Das Wirken byzantinischer Flüchtlinge in Europa nach der Eroberung Konstantinopels (1453)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

26 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Verbreitung griechischen Kulturgutes durch byzantinische Flüchtlinge
a) Kardinal Bessarion
b) weitere Beispiele
c) Der Einfluss der Byzantiner auf Renaissance und Humanismus

III. Byzantinische Flüchtlinge und der Türkenkrieg
a) politisches Wirken
b) literarische Tätigkeit
c) Wodurch war der Einsatz der Byzantiner für einen Türkenkrieg motiviert und welchen Erfolg hatten ihre Bemühungen?

V. Schlussbetrachtung

VI. Quellen- und Literaturangaben

I. Einleitung

Als Konstantinopel am 29. Mai 1453 von den Osmanen erobert wurde, bedeutete das den endgültigen Zusammenbruch des Byzantinischen Reiches. Doch schon vor diesem Datum hatten viele griechische Gelehrte ihre byzantinische Heimat verlassen und lebten in Europa, hauptsächlich in Italien. Sicherlich waren das stetige Vordringen der Osmanen und die Angst vor einer osmanischen Invasion Gründe für ihre Emigration. Doch auch die aufkommende Renaissancekultur und der daraus resultierende Bedarf an entsprechenden Akademikern und Lehrern lockte viele Griechen in den Westen. Nach der Eroberung Konstantinopels verstärkte sich dieser Flüchtlingsstrom jedoch und die emigrierten Griechen waren sozusagen heimatlos geworden, da das Byzantinische Reich nicht mehr existierte und sein ehemaliges Territorium jetzt von den Osmanen beherrscht wurde.

Ziel dieser Arbeit ist es, das Wirken dieser Emigranten im Westen zu untersuchen. Dies wird auf zwei Ebenen geschehen. Zum einen wird im zweiten Kapitel das Wirken der griechischen Gelehrten im kulturellen Bereich untersucht. Hier wird zunächst die Tätigkeit der wohl bekanntesten Persönlichkeit der griechischen Emigranten, Kardinal Bessarion, im Mittelpunkt stehen. Außerdem werden weitere Beispiele genannt, wobei sich herausstellen wird, dass das Schicksal vieler gelehrter byzantinischer Flüchtlinge eng mit dem Handeln und Wirken des Kardinals verknüpft war. Anschließend wird diskutiert, welchen Einfluss die griechischen Gelehrten und ihr Wirken auf die beiden großen Geistesströmungen dieser Zeit, Renaissance und Humanismus, hatten. Zum anderen wird im dritten Kapitel dieser Arbeit der Einsatz der Byzantiner für einen Türkenkrieg an einigen Beispielen untersucht. Unterteilt wird dieses Kapitel in das politische Wirken, hier wird wieder Kardinal Bessarion auftauchen, und die literarische Tätigkeit für einen Türkenkrieg. Am Ende des Kapitels wird sich die Frage anschließen, wodurch der Einsatz der Byzantiner für einen Türkenkrieg motiviert war und außerdem wird danach gefragt, welchen Erfolg ihre Bemühungen hatten. Im Abschlusskapitel wird das Wirken der Byzantiner dann noch einmal in seiner Gesamtheit betrachtet.

Zu dem Thema dieser Arbeit gibt es bis jetzt keine Monographie. Doch finden sich in dem Werk von Mohler über Kardinal Bessarion[1] zahlreiche Hinweise über dessen Leben und Wirken. Auskünfte und Kurzbiographien anderer byzantinischer Flüchtlinge gibt außerdem das Lexikon des Mittelalters[2]. Mit den kulturellen Aktivitäten der Emigranten und ihren Einfluss auf die westliche Welt hat sich vor allem Geanakoplos beschäftigt[3]. Für den Einsatz der Griechen für einen Türkenkrieg ist besonders die umfassende Dissertation von Binner von Bedeutung[4].

