„Die Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche Disziplin, die von Sigmund Freud begrün-det wurde und mit seinem Namen auch heute noch unlösbar verknüpft ist.“ (Brenner, 1972/1976, S. 14). Diese Aussage ist mit zwei Aufgaben verbunden: einerseits Erklärung der Wissenschaft Psychoanalyse und Betrachtung des Werdegangs des Arztes Freud, der die Wissenschaft ins Leben rief und sie als Therapieform nutzte; und andererseits Aufzeigen der Verbindung zwischen Freud und „seiner“ Wissenschaft. Dazu ist es notwendig, zunächst den Menschen Sigmund Freud und seine Forschungstätigkeit näher zu betrachten. Ordnet man seine Ergebnisse und Publikationen biografisch, wird man feststellen, dass sich gerade bezüglich der Untersuchung der Ursachen von Angst und ihrer Störungen ein Wandel vom Früh- zum Spätwerk des Psychoanalytikers vollzogen hat. Exemplarisch für diesen Wandel sind die beiden folgenden Zitate aus den Werken Freuds, die im Abstand von ungefähr fünfzehn Jahren entstanden (S. Freud, 1961, S. 4): „In manchen Zuständen von Aufregung kann man auch die Vermengung von Libido und Angst und die endliche Ersetzung der Libido durch die Angst direkt beobachten.“ (S. Freud, 1994, S. 384). „Niemals geht die Angst aus der verdrängten Libido hervor.“ (S. Freud, 2006, S. 55).
Die Angst stellt im Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der menschlichen Psyche beschäftigen, in der Psychoanalyse eines ihrer komplexesten Phänomene dar. Durch die Untersuchung sowohl physiologischer als auch pathologischer Angsterscheinungen entstanden in der Psychoanalyse eine Vielzahl von Konzepten und Schulen (Meyer, 2005, S. 2).
Dies sind jedoch nicht die einzigen Gründe, warum es interessant erscheint, sich mit den Angsttheorien Freuds zu beschäftigen. Psychoanalyse hat einen interdisziplinären Charakter: Sie ist nicht nur Wissenschaft, die sich mit der theoretischen Erforschung der Tiefen und Untiefen der Psyche beschäftigt. Sie ist auch eine Therapieform zur Behandlung psychischer Erkrankungen, die seit jeher polarisiert. Das Außergewöhnliche dabei ist, dass die Wissenschaft in ihrer Frühzeit aus der Behandlung heraus entstand, während auf der anderen Seite die Behandlung ohne den wissenschaftlichen Unterbau nicht möglich war. Außerdem kann die Psychoanalyse für sich in Anspruch nehmen, einzige Therapieform mit philosophischem Hintergrund zu sein (Possemeyer & Unruh, 2006, S. 162).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Biografisches, Hintergründe
3. Die Entstehung der Psychoanalyse
4. Die Angsttheorien Sigmund Freuds
4.1 Angst aus Libido
4.2 Revision des Verhältnisses von Angst und Libido
5. Reaktionen
5.1 Zeitgenössischer Umgang mit den psychoanalytischen Angsttheorien
5.2 Die Angst in der Nachfolge Freuds
6. Ausblick
7. Literatur
1. Einleitung
„Die Psychoanalyse ist eine wissenschaftliche Disziplin, die von Sigmund Freud begründet wurde und mit seinem Namen auch heute noch unlösbar verknüpft ist.“ (Brenner, 1972/1976, S. 14). Diese Aussage ist mit zwei Aufgaben verbunden: einerseits Erklärung der Wissenschaft Psychoanalyse und Betrachtung des Werdegangs des Arztes Freud, der die Wissenschaft ins Leben rief und sie als Therapieform nutzte; und andererseits Aufzeigen der Verbindung zwischen Freud und „seiner“ Wissenschaft. Dazu ist es notwendig, zunächst den Menschen Sigmund Freud und seine Forschungstätigkeit näher zu betrachten. Ordnet man seine Ergebnisse und Publikationen biografisch, wird man feststellen, dass sich gerade bezüglich der Untersuchung der Ursachen von Angst und ihrer Störungen ein Wandel vom Früh- zum Spätwerk des Psychoanalytikers vollzogen hat. Exemplarisch für diesen Wandel sind die beiden folgenden Zitate aus den Werken Freuds, die im Abstand von ungefähr fünfzehn Jahren entstanden (S. Freud, 1961, S. 4): „In manchen Zuständen von Aufregung kann man auch die Vermengung von Libido und Angst und die endliche Ersetzung der Libido durch die Angst direkt beobachten.“ (S. Freud, 1994, S. 384). „Niemals geht die Angst aus der verdrängten Libido hervor.“ (S. Freud, 2006, S. 55).
