Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. ZWISCHEN MÜNDLICHKEIT UND SCHRIFTLICHKEIT: BETRACHTUNG AUS DER SPRACHTHEORETISCHEN SICHT
2.1 DAS VIEFELDERMODELL NACH SÖLL
2.2 DIE SPRACHE DER NÄHE UND DISTANZ NACH KOCH UND OESTERREICHER
2.3 CHARAKTERISTIKA DER KONZEPTIONELLEN MÜNDLICHKEIT BEI DER QUASI-SYNCHRONEN KOMMUNIKATION
3. DATEN UND METHODIK
4. UNTERSUCHUNG DER KONZEPTIONELLEN MÜNDLICHKEIT BEI DER WHATSAPP- KOMMUNIKATION
4.1 ELLIPSEN
4.2 PARATAXEN
4.3 SPRACHLAUTVERÄNDERUNGEN
5. FAZIT
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
CHAT-VERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mündlichkeit und Schriftlichkeit- Konzeption und Medium (Quelle in Anlehnung an Koch/ Oesterreicher 2011: 3)
Abbildung 2: Sprache der Nähe und Sprache der Distanz- Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien (Quelle in Anlehnung an Koch/Oesterreicher 2016: 26)
Abbildung 3: Aufbau der Mobile Data Communicationbase 2 (Quelle in Anlehnung an MoCoDa 2 o. J.)
1. Einleitung
„Hey! Was machst du heute?“ oder „hey was machse heute?“ - Getippt und schnell abgeschickt, auf die Richtigkeit kommt es nicht an. WhatsApp ist seit 2020 die beliebteste Applikation unter Jugendlichen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020: 38). Das neuartige Kommunikationsmedium wurde 2009 von Jan Koum und Brian Acton entwickelt und verzeichnet von Jahr zu Jahr rapide steigende Nutzerzahlen (vgl. Brandt 2013). WhatsApp verspricht den Menschen eine grenzenlose Kommunikation an allen Standorten der Welt (vgl. WhatsApp o. J.). Angesichts ihrer zunehmenden Beliebtheit bildet die neuartige Chatkommunikation die Analysebasis dieser Arbeit. Der Fokus liegt dabei auf der sprachlichen Gestaltung der Kurznachrichten. Die Untersuchung der vorliegenden Arbeit konzentriert sich in diesem Zusammenhang auf die Dominanz der konzeptionellen Mündlichkeit bei der WhatsApp-Kommunikation.
Zuerst wird das Modell der konzeptionellen Mündlichkeit nach Koch und Oesterreicher aufgegriffen. Dies schließt auch eine Definition der Bezeichnungen gesprochen/mündlich und geschrieben/schriftlich nach Ludwig Söll ein. Daraufhin werden „die Sprache der Nähe“ und „die Sprache der Distanz“ nach Koch und Oesterreicher erläutert. Im nächsten Schritt stehen die allgemeinen Merkmale der internetbasierten Kommunikation im Fokus, in die auch die WhatsAppKommunikation eingeordnet wird. Hiernach werden die Merkmale der konzeptionellen Mündlichkeit in der Chatkommunikation untersucht, worauf eine Erläuterung der Vorgehensweise bei der Erhebung der Daten und der Methodik der Analyse folgt. Darauf basierend werden zwei WhatsApp-Chats im Hinblick auf die Charakteristika der konzeptionellen Mündlichkeit und die Phänomene der Syntax und der Morphologie analysiert, um festzustellen, ob bei der WhatsApp-Kommunikation eine Dominanz der konzeptionellen Mündlichkeit zu erkennen ist. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Arbeit unter Orientierung an der Problemstellung zusammengefasst.
2. Zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Betrachtung aus der sprachtheoretischen Sicht
2.1 Das Viefeldermodell nach Söll
Die Bezeichnungen gesprochen/mündlich und geschrieben/schriftlich drücken die „Art der materiellen Realisierung sprachlicher Äußerungen“ (Koch/Oesterreicher 2011: 3) aus. Hiermit ist die Ausprägung als Laut (phonisch) oder als Schriftzeichen (grafisch) gemeint (vgl. ebenda: 3). Beachtenswert sind die Übereinstimmungen des grafisch Geäußerten mit der Schriftlichkeit. Ludwig Söll (2011: 3) differenziert zwischen zwei Kriterien. Zum einen betrachtet er das Problem von der Realisierungsform aus, die er Medium nennt. Die Realisierungsform ist entweder phonisch oder grafisch. Zum anderen blickt Söll von der Konzeption aus auf das Problem, womit die kommunikative Strategie gemeint ist, also geschrieben oder gesprochen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mündlichkeit und Schriftlichkeit- Konzeption und Medium (Quelle in Anlehnung an Koch/ Oesterreicher 2011: 3)
Abbildung 1 stellt eine Vierfeldertafel dar, in der die Mündlichkeit und die Schriftlichkeit sowohl konzeptionell als auch medial gegenübergestellt werden. Die durchgezogene Trennlinie steht für eine strenge Dichotomie, während die gestrichelte Trennlinie die Relation von geschrieben und gesprochen als Kontinuum darstellt (vgl. ebenda: 4). Die Vierfeldertafel symbolisiert keine Gleichberechtigung, jedoch sind die Beziehungen zwischen Medium und Kontinuum unbestritten (vgl. ebenda: 4). Es liegen vier Kombinationsmöglichkeiten vor: geschrieben und phonisch (Festvortrag), gesprochen und phonisch (vertrautes Gespräch), gesprochen und grafisch (Chat) sowie geschrieben und grafisch (Zeitungsartikel) (vgl. ebenda: 4). Die Bezeichnungen gesprochen und geschrieben führten sowohl zu terminologischen als auch zu begrifflichen Diskrepanzen. Sie zeigen keine Varietätenunterschiede im Gebiet der Mündlichkeit und Schriftlichkeit (vgl. Koch/Oesterreicher 2016: 19). Demzufolge einigten sich Koch und Oesterreicher in ihrem Modell auf die Begriffe der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit (vgl. Koch/Oesterreicher 2007: 348), die nachfolgend näher erläutert werden.
2.2 Die Sprache der Nähe und Distanz nach Koch und Oesterreicher
Jede menschliche Kommunikation unterliegt Kommunikationsbedingungen. Koch und Oesterreicher (2016: 25f.) sprechen in diesem Zusammenhang von kommunikativen Einflussgrößen. Sie definieren mit der kommunikativen Nähe und der kommunikativen Distanz zwei Extrempole, die Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien aufweisen (vgl. ebenda: 25f.). Die Sprache der Nähe ist durch die Vertrautheit der Gesprächspartner gekennzeichnet. Die Kommunizierenden beziehen sich auf eine gemeinsame Situation, wobei sie abwechselnd die Rolle des Sprechers und des Hörers einnehmen. Das Gespräch besteht somit aus der Produktion und Rezeption von Beiträgen (vgl. Eck 2011: 73). Bei der gesprochenen Sprache stehen den Interaktionspartnern nur knappe Zeiträume zur Planung und Verarbeitung zur Verfügung, wodurch sie zu Spontaneität gezwungen werden (vgl. ebenda: 74). Aufgrund dessen entstehen expressive und affektive Gesprächsbeiträge.
Bei der Sprache der Distanz sind die Rollen hingegen festgelegt, woraus eine Monologizität hervorgeht (vgl. ebenda: 74). Aufgrund der raum-zeitlichen Distanz müssen die Gesprächskontexte verbalisiert werden. Hierdurch nehmen die Konzeption und die Reflektiertheit mehr Zeit in Anspruch (vgl. ebenda: 74). Abbildung 2 stellt weitere Parameter der Sprache der Nähe und der Sprache der Distanz dar.
Die Linguistik beschäftigt sich mit der Frage, „ob der Schriftsprachgebrauch in der informellen E-Mail-, Chat- und Forenkommunikation an traditionellem
Schreibnormen oder besser an der Mündlichkeit zu messen“ (Beißwenger 2007: 498) ist. Im Folgenden werden zunächst die Merkmale der internetbasierten Kommunikation aufgegriffen. Im Anschluss werden Charakteristika der konzeptionellen Mündlichkeit bei der Chatkommunikation dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Sprache der Nähe und Sprache der Distanz- Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien (Quelle in Anlehnung an Koch/Oesterreicher 2016: 26)
2.3 Charakteristika der konzeptionellen Mündlichkeit bei der quasi-synchronen Kommunikation
Die germanistische Linguistik interessiert sich immer mehr für die sprachlichen und kommunikativen Charakteristika der computervermittelten Kommunikation (vgl. Beißwenger 2007: 496). Die internetbasierte Kommunikation ist ein Terminus „[...] für einen interdisziplinär bearbeiteten Forschungsgegenstand“ (Storrer 2018: 226). Sie befasst sich mit Technologien, Abläufen und Resultaten der Kommunikation unter Gebrauch des Internets (vgl. ebenda: 226). Hier kommen clientbasierte Anwendungen zum Einsatz, wie E-Mail, webbasierte Kommunikationsformen oder Social-Media- Applikationen (vgl. ebenda: 226). Die internetbasierte Kommunikation ist mit einem fortdauernden technologischen Wandel konfrontiert. Social-Media-Anwendungen wie Facebook oder Twitter bieten den Nutzern ständig neue Funktionen an (vgl. Beißwenger 2020: 291). Die Chatkommunikation kann aufgrund der Etablierung mobiler Messenger-Applikationen als digital ausgeführte, fortlaufend organisierte Individualkommunikation beschrieben werden (vgl. ebenda: 291). Nachfolgend soll nun die konzeptionelle Mündlichkeit in der quasi-synchronen Kommunikation näher betrachtet werden.