II. Verbreitung griechischen Kulturgutes durch byzantinische Flüchtlinge

a) Kardinal Bessarion

Der wohl bekannteste byzantinische Emigrant im Westen war Kardinal Bessarion. Er lebte zwar schon seit 1439 in Italien, blieb seiner griechischen Heimat aber sein ganzes Leben lang sehr verbunden. Bessarion wurde im Jahr 1403 in Trapezunt geboren. Ausgebildet wurde er unter anderem als Schüler des Georgios Chrysokkos in Konstantinopel, im Jahr 1423 wurde er Mönch und 1431 Priester. Anschließend verbrachte er mehrere Jahre auf dem Peloponnes, wo ihn Georgios Gemistos, genannt Plethon, in die neuplatonische Philosophie einführte. Seit 1437 war Bessarion Metropolit von Nikaia. 1439 wurde er auf dem Konzil von Ferrara-Florenz als Vertrauter des byzantinischen Kaisers Johannes VIII. Palaiologos zum Sprecher der Befürworter der Kirchenunion. Papst Eugen IV. würdigte seine Bemühungen auf dem Konzil mit der Erhebung zum Kardinal. Bessarion wurde 1463 zum Titularpatriarchen von Konstantinopel ernannt. Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 setzte sich der Kardinal für einen Kreuzzug gegen die Osmanen ein. Dies wird im dritten Kapitel genauer besprochen. Als Humanist versammelte er zahlreiche Gelehrte um sich, darunter viele Griechen. Bessarion starb 1472 in Ravenna.[5]

Neben seinen politischen Bemühungen wirkte Bessarion besonders als Förderer des Griechentums im Westen. Er setzte sich nach der Eroberung Konstantinopels für seine ebenfalls in der Emigration lebenden byzantinischen Landsleute ein, indem er sie finanziell unterstütze oder ihnen Lehraufträge verschaffte. Auf Bestreben des Kardinals wurden zahlreiche griechische Handschriften in den Westen gebracht und in seinem Gelehrtenkreis kam es zur Begegnung zwischen griechischen und italienischen Gelehrten. Wie Bessarion in diesen verschiedenen Gebieten zur Verbreitung des Griechentums beigetragen hat, wird im Folgenden genauer dargestellt.

Einer der in der Emigration lebenden Griechen, der von Kardinal Bessarion unterstützt wurde, war Theodoros Gazes. Der um 1400 in Thessalonike geborene Humanist und Aristoteliker ist bereits seit den 1440er Jahren in Italien bezeugt[6]. Gazes gehörte wahrscheinlich seit 1450 dem um Bessarion versammelten Gelehrtenkreis an. Der Kardinal empfahl den ebenfalls dem geistlichen Stand angehörenden Gazes Papst Nikolaus V. für Aristoteles-Übersetzungen. Bessarion versuchte immer wieder, seinen Freund Gazes in seine Nähe zu ziehen. Aus Rom schrieb er ihm: „Wir wollen Dich hier hören, um Gewinn von Dir zu haben.“ Auch finanzielle Unterstützung sicherte der Kardinal Gazes zu, indem er ihm in einem anderem Brief schieb, „was er besitze, solle auch ihm (Gazes) gehören“[7]. Gazes hatte in Ferrara griechische Sprache unterrichtet, zog sich aber später auf seine Pfarrei Sankt Giovanni de Piro bei Neapel zurück, wo er 1475/76 auch starb. Dort müssen ihn auch die Briefe Bessarions erreicht haben. Diese Pfarrei beschreibt H. Hunger im Lexikon des Mittelalters außerdem als eine „von Bessarion zugewiesene (...) Pfründe“[8], also ein mit Einkünften verbundenes Kirchenamt. Bessarion hat Gazes also nicht nur zu Übersetzungsarbeiten verschafft, sondern hat ihm mit der Pfründe auch eine dauerhafte Einnahmequelle zum Bestreiten seines Lebensunterhalts verschafft.

