Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Elementare Begriffe
2.1 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession begreifen
2.2 Was ist unter einem Zwangskontext zu verstehen
2.3 Das Tripel Mandat in der Sozialen Arbeit
2.4 Methodische Herangehensweise im Einklang der Menschenrechtsprofession
3. Praxisbeispiel anhand des Jugendstrafvollzugs
3.1 Definition von Jugendstrafvollzug und dessen historischer Hintergrund
3.2 Soziale Arbeit im Jugendstrafvollzug – Betrachtung der Ausgangslage
3.3 Herausforderungen und mögliche Hindernisse im Zwangskontext
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zur einfacheren Lesbarkeit dieser Hausarbeit wurde die Form des generischen Maskulinums verwendet, womit auch die weibliche und diverse Form gemeint sind.
Ethisch und Sozialphilosophisch betrachtet, bewegt ein Sozialprofessioneller sich stetig in einem Spannungsfeld. Wenn von Menschenrechten und zugleich von einem Zwangskontext die Rede ist, kann eine Widersprüchlichkeit im arbeitstäglichen Umfeld eines Sozialarbeiters wahrgenommen werden. Diese Arbeit setzt sich auseinander mit der Frage, inwieweit die Soziale Arbeit im Zwangskontext, den verschiedenen bzw. vielfältigen Ansprüchen und Kontroversen gerecht werden kann.
2. Elementare Begriffe
In diesem Kapitel werden die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, der Zwangskontext, das Tripel Mandat und eine mögliche methodische Herangehensweise beschrieben.
2.1. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession begreifen
Für den ersten Versuch einer Standortbestimmung, warum Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofession verstanden werden muss, sollte zunächst geklärt werden, was unter Menschenrechte zu verstehen ist und warum diese für die Soziale Arbeit von essenzieller Bedeutung sind.
Im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN), trat am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) in Kraft.
Zur einheitlichen Normierung von Menschenrechten herrschte bisher kein Konsens auf internationaler Ebene. Sowohl die Auslegung, als auch der Schutz dieser, variierte von Staat zu Staat und blieb bis dahin den nationalen Verfassungen vorbehalten.
Aufgrund der Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) mit unvorstellbarem Leid, war es unabdingbar einen überstaatlichen, moralischen und ethischen Kompass zu schaffen. Die AEMR ist juristisch gesehen nicht verbindlich, doch wird ihr politisch und moralisch eine hohe Gewichtung zugeschrieben. Den Verfassern der AEMR war es
wichtig, sicherzustellen, dass die Menschenrechte wie bürgerliche, soziale und politische Reche erfasst und dem Menschen die Würde zusichert. In Dreißig Artikeln werden Garantien wie „alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechte geboren“ (Art.1 AEMR) oder dass „jeder Recht auf Leben, Freiheit und
Sicherheit“ hat (Art. 3 AEMR). Weitere Rechte wie das Verbot von willkürlicher Verhaftung und Inhaftierung (Art. 9 AEMR) werden hervorgehoben.
„Alle Menschen (haben) exakt dieselben Menschenrechte“ und „in Menschrechtsfragen zählen alle Menschen gleich“ (Pogge 2011, 76; vgl. auch Grauman 2011, 82).
Das Bemerkenswerte an dieser Charta ist die besondere Herausstellung des Menschen als egalitäres, freies und würdevolles Wesen, was zu einem Paradigmenwechsel führte.
Nachdem geklärt wurde, was unter Menschenrechten zu verstehen ist und in welchem Zusammenhang diese zur Sozialen Arbeit stehen, wird sich nun der Thematik der Menschenrechtsprofession gewidmet.
Frau Silvia Staub – Bernasconi (*1936), eine berühmte schweizerische Sozialwissenschaftlerin, schilderte Ihre Sicht auf die Soziale Arbeit folgendermaßen:
„Menschen – und Sozialrechte geben der Sozialen Arbeit die Möglichkeit zurück, in größter Radikalität vom Menschen, seinen Bedürfnissen und Nöten, seiner Lern-, Reflexions- und Handlungsfähigkeit und damit der Fähigkeit zur Veränderung seiner selbst wie einer Umwelt her zu denken.“ (Staub-Bernasconi 2003, 25)
Im Grunde gilt festzuhalten, dass Soziale Arbeit einen gesellschaftlich wichtigen Beitrag leistet, wenn es darum geht soziale Missstände aufzudecken, sie kritisch zu hinterfragen, als auch anzumahnen.
Im besten Fall kann sie eine positive Veränderung herbeiführen zugunsten aller beteiligten Akteure. Aus sozialarbeiterischer Sicht, ist es daher von maßgeblicher Bedeutung, für die Klienten da zu sein und ihre Interessen auch entgegen der gesellschaftlichen Erwartungen durchzusetzen (vgl. Heiner 2004: S. 28).
