Die Arbeit beschreibt den Sozialisationsprozess von Jugendlichen unter dem Einfluss kritischer Lebensereignisse und den Beitrag, den die Soziale Arbeit zur Unterstützung bei der Bewältigung und Resilienzförderung leisten kann.
Was machen kritische Lebensereignisse z. B. in Form einer Trennung der Eltern oder auch in Form einer schweren Erkrankung oder des Todes einer nahestehenden Person mit Jugendlichen? Wie wirken sie sich auf ihr Leben, ihre soziale Handlungsfähigkeit und ihre Entwicklung und Persönlichkeit aus? Und noch wichtiger, wie können sich Jugendliche trotz dieser Tiefschläge gesund (weiter-)entwickeln?
Zu Beginn der Arbeit wird geklärt, was unter dem Begriff des Sozialisationsbereichs der Jugend konkret zu verstehen ist. In einem nächsten Schritt widmet sich die Arbeit der Sozialisation als Prozess. Dafür werden verschiedenste Grundannahmen, Definitionen und Theorien zur Sozialisation hinzugezogen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem Begriff kritischer Lebensereignisse aus der Life-Event-Forschung und was darunter genau zu verstehen ist. In einem weiteren Schritt werden verschiedene Forschungsperspektiven, Chancen und Risiken kritischer Lebensereignisse erläutert. Im Anschluss folgt der Bezug auf die Fragestellung. Es werden konkrete Rückschlüsse auf die Sozialisation in der Jugendphase gezogen. Naheliegend ist danach die Analyse möglicher Ressourcen zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse. Zum Schluss werden die Ergebnisse in Bezug zur sozialen Arbeit gesetzt. Es werden mögliche Handlungsfelder aufgezeigt und ausgelotet, inwieweit der Erwerb von Kompetenzen zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse im Kontext der sozialen Arbeit gezielt gefördert werden kann.
2.1 Sozialisation - eine Begriffliche Annäherung
2.2 vier Perspektiven über den Sozialisationsprozess
2.2.1 Symbolischer Interaktionismus
2.2.2 Psychosoziales Entwicklungsmodell nach Erikson (8-Stufenmodell)
2.2.2.1 Urvertrauen gegen Urmisstrauen (Säuglingsalter)
2.2.2.2 Autonomie gegen Scham und Zweifel (Kleinkindalter)
2.2.2.3 Initiative gegen Schuldgefühl (Spielalter)
2.2.2.4 Werkssinn gegen Minderwertigkeitsgefühl (Schulalter)
2.2.2.5 Identität gegen Rollenkonfusion (Adoleszenz)
2.2.2.6 Intimität gegen Isolierung (frühes Erwachsenenalter)
2.2.2.7 Generativität gegen Stagnation (Erwachsenenalter)
2.2.2.8 Ich-Integrität gegen Verzweiflung (reifes Erwachsenenalter)
2.2.3 Selbstsozialisation Zinnecker
2.2.4 Das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung nach Klaus Hurrelmann
2.3 Synopse der vier Perspektiven
2.4 Konklusion Sozialisation im Jugendalter
3. Kritische Lebensereignisse
3.1 Eine Definitorische Annäherung kritischer Lebensereignisse
3.2 (Belastungs-)Merkmale kritischer Lebensereignisse
3.2.1 Schädigung der Person-Umwelt-Passung
3.2.2 Verlustthematik
3.2.3Affektiver Gehalt
3.2.4 Mangelnde Kontrollierbarkeit
3.2.5 Mangelnde Vorhersehbarkeit und Überraschungsgehalt
3.2.6 Erschütterung des Weltbildes
3.2.7 Erschütterungen des Selbstbildes und des Selbstwertbezuges
3.2.8 Zielrelevanz
3.3 Mögliche Folgen von kritischen Lebensereignissen auf die Sozialisation von Jugendlichen
3.3.1 Die Stresstheoretische Perspektive
3.3.2 Die Entwicklungstheoretische Perspektive
3.4 Bedeutung für die Identitätsbildung im Jugendalter
4. Bewältigung als zentraler Faktor
4.1 soziale Bewältigungsressourcen
4.2 Personale Bewältigungsressourcen
5. Resilienz
5.1 Definition Resilienz
5.2 Resilienzfaktoren
6.Die Rolle der Sozialen Arbeit
6.1 Handlungsfelder
6.2 Handlungsoptionen
6.2.1 Resilienz fördern in der sozialen Arbeit
6.2.1.1 Förderung der Resilienzfaktoren
6.2.1.2 Förderprogramme und Konzepte
6.2.2 Krisenintervention
6.2.2.1 Ziele einer Krisenintervention
6.2.2.2Grundprinzipien bei der Krisenintervention
6.2.2.3 Vorgehensweise bei der Krisenintervention
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abstract
Titel: Jugend und Sozialisation im Kontext
kritischer Lebensereignisse
Eine Analyse sozialisationstheoretischer Prozesse im Jugendalter unter dem Einfluss kritischer Lebensereignisse
Kurzzusammenfassung: Die Arbeit beschreibt den Sozialisationsprozess von Jugendlichen unter dem Einfluss kritischer Lebensereignisse und den Beitrag, den die Soziale Arbeit zur Unterstützung bei der Bewältigung und Resilienzförderung leisten kann.
Autor(en): Gina Braun
Publikationsformat: BATH
MATH
Semesterarbeit
Forschungsbericht
Anderes
Veröffentlichung (Jahr): 2021
Sprache: Deutsch
Zitation: Braun, Gina (2021). Jugend und Sozialisation im Kontext
kritischer Lebensereignisse. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, OST Ostschweizer Fachhochschule, Fachbereich Soziale
Arbeit.
Schlagwörter (Tags): Sozialisation, Entwicklung, Jugend, kritische Lebensereignisse, Bewältigung, Resilienz, Handlungsfelder und Handlungsoptionen, Soziale Arbeit
Ausgangslage
Das Leben ist voller Überraschungen. Manche davon sind gut, andere weniger. Vieles im Leben läuft nicht so wie geplant. Oft trifft uns das Leben hart. So hart, dass es beinahe unmöglich scheint, wieder aufzustehen. Nahezu jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens mit Schicksalsschlägen, grösseren und kleineren Widrigkeiten, Katastrophen, Trennungen, Verlusten usw. konfrontiert. Je nach dem können solche kritische Lebensereignisse die Betroffenen derart aus der Bahn werfen, dass sie in einer waschechten Krise landen, aus der sie nicht mehr selbständig herausfinden. Die Forschung hat sich in den letzten Jahren ausführlich mit möglichen Auswirkungen und der Bewältigung kritischer Lebensereignisse im Erwachsenenalter auseinandergesetzt. Im Gegensatz dazu hat sich die Forschung bisher nur marginal mit den Auswirkungen und Möglichkeiten der Bewältigung im Jugendalter befasst. Kritische Lebensereignisse treten aber nicht nur im Erwachsenenalter auf. Eine Befragung des Deutsches Jugendinstitut & Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: «Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten» (2012 zitiert nach Kalicki& Hüsken, 2012, S.2) zeigte bspw. auf, dass etwas mehr als zwei Drittel (67,6%) der befragten 13- bis 17-Jährigen bereits den Tod einer nahestehenden Person erlebt haben. Ein Drittel (27.9%) waren oder sind Zeugen einer schweren Erkrankung eines Familienangehörigen. Gerade in der Jugend- und Sozialisationsforschung sollten kritische Lebensereignisse und ihre Auswirkungen aber mehr Beachtung finden. Die Jugend stellt einen überaus turbulenten und ereignisreichen Sozialisationsbereich dar (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 18).
An Heranwachsende werden viele Anforderungen gestellt, denn schliesslich werden sie bald in die «echte» Welt entlassen, sie werden einen Beruf ausüben und auf ihren eigenen Beinen stehen müssen. Laut dem Soziologen Bernhard Schäfers (1994) ist Jugend die Altersphase, in der das Individuum die Kompetenzen für ein autonomes Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen erwirbt (S.22). Daher ist es nur logisch, dass kritische Lebensereignisse den Sozialisationsprozess von Jugendlichen hinreichend beeinflussen.
Ziel
Ziel der Arbeit ist es darum, kritischen Lebensereignissen im Jugendalter mehr Beachtung zu schenken.Im Vordergrund steht dabei die Frage nach den negativen sowie positiven Einflüssen von kritischen Lebensereignissen auf den Sozialisationsprozess.Zudem sollenMöglichkeiten der Bewältigung kritischer Lebensereignisse aufgezeigt werden, um im Zuge dessen einen praktischen Nutzen in Form von Unterstützungsmöglichkeiten der sozialen Arbeit zu gewinnen. Die Fragestellung lässt sich also wie folgt zusammenfassen:
Welchen Einfluss können kritische Lebensereignisse auf die Sozialisation in der Lebensphase Jugend haben? Und wie kann die soziale Arbeit Jugendliche bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse unterstützen?
Vorgehen
Zu Beginn der Arbeit wird geklärt, was unter dem Begriff des Sozialisationsbereichs der Jugend konkret zu verstehen ist. In einem nächsten Schritt widmet sich die Arbeit der Sozialisation. Dafür werden entwicklungspsychologische sowie soziologische Grundannahmen und Theorien erläutert. Zum Schluss des Kapitels werden die Theorien und Grundannahmen in einen Gesamtzusammenhang gesetzt und Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufgezeigt.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit der Lebensereignisforschung und dem Begriff Kritischer Lebensereignisse. Was sind kritische Lebensereignisse? Welche Eigenschaften haben sie? Ab wann ist ein Ereignis als kritisch zu betrachten? Und welche möglichen Auswirkungen können kritische Lebensereignisse aus Sicht der Stresstheoretischen und der Entwicklungstheoretischen Perspektive auf das Verhalten, Erleben und Wohlbefinden haben?
