Musikangebote der Sozialarbeit für Erwachsene mit Depressionen


Hausarbeit, 2020

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsbestimmungen
2.1 Definition von Musik
2.2 Soziale Arbeit und Musik
2.3 Soziale Gruppenarbeit
2.4 Musiktherapie
2.5 Depressionen

3. Das Medium Musik in der Sozialen Arbeit und dessen Auswirkung auf die Psyche
3.1 Musikangebote der Sozialen Arbeit in Abgrenzung zur Musiktherapie und Musikpädagogik
3.2 Neurobiologische und psychische Auswirkungen des Singens und des Singens in Gruppen
3.3 Auswirkungen von Musik auf Erwachsene mit Depressionen

4. Musikangebote in Gruppen im psychiatrischen Kontext
4.1 Soziale Arbeit im psychiatrischen Arbeitsfeld
4.2 Gruppenangebote in sozialpsychiatrischen Kontakt – und Begegnungsstätten
4.3 Die Rolle der Rhythmik und des Singens bei Gruppenmusikangeboten der Sozialen Arbeit
4.4 Beispiele von Gestaltungselementen für Musikangebote in Gruppen

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Rahmen der Begleitung zweier Singgruppen im SPZ Köln Nippes und Köln Chorweiler e.V., begann ich mich damit auseinanderzusetzen, wie das Angebot bestmöglich an Teilnehmende mit unterschiedlichen Krankheitsbildern auszurichten ist, ohne dabei ihre individuellen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren. Die Beobachtungen aus der Praxis, dass das Angebot die Besucher*innen positiv gestärkt hat, sollen nun wissenschaftlich untermauert werden. Ziel dieser Arbeit ist es somit, die Auswirkungen des Mediums Musik, bei Gruppenangeboten mit Erwachsenen im niedrigschwelligen psychiatrischen Kontext der Sozialen Arbeit, herauszuarbeiten. Bezüglich der konkreten Gestaltung von Musikangeboten sind im letzten Kapitel hauptsächlich Angebote in Sozial Psychiatrischen Zentren gemeint. Um dem Rahmen dieser Arbeit gerecht zu werden, wird eingrenzend die Zielgruppe für Menschen mit Depressionen in den Blick genommen.

Zu Beginn der Begriffsannäherung wird beschrieben, wie eine Definition von Musik lauten könnte und im Anschluss daran, inwiefern das Medium Musik in der Sozialen Arbeit Beachtung findet. Nachdem die Methode der Sozialen Gruppenarbeit vorgestellt wird, folgt eine Begriffsbestimmung der Musiktherapie und danach ein Umriss des Krankheitsbildes der Depression. Im Hauptteil werden sozialarbeiterische Musikangebote in Abgrenzung zu musiktherapeutischen und musikpädagogischen Angeboten gesetzt, um die Unterschiede und auch die Schnittmenge aus beiden herauszustellen. Bevor anschließend auf die Auswirkungen von Musik auf das Gehirn bei Menschen mit Depressionen eingegangen werden kann, werden die neurophysiologischen Effekte von Musik auf das Gehirn generell umrissen.

Im Anschluss wird in Kapitel 4 die Gestaltung von Musikangeboten im psychiatrischen Kontext beschrieben. Dafür wird die Rolle der Sozialen Arbeit in der Psychiatrie beschrieben sowie die Entwicklung der Sozialpsychiatrie umrissen. Vor der Erläuterung der Bedeutung des Singens und der Rhythmik für Musikangebote wird die Arbeit mit Gruppenangeboten in Kontakt- und Begegnungsstätten dargelegt. Anschließend werden als konkrete Beispiele für die Gestaltung sozialarbeiterischer Gruppenmusikangebote, unter anderem die Funktion der instrumentellen Begleitung und der Vorteil eines strukturierten Vorgehens erklärt. Schließlich werden im Fazit schlussfolgernde Ergebnisse vorgenommen.

2 Begriffsbestimmungen

2.1 Definition von Musik

Auf Grund der Komplexität von Musik finden sich in Lexika keine allgemeinen, sondern spezifische Definitionen von Teilaspekten der Musik. Musik kann neben dem direkten Hören beispielsweise durch Live-Konzerte und durch verschiedene Arten eines Mediums gehört werden wie in Form von Platten, CD`s, Speicherkarten oder durch ein Smartphone. Physikalisch gesehen bildet ein Aufeinanderfolgen von Tönen ein strukturiertes Schallereignis. Den Schallwellen der Musik werden jedoch erst durch die Dekodierung des Gehirns eine Bedeutung zugeschrieben (vgl. Wickel 2018:43).

Neurobiologisch gesehen gelangen die Schallwellen erst in das Außenohr, bis sie daraufhin über das Trommelfell in das Innenohr gelangen. Die Schallwellen werden anschließend mechanisch durch die Gehörknöchelchenkette im Mittelohr über das ovale Fenster zur Hörschnecke (Cochlea) im Innenohr geleitet. Durch die auf diese Weise in Schwingungen gebrachte Flüssigkeit der Hörschnecke, geraten ebenso die Haarzellen (Zilien) der Hörschnecke in Bewegung, welche Schallinformationen erzeugen, die dann über den Hörnerv neuronal an das Gehirn weitergeleitet werden (vgl. ebd. 49).

Wichtig zu betonen ist, dass Musikerlebnisse für alle Menschen subjektiv sind, da jede*r unterschiedliche Assoziationen mit dem Gehörten verbindet. So entwickelt sich die auditive Wahrnehmung von Musik ausgehender Schallwellen zu einer bewussten Wahrnehmung, indem eine Abgleichung zwischen dem Gehörten und der eigenen Biografie, den Sinneseindrücken und mit den Gefühlen stattfindet. Hörlebnisse sind zudem einmalig, da aufgrund der sich ständig verändernden Bedingungen keine identische Wiederholung des Erlebnisses möglich ist (vgl. ebd. 47).

