Begründung vom Konzept Offener Unterricht

Argumentationsanalyse an einem ausgewählten Literaturbeispiel


Vordiplomarbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Problem des Begriffs der Offenheit

3. Argumente und deren Stützungen
3.1 Argumente
3.1.1 Das Argument veränderte familiare Lebenswirklichkeit
3.1.2 Das Elternerziehungsdefizit-Argument
3.1.3 Das Medienkonsum-Argument
3.1.4 Das Argument verändertes Spiel- und Freizeitverhalten
3.1.5 Das Argument des Umgangs mit Kulturenvielfalt
3.2 Stützungen

4. Prüfung der Argumente durch Prämissen
4.1 veränderte familiare Lebenswirklichkeit
4.2 Elternerziehung
4.3 Medienkonsum
4.4 Das Spiel- und Freizeitverhalten
4.5 Umgang mit Kulturenvielfalt

5. Prämissen bezogen auf das Gesamtkonzept
5.1 Alternativprämisse
5.2 Praxisprämisse
5.3 Adäquatheitsprämisse
5.4 Bedingungen

6. Schluss

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Spätestens seit PISA und TIMMS ist die Diskussion über das bestehende deutsche Schulsystem neu entfacht. Der Ruf nach Veränderung und Reformierung wird immer lauter. Nicht nur auf wissenschaftlicher Seite, auch von Politik, Wirtschaft und Eltern wird gefordert, die für viele schockierenden Ergebnisse der oben angeführten Studien schnellst möglich zu verbessern um den Schülerinnen und Schülern (im Folgenden Schüler) einen besseren Start ins Leben zu ermöglichen. Im Rahmen der Diskussionen stellte sich mir die Frage, welche Konzepte zur besseren Strukturierung und Gestaltung des Unterrichts es gibt und wie diese diskutiert werden. Bei meiner Arbeit als Migrationshilfe an einer Bielefelder Grundschule bin ich auf das Konzept des offenen Unterrichts gestoßen und möchte in dieser Arbeit der Frage nachgehen, wie es begründet wird und ob diese Form des Unterrichts eine gute und erfolgbringende Alternative zur bestehenden Unterrichtspraxis sein kann.

Ich habe mich entschieden das Buch von Eiko Jürgens „Die `neue` Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht“ (6.Auflage, 2004) genauer zu betrachten. Ziel der Arbeit soll sein, die Argumente von Jürgens herauszufiltern, zu schauen wie sie in seinem Buch gestützt werden und ob offener Unterricht, so wie von ihm begründet, bestimmte Prämissen (nach Paschen 1992) erfüllt. Des Weiteren möchte ich schauen, welche Pädagogik(en) im Konzept offener Unterricht enthalten ist. Die Seitenangaben beziehen sich, soweit nicht anders vermerkt auf das oben genannte Buch.

In seiner Einleitung betont Jürgens zunächst einmal, dass offener Unterricht nicht gleichzeitig die Ablehnung von geschlossenen Unterrichtsformen implizieren muss. Er schreibt, dass "Offenheit und Geschlossenheit Pole eines gemeinsamen Ganzen sind und es der jeweiligen didaktischen Entscheidung bedarf, wann `offenere` und wann `geschlossenere` Lernformen für die Bewältigung bestimmter Lerninhalte bzw. Unterrichtsthemen angemessen zu sein scheinen.“ (S.16) So spricht er sich also, je nach Gegebenheiten und Lernzielen, für eine Mischung von lernzielorientierter Didaktik und der Praktizierung offenen Unterrichts aus. Aber was steckt hinter dem Begriff Offenheit? Jürgens Definition soll im Folgenden betrachtet werden.