Im dritten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse der Sozialisationsforschung und die der Lebensereignisforschung miteinander Verknüpft und konkrete Rückschlüsse auf die Sozialisation in der Lebensphase Jugend gezogen. Naheliegend ist danach die Analyse möglicher Ressourcen zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse im Jugendalter. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die «Resilienz» gelegt.
Anschliessend werden die Erkenntnisse der drei Teilbereiche in Bezug zur sozialen Arbeit gesetzt. Es werden mögliche Handlungsfelder aufgezeigt und ausgelotet, inwieweit die «Resilienz» als Ressource zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse im Kontext der sozialen Arbeit gezielt gefördert werden kann. Trotz der Förderung von Resilienz und der Vielfalt an Ressourcen zur Bewältigung kann es sein, dass die Belastung für den oder die Jugendliche zu gross ist und die Bewältigung fehlschlägt oder konstruktive Ausmasse annimmt. Es kann zu einer Krise kommen, aus der die Betroffenen selbständig nicht wieder herausfinden. Aus diesem Grund befasst sich der letzte Teil der Arbeit mit den Grundprinzipien und Vorgehensweisen der Krisenintervention.
Erkenntnisse
Der Schwerpunkt der Sozialisation in der Lebensphase Jugend liegt auf der Bildung einer eigenständigen, stabilen und kohärenten Ich-Identität. Die Identitätsbildung im Jugendalter ist zugleich Voraussetzung für eine autonome Handlungsfähigkeit, eine gesunde Psyche und eine gelingende Lebensbewältigung. Sie kann nur gebildet werden, wenn die Bewältigung der hohen Dichte an komplexen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter gelingt. Treten kritische Lebensereignisse zusätzlich zu den Entwicklungsaufgaben auf, kommt es zu einer höheren Belastungsintensität.
Je höher die Belastungsintensität, desto wahrscheinlicher sind negative Folgen für die Identitätsbildung und damit für die weitere Sozialisation. Kritische Lebensereignisse können aber auch einen positiven Einfluss auf die Sozialisation haben. Positiv, im Sinne eines persönlichen Wachstums, wirkt sich das Ereignis aber nur dann aus, wenn die Bewältigung gelingt. Dafür benötigt der oder die Jugendliche gewisse personale und soziale Ressourcen. Als die personale Ressource wird die Resilienz gesehen. Die Fähigkeit zu biegen ohne zu brechen. Resilienz ist nicht einfach angeboren, sondern kann spezifisch erlernt und gefördert werden. Die Soziale Arbeit kann mittels adäquater Angebote und Interventionen die Jugendlichen gezielt bei der Bewältigung unterstützen. Eine zentrale Schlüsselrolle ist dabei die frühzeitige Förderung der Resilienz. Diesbezüglich wurde ein gutes Programm namens Service-Learning vorgestellt, welches sich für eine Projektwoche in der Schule oder auch für ein längeres Projekt im Jugendzentrum oder in einem betreuten Wohnen eignen könnte. Ein weiteres Handlungsfeld bietet die Beratung und Krisenintervention, wenn es Jugendlichen trotz präventiver Massnahmen nicht gelingt, das Ereignis zu bewältigen.
Literaturquellen
Filipp, Sigrun-Heide &Aymanns, Peter (2018).Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen. Vom Umgang mit den Schattenseiten des Lebens (2., aktualisierte Auflage). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
Hurrelmann, Klaus, Bauer, Ullrich, Grundmann, Matthias &Walper, Sabine (Hrsg.). Handbuch Sozialisationsforschung (Pädagogik, 8. Auflage, S. 180–195). Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Rönnau-Böse, Maike & Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2020).Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne (2., erweiterte und aktualisierte Auflage). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
Einleitung
«Die Welt besteht nicht nur aus Sonnenschein und Regenbogen. Sie ist oft ein gemeiner und hässlicher Ort. Und es ist mir egal wie stark du bist. Sie wird dich in die Knie zwingen und dich zermalmen, wenn du es zulässt. Du und ich, und auch sonst keiner, kann so hart zuschlagen wie das Leben. Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann, es zählt bloß, wie viele Schläge er einstecken kann und ob er trotzdem weiter macht. Wieviel man einstecken kann und trotzdem weiter macht. Nur so gewinnt man!»
(Stallone, 2006, Rocky Balboa, 01:03:11)
Diese Arbeit widmet sich im Wesentlichen dem, was Rocky Balboa hier zu seinem Sohn Robert sagt. Nämlich der Tatsache, dass das Leben kein Ponyhof ist, dass man Zeit seines Lebens immer wieder auf Widerstände stösst und dass diese Widerstände, Schmerzen und Leiden verursachen. Manchmal liegt man am Boden und weiss nicht wie man je wieder aufstehen soll. Das Leben ist geprägt von vielen Erfahrungen, durch Freude und Leid sowie Fortschritte und Rückschritte. Das war immer so und wird immer so sein. Diese Erfahrungen werden von der Lebensereignisforschung als kritische Lebensereignisse bezeichnet (Filipp & Aymanns, 2018, S. 9). Solche kritische Lebensereignisse können in jeder Lebensphase auftreten.
Bei einer Befragung des deutschen Jugendinstituts & Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wurden 2829 Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren gefragt, welche kritischen Lebensereignisse sie bereits erlebt haben. Wie in der folgenden Abbildung dargestellt gaben 67,6 Prozent der Jugendlichen an, bereits den Tod einer wichtigen Person erlebt zu haben. 27,9 Prozent erleben oder erlebten eine schwere Krankheit eines Familienangehörigen. Als dritthäufigstes kritisches Lebensereignis wurdevon 17,3% der 2829 Jugendlichen die Trennung/Scheidung der Eltern genannt (Kalicki& Hüsken, 2012, S.2).
Bei dieser Grafik wird deutlich, dass Jugendliche neben ihren sonstigen «Anforderungen und Schwierigkeiten» einigen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sind.
In der sozialen Arbeit kommen wir immer häufiger und automatisch mit betroffenen Jugendlichen in Kontakt.Zum Beispiel im niederschwelligen Bereich der offenen Jugendarbeit oder in der Schulsozialarbeit. Wenn Jugendliche durch kritische Ereignisse so sehr beeinträchtigt werden, dass eine Krise entsteht oder psychosomatische Auffälligkeiten auftreten, kann es so weit kommen, dass wir ihnen auchin unterschiedlichen Beratungssettings, in Tageskliniken oder in der Psychiatrie begegnen.Es ist gemäss Berufskodex von AvenirSocial (2010) eine der Hauptaufgaben der sozialen Arbeit, Menschen zu begleiten, zu betreuen
oder zu schützen und ihre Entwicklung zu fördern, zu sichern oder zu stabilisieren (S.5). Daher ist es unsere Aufgabe, dass wir als Professionelle der sozialen Arbeitdie Jugendlichen bei der Bearbeitung, Verarbeitung und Bewältigung unterstützen. Dafür müssen Professionelle in entsprechenden Handlungsfeldernmögliche Folgen und Einflüsse dieser Ereignisse auf die Jugendlichen und ihre Sozialisation kennen.
Was machen kritische Lebensereignisse z.B. in Form einer Trennung der Eltern oder auch in Form einer schweren Erkrankung oder des Todes einer nahestehenden Person mit Jugendlichen? Wie wirken sie sich auf ihr Leben, ihre soziale Handlungsfähigkeit und ihre Entwicklung und Persönlichkeit aus? Und noch wichtiger, wie können sich Jugendliche trotz dieser Tiefschläge gesund (weiter-)entwickeln? Die Lebensereignisforschung befasst sich seit geraumer Zeit mit der Frage nach den Auswirkungen solcher Ereignisse. Dabei werden kritische Lebensereignisse sowohl negativ-dystopisch als auch positiv-utopisch betrachtet. Mit menschlichen sozialen als auch biologischen Entwicklungsverläufen beschäftigt sich die Sozialisationsforschung. Im Fokus stehen dabei entwicklungspsychologische und soziologische Perspektiven (May, Scherr & Lorenz, 2019, S. 14).
Basierend auf diesem Hintergrund ist das Ziel dieser Bachelorarbeit, den Einfluss kritischer Lebensereignisse auf die Sozialisation von Jugendlichen zu analysieren und deren Möglichkeiten im Umgang mit den Ereignissen zu veranschaulichen. Im Zuge der Erkenntnisse solldargestellt werden, wie die soziale Arbeit unterstützend wirken kann.
Es wird bewusst auf kein spezifisches Ereignis eingegangen, um möglichst vielen verschiedenen kritischen Lebenslagen von Jugendlichen Rechnung zu tragen.
Mir ist dabei bewusst, dass z.B. der Verlust eines Elternteils nicht mit einem Streit unter Freunden gleichgesetzt werden kann.
Dahingehend wird in dieser Arbeit konkret der Frage nachgegangen, welchen Einfluss kritische Lebensereignisse auf die Sozialisation in der Lebensphase Jugend haben können und wie die soziale Arbeit Jugendliche bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse unterstützen kann?