2.2 Soziale Arbeit und Musik

In Studiengängen der Sozialen Arbeit findet sich ein breites Spektrum an Angeboten für den musikalischen Kompetenzerwerb. Dieses erstreckt sich von Praxisprojekten für bestimmte Zielgruppen, wie „Rockmusik mit Jugendlichen“ oder „Spielgruppen und Konzerte mit Kindern“, bis zu didaktischem Basiswissen der Musiktherapie und der Musikpädagogik. Des Weiteren existiert die Methode der musikalischen Gruppenimprovisation, bei der eine Verknüpfung zwischen musikalischem Lernen und Handeln und sozialem und seelischem Erleben stattfindet (Kapteina 2009:460).

Laut der Definition der International Foundation of Social Work (2014) soll die Soziale Arbeit das Wohlbefinden ihrer Zielpersonen verbessern und ihre Lebensbewältigung erleichtern. Des Weiteren bildet ein zentrales Ziel der Profession Sozialer Arbeit die Stärkung der Selbstbestimmung der Menschen oder wie im alltäglichen Gebrauch `die Hilfe zu Selbsthilfe`. So ist es die Aufgabe, Menschen während herausfordernden Zeiten mit Verständnis zu begleiten und ressourcenorientiert zu fördern. Dabei kann der Einsatz des Mediums Musik dort greifen, wo der Ausdruck der Sprache an seine Grenzen stößt (vgl. Wickel 2018:11).

Wie Krieger und Marquardt es formulieren, gibt es für komplexe Multiproblemlagen oftmals keine direkten Lösungen. Dies bedeutet nicht, dass eine konkrete Problemlösung zu einem späteren Zeitpunkt nicht möglich wäre. Dennoch bedarf es in manchen Situationen einer Ablenkung, um erneute Lebensfreude empfinden zu können, sich mit anderen verbunden zu fühlen, sein Selbst zu erweitern und seinem Leid gegebenenfalls Ausdruck verleihen zu können. Dafür kann das rezeptive Musikhören oder das aktive Musikmachen genutzt werden. Während Elemente der Ästhetischen Bildung wie Malerei, Zeichnung, Filmkunst, Theater, Literatur, Sport – und Gesellschaftsspiele sehr oft eingesetzt werden, befindet sich die Musik neben Tanz und Naturerleben allerdings entgegen den Erwartungen erst im Mittelfeld (vgl. Krieger/Marquardt 2019:28).

2.3 Soziale Gruppenarbeit

Die Soziale Gruppenarbeit entsprang der US-Amerikanischen Sozialarbeit und gilt seit den 1960-iger Jahren auch als traditionelle Methode der Sozialen Arbeit in Deutschland. Während es früher das Ziel einer Sozialen Gruppenarbeit war, die Integrationsfähigkeit der Gruppenmitglieder in die Gesellschaft zu verbessern, liegt heute der Schwerpunkt auf dem persönlichen Reifeprozess und dem Kompetenzerwerb der Beteiligten (vgl. Krieger 2017:792 ff.).

Das Ziel für Individuen der Gruppe bei Sozialen Gruppenarbeiten ist nach Schmidt-Grunert die Kompensation von sozialen Benachteiligungen, welche die Bewältigung des Alltags erschweren (vgl. Schmidt-Grunert 2009:62). Diese Teildefinition berücksichtigt demnach die soziale Einbettung der Gruppenmitglieder in die Gesellschaft. Darüber hinaus geht es um die Vermittlung von sozialen Erfahrungen und um die Behebung von Sozialisations- und Entwicklungsdefiziten (vgl. Krieger 2017:793). Letzteres ist jedoch defizitär formuliert und könnte dem Einsatz der Methode in der Kinder– und Jugendhilfe zugrunde liegen, bei dem die Behebung von Erziehungsdefiziten eine Rolle spielt (vgl. Schmidt-Grunert 2009:62 f.). Aufgrund dessen wäre im Rahmen der Arbeit mit Erwachsenen die Verwendung folgender Definition angemessener: Die Soziale Gruppenarbeit soll laut Galuske dazu beitragen, dass neben dem Bildungsaspekt der Heilungsprozess der Individuen vorangetrieben wird, sowie das persönliche Wachstum gefördert werden. Des Weiteren ist es die Aufgabe einer geschulten Fachkraft, die Gruppe zu lenken und den Zielen der Gruppe nachzugehen (vgl. Galuske 2013:93).

Bezüglich der Zielsetzung unterscheide sich die Soziale Gruppenarbeit oftmals von anderen Gruppeninterventionsformen wie der Gruppenpädagogik, da sie im Gegensatz zur Gruppenpädagogik, welche bewusste pädagogische Zielsetzungen verfolgt, regelgeleitet und zugleich variabel gestaltbar in ihrem Ablauf ist (vgl. Krieger 2017:793).

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Soziale Gruppenarbeit beispielsweise in der „Jugendarbeit, Jugendhilfe, Beschäftigungsförderung, Gemeinwesenarbeit, Bewährungshilfe, und Suchtkrankenhilfe“(vgl. Krieger 2017:793 f.) Anwendung findet und dass sich mit der Zielgruppe der psychisch erkrankten Menschen eine therapeutisch orientierte Soziale Gruppenarbeit gebildet hat (vgl. Maus/Nodes/Röh 2013: 54).

2.4 Musiktherapie

Musiktherapie gilt als interdisziplinäre Wissenschaft mit den Bezugswissenschaften der Pädagogik, der Psychologie, der Gesellschaftswissenschaften, der Musikwissenschaft und der Medizin. Die folgende Definition wurde in der Kasseler Konferenz für deutsche Musiktherapie-vereinigungen diskutiert und erstmalig in der musiktherapeutischen Umschau 1998 veröffentlicht:

„Musiktherapie ist der gezielte Einsatz von Musik im Rahmen der therapeutischen Beziehung zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit.“ (Kasseler Thesen 1998 zit. nach DMtG 2010)

In Wolfgang Strobels Definition von Musiktherapie steht das Ziel der Heilsamkeit durch Musik im Vordergrund und er erkennt bereits die Herausforderung der wissenschaftlichen Fundierung von Musiktherapie (vgl. Bunt 1998:16). Musiktherapie ist als Sammelbegriff für verschiedene musiktherapeutische Konzeptionen, die auf psychotherapeutischen Grundlagen basieren, im Kontrast zur physikalischen und pharmakologischen Therapie zu verstehen. Der Verlauf der US-amerikanischen musiktherapeutischen Entwicklung verlief von der ausschließlichen Betonung auf die Musik bis hin zum ausschließlichen Fokus auf die Klient*innen-Therapeut*innen-Beziehung und traf sich schließlich in der Mitte beider Paradigmen.

