Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die sprachlichen Eigenschaften einer heruntergekommenen sprache
2.1 Typographie
2.2. a Syntax
2.2. b Syntaktischer Primitivismus
2.3 Variabilität
2.4 Wortbildung
3. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Für einen experimentellen Dichter wie Ernst Jandl ist das Spiel mit der Sprache eine zentrale, wenn nicht sogar die zentrale Herangehensweise für das dichterische Schaffen. Durch ebendiese Herangehensweise entwickelten sich während der Schaffenszeit Jandls verschiedene Konzepte, die man teilweise schon als eigene Untergattungen verstehen kann. Die ständige Suche nach neuen poetischen Ausdrucksformen und Techniken zieht sich Jandls Gesamtwerk.
Während den 60er Jahren feierte er mit seinen Lautgedichten aus dem Band laut und luise immense Erfolge bei einem breiteren Publikum. Etwas, das nur die wenigsten vergleichbaren Autoren der literarischen Avantgarde von sich behaupten konnten. Jandl wäre es aber niemals in den Sinn gekommen, sich auf einem solchen Erfolgskonzept ausruhen.
Spätere Bände wie der künstliche baum oder sprechblasen knüpfen mit den visuellen Gedichten an Konzepte der konkreten Poesie an. Doch auch in dieser Schublade wollte Jandl es sich nicht bequem machen, weshalb er sich - mit einem gewissen Augenzwinkern - von dieser Bewegung distanzierte: i love concrete i love pottery but i'm not a concrete pot1
Mit dem Ansatz, die materiellen Grenzen der Sprache immer wieder aufs Neue auszudehnen, führt er dann gegen Mitte der 70er Jahre eine ganz besondere Art des Sprachspiels ein: die heruntergekommene spräche. Eine Kunstsprache, die „bewußt unter das Niveau unserer Alltagssprache gedrückt“2, zunächst eine komische Wirkung erzeugt, von Beginn an aber etwas Vertrautes austrahlt. Vielleicht, weil sie, wie Jandl selbst meinte, an sogenanntes Gastarbeiterdeutsch erinnert?
Diese neue Art des Sprachspiels bringt einen „nicht nur (...) stilistischen, sondern auch (...) inhaltlichen Wandel“3 mit sich: Biographisch sind die 70er Jahre bei Jandl als Krisenjahre einzuordnen. Depressionen, Alkoholismus und Krankheiten werden allmählich ein fester Bestandteil der Lebensrealität und somit auch thematisch im literarischen Output des Künstlers verarbeitet. Düster, schwermütig, vulgär, zu Teilen zynisch kommen diese Gedichte daher. Aber nicht ohne dass zugleich eine beinahe rührende Naivität mitschwingt.
Das Gedicht von einen sprachen aus dem 1978 erschienenen Band die bearbeitung der mütze kann als Programmschrift für die heruntergekommene sprache verstanden werden: schreiben und reden in einen heruntergekommenen sprachen sein ein demonstrieren, sein ein zeigen, wie weit es gekommen sein mit einen solchenen (..)4
Auch wenn Jandl mit der Bezeichnung seiner Kunstsprache als heruntergekommen einen Sprachverfall andeutet, so schafft er doch eine Sprache, die, wie Gajewska treffend formuliert, „poetisch unverbraucht“ ist und „die Behandlung von Themen erlaubt, die im Gedicht konventioneller Sprache heute kaum mehr möglich sind.“5 Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich gerade diese Gedichte unter Jandl-Enthusiasten besonderer Beliebtheit erfreuen. Sie verfügen über eine ungeheure Ausdruckskraft, die sich nicht allein durch die Schwere der Inhalte erklären lässt, sondern die zu großen Teilen der besonderen sprachlichen Beschaffenheit der heruntergekommenen sprache zu Grunde liegt.
In der vorliegenden Arbeit soll nun jene Beschaffenheit Jandls heruntergekommener sprache sprachwissenschaftlich untersucht werden. Die Arbeit soll in ihrem überschaubaren Umfang jedoch keine vollständige sprachliche Analyse des Gegenstands bieten, sondern eine Übersicht verschiedener linguistischer Perspektiven liefern, aus denen Jandls Gedichte in heruntergekommener sprache zu verstehen sind und zu einer sprachkritischen Reflexion anregen.
Als Gegenstand der Untersuchung dienen die Gedichte aus dem Band die bearbeitung der mütze mit besonderem Fokus auf den darin enthaltenen Zyklus tagenglas.
2. Die sprachlichen Eigenschaften einer heruntergekommenen sprache
2.1 Typographie
Wie es bereits für die vorherigen Jandl Gedichte typisch, wird in den Gedichten in heruntergekommener sprache eine allgemeine Kleinschreibung angewendet, sowie größtenteils auf Interpunktionen verzichtet. Freilich sind diese Eigenschaften nicht rein spezifisch für die heruntergekommene sprache, sie gewinnen jedoch in einer heruntergekommenen Sprachumgebung an neuer Wirkung.
Jandl erklärte, dass durch eine konsequente Kleinschreibung von Satzanfängen, Substantiven, Eigennamen etc. „die Großbuchstaben, vom Dienst an einer bloßen Konvention befreit, für neue Aufgaben verfügbar wurden, vor allem für die Hervorhebung einzelner Wörter.“6 Eine derartige Hervorhebung sucht man im Zyklus tagenglas vergebens. Hier werden radikal und ausnahmslos alle Buchstaben und Wörter gleichgesetzt. Es gibt keine Hervorhebungen, keine höhere Stellung. Dies deckt sich selbstverständlich mit dem ästhetischen Anspruch einer heruntergekommenen sprache. Was sollte es in einer solchen auch hervorzuheben geben?