Quasi-synchrone Kommunikation erfolgt im Virtuellen textbasiert (vgl. Eck 2011: 74). Sie ist durch einen schnellen Austausch gekennzeichnet. Dürscheid und Frick (2016: 30) grenzen die Chatkommunikation von der E-Mail und der SMS ab. Der Chat ist durch das gleichzeitige Aktivsein der Kommunikationspartner charakterisiert. In einer kurzen Zeitspanne werden mehrere Nachrichten hin und her gesendet (vgl. ebenda: 30). Demzufolge stellt die Chatkommunikation eine quasi-synchrone Kommunikation dar (vgl. ebenda: 30). Die Kommunikationspartner sind zwar räumlich getrennt, aber es kommen trotzdem viele Charakteristika der gesprochenen Sprache zum Vorschein. Die internetbasierte Kommunikation ist auf der Ebene der Syntax und der Lexik durch Charakteristika konzeptioneller Mündlichkeit gekennzeichnet (vgl. ebenda: 75). Die Gesprächspartner tendieren häufig zu syntaktisch schwachen Konstruktionen, zur Umgangssprache, Dialekten oder dem Gebrauch von Akronymen. Es ist eine Präferenz für Parataxen, Satzbaufehler und -brüche zu erkennen (vgl. ebenda: 73). Die Satzgrenzen sind häufig unklar. Die Kommunizierenden tendieren zu Einsatzäußerungen sowie zu einer widersprüchlichen Verwendung von Kohäsionsmitteln und Diskursmarkern. Die Themenentfaltung entwickelt sich frei und inhaltlich verbunden. Sie erfolgt dialogisch (vgl. ebenda: 73). Weitere Merkmale sind „Tilgungen, Assimilationen und Reduktionen, Satzbrüche und Ellipsen“ (ebenda: 75). Orthografische Fehler und das Vertauschen von Buchstaben sind auf die konzeptionelle Mündlichkeit zurückzuführen. Dies liegt daran, dass die Kommunizierenden dem schnellen Austausch eine größere Bedeutung beimessen. „Je synchroner und dialogischer die Kommunikation im Netz verläuft, desto deutlicher treten die Merkmale der konzeptionellen Mündlichkeit auf“ (ebenda: 75). Die mündliche Gestaltung der schriftlichen Konversation betont die emotionale Verbundenheit und Atmosphäre der Kommunizierenden. Häufig werden Verben aus dem Themengebiet „Gespräch“ verwendet, womit die konzeptionelle Mündlichkeit betont wird (vgl. ebenda: 75). Zusammenfassend kann diese Kommunikationsform als eine neue Gesprächsform verstanden werden. Im Laufe dieser Arbeit wird angesichts dieser Erkenntnis die WhatsApp-Kommunikation im Hinblick auf die konzeptionelle Mündlichkeit untersucht. Der Schwerpunkt liegt auf den Phänomenen der Syntax und der Morphologie. Vorab werden die Vorgehensweise bei der Analyse und die Auswahl der Daten erläutert.
3. Daten und Methodik
Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich immer intensiver mit der Frage, wie die Kommunikation und die Sprache in elektronischen Kurznachrichten aufgebaut sind.
Im vorherigen Kapitel wurden die Charakteristika der konzeptionellen Mündlichkeit bei der quasi-synchronen Kommunikation dargestellt. Im nächsten Kapitel sollen auf dieser Basis zwei WhatsApp-Chats einerseits auf die konzeptionelle Mündlichkeit und andererseits auf die Phänomene der Syntax und der Morphologie untersucht werden. Dieses Kapitel stellt die Auswahl der Daten und die angewendete Methodik vor. Die Chats werden aus der Datenbank Mobile Communication Database 21 entnommen. Diese Datenbank archiviert die Alltagskommunikation, die auf elektronischen Kurznachrichten basiert. Das Ziel ist eine datenbankgestützte Bereitstellung der Chatkommunikation für die Forschung und Lehre an der Universität (vgl. MoCoDa 2 o. J.) Die Daten werden von allen Nutzern über die Exportfunktion von WhatsApp gespendet. Anschließend werden sie mithilfe eines Assistenten „bearbeitet, pseudonymisiert und am Ende der Forschung und Lehre zur Verfügung gestellt“ (ebenda: o. J.).