Im Rahmen der Professionalisierung der Musiktherapie gelten international unterschiedliche Voraussetzungen für das weiterführende Studium der Musiktherapie. Während damals in Großbritannien ausgebildete Musiker*innen gefragt waren, führten in anderen Ländern Musikpsycholog*innen, Pädagog*innen, Ärzt*innen musiktherapeutische Maßnahmen durch. Ebenso wie andere Professionen ist die Musiktherapie eine junge Wissenschaft und der Weg, sich als eigenständiges therapeutisches Behandlungsverfahren zu etablieren, kann als unabgeschlossen betrachtet werden (vgl. Bunt 1998:17 f.).

In der Musiktherapie werden Klänge, Harmonien, Rhythmen, Melodien und Geräusche eingesetzt, doch es werden auch teilweise Bewegungs- und kreative Elemente hinzugezogen. Es wird zwischen der Rezeptiven und Aktiven Musiktherapie unterschieden. Bei der Rezeptiven Musiktherapie wird nicht selbst aktiv Musik re/-produziert, sondern mit dem therapeutischen Fachpersonal gemeinsam gehört und erlebt (vgl. Busch/Metzner 2015:193). Die zu behandelnde Person kann anschließend das Gehörte gesprächstherapeutisch besprechen. Diese Rezeptive Methode ist auch für depressiv Erkrankte geeignet, da die vorausgesetzte intellektuelle und verbale Kompetenz bei ihnen gewöhnlich erfüllt ist (vgl. Busch/Metzer 2015:193).

Im Gegensatz dazu ist die zu behandelnde Person bei der aktiven Musiktherapie selbst handelnde Instanz und kann ihre Stimme oder Instrumente einsetzen. Dabei kann der/die Therapeut*in während Improvisationen in einer Sitzung musikalisch im Wechsel oder begleitend auf den/die Klient*in eingehen. Die Therapieeinheiten können wahlweise minimal strukturiert oder eng geleitet werden. Die Instrumentenwahl kann bereits bedeutsam für spätere Analysen sein (vgl. ebd. 193). Es ist zum Beispiel wahrscheinlich, dass Menschen mit Depressionen dazu tendieren, sich bei der aktiven Musiktherapie zunächst eher leisere Instrumente auszusuchen, bis sie sich mit gesteigertem Selbstbewusstsein im Therapieverlauf an lautere herantrauen (vgl. Rentmeister 1998:143).

2.5 Depressionen

Eine internationale Studie der WHO von 2012 ergab, dass in 17 teilnehmenden Ländern 5% der Bevölkerung im vorigen Jahr an einer Depression erkrankt war. Weiterhin erlitten nach der WHO im Jahre 2015, 4,4% der Weltbevölkerung an Depressionen (vgl. Ärzteblatt 2017). Die Depression gehört mit zu den weltweit häufigsten psychischen Erkrankungen und wird im Jahre 2030 schätzungsweise den ersten Platz einnehmen. Während Depressionen altersunabhängig auftreten können, ist hingegen der höhere Anteil an erkrankten Menschen weiblichen Geschlechts auffällig. Ebenso erhöht sich das Risiko zu erkranken bei einem niedrigeren sozio-ökonomischen Status (vgl. Busch/Metzner 2015:190).

Folgende Symptome sind Anzeichen für Depressionen (vgl. Schwarzer 2016:225): Die depressive Verstimmung geht mit Freudlosigkeit und Interesselosigkeit einher. Bei der depressiven Antriebstörung können oftmals bisherige berufliche oder private Aktivitäten nicht mehr wie zuvor ausgeübt werden. Zur depressiven Denkhemmung zählen unter anderem Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle oder Perspektivlosigkeit. Des Weiteren können körperliche Symptome ohne organische Ursache auftreten wie beispielsweise Appetitlosigkeit, Libidoverlust oder Kopfschmerzen.

Das Krankheitsbild der Depression ist den Affektiven Störungen zuzuordnen und unterscheidet sich unter anderem in der Ausprägung der depressiven Störung. Im ICD-10 (F32.0-F33.9) (DIMDI 2020) wird zwischen leichten, mittleren und schweren depressiven Episoden (F32) differenziert. Zudem wird unterschieden, ob die Episoden wiederholend auftauchen (rezidivierende depressive Störung F33), ob sie mit manischen oder psychotischen Symptomen auftreten oder ob es sich um anhaltende affektive Störungen handelt (F33.).

Nach bisherigem Forschungsstand ist bei Depressionen die Erregungsleitung an den Synapsen des Serotonin-, Noradrenalin- und des Dopaminsystems verändert. Das heißt es, dass die Ausschüttung der Neurotransmitter in den Synapsenspalt bei der Depression vermindert ist. Es wird aktuell jedoch von einem komplexeren Zusammenspiel mehrerer Faktoren ausgegangen. Ebenso seien der Neurotransmitter Glutamat, die Rezeptortätigkeit, das Stützgewebe des Nervensystems und andere zelluläre Vorgänge an den Synapsen mitbeteiligt (Dinner 2019: 34 ff.).

Um ätiologisch die Entstehung der Krankheit zu verstehen, eignet sich das bio-psychosoziale Modell. Dieses besagt, dass bei der Entstehung immer biologische, psychische, psychologische und soziale Faktoren eine Rolle spielen.

Neben negativen, noch nicht bewältigten Lebensereignissen im Zeitraum der Kindheit bis zum Erwachsenenalter, haben ebenso die Persönlichkeit, die genetische Veranlagung und die eigene psychosoziale Vulnerabilität einen Einfluss auf die Erkrankung (vgl. Böcker 2011 zit. nach Busch/Metzner 2015:191).

3. Das Medium Musik in der Sozialen Arbeit und dessen Auswirkung auf die Psyche

3.1 Musikangebote der Sozialen Arbeit in Abgrenzung zur Musiktherapie und Musikpädagogik

Sozialarbeiterische Musikangebote lassen sich von musiktherapeutischen und musikpädagogischen Angeboten abgrenzen.

