"Gallionsfigur für die einen, Hassfigur für die anderen", so fasst Simanowski (2019) die Meinungen über Greta Thunberg als eine der bekanntesten Klimaaktivist*innen zusammen. Im Sommer 2018 sitzt sie anfangs noch allein mit einem Plakat, das die Aufschrift "Schulstreik für das Klima" trägt, vor dem schwedischen Parlament und demonstriert für das Einhalten des Pariser Klimaabkommens. Doch schon im Januar 2019 findet der erste zentral-organisierte Klimastreik in Deutschland von "Fridays for Future" (im Weiteren FFF genannt) in Berlin statt, mit angeblich mehr als 10000 Teilnehmern. Keine zwei Monate später wird am 15. März 2019 der erste globale Klimastreik organisiert. Über 100 Länder beteiligen sich an den Protesten, allein in Deutschland finden an mindestens 200 Standorten Klimastreiks statt.
FFF ist wohl spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus der gesellschaftlichen Debatte wegzudenken. Dazu trägt zum Großteil auch die starke Nutzung der Social Media-Plattformen, vor allem Instagram, bei. Auf diesem Weg erreicht FFF zwar eine breite mediale Öffentlichkeit, erntet letztlich aber auch scharfe Kritik. Insbesondere die Verletzung der Schulpflicht, das geringe Alter der Teilnehmer und die gestellten Forderungen werden häufig in den Medien diskutiert. Dennoch kann Instagram als sehr fördernd für FFF angesehen werden, denn die Plattform ermöglicht mobile, soziale und visuelle Kommunikation. Als eine (teil-)öffentliche Plattform, die many-to-many-Kommunikation erlaubt, bietet Instagram unter anderem die wichtige Kommentar-Funktion an, welche als direkter Modus der Evaluation angesehen werden könne.
Klar ist, dass FFF in den Medien und der Gesellschaft stark diskutiert wird. Doch findet darüber hinaus auch eine Debatte in den sozialen Medien statt? In dieser Arbeit soll dementsprechend erforscht werden, wie das Stimmungsbild und die
Diskussionsthemen in Instagram-Kommentaren als Bewertungsinstrument zu FFF aussehen und ob bzw. wie sie sich im Laufe der Zeit verändern. Dazu wird eine automatisierte sowie manuelle Sentimentanalyse von Kommentaren zu FFF-Instagram-Posts in Kombination mit Topic Modeling durchgeführt.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Soziale Bewegungen im digitalen Zeitalter
3 Fridays for Future als soziale Bewegung
4 Öffentliche Meinung zu Fridays for Future
5 Verwandte Studien
6 Forschungsfragen und Hypothesen
7 Methode
7.1 Auswahl der Untersuchungsgegenstände
7.2 Opinion mining
7.3 Topic Modeling
7.4 Manuelle Sentimentanalyse
8 Ergebnisse
8.1 Preprocessing
8.2 Topic Modeling Gesamtkorpus
8.3 Topic Modeling Teilkorpora
8.3.1 Teilkorpus 2019
8.3.2 Teilkorpus 2020
8.3.3 Teilkorpus 2021
8.3.4 Worthäufigkeiten
8.4 Sentimentanalyse
8.4.1 Wörterbuchbasierte Sentimentanalyse
8.4.2 Manuelle Sentimentanalyse
8.4.3 Thematische Gemeinsamkeiten
9 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang I….
Anhang II
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Relative Häufigkeit von positiven und negativen Tokens aller Erstkommentare im zeitlichen Verlauf
Abbildung 2: Relative Häufigkeit von positiven und negativen Tokens aller Antwortkommentare im zeitlichen Verlauf….
Abbildung 3: Durchschnittswerte der relativen Häufigkeit des Sentiments aus der wörterbuchbasierten und manuellen Sentimentanalyse im Vergleich…
Abbildung 4: Anzahl der positiven und negativen Kommentare insgesamt im zeitlichen Verlauf
Abbildung 5: Anzahl der erkennbar unterstützenden Kommentare im zeitlichen Verlauf
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Topics des Gesamtkorpus
Tabelle 2: Topics der Erstkommentare im Teilkorpus 2019….
Tabelle 3: Topics der Antwortkommentare im Teilkorpus 2019..
Tabelle 4: Topics der Erstkommentare im Teilkorpus 2020….
Tabelle 5: Topics der Antwortkommentare im Teilkorpus 2020..
Tabelle 6: Topics der Erstkommentare im Teilkorpus 2021….
Tabelle 7: Topics der Antwortkommentare im Teilkorpus 2021..
Tabelle 8: Worthäufigkeiten besonders negativ konnotierter Begriffe….
Tabelle 9: Durchschnittswerte des Sentiments in den Teilkorpora insgesamt…
Tabelle 10: Durchschnittswerte des Sentiments Erst- und Antwortkommentare in den Teilkorpora..
Tabelle 11: Vergleich der relativen Häufigkeit der Sentimentscores von Erst- und Antwortkommentaren….
Tabelle 12: Sentimentwerte der manuell codierten Kommentare….
Tabelle 13: Verteilung der unterstützenden Kommentare in Abhängigkeit vom Sentiment….
Tabelle 14: Verteilung der unterstützenden Kommentare in Abhängigkeit vom Sentiment in Erst- und Antwortkommentaren..