Die Angst stellt im Unterschied zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der menschlichen Psyche beschäftigen, in der Psychoanalyse eines ihrer komplexesten Phänomene dar. Durch die Untersuchung sowohl physiologischer als auch pathologischer Angsterscheinungen entstanden in der Psychoanalyse eine Vielzahl von Konzepten und Schulen (Meyer, 2005, S. 2).
Dies sind jedoch nicht die einzigen Gründe, warum es interessant erscheint, sich mit den Angsttheorien Freuds zu beschäftigen. Psychoanalyse hat einen interdisziplinären Charakter: Sie ist nicht nur Wissenschaft, die sich mit der theoretischen Erforschung der Tiefen und Untiefen der Psyche beschäftigt. Sie ist auch eine Therapieform zur Behandlung psychischer Erkrankungen, die seit jeher polarisiert. Das Außergewöhnliche dabei ist, dass die Wissenschaft in ihrer Frühzeit aus der Behandlung heraus entstand, während auf der anderen Seite die Behandlung ohne den wissenschaftlichen Unterbau nicht möglich war. Außerdem kann die Psychoanalyse für sich in Anspruch nehmen, einzige Therapieform mit philosophischem Hintergrund zu sein (Possemeyer & Unruh, 2006, S. 162).
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit dem Verständnis des Phänomens Angst innerhalb der Psychoanalyse, indem sie einen Abriss der Wissenschaftsgeschichte geben. Andere Bereiche der Psychoanalyse, wie z.B. Traumdeutung oder Narzissmus, werden nur soweit behandelt, wie sie für das Angstverständnis nötig sind.
2. Biografisches, Hintergründe
Sigmund Freud, als Schlomo Sigismund Freud am 6. Mai 1856 in Freiberg in Mähren (heutiges Přibor/ Tschechien) geboren, studierte ab 1873 in Wien Medizin, wobei er sich auf positivistische Wissenschaften mit Hauptaugenmerk der Darwinschen Biologie konzentrierte. Zu Beginn seiner Karriere beschäftigte sich Freud mit Zoologie. So veröffentlichte er z.B. als sein erstes Werk histologische Untersuchungen an den Geschlechtsorganen von Flussaalen.