„Musik ist in diesem Kontext also nicht Selbstzweck, und es steht auch nicht die Vermittlung musikalischer Kompetenzen im Vordergrund“ (Wickel 2018:11).

Der Fokus bei Musikangeboten der Sozialen Arbeit liegt nicht primär bei einem musikpädagogischen Wissenserwerb wie beispielsweise dem Erlernen von musikgeschichtlichen Aspekten oder dem des Notenlesens. Vielmehr steht das musikalische Miteinander, die Steigerung der Sozialkompetenz und des Wohlbefindens der Klient*innen im Vordergrund. Dies heißt nicht, dass Sozialarbeitende nicht auch musikpädagogische Einflüsse miteinbauen dürften. Denn das Auswendiglernen von Liedern kann als eigene Leistung angesehen werden und das Selbstwertgefühl steigern. Dennoch geht es bei den sozialarbeiterischen Musikangeboten, anstelle des Leistungsaspektes, um die biopsychosoziale Gesundheit der Teilnehmenden.

In Abgrenzung zur Musiktherapie zielt die Musikpädagogik, neben der Befähigung zum Verständnis von Musiktheorie und Musikgeschichte sowie Komposition und Improvisation, auf das Erlernen von Instrumenten und dem Einsatz der Stimme ab. Orte für das Erlernen sind der schulische Musikunterricht oder öffentliche oder private Musikschulen. Ebenso kann sich Musik eigenständig non-formal durch Lernvideos im Internet angeeignet werden (vgl. Wickel 2018:29).

Da die Trennung von Musik, Medizin und Psychotherapie geschichtlich gesehen zu Beginn nicht getrennt wurde, existieren viele Schnittstellen, sodass sich die Abgrenzung als schwierig gestaltet (vgl. Wickel 2018:36 f.). Wickel betont den Unterschied zwischen Sozialarbeitenden und musiktherapeutischen Fachkräften, indem er aufgreift, dass in der Musiktherapie im Kontrast zur Musik in der sozialen Arbeit eine detaillierte Anamnese der Patient*innen vorgenommen wird und nach Kriterien der Planung, Analyse und (Be)- handlung vorgegangen wird. Dennoch können durch die Soziale Arbeit musiktherapeutische Effekte erzielt werden, da ebenso wie in der Musiktherapie das Medium der Musik eingesetzt wird (vgl. Wickel 2018:37). An dieser Stelle sollten sich Sozialarbeitende jedoch der Gefahr der Kompetenzüberschreitung bewusst sein und psychologische Fragestellungen den Therapeut*innen überlassen (vgl. Martini 2004:59; Schmidt-Grunert 2009:63).

Während sowohl bei der Musiktherapie wie auch bei der Sozialen Arbeit die Musik als Mittel dient, lassen sich trotzdem unterschiedliche Zielsetzungen erkennen: Somit sind die Ziele in der Musiktherapie spezifischer, da sie auf die Linderung von körperlichen, seelischen und geistigen Folgen von Krankheiten mit Hilfe therapeutischer Beziehungen abzielen (s. Def. 2.4). Die Ziele der Musik in der Sozialen Arbeit sind hingegen breiter gefasst, da sie neben der Förderung des Heilungsprozesses durch Musik ganzheitlich arbeiten und auch die soziale Reintegration in die Gesellschaft der Betroffenen im Blick hat.

Dieser unterschiedliche Blick auf die Klientel in der Musiktherapie und in Musik-angeboten der Sozialen Arbeit spiegelt sich zudem in den unterschiedlichen Bezeichnungen der Zielgruppe wider. Im musiktherapeutischen Setting spricht man klassisch von Klient*innen oder Patient*innen und im sozialarbeiterischen Kontext eher von Adressat*innen. In der Klinischen Sozialarbeit hat sich jedoch überwiegend die Übernahme von Ersterem etabliert. Dennoch liegt der Disziplin der Musiktherapie die Diagnostik zu Grunde, welche mit einem diagnostizierenden Blickwinkel auf die Krankheitsbilder ihrer Klientel schaut, wohingegen die Soziale Arbeit interdisziplinär neben der Erkrankung auch die derzeitigen Lebensumstände und sozialen Bezüge ihrer Zielperson betrachtet sowie die mögliche Anbindung an weitere Hilfsangebote berücksichtigt.

Ein Merkmal der Profession der Sozialen Arbeit ist die Betonung der Unvoreingenommenheit von Sozialarbeitenden gegenüber ihrer Klientel. Der Berufsverband DBSH unterstreicht diese Qualität in den Beschreibungen der Kennzeichen von Sozialarbeitenden, indem er von einer neugierigen sozialarbeiterischen Haltung spricht (vgl. Maus/Nodes/Röh 2013:36). In diesem Sinne ist der/die Sozialarbeitende sich den Handlungsmöglichkeiten bewusst, die generell anzuwenden sind, jedoch bedarf es in der konkreten Situation genauem Abwägen der Optionen und einer adressat*innenorientierten Anpassung. Dies würde bedeuten, dass Fachkräfte bei Musikangeboten der Sozialen Arbeit die Unabhängigkeit der eigenen musikalischen Vorlieben wahren und auf eine entsprechende Anpassung an das gewünschte Genre der Adressat*innen ihrer Zielgruppe achten (vgl. Wickel 2018:44). Um dies zu erreichen, wäre es zum Beispiel hilfreich, die Teilnehmenden in der Singgruppe bedürfnisorientiert nach ihren Lieblingsliedern zu fragen, anstatt selbst welche rauszusuchen und Ideen für Aufwärmübungen anteilig von den Teilnehmenden bestimmen zu lassen.

3.2 Neurobiologische und psychische Auswirkungen des Singens und des Singens in Gruppen

Das menschliche Singen hat seinen Ursprung bereits in prähistorischen Zeiten. So wie der homo sapiens kannte und beherrschte vermutlich auch der homo neanderthalensis das Singen (vgl. Mithen 2007 zit. nach Kreutz 2015:274). Singen und dessen Wirkung wie die Verbesserung der Lebensqualität und die Förderung von Wohlbefinden ist gesellschaftlich bekannt, da Singen als kulturelles Erbe gewürdigt wird. Zudem geht eine der Ursprungstheorien davon aus, dass das Singen als Mittel für soziale Bindung zwischen Menschen fungiert, zum einen beim Vorsingen zwischen Eltern und Kindern und zum anderen zwischen Mitgliedern in Gemeinschaften. Bei letzterem dient der Gesang anlässlich von Feiern, Ritualen und Zeremonien besonders dem Erinnern an diese. So werden Erfahrungen des Gesangs im semantischen anstatt im episodischen Gedächtnis gespeichert und können noch bis in fortgeschrittene Phasen von Demenzerkrankungen abrufbar sein (vgl. Sherratt et al 2004 zit. nach ebd.).