Sozialprofessionelle sollen also auch im Arbeitsalltag „anecken“, also anstößig sein.
Als Menschenrechtler können sich Sozialarbeiter sehen, die „Menschen bei der Ausübung ihnen formal gegebener Bürgerrechte, bzw. bei der Erstreitung solcher Rechte, (…) unterstützen“ (Wagner 2014, 176). Sozialarbeiter werden im Volksmund gerne die „Anwälte der Armen“ genannt. Soziale Rechte sind, wie in der AEMR festgehalten, Menschenrechte. Subsumiert betrachtet sind Menschenrechte weder verrückbar, elastisch oder verhandelbar.
2.2 Was ist unter einem Zwangskontext zu verstehen
Von einem Zwangskontext ist die Rede, wenn Menschen, aus unfreiwilligen Stücken heraus, Gegenstand einer sozialarbeiterischen Intervention werden.
„Im Sinne eines Arbeitsbegriffs sind im Folgenden unter Zwangskontexten
Sozialer Arbeit Kontexte zu verstehen, in denen konkrete Einzelne (von Dritten) dazu genötigt werden, bestimmte Lebensumstände zu erdulden und/oder bestimmte Handlungen zu vollziehen bzw. zu unterlassen; d.h. Kontexte, in denen die aus den Persönlichkeitsrechten erwachsenden Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten eines konkreten Einzelnen eingeschränkt werden“ (Kaminsky 2015: S. 6).
Bei Sozialer Arbeit im Zwangskontext handelt es sich um ein ständiges Spannungsfeld. Es besteht aus einem Träger, wie der Justiz, dem Gericht oder einer anderen staatlichen Einrichtung und dem Klienten, der unter institutionellem Zwang, professionelle Hilfe aufsucht. Adressaten, die angeordnete Hilfsangebote nicht wahrnehmen oder ihnen nicht in vollem Umfang nachgehen, werden von den anordnenden Stellen häufig empfindlich sanktioniert. Die bloße Androhung von Bestrafungen hat oftmals die Funktion sowohl „motivierend“ als auch abschreckend zu wirken und stellt eine Machtdemonstration des Staates dar, die gesellschaftlich weitestgehend akzeptiert wird.
Auch der Sozialen Arbeit, kann eine gewisse Machtfülle, aus Hilfe und Kontrolle nachgesagt werden. Sie befindet sich innerhalb der bereits bekannten Kontrapunkte und stellt, ein weiteres in sich greifendes Spannungsfeld dar. Der Sozialarbeitende im Zwangskontext kann, bei genauerer Betrachtung, ein gewaltstaatliches Machtinstrument sein. Er kann helfend und sanktionierend in die Lebenswelt des Klienten eingreifen.
Zum Beispiel wird, wenn ein verurteilter, drogenabhängiger Straftäter, die Drogenberatung trotz Anweisung nicht aufsucht, dieses Fernbleiben von dem Sozialarbeiter dokumentiert und an die zuständige Auflagenbehörde gemeldet.
Die Behörden können den Straftäter in der Folge durch Anordnung eines Haftantritts oder monetären Sanktionen empfindlich bestrafen. Weitere Bereiche von Sozialer Arbeit im Zwangskontext sind die Jugendgerichtshilfe, die Arbeit im Strafvollzug oder andere beratende Tätigkeiten.
Eine staatlich angeordnete Zwangshandlung wird von der breiten Gesellschaft gebilligt, da solche den Erwartungen dieser an das Rechtssystem und die Politik gerecht werden. Die staatlichen Institutionen müssen sich bemühen, die zugrunde liegenden Gesetze unter Einhaltung der zur Verfügung stehenden Ressourcen korrekt anzuwenden. Des Weiteren vertritt der Staat im Namen des Volkes ein Werteverständnis, mit welchem auch versucht wird, diese Werte gegenüber den Adressaten mit „Hilfe“ der Sozialen Arbeit durchzusetzen.
Sozialprofessionelle sollten sich stets bewusst machen, dass sie für die Umsetzung zwangskontextlicher Handlungen mit verantwortlich sind, kurz gesagt: Amtshilfe leisten.
Grundsätzlich gilt es immer, gegenüber dem Klienten sozialpädagogische Unterstützung innerhalb der rechtlichen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, zu leisten.
Hierbei gilt es jedoch die zur Verfügung stehenden Mittel stets zu berücksichtigen.
Es gilt festzuhalten, dass Professionelle Arbeit im Zwangskontext stets von einer erschwerenden Ausgangslage ausgehen muss.
2.3 Das Tripel Mandat in der Sozialen Arbeit
In der nächsten wichtigen Begrifflichkeit wird nun das Augenmerk auf das
Tripel Mandat in der Sozialen Arbeit gerichtet.
