Die Kritische Theorie. Mensch-Tier-Verhältnis im Kritischen Materialismus


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

In welchem Verhältnis zueinander stehen Mensch und Tier im Kritischen Materialismus?

Der Marxsche Materialismus

Der Materialismus der Frankfurter Schule

Die Entwicklung des Mensch-Tier-Verhältnisses

Zur Utopie

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

In welchem Verhältnis zueinander stehen Mensch und Tier im Kritischen Materialismus?

In dieser Arbeit soll das Mensch-Tier-Verhältnis im Kritischen Materialismus untersucht werden. Zunächst werden Grundzüge des Marxschen Materialismus beschrieben, in welchem Mensch und Natur bereits in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen. Das Mensch-Tier-Verhältnis kann nur mit Marx‘ Theorie jedoch nicht ausreichend untersucht werden. Daher wird anschließend, hauptsächlich von der Dialektik der Aufklärung und Horkheimers Zur Kritik der instrumentellen Vernunft ausgehend untersucht, welche Rolle dem Mensch-Tier-Verhältnis bei Adorno, Horkheimer und teilweise Marcuse zukommt und wie es mit Konzepten wie der Naturbeherrschung oder der instrumentellen Vernunft zusammenhängt. Auch der von Tokas (2020) übernommene Begriff der Domestizierung als Form der Naturbeherrschung wird einbezogen. Im nächsten Schritt wird ohne den Anspruch auf Vollständigkeit versucht, aus der kritisch-materialistischen Position den historischen Wandel des Mensch-Tier-Verhältnisses im Okzident zu beschreiben. Im letzten Abschnitt soll die Möglichkeit einer Utopie diskutiert werden.

Der Marxsche Materialismus

Der Kritische Materialismus von Marx erkennt als Eigenschaft der Materie an, außerhalb des eigenen Bewusstseins zu existieren (Schmidt, 2011, S. 509). Somit kann bei Marx von einer Priorität der äußeren Natur gesprochen werden (Schmidt, 1978, S. 19). Der Kritische Materialismus bezieht die Ökonomie ein und ist „kritisch diagnostisch, nicht weltanschaulich-bekenntnishaft zu verstehen“ (Schmidt, 2011, S. 509). Diese Diagnose besteht zunächst darin, dass die Ökonomie, also das gesellschaftliche Sein, unter bestimmten Bedingungen das Bewusstsein der Menschen bestimmt (Schmidt, 2011, S. 509).

Die Natur im umfassenderen Sinne als das Weltmaterial umschließt das Subjekt, den tätigen Menschen, sowie das Objekt, die ihm äußere Natur (Schmidt, 1978, S. 23). Sie wird als außermenschliche Wirklichkeit jedoch nicht als unvermitteltes ontologisches, sondern als gesellschaftlich-historisch vermitteltes Objekt bestimmt (Schmidt, 1978, S. 19). Es gibt zwar dadurch, dass die Menschen auch ein Teil der Natur im umfassenden Sinne sind, ein Moment der Identität von Subjekt und Objekt. Jedoch gibt es zugleich ein Moment der Nichtidentität, welches in der Notwendigkeit von produktiver Arbeit besteht (Schmidt, 1978, S. 23). Die Arbeit ist eine ewige Naturnotwendigkeit, um das menschliche Leben im Stoffwechsel mit der Natur zu vermitteln (Schmidt, 1978, S. 68). Aufgrund dieser Unversöhntheit lässt sich die Beziehung von Mensch und Natur nicht in Identität auflösen, sondern die Natur befindet sich in einem historischen Prozess, in welchem sie dialektisch mit den Menschen vermittelt wird. Die Priorität der äußeren Natur bedeutet also nicht, dass die Natur als oberstes Seinsprinzip gesetzt wird (Schmidt, 1978, S. 27). Denn arbeitende Subjekte vermitteln das Naturmaterial mit sich und außerdem ist die Materie als solche den Menschen nicht zugänglich, sondern nur ihre konkreten Daseinsweisen (Schmidt, 1978, S. 27).

Wegen der beschriebenen historisch-dialektischen Vermittlung gibt es zwischen Naturgeschichte und Menschheitsgeschichte keine endgültige Auflösung (Schmidt, 1978, S. 40). Stattdessen besteht ein Moment der Einheit und ein Moment der Verschiedenheit (Schmidt, 1978, S. 40). Die Einheit kommt dadurch zustande, dass der menschliche Produktionsprozess eine Anpassung an die äußere Natur ist (Schmidt, 1978, S. 40). Die Verschiedenheit resultiert daraus, dass es eine „spezifische Differenz zwischen geschichtlichen Abläufen in Natur und Gesellschaft“ gibt (Schmidt, 1978, S. 40).