Auswertungen von Fragebögen unter Chorgruppen in gesundheitlichen Einrichtungen weisen auf positive physische, psychische und mentale Effekte auf die Teilnehmenden der Singgruppen hin (vgl. Kreutz 2015:274). Neurophysiologisch besteht die Annahme, dass gemeinsames Singen die Ausschüttung von Oxytocin, die Produktion von Immunglobulin A sowie die Synchronisation des Herz-Kreislauf-Systems zwischen den Singenden hervorruft. Dies bedarf jedoch noch hinreichender wissenschaftlicher Belege (vgl. ebd. 279). Weiterhin wurde festgestellt, dass, neben einem gesteigerten Zugehörigkeitsgefühl der Teilnehmenden zur Gruppe hin, Merkmale wie Geschlecht, Persönlichkeit, sozio-ökonomischer Status und Intelligenz eine unbedeutendere Rolle einnehmen.

Zusätzlich erkannten Kirschner und Tomasello den Empathie begünstigenden Faktor des gemeinsamen Singens (vgl. Kirschner/Tomasello 2010 zit. nach Kreutz 2015:275). Allgemein kann gemeinsames Singen dichotom als gefühlsregulierender Vorgang nach innen und als kommunikativer Vorgang nach außen beschrieben werden. Neben dem Ziel der Heilung besteht des Weiteren die Chance, es einzusetzen, um negative Begleiterscheinungen abzuwenden und präventiv gegen Sekundärerkrankungen vorzugehen. Das gemeinsame Singen als aktivierende und ressourcenstärkende Intervention hat zudem den Vorteil, dass es für die positive Wirkung keinerlei Vorkenntnisse der einzelnen Personen braucht (vgl. Kreutz 2015:276). Nach aktuellem Stand ist die Anzahl an Singgruppen in gesundheitlichen Einrichtungen zwar bereits sehr hoch und das gemeinsame Singen als adjuvante Therapie ist gerade dabei, sich zu etablieren, dennoch hat noch keine Professionalisierung der Singgruppenleitenden stattgefunden (vgl. ebd. 280).

3.3 Auswirkungen von Musik auf Erwachsene mit Depressionen

Laut empirischen Studien kann rezeptives Musikhören und Musikmachen den Cortisolspiegel kurzfristig senken und somit stressreduzierend wirken. Des Weiteren kann das Hören von Musik stimmungsaufhellende und entspannende Effekte bei Menschen mit Depressionen auslösen (vgl. Schindler 2019).

Die quantitative Studie von Clift und weiteren Forschenden, bei der in drei Ländern insgesamt 1124 Teilnehmende anhand von Fragebögen befragt wurden, bestätigte, dass Musik Stress reduziert, die depressive Verfassung vermindert und zu einer positiven Gefühlslage beiträgt (vgl. Clift et al. 2018 zit nach. Busch/Metzner 2015:202). Variable Einflussfaktoren dabei sind die Rhythmik, die Harmonik, die Melodik, die Dynamik und das Tempo, wobei die Auswirkungen nach der Abänderung dieser innermusikalischen Komponenten noch nicht hinreichend untersucht wurden konnten. Dennoch konnten Veränderungen der Herzfrequenz, der Atmung und der Muskelspannung bei unterschiedlichen Tempi und Lautstärken wissenschaftlichen festgestellt werden. Des Weiteren sind außermusikalische Faktoren wie die Persönlichkeit, die persönliche Vorerfahrung, musikalische Präferenzen sowie die aktuelle Stimmung und Situation der jeweiligen Personen zu berücksichtigen, um zu einer Auswertung zu gelangen (vgl. Busch/Metzner 2015:202).

Die musikpsychologische- und therapeutische Forschung hat mit Hilfe von neuen Verfahrenstechniken zudem beweisen können, dass Musik folgende Hirnregionen aktiviert: Die Amygdala (den Mandelkern), den Nucleus Accumbens (das basale Vorderhirn), den Hippocampus, die Insula und den orbitofrontalen und medialen Kortex (vgl. Bernatzky/Kreutz 2015:86). Diese Gerhirnareale, die das Belohnungssystem und die Emotionsregulation betreffen, sind wesentlich bei der Behandlung von psychiatrischen Störungen (vgl. ebd. 87).

Die Vorteile von musiktherapeutischen Maßnahmen bei Erkrankungen der Depression sind, dass der therapeutische Prozess bei Verbesserung der Erkrankung selbst gesteuert werden kann und dass nach Musikinterventionen größtenteils keine Nebenwirkungen folgen. Studien konnten zeigen, dass Patient*innen, die zusätzlich an einer aktiven Musiktherapie teilgenommen hatten im Nachhinein reduzierte Symptome aufwiesen als Patient*innen, die nur die Standardtherapie erhalten hatten. Die Studien zu rezeptiven musik-therapeutischen Maßnahmen, bei der das Musikhören anstatt das Musikmachen im Vordergrund steht, zeigten ebenfalls, dass eine Verbesserung der Symptome der Betroffenen eintraf. Allerdings wiesen diese Studien wissenschaftliche Fehler bei der Methodendurchführung auf und waren nicht evidenzbasierend genug (vgl. Bernatzky/Grebosz-Haring/Wendtner et al. 2015:88 f.).