Tabelle 15: Verteilung der unterstützenden Kommentare im Jahresvergleich…
1 Einleitung
„Gallionsfigur für die einen, Hassfigur für die anderen“, so fasst Simanowski (2019) die Meinungen über Greta Thunberg als eine der bekanntesten Klimaaktivist*innen1 zusammen. Im Sommer 2018 sitzt sie anfangs noch allein mit einem Plakat, das die Aufschrift „Schulstreik für das Klima“ (Jakob, 2019) trägt, vor dem schwedischen Parlament und demonstriert für das Einhalten des Pariser Klimaabkommens. Doch schon im Januar 2019 findet der erste zentral-organisierte Klimastreik in Deutschland von Fridays for Future (im Weiteren FFF genannt) in Berlin statt, mit angeblich mehr als 10000 Teilnehmern. Keine zwei Monate später wird am 15. März 2019 der erste globale Klimastreik organisiert. Über 100 Länder beteiligen sich an den Protesten, allein in Deutschland finden an mindestens 200 Standorten Klimastreiks statt (Schirmer, Kainz & Blickle, 2019). FFF ist wohl spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus der gesellschaftlichen Debatte wegzudenken (Wehrden, Kater-Wettstädt & Schneidewind, 2019). Dazu trägt zum Großteil auch die starke Nutzung der Social Media-Plattformen, vor allem Instagram, bei. Auf diesem Weg erreicht FFF zwar eine breite mediale Öffentlichkeit, erntet letztlich aber auch scharfe Kritik. Insbesondere die Verletzung der Schulpflicht, das geringe Alter der Teilnehmer und die gestellten Forderungen werden häufig in den Medien diskutiert (Sommer, Rucht, Haunss & Zajak, 2019). Oftmals wird der FFF-Bewegung auch ihre Ernsthaftigkeit abgesprochen, durch Bezeichnungen wie „Kinderkreuzzug“ oder „Bewegung der Wohlstandskinder“ (Rucht, 2019). Vor allem das Klischee „[m]it dem SUV zur Öko-Demo und danach mit dem Flieger in den Urlaub“ (Simanowski, 2019) ist vorherrschend. Dennoch kann Instagram als sehr fördernd für FFF angesehen werden, denn die Plattform ermöglicht „mobile, soziale und visuelle Kommunikation“ (Kernen, Adriaensen & Tokarski, 2021, S. 355). Als „eine (teil-)öffentliche Plattform, die many-to-many-Kommunikation erlaubt“ (Oswald, 2021, S. 19), bietet Instagram unter anderem die wichtige Kommentar-Funktion an, welche als direkter Modus der Evaluation angesehen werden könne (Oswald, 2021, S. 19).
Klar ist, dass FFF in den Medien und der Gesellschaft stark diskutiert wird. Doch findet darüber hinaus auch eine Debatte in den sozialen Medien statt? In dieser Arbeit soll dementsprechend erforscht werden, wie das Stimmungsbild und die Diskussionsthemen in Instagram -Kommentaren als Bewertungsinstrument zu FFF aussehen und ob bzw. wie sie sich im Laufe der Zeit verändern. Dazu wird eine automatisierte sowie manuelle Sentimentanalyse von Kommentaren zu FFF- Instagram -Posts in Kombination mit Topic Modeling durchgeführt.
2 Soziale Bewegungen im digitalen Zeitalter
In den Jahren 2010 und 2011 fanden auffällig viele soziale Bewegungen weltweit statt, wie z. B. der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegung in den USA und Großbritannien oder die Umbrella-Bewegung in Hong Kong. Diese Bewegungen teilen insbesondere das Merkmal, dass sie erst durch Social Media groß geworden sind (Lee, 2020). Allerdings wurde schon die 2008 im Iran entstandene „Grüne Revolution“ als „Twitter-Revolution“ bezeichnet (Baringhorst, 2014, S. 91). Dies kann als erster Indikator für den großen Einfluss sozialer Netzwerke auf die Entwicklung sozialer Bewegungen angesehen werden. Weiter behauptet Rucht (2014), dass die Revolutionen 2010/11 letztlich der Nutzung des Internets und vor allem Facebook -Nutzern zu verdanken seien (S. 115). Auch Baringhorst (2014) spricht sozialen Netzwerken, deren interaktive Grundfunktionen als kennzeichnend gelten, eine „besondere protestfördernde Bedeutung“ (S. 91) zu. Angelehnt an Lee (2020) lassen sich die Auswirkungen des Internets vor allem an den Grundelementen einer sozialen Bewegung festmachen: kollektive Identität, Partizipation und Mobilisierung.
Für soziale Bewegungen ist die kollektive Identität essenziell. Diese beruht auf der Verbindung und Solidarisierung von Individuen mit gleichen Werten, Erfahrungen Interessen und Zielen (Kern & Nam, 2012). Daraus müsse ein starkes Wir-Gefühl entstehen, denn dieses sei entscheidend für die Handlungsfähigkeit sozialer Bewegungen (Kern & Nam, 2012, S. 32). Die Bedeutung dieser Elemente der kollektiven Identität ist grundsätzlich auch auf die sozialen Medien zu übertragen (Brünker, Deitelhoff & Mirbabaie, 2019). Jedoch entwickeln sich durch diese auch moderne Formen der kollektiven Identität (Lee, 2020). Soziale Netzwerke vereinfachen aufgrund ihrer interaktiven Funktionen das Zusammenschließen einzelner Personen zu Online-Meinungsgruppen (Brünker et al., 2019). Dabei kann bspw. die Verbreitung von Hashtags, Memes oder speziell angepasste Profilbilder, die mit einer bestimmten sozialen Bewegung in Verbindung gebracht werden, die kollektive Identität fördern (Lee, 2020).
Social Media vereinfacht durch interaktive Eigenschaften die Kommunikation und fördert damit den politischen Austausch. Dies bewirkt insbesondere die Kombination aus visueller und schriftlicher Kommunikation (Lee, 2020). Vor allem die Kommentarfunktion in sozialen Netzwerken bietet den Nutzern einen leichten Zugang zum politischen Diskurs (Oswald, 2021) und kann das Phänomen „from observer to participant“ (Lee, 2020, S. 1747) hervorrufen. Mit Social Media werden den Aktivisten verschiedene Teilnahmemöglichkeiten geboten, wodurch die Partizipation an Bewegungen enorm steigt (Brünker et al., 2019). Dazu trägt vor allem das „many-to-many“-Prinzip (Oswald, 2021, S. 19) bei, das auch auf Instagram Anwendung findet. Proteste können vollständig online stattfinden. Social Media-Plattformen können aber auch zur Vorbereitung, als Unterstützung oder zur Begleitung von Straßenprotesten genutzt werden (Rucht, 2014). Eine große Online-Teilhabe an sozialen Bewegungen kann häufig aber auch demotivierend auf Offline-Proteste wirken. Zudem wird die vereinfachte Teilnahme an sozialen Bewegungen häufig von Nutzern missbraucht, um sich selbst besser zu fühlen und nicht, um im Sinne der Bewegung zu handeln (Lee, 2020).