Marx und Engels hatten zwar eine grundlegend positive Einstellung zur fortschreitenden Naturbeherrschung, jedoch war ihr ökologisches Bewusstsein zumindest so weit ausgeprägt, dass sie irrationale, ungeplante Naturbeherrschung kritisierten (Schmidt, 2018a, S. 165-166). Denn ihrer Diagnose zufolge beherrschten die Menschen im Kapitalismus ihre eigene Naturbeherrschung nicht. Die nicht richtig organisierte Naturbeherrschung ist Naturverfallenheit. Für Hegel war die erste Natur blindes, begriffsloses Geschehen, die zweite Natur demgegenüber Staat, Recht, manifestierte Vernunft (Schmidt, 1978, S. 36). Laut Marx ist die zweite Natur immer noch blindes, begriffsloses Geschehen, da die Menschen im Kapitalismus den ökonomischen Gesetzen gegenüber machtlos seien, und diese ihnen in Form von Naturgesetzen gegenüberständen (Schmidt, 1978, S. 35). Die Maschinerie ist „bloß Natur, die sich zerfleischt“ (Schmidt, 1978, S. 36).

So wies Engels darauf hin, dass die fortschreitende Naturbeherrschung im Kapitalismus langfristig negative Folgen hat (Schmidt, 2018a, S. 170). Mit einer Veränderung der Ökonomie könnten diese Folgen wissenschaftlich kalkuliert und vermieden werden (Schmidt, 2018a, S. 170). Die Diagnose der naturverfallenen Naturbeherrschung läuft bei Marx und Engels jedoch auf eine Kritik von möglichen negativen Folgen für die Menschen hinaus. Der Natur selbst kommt zumindest im Marxschen Spätwerk nicht wirklich eigene Wertschätzung zu. Die Natur wird von Marx bloß als Objekt betrachtet, was Marcuse später kritisiert, da dies lediglich ihre Erscheinung in der kapitalistischen Gesellschaft sei (Marcuse, 1987, S. 65). Auch Schmidt sieht einen gewissen Anthropozentrismus darin, dass nur für das weltumgestaltende menschliche Subjekt etwas von Wert sein kann (Schmidt, 2018a, S. 175).

Die Menschen grenzte Marx von den Tieren ab. So sah er einen generellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren in der Fähigkeit zur bewussten Arbeit, die ausschließlich den Menschen zukäme (Maurizi, 2015, S. 230-231). Das Tier sei unmittelbar eins mit seiner Lebenstätigkeit, während Menschen bewusst und frei tätig sein könnten (MEW 40, S. 516). So sei die Produktion der erste Schritt der menschlichen Emanzipation von den Tieren (Maurizi, 2007b, S. 99). Maurizi betont dabei, dass der Mensch „nicht einfach ‚anders‘ als das Tier [ist], sondern ein ‚Anders-Werden‘, eine Selbstentfremdung von dem Tierischen“ (Maurizi, 2007b, S. 103). Das ‚Menschwerden‘ ist also verknüpft mit der Entfremdung von den Tieren und es handelt sich dabei um einen unabgeschlossenen geschichtlichen Prozess (Maurizi, 2007b, S. 103).

Jedoch impliziert die bewusste Arbeit, welche die Menschen laut Marx von den Tieren trennt, keine hierarchische Moral, in der die Menschen über den Tieren stehen (Tokas, 2020, S. 34). Es ist also nicht inhärent widersprüchlich, aus der Position des Kritischen Materialismus Tieren als Wesen mit Interessen einen gewissen Wert zuzugestehen. Es lassen sich bei Marx und Engels aber keine Einwände dagegen finden, dass Tiere generell benutzt werden, wie etwa in der Jagd (MEW 3, S. 33). Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass es zu Marx und Engels Zeit, anders als heute, eine historische Notwendigkeit war, Tiere für menschliche Zwecke zu nutzen (Maurizi 2007b, S. 103).

Abgesehen davon lässt sich Marx‘ generelle Kritik an der Warenform leicht auf die Tiere übertragen. Es ist offensichtlich, dass Tiere im Kapitalismus die Form von Waren annehmen und fetischisiert werden (Tokas, 2020, S. 26). Als Ware können sie zum Produkt (Fleisch), Produktionsmittel (für Milch) oder zur Arbeitskraft (auf dem Feld) werden. Wie bei allen Waren erscheint der Wert ihrer verarbeiteten Körper im Kapitalismus als natürliches Charakteristikum anstatt als Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse (Tokas, 2020, S. 27). Denn Waren erscheinen geschichtslos und zeigen ihre Produktionsbedingungen nicht (Haker, 2007, S. 41). Da der Tauschwert der tierlichen Waren sich wie bei allen Waren durch die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit ergibt, sind die Unternehmer zur kostengünstigsten Ausbeutung der Tiere gezwungen, was mit erhöhter Grausamkeit einhergeht (Haker, 2007, S. 41-42). Um jedoch eine weitläufigere und spezifischere kritisch-materialistische Untersuchung des Mensch-Tier-Verhältnisses zu erreichen, müssen spätere Theoretiker mit einbezogen werden.