2 Das Problem des Begriffs der Offenheit

In seinem Buch widmet Jürgens einen Abschnitt der Begriffsproblematik der Bezeichnung Offenheit. So konstatiert er, dass Offenheit als Terminus Einzug in die pädagogische Sprache gehalten hat und damit für die Schulpraxis oft "konturenlos“ erscheint. (vgl. S.16) Durch die Verwendung des Begriffs können sachliche Differenzen entstehen und es bestehe die Gefahr, dass Offenheit als Schlagwort benutzt werde und dadurch lediglich die Negation zu Geschlossenheit heraus gearbeitet würde. Er schreibt, dass man bisher von keiner zugrunde liegenden Theorie pädagogischer Offenheit oder einer Theorie offenen Unterrichts sprechen könne. Jedoch, so Jürgens, "(…) lassen sich eine Reihe rationaler, wissenschaftlich begründeter Argumente für `offenere Lernformen` finden.“ (S.19) Auch er schließt sich Kasper (1989) und Wallrabenstein (1991) an, welche Offenen Unterricht "(…) weiterhin mehr als Oberbegriff zur Kennzeichnung vielfältiger unterrichtlicher Handlungs- und Interaktionsformen (…)“ verstanden sehen wollen. (ebd.) Jedoch hofft er, dass bestimmte Leitgedanken sich in den verschiedenen Formen wiederholen und damit "(…) eine Art `Eckpfeilerfunktion` für die allmähliche Herausbildung einer `theoriegeleiteten` Rahmenfunktion `Offenen Unterrichts` übernehmen könnten.“ (S.19). So sieht er in einer Rahmenkonzeption die Chance die "(…) Basis für die Entwicklung eines theoretischen Wirkungsmodells zu sein, das wiederum als Grundlage für die Konzipierung und Auswertung empirischer Untersuchungen herangezogen werden könnte.“ (ebd).

Er lehnt es ab, den Begriff in Hinblick auf seine semantische Grundbedeutung zu definieren, da diese Definition weder Konkretisierung noch Rationalisierung zulasse. Obwohl der Begriff Offenheit also zu einer Definitions- und Eingrenzungsproblematik führe und sich eher als pädagogischer Slogan bezeichnen lasse, sieht Jürgens gerade darin einen Vorteil. Er sieht "(…) griffige Slogans als einigende Kraftquelle (…)“ für praktische Pädagogik, die jedoch nicht ausreicht "(…) um als notwendig erkannte Reformen rational zu begründen und abzusichern.“ (S.21) Offener Unterricht scheint also ein Sammelbegriff zu sein. Jürgens möchte ihn als Bewegung bezeichnen, womit er zum Ausdruck bringen will, "(…) dass es sich um eine Vielfalt von unterschiedlichen, zusammenströmenden Denk-, Motiv-, und Handlungsformen handelt, denen der mehr oder weniger radikale Bruch mit der traditionellen Erziehungs- und Unterrichtspraxis des Schulwesens gemeinsam ist.“ (S.24) Er möchte nicht nur darstellen, dass das gemeinsame in der Negation des Bestehenden zu finden ist (wie bereits vorher kritisiert), sondern auch auf die nach innen und außen wirkende Dynamik verweisen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Offenheit in diesem Zusammenhang nicht genau Definierbar ist und eher als Oberbegriff für verschiedene Ansätze und Formen von Unterricht verstanden werden soll.

3 Argumente und deren Stützungen

Im Folgenden Teil meiner Arbeit möchte ich mich mit den von Jürgens vorgebrachten Argumenten für die Praktizierung offenen Unterrichts beschäftigen und untersuchen, wie und wodurch sie in seinem Buch Stützung erfahren. Es handelt sich um gesellschaftliche und sozialisationstheoretische Argumente. Jürgens beschreibt die sich veränderten Bedingungen und Aufgabenfelder der Schule. Diese führt er auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurück. So schreibt er, " Aber für Schule stellt sich nicht nur die Frage nach den Möglichkeiten der Reaktion, sondern vordringlicher der Aktion, d.h. was Schule tun kann, um von sich aus die Initiative zum Handeln zu ergreifen, damit bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen gar nicht erst auftreten bzw. andere gefördert werden können.“ (S.27) Es scheint, als sei Offener Unterricht ein Mittel, um den neuen Anforderungen an Schule gerechter zu werden.

3.1 Argumente

An Hand einer zusammengefassten analytischen Betrachtung des heutigen Kinderalltags stellt er einige, für ihn besonders gravierende Veränderungen dar, durch die sich Schule dazu veranlasst sehe, "(…) ihr Aufgaben- und Zuständigkeitsfeld inhaltlich neu mit anderen Schwerpunkten zu strukturieren und ggf. in einigen Bereichen zu erweitern (…)“ (S. 28)

3.1.1 Das Argument veränderte familiare Lebenswirklichkeit

Beziehungsstrukturen, und Lebensverhältnisse von Familien haben sich geändert und das stellt für Schule veränderte Rahmenbedingungen dar, auf die sie reagieren muss.