Eine zentrale Bedeutung für die Mobilisierung nehmen die kollektive Identität und die Partizipation ein, um gemeinsame Ziele mit möglichst vielen Teilnehmern zu erreichen (Rucht, 2012). „Mit der Verfügbarkeit des Internets habe eine neue Ära der Protestmobilisierung begonnen“, so Rucht (2014, S. 115). Denn mobilisierende Informationen, wie z. B. Orts- und Datumsangaben, Protestform und Protestverhalten, können mit Social Media weit verbreitet werden und erlangen so eine breite Öffentlichkeit, die ebenfalls mobilisierend wirkt. Informationen dieser Art können durch bewusstes Abonnieren des entsprechenden Accounts einer Bewegung den Nutzer erreichen oder erscheinen zufällig im Feed, was zusätzlich die Mobilisierungswahrscheinlichkeit erhöht. Soziale Medien ermöglichen zudem eine leichte Vernetzung zwischen engagierten und nicht engagierten Nutzern, insbesondere durch das Erstellen von Gruppen, um sich gegenseitig zu motivieren und die Mobilisierungsrate zu steigern (Lee, 2020).
3 Fridays for Future als soziale Bewegung
Im Zentrum der allgemeinen Problemdefinition von FFF stehen nach mehreren Rahmenanalysen der Klimawandel und die eintretenden bzw. zu erwartenden Auswirkungen ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Art (Daniel, Deutschmann, Buzogány & Scherhaufer, 2020; Fopp, Axelsson & Tille, 2021). Außerdem gehört zu den hauptsächlich thematisierten Problemen das „fossile Geschäftsmodell“ (Daniel et al., 2020, S. 375) und das allgemeine Konsumverhalten. Genauer werden Maßnahmen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und des 1,5-Grad-Ziels gefordert. Es wird auch für mehr Klimagerechtigkeit gekämpft (Daniel et al., 2020). Konkret bedeutet dies nach Fopp et al. (2021): „Wer gerecht die Politik so umgestalten will, dass die Erderwärmung und die ökologische Krise aufgehalten werden, muss die Emissionen in reicheren Ländern mit über zwölf Prozent kürzen, dabei Macht verteilen und ein würdiges Leben für alle garantieren“ (S. 269). Auf diese definierten Ziele und Forderungen wird in friedlichen Straßenprotesten, die typischerweise freitags während der Schulzeit stattfinden, aufmerksam gemacht. Fanden die Proteste anfangs nur in vereinzelten Städten statt, wurden mittlerweile auch schon einige globale Protesttage organisiert (Sommer et al., 2019).
FFF wird im März 2019 noch überwiegend von jungen, gut gebildeten Personen und meistens weiblichen Aktivisten vertreten. Schüler und Jugendliche gelten als sehr prägender Faktor für FFF. Die starke weibliche Beteiligung ist noch bis November 2019 erkennbar, während der Altersdurchschnitt der Teilnehmer jedoch steigt. Insgesamt kann 2019 eine stetige Zunahme an sozialer Diversität bzw. gesellschaftlicher Breite unter den Teilnehmenden festgestellt werden, da das Mobilisierungsziel von Schulen auf andere Gesellschaftsbereiche ausgeweitet wurde (Sommer et al., 2019).
Eine europaweite Befragung während der globalen Klimastreiks im März und November 2019 ergab unter anderem, dass die zentralen Aspekte während des Mobilisierungsprozesses Kommunikation und Information sind. Mögliche Teilnehmer werden durch persönliche Gespräche, soziale Medien, traditionelle Massenmedien und Organisationen informiert und zum Demonstrieren aufgerufen. Auch Greta Thunberg motiviert die Befragten zur Teilnahme am Protest (Sommer et al., 2019). Eine qualitative Inhaltsanalyse zeigt zudem, dass die Motivation durch ständiges Betonen der geschichtlichen Relevanz und der Globalität der Streiks erhöht wird (Daniel et al., 2020). Durch die Entwicklung von Social Media-Plattformen hat sich das Etablieren von sozialen Bewegungen stark gewandelt. Mit der Einbindung von Social Media kann die Popularität und Partizipation enorm gesteigert werden. Auch FFF ist sich der Vorteile von Social Media-Plattformen bewusst und versucht auf diesem Wege die eigene Relevanz für Gesellschaft und Politik zu erhöhen (Brünker et al., 2019).
Um zu erörtern, inwiefern FFF als eine soziale Bewegung gilt, muss der Begriff zunächst definiert werden. Nach Rucht (1994) sei eine soziale Bewegung ein durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mittels öffentlicher Proteste herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wolle (S. 338-339). Sommer et al. (2019) stellen fest, dass FFF als soziale Bewegung ausgewiesen werden kann, solange sich auf die Merkmale „informelles Netzwerk, gemeinsame Überzeugungen, Konfliktorientierung und verschiedene Protestformen“ (S. 39) bezogen wird. Andererseits ist dies unter dem Kriterium, „dass soziale Bewegungen tief greifenden sozialen Wandel herbeiführen wollen“ (Sommer et al., S. 39) in Frage zu stellen, denn ein solcher sozialer Wandel werde nicht direkt gefordert (S. 39). Dementsprechend könne FFF auch als „politische Protestkampagne“ (Sommer et al., 2019, S. 39). bezeichnet werden. Fopp et al. (2021) schildern jedoch, dass durch die Forderungen von FFF letztendlich ein systemischer Wandel herbeigeführt werden soll, speziell durch die angestrebte Klimagerechtigkeit und den einhergehenden Demokratisierungsprozessen. Doch selbst die führenden Aktivisten von FFF sind sich häufig nicht einig, inwieweit die Forderungen einen sozialen Wandel verursachen könnten (Sommer et al., 2019).