Der Materialismus der Frankfurter Schule

Die Kritische Theorie Frankfurter Prägung erklärt das gesellschaftliche Bewusstsein ebenfalls durch die objektiven Bedingungen der Ökonomie, aber nicht mehr ausschließlich durch diese (Braunstein, 2018, S. 106). Denn die ökonomischen Bedingungen konnten die Gesellschaft und das Denken nicht vollständig erklären (Braunstein, 2018, S. 106). Daher bezieht die Kritische Theorie auch andere Faktoren wie die Kultur ein, die das Innere der Menschen beeinflussen (Braunstein, 2018, S. 106). Wie sich auch am Mensch-Tier-Verhältnis zeigen wird, betrachtet die Kritische Theorie Phänomene einer Gesellschaft niemals unabhängig von ihrer Totalität (Sebastian & Gutjahr, 2013, S. 98). Die Kritische Theorie ist materialistisch insofern, dass sie den blinden Stoffwechsel zwischen der Gesellschaft und der Natur aufgrund seiner Irrationalität und Naturverfallenheit kritisiert (Braunstein, 2018, S. 112).

Das dialektische Denken beginnt mit der Erfahrung von Unfreiheit (Sanbonmatsu, 2011, S. 5). Aufgrund dieser Erfahrung zielt Kritische Theorie auf „die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen“ (Horkheimer, 1937, S. 626). Dies kann nur in vernünftigen gesellschaftlichen Zuständen erreicht werden (Horkheimer 1968, S. 531). Mit einer „Veränderung der materiellen Daseinsweise“ könnte das Glück der Menschen realisiert werden (Marcuse, 1937, S. 632). Die Kritischen Theoretiker haben sich also in erster Linie mit der Befreiung der Menschen, nicht der Tiere beschäftigt. Es wird sich jedoch herausstellen, dass Menschen und Tiere von den gleichen Mechanismen unterdrückt werden, weswegen das eine nicht unabhängig von dem anderen gedacht werden kann.

Wie Marx untersuchten Adorno und Horkheimer kritisch-theoretisch, welches Verhältnis die Menschen in der okzidentalen Zivilisationsgeschichte zu ihrer inneren und zur äußeren Natur hatten (Sebastian & Gutjahr, 2013, S. 99). Es gibt jedoch einen grundlegenden Unterschied zu Marx. Gemäß dessen ökonomischer Sichtweise ist das Mensch-Natur-Verhältnis dadurch konstituiert, dass Natur aufgrund ihrer Nützlichkeit für den Menschen in unterschiedlichen historischen Epochen, deren Produktionsweisen divergieren, auf verschiedene Weisen bearbeitet und angeeignet wird (Schmidt, 1978, S. 23-26). Adorno und Horkheimer hingegen betrachten das Mensch-Natur-Verhältnis als die Geschichte einer Katastrophe unter dem Fluch der fortschreitenden irrationalen Naturbeherrschung (z.B. Horkheimer & Adorno, 1988, S. 15).

Zu diesem Schluss kommen sie, da sie die Entwicklung der okzidentalen Gesellschaften maßgeblich durch das dialektische Verhältnis von Vernunft und Natur erklären. Denn Vernunft und Natur sind identisch und nichtidentisch, die Vernunft ist der Natur entsprungen und entfremdete sich zugleich von ihr (Haker, 2007, S. 26).

[...]

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Details

Titel
Die Kritische Theorie. Mensch-Tier-Verhältnis im Kritischen Materialismus
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Die Idee eines Kritischen Materialismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
22
Katalognummer
V1191267
ISBN (eBook)
9783346629555
ISBN (Buch)
9783346629562
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mensch-Tier-Verhältnis, Kritische Theorie, Kritischer Materialismus, Marx, Schmidt, Horkheimer, Adorno, Marcuse, Tierphilosophie, instrumentelle Vernunft, Naturbeherrschung
Arbeit zitieren
Marvin Steiner (Autor:in), 2021, Die Kritische Theorie. Mensch-Tier-Verhältnis im Kritischen Materialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1191267

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