Als Analysematerial wurden bewusst WhatsApp-Chats ausgewählt, da WhatsApp, wie bereits erwähnt wurde, zu den beliebtesten Applikationen weltweit gehört. Die vielfältigen Funktionen der Applikation erleichtern den Nutzern den Alltag. Nachrichten, Dateien, Fotos, Sprachnachrichten und Videos können unbegrenzt versendet werden (vgl. Dürscheid/Frick 2014: 174). Des Weiteren ist es möglich, Videoanrufe oder Sprachanrufe zu tätigen. Außerdem kann der Nutzer seine Emotionen mithilfe der Bildzeichen beziehungsweise der Emoticons ausdrücken (vgl. ebenda: 174). Da für den Austausch eine Internetverbindung unerlässlich ist, stellt die WhatsApp-Kommunikation eine Internet Based Communication, also internetbasierte Kommunikation, dar (vgl. Beißwenger 2017: 1). Festzuhalten ist, dass WhatsApp inzwischen eine sehr wichtige Rolle im Alltag einnimmt.
Nun werden die Kriterien erläutert, nach denen die Chats ausgesucht wurden.
Die Auswahl des Analysematerials erfolgte unter Berücksichtigung zweier Kriterien. Das erste Kriterium ist die Anzahl der Chatteilnehmer.2 Bei den untersuchten Chats interagieren immer zwei Teilnehmer. Dies unterstützt die Übersichtlichkeit für den Leser. Außerdem erfolgt die Unterhaltung zwischen zwei Kommunizierenden intensiver als bei einer Gruppenkonversationen. Das zweite Kriterium bezieht sich auf das Alter der Kommunizierenden. Die Chatteilnehmer sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. 94 Prozent dieser Altersgruppe nutzen mittlerweile WhatsApp (vgl. Tenzer 2021), das Ausmaß der Handynutzung liegt hier zwischen 94 und 96 Prozent (vgl. ebenda 2021). WhatsApp belegt den ersten Platz unter den beliebtesten Anwendungen (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020: 38). In der ausgewählten Altersgruppe ist die WhatsApp- und die Handynutzung folglich am höchsten ausgeprägt, weshalb sie auch im Fokus steht. Da WhatsApp ein Begleiter durch den Alltag ist, werden vor allem alltägliche Themen adressiert, wie beispielsweise die Kontaktpflege oder der Informationsaustausch. Außerdem werden Familienchats analysiert, da die Vertrautheit in der Familie groß ist. Die Vertrautheit gehört zu den Merkmalen der Sprache der Nähe, also der gesprochenen Sprache (vgl. Koch/Oesterreicher 2016: 26). Die Analyse konzentriert sich auf die Syntax und die Morphologie, also Teildisziplinen der Linguistik, da in beiden Chats syntaktische und morphologische Phänomene der konzeptionellen Mündlichkeit festzustellen sind.
Die Datenbank umfasst eine Suchfunktion nach Kategorien. Die ausgewählten Chats sind in die Kategorien Langeweile, Informationsaustausch, Familienchats, Sorgen und Probleme eingeordnet. In der Datenbank werden unter Metadaten der Chatcode, die Anzahl der Chatteilnehmer und die Anzahl der versendeten Nachrichten sowie eine kurze Inhaltsangabe des Gesprächs zusammengefasst. Jeder Chat hat einen eigenen Titel und einen Chatcode. Der Gesprächsinhalt wird unter „Ergänzende Informationen/Kontext“ (MoCoDa2 o. J.) kurz wiedergegeben. Die Chats wurden mit der Exportierfunktion der Datenbank exportiert (siehe Abbildung 3). Die Chatabschnitte werden somit ebenfalls eingefügt. Bevor die Analyse der Chats beginnt, werden Informationen zu dem Gesprächsinhalt und der Anzahl der Teilnehmer gegeben.
[...]
1 Im Folgenden MoCoDa2
2 WhatsApp ermöglicht, sowohl den Austausch unter zwei Teilnehmern als auch den Austausch in Gruppen (vgl. WhatsApp o. J.)