Zum einen bezieht sich Jürgens hier auf die veränderten Aufwachsbedingungen der Kinder. 80% der Kinder wachsen als Einzelkinder oder mit einem Geschwisterteil auf, was zur Konsequenz hat, das viele, obwohl sie die Aufmerksamkeit der Eltern nicht teilen müssen, einsam sind. Zum anderen sieht er durch die immer steigende Zahl Alleinerziehender mit nur einem Kind, der Müttererwebstätigkeit und der Anzahl der Ehescheidungen das Problem, dass "Die Leistungsfähigkeit der Familie als Ort der Vermittlung umfassender Sozialerfahrungen (…)“ abehme (S.28) Des Weiteren ergibt sich ein Betreuungsproblem für Kinder deren Eltern Erwerbstätig sind. Diese Ausführungen stellen seiner Meinung nach auch für Schule veränderte Rahmenbedingungen dar auf die angemessen reagiert werden müsse. Die von ihm vorgebrachten Stützungen sind zwar einleuchtend und jeder der sie liest, wird sich der Tatsache des Geburtenrückgangs, die er auch an Hand einer Zahl belegt, und der steigenden Zahl Alleinerziehender bewusst sein, jedoch hätte man an dieser Stelle auch empirische Daten für die getroffenen Aussagen zur Stützung einbringen können. Meiner Meinung nach fehlt hier auch der Hinweis auf die Pluralisierung der familialen Lebensformen, die auch Patchworkfamilien und andere Konstellationen mit einschließt auf die reagiert werden muss.

3.1.2 Das Elternerziehungsdefizit-Argument

Durch das veränderte Erziehungsverhalten von Eltern ergibt sich für Schule eine größere Verantwortung im erzieherischen/sozialpädagogischen Bereich.

Zunächst einmal stellt er fest, dass die Erziehungsziele stärker in der Betonung auf Selbständigkeit und der Entwicklung selbstverantwortlichen Handelns liegen. Zur Stützung dieser These führt er ein Zitat von Prof. Dr. Maria Fölling-Albers an. Auch schreibt er, dass sich immer öfter `gleichberechtigte´ und `symmetrische` Eltern-Kind-Bezüge abzeichnen (vgl. S.29). Hier führt er Dr. phil. Jürgen Zinnecker und Prof. Dr. Peter Büchner auf, die diese Entwicklung auch beschrieben haben. Außerdem seien Eltern in ihrem Erziehungsverhalten unsicher, was sich die große bandbreite an Erziehungsratgebern belege. Er folgert aus dieser Angst und Unsicherheit eine Verlagerung der Erziehungsprobleme auf professionelle Personenkreise wie Erzieher und Lehrer. Jürgens spricht sogar davon, dass die Erziehungsunsicherheit in Erziehungsverweigerung umschlägt und sich für Schule dadurch eine größere Verantwortung im erzieherischen und sozialpädagogischen Bereich ergibt. (vgl. S.30)

Jedoch sei auch der Einfluss der Medien dafür verantwortlich, das Eltern in ihrem Erziehungsverhalten nicht sicher sind, da Kindererziehung auch in der Mediensozialisation stattfindet und Eltern dadurch ihre Erziehungsautorität teilen müssen oder verlieren. (vg. S.35) Weitere Ausführungen zu Medien im nächsten Kapitel.

Durch den Wandel im Erziehungsverständnis ergeben sich für Jürgens verschiedene Fragen die sich darauf beziehen, was Schule nun also tun muss und kann. Durch die Frageform macht er zwar deutlich, dass Handlungsbedarf besteht, er gibt jedoch keine Handlungsanweisungen oder Vorschläge, sondern er nutzt das rhetorische Mittel der Frage um die Lösungen der sich ergebenden Probleme offen zu lassen. So kann der Leser sich seine eigenen Gedanken machen, sieht sich aber auch vor dem Problem der Lösungsfindung. Zwar ist durch den Titel des Buches und der Kapitelüberschrift, Begründung für offenen Unterricht und Definitionsproblematik, klar, dass Jürgens der Ansicht ist, offener Unterricht stellt eine adäquate Lösung dar, jedoch werden an dieser Stelle keine konkreten Beispiele für den Umgang mit den durch verändertes Erziehungsverhalten entstehenden Problemen genannt.

Ich möchte versuchen aus den Fragen Aussagen zu bilden, die Verdeutlichen sollen, auf was Schule reagieren muss.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Begründung vom Konzept Offener Unterricht
Untertitel
Argumentationsanalyse an einem ausgewählten Literaturbeispiel
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V118849
ISBN (eBook)
9783640221509
ISBN (Buch)
9783640223442
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begründung, Konzept, Offener, Unterricht
Arbeit zitieren
Verena Imke (Autor:in), 2006, Begründung vom Konzept Offener Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118849

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Titel: Begründung vom Konzept Offener Unterricht



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