Exegetische Überlegungen zu Jes 9,1–6


Hausarbeit, 2021

21 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Textgrundlage
1.1. Arbeitsübersetzung von Jes 9,1-6 mit 8,23b als Einleitung
1.2. Anmerkungen

2. Diachrone Aspekte in Jes 8,23b-9,6
2.1. Das literarische Verhältnis von 8,23b zu 9,1-6
2.2. Zum Profil von Jes 9,5-6

3. Topoi, Motivik und Theologie von Jes 8,23b-9,6
3.1. „Das Volk, das im Dunkeln wandelte“ (V.1)
3.2. „Ja, ein Kind ist uns geboren“ (V.5)
3.3. „durch Recht und Gerechtigkeit“ (V.6)

4. Literaturverzeichnis

1. Textgrundlage

1.1. Arbeitsübersetzung von Jes 9,1-6 mit 8,23b als Einleitung

8[23]bWie er (Jahwe) in früherer Zeit dem Land Sebulon und dem Land Naftali Schmach antat, so brachte er (Jahwe) in der späteren die Straße am Meer, (das Land) jenseits des Jordans, den Kreis der Völker zu Ehren.

***

9[1]Das Volk, das im Dunkeln wandelte,

hat ein großes Licht gesehen,

die im Lande der Finsternis wohnten,

über ihnen ist Licht aufgestrahlt.

[2]Du hast ,des Jubels‘ viel,

die Freude groß gemacht,

Sie freuten sich vor dir,

wie man sich bei der Ernte freut,

wie man jubelt, beim Verteilen der Beute.

[3]Ja, das Joch, das auf ihm lastet,

und den Stock auf seinem Nacken,

den Stecken dessen, der ihn antrieb,

hast du zerbrochen wie am Tage Midians.

[4]Wahrlich: jeder Stiefel, der lärmend einherstampft,

und (jeder) Mantel in Blutlachen gewälzt,

wird verbrannt,

ein Fraß des Feuers.

[5]Ja, ein Kind ist uns geboren,

ein Sohn ist uns gegeben,

und die Herrschaft kam auf seine Schulter,

und als seinen Namen ruft er:

Wunderbarer Ratgeber, Gottheld,
Ewigvater, Friedefürst.

[6],in (seiner) Herrschaft groß‘,

und des Friedens ist kein Ende,

auf dem Thron Davids

und über seinem Königreich,

da er es festigt und stützt,

durch Recht und Gerechtigkeit,

von jetzt an

bis in Ewigkeit.

1.2. Anmerkungen

8[23]Entgegen der exegetischen Überlegung Wildbergers, nya als Subjekt der Verben zu lesen, muss Jahwe in Anlehnung an Alt1 als Subjekt von und Taan identifiziert werden. Da für a

in der Verbindung nya nur die Zeitangabe ,ungefähr, um‘ möglich ist, muss laut Barth Jahwe das Subjekt sein.2 Das Begriffspaar |liyx"in-iianxni erhält dann die Zeitrelation früher-später‘, wobei |l"inxn eine Ellipse darstellt. Hieraus ergibt sich außerdem ein antithetischer Parallelis- mus, denn das frühere, Schmach bringende Jahwehandeln steht dem späteren, Ehre bringenden Jahwehandeln gegenüber.3

9[2]aBreite Anerkennung in der alttestamentlichen Forschung hat die Emendation von in

9,2a zu gefunden, was vorzugsweise mit „Jubel“ wiedergegeben werden kann und die parallele Struktur „Jubel-Freude“ nochmals verstärkt.4

9 [3]Angestoßen durch G. Studer 1881 haben viele Exegeten wie Duhm, Gray und Wildberger mit dem Hinweis auf eine bessere Parallele zu „Joch“ für npa „Zugholz“ naift konjiziert.5 Ent­gegen dieser Annahme vertritt Barth die Auffassung, dass hier weniger der Bildbereich des Herrscherstabes angesprochen wird, sondern das „Imaginationsfeld [...] von der Vorstellung eines mit Zwang gefügig gemachten Tieres“6 und somit im Sinne eines „Treibersteckens“ be­stimmt wird. Damit soll die unmenschliche Situation des Volkes, nämlich Unfreiheit und Un­terdrückung, veranschaulicht werden. Außerdem soll noch auf die Partikel ’!•) eingegangen wer­den, die vor allem im „Danklied des Einzelnen“ Anwendung findet.7 In Bezug auf Jes 9,1-6 hat '3 jedoch keinen begründenden Charakter (,denn‘), sondern ist mit dem deiktischen ,ja, wahrhaftig‘ wiederzugeben.8 Gressmann schlägt aufgrund des pleonastischen Charakters vor, es unübersetzt zu lassen.9