Nach seiner Promotion zum Doktor der Gesamten Heilkunde 1881 arbeitete er ab dem Jahre 1882 im Allgemeinen Krankenhaus in Wien. U.a. in Selbstversuchen, aber auch in der Anwendung an Patienten erforschte er die Wirkung von Kokain, wobei er jedoch weder das Suchtpotential noch die anästhesiologische Wirkung der als Medikament verabreichten Droge einschätzen konnte. Die Ernennung zum Privatdozenten für Neurologie im Jahre 1885 bescherte ihm ein Reisestipendium in Paris. Die Beschäftigung mit Hysterie und Hypnose des Arztes und Neurologen Jean Martin Charcot an der Pariser Salpêtrière faszinierte Freud, was ihn zur Beschäftigung mit Neurosen als Gegenstück zu den bisher von ihm untersuchten organischen Erkrankungen des Nervensystems anregte. Die Therapie neurotischer Störungen wurde von Freud weiterentwickelt, wobei der Einstieg in das Unbewusste durch Hypnose als Beginn des therapeutischen Schaffens Freuds zu sehen ist. Er begründete eine Therapieform, die er zuerst 1896 als Psychoanalyse bezeichnete, womit eine Redekur gemeint war. Die Bedeutung Freuds liegt darin, dass er dem Unbewussten eine zentrale Rolle in der Erforschung der menschlichen Psyche zugestand. Anfangs des 20. Jahrhunderts erlangte die Psychoanalyse vermehrt Popularität, was sich anhand einer Vielzahl von Publikationen Sigmund Freuds einerseits, aber auch kritischer Veröffentlichungen andererseits zeigt. Der Ansatz der Psychoanalyse, aktuelle Störungen der Psyche durch Erleben von auslösenden Situationen der Vergangenheit in der Erinnerung wiederholt vom Unterbewusstsein ins Bewusstsein zu holen, spiegelte sich beispielsweise auch in der Einrichtung von Freuds Sprechzimmer, das er mit Erinnerungsstücken verschiedenartigster Kulturen ausstattete.
Freud entwickelte seine Psychoanalyse kontinuierlich weiter und veränderte seine Theorien mehrmals. Bis zu seinem Tod im Jahr 1939, der auf sein Bitten von seinem Arzt durch eine Morphiuminjektion herbeigeführt wurde, veröffentlichte er eine Vielzahl von Schriften, die sich mit der Analyse der Psyche und den Ursachen ihrer Störung beschäftigen (Ancona, 1971/2007, Sp. 1712; Gaede, 2007, S. 182; Lindner, 2006, S. 135-160; Roudinesco & Plon, 1997/2004, S. 299-308; Storr o.J./2004, S. 6-8).
3. Die Entstehung der Psychoanalyse
Der Wandel Freuds vom Mediziner, der sich mit der Anatomie des Gehirns und seinen Nervenleitsystemen beschäftigte, zum Analytiker, der sich mit externen und internen Einflüssen auf die menschliche Psyche auseinander setzte und an ihnen forschte, begann mit der o.g. Hospitation an der Pariser Salpêtrière. Seine Bekanntschaft mit Charcot, der sich der Erforschung der Hypnose widmete, im Winter 1885/86 überzeugte Freud, dass Vorstellungen als Ursache für Neurosenbildung in Frage kommen. Das Neue an Charcots Auffassung war, dass hysterische Lähmungen entgegen der damaligen Forschungsmeinung nicht durch körperliche Ursachen ausgelöst werden, sondern dass sie Folge eines seelischen Schocks seien (Mertens, 2004a, S. 147).
Die Folge davon war, dass Freud sich nach anfänglicher Skepsis von der Neurologie ab- und sich der Psychologie zuwandte. Bei der Behandlung neurotischer Patienten mit Hypnose spielte die später in der Psychoanalyse so bedeutend gewordene Instanz der Psyche Ich eine durchweg negative Rolle. Die Absicht des Therapeuten war die Erfassung des Unbewussten, was durch die Ausschaltung des Bewussten, das man hierbei als störend ansah, angestrebt wurde. Durch die Hypnose erlangte das Unbewusste Zugang zum Bewusstsein, was lösende Wirkung auf das Symptom hatte. In den 1895 von Freud und Breuer „Studien über Hysterie“ (1970) stellten die beiden Forscher ihren Standpunkt zur Notwendigkeit der Hypnose folgendermaßen dar:
Angeregt durch eine zufällige Beobachtung [Behandlung der Anna O.] forschen wir seit einer Reihe von Jahren bei den verschiedensten Formen und Symptomen der Hysterie nach der Veranlassung, dem Vorgange, welcher das betreffende Phänomen zum ersten Male, oft vor vielen Jahren, hervorgerufen hat. In der großen Mehrzahl der Fälle gelingt es nicht, durch das einfache, wenn auch noch so eingehende Krankenexamen [die Anamnese], diesen Ausgangspunkt klarzustellen, teilweise, weil es sich oft um Erlebnisse handelt, deren Besprechung dem Kranken unangenehm ist, hauptsächlich aber, weil sie sich wirklich nicht daran erinnern, oft den ursächlichen Zusammenhang des veranlassenden Vorganges und des pathologischen Phänomens nicht ahnen. Meistens ist es nötig, die Kranken zu hypnotisieren und in der Hypnose die Erinnerungen jener Zeit, wo das Symptom zum ersten Male auftrat, wachzurufen; dann gelingt es, jenen Zusammenhang aufs deutlichste und überzeugendste darzulegen (S. Freud & Breuer, 1970, S. 7).
