Aus dem Lande der Ostseeritter

Aus: Zwei Erzählungen


Klassiker, 2008

29 Seiten

Elisabeth von Heyking (Autor:in)


Leseprobe


Elisabeth von Heyking

Aus dem Lande der Ostseeritter

[aus „Zwei Erzählungen“, erstmalig erschienen 1921]

In Livland, auf ihrer Eltern Gut, Burkahnen, ward Komteßchen Dorothee, wie der Grafenkalender kündet, um 1820 geboren. In völliger Weltabgeschiedenheit wuchs sie dort auf, als einziges Kind.

Das Herrenhaus in Burkahnen war ein ganz altes Gebäude, das ursprünglich seinen Anspruch auf besonderen Stil erheben konnte, aber Dorothees Großeltern hatten es im klassizistischen Geschmack jener Tage neu herrichten lassen. Die Hauptfassade war mit einem griechischen Giebel und dorischen Säulen geschmückt worden, und zu beiden Seiten der großen Haustür hatte man in die dicke Mauer Nischen eingehauen, in denen nun hohe dreifüßige Opferschalen standen. Dinge, die sich zu wundern schienen, wie sie in die nordische Umgebung hineingeraten waren.

Es war ein stillverträumtes Haus, darin es überall nach Lavendel roch, und alles hatte etwas Geheimnisvolles. Wenn man plötzlich in ein Zimmer trat, knisterte es ganz leise in den alten Tapeten, als hatten die sich eben eine Geschichte erzählt und hielten nun erschrecken inne. Es gab da Stuben mit Friesen, die, in Anlehnung an Thorwaldsen, weiße Figuren auf blaßblauem Grunde wiesen, und andere, die mit alten verblichenen Kattunen bespannt waren. Zierlich steife Empiremöbel standen an den Wänden, gerade und spärlich verteilt, die Schreibtischchen hatten viele geheime Schubfächerchen, aber der Platz zum Schreiben war ganz klein und offenbar nur für winzige Billettchen berechnet. Und erstaunlich viel Kartentische gab es in dem Hause, auf denen Préférence und L'hombre gespielt wurde.

Der merkwürdigste Raum aber war ein großer ausgemalter Saal. Ein Vorfahre von Dorothee, der von einer Reise nach Italien die dauernde Sehnsucht nach Sonne und Süden heimgebracht, hatte hier, nach seiner Rückkehr, eine Reihe italienischer Landschaften auf die Wände zaubern lassen. Abgegrenzt waren sie untereinander durch bunte, überreiche Girlanden. Viel röter waren da die Rosen und weit größer die Trauben, als Dorothee sie je in den Burkahnichen Treibhäusern gesehen, und noch manch andere Blumen und Früchte, deren Namen sie kaum kannte, waren in beängstigender Üppigkeit dargestellt. In tiefe purpurne Blütenkelche blickte sie, die irgendwie die Vorstellung schwüler Abgründe erweckten, und zwischen grünen, Schlangen gleichenden Ranken reckten sich Kolben goldenen Welschkornes vor gegen das violette Kleid überreif berstender Feigen, die platzenden Schalen der Granaten, aus denen Kerne in blutrotem Safte quollen. Auf den also eingerahmten Bildern erhoben sich phantastische Bauten, von blendendem Sonnenlicht beschienen, gegen tiefblaue wolkenlose Himmelszelte; aus den Mäulern marmorner Delphine, auf denen Tritone ritten, sprangen schillernde Wasserstrahlen, und über opalisierende Gewässer glitten goldene Barken. Unwahrscheinlich erschienen diese Gefilde inmitten von Dorothees übriger etwas frostig zierlichen Welt, unwahrscheinlicher noch waren die Figuren, die die Bilder belebten. Ein schöner schwarzäugiger Jüngling, im Barett mit wehender Feder, langen seidenen Strümpfen und samtenem Wamse spielte die Laute unter Bäumen, in deren tiefgrünem Laube weiße Blüten leuchteten und zugleich goldene Früchte glühten. Süß lächelnde Frauen in golddurchwirkten Gewändern, mit glitzerndem Geschmeide auf dem tief entblößten Busen, blickten herab von hohen, mit leuchtenden Teppichen behangenen Balkonen, spielten verträumt mit bunten Papageien und kleinen listig grinsenden Äffchen. Scharen Vermummter, mit schwarzen Masken, drängten schäkernd über einen von Arkaden umgebenen Platz, der wie ein ungeheurer Festsaal wirkte. Mohren trugen güldene Schüsseln zu großen Gelagen, seltsame Zwerge mit roten Schellenkappen lugten verstohlen aus Säulengängen.