4 Öffentliche Meinung zu Fridays for Future
Öffentlichkeit gilt als grundlegender Faktor für Mobilisierungsprozesse sozialer Bewegungen, denn um bestehen zu bleiben, ist die Unterstützung der massenmedialen Öffentlichkeit nötig (Rucht, 1994). Goldenbaum und Thompson (2020) zeigen auf, dass knapp die Hälfte der untersuchten Artikel von Der Spiegel und Die Zeit die Form des Protests als Schulstreik in Kombination mit kritischen Äußerungen von Politkern thematisieren. Viele Beiträge sprechen der Bewegung aber auch große politische Bedeutung und Einfluss zu. In der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums werden diese Inhalte noch öfter abgebildet. Aber unter Betrachtung mehrerer Zeitungen wird sichtbar, dass sich die Kritik am häufigsten auf die Protestform, den Protest allgemein und die Repräsentanten bezieht. Auch Forderungen und Argumente werden mehrfach kritisiert (Goldenbaum & Thompson, 2020).
Goldenbaum und Thompson (2020) erklären außerdem, dass durch große mediale Präsenz mehr Druck auf die Politik ausgeübt wird, die gestellten Forderungen einer Bewegung durchzusetzen. Diese politische Macht sprechen im April 2019 nur 37 Prozent der Befragten FFF zu (ZDF, 2019). Im Juni 2019 waren jedoch schon 51 Prozent dieser Meinung (Forschungsgruppe Wahlen e.V., 2019). Dies zeigt zudem, dass FFF an Zuspruch in der Bevölkerung gewonnen hat und der Glaube an die Wirksamkeit von FFF steigt. Die gesellschaftliche Unterstützung ist für soziale Bewegungen essenziell (Koos & Lauth, 2020). Genauer bedeutet gesellschaftliche Unterstützung, dass „verschiedene Gruppen der Bevölkerung die Ziele und Protestformen einer Bewegung positiv bewerten und diesen mindestens aufgeschlossen gegenüberstehen“ (Koos & Lauth, 2020, S. 205). Die Unterstützung könne sich aber auch in der Bereitstellung von Ressourcen oder der aktiven Teilnahme an Protesten äußern (Koos & Lauth, 2020, S. 205). Die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Mai 2019 zur gesellschaftlichen Unterstützung von FFF zeigen, dass große Unterschiede innerhalb der Kategorien Alter, Geschlecht, Bildungsstand und politische Orientierung bestehen. Die Meinungen zu den geforderten Maßnahmen und Veränderungen im Lebensstil sind stark polarisiert. Allgemein ist dennoch eine große Unterstützung für FFF erkennbar. Die größte Unterstützung erfährt FFF von jüngeren Menschen mit höherem Bildungsniveau sowie von Wählern linker Parteien (Koos & Lauth, 2020).
5 Verwandte Studien
Bader (2018) untersucht mit einer automatisierten Sentimentanalyse das Stimmungsbild in Artikeln über Politiker und inwieweit dieses sichtbar gemacht werden kann. Allgemein erkennt Bader Verbesserungspotenzial in der automatisierten Methode. So sei es Ziel der Weiterentwicklung von Sentimentanalysen den Einfluss von negativ konnotierten Themen auf die Sentimentscores zu verringern (Bader, 2018, S. 114). Als Lösungsvorschlag bringt er eine Kombination aus Topic Modeling, was die Berechnung von Themenmodellen durch einen Algorithmus bedeutet (Horstmann, 2018), und automatisierter Sentimentanalyse an. Auch Badaoui (2020) stellt in seiner automatisierten Sentimentanalyse von Tweets zu #blacklivesmatter fest, dass diese allein nicht ausreicht, um das Sentiment korrekt analysieren zu können, da der Kontext der Tweets in der automatisierten Analyse nicht berücksichtigt wird. Dahal, Kumar, und Li (2019) wenden in ihrer Forschung über Tweets zum Klimawandel eine Kombination aus Topic Modeling und Sentimentanalyse an. Die Methodenkombination aus quantitativen und qualitativen Ansätzen ermöglicht es die Art der Diskussion in Tweets besser zu analysieren und zu vergleichen.
Dahal et al. (2019) merken zudem an, dass es keine eindeutigen Vorgaben dazu gibt, wie viele Topics in welcher Größe in einem Korpus berechnet werden sollten. Zu wenige Topics bedeuten eine unvollständige Analyse, da inhaltlich unterschiedliche Topics zu einem einzigen Topic zusammengeführt werden könnten. Das Berechnen von zu vielen Topics kann zur Folge haben, dass ein zusammenhängendes Thema vorliegt, welches jedoch in vielen verschiedenen Themenmodellen abgebildet wird und somit die Analyse erschwert. Insgesamt stellen Dahal et al. (2019) ein überwiegend negatives Sentiment in den Tweets fest. Vor allem zu politischen Themen und Extremwetter-Ereignissen ist in den Tweets ein negatives Sentiment enthalten. Die einzigen positiven Ausbrüche sind zu verzeichnen, wenn das Wetter wärmer und sonniger wurde. Aus dem Untersuchungsmaterial können 20 Topics mit jeweils 15 Begriffen gebildet werden. Dabei sei es bei der Erstellung ein gutes Zeichen, wenn den Topics Überschriften zugewiesen werden können (Dahal et al., 2019, S. 24). Themenmodelle mit denselben Überschriften werden für die Analyse zusammengefasst. So ergeben sich überwiegend Topics mit den Überschriften: „energy“, „carbon“, „footprint“, „weather“, „politics“ und „belief“ (Dahal et al., 2019, S. 24).