94Angesichts des etwas merkwürdigen Ausdrucks eines in Blut gewälzten Mantels, wurde auch

hier beispielsweise von Procksch10 in „befleckt“ oder von Barth11 in >>2 „besudeln“

geändert, was jedoch in den Worten Wildbergers eine „völlig unnötige ,Emendation‘“12 ist.

95nni?;? ist ein Hapaxlegomenon, welches mitGals „Herrschaft“ verstanden worden ist.

96Nach Alt findet sich am Anfang von 9,6 ein Überrest des fünften mehrgliedrigen Thronna­

mens, welcher nach ägyptischen Vorbild zu erwarten wäre.13 Wildberger schlägt als fünftes Glied „Mehrer des Reiches“ bzw. vor.14

2. Diachrone Aspekte in Jes 8,23b-9,6

2.1. Das literarische Verhältnis von 8,23b zu 9,1-6

Eine für das Verständnis von Jes 9,1-6 unabdingbare Voraussetzung ist die Frage nach der Abgrenzung bzw. dem literarischen Zusammenhang. Während mit 9,7 eine neue Einheit ein­setzt, die sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene erkennbar ist, gestaltet sich die Frage nach dem Beginn, also die Abgrenzung nach vorne zwischen 8,23b und 9,1-6 deutlich schwieriger. Dafür müssen Beobachtungen und Überlegungen auf textgeschichtlicher, formge­schichtlicher sowie sachlich-inhaltlicher Ebene angestellt werden.

Textgeschichtlich lässt sich zunächst feststellen, dass die heute übliche Abtrennung von 8,23 durch eine Kapitelgrenze nicht mit der alten Kapitelgrenze der Vulgata übereinstimmt, da hier 8,23 als erster Vers das Kapitel einleitet und auf diese Weise mit 9,1ff. verbunden wird. Eben­falls von einer Zugehörigkeit von 8,23-9,1 geht auch das ältere Zeugnis Mt 4,15f. aus. Hier wird 8,23 in verkürzter Form sowie 9,1 wortgetreu als zusammengehöriger Spruch zitiert. Aber auch die Kirchenväter verbinden in ihren Kommentaren 8,23 mit 9,1 zu einer Textgruppe.15 Für Alt ist die heute vorgenommene Abtrennung Resultat kirchlicher Bestrebungen nach universel­ler Gültigkeit. Demnach sei das Heilsbild in 9,1-6 durch die geografischen und historischen Angaben, die in 8,23 formuliert werden, kontextuell beschränkt. Um ein universell gültiges Heilsbild zu schaffen, löste man also 8,23 von 9,1f. ab und ließ das Verheißungswort mit den neutraleren Worten aus 9,1 beginnen.16 Unabhängig davon ist nicht selten, dass Prophetensprü­che im Alten Testament an konkrete Situation gebunden wurden. Wie Alt in Anschluss an E. Forrer gezeigt hat, sind hier mit hoher Wahrscheinlichkeit die früheren Randgebiete Israels be­troffen, die durch Assyrien annektiert wurden.17 Für die folgenden Verse 9,1-6 wird also ein konkreter Schauplatz geboten, worauf sich das dort geschilderte Heilsbild beziehen soll.