Den Märchensaal hatte Dorothee, als sie klein war, den Raum genannt, und etwas Irreales, dem kühlen nordischen Alltag Entrücktes hatte er wirklich. Er wurde auch nur bei besonderen Anlässen benützt, wenn so viel Gäste aus den benachbarten Gütern zu Besuch kamen, daß das gewöhnliche Eßzimmer nicht ausreichte, oder zu Weihnachten und anderen großen Festen. Eine Bewunderung, die zugleich Scheu war, empfand Dorothee vor dem Saale. Er hatte für sie etwas, das die Vertraulichkeit bannte. Wie es ja auch, als sie klein gewesen, Puppen gegeben hatte, mit denen es sich nicht recht spielen ließ, weil sie gar zu prächtig waren. Ja, es wollte Dorothee sogar scheinen, als müsse solch eine Überfülle von Glanz und Schönheit beinahe ein bißchen sündhaft sein. Sie hatte dieses undeutliche Empfinden wahrscheinlich nicht laut in Worte zu fassen vermocht es war nur, als mahne so in ihrem Innern eine leise Stimme, die aus weiten Fernen zu kommen schien. Denn in dieser Nachkommin jener harten, alten Geschlechter, die vor Jahrhunderten mit den Deutschordensrittern in das wilde Land gekommen waren, und sich hier unter Mühsal und Entbehrungen ihre Lebensbedingungen erkämpft hatten, in ihr mußte wohl, ohne daß sie sich dessen recht bewußt gewesen, ein kleiner Zug von Strenge und puritanischer Selbstzucht liegen. Aber dabei stammte Dorothee doch auch von jenem anderen, ganz verschieden gearteten Ahnherrn ab, der die Wandgemälde des Märchensaales in erinnernder Sehnsucht nach dem sonnigen Süden, einst hatte ausführen lassen, und durch ein in ihren Adern rollendes Tröpfchen seines Blutes kam es wohl, daß die geheimnisvolle Welt des Märchensaales sie doch mit tausend Lockungen rief und anzog. Immer aber blieb sie ihr im Gegensatz zum ganzen übrigen Burkahnen ein klein wenig unheimlich und fremd.

Alles andere dort war ihr eigen, war eigentlich sie selbst. Es würde ihr ja auch alles einstmals gehören. Niemand hatte ihr das gesagt, und doch wußte sie es schon als Kind, ganz von selbst. Ja, leben und in Burkahnen sein war im Grunde ein und dasselbe.

Und bis zu ihrem achtzehnten Jahre blieb sie auch, mit Ausnahme von Besuchen auf benachbarten Gütern, ununterbrochen dort.

Sie war aber nicht etwa allein mit ihren Eltern in Burkahnen.

Da gab es vor allem die vielen Letten, mit den blassen Augen und dem strohfarbenen, strähnigen Haar, mit den seltsam schwermütigen Weisen, die sie abends, nach getaner Arbeit, zum Klang von Rohrpfeife und Dudelsack sangen. Bis kurz vor Dorothees Geburt waren sie noch alle Leibeigene gewesene, durch den, preußischen Vorbildern nacheifernden, baltischen Adel dann befreit, zeigten sie aber noch ganz jene Unterwürfigkeit, die eine lange Vergangenheit der Knechtschaft ihrem Wesen eingeprägt hatte. In selbstgewebte Leinwand gekleidet, verbeugten sie sich ehrfurchtsvoll vor Dorothee und küßten den Saum ihres Kleides. Sie waren es, die für alles sorgten in Haus, Hof und Garten, auf deren Arbeitskraft die ganze Wirtschaft sich aufbaute. Dank ihnen konnten die deutschen Herren und Herrinnen ein Leben führen, wie es in den ganz fernen östlichen Ländern der Erde üblich, wo auch immer für jede Hantierung Wesen anderer Klasse dastehen, bereit den fremden Beherrschern des Daseins kleine Mühen und Lasten abzunehmen. Und Dorothees kränkliche Mutter brauchte sich wenig um ihr großes Hauswesen zu kümmern. Durch die lettische Wirtin ging da alles nach altem Herkommen und wie von selbst, ohne Prunk und sonderliche Eleganz, aber mit einer stets bereiten Gastlichkeit, einer gewissen breiten Behäbigkeit, der alles kleinliche Rechnen fremd war,

Um die Tage aber zu füllen, hatte man geistige Interessen, schwärmte für Walter Scott, betrieb Bildung in einer milden Form. Auch Dorothee wurde damit versehen. Wechselnde ausländische Gouvernanten widmeten sich dieser Aufgabe. Mademoiselles und Misses, die am Firmament ihrer Kindheit vorüberzogen. Denn Kenntnis verschiedener Sprachen galt als unentbehrlich, obwohl es fraglich schien, wo sie praktisch angewendet werden würde. Tanzen wurde Dorothee beigebracht, Tirolienne und Menuett, und auf dem neuen schmalen Mahagoniflügel von Gothow in Riga mußte sie, unter Aufsicht der ihr oft als wahre Quälgeister erscheinenden Ausländerinnen, spielen lernen. Im Bombasinkleidchen, aus dessen Puffärmeln die bloßen Ärmchen hervorkamen, saß sie da und übte unverdrossen Hummel, Schubert und Webers »Aufforderung zum Tanze«, bis daß ihr kleines Gesicht zwischen den Löckchen, die gerade und ordentlich über die Öhrchen hingen, ganz rot wurde.