Aus Platzgründen wird der Fokus in der vorliegenden Arbeit auf die Sozialisation in der Lebensphase der Jugend gelegt. Das Beleuchten des Einflusses auf mehrere Lebensphasen würde einerseits den Rahmen der Arbeit sprengen, weil der Prozess der Sozialisation in den verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich verstanden wird (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 17). Andererseits unterliegt dieser Fokus einem starken Eigeninteresse, welches auf den Umstand zurückzuführen ist, dass ich erstens bereits seit 10 Jahren in der Jugendarbeit tätig bin und es in Zukunft gerne weiterhin tun möchte und zweitens, weil ich in meiner Jugendzeit selbst mit einigen kritischen Lebensereignissen konfrontiert war.
Zu Beginn der Arbeit wird geklärt, was unter dem Begriff des Sozialisationsbereichs der Jugend konkret zu verstehen ist. In einem nächsten Schritt widmet sich die Arbeit der Sozialisation als Prozess. Dafür wird auf eine erste Definition und Grundannahme zur Sozialisation eingegangen.
Nachdem der Begriff der Sozialisation im Grundsatz definiert wurde, wird in einem nächsten Schritt auf einzelne soziologische – und entwicklungspsychologische Theorien der Sozialisationsforschung eingegangen um einen vertieften Einblick in den komplexen Begriff der Sozialisation zu erhalten und Auskunft darüber zu geben, wie die Sozialisation aus dem (je) eigenen Blickwinkel der Theorien abläuft. Da jede für sich einen unterschiedlichen Ansatz bietet und jede für sich etwas in den Fokus nimmt, was andere eher ausblenden, werden in einem Zusammenzug, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, um der Arbeit ein möglichst eindeutiges Gesamtbild über Sozialisation zu Grunde zu legen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem Begriff kritischer Lebensereignisse aus der Life-Event-Forschung und was darunter genau zu verstehen ist. In einem weiteren Schritt werden verschiedene Forschungsperspektiven, Chancen und Risiken kritischer Lebens-ereignisse erläutert. Im Anschluss folgt der Bezug auf die Fragestellung. Es werden konkrete Rückschlüsse auf die Sozialisation in der Jugendphase gezogen.
Naheliegend ist danach die Analyse möglicher Ressourcen zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse. Die besondere Kraft, mit der Menschen es scheinbar unbeschadet schaffen, Schicksalsschläge und Krisen zu bewältigen, wird als «Resilienz» bezeichnet(Böhme, 2019, S. 2). Deshalb wird in Sachen Bewältigung speziell auf die Resilienzeingegangen. Zum Schluss werden die Ergebnisse in Bezug zur sozialen Arbeit gesetzt. Es werden mögliche Handlungsfelder aufgezeigt und ausgelotet, inwieweit der Erwerb von Kompetenzen zur Bewältigung kritischer Lebensereignisse im Kontext der sozialen Arbeit gezielt gefördert werden kann. Trotz der Förderung von Resilienz und der Vielfalt an Ressourcen zur Bewältigung, kann es sein, dass die Belastung für den oder die Jugendliche zu gross ist und die Bewältigung fehlschlägt oder konstruktive Ausmasse annimmt. Es kann zu einer Krise kommen aus der die Betroffenen selbständig nicht wieder herausfinden. Aus diesem Grund befasst sich der letzte Teil der Arbeit mit den Grundprinzipien und Vorgehensweisen der Krisenintervention. Dies soll nicht den Eindruck erwecken, man könne soziologisches und psychologisches Wissen einfach und direkt «anwenden». Ziel ist es, mit einschlägigem Wissen an das Thema heranzuführen, um zusätzliches Verständnis für das «Problem» zu wecken und zusätzliche Möglichkeiten für das professionelle Handeln zu finden.
1. Jugend
Da der Fokus in dieser Arbeit auf den Einflüssen kritischer Lebensereignisse auf die Sozialisation im Jugendalter liegt, wird zunächst der Begriff der Jugend definiert.
Vorerst kann mit Jugend eine Übergangsphase zwischen Kindheit und «Erwachsenenheit» verstanden werden, die von der Gesellschaft oftmals mit gewissen normativen Vorstellungen bezüglich des Alters sowie Verhaltensmustern und Eigenschaften verknüpft ist.
An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass der Begriff nicht nur auf einen Zwischenzustand reduziert werden kann. Denn der Unterschied zwischen dem Erwachsen-sein und der Kindheit ist vielschichtig und mit vielfältigen physischen, psychischen und sozialen Entwicklungen verbunden(Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 135). Während die Kindheit als eine Phase der Bevormundung gilt, ist die Lebensphase der Jugend jene, in der diese Bevormundung nach und nach entfällt. Jedoch sind Jugendliche noch nicht komplett auf sich selbst gestellt. Die Existenz muss noch nicht wie im Erwachsenenalter selbständig gesichert werden(Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 134).
Jugend wird häufig mit dem Begriff der Pubertät verknüpft. Aus psychologischer und soziologischer Sicht geht der Begriff der Jugend jedoch weit über die Pubertät hinaus. In der Psychologie hat sich der Begriff der Adoleszenz (lat. adolescere „heranwachsen“) etabliert. In dieser Arbeit werden beide Begriffe synonym verwendet.
Jugend wird meist auch mit dem Einsetzen der körperlichen Geschlechtsreife assoziiert. Der Beginn der Jugend kann durchaus auf das Einsetzen der Geschlechtsreife zurückgeführt werden, für das Ende kann jedoch kein genauer Zeitpunkt festgelegt werden (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 135). Die Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmannund Ullrich Bauer (2018) definierten das Ende mit dem Eintritt in ein eigenständiges Berufs- und Familienleben, was sie mit der Erlangung des Erwachsenenstatus gleichsetzen (S. 132). Laut dem Soziologen Bernhard Schäfers (1994) ist Jugend die Altersphase, in der das Individuum die Kompetenzen für ein autonomes Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen erwirbt. Er schätzt das Ende auf ca. 25 Jahre. Auch seiner Ansicht nach ist das Ende aber äusserst schwierig zu bestimmen(S. 22). Er definierte Jugend als
eine gesellschaftlich institutionalisierte, intern differenzierte Lebensphase, deren Verlauf, Ausdehnung und Ausprägungen wesentlich durch soziale Bedingungen und Einflüsse (sozioökonomische Lebensbedingungen, Strukturen des Bildungssystems, rechtliche Vorgaben, Normen und Erwartungen) bestimmt sind (Schäfers, 1994, S. 21)
Die Lebensphase der Jugend gilt als überaus turbulent und ereignisreich (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 18).
Hurrelmannund Quenzel(2016)sprechen von einer besonderen Dichte an gestaffelten Entwicklungsaufgaben, von deren Bewältigung der gesamte weitere Verlauf des Lebens abhängt (S.5).Jugendliche haben schnelle körperliche und psychische Veränderungenim Zusammenhang, mit der unter massivem Druck von ihnen erwarteten sozialen Anpassung, wie etwa schulische Bildungsleistungen und berufliche Qualifikationen, zu bewältigen(Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 132).
2. Sozialisation
Damit in einem späteren Teil der Arbeit Rückschlüsse hinsichtlich des Einflusses kritischer Lebensereignisse auf die Sozialisation von Jugendlichen gezogen werden können, muss zunächst ein Grundverständnis über den Begriff der Sozialisation geschaffen werden.
Dem Begriff der Sozialisation liegt mittlerweile eine unüberschaubare und mannigfaltige Menge an Definitionen und Theorien aus allen möglichen Geisteswissenschaften zugrunde. Die zwei grössten Theoriebereiche der Sozialisationsforschung stellen psychologische und soziologische Theorien dar. Zentrale Bezugspunkte dieses Kapitels werden deshalb vorwiegend Beiträge aus der Entwicklungspsychologie und der Soziologie darstellen.
Bevor es jedoch dazu kommt, wird die Arbeit ein allgemeines Verständnis zum Terminus Sozialisation abbilden.
2.1 Sozialisation - eine Begriffliche Annäherung
Der französische Soziologe Emile Durkheim, der als einer der Gründungsväter der Sozialisationsforschung gilt, startete Anfang des 20. Jahrhunderts einen ersten Versuch zur Definition des Begriffs Sozialisation. Er definierte den Begriff als Vorgang der Vergesellschaftung des Menschen (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 11). Vergesellschaftung meint dabei die durch gesellschaftliche Bedingungen (ungeplante) Prägung der menschlichen Persönlichkeit (Gudjons & Traub, 2016, S. 159). So hielt Durkheim (1973, S. 44, zitiert nach Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 12) fest: «Der Mensch, den die Erziehung in uns verwirklichen müsse, sei nicht jener Mensch, wie ihn die Natur gemacht habe, sondern er sei der Mensch, wie ihn die Gesellschaft haben will». Durkheim versteht dabei den Säugling als Tabula rasa, der als eine unbeschriebene Tafel zur Welt kommt. Der Säugling muss zunächst in das gesellschaftliche Leben integriert werden, bzw. in sie hinein sozialisiert werden. Diesen Prozess nennt Durkheim den Prozess der Vergesellschaftung. Damit versteht er Sozialisation als eine Art Anpassung an die soziale Umwelt, und damit als einen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in Abhängigkeit der sozialen Umwelt (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 11).
Er warf die Fragen auf, wie und warum aus dem Neugeborenen ein autonomes, handlungs- und gesellschaftsfähiges Subjekt wird und wie soziale Integration im Kontext komplexer Gesellschaftsstrukturen erzielt werden kann (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 13).