Der byzantinische Humanist Konstantinos Laskaris war nach dem Fall Konstantinopels als Griechischlehrer in Italien tätig. Unter anderem erhielt er im Jahr 1468 „mit Hilfe Bessarions“[9] einen Lehrstuhl in Messina. Auch sein Verwandter Janos Laskaris war ein „Schützling“[10] des Kardinals. Bessarion unterstützte ihn unter anderem bei seinen Studien in Venedig und Padua. In einem Brief an Lorenzo de Medici aus dem Jahr 1471 sprach er sich außerdem für einen anderen griechischen Gelehrten aus, den Humanisten Andronikos Kallistos. Bessarion hatte sich dafür eingesetzt, dass Kallistos „in Florenz einen Lehrstuhl der (griechischen) Sprache (mit Philosophie)“[11] erhielt.

Andere griechische Flüchtlinge unterstützte Bessarion ihr Leben lang finanziell, zum Beispiel den Gelehrten Michael Apostolios[12]. Aus einem Brief des Georgios Amirutzes von 1461 - Amirutzes stammte wie der Kardinal aus der gerade gefallenen Stadt Trapezunt - geht außerdem hervor, dass Bessarion nach der Eroberung von Konstantinopel viele der dort gefangenen Griechen freigekauft hat[13].

Durch das Freikaufen seiner griechischen Landsleute, Beschaffen von Lehr- oder Übersetzungsaufträgen und durch finanzielle Unterstützung hat Bessarion vielen der oft mittellos in Italien eintreffenden Byzantinern den Lebensunterhalt gesichert. Zugute kamen dem Kardinal dabei seine Beziehungen zu hohen Persönlichkeiten aus Kirche und Politik, sowie zu führenden Humanisten seiner Zeit. Dadurch, dass die von ihm unterstützten Gelehrten ihre Schüler in griechischer Sprache und Kultur unterrichteten, hat Bessarion sicherlich zur Verbreitung des Griechentums beigetragen.

Um das „geistige Erbe des Griechentums“[14] für die Nachwelt zu sichern, setzte Bessarion sich außerdem dafür ein, dass griechische Handschriften in den Westen geholt wurden, um dort an einem sicheren Platz aufbewahrt zu werden. In einem wahrscheinlich an Michael Apostolios adressierten Brief schrieb der Kardinal kurz nach der Eroberung Konstantinopels:

„Wenn die Griechen jetzt auch noch dieses verlieren, (...), dann werden sie mundtot, dann unterscheiden sie sich auch nicht mehr von Barbaren und Heloten. (...). Solange ein gemeinsamer Mittelpunkt aller Griechen bestand, dachte ich nicht daran, weil ich dort alles wohl aufbewahrt wußte. Als aber die Stadt fiel, da regte sich in mir das Verlangen nach dem Besitz all dieser Werke.“[15]

Bessarion gab deshalb den Auftrag, in Städten wie Athen, Adrianopel und Thessalonike möglichst viele griechische Handschriften für ihn aufzukaufen. An einen Mann namens Theophanes schickte er eine „Liste von besonders ausgesuchten Werken“[16] nach Athen.

Bis zu seinem Tod sammelte Bessarion auf diese Weise „600 Codices, heidnischen wie christlichen Inhalts“[17]. Diese Sammlung vermachte er dem Senat von Venedig. Die zahlreichen griechischen Handschriften bildeten „den Grundstock der Bibliothek der Kathedrale von San Marco“[18]. Mit dieser Sammlung rettete Bessarion griechisches Kulturgut über das Ende des Byzantinischen Reiches hinaus. In Venedig wurden die Schriften an einem zentralen und sicheren Ort aufbewahrt. Sie waren dort den im Exil lebenden Griechen und den westeuropäischen Gelehrten zugänglich und blieben auf diese Weise der Nachwelt erhalten.