Das Ich wurde in den therapeutischen Prozess jedoch nicht mit einbezogen. Die Folge dieses Vorgehens war, dass nach dem Einfluss des Therapeuten das Bewusste gegen das ihm aufgenötigte Unbewusste revoltierte, was einen Dauererfolg der Therapie unmöglich machte und zu Enttäuschung führte (A. Freud, 2006, S. 21f). Ähnliches gilt für die psychotherapeutische Behandlungsform, in der der Arzt den Patienten zur freien Assoziation auffordert. Der Hauptunterschied zur Hypnose besteht darin, dass der Patient aufgefordert wird, sein Ich selbst auszuschalten und die Gedanken, die er gerade hegt, unreflektiert zu äußern, was zu einer einseitigen Konzentration auf das Es führt. Die freie Assoziation kann wegen Einmischung des Ichs jedoch nicht in Reinform erfolgen, da dem Therapeuten der Zugang zum durch das Bewusste gefilterte Unbewusste verwehrt wird (A. Freud, 2006, S. 22f; Toman, 1971/2007a, Sp. 161).
Freuds Erkenntnisse im Umgang mit Hypnose, die er bis 1896 in der Behandlung von Neurosen anwandte, waren, dass die Hysterie von Patienten verschwanden, wenn es gelang, den ersten Moment des Auftretens der Erkrankung mit dem begleitenden Affekt dem Betroffenen wieder in Erinnerung zu rufen. Freud stützte sich hierbei auf die Forschungsergebnisse seines Kollegen Josef Breuer, die dieser bei der Behandlung von Bertha Pappenheim (alias Anna O.) erlangte (Storr, o.J./2004, S. 17f). Bertha Pappenheim litt u.a. unter Lähmungen, Trancezuständen, Sehstörungen. Die Versetzung in Hypnose durch Breuer (1970) konnte die Symptome beseitigen. Freud (1971, S. 16) folgerte aus dem Erfolg der hypnotischen Therapie, dass „hinter den meisten, wenn nicht hinter allen Phänomenen der Hysterie ein mit Affekt betontes Erlebnis steckt.“ Der Erfolg dieser Therapie, die im Bewusstmachen des Unbewussten bestand, wird als Ausgangspunkt der Psychoanalyse gewertet. Freud beschäftigte sich in Folge verstärkt mit dem Unbewussten der menschlichen Psyche, um z.B. Angststörungen zu heilen, die er analytisch auf ihren Ursprung zurückführte. Am Rande festzuhalten bleibt, dass Anna O. nie wirkliche Heilung erfuhr. Mehr als 40 Jahre, nachdem Breuer Anna O. hypnotisch behandelte, berichtete Freud Carl Gustav Jung vom Versagen der Therapie. Demnach litt die Patientin weiterhin unter den ursprünglichen Symptomen und war zudem aufgrund einer Morphiumbehandlung stark abhängig (Comer 1995/1995, S. 402; S. Freud, 1971, S. 15f). Dies tat der psychoanalytischen Forschung keinen Abbruch. Eine einzelne Therapie ist für eine Richtung der Medizin nicht repräsentativ. Außerdem ist dies als erster Versuch einer auf psychoanalytischen Grundsätzen basierenden Therapiemöglichkeit zu werten, die sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt hat (Mertens, 2004a, S. 149f).