Er fokussierte dabei mehrheitlich gesellschaftliche Einflüsse wie das Einwirken der Erwachsenengeneration auf die Heranwachsenden (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 11). Den Eigenanteil des Individuums bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit lies Durkheim weitgehend ausser Acht. Über die Zeit hinweg wurde dem Eigenanteil im Sozialisations-prozess aber immer mehr Beachtung geschenkt. So wurde der Aspekt der Vergesellschaftung über die Zeit hinweg mehr und mehr relativiert und an seine Stelle trat nun mehr auch ein Verständnis von Sozialisation als «Individuation», d.h. Subjektwerdung als Entwicklung einer eigenständigen, sich selbst steuernden Persönlichkeit. Seit den 80er Jahren betonen darum soziologisch als auch psychologisch orientierte Theorien mehr und mehr die Individuationsfunktion im Sozialisationsprozess (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 94).
In den meisten heute noch anerkannten Sozialisationstheorien wird daher weder von einer Sozialisation oder Entwicklung nach einem inneren Bauplan (Reifungsmodell), noch von einer Sozialisation als reine Vergesellschaftung (z.B. Trichterpädagogisches Modell) ausgegangen. Heute wird den Umwelteinflüssen einerseits und den individuellen physischen, psychischen und charakterlichen Anlagen andererseits, gleichermassen Bedeutung für die Sozialisation beigemessen.
Solche neueren Theorien werden als transaktional bezeichnet (Schneider & Lindenberger, 2012, S. 34). Dahingehend wird in dieser Arbeit von einem Transaktionalen Verständnis von Sozialisation ausgegangen und entsprechend nur Sozialisationstheorien aufgeführt, welche solch einem Verständnis folgen.
Wie bereits angedeutet werden weitere Grundannahmen, Definitionen und Theorien zur Sozialisation folgen. Vorerst soll hier eine allgemeine Definition nach Niederbacher und Zimmermann (2011) dienlich sein.
Sozialisation ist als Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit eines Individuums in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten, sozialen und materiellen Umwelt zu verstehen (S.15).
Mit dem bisherigen Abschnitt wurde der Arbeit eine Definition des Terminus Sozialisation zugrunde gelegt. Die Definition alleine lässt jedoch noch keine Rückschlüsse auf den Prozess der Sozialisation zu. Mit diesem wird sich das nächste Kapitel ausführlich beschäftigen.
2.2 vier Perspektiven über den Sozialisationsprozess
Eine allgemein akzeptierte und allumfassende Sozialisationstheorie gibt es bis heute nicht.
Es ist kaum möglich, alle Perspektiven der Sozialisationsforschung der letzten 80 Jahre aufzuführen, ein Ende wäre nicht in Sicht. Da nicht alle Theorien dargestellt werden können, wird hier versucht, mit möglichst verschiedenen Perspektiven aus den zwei bereits erwähnten grössten theoretischen Teilbereichen der Sozialisationsforschung ein möglichst umfängliches Gesamtbild abzugeben. Im Hinblick auf die Fragestellung wurden entsprechende Theorien ausgesucht, die möglichst unterschiedliche Perspektiven einnehmen und im Forschungsdiskurs heute noch anerkannt sind sowie allgemeine Gültigkeit besitzen. Zudem wurde darauf geachtet, dass es sich um Theorien handelt, die sich in besonderem Masse auch mit der Sozialisation im Jugendalter differenzierter befassen.
In dieser Arbeit sind keine strukturzentrierten Sozialisationstheorien vertreten, dasie sich eher oder vor allem mit dem Prozess der Vergesellschaftung oder damit, wie gesellschaftliche Normen und Werte «einsozialisiert» und vom Individuum scheinbar ungeplant übernommen werden, auseinandersetzen. Obschon auch die strukturzentrierten Theorien einen hohen wissenschaftlichen Beitrag zur Sozialisationsforschung liefern.
Die Arbeit soll also nicht, wie angenommen werden könnte, eine Einführung in die Sozialisationsforschung sein oder gar den Anspruch erheben, eine umfassende Analyse aller Ergebnisse der bisherigen Sozialisationsforschung abzugeben. Im Gegenteil, es wird nur sehr Weniges der Sozialisationsforschung aufgenommen und auch nur das weiter ausgeführt, was zur Beantwortung der Fragestellung benötigt wird.
2.2.1 Symbolischer Interaktionismus
Grundsatz des symbolischen Interaktionismus ist die Frage, welche Dynamiken und Prozesse dazu führen, dass Individuen im Laufe der Sozialisation eine Ich-Identität entwickeln (Schallberger, 2014, S.41).
Die Theorie des symbolischen Interaktionismus basiert auf der Grundannahme, dass Menschen nicht nur in einer natürlichen, sondern gleichzeitig auch in einer symbolisch vermittelten Gesellschaft leben. Symbole, wie Wörter und Gesten, ermöglichen das Einordnen sozialer Situationen und ein reziprok aneinander orientiertes Handeln (Interaktion). Mead geht davon aus, dass sich die Kommunikation von Menschen und Tieren in einem zentralen Punkt unterscheidet. Während die meisten Tiere instinktiv auf Gesten anderer Tiere nach einem Reiz-Reaktions-Schema reagieren, sind Menschen instinktarm, und werden von ihm als symbolverwendendes «Tier» bezeichnet.
Durch die Verwendung von Sprache, sind Menschen in der Lage, das Reiz-Reaktionsschema zu verlassen und anhand von vergangenen Erinnerungen und Interpretationen denkend zu Planen und in einer Interaktion, dem Gegenüber und seinen Erwartungen entsprechend zu reagieren. Daher steht im Mittelpunkt der interaktionistischen Sichtweise, dass eine Interaktion (das reziprok aneinander orientierte Handeln) zwischen zwei Menschen nur geschehen kann, wenn das Symbolsystem Sprache als gemeinsames Verständigungs-system genutzt wird. Mead vermutet, dass nur über den Austausch von Symbolen eine gemeinsame Orientierung möglich wird, und dass über diesen Verständigungsprozess die Basis für menschliche Sozialität gelegt wird (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 34–35). Dies geschieht indem das Subjekt (Ego) sich in die Sichtweis des anderen (Alter) versetzen kann. Ego antizipiert die Sichtweisen und Erwartungen von Alter und kann so «einschätzen wie Alter reagiert. Alter tut dasselbe (Gudjons & Traub, 2016, S. 170).
Aber nicht nur das soziale Handeln, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung findet über Interaktion statt. Mead geht davon aus, dass wir andere sein müssen um wir selbst sein zu können (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 47–48).
Ein Mensch hat eine Persönlichkeit, weil er einer Gemeinschaft angehört, weil er die Institutionen dieser Gemeinschaft in sein eigenes Verhalten hereinnimmt. Er nimmt ihre Sprache als Medium, mit dessen Hilfe er seine Persönlichkeit entwickelt, und kommt dann dadurch, dass er die verschiedenen Rollen der anderen Mitglieder einnimmt, zur Haltung der Mitglieder dieser Gemeinschaft. Das macht in gewissem Sinn die Struktur der menschlichen Persönlichkeit aus (Mead, 1973, S. 204 zitiert nach Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 48).
In diesem Zusammenhang spricht Mead von einem «I» und einem «Me». Das menschliche Subjekt und dessen Identität entsteht dabei aus einem Wechselspiel der beiden. Das «I»
bezeichnet das Individuelle am Individuum, das eher spontane, affektive und Impulsgesteuerte. Das «Me» repräsentiert die Vorstellung von dem was wir glauben, was andere über uns denken, was sie von uns erwarten und welche Haltung sie uns gegenüber haben. Das «Me» zügelt dabei die spontanen und impulsiven Energien des «I». Damit ist der Mensch individuell über das «I» und über das «Me» zu Sozialverhalten fähig. Beide Komponenten müssen vom Individuum zu einem Selbstbild zusammengefügt werden. Durch das Wechselspiel von «I» und «Me» entwickelt sich das «Self», die Ich-Identität(Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 33).
Die Fähigkeit, «I» und «Me» aufeinander zu beziehen, ist das Ergebnis eines langwierigen Sozialisationsprozesses vor allem im Kindes- und Jugendalter. Um dies zu verdeutlichen greift Mead auf die Entwicklung kindlicher Spielformen zurück, wobei er zwischen dem «Play» und dem «Game» unterscheidet. Als «Play» bezeichnet er das nachahmende Rollenspiel von Kindern. Hierbei werden bspw. in einem Puppenspiel die Rollen der signifikant anderen übernommen z.B. Mutter oder Vater. Gerade die signifikant Anderen sind es, die die Kinder im Alltag mit ersten Reaktionen auf ihr Verhalten konfrontieren. Durch das «Play», wird die Fähigkeit zur Verhaltensantizipation entwickelt. Will ein Kind jedoch an Gruppenspielen teilnehmen, reicht die Fähigkeit zur Vorwegnahme des Verhaltens eines Einzelnen nicht mehr aus. Das Kind muss zusätzlich auch Spielregeln beachten und den Zusammenhang mit dem Verhalten der anderen Mitspieler erkennen (z.B. beim Fussball). Kann ein Kind diesen Zusammenhang herstellen und entsprechend abwägen und handeln, hat es die Kompetenz zum «Game» entwickelt und damit eine essenzielle Aufgabe für die Fähigkeit des sozialen Handelns erfüllt. Durch das Einhalten von Regeln, die Verinnerlichung der unterschiedlichen Rollen der Mitspieler und durch das Ausrichten des eigenen Handelns an einem sowohl von dem Kind selbst und den anderen Mitspielern gemeinsamen Ziel, erlernt das Kind sich auf den generalisierten Anderen zu beziehen. Dies geschieht z.B. dann, wenn ein Spieler seine Taktik dahingehend abwägt ob er eine rote Karte riskieren möchte oder nicht. Der generalisierte Andere repräsentiert quasi die Gesellschaft und deren vorherrschende Normen und Werte (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 49).