Um die erstellten Topics aus Tweets des FFF-Profils zum Klimawandel zu betiteln, wenden Felaco, Mazza und Parola (2020) neben dem Topic Modeling zusätzlich eine Netzwerk-Analyse an. Damit können Verbindungen zwischen einzelnen Begriffen und Topics „systematisiert, zusammengefasst und visualisiert“ werden (Felaco et al., 2020, S. 3). Am häufigsten werden Klima-Aktivisten, Proteste und die Zukunft thematisiert. Die meisten Topics hängen mit Ereignissen zusammen, die in Verbindung zu beliebten FFF-Aktivsten stehen (Felaco et al., 2020).
Jiang, Song, Harrison, Quegan und Maynard (2017) untersuchen Zeitungsartikel zum Kopenhagen-Klimagipfel 2009, die mindestens dreimal das Schlüsselwort „Climate Change“ (Jiang et al., 2017, S. 26) enthalten. Zunächst generierten sie die verschiedenen Topics und führten anschließend eine Sentimentanalyse anhand der berechneten Wörter durch, um so die Haltung der Zeitungen zum Klimagipfel zu erforschen. Es ist zwar eine durchschnittlich positive Berichterstattung zu erkennen, allerdings können verschiedene Schwerpunkte der Zeitungen festgestellt werden. Diese verteilen sich auf die Überschriften Hoffnung, Einigungen während des Klimagipfels, Angst, Alarmbereitschaft und Kritik am Klimagipfel (Jiang et al., 2017, S. 27). Zudem betonen Jiang et al. (2017) die Bedeutung eines themenspezifischen Wörterbuchs für eine aussagekräftige Analyse.
Zur Bestimmung des Sentiments von Instagram -Kommentaren, ist laut Aly und van de Haar (2020) die Verwendung von Wörterbüchern besonders wichtig, die auch Slang basierte Inhalte verwerten können. Aly und van de Haar (2020) vergleichen im Hinblick darauf die überwachte Machine Learning-Methode mit der unüberwachten, wörterbuchbasierten Methode. Dazu wurden zunächst verschiedene Wörterbücher kombiniert und anschließend mit aktuellen Slang-Begriffen immer wieder ergänzt. Aufgrund der ständig neuen Slang-Entwicklungen ist es jedoch kaum möglich, das Wörterbuch ausreichend anzupassen. Unter anderem deshalb identifizieren Aly und van de Haar (2020) die Ergebnisse der Machine Learning-Methode als gehaltvoller.
Jansma (2021) erforscht in ihrer Analyse, welche Auswirkungen Sarkasmus auf die Sentimentanalyse von Tweets über den Klimawandel hat. Nach Jansma (2021) ist Sarkasmus für automatisierte Sentimentanalysen bezüglich der Genauigkeit und der Validität als problematisch einzustufen. Daher wird Sarkasmus anhand einer manuell durchgeführten Sentimentanalyse mittels Codebuch erfasst und anschließend mit den Ergebnissen der automatisierten Analyse verglichen. Insgesamt werden zwei Drittel der Kommentare nach der manuellen Analyse unterschiedlich codiert, als nach der automatisierten Analyse. Vor allem automatisch bestimmte, positive Kommentare werden in der manuellen Analyse als negativ oder neutral codiert. Damit zeigt Jansma (2021), dass automatisierte Sentimentanalysen betreffend Sarkasmus nicht ausreichend valide sind, um als alleinige Untersuchungsmethode angewendet zu werden.
6 Forschungsfragen und Hypothesen
In dieser Arbeit soll die öffentliche Meinung zu FFF auf Instagram untersucht werden. Daher lautet die übergeordnete Fragestellung:
Wie sehen Stimmungsbild und Diskussion in Kommentaren zu FFF-Posts auf Instagram aus und sind Veränderungen im zeitlichen Verlauf sichtbar? (F1)
Die Analyse von Zeitungsartikeln über FFF von Goldenbaum und Thompson (2020) ergibt, dass viele Beiträge FFF große politische Bedeutung und Einfluss zusprechen. Diese positive Bewertung in Zeitungsartikeln nimmt im Laufe des Untersuchungszeitraums zu. Zudem zeigen die vorgestellten Umfragedaten der Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2019) und des ZDF (2019), dass innerhalb weniger Monate der Anteil der Befragten, die an die Wirksamkeit von FFF glauben, um etwa 15 Prozent gestiegen ist. Allerdings stellen Dahal et al. (2019) in ihrer Analyse von Tweets zum Klimawandel fest, dass ein überwiegend negatives Sentiment herrscht. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich in Bezug auf Instagram -Kommentare folgendes vermuten:
Das Sentiment der Kommentare zu FFF-Posts ist insgesamt negativ, im Laufe der Zeit entwickelt sich jedoch eine positive Tendenz. (H1)
Weiter zeigt die Studie von Goldenbaum und Thompson (2020), dass sich in Artikeln meistens negativ zu FFF geäußert wird, wenn über Forderungen, Argumente, Protestform und den Protest im Allgemeinen sowie über bekannte Aktivisten geschrieben wird. Die Sentimentanalyse von Dahal et al. (2019) ergibt zudem, dass vor allem Tweets über politische Events und Extremwetter-Ereignisse negativ konnotiert sind. Daher lässt sich eine weitere Hypothese aufstellen:
Zwischen besonders negativ kommentierten Posts gibt es thematische Gemeinsamkeiten. (H2)
7 Methode
7.1 Auswahl der Untersuchungsgegenstände
Um das Stimmungsbild und die Diskussion zur deutschen FFF-Bewegung in den sozialen Medien zu analysieren, bieten sich Kommentare als Untersuchungsgegenstand sehr gut an. Denn durch diese interaktive Funktion sei es Nutzern möglich, ihre Meinung in textlicher Form zu äußern (Schreiber & Kramer, 2016, S. 91). Instagram eignet sich für das Forschungsinteresse, da diese Plattform zum einen neben WhatsApp und Facebook zu den am häufigsten genutzten sozialen Netzwerken in Deutschland gehört (AudienceProject, 2020). Zum anderen ist die deutsche FFF-Bewegung auf Instagram präsenter und erhält mehr Aufmerksamkeit in Form von Kommentaren als auf Facebook. Twitter wurde bereits in vielen Forschungen zur Untersuchung des Klimawandel-Diskurses verwendet, während dies auf Instagram bisher weniger betrachtet wurde. Der deutsche FFF Instagram -Account „fridaysforfuture.de“ hat zum Zeitpunkt der Analyse etwa 520.000 Abonnenten und ungefähr 800 veröffentlichte Beiträge.