Dennoch ist den randomisiert-kontrollierten Studien von Albornoz und Erkkilä zu entnehmen, dass die musiktherapeutische Rezeption und Produktion von Musik Depressivität bei Erwachsenen reduzieren kann (vgl. Busch/Metzner 2015:199). Musiktherapeutische Sitzungen in Einzel- oder Gruppenform werden also als angemessene Ergänzung zur Standardbehandlung gesehen. Metzner und Busch unterstreichen, dass bei musiktherapeutischen Interventionen zwischen dem Schweregrad der depressiven Erkrankung differenziert werden muss, da die Musikwirkungen bei schwer depressiv Erkrankten auf Grund der stark veränderten Mechanismen der neuronalen Verarbeitung nicht ausreichen könnten (vgl. ebd. 212). Die Annahme einer äquivalenten Wirksamkeit von Kurzzeitpsychotherapien und von psychotherapeutischen Musiktherapien bei Depressionen muss noch hinreichender bewiesen werden.

Somit steht die musiktherapeutische Depressionsforschung vor der Aufgabe, musikinduzierte Wirkungszusammenhänge bei Depressionsbehandlungen anhand mehr Wirksamkeitsnachweisen durch RCT-Studien zu bestätigen (vgl. ebd. 201).

4. Musikangebote in Gruppen im psychiatrischen Kontext

4.1 Soziale Arbeit im psychiatrischen Arbeitsfeld

Für ein besseres Verständnis für die Verortung von Musikangeboten in Gruppen im psychiatrischen Versorgungssystem, wie zum Beispiel der sozialpsychiatrischen Kontakt- und Beratungsstellen, dient ein Einblick in einen Aufgabenbereich der Klinischen Sozialarbeit. Diese Fachrichtung der Sozialen Arbeit entwickelte sich aus der US-amerikanischen „Clinical Social Work“ und ist sich seit Mitte der 1990-iger Jahren dabei, sich zu professionalisieren, sodass heute Master-Studiengänge in Klinischer Sozialarbeit konstituiert wurden (vgl. Ansen 2018:843). Klinisch-sozialarbeiterische Aufgaben in der Psychiatrie bestehen im administrativen Bereich beispielsweise aus der Unterstützung beim Ausfüllen von Sozialleistungsanträgen, sodass eine sozialrechtliche- und administrative Kompetenz gefragt ist sowie eine interdisziplinäre Kooperation mit weiterleitenden Einrichtungen des Hilfesystems (vgl. Walther 2017:27).

Neben der sozialadministrativen Arbeit findet ebenso die soziale Dimension im Rahmen der Krankheitsbewältigung Berücksichtigung. Denn eine hinreichende soziale Sicherung hinsichtlich der Bereiche Wohnen, Arbeit und Einkommen wirkt sich stressreduzierend auf die jeweiligen Klient*innen aus (vgl. Ansen 2018: 846). Somit sind Sozialarbeitende im psychiatrischen Arbeitsfeld nicht für die Pflege, die medizinische Versorgung oder die psychologische Betreuung zuständig (vgl. Walther 2017:36). Sondern sie sind für die psychosoziale Dimension verantwortlich, indem sie versuchen, die Bedarfe ihrer Klient*innen in folgenden Punkten zu decken: Die Materielle Absicherung, eine Wohngelegenheit, die Soziale Vernetzung, der Zugang zum Bildungssystem, Beschäftigung und Arbeit, ein strukturierter Tagesablauf und Freizeitbeschäftigung. Die Bedarfsdeckung mehrerer dieser Bereiche führt zu einer erhöhten gesellschaftlichen Teilhabe und trägt zur Erhaltung und Erweiterung der Handlungsfähigkeit der jeweiligen Person bei (vgl. ebd. 19). Demzufolge sind die zwei sozialen Interventionsebenen die Schaffung oder Gestaltung einer sozialen Umwelt und die Unterstützung der Person und ihrer Familie auf individueller Ebene (vgl. ebd. 23).

Zum Beispiel kann eine Zielperson der Sozialen Arbeit in einer finanziellen Notlage, durch ihre Fachkraft des Betreuten Wohnens an eine Schuldenberatung weitergeleitet oder dorthin begleitet werden. Oder sie wird im Falle eines beendigten Klinikaufenthaltes über das freizeitliche Programm eines Sozial Psychiatrischen Zentrum informiert, um gegebenenfalls dort neue Kontakte mit Menschen in einer ähnlichen Situation knüpfen zu können.

Es ist an dieser Stelle von Bedeutung, zwischen dem Bedarf der Zielpersonen aus der Außenperspektive der Sozialarbeitenden und zwischen den persönlichen Bedürfnissen der Zielpersonen zu unterscheiden. Das heißt, was sich Zielpersonen individuell in ihrer jetzigen Lebenssituation wünschen oder was sie bedürfen, ist oftmals asymmetrisch zu dem definierten Hilfebedarf durch die Sozialarbeitenden (vgl. Walther 2017:24). Beispielsweise möchte der/die Sozialarbeitende eines Sozial Psychiatrischen Zentrums einen Filmnachmittag anbieten, aber der ausgesuchte Film wird als zu traurig von einer/einem der Besuchenden mit Depressionen erlebt.

Selbstkritisch gesehen ist die Soziale Arbeit, wie andere Professionen auch, auf die Hilfsbedürftigkeit ihrer Klientel angewiesen und sollte überprüfen, ob die angebotene Hilfe auch angemessen bzw. erwünscht ist.

Durch die Psychiatrie-Reform in den 1970-igern entwickelte sich die sozialpsychiatrische Denkweise, welche die Behandlung der Krankheit eines psychisch erkrankten Menschen in der Lebenswelt und in dem sozialen Umfeld vorsieht, wo sie auch entstanden ist. Die Sozialpsychiatrie macht darauf aufmerksam, dass das vorzeitige Ausgliedern einer erkrankten Person in ein verlagertes psychiatrisches Krankenhaus ihr Leid noch erhöhen könnte. Im Zuge der Bewegung durch die Sozialpsychiatrie, fand eine Verlagerung der psychiatrischen Versorgung statt und es bildeten sich gemeindepsychiatrische Einrichtungen, wie die Bausteine von Sozial Psychiatrischen Zentren (vgl. Krüger 2017: 843).

Um weiterhin durch die Soziale Arbeit die soziale Dimension in der Psychiatrie zu manifestieren, bedarf es der Betonung der sozialen Komponente bei der Entstehung psychischer Erkrankungen. Die Soziale Arbeit sieht neurowissenschaftliche Ergebnisse nicht einseitig, sondern nimmt eine Wechselwirkung zwischen dem Einfluss auf Erkrankungen, durch neurobiologische Prozesse und durch entstandene Gefühle aufgrund von negativer bzw. positiver sozialer Erfahrungen an. Somit bedarf es wiederholter Verdeutlichung des biopsychosozialen Krankheitsverständnisses (vgl. Walther 2017:34).