Nach anderen Ansichten wird der Beginn der Psychoanalyse nicht auf das Jahr 1895, in dem Freud zusammen mit Breuer (1970) die „Studien über Hysterie“ herausgab, datiert, sondern beginnt mit dem Erscheinen von Freuds (1991) Werk „Die Traumdeutung“ in den Jahren 1899/ 1900 (Brenner, 1972/1976, S. 14; Gay, 1991/1994, S. 451; Mertens, 2008, S. 7). In Abgrenzung zu anderen Schulrichtungen auf dem psychoanalytischen Gebiet wie z.B. „Objektbeziehungstheorie“ oder „Sozialwissenschaftliche Psychoanalyse“ wird die Lehre des jungen Sigmund Freud „Trieb- und Strukturtheorie“, sein von seiner Tochter Anna beeinflusstes Alterswerk „Ich-Psychologie“ genannt (Mertens, 2008, S. 17-22).
4. Die Angsttheorien Sigmund Freuds
Die Frage nach den Ansichten Sigmund Freuds zum Thema Angst ist nicht einfach zu beantworten. Freud entwickelte als Forscher und Therapeut zwei Theorien, die sich mit dem Phänomen der Angst beschäftigen. Lag zunächst sein Hauptaugenmerk auf der menschlichen Libido als Quelle der Angst, bestimmte er nach der Aufgliederung der menschlichen Seele in die Orte Über-Ich, Ich und Es das Ich zum Sitz der Angst (von Schumacher, 1976, S. 25).
4.1 Angst aus Libido
Sigmund Freud dozierte in seiner Vorlesungsreihe „Zur Einführung in die Psychoanalyse“ unter dem Überbegriff „Allgemeine Neurosenlehre“ zum Thema Angst. Dabei begann er mit der Darlegung, dass dieses Thema den Zuhörern ein bekanntes sein müsse, da das Angstgefühl jedem Menschen vertraut sei: „Jeder von uns hat diese Empfindung … aus eigenem kennengelernt.“ (1994, S. 375). Dabei beschreibt Freud Angst als einen „subjektive[n] Zustand, in dem man durch die Wahrnehmung der Angstentwicklung gerät.“ Diese Empfindung „bezieht sich auf den Zustand und sieht vom Objekt ab.“ (von Schumacher, 1976, S. 26). Freud (1994, S. 375) grenzte die Angst vor der Nervosität ab. Er argumentierte, dass „die Nervösen“ größere Angst haben als andere Menschen, die Begriffe „ängstlich“ und „nervös“ jedoch nicht synonym gebraucht werden dürfen, da Ängstlichkeit und Nervosität unabhängig voneinander auftreten können. Freud wendet sich von der Auffassung der Angstentstehung auf anatomischen Weg ab, sein Bestreben ist es, das Phänomen Angst aus Sicht der Psychoanalyse zu beleuchten. Zunächst teilt Freud den Terminus Angst auf: in Realangst und in neurotische Angst. Freud sieht Angst als etwas primär Pathologisches an, das durch Manifestation von Triebenergie entsteht (Mertens, 1981, S. 100). Dieser Trieb, dessen Quelle Freud im Somatischen sieht, schlägt gewissermaßen die Brücke zwischen Psychischem und Physischem (König, 1981, S. 84).