Im Laufe der Entwicklung verinnerlicht der Mensch die verschiedenen Werte, Einstellungen und Normen der Gesellschaft. Und nur dadurch, dass er die bestimmten Einstellungen und Rollen der anderen einnimmt, ist er in der Lage seine eigene Identität zu entwickeln. Die Entwicklung der Ich-Identität ist ein stetig anhaltender Prozess der sich in sozialen Interaktionen abspielt. Der symbolische Interaktionismus sieht die Entwicklung einer gefestigten Ich-Identität nicht wie andere Modelle als Reifungsprozess oder als Konditionierungsprozess, wie etwa nach dem Model des klassischen oder operanten Konditionierens, sondern als Ergebnis von sozialen Interaktionen, in denen das Individuum selbst aktiv an seiner Entwicklung beteiligt ist (Schalberger, 2014, S. 22- 23).
Die Vertreter des Symbolischen Interaktionismus gehen dabei von einem kreativen, produktiv seine Umwelt verarbeitenden und gestaltenden Individuum aus (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 34).
2.2.2 Psychosoziales Entwicklungsmodell nach Erikson (8-Stufenmodell)
Der Psychoanalytiker Erik Homburger Erikson beschäftigte sich grundlegend mit der Identitätsentwicklung und trug damit in hohem Masse zum Begriff der Identität sowie zur Sozialisationsforschung bei. Erikson entwickelte mit seiner Krisentheorie ein Acht-Stufenmodell der psychosozialen Persönlichkeitsentwicklung. Sein Bestreben war es, die Frage danach, wie und in welcher Weise die gesunde Persönlichkeit wächst, zu beantworten.
Bzw. wie wächst in der Persönlichkeit, die Fähigkeit, die inneren und äusseren Gefahren des Lebens zu meistern und dabei noch einen Überschuss an Lebenskraft zu erübrigen (Erikson, 2017, S. 57)?
Dabei orientierte er sich am Modell der psychosexuellen Entwicklung nach Freud, dessen Theorie aufgrund einer allgemeinen Bekanntheit, hier nicht weiter ausgeführt wird. Er erweiterte das Modell durch Aspekte familialer und sozialstruktureller Einflüsse. Im Zuge dieser Einflüsse geht er von daraus resultierenden inneren und äusseren Konflikten aus, die er als Krisen bezeichnet. Damit geht er von einer Persönlichkeitsentwicklung mittels organischer Entwicklung und gesellschaftlichen Unterstützungsprozessen aus, die sich jeweils reziprok beeinflussen. Diese Krisen, auch als Spannungen bezeichnet, müssen von Individuen nicht bloss ausgehalten, sondern auch bewältigt werden. Mit dem Begriff der Krise beschreibt Erikson den Zustand einer Differenz zwischen dem, was man haben oder tun kann, sowie dem, was man sein möchte und dem, was in der jeweiligen Lebenslage möglich ist zu haben, zu tun oder zu sein. Eine Krise ist dabei nicht als Störung oder Gefährdung der Entwicklung zu betrachten, sondern als unabdingbarer Bestandteil der psychosozialen Entwicklung, die diese erst ermöglicht. Die Entwicklung einer «gesunden» Persönlichkeit hängt dabei in hohem Masse von der Art und Weise, wie das Individuum die Krise bewältigt, ab (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 27). Durch die erfolgreiche Bewältigung wird auch die Bewältigung künftiger Aufgaben erleichtert, weil neue Bewältigungsmöglichkeiten erlernt wurden (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 23).
So konstatierte Erikson(2017) in seinem Buch Identität und Lebenszyklus, dass der Mensch, um im psychologischen Sinne am Leben zu bleiben, unaufhörlich solche Konflikte lösen müsse. Am Leben zu sein heisse aber weder krank noch gesund zu sein, infolge dessen hänge es eben von der Art der Bewältigung ab, wie «gesund» sich der Mensch psychosozial entwickelt. Was bedeutet aber «gesund»? Was als gesunde Persönlichkeit verstanden werden kann ist in Kürze schwer zu erfassen (S. 56). Einführend für den Begriff nutzte Erikson in seinem Buch die Definition von Marie Jahoda (1950, zitiert nach Erikson 2017, S.57):
«Die gesunde Persönlichkeit meistert ihre Umwelt aktiv, zeigt eine gewisse Einheitlichkeit und ist imstande, die Welt und sich selbst richtig zu.» Damit ist ein Bezugspunkt zur Sozialisation gegeben. Denn die Sozialisation soll eben ein solches Subjekt bilden.
Die Persönlichkeit baut sich im Durchlaufen von acht Stadien des Lebenszyklus auf, in jenen jeweils typische Entwicklungspsychologische Aufgaben bzw. Krisen bewältigt werden müssen. Das Ergebnis der jeweiligen Stufe wird von Erikson als Gegensatzpaar dargestellt. Jede Bewältigung kann somit gelingen oder misslingen. Je nach dem wird das eine Ergebnis des Gegensatzpaares oder das andere erreicht. Um zur nächsten Stufe überzugehen, muss jede Stufe bzw. Krise produktiv gelöst werden.
Wird die Krise nicht oder nur teilweise bewältigt, kann dies zu Entwicklungsstörungen führen und sich somit negativ auf den weiteren Lebensvollzug auswirken (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 27–28).
Da sich die Arbeit auf die Lebensphase der Jugend beschränkt, wird der Fokus besonders auf die Stufe der Adoleszenz gerichtet. Die restlichen sieben Stufen werden für das allgemeine Verständnis aufgenommen, jedoch nur in ihren Grundsätzen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich sämtliche Entwicklungsverläufe aufeinander beziehen und in
einem reziproken Verhältnis zueinanderstehen. Im Buch Identität und Lebenszyklus von Erikson können die einzelnen Stadien im Genauen nachgelesen werden.
2.2.2.1 Urvertrauen gegen Urmisstrauen (Säuglingsalter)
Als ersten Bestandteil einer «gesunden» Persönlichkeit sieht Erikson das Ur-Vertrauen, worunter er im Allgemeinen ein Gefühl des sich-verlassen-dürfen versteht.
Dieses Gefühl entsteht aus der Erfahrung, dass zwischen der Welt und dem eigenen Bedürfnis eine Übereinstimmung entsteht. Wenn das Kind sich unwohl fühlt, etwa weil es zahnt oder die Mutter sich gerade entfernt, muss das Kind Vertrauen behalten können. Es muss also lernen, das Vertrauen zu anderen Menschen trotz Widrigkeiten zu behalten. Durch die Überwindung der ersten Stufe respektive Krise wird aber nicht nur das Ur-Vertrauen, sondern auch bereits eine rudimentäre Ich-Identität aufgebaut. Misslingt die Bewältigung dieser Krise, etwa durch Vernachlässigung und Unzuverlässigkeit der Bezugspersonen, könnte sich ein Gefühl des Misstrauens bilden, was zur Entfremdung führen kann. Später können sich bei Erwachsenen durch ein Fehlen von (Ur-) Vertrauen Persönlichkeitsstörungen bspw. in Form einer Depression oder Schizophrenie äussern (Erikson, 2017, S. 62–68).
2.2.2.2 Autonomie gegen Scham und Zweifel (Kleinkindalter)
Als zweite Komponente einer «gesunden» Persönlichkeit nennt Erikson die Autonomie.
Wurde die erste Stufe der Vertrauensproblematik erfolgreich bewältigt, drängt sich eine neue Krise auf. Die Phase der Unabhängigkeit und zugleich Abhängigkeit von der Mutter oder einer anderen Bezugsperson wird eingeleitet. Der Hauptaspekt in dieser Phase liegt auf der Reifung des Muskelsystems. Das Kleinkind lernt eine Reihe hochkomplexer Akte, wie das Festhalten und Loslassen von Dingen. Es entwickelt sich das heftige Bedürfnis, Dinge mit Willen fallen lassen zu können. Das Festhalten und Loslassen werden abwechselnd geübt.
Die Phase der Autonomie ist aber nicht nur vom willentlichen «Greifen» und «Loslassen» geprägt. Es ist auch die Phase, in der das Kleinkind damit beginnt, Dinge wie bspw. ins Auto zu steigen, oder sich die Hände zu waschen selbständig tun zu wollen. Damit geht es in dieser Phase punktuell um die Autonomiebestrebung des Kleinkindes und deren Tolerierung seitens der Bezugspersonen. Wird das Kleinkind beständig in seinem Erkenntnis- und Forschungsdrang, seinen Vorstellungen und Wünschen eingeengt, kann ein Gefühl von Peinlichkeit, Scham und des Zweifelns an sich selbst entstehen, welches sich im späteren Lebenszyklus durch Unentschlossenheit, Unsicherheit oder Selbstzweifel bemerkbar machen kann (Erikson, 2017, S. 75–82).
2.2.2.3 Initiative gegen Schuldgefühl (Spielalter)
Hat das Kind mit vier oder fünf Jahren eine bleibende Lösung seiner Autonomieprobleme gefunden, wird die Phase der Initiative virulent. Jetzt, da das Kind sicher weiss, dass es ein Ich ist, muss es herausfinden, was für eine Art Ich es werden will (Erikson, 2017, S. 87).
Erikson bezeichnet die «Initiative» als ein unerlässlicher Teil jeder Tat. Der Mensch benötigt ein Gefühl der Initiative für alles, was er lernt und tut (Erikson, 1999, S. 249).