4.2 Gruppenangebote in sozialpsychiatrischen Kontakt – und Begegnungsstätten

Nach Beendigung von psychiatrischen Klinikaufenthalten gilt es für die weitere Rehabilitation den Anschluss des psychiatrischen Versorgungssystems zu finden (vgl. Delcamp 2010:17). Den Bausteinen Sozialpsychiatrischer Zentren sind unterschiedliche Funktionen und Grade der Verbindlichkeit inhärent (vgl. ebd. 20). Die höherschwellige und verbindliche Tagesstätte dient primär der Tagestrukturierung, des Kompetenztrainings und der Beschäftigung. Hingegen dessen fungiert die niedrigschwellige und (eher) unverbindliche Kontakt- und Begegnungsstätte als Möglichkeit für anonyme fachliche Beratung und der Knüpfung von Kontakten durch freizeitliches Programm der Einrichtung.

Neben einem breiten Angebotsspektrum in Kontakt – und Begegnungszentren, hat auch die kreative Betätigung ihren Platz. Neben Kunst-, Literatur-, Handarbeits- oder Tanzgruppen finden sich auch musikalische Angebote in Form von Singgruppen. Sie bieten die Option, gemeinsam mit anderen seinen Emotionen künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Manche Besucher*innen sehen die Teilnahme als Chance zur Ablenkung von ihren herausfordernden Lebenssituationen oder als Stärkung des Selbstwertgefühls durch das Zeigen ihres Könnens. Zusätzlich zur künstlerischen Weiterentwicklung bietet sich die Möglichkeit, das in den Musikgruppen erarbeitete Repertoire auf Festen vorzuführen oder die in den Kunst -und Handarbeitsgruppen entstandenen Werke auf Ausstellungen und Verkaufsständen zu präsentieren (vgl. Delcamp 2010:56). Delcamp betont, dass gymnastische Übungen im Rahmen von Angeboten im Sportbereich unter anderem zur Förderung der Körperwahrnehmung beitragen und bei Schwierigkeiten der Konzentration helfen können. Darüber hinaus dienen sie bei manchen Teilnehmenden der Überwindung einer Trägheit, die durch Medikamente bedingt ist (vgl. ebd. 57).

Die in Kapitel 3.1 formulierte Abgrenzung von Musikangeboten der Sozialen Arbeit zu musiktherapeutischen und musikpädagogischen Angeboten liegt dem Profil der Profession Sozialer Arbeit zu Grunde. Delcamp stellt heraus, dass die Akzeptanz chronifizierter psychosozialer Probleme keine leichte Aufgabe ist. Sozialarbeitende bedürften besonders „Geduld, Toleranz, Reflexionsfähigkeit, Subjektorientierung“(vgl. Delcamp 2010:78) sowie die Fähigkeit den Menschen mit seiner Erkrankung ganzheitlich zu betrachten.

4.3 Die Rolle der Rhythmik und des Singens bei Gruppenmusikangeboten der Sozialen Arbeit

Die Rhythmik gilt als eine primäre musikalische Äußerungsform in der menschlichen Geschichte. Aus diesem Grund verspüren Menschen den Drang, sich bei gleichmäßig frequentierten Schallschwingungen zu bewegen (vgl. Krieger/Marquardt 2019:31). Zudem schreibt Bunt dem musikalischen Rhythmus einen energetisierenden und ordnenden Charakter zu, welcher sich positiv auf den Menschen auswirkt (vgl. Bunt 1998:34).

Frohne-Hagemann geht im Rahmen des Rhythmischen Prinzips davon aus, dass unser gesamtes Leben von rhythmischen Prozessen geprägt ist und davon gesteuert wird. Sie erläutert das Wiederspiegeln eines erkennbaren Rhythmus in mehreren Lebensbereichen wie, bei physischen Prozessen (z.B. Atmung oder Stoffwechsel), in der persönlichen Biografie oder in sozialen Beziehungen (z.B. Kontaktaufnahme- oder Abbruch). Somit findet sich der Rhythmus neben der Musik auch in soziokulturellen und biopsychologischen Bereichen wieder. Die periodisch-zyklischen Rhythmen werden vermutlich linkshemisphärisch verarbeitet und sind als repetitives lineares Geschehen wissenschaftlich untersuchbar. Die polaren Rhythmen hingegen werden rechtshemisphärisch aufgenommen und erhalten ihre Bedeutungszuschreibung erst als zusammengefügte Sinneinheiten, wie zum Beispiel bei der Beobachtung der Gezeiten Ebbe und Flut (vgl. Frohne-Hagemann 2009:416).

Kühnel stellt die Komponenten Form, Raum, Zeit und Kraft in den Zusammenhang mit dem musikalischen Tempo, dem Bewegungstempo, dem Sprechtempo und dem Tempo des Tanzens (Wickel 2018:34 zit. nach Kühnel). Beispielsweise kann durch schnelle Tempi ein hektisches Gefühl evoziert werden oder durch einen lauten Ton das Gefühl von Kraft vermittelt werden.

Wenn in Singgruppen bekannte Lieder angestimmt werden, kann die Wiedererkennung vertrauter Melodien auf Grund ihrem biografischen Bezug starke Emotionen u.a. in Verbindung mit physischen Reaktionen (z.B. Tränen) auslösen (vgl. Krieger/Marquardt 2019:30 f.). Des Weiteren eignen sich Singgruppen aufgrund der hohen Verbreitung des Singens besonders für niedrigschwellige Angebote, z.B. in Sozial Psychiatrischen Zentren.

4.4 Beispiele von Gestaltungselementen für Musikangebote in Gruppen

Die Begleitung mit der Gitarre oder dem Klavier kann für Teilnehmende einer Singgruppe eine Stütze darstellen und Halt bieten. Falls einige Akteur*innen der Gruppe mit einem angestimmten Lied weniger vertraut sein sollten, dient hier die instrumentale Begleitung als Orientierung. Sollte ein Mensch ein geringes Selbstwertgefühl zeigen und behaupten seine Stimme sei nicht gut genug, lenkt an dieser Stelle das Instrument von der Stimme ab (vgl. Wickel 2018:130 f.). Dies kann z.B. bei Menschen mit Depressionen der Fall sein.