Auf formal-stilistischer Ebene ergeben sich jedoch Schwierigkeiten, die von der Forschung un­terschiedlich bewertet werden. Während Albrecht Alt die ursprüngliche poetische Form von 8,23 als zerstört ansieht, ist nach Hans Wildberger „vom Versmaß her die Zusammengehörig­keit mit 9,1ff. nicht zu beweisen“18 . Ersterer geht von der poetischen Form des Verses 8,23 aus, die jedoch durch einzelne „Störungen“ bzw. „Lücken“19 unterbrochen wurde und entsprechend der Rekonstruktion bedarf. Diese Rekonstruktionsleistung wird vor allem nach den Stilgesetzen dessynonymen Parallelismus membrorumund der von Duhm übernommenen Metrik der zwei- hebigen Stichen20 vollzogen, um das formale Gleichgewicht zu V.23 wiederherzustellen.21 Die erste Störung des Metrums der gepaarten Zweier geht von der Subjektfrage in 8,23 aus. Um sie zu beheben, ist es notwendig, das Zweierpaar um den Gottesnamen H1H’ zu ergänzen und als Subjekt des Satzes zu restituieren. Direkt angeschlossen findet sich eine weitere „Textlücke“, die sich nun auf die Objekte des Satzes beziehen - die geografischen Angaben. Angesichts der inhaltlichen Antithetik, die durch die unterschiedlichen Zustände des Gebiets zu einem früheren und einem späteren Zeitpunkt hervorgerufen wird, würde man erwarten, dass es sich bei den Landschaftsbezeichnungen im ersten und im zweiten Satz „im Grunde genommen um lauter geographische Synonyma handelte.“22 Allerdings bestätigt der überlieferte Text diese Erwar­tung nicht, da den ersten Gebieten Sebulon und Naftali am ehesten noch die dritte Angabe, „Kreis der Völker“23,

[...]


1 Vgl. Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.209.

2 Als weitere Belege nennt er Ri 13,23 und Ex 9,18; vgl. dazu Barth, Hermann: Jes 8,23b-9,6, S.202.

3 Vgl. Barth, Hermann: Jes 8,23b-9,6, S.201-203.

4 Vgl. Wildberger, Hans: Jesaja I, S.364.

5 Vgl. Studer, G.: Zur Textkritik Jesaja. III, S.161.; Wildberger, Hans: Jesaja I, S.364.

6 Barth, Hermann: Jes 8,23b-9,6, S.203f.

7 Vgl. Crüsemann, Frank: Studien zur Formgeschichte, S.221f.227.223.

8 Vgl. Rad, G. v.: Das judäische Königsritual, S.216.

9 Vgl. Gressmann, H.: Der Messias, S.243.

10 Vgl. Procksch, O.: Jesaia I, S.145.

11 Vgl. Barth, Hermann: Jes 8,23b-9,6, S.204.

12 Wildberger, Hans: Jesaja I, S.364.

13 Vgl. Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.219.

14 Vgl. Wildberger, Hans: Jesaja I, S.365.

15 Als Beispiele nennt Rehm Basilius (PG 30,505), Hieronymus (PL 24,126), Cyrill von Alexandrien (PG 70, 245), Theodoret von Kyros usw., vgl. dazu Rehm, Martin: Der königliche Messias, S.139.

16 Vgl. Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.212.

17 Vgl. Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.211.

18 Wildberger, Hans: Jesaja I, S.366.

19 Vgl. Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.209.

20 Vgl. Duhm, B.: Das Buch Jesaia.

21 Vgl. Seybold, K.: Das davidische Königtum, S.80.

22 Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.210.

23 Alt merkt hierzu an, dass damit nicht nur die Gebiete der beiden Stämme, sondern ganz Galiläa mit der Bezeichnung umfasst wird, vgl. dazu Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, S.209.

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Details

Titel
Exegetische Überlegungen zu Jes 9,1–6
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Lehrstuhl für Altes Testament (Theologie))
Veranstaltung
HS: Messiaserwartungen im AT
Note
1,3
Jahr
2021
Seiten
21
Katalognummer
V1188475
ISBN (eBook)
9783346623478
ISBN (Buch)
9783346623485
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Jes 9, 1–6, Exegese, Diachrone Aspekte in Jes 8, 23b-9, 6, . Alt, Albrecht: Befreiungsnacht, Inthronisation, Adoptionsakt, Thronnamen, judäische Königsritual, Gottessohnschaft, altorientalische Königsideologie, Jerusalemer Königsritual, Königsprotokoll, Königstitulatur, fünfgliedriger Thronname, Befreiungsnacht und Krönungstag, Zionstheologie, Chaos, Kosmos, messianische Weissagung, Messiaskind, Maat, Gerechtigkeit
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Anonym, 2021, Exegetische Überlegungen zu Jes 9,1–6, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1188475

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