In dieser Stufe ist das Kind nun imstande, sich kraftvoll und unabhängig zu bewegen. Darüber hinaus erkennt es, dass es mit dieser neu erlangten Kraft die es umgebende Welt verändern und mit ihr interagieren kann. Kinder im Spielalter entwickeln eine unermüdliche Wissbegierde in Bezug auf Gegenstände im Allgemeinen sowie Grössen- und Geschlechterunterschiede. Es beginnt sich Rollen auszudenken und Rollen nachzuahmen (Erikson, 2017, S. 89).
Mit der Phase geht die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeit sowie die Ausweitung von
Aktivitäten einher, was das Initiativstreben begünstigt. Gleichzeitig geht mit dieser Phase auch eine Funktionserweiterung des Gewissens einher. Dadurch erkennt das Kind fortan auch den aus den eigenen Taten resultierenden Schaden und ist im Stande Schuldgefühle zu entwickeln. Damit die Krise gut gemeistert werden kann, ist es wichtig, dass Eltern nicht übermässig an das Gewissen ihrer Kinder appellieren. Andernfalls können sich in Folge zu viele Schuldgefühle, Übergewissenhaftigkeit und hysterische Symptome entwickeln (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 29).
2.2.2.4 Werkssinn gegen Minderwertigkeitsgefühl (Schulalter)
Während sich die gesunde Persönlichkeit im ersten Stadium aus dem «Ich bin, was man mir gibt», im zweiten Stadium aus dem «Ich bin, was ich will» und im dritten Stadium aus dem «Ich bin, was ich mir zu werden vorstellen kann», charakterisiert wird, befasst sich das vierte Stadium mit dem «Ich bin, was ich lerne».
Das heranwachsende Kind befindet sich nun in einer lernbegierigen Phase, in der es lernen möchte, wie man sich mit etwas beschäftigt und wie man mit anderen zusammen tätig sein kann (Erikson, 2017, S. 98).
Kinder in dieser Phase möchten das Gefühl vermittelt bekommen, nützlich zu sein. Sie benötigen die Anerkennung, etwas gut zu können (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 29).
Das Kind versucht selbständig Dinge zu schaffen, damit es nicht wie bisher punktuell Anerkennung der engeren Bezugspersonen erhält, sondern auch Anerkennung im erweiterten Umfeld. Probleme in der Bewältigung dieser Krise können entstehen, wenn etwaige Vorhaben misslingen. Dies kann bei Heranwachsenden zu Versagensängsten und zu Gefühlen der Unzulänglichkeit oder Minderwertigkeit führen. Schwierigkeiten können aber auch dann entstehen, wenn das Kind zu viel gelobt wird. Es besteht die Gefahr, dass sich das Kind häufig überschätzt und sich unerreichbare Ziele setzt (Erikson, 2017, S. 103).
2.2.2.5 Identität gegen Rollenkonfusion (Adoleszenz)
Die Stufe der Adoleszenz ist gemäss Erikson die Stufe, in der das Hauptziel die Schaffung einer eigenständigen, stabilen und kohärenten Ich-Identität ist. Die Ich-Identität bedarf nach Erikson die Beantwortung der Fragen: «wer bin ich?», «wer bin ich nicht?» und «wie passe ich in die Gesellschaft?» (Pinquart, Schwarzer & Zimmermann, 2019, S. 253).
In dieser Phase versucht der oder die Jugendliche seine oder ihre Identität weiter auszubilden. In dieser Phase werden alle bis anhin geschaffenen Identifizierungen und Sicherungen in Frage gestellt. Angesichts des raschen Körperwachstums und dem Eintritt der sexuellen Reife ist der oder die sich rasch entwickelnde Jugendliche primär damit beschäftigt, seine bzw. ihre soziale Rolle zu festigen. Jugendliche beginnen sich zu vergleichen und konzentrieren sich in absonderlicher und zuweilen auch pathologischer Weise darauf herauszufinden, wie sie im Vergleich zu ihrem Selbstwertgefühl in den Augen anderer wahrgenommen werden. Sie sind nun in der Lage, zu reflektieren und zu berücksichtigen, was andere über sie denken. Sie können diese Bilder mit ihrem Selbstbild abgleichen und entsprechend anpassen. Zudem versuchen sie herauszufinden, wie sie ihre bis anhin aufgebauten Rollen und Fähigkeiten mit den modernen Idealen und Leitbildern kombinieren können.
Ziel ist es, dass aus dem in jeder Phase neu bestätigten Selbstgefühl, eine Überzeugung wächst, dass man sich zu einer bestimmten Persönlichkeit, die auf eine erreichbare Zukunft zuschreitet entwickelt (Erikson, 2017, S. 106–107).
Die Gefahr dieser Stufe liegt in der Identitätsdiffusion. Hierzu rezitiert Erikson passenderweise eine Textpassage aus dem Buch Tod eines Handlungsreisenden von Arthur J. Miller. Der Junge Biffspricht: «Ich kann es einfach nicht zu fassen kriegen, Mutter, ich kann das Leben nirgends festhalten.» Deutlicher wird das Zitat durch die Fragen, mit denen jugendliche Heranwachsende bei der Findung und Weiterentwicklung ihrer Identität konfrontiert sind. Jugendliche wissen zu Anfang noch nicht, ob sie ein richtiger Mann oder eine richtige Frau sind, ob sie einen Zusammenhang in sich finden und liebenswert sein werden, ob sie im Stande sein werden, ihre Triebe zu beherrschen, ob sie irgendwann wirklich wissen werden wer sie sind und wer und was sie sein wollen, welchen Beruf sie einschlagen wollen oder mit welchem Mädchen oder Jungen sie zusammen sein wollen.
Die psychosozialen Anforderungen an die Heranwachsenden und ihre Identitätsfindung sowie Selbstdefinition von der Gesellschaft, Eltern, Lehrern und nicht selten von ihnen Selbst stellen für Jugendliche eine immense Herausforderung dar.
Die Gefahr besteht darin, dass viele Jugendliche mit der übernommenen und ihnen durch die Gesellschaft aufgedrängten Rolle nicht zurechtkommen und flüchten. Sie schwänzen die Schule, bleiben Nächte lang fort, geben ihre Lehrstelle auf oder ziehen sich zurück.
Nicht selten kommt es zu kriminellen oder psychotischen Episoden. Hierbei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine Abwehr und um einen Versuch, einer Identitätsdiffusion entgegen zu halten, handelt.
Ist Kindheit und Adoleszenz so nicht gelungen, wird in den anderen Stufen ein Problem auftreten, da ohne die Überwindung der Krise nicht unweigerlich in die nächste Krise/ Stufe übergegangen werden kann.
2.2.2.6 Intimität gegen Isolierung (frühes Erwachsenenalter)
Hat der oder die Jugendliche das Ziel erreicht und eine eigenständige und kohärente Ich-Identität gebildet, ist er oder sie nun bereit sich echten Bindungen und Partnerschaften hinzugeben und den Verpflichtungen und Verbindlichkeiten des Lebens nachzukommen. Freundschaften werden von nun an längerfristig geschlossen und «alte» Freundschaften überprüft. Längerfristige und intime Partnerschaften beschreibt Erikson hier als ein «sich verlieren» und im «sich finden» im Anderen. Gelingt es nicht sich zu öffnen und hinzugeben, führt dies unweigerlich zu einer Vereinsamung in Form der sozialen Distanzierung und Isolierung (Erikson 2005, S. 258-261).
2.2.2.7 Generativität gegen Stagnation (Erwachsenenalter)
Auf der Basis einer stabilen Ich-identität und der Eingebundenheit in intime Beziehungen, geht es nun um den Wunsch eigene Kinder zu haben, was Erikson als Generativität bezeichnet. Das Bedürfnis nach Fürsorglichkeit steht im Vordergrund. Das Ziel dahinter ist es, anderen Gesellschaftsmitgliedern etwas zurück zu geben. Wird der Kinderwunsch nicht erfüllt, kommt es häufig zu einer starken und manchmal zwanghaften Orientierung an den eigenen Bedürfnissen, was in Folge zu Gefühlen der Stagnation führen kann (Erikson, 1999, S. 261-264).
2.2.2.8 Ich-Integrität gegen Verzweiflung (reifes Erwachsenenalter)
Wenn sich alle Ichs aus den vorangegangenen sieben Stufen vereinen, ergibt sich eine Ich-Integrität (Erikson, 1999, S. 263). Mit Integrität meint Erikson, dass der Mensch in der Lage ist, sich mit seinem eigenen Leben auseinander zu setzen und positive sowie negative Aspekte des Lebens anzunehmen wie sie sind (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 30).
Ist die Ich-Integrität nicht oder nur reduziert vorhanden, macht sich Todesfurcht und Verzweiflung breit. Es kommen Zweifel am eigenen Lebenslauf auf.
Angst vor dem Tod und Verzweiflung werden noch weiter geschürt, betrachtet man den Umstand, dass in dieser Lebensphase die Zeit wohl nicht mehr ausreicht um alles noch einmal anders zu machen, sich zu Verändern und sein Leben neu auszurichten (Erikson, 1999, S. 265–267).
Exkurs: Die 5 Säulen der Identität
Der Psychologe Hillarion Gottfried Petzold unterteilt die Identität in fünf Bereiche. Die 5 Säulen der Identität. Sie tragen die «vielfältige Identität» wie Säulen, die das Dach eines Hauses tragen (Petzold, 2012, S. 514).
