessen, sodass die Bezeichnung der Heimerziehung als „totale Institution“ nicht mehr zeitgemäß und auch nicht gerechtfertigt ist. Die Interpendenz zwischen Pädagogen und Adressaten bleibt jedoch bestehen.

Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass eine funktionale Asymmetrie mit strukturellem Machtgefalle hierbei charakteristisch für die Beziehungsarbeit zwischen Professionellen der Sozialen Arbeit und den Adressaten sei, um eine konstruktive Zusammenarbeit zu ermöglichen (vgl. Schäfter 2010: 56 f.). Wie ließe sich dies auf die Erziehung der Kinder und Jugendlichen im sogenannten betreuten Wohnen übertragen? Goffman sprach von einer Autorität, der die Kinder und Jugendlichen alltäglich ausgesetzt seien. Sind Macht und Autorität in der Heimerziehung trotz der zahlreichen Reformprozesse zeitlose Phänomene, die weitreichenden Einfluss auf die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen nehmen? Ist dies nicht paradox, wenn man bedenkt, dass der Erziehungsauftrag die freie Entfaltung und die Entwicklung zu einem mündigen, autonomen Menschen als Ziel vorsieht? Schließen sich freie Persönlichkeitsentfaltung und machtgeladene Erziehung nicht gegenseitig aus?

Ob und inwiefern Machtprozesse in der Heimerziehung noch aktuell sind, wird auf den folgenden Seiten beleuchtet. Dem vorangestellt seien zunächst aber begriffliche Diffenzierungen zwischen Macht, Gewalt, Herrschaft und Autorität. Es folgt eine Untersuchung dessen, welche Rolle Macht in der Sozialen Arbeit einnimmt, bis der Fokus schließlich auf Machtprozesse in der Heimerziehung, ihre Quellen und die damit verbundenen Konsequenzen gerichtet wird.

Anmerkung: Ich werde im folgenden Text von „Erziehern“ schreiben und damit sowohl weibliche als auch männliche Pädagogen meinen.

2 Begriffliche Differenzierungen

Wie einleitend erwähnt, könnte das strukturelle Machtgefalle, welches durch ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Professionellem und Adressaten in der Beziehungsarbeit entsteht, als Merkmal von Abhängigkeitsverhältnissen im Kontext der Heimerziehung gelten. Dies müsste bedeuten, dass der Erzieher etwas hat, welchem das Kind / der Jugendliche bedarf. Andererseits muss der Erzieher auch das anbieten, wonach Bedarf auf Seiten des Kindes bzw. des Jugendlichen besteht. Beide Figuren befinden sich zwar in diesem Verhältnis von gegenseitiger Abhängigkeit, jedoch ist das Kind / der Jugendliche in der Heimerziehung stärker auf den Erzieher angewiesen, als der Erzieher auf das Kind / den Jugendlichen, wie unter Punkt 5.1 noch deutlich werden wird. Das Machtphänomen lässt sich an dieser Stelle auf zwei verschiedene Subjekte beziehen, es kann im Kontext einer Abhängigkeitsbeziehung zwischen ihnen erklärt werden und, da das Kind / der Jugendliche stärker abhängig von dem ist, was der Erzieher ihm bietet als andersherum, kann das Verhalten des Pädagogen im Widerspruch zu den eigenen Interessen und Bedürfnissen des Kindes oder Jugendlichen stehen. Dies sind die Kriterien, die erfüllt sein müssen, wenn man in diesem Kontext von „Macht“ sprechen möchte.

Der deutsche Soziologe Max Weber definiert Macht wie folgt: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1976: 28). Eine weitere Definition von Norbert Elias zeigt noch einmal auf, dass gerade Bedürfnisse in diesem Zusammenhang bedeutsam sind - vor allem, wenn man diese Definition von Macht auf die Heimerziehung übertragen möchte: „Insofern als wir mehr von anderen abhängen als sie von uns, mehr auf andere angewiesen sind als sie auf uns, haben sie Macht über uns, ob wir nun durch nackte Gewalt von ihnen abhängig geworden sind oder durch unsere Liebe oder durch unser Bedürfnis, geliebt zu werden, durch unser Bedürfnis nach Geld, Gesundung, Status, Karriere und Abwechslung“ (Elias 1986: 97).