Ein geistiger Austausch zwischen griechischen und westlichen Gelehrten fand vor allem auch in dem um Bessarion versammelten Gelehrtenkreis statt. In diesem Kreis, auch „Akademie“ genannt, trafen sich „Lateiner und Griechen, Gläubige und Skeptiker, Theologen und Humanisten, Laien und Geistliche“ zum „freien Meinungsaustausch“[19]. Treffpunkt war hauptsächlich Bessarions Haus in Rom. Zu den Gelehrten gehörten auf Seite der Griechen unter anderem Theodoros Gazes, Demetrios Chalkondyles, Johannes Laskaris, Michael Apostolios und Andronikos Kallistos. Die Lateiner waren mit italienischen Gelehrten wie Valla, Domizio Calderini, Valerio von Viterbo und Flavio Biondo vertreten. Gemeinsam pflegte man die griechische und lateinische Sprache und Literatur und diskutierte über wissenschaftliche und humanistische Themen aus den verschiedensten Bereichen. Daneben widmeten sich die Gelehrten aber auch dem Sammeln alter Handschriften und ihrer Vervielfältigung. Auch neu erschienene Bücher und die Erfindung des Buchdrucks fanden Beachtung.[20]

[...]


[1] Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Band 1: Darstellung, Paderborn 1967.

[2] Lexikon des Mittelalters, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980.

[3] Geanakoplos, Deno John, Byzantine East and Latin West. Two Worlds of Christendom in Middle Ages and Renaissance, Oxford 1966; ders., Interaction of the „Sibling“ Byzantine and Western Cultures in the Middle Ages and Italian Renaissance (330-1600), New Haven/ London 1976.

[4] Binner, Rolf, Griechische Gelehrte in Italien (1453-1535) und der Türkenkrieg, München 1967.

[5] zur Biographie Bessarions: Lexikon des Mittelalters. Bd. 1, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980, S. 2070 f.

[6] Lexikon des Mittelalters. Bd. 4, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980, S. 1151.

[7] Beide Zitate aus: Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Bd. 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 328.

[8] Lexikon des Mittelalters. Bd. 4, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980, S. 1151.

[9] Lexikon des Mittelalters. Bd. 5, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980, S. 1721.

[10] Lexikon des Mittelalters. Bd. 5, hrsg. von Auty, Robert, Bautier, Robert-Henri, Berghaus, Peter, u.a., München/ Zürich 1980, S. 1720.

[11] Hofmann S. J., Georg, Acht Briefe des Kardinals Bessarion, in: Orientalia Christiana Periodica. Commentarii De Re Orientali Aetatis Christianae Sacra Et Profana Editi Cura Et Opere Pontificii Instituti Orientalium Studiorum, hrsg. vom Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, Rom 1949, S. 284. (Der Brief ist auf S. 285 abgedruckt.)

[12] Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Bd. 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 306. Die Schreibweise des Namens ist nicht einheitlich, der Gelehrte taucht in anderen Texten auch als Michael Apostolis auf, so zum Beispiel bei: Binner, Rolf, Griechische Gelehrte in Italien (1453-1535) und der Türkenkrieg, München 1967.

[13] Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Bd. 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 304 ff.

[14] Ebd., S. 329.

[15] Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Bd. 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 329 f.

[16] Ebd., S. 330.

[17] Burckhardt, Jacob, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, im Internet unter: http://www.gutenberg.aol.de/burckhar/renaiss/renaiss.htm.

[18] Microsoft Encarta Enzyklopädie 2000, Eintrag „Bessarion“, 1993-1999.

[19] Alle Zitate: Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Band 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 326.

[20] Mohler, Ludwig, Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Band 1: Darstellung, Paderborn 1967, S. 326 ff.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das Wirken byzantinischer Flüchtlinge in Europa nach der Eroberung Konstantinopels (1453)
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie)
Veranstaltung
Europa und das Osmanische Reich im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Note
1-
Autor
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V11913
ISBN (eBook)
9783638179546
ISBN (Buch)
9783656013327
Dateigröße
417 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wirken, Flüchtlinge, Europa, Eroberung, Konstantinopels, Europa, Osmanische, Reich, Mittelalter, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Claudia Gilbers (Autor:in), 2001, Das Wirken byzantinischer Flüchtlinge in Europa nach der Eroberung Konstantinopels (1453), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11913

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