Darüber hinaus ist die Gitarre durch ihr leichtes Gewicht zudem einfach zu transportieren und die Tonhöhe der Lieder kann individuell auf die Teilnehmenden angepasst werden. Manche Besucher*innen des Musikangebots beherrschen selbst ein Instrument und können ihre Fähigkeiten in die Gruppe miteinbringen, sie vertiefen oder präsentieren. Ein sozialarbeiterisches Ziel der Gestaltung eines Gruppenmusikangebots ist die positive Stimmung der Teilnehmenden durch Geräusche und Klänge. Als Verklanglichung bezeichnet Wickel die Verwandlung von einer nichtmusikalischen Vorlage, wie z.B. einem Text in einen Klang bzw. in eine musikalische Gestaltung (vgl. Wickel 2004:234).

Während Vorspiele den Mitsingenden die Chance geben sich auf das Lied einzustimmen, können Zwischen- und Nachspiele der Verarbeitung von Erlebtem dienen. Das heißt, sie schaffen einen entspannten Raum, um das Gehörte nachklingen zu lassen (vgl. Wickel 2018: 131).

Die Improvisation bei Musikangeboten stellen einen unvorhersehbaren Prozess dar (lat. = improvisus). Das Musikmachen der Beteiligten ist in dem Augenblick spontan und die jeweilige Situation ist nicht identisch wiederholbar. Zudem trägt das Improvisieren zur Förderung der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bei. Ein weiterer Aspekt stellt die Möglichkeit der musikalischen Kommunikation dar, bei der die Mitspielenden Bezug aufeinander nehmen (vgl. Wickel 2018: 159).

Bei Musikangeboten in Gruppen im psychiatrischen Kontext ist es hilfreich, wie bei der Arbeit in anderen Arbeitsfeldern, das Angebot zu strukturieren. Bereits die Bedeutungszuschreibungen des Begriffs `Gestalten` sind „ordnen, zuordnen, gliedern, (…), oder entwickeln“(vgl. Martini 2004: 55). Beinhaltet ein Angebot keine Struktur, besteht die Gefahr der Überforderung der Gruppenteilnehmenden. Zusätzlich gibt ein geordneter Ablauf den Gruppenmitgliedern das Gefühl von Sicherheit. Für die inhaltliche Gestaltung können die Teilnehmenden ebenfalls partizipativ Ideen miteinbringen (vgl. Wickel 2018: 140).

Ist der Gestaltungsprozess beendet, zählt die subjektive Zufriedenheit der Gestaltenden mit dem Endergebnis mehr als die Beurteilung anderer. Kommt es dennoch zu einer Bewertung durch Außenstehende, sollte das Feedback konstruktiv sein, indem gemeinsam Stärken und Verbesserungsvorschläge herausgearbeitet werden. Sollten einige Akteur*innen ein zu hohes Streben nach Perfektionismus zeigen, kann die Gruppenleitung mit ihnen üben, die Erwartungshaltung zu senken und ihre Fähigkeiten noch realistischer einzuschätzen (vgl. Martini 2004: 56).

5. Fazit

Die Studien der Musikpsychologie und Musiktherapie unterstreichen die zunehmend hohe Relevanz des Einsatzes von Musik bei Menschen mit depressiven Erkrankungen. Es wäre wünschenswert, dass weitere wissenschaftliche Wirkungsnachweise erfolgreicher musikalischer Interventionen bei Depressionen erbracht werden. Diese würden die Professionalisierung sozialarbeitersicher Musikangebote unterstützen und eine Chance für Menschen mit Depressionen und anderen mit psychischen Erkrankungen sein.

Bezüglich der Rolle der Sozialarbeitenden ist zu betonen, dass es bei therapeutisch orientierten Angeboten der Sozialen Arbeit leicht zu Überschreitungen des eigenen Fachgebiets kommen kann. Beim Angebot könnten psychologische Prozesse in Gang gesetzt werden, deren Bearbeitung, ohne zusätzliche therapeutische Zusatzausbildungen seitens der Sozialarbeitenden, nicht fachgerecht stattfinden kann. Da andersherum Psycholog*innen und anderen Fachkräften, auf Grund des diagnostischen Blicks, relevante psychosoziale Informationen über die Klient*innen vorenthalten werden könnten, ist eine Kooperation beider Professionen im Sinne der Betroffenen dienlich.

Hinsichtlich des Singens in Gruppen wurde ein gesteigertes Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe festgestellt sowie die geringe Relevanz des sozialen Status und anderen Eigenschaften der Gruppenmitglieder. Meines Erachtens ist dies ein weiteres Argument für die besondere Eignung von Singgruppen im sozialpsychiatrischen Kontext, da auf diese Weise der negative Einfluss der erkrankten Wesensanteile Einzelner auf die Gruppendynamik geringer ausfällt. Wegen zahlreicher positiver Auswirkungen sollte aus meiner Sicht das Medium Musik in Zukunft mehr im Rahmen von Musikgruppenangeboten im sozialpsychiatrischen Arbeitsfeld eingesetzt werden.

Im Hinblick auf die Forschungsfrage lässt sich resümieren, dass sozialarbeiterische Musikangebote in Gruppen einen erheblichen Beitrag zum psychosozialen Heilungsprozess für Erwachsene mit Depressionen leisten. Dabei gilt es für die Soziale Arbeit, gegenüber den Neurowissenschaften, die soziale Dimension bei der Entstehung von Depressionen zu betonen und zu manifestieren.

6. Literaturverzeichnis

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Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Musikangebote der Sozialarbeit für Erwachsene mit Depressionen
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
23
Katalognummer
V1190970
ISBN (eBook)
9783346632937
ISBN (Buch)
9783346632944
Sprache
Deutsch
Schlagworte
SPZ, Singgruppen, Gruppenangebote, Tagesstätten, MusikundDepressionen, SozialeArbeitundMusik, Sozialpsychiatrie
Arbeit zitieren
Jana Zerche (Autor:in), 2020, Musikangebote der Sozialarbeit für Erwachsene mit Depressionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1190970

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