Um eine Stichprobe von Kommentaren zusammenzustellen, wurden alle Posts des FFF- Instagram -Profils mit mehr als 300 Kommentaren ausgewählt. Posts aus dem Jahr 2018 wurden dabei nicht beachtet, da FFF in diesem Zeitraum zu unregelmäßig Beiträge veröffentlichte, um inhaltliche Veränderungen in den Kommentaren im zeitlichen Verlauf angemessen untersuchen zu können. Außerdem liegen aus dem Jahr 2018 zu wenige Kommentare vor. Vermutlich kann dies mit der noch sehr frühen Entwicklungsphase von FFF in Deutschland und der vergleichsweise geringen Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken begründet werden. Daher ist das Untersuchen der Posts von 2018 auf eine zeitliche Veränderung der Diskussion in den Kommentaren nicht sinnvoll. Aus den Jahren 2019, 2020 und 2021 liegen damit insgesamt 72 Posts vor. Um die Kommentare jedoch auch im zeitlichen Verlauf betrachten zu können, wurde darauf geachtet, dass zwischen den ausgewählten Posts der gleiche zeitliche Abstand herrscht. Damit dies gewährleistet werden kann, musste jeweils ein Post Anfang sowie Mitte des Monats und immer die Beiträge mit den meisten Kommentaren ausgewählt werden. Rössler (2017) schlägt eine systematische Auswahl der Untersuchungsgegenstände vor, um „eine Veränderung über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu dokumentieren“ (S. 59). Das heißt, dass jedes n-te Element ausgewählt wird, was hier jedoch aufgrund der ungleichen zeitlichen Verteilung der Beiträge nur beschränkt möglich ist. Wenn in einem Monat lediglich ein Post mit über 300 Kommentaren vorliegt, wurde dieser in die Stichprobe aufgenommen, auch wenn der gleichmäßige, zeitliche Abstand dadurch missachtet wurde. Im darauffolgenden Monat erfolgte die Auswahl der Posts so, dass die Zeitspanne zum vorherigen Beitrag wieder entsprechend eingehalten werden kann. Von Juni 2019 liegt kein Beitrag mit über 300 Kommentaren vor. Im Jahr 2020 ist dies bei den Monaten Juni und November der Fall. Der erste Post in der Stichprobe wurde am 3. März 2019 und der letzte am 29. April 2021 veröffentlicht. Insgesamt besteht die Stichprobe aus 37 Posts (siehe Anhang II, S. 58-73) und 18154 Kommentaren. Dabei stammen 14 Posts aus 2019, 15 aus 2020 und acht aus 2021.
Die Auswahl an Beiträgen wurde mit dem Python -Modul Instaloader (GitHub) heruntergeladen. Während des Datentransfers und Umwandeln in lesbare Dateien sind allerdings Kommentare verloren gegangen. Die Ursache des Problems wurde nicht gefunden und es kann nicht nachvollzogen werden, welche Kommentare fehlen. So sind nach allen Bereinigungsschritten der Dateien insgesamt noch 15000 Kommentare im Gesamtkorpus enthalten.
7.2 Opinion mining
Die Stimmungsanalyse zu FFF auf Instagram wird anhand der Nutzerkommentare durchgeführt. Dazu eignen sich nach Siegel und Alexa (2020) insbesondere die Statistikprogramme R und Python. Aufgrund der benutzerfreundlichen Anwendungsweise fiel die Wahl auf die Software R.
Als Untersuchungsmaterial in Textform liefern Kommentare meinungsbasierte Inhalte, die bspw. in Videodaten weniger vorhanden sind. Da Kommentare in der Regel von Menschen verfasst werden, bergen sie Subjektivität, die eine vielseitige Analyse ermöglicht. Somit können Kommentare als guter Ausgangspunkt zur Untersuchung von Meinungen betrachtet werden. Eine Meinung bzw. Opinion sei ein subjektives Statement, anhand dessen der Glaube oder die Haltung einer Person deutlich werde (Zhai & Massung, 2016, S. 389). Zunächst müssen Meinungsinhaber, Meinungsgegenstand sowie Meinungsinhalt definiert werden, um ein Grundverständnis für die Opinion als Untersuchungsgegenstand zu schaffen. Ebenso müssen Kontext und Gefühlslage (Sentiment) betrachtet werden, damit genauere Ergebnisse erzielt werden. Dieses „basic understandment“ (Zhai & Massung, 2016, S. 390) bedeutet allerdings einen hohen Grad an Komplexität. Als Meinungsinhaber können z. B. sowohl Einzelpersonen oder Gruppen als auch Komitees und Unternehmen identifiziert werden. Der Meinungsgegenstand kann sich bspw. auf eine Person, ein Produkt, ein Ereignis oder eine andere Meinung beziehen. Zusätzlich müssen betreffend des Meinungsinhalts verschiedene Faktoren, z. B. die Textlänge, betrachtet werden. Dabei wird zwischen einer „one-sentence-opinion“ und einer „one-phrase-opinion“ (Zhai & Massung, 2016, S. 392) unterschieden. Zudem muss definiert werden, in welcher Textform die Opinion vorliegt. Es kann sich unter anderem um Zeitungsartikel oder Blogeinträge handeln. Auch müssen Variationen von Ort, Zeit und Hintergrundgeschichte beachtet werden. Weiter enthält eine Opinion verschiedene Emotionen, deren Sentiment als positiv oder negativ bestimmt werden kann (Zhai & Massung, 2016).