Fünf Säulen der Identität nach Petzold
· Leiblichkeit: An erste Stelle setzt Petzold die «Leiblichkeit» als zentralsten Bereich des Menschen.Damit meint erGesundheit und Fitness, Mentale Gesundheit, Seelisches Wohlbefinden & Sexualität.
· Soziales Umfeld: Zu diesem Identitätsbereich gehört dasSoziale Netzwerk eines Menschen (Familie, Partnerschaft, Freunde, Vertrauenspersonen & Soziale Medien).
· Arbeit und Leistung: Arbeit gibt dem Menschen Sinn und Wert. Im Tun verwirklichen wir uns (Selbstverwirklichung, Selbstwirksamkeit).
· Da Arbeit in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat, wiegen Störungen in der Arbeitswelt besonders schwer (z.B. Überlastung, Mobbing am Arbeitsplatz oder Jobverlust). Durch die Störung werden die übrigen Identitätssäulen regelhaft mit beeinträchtigt.
· Materielle Sicherheit: Wohnen, Existenz, soziale Absicherung, Nahrung.
· Schwierigkeiten oder Erfolge in der Identitätssäule «Arbeit und Leistung» wirken sich automatisch auf die materielle Sicherheit aus. Fällt die materielle Sicherheit weg,wird die Identität massiv herausgefordert.
· Normen und Werte: Moral, Ethik, Religion, Liebe, Hoffnungen, Traditionen, Glauben, Sinnfragen.
(Petzold, 2012, S. 520–524)
Die Säulen stellen fünf «Lebensbereiche» dar, in denen sich die Identität konstruiert. Können diese 5 Säulen aufgebaut werden und bleiben sie mehr oder weniger stabil, verfügt die Person in der Regel über die notwendigen Ressourcen, um Herausforderungen im Leben zu meistern. Wenn das Gleichgewicht dieser Säulen gestört wird, gerät die Identität ins Wanken. Aus der Störung können Defizite in der Entwicklung der Säulen oder aber auch eine Beschädigung oder Zerstörung schon entwickelter Säulen entstehen. Es besteht das Risiko einer Identitätskrise (Fleisch, 2020, S. 7-8).
Mit Blick auf das Jugendalter sind vor allem die Defizite in der Entwicklung der Säulen relevant. Wenn eine Säule oder gar mehrere nur schwer oder gar nicht aufgebaut werden können, wird die Identität im Jugendalter und im späteren Lebenim schlimmsten Fall niemals stabil sein.
2.2.3 Selbstsozialisation Zinnecker
Im Zusammenhang mit der Reformulierung von Sozialisationskonzepten, in dem sich die Sozialisationstheorien von eher Gesellschafts- zu mehr auch subjektzentrierten Sozialisationstheorien entwickelten, kam es zu einer Aufwertung der Rolle, die Sozialisierte im Sozialisationsprozess spielen. Damit hat der Begriff der „Selbstsozialisation" zunehmend an Bedeutung gewonnen (Zinnecker, 2000, S. 274).
Im Mittelpunkt der Theorie der Selbstsozialisation von Jürgen Zinnecker, steht ein Ansatz,welcher den Eigenanteil bzw. die Eigenaktivitäten von Kindern und Jugendlichen zur Beeinflussung ihres Lebens in den Blick nehmen soll. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche nicht umfänglich von den Strukturen die sie umgeben abhängig oder determiniert sind. Von Beginn an entwickeln sie ihre eigene Sicht der Dinge alleine und in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen.
Der Begriff der Selbstsozialisation meint damit nicht etwa, dass der Mensch sich selbst sozialisiert. Vielmehr geht es darum, welche personalen Ressourcen die Heranwachsenden, im Gegensatz zur Familie oder Schule, selbst aktiv zu ihrem Sozialisierungsprozess beitragen.Das was Familie, Schule oder Peergroup zur Sozialisation von Kindern und Jugendlichen beiträgt, kann als Fremdsozialisation bezeichnet werden (Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 65).Wenn die Rede von Sozialisation ist, sind Institutionen wie pädagogische Einrichtungen oder Familien automatisch mitgedacht. Man könnte meinen, dass wenn von Selbstsozialisation gesprochen wird, pädagogisches Handeln ausgeschlossen wird. Dabei muss bewusst beachtet werden, dass Selbstsozialisation und Fremdsozialisation in einem relationalen Verhältnis zueinanderstehen und sich reziprok beeinflussen (Zinnecker, 2000, S. 277).
Nach Zinnecker (2000) läuft die Selbstsozialisation in einem Dreischritt ab:
· erstens sozialisieren sich Kinder und Jugendliche selbst, in dem sie sich selbst und den Dingen in ihrer Umwelt eigene Bedeutung verleihen.
· Zweitens, in dem sie eine eigene Handlungslogik entwickeln
· und drittens, indem sie eigene Ziele für ihr Handeln formulieren (S. 279)
Damit sich Kinder und Jugendliche selbst sozialisieren und eigene Ziele festlegen können, müssen sie sich ihrer eigenen Kompetenzen bewusst sein. Oft wird hier von Selbstwertgefühl gesprochen. Das Selbstwertgefühl ist eine Einstellung zu sich selbst bezogen auf die eigene Einschätzung und Zuschreibung des eigenen Wertes in der Gemeinschaft. Diese Zuschreibung ist wiederum abhängig vom Verhalten und den Reaktionen des Gegenübers. Das Schlüsselwort ist hierbei Anerkennung. Durch Anerkennung ist das Individuum in der Lage, sich vertrauensvoll mit sich selbst sowie zielorientiert und selbstständig mit der Umwelt auseinander zu setzen(Niederbacher & Zimmermann, 2011, S. 66).
Niederbacher und Zimmermann (2011) verweisen dazu auf das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung von Schwarzer und Jerusalem. Demzufolge wird sich ein Kind, das positive Selbstwirksamkeitserwartungen besitzt, neugierig und zuversichtlich mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen.Demgegenüber kann wenig Anerkennung zu einer negativen Selbstbewertung führen. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls ist immer in soziale Kontexte eingebunden. Denn wir passen unser Verhalten anhand der Reaktionen aus unserem sozialen Umfeld entsprechend an (S. 66-67).
Zum Schluss ist anzumerken, dass das Modell nicht zu erwähnen scheint, welche Personalen Ressourcen Kinder und Jugendliche explizit aufweisen müssen, um ihren Eigenanteil an der Sozialisation zu leisten oder wie diese Eigenaktivität im Genauen aussieht. Dennoch kommt durch dieses Modell gut zur Sprache, dass dem Eigenanteil von Heranwachsenden mehr Berücksichtigung in der Sozialisationsforschung beigemessen werden sollte. Auch zeigt das Modell eine besondere Wichtigkeit von Anerkennung für die Selbstwirksamkeit sowiedas Selbstwertgefühl auf und damit auch für die Sozialisation von Heranwachsenden.
2.2.4 Das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung nach Klaus Hurrelmann
Im Fokus der heutigen Sozialisationsforschung steht das «Modell der produktiven Realitätsverarbeitung». Die Theorie entspringt dem Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann und wird seit dessen Veröffentlichung im Jahre 1990 stetig weiterentwickelt (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 9).
Laut Zinnecker (2000) gelang es Hurrelmann eine konsensfähige Formel zu präsentieren, die bei der jüngeren Forschungsgeneration schnell allgemeine Geltung und Anerkennung erreichte (S.274). Hurrelmann nutzte für seine Sozialisationstheorie einige frühere soziologische sowie psychologische Ansätze, verknüpfte sie miteinander und erweiterte sie. Weshalb es als klug erscheint, diesen Ansatz zu erläutern, um ein im eher kleinen Rahmen dieser Arbeit möglichst umfassendes Gesamtbild abzugeben. Selbstverständlich ist hierbei zu berücksichtigen, dass Hurrelmann nicht alle sich über die Zeit entwickelten Ansätze aufnimmt.
Mit seiner Sozialisationstheorie ging es ihm darum, sowohl Vorstellungen der Sozialisation bzw. der Persönlichkeitsentwicklung durch rein gesellschaftliche Bedingungen als auch Vorstellungen der naturgesetzlich bestimmten organischen und psychischen Reifung zu überwinden, und die Gräben zwischen den beiden Ansichten zu überbrücken.
Nach Hurrelmann finden die beiden Komponenten - Psyche einerseits und Gesellschaft andererseits - ihren Schnittpunkt in der Persönlichkeit respektive der Entwicklung der Persönlichkeit. Er versteht Individuen sowohl als produktive Verarbeiter ihrer äusseren sowie inneren Realität, wie auch als produktive Gestalter ihrer Beziehungen zur sozialen und materiellen Umwelt (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 9).
Aufgrund dessen definiert er Sozialisation als:
…die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen, die sich aus der produktiven Verarbeitung der inneren und der äusseren Realität ergibt. Die körperlichen und psychischen Dispositionen und Eigenschaften bilden für einen Menschen die innere Realität, die Gegebenheiten der sozialen und physischen Umwelt die äussere Realität. Die Realitätsverarbeitung ist produktiv, weil ein Mensch sich stets aktiv mit seinem Leben auseinandersetzt und die damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben zu bewältigen versucht. Ob die Bewältigung gelingt oder nicht, hängt von den zur Verfügung stehenden personalen und sozialen Ressourcen ab. Durch alle Lebens- und Entwicklungsphasen zieht sich die Anforderung, die persönliche Individuation mit der gesellschaftlichen Integration in Einklang zu bringen, um die Ich-Identität zu sichern (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 97).
Die Persönlichkeit setzt sich aus psychologischen Eigenschaften, wie bspw. Temperamentsmerkmale, Einstellungen, Wertehaltungen und Kompetenzen zusammen (Neyer & Lehnart, 2015, S. 180).