Am liebsten entfloh sie dem allem in den großen Garten. Da verbrachte sie ihre schönsten Stunden. Denn wie der Märchensaal vielleicht der fremdeste, so war ihr der Garten der heimischste Ort im ganzen heimisch vertrauten Burkahnen. Für ihn empfand sie ein so starkes Gefühl der Zugehörigkeit, daß ihr manchmal war, als sei sie selbst eines seiner Pflänzchen. Sie vermochte nicht sich vorzustellen, daß es irgendwo einen schöneren Garten geben könne.

In seiner Mitte auf einem Rondell mit großen Fliederbüschen stand eine alte steinerne Sonnenuhr.

Gerade Wege strahlten von dort aus und führten an Rabatten vorbei. Päonien und Levkoien, Lavendel, Stockrosen und Reseden blühten da. Und lange Reihen Obstbäume gab es, kleine Zuckeräpfel und Klaräpfel, die im Herbst ganz durchsichtig wurden. Traumhafte Dome zartesten blassesten Rosas bildeten ihre Kronen, wenn sie im Frühling blühten, und die vielen Bienen flogen geschäftig ab und zu, eilend während der kurz bemessenen warmen Jahreszeit Vorräte in die gelben Bienenkörbe zu tragen. Ganz schläfrig wurde man von dem unaufhörlichen Summen. Und wirklich war Dorothee inmitten des Frühlingsblühens manchmal in einer der Pfeifenstrauchlauben einen Augenblick eingeschlafen und hatte geträumt, daß sie auch solch ein Bienchen sei, und es verstände, aus den heimatlichen Blumen süßen Honig einzuheimsen.

Aber oftmals lief die kleine Dorothee mit der sittsamen Jakonettpelerine über dem bloßen Hälschen und den langen Höschen, die unter den steif gestärkten Röckchen bis auf die Knöchel herabhingen, noch viel weiter, bis dorthin, wo der regelmäßige Garten sich in einen weiten natürlichen Park verlor und allmählich in Wiesen und Wald überging. Nicht gepflegt war dieser Wald, ungelichtetes Unterholz füllte ihn, Stämme sanken um und vermoderten unbeachtet. Wie Riesenkerzen standen die weißen Birken, ernst und feierlich, gegen die tiefe Nacht der Föhren, und unten dicht am Boden war ein Gewimmel von Blaubeeren und Strickbeeren, Pilzen und Farnen.

Außer den Letten, den Gouvernanten und Lehrern gab es in Dorothees Leben auch noch eine Reihe von Verwandten. Allerhand alte Tanten und Cousinen, die viel mehr Tugend als Schönheit oder irdische Güter besaßen, verbrachten gewohnheitsmäßig den Sommer im geräumigen Herrenhaus von Burkahnen; winters in Riga, Dorpat oder kleineren Kreisstädten lebend, schlossen sie im Frühjahr ihre Wohnungen ab, nachdem sie vorher alles darin wohl eingemottet, die Polstermöbel mit Überzügen vermummt und Bilder, Kronleuchter und Spiegel mit Gazehüllen gegen die Fliegen umwickelt hatten. Dann verteilten sie sich auf die reicheren Verwandten, die Güter besaßen, kamen zu zweien und dreien angefahren mit Koffern und Schachteln, denen sie Jahr für Jahr dieselben Kleider entnahmen. Von vergangenen Tagen sprachen sie gern mit dünnen Stimmen und meinten wehmütig, wie viel besser doch alles zu Zeiten Kaiser Alexanders gewesen, da sie selbst noch mit jungen Augen in die Welt geblickt hatten. Lauter alte Dämchen waren es, denen das Leben wohl nie seine besten Möglichkeiten geboten hatte, oder die sich diese doch irgendwie hatten entgleiten lassen die ersten Menschen, an denen Dorothee den Stachel kennen lernte, den das Nichterlebte und Niebesessene bisweilen hinterläßt.

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Details

Titel
Aus dem Lande der Ostseeritter
Untertitel
Aus: Zwei Erzählungen
Autor
Jahr
2008
Seiten
29
Katalognummer
V118915
ISBN (eBook)
9783640216963
ISBN (Buch)
9783640217021
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Land, Ostseeritter
Arbeit zitieren
Elisabeth von Heyking (Autor:in), 2008, Aus dem Lande der Ostseeritter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118915

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