Daraus geht hervor, dass es zwischen Opinion und Sentiment Unterschiede gibt, die es hervorzuheben gilt, um Kommentare bezüglich FFF auf Instagram zu analysieren. Die Opinion ergibt sich aus allen Informationen, die im Text enthalten sind. Das heißt, es müssen die Wertung, Emotionen, Einstellungen des Verfassers und Gegenstand der Bewertung im entsprechenden Kontext untersucht werden (Liu, 2012). Insgesamt zielt die Methode des Opinion Mining darauf ab, aus kontextualisierten Eingangsinformationen eine bestimmte Auswahl an verschiedenen Meinungsdarstellungen zu generieren (Zhai & Massung, 2016). Das Sentiment bildet also einen Teilbereich der Opinion ab, wobei die positive oder negative Stimmung der Opinion ermittelt wird (Liu, 2012).
Da in dieser Forschung Sentiment und Haltungen der Nutzer unter anderem zu Personen, Organisationen und Ereignissen (Siegel & Alexa, 2020) bestimmt werden sollen, wird eine Sentimentanalyse durchgeführt. Um dem beschriebenen Forschungsinteresse nachzugehen, stehen drei verschiedene Verfahren der Sentimentanalyse zur Wahl. Mit der Methode des überwachten Machine Learnings wird anhand eines Textes mit zuvor definiertem Sentiment ein Klassifikationsalgorithmus trainiert. Im Gegensatz dazu erfolgt im nicht überwachten Machine Learning eine Bestimmung des Sentiments durch den automatisierten Vergleich von Beziehungen unter Wörtern in mehreren Texten (Bader, 2018). Außerdem kann eine automatisierte Sentimentanalyse mit der wörterbuchbasierten Methode durchgeführt werden. Zur Komplexitätsreduktion und um Fehlerquellen zu vermeiden, wird in dieser Forschung der wörterbuchbasierte Ansatz verwendet. Hier wird zwischen einer „emotion analysis“ und einer „polarity analysis“ (Zhai & Massung, 2016, S. 394) unterschieden. In der „emotion analysis“ (Zhai & Massung, 2016, S. 394) werden mehrere komplexe Kategorien zu ausgewählten Emotionen gebildet, anhand derer ein Text untersucht wird. Die für diese Forschung gewählte „polarity analysis“ (Zhai & Massung, 2016, S. 394) sieht dagegen ein Wörterbuch mit einem Kategoriensystem von nur maximal drei Ausprägungen vor: positiv, negativ und ggf. neutral. Allgemein beruht die automatisierte, wörterbuchbasierte Analyse auf dem „Bag-of-Words“-Modell (Zhai & Massung, 2016, S. 10). Dem zufolge muss die einzelne Betrachtung der Wortsammlungen vorgenommen werden, während die Anordnung der Wörter sowie der Kontext nicht mehr von Bedeutung sind.
Für die Auswahl des Wörterbuchs stehen laut Puschmann (2021) das SentiWS, das LIWC und das Sentiment Dictionary von Christian Rauh bereit. Durch das LIWC -Wörterbuch werden sowohl sprachliche Besonderheiten als auch psychologische Vorgänge und kontextabhängige Faktoren erfasst (Universitätsklinikum Heidelberg, 2021). Dieses Wörterbuch stellte sich jedoch nach ersten Testdurchläufen als untauglich für das Forschungsanliegen heraus. Denn das LIWC basiert nicht auf einem binären Kategoriensystem, sondern enthält ein kompliziertes Klassifikationsprinzip, weshalb die Berechnung von Polaritäten nicht möglich ist. Daher wurde für diese Forschung das Sentiment Dictionary von Christian Rauh gewählt. Die enthaltene Wortsammlung ergibt sich aus einer Kombination der größten deutschen Sentiment-Wörterbücher SentiWS und German Polarity Clues (Rauh, 2018) . Diese Verknüpfung wurde durch drei Experimente mit politikwissenschaftlichem Hintergrund validiert. Das Wörterbuch beinhaltet 17330 positive und 19750 negative Wörter und deren Flexionen. Jedem Wort ist ein Sentiment-Score beigefügt, wobei positive Wörter dem Score 1 und negative Wörter dem Score -1 zugeordnet werden (Rauh, 2018). Die Ergänzung des Wörterbuchs zur genaueren Untersuchung der Slang basierten Instagram -Kommentare (vgl. Aly & van de Haar, 2020) war aufgrund mangelnder EDV-Kenntnisse nicht möglich und zu komplex. Um dem Datenverlust entgegenzuwirken (siehe 5 Verwandte Studien ), wird die Analyse durch die Methode des Topic Modelings ergänzt.