Trotz zahlreich bestehender Definitionen ist das Konstrukt „Macht“ also ein weitreichender Begriff und könnte mit „Gewalt“ und „Autorität“ - vielleicht nicht gleichgesetzt - aber zumindest in einen Zusammenhang gebracht werden. Da dies nicht immer legitim zu sein scheint, folgt zunächst die Abgrenzung zu diesen Begrifflichkeiten.

2.1 Macht und Gewalt

Gemeinsam dürfte diesen beiden Worten sein, dass sie sehr diffus und schwer explizit definierbar sind. „Gewalt“ übernimmt in diesem Fall eher die performative Gestalt der Macht und ist ihr gegenüber beobachtbar. Ob jemand Macht innehat, ist nicht sofort erkennbar, da sie erst in der Performanz sichtbar wird.

Gewaltanwendung kann deshalb als Anwendung eines Machtpotentials verstanden werden, denn der Gewalttätige würde durch seine Handlung zum Ausdruck bringen, dass er eine Art Verfugungsmacht über sein Opfer innehätte (vgl. Krieger 2014: 49). Das Ausüben von Gewalt impliziert auch immer die Anwendung von Zwang. Gewalt würde auf das Zwangsinstrumentarium und dessen Anwendung zur Interessens­durchsetzung des einen zu Lasten des anderen verweisen (vgl. Klenner 1990: 115), was prägnante Differenzkriterien zu „Macht“ und „Herrschaft“ darstellen dürfte.

2.2 Macht und Autorität

Der mehrdeutige Autoritätsbegriff lässt sich von „auctor“ (lat.) ableiten und mit „Urheber“ übersetzen. Wohl kein anderes Thema in der Erziehungswissenschaft beschäftigt die Öffentlichkeit und Wissenschaftler nach wie vor so stark, wie die Autoritätsfrage es tut. Autorität in der Pädagogik wird entweder verachtet, gilt als gesetzter Machtanteil und ist somit negativ konnotiert oder aber die Autorität würde als solche verehrt und die Möglichkeit ihrer Nutzung für nicht pädagogisch intentionierte persönliche Machtbefugnisse verleugnet (vgl. Fantini 2000: 44). Was genau der Autor hierbei mit „nicht pädagogisch intentionierte persönliche Machtbefugnisse“ meint, wird leider nicht weiter erläutert. Es stellt sich nämlich die Frage, wo Pädagogik bezogen auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Erzieher und Kind / Jugendlichem in der Heimerziehung anfangt bzw. aufhört und inwiefern sich ein nicht pädagogisch intentioniertes persönliches Machtbefugnis gestalten lässt, wenn es doch in unmittelbarem Bezug zum Kind oder Jugendlichen steht.

Erich Geißler unterscheidet zwei Formen der pädagogischen Autorität: Autorität durch Vertrauen auf der einen und Autorität durch Zwang auf der anderen Seite. Autorität würde erst dort vorliegen, wo man auch wirklich Anerkennung fände (vgl. Geißler 1967: 77). Autorität hat man nicht einfach - es hängt von den persönlichen Qualitäten eines Menschen ab, ob er als Autoritätsperson anerkannt wird oder nicht. Autorität basiert auf freiwilligem Gehorsam, was grundsätzlich erst einmal ein Paradoxon darstellt und an die von Kant aufgestellte Theorie zur Freiheit durch Zwang erinnern mag. Autorität durch Zwang wäre logischerweise nicht auf Freiwilligkeit basierend, was (die Freiwilligkeit) aber in Geißlers Literatur gerade das Mittel zum Zweck wäre.

Erneut befinden wir uns in einem bestimmten Verhältnis von Menschen zueinander, in dem es um wechselseitige Abhängigkeit voneinander geht und das Wollen und Handeln des Unterlegenen beeinflusst und bestimmt wird. Autorität zählt also auch zum Geflecht der sozialen Macht, mit dem Unterschied dazu, dass sie nicht gegen den freien Willen des Betroffenen wirken würde.

[...]

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Details

Titel
Machtprozesse in Abhängigkeitsverhältnissen in der Heimerziehung
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V1187631
ISBN (eBook)
9783346626905
ISBN (Buch)
9783346626912
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozialpädagogik, Pädagogik, Heimerziehung, Machtprozesse, Soziale Arbeit
Arbeit zitieren
Patricia Mäder (Autor:in), 2017, Machtprozesse in Abhängigkeitsverhältnissen in der Heimerziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1187631

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