Das Wort Tripel Mandat setzt sich aus den Worten Mandatar, „im Auftrag eines anderen handeln“ oder „die Vollmacht, dem Mandat“ (vgl. Duden 2020: S. 745) und Tripel (franz.) „die Zusammenfassung dreier Dinge, z.B. Dreieckspunkte“ (ebd. S. 1146) zusammen.
Das Tripel Mandat in der Sozialen Arbeit kann unter einem dreifachen Auftrag verstanden werden, welcher aus dem Staat, dem Adressaten und der eigenen sozialarbeiterischen Profession besteht.
Lange Zeit galt zunächst das Doppelmandat im sozialprofessionellen Umfeld, worunter verstanden wurde, dass es aus Adressaten und Gesellschaft bestand (vgl. Staub-Bernasconi, 2006, S.21). Es liegt hier ein „klassischer“ Konflikt zwischen
Nutzer, Staat und dazwischen der Sozialarbeiter, vor. Der Staat legt den gesetzlichen Rahmen fest, in dem sich Soziale Arbeit bewegen darf bzw. muss. Ein gutes Beispiel an Gesetzen wären hier die Sozialgesetzbücher (SGB) I bis XII zu benennen.
Der Nutzer ist der gegenwärtige Part, oder kann auch Adressat genannt werden.
Diese haben diverse bzw. vielfältige Interessen, Wünsche, Bedürfnisse, welche nicht immer mit den Gesetzen und den herrschenden Wertvorstellungen in Einklang zu bringen sind. Soziale Arbeit, wie wir sie heute kennen, hatte in vergangenen Zeiten, wie beispielsweise in der Industrialisierung im 18. & 19. Jhdt. eine ganz andere Qualität. Die sozialarbeiterische Tätigkeit steckte noch in den „Kinderschuhen“ und der Bedarf, diese zu professionalisieren wurde immer dringlicher. Soziale Arbeit hatte mehr den intervenierenden Charakter, oder medizinisch betrachtet, stellte sie eher den Versuch an, die sozialen Symptome zu bekämpfen als deren Ursache. „Auf der einen Seite die konkrete Hilfeleistung und auf der anderen Seite die Ausübung der staatlichen Kontrollfunktion durch verschiedene Träger“ (Schilling/Klus, 2018, S.229).
Zumeist waren die Helfenden ehrenamtlich Tätige, während Sozialkontrolleure den Gegenpart bildeten, z.B. Familien prüften, ob erhaltene Hilfeleistungen zurecht bezogen wurden. Interessanterweise ist in der Kontroverse von Hilfe und Kontrolle ein Widerspruch zu vernehmen.
Alice Salomon (1872 – 1948) gründete 1908 in Berlin – Schöneberg die erste soziale Frauenschule im damaligen Deutschen Reich und leistete somit einen essenziellen Beitrag zur Professionalisierung der Sozialarbeit. Während sich die Gesellschaft mit ihren Herausforderungen und Problemen veränderte, versuchte die Soziale Arbeit mit diesem gesellschaftlichen Wandel Schritt zu halten.
Die Disziplin der Sozialen Arbeit entwickelte sich weiter, adaptierte vorhandenes und vor allem brauchbares Wissen aus anderen Disziplinen, wie der Philosophie, den Rechtswissenschaften, der Psychologie, den Naturwissenschaften, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften. Dadurch nahm im Lauf der Zeit auch die sozialarbeiterische Arbeit an Komplexität und Generalität zu.
Das Aufgabenfeld des Sozialarbeiters beinhaltet „bürokratisch-administrative, ökonomische und informelle- lebensweltliche Elemente aufeinander zu beziehen und zu integrieren“ (Schilling/Klus, 2018, S.229). Plakativ betrachtet ist der heutige Sozialarbeiter, umgangssprachlich ausgedrückt, die „eierlegende Wollmilchsau“.
Hier drängt sich die Frage auf, inwieweit die Sozialprofessionellen noch ihrer Kernarbeit, der pädagogischen, erzieherischen und unterstützenden Funktion nach bestem Wissen und Gewissen nachgehen können. Es sollte nicht die Unfähigkeit der Sozialen Arbeit suggeriert werden, sondern eher die strukturellen Probleme, in der sie sich bewegen muss. Da das Doppelmandat in der Sozialen Arbeit nicht mehr zeitgemäß erschien, plädierten führende Sozialarbeiter, wie Silvia Staub – Bernasconi, für eine Erweiterung eines dritten Mandats, der sozialarbeiterischen Berufsethik, als Handlungsleitlinie.
Die folgende Abbildung dient der besseren Veranschaulichung des vorher erwähnten Spannungsfeldes, zwischen dem Staat und Nutzer.
Der Ethikkodex, der über dem Sozialarbeiter als Wolke schwebt, steht sinnbildlich für deren Gewissen, welches auf sozialer Gerechtigkeit und den Menschenrechten basiert, aber auch auf einen konfliktbeladenen Zwiespalt hindeutet.
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