7.3 Topic Modeling
Bei der Erschließung eines Textes sei der erste Schritt, sich einen Überblick über die im Text behandelten Themen zu verschaffen, so Horstmann (2018). Man solle nach einem Leitgedanken suchen, der den Inhalt eines Textes zusammenfasse (Schulz, 2003, S. 634, zitiert nach Horstmann, 2018). Dieser Denkansatz hat in der Literaturwissenschaft seinen Ursprung und wird hier mit der Topic Modeling-Methode eingebracht. Die zu analysierende Textauswahl wird thematisch erforscht, sodass Topics erstellt werden können. Topics werden als statistische Modelle definiert und bilden oft gemeinsam vorkommende Wörter ab (Horstmann, 2018). Das Topic Modeling basiert auf den Annahmen: „Every document is a mixture of topics“ und „every topic is a mixture of words“ (Robinson & Silge, 2020). Wie viele Topics berechnet werden und in welcher Größe, wird allein durch den Forschenden entschieden. Die Voreinstellungen und die abgebildeten Topics können immer wieder verändert werden, sodass möglichst signifikante Ergebnisse daraus hervorgehen. Der am häufigsten eingesetzte Algorithmus für die Erstellung von Topics ist die Latent-Dirichlet-Allocation (im Weiteren LDA genannt) (Horstmann, 2018). Der Algorithmus „basiert auf einer wiederholt zufälligen Auswahl an Textsegmenten, wobei innerhalb dieser Segmente jeweils die statistische Häufung von Wortgruppen erfasst wird“ (Horstmann, 2018). Dadurch werden mit der LDA die Grundannahmen (s. o.) befolgt, denn es werden Topics stellvertretend für den gesamten Korpus berechnet, weshalb die enthaltenen Begriffe Verbindungen untereinander aufzeigen.
Die Erstellung der Topics in R laufe induktiv ab, daher sei bei der Auswertung ein deduktives Vorgehen notwendig (Puschmann, 2021). Die Auswertung der Topics stellte jedoch ein größeres Problem dar, als bereits vermutet wurde, was auf fehlende Hintergrundinformationen und wenig gehaltvolle Wörter zurückzuführen ist. Die manuelle Codierung der Kommentare konnte diese Problematik jedoch überwiegend aufheben.
7.4 Manuelle Sentimentanalyse
Um die Ergebnisse der automatisierten Sentimentanalyse zu überprüfen und mit der menschlichen Wahrnehmung vergleichen zu können, erfolgte an einer Stichprobe der Kommentare eine manuelle Bestimmung des Sentiments mit einem Codebuch. Aufgrund des „Bag-of-Words“-Modells (Zhai & Massung, 2016, S. 10) und wie bereits in früheren Studien festgestellt wurde (siehe 5 Verwandte Studien ), wird der Kontext eines Kommentars nicht betrachtet, da die automatisierte Sentimentanalyse anhand eines binären Kategoriensystems erfolgt. Daher ist davon auszugehen, auch basierend auf den Ergebnissen von Jansma (2021), dass Ironie bzw. Sarkasmus oder Verneinungen nicht als solche durch das Wörterbuch identifiziert werden. Das kann eine Missinterpretation der Ergebnisse zur Folge haben. Darum werden die Resultate der manuellen Codierung als Gegenprobe zur automatisierten Analyse genutzt, denn diese ermöglicht die Einschätzung des Sentiments eines Kommentars im Gesamtkontext. Mit dieser manuellen Codierung konnte sich außerdem Hintergrundwissen zur genaueren Analyse der Topics angeeignet werden.
Das Codebuch dient als Untersuchungsinstrument mit konkreten Anleitungen zur Codierung der Kommentare. Es umfasst verschiedene Beschreibungen und Parameter, auf deren Grundlage die Stichprobe bewertet wird (Rössler, 2017). Die Ergebnisse der manuellen Analyse sollen als Gegenprobe zur automatisierten Analyse verwendet werden, daher wurde bei der Erstellung des Codebuchs dem Sentiment-Wörterbuch nachempfunden. Im Gegensatz zum klassischen Codebuch einer Inhaltsanalyse (vgl. Rössler, 2017), fällt das neu erstellte Codebuch weniger umfangreich aus (siehe Anhang II, S.74-75). Es sind keine formalen Kategorien enthalten, da die Ergebnisse, die daraus hervorgehen würden, bereits aus der Beschaffung des Datenmaterials und der Stichprobenerstellung bekannt sind. Das Codebuch besteht nur aus zwei wertenden Variablen. In Anlehnung an das Wörterbuch wurde die Variable Sentiment mit drei Ausprägungen erstellt: positives Sentiment (= 1), negatives Sentiment (= 2) und unklar (= 99). Die Ausprägungen wurden jeweils um eine kurze Definition ergänzt, damit die Codierungen erklärt werden und nachvollziehbar sind. Zudem wird in der manuellen Analyse der Kommentar als Ganzes untersucht, da so die Beziehungen unter den einzelnen Begriffen und die Bedeutung der Wortfolge wieder sichtbar werden.
Während der manuellen Codierung wurde allerdings festgestellt, dass einige Kommentare bspw. als negativ bewertet wurden, aber FFF insgesamt trotzdem positiv bzw. unterstützend gegenüberstehen. Um hier noch einmal unterscheiden zu können, wie viele positive oder negative Kommentare tatsächlich auch als unterstützend gelten, ist die zweite Variable Unterstützung im Codebuch enthalten. Dazu wurden die Ausprägungen unterstützend (= 1), nicht unterstützend (= 2), teilweise unterstützend (= 3) und unklar (= 99) codiert (siehe Anhang II, S. 74-75).
Die Stichprobe für die Codebuchanalyse besteht aus jeweils 20 Kommentaren pro Post, die per Zufallsauswahl (Rössler, 2017) ermittelt wurden. Dazu wurde in MS Excel für jeden Kommentar eine Zufallszahl erstellt. Im Anschluss wurden die Kommentare nach dieser Zahl sortiert. Daraufhin erfolgte eine Auswahl der jeweils ersten 20 Kommentare pro Post. Insgesamt besteht die Stichprobe für die manuelle Analyse aus 740 Kommentaren. Während der Datenauswertung fiel jedoch auf, dass nur 739 Codes vorhanden sind. Es kann allerdings nicht geklärt werden, welche Codierung verloren gegangen ist.
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1 Im Folgenden wird zur Vereinfachung das generische Maskulinum verwendet.
- Arbeit zitieren
- Luca Marie Jakobs (Autor:in), 2021, "Fridays for Future" auf Instagram. Eine automatisierte Textanalyse von Instagram-Kommentaren zu "Fridays for Future", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1189481
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