Die Realangst definiert Freud als Reaktion auf eine äußere Gefahr, was rationell und begreiflich erscheint. Er legt dar, dass sie etwas Physiologisches ist, ein Teil des menschlichen Selbsterhaltungstriebs. Das Auftreten dieser Angstform ist abhängig vom Wissen des jeweils Betroffenen; vor Unbekanntem tritt im Allgemeinen eher eine Angstempfindung auf als vor Bekanntem. Näher betrachtet ist jedoch selbst die Realangst etwas Unzweckmäßiges. Nach Freuds (1994, S. 376f) Meinung ist das einzig Wichtig beim Auftreten eines Angstauslösers (einer Gefahr) die Abwägung der Möglichkeiten Flucht oder Verteidigung, während ein Angstgefühl als Folge einer Gefahrensituation die Entscheidungsfähigkeit des Betroffenen hemmt. Je stärker das Angstgefühl ausfällt, umso mehr beeinträchtigt es die Reaktion. Bei einer durch Angst ausgelösten Flucht ist also nicht die Angst das Zweckmäßige, sondern die Flucht als Schutz vor der Gefahr. Bei weiterer Aufgliederung der Angst in Angstbereitschaft und die von ihr ausgelösten motorischen Aktion stellt Freud die Erwartungsbereitschaft und die motorische Aktion (Flucht oder Verteidigung/ Angriff) als vorteilhaft dar.
Ein weiterer Faktor, der zur Entstehung von Angst beiträgt, ist der Affekt. Dieser Begriff wird von Freud (1994, S. 378) an dieser Stelle jedoch nur unscharf umrissen und ist teilweise nur ex negativo zu beschreiben. Nach Freuds Beschreibung, der sich hier von der (von ihm so bezeichneten) „Normalpsychologie“ abhebt, ist ein Affekt etwas aus der Wahrnehmung motorischer Aktionen und direkten Lust- und Unlustempfindungen Zusammengesetztes. Freud benutzt jedoch den Terminus Affekt in Verbindung zu Angstaffekt, der den Ursprung des Angstzustands des Menschen ist. Die genannten Empfindungen, aus denen ein Affekt entsteht, sind Überreste aus der frühkindlichen Entwicklungsphase des Menschen, in der sie die einzigen Vorgänge der Seele waren. Primär für diese Vorgänge sind das Erlangen eines Lustgefühls und die Verdrängung von Unlust. Freud bezeichnet dieses urmenschliche Verhalten, das die Ursache von Triebregungen auch im Erwachsenenalter ist und als gegensätzliches Prinzipienpaar das psychische Geschehen beherrscht, als Lust-Unlust-Prinzip; Empfindungen, die diesem Schema zuzuordnen sind, als solche der Lust-Unlust-Reihe (S. Freud, 2007, S. 31f; Roudinesco & Plon, 1997/2004, S. 635).
Der Psychoanalytiker stellt den Geburtsakt als erstes Erleben einer Gefahr dar: „Wir sagen uns, es ist der Geburtsakt, bei welchem jene Gruppierung von Unlustempfindungen, Abfuhrregungen und Körpersensationen zustande kommt, die das Vorbild für die Wirkung einer Lebensgefahr geworden ist und seither als Angstzustand von uns wiederholt wird.“ (S. Freud, 1994, S. 378). Dieses Angsterlebnis führt Freud auf eine Reizsteigerung zurück, das durch die Unterbrechung der Bluterneuerung, die Freud auch „innere Atmung“ nennt, beim Geburtsakt entsteht. Diese Unterbrechung führte zum ersten Erleben einer Angst und wird aufgrund ihrer Entstehung als toxisch bezeichnet. Auch die Bezeichnung „Angst“ wird auf dieses Erlebnis zurückgeführt: Freud gibt als Stamm des Begriffs sowohl angustiae (Enge) als auch anxietas (Ängstlichkeit bzw. Erleben von Ungewissheit und Furcht) an, das das Gefühl der Atmungsveränderung während des Geburtaktes beschreibt (von Schumacher, 1976, S. 29f). Ursache dieses Gefühls, das sich im Empfinden des Menschen bis ins Erwachsenenalter überträgt und sich auch dort manifestiert, ist die Trennung von der Mutter, die dem ungeborenen Kind Geborgenheit und Sicherheit gewährte und bis dahin die einzige Lebensumgebung bot. Durch die Trennung des Kindes vom Mutterleib wurde die Urfixierung des Kindes auf seine Mutter gestört, was Freud als Grundlage der Bildung einer Neurose erklärt. Der Psychoanalytiker bezeichnete aus diesem Grund den Vorgang der Geburt auch als Geburtstrauma (Toman, 1971/2007b, Sp. 671). Freud (1994, S. 379) wertete auch den Abgang von Mekonium als Anzeichen eines Angstgefühls bei der Geburt.