Der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung wird von Hurrelmann in seinem Modell durch zehn Kernaussagen konkretisiert. Es handelt sich dabei um Leitsätze, die den Gegenstandsbereich Sozialisation aus Hurrelmanns Sicht auf den wesentlichen Kern reduzieren.
1. Die Sozialisation bezeichnet den anhaltenden Prozess der Persönlichkeitsentwicklung. Dieser Prozess vollzieht sich in der produktiven Verarbeitung zwischen innerer Realität (Anlage) und äusserer Realität (Umwelt). Produktiv ist die Verarbeitung deshalb, weil es sich nicht um einen passiven Vorgang, sondern um eine aktive Tätigkeit handelt, auch wenn nicht immer um eine bewusste Handlung des Individuums (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 99). Zum Verständnis der produktiven Verarbeitung dient die im Kapitel 2.2.3 erläuterte Theorie der Selbstsozialisation nach Zinnecker. Wobei Hurrelmann (2002) aber konstatiert, dass das Wort Selbstsozialisation impliziere, dass die Umgebung keinen Einfluss auf die Sozialisation habe. Deshalb schlägt er den Begriff der Selbstorganisation vor, um der Eigenleistung sowie dem Umfelde gleichermassen Einfluss auf die Sozialisation beizumessen (S.158). Besonders deutlich in der Jugendphase wird die Persönlichkeitsentwicklung im Wechselspiel von Anlage und Umwelt an der Herausbildung von weiblichen und männlichen Persönlichkeitsmerkmalen (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 97).
2. Aufgrund der produktiven Verarbeitung der inneren und äusseren Realität, sind Menschendie Produzenten ihrer eigenen Entwicklung. Die Art der Verarbeitung resultiert immer aus den individuellen Merkmalen, Fähigkeiten und verfügbaren Ressourcen. Die Persönlichkeit formt sich in der Interaktion zwischen individuellen Merkmalen sowie der sozialen, symbolischen und materiellen Ausstattung der Umwelt. So erwirbt das Individuum im Laufe der Zeit Kompetenzen, dieHurrelmann als „Individuelle Verfügbarkeit von Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit der inneren und äusseren Realität» beschreibt (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 102). Bei Jugendlichen ist hier vor allem die Entwicklung von Kompetenzen zur selbstverantwortlichen Lebensführung essenziell (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 100).
3. Jeder Lebensabschnitt birgt im Hinblick auf die je spezifischen körperlichen und psychischen Entwicklungen sowie im Hinblick auf die soziale Umwelt des Individuums, Erwartungen an die Verarbeitung der Realität. Diese Erwartungen können als Entwicklungsaufgaben betrachtet werden, deren Lösung unabdingbar für eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit ist. Übergeordnetes Ziel ist es, dass ein Ausgleich zwischen persönlicher Individuation und sozialer Integration entsteht. Die Individuation beschreibt den Aufbau einer individuellen Persönlichkeitsstruktur, die für eine personale Identität sorgt. Es geht dabei um eine Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit eines Individuums. Auf der anderen Seite beschreibt der Prozess der Integration den Prozess der Vergesellschaftung, der bereits zu Anfang des Theorieteils in Bezug zu Durkheim konkretisiert wurde.
Der Ausgleich von dem gesprochen wurde, bedeutet somit, einzigartig und individuell aber auch angepasst, den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechend und nicht auffallend zu sein (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 107).
Die Jugend stellt dabei eine besonders intensive Phase dar. Ihr kommt für den weiteren Lebenslauf ein charakterbildender Einfluss zu. Die Entwicklungsaufgaben in der Jugend lassen sich in hoch entwickelten Gesellschaften zu vier zentralen Aufgaben zusammenfassen.
· Sich zu Qualifizieren
D.h. sich so zu bilden, dass man später aktive berufliche Tätigkeiten übernehmen kann, die einen zufriedenstellen und noch dazu einen Nutzen für das Gemeinwohl haben.
· Sich zu Binden
Sich von den Eltern emotional und sozial abzulösen und neue Bindungen mit Peers einzugehen. Dazu gehört auch, die körperlichen Veränderungen in der Pubertät zu verarbeiten und eine geschlechtliche Identität zu bilden, die es erlaubt auch intime Bindungen einzugehen.
· Umgang mit Konsum
Erlernen von Strategien zum Umgang mit Freizeit -und Konsumangeboten sowie den Umgang mit Geld.
· Partizipation
Einerseits eine eigene und autonome Werteorientierung entwickeln und andererseits das Erlernen von Verantwortungsübernahme für sich und die Gesellschaft.
(Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 100)
4.Wenn die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben gelingt, und ein Ausgleich zwischen persönlicher Individuation und sozialer Integration besteht, resultiert ein Aufbau einer Ich-Identität. Der Aufbau der Ich-Identität stellt die zentrale Herausforderung im Jugendalter dar (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 101). Gelingt die Bewältigung nicht, ist der Aufbau einer Ich-Identität gefährdet oder gar unmöglich und es entsteht ein sich immer weiter aufbauender Entwicklungsdruck. Es besteht das Risiko, dass es zu Formen des Problemverhaltens kommt. Mit der Ich-Identität meint Hurrelmann eine Kontinuität des Selbsterlebens auf der Grundlage eines positiven Selbstwertgefühls und das Empfinden von Selbstwirksamkeit.
Eine Ich-Identität bildet die Voraussetzung für eine autonome Handlungsfähigkeit, eine gesunde Psyche und eine gelingende Lebensbewältigung (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 111). Bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, entwickeln Jugendliche Handlungs- und Bewältigungsstrategien, die meist für das gesamte Leben bestehen bleiben.
Im Jugendalter entwickeln sich daher wichtige Muster des Umgangs mit Herausforderungen, auf die im späteren Leben immer zurückgegriffen werden kann (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 100).
5. Da verschiedene Lebensphasen verschiedene immer neu hinzukommende Entwicklungsaufgaben beinhalten, ist die Persönlichkeit nie vollständig abgeschlossen und entwickelt sich somit über die gesamte Lebensdauer stetig weiter (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 118).
6. Die Entwicklung der Persönlichkeit setzt eine Unterstützung bei der Verarbeitung der
inneren und äusseren Realität voraus. Unterstützungssysteme können als Sozialisationsinstanzen bezeichnet werden. Es werden drei wichtige Sozialisationsinstanzen unterschieden. Die Familie, die Bildungsinstitutionen, wie bspw. der Kindergarten oder die Schule, und die alltägliche Lebenswelt, wie bspw. Peergroup, Arbeitsplatz oder Intimbeziehungen. Die Familie gilt als die primäre Sozialisationsinstanz, da sie für die meisten die erste soziale Umwelt darstellt. Die Familie spiegelt soziale, kulturelle und ökonomische Lebensbedingungen wider und dient damit als Vermittler der äusseren Realität (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 145).
7.Die sekundären Sozialisationsinstanzen bilden die Bildungsinstitutionen wie Schule, Kindergarten oder Ausbildungseinrichtungen. Sie gelten als sekundäre Sozialisationsinstanzen, da sie auf die vorgeleistete Arbeit der primären Sozialisationsinstanz Familie angewiesen sind und daran anknüpfen und aufbauen müssen (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 165).
8. Tertiäre Sozialisationsinstanzen bieten die Sozialen Systeme, in die Individuen eingebettet sind (bspw. Peergroup, Medien, Religion und Arbeitsplatz) (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 181). Wobei die Peergroup für Jugendliche am ausschlaggebendsten ist. Eine Peer-Group bezeichnet eine Gruppe oder einen Zusammenschluss von mehr oder weniger Gleichaltrigen in einem zumeist lokalen Freundeskreis(Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 58).
9.Die neunte Kernaussage besagt, dass hoch entwickelte Gesellschaften durch ein hohes Mass an ökonomischer, sozialer und kultureller Differenzierung gekennzeichnet sind. Dadurch kommt es zu Unterschieden in den Sozialisationsprozessen, weil Individuen
einen unterschiedlich hohen sozioökonomischen Status aufweisen. Auf diese Weise kommt es zu einer unterschiedlichen Verteilung von Lebenschancen (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 188).
10.Die Gesellschaft ordnet ihre Mitglieder in bestimmte Gruppen ein. Dies vor allem hinsichtlich des Geschlechts männlich und weiblich. So werden auch verschiedene Erwartungen an die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben gestellt, was sich wiederum auf die Persönlichkeitsentwicklung von weiblichen und männlichen Individuen auswirkt. Hurrelmann spricht davon, dass sich trotz grösserer Spielräume in der individuellen Ausgestaltung des Lebens in der modernen Gesellschaft immer noch typische männliche und typische weibliche Muster der Realitätsverarbeitung durchsetzen (Hurrelmann & Bauer, 2018, S. 198).
2.3 Synopse der vier Perspektiven
Rückblickend lässt sich festhalten, dass mit Sozialisation der Prozess gemeint ist, in dem sich das Individuum zu einem sozial handlungsfähigen und autonomen Subjekt entwickelt. Im Mittelpunkt dieses Prozesses steht die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums in wechselseitiger Abhängigkeit von der Gesellschaft (vgl. Kapitel 2.1). Darüber besteht weitgehend Einigkeit. Uneinig sind sich die Theoretiker darin, wie sich die Persönlichkeitsentwicklung denn nun gestaltet.
- Arbeit zitieren
- Gina Braun (Autor:in), 2021, Jugend und Sozialisation im Kontext kritischer Lebensereignisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1189389
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