Jandl schafft aus der Missachtung einer orthographischen Regel ein typographisches Stilmittel, das die Heruntergekommenheit seiner Kunstsprache visualisiert und dem Leser suggeriert, noch bevor dieser das erste Wort gelesen haben muss.
Die fehlende Interpunktion, so argumentiert Anne Uhrmacher anhand eines Zitats Gertrude Steins, solle die Selbstständigkeit des Lesers fördern und diesem „weite Interpretationsspielräume eröffnen (...), um zu eigenem Nachdenken anzuregen.“7
Im Zusammenspiel mit den syntaktischen Besonderheiten der heruntergekommenen sprache kann die fehlende Interpunktion für Unklarheiten sorgen, die Mehrdeutigkeiten von Wörtern und ganzen Zeilen zur Folge haben können.
In bestimmten Fällen öffnet sich die Mehrdeutigkeit eines Wortes erst dadurch, dass auf die Interpunktion verzichtet wird, wie beispielsweise in der ersten und letzten Zeile des Gedichts suchen wissen: ich was suchen ich nicht wissen was suchen (...) Ich wissen ich suchen wie wissen was suchen Ich was wissen
Handelt es sich beim Wort was um die verkürzte Form von etwas oder um einen Interrogativausdruck? Hieße es auf Standarddeutsch was suche ich? Diese Interpretation ist trotz anderer Reihenfolge von Subjekt, Verb und Objekt durchaus denkbar, da die heruntergekommene sprache, wie Haider hinterlegt hat, entgegen dem Standarddeutschen keine obligate Voranstellung des Interrogativausdrucks fordert.8 Die Zweitstellung des Wortes was nach dem Subjekt negiert hier also keinesfalls die Möglichkeit, dass es sich bei der ersten Zeile um eine Fragestellung handeln könnte.
Ob nun Was suche ich? Ich weiß nicht, was ich suche oder Ich suche etwas. Ich weiß nicht, was ich suche gemeint ist, ist ein Unterschied, der eine nicht unerhebliche Auswirkung auf das Verständnis des Gesamttextes hat. Durch das Weglassen der Interpunktionen (in diesem Fall das Fragezeichen) bleibt ein größerer Deutungsspielraum offen, der es ermöglicht, ein und dasselbe Gedicht mehrmals aus verschiedenen Blickwinkeln zu lesen.
Dass Jandl gezielt solche Mehrdeutigkeiten hervorrufen wollte, bestätigt er selbst in einem aufgezeichneten Gespräch mit Peter Weibel:
„eine der interessantesten sachen des arbeitens mit worten ist, daß man die ambivalenz der Wörter verwendet (...) und das hat mich immer fasziniert, daß man die mehrdeutigkeit von Wörtern verwenden kann (,.)“9
2.2. a Syntax
Werner Abraham hat in seiner syntaktischen Analyse der heruntergekommenen sprache eine allgemeine Akkusativ-Maskulin-Infinitivtendenz, kurz AMI-Tendenz, hervorgehoben, welche er wie folgt definiert:
(1) Jeder oblique Kasus wird in einen Akkusativ überführt
(2) Statt finiter Verbformen wird die Infinitivform gesetzt
(3) Uniforme Subjekt-Verb Abfolge10
Mit der Reduktion der drei möglichen Genera auf das Maskulinum, der Reduktion der vier Kasus auf ein primäres Akkusativsystem sowie der strengen Wortstellung des Verbs hinter dem Subjekt passiert hier, so Abraham, keine Befreiung oder Erweiterung, sondern eine „Einengung des grammatischen Bewegungsspielraumes“11. Durch diese sprachliche Einschränkung und Reduktion der Satzbaumöglichkeiten lösen sich die einzelnen Elemente aus den bestehenden Zusammenhängen. Das einzelne Wort gewinnt an Spielraum.
2.2. b Syntaktischer Primitivismus
Hubert Haider bemerkt einige grammatikalische Parallelen zwischen der heruntergekommenen sprache und den sogenannten Pidgin- und Kreolsprachen. Bei diesen handelt es sich um reduzierte Sprachformen, die sich unter kolonialen Bedingungen zur einfacheren Verständigung zwischen Einheimischen und Kolonialherren gebildet haben. Jandl meinte seine heruntergekommene sprache sei „die Sprache von Leuten, die Deutsch zu reden genötigt sind, ohne es je systematisch erlernt zu haben.“ Passend dazu definiert Haider die Pidginsprachen wie folgt: „Ein Pidgin ist ein sprachliches Verständigungsmittel von Leuten, die genötigt sind, sich in einem Umfeld zu verständigen das keine gemeinsame Sprache besitzt. Pidgins werden nicht systematisch erlernt und zeichnen sich durch Heterogenität und Variabilität aus (,..).“12
Besonders auffällig ist für die Pidgins ist eine Vereinfachung der grammatikalischen Struktur, typischerweise eine strikte Subjekt-Verb-Objekt Folge.13 Diese findet man in vielen, jedoch nicht allen Gedichten aus Jandls heruntergekommener sprache wieder: ,,du(S) mir geben (V) mittel (O) für aufhören scheißen (...)“
[...]
1 Jandl (2012), S.37.
2 Jandl (1999) Bd.11, S.255.
3 Römer (2012), S.144.
4 Jandl (1978), S.
5 Gajewska (2008), S,243.
6 Jandl (1996), S.40.
7 Uhrmacher (2007), S.174-175.
8 Haider (2007), S. 140-142.
9 Jandl (1985)
10 Abraham (1982), S.541-542.
11 Abraham (1982), S.542.
12 Haider (2007), S.134.
13 Haider (2007)