Die neurotische Angst hingegen zeigt andere Erscheinungsformen und somit andere Ursachen als die Realangst. Freud teilt die neurotische Angst in Unterformen ein: die frei flottierende Angst und die Angst der Phobien. Die frei flottierende Angst beschreibt er als eine allgemeine Ängstlichkeit, die frei an beliebige, „irgendwie passende“ (S. Freud, 1994, S. 379), Vorstellungsinhalte anknüpft, was „Erwartungsangst“ bzw. „ängstliche Erwartung“ genannt wird (von Schumacher, 1976, S. 32f). Nach Freuds Beschreibung entspricht dies einem ausgeprägten Pessimismus, der in jeder Alltagsituation auftreten kann. Geht dieser Pessimismus über das normale Maß hinaus, wird er als Angstneurose bezeichnet (von Freud zu den Aktualneurosen gerechnet). In Abgrenzung zur frei flottierenden Angst definiert die Psychoanalyse die Angst der Phobien. Diese Form der Angst ist psychisch gebunden und von bestimmten Objekten oder Situationen abhängig. „Eine Phobie ist eine anhaltende und unvernünftige Furcht vor einem bestimmten Objekt, einer bestimmten Tätigkeit oder Situation.“ (Comer, 1995/1995, S. 196). Bemerkenswert an einer Phobie ist, dass sie den Außenstehenden als stark übermäßig geäußerte Angst erscheint und das alltägliche Leben des Betroffenen bis zu einem unerträglichen Maß einschränken kann (Comer1995/1995, S. 195f). Phobien können als verstärkte Angst vor bedingt Gefährlichem wie dem Überqueren einer Brücke oder Blitzen ebenso auftreten wie als irreale Angst vor Schnee, Nebel oder Dingen russischen Ursprungs (Comer, 1995/1995, S. 202f). Die Phobie zeigt sich als Angst vor Dingen oder Situationen, auf die eine nicht geäußerte Angst projiziert wird. Freud (1995) zeigt dies am Beispiel des kleinen Hans, der als Kind Patient bei ihm war und eine Phobie vor Pferden entwickelt hatte. Verkürzt und vereinfacht dargestellt begründet Freud die Hippophobie seines Patienten im Kindesalter, dessen Angst vor seiner scheinbaren Rivalität mit seinem Vater um die Gunst der Mutter sich auf Pferde überträgt. Hans zeigte ab dem Alter von drei Jahren ein verstärktes Interesse für seinen Penis. Er wurde von seiner Mutter beim Spielen mit seinem Geschlechtsteil ermahnt und äußerte auch den Wunsch, sie möge die Hand auf seinen Penis legen. Dies erwiderte die Mutter mit der Androhung von Kastration. Nachdem das kleine Kind feststellte, dass das Geschlechtsteil des Vaters um ein wesentliches größer ist als sein eigener „Wiwimacher“, hatte er Angst, dass die Liebe seiner Mutter durch deren Liebe zum Vater geschmälert würde. Da der Vater mit ihm – wie auch später viele seiner Altersgenossen – öfters „Pferdl“ spielte, projizierte Hans die Angst vor der Vaterfigur auf Pferde im Allgemeinen, woraus sich die Pferdephobie entwickelte, was Freud anhand der oben genannten Geschehnisse mit Kastrationsangst identifizierte (Comer 1995/1995, S. 73f). Die Art der Verdrängung, die sich bei dem Jungen vollzog, bezeichnete Freud (2007, S. 113) als eine „gründlich missglückte“, da die Unlustersparnis nicht gelang. Im klinischen Erfahrungsbereich stieß die Psychoanalyse auf viele Verbindungen von Kastrationsangst und Ödipuskomplex, was in seiner Relevanz oft bezweifelt wurde (Green, 1990/2007, S. 41). Im Fall des kleinen Hans spielt infantile Masturbation und die Furcht vor der Bestrafung durch Kastration eine entscheidende Rolle. Eine – von der Mutter tatsächlich angedrohte (Meyer, 2005, S. 44) – Kastration erscheint dem Jungen als Bestrafungsmöglichkeit, da ihm in der phallischen Phase bewusst wird, dass es Menschen mit und ohne Penis gibt. Der Junge nimmt daraufhin – so Freuds Theorie – an, dass das Geschlechtsteil, das er noch nicht als männliches vom weiblichen unterscheiden kann, durch Abschneiden verloren ging (Green, 1990/2007, S. 58).
Freud (1994, S. 380f) klassifiziert Phobien in drei Gruppen, je nach objektiver Gefahr der Situation/ des Objekts, auf die/ das sich die Phobie bezieht. Er erklärt dies am Beispiel der Schlangenphobie, die er als noch normal menschliche Reaktion wertet, am Beispiel der Angst vor einer Eisenbahnfahrt, vor der zwar objektiv Gefahr ausgeht, die jedoch aufgrund des geringen Risikos einer Zugreise zu vernachlässigen ist, und der Gruppe von Phobien, die für das Verständnis eines psychisch gesunden Menschen nicht nachzuvollziehen sind, wie zum Beispiel Tierphobien, die auf harmlose Tiere (Katzen, Mäuse oder auch Pferde im Fall des kleinen Hans) projiziert sind, oder auch Situationsphobien wie die Agoraphobie. Letztgenannte Angststörung bezieht Freud (1994, S. 381f) interessanterweise wieder auf den Ursprung im Kindesalter: „Für den Mann mit Straßen- oder Platzangst drängt sich uns die einzige Erklärung auf, daß er sich benehme wie ein kleines Kind: Ein Kind wird durch die Erziehung direkt angehalten, solche Situationen als gefährlich zu vermeiden, und unser Agoraphobiker ist wirklich vor seiner Angst geschützt, wenn man ihn über den Platz begleitet.“
Einen weiteren Fall neurotischer Angst stellt Freud (1994, S. 382f) vor: den freien Angstanfall. Dabei ist weder eine Gefahr als Auslöser erkennbar, noch muss sich die komplette Angstsymptomatik zeigen. Das Auftreten dieser Angststörungen kann sich demnach auch in einem Angstäquivalent wie Zittern oder Schwindel äußern.
Freuds Anliegen ist, einerseits die neurotische Angst in Zusammenhang mit Realangst zu bringen und andererseits, ein Verständnis für die neurotische Angst zu entwickeln. Sein Ausgangspunkt ist die Maxime, dass beim Auftreten von Angst auch immer ein Angstauslöser da ist.
Wie entsteht nun neurotische Angst? Anhand klinischer Beobachtungen schreibt Freud ungenügende sexuelle Befriedigung als Ursache der neurotischen Angst zu. Die geforderte sexuelle Befriedigung ist Ausdruck der Libido des Menschen. Der Terminus „Libido“ – ursprünglich „Lust“ oder „Wunsch“ – wird von Freud benutzt, um die Äußerung des Sexualtriebs im Seelenleben des Menschen zu beschreiben (Roudinesco & Plon 1997/2004, S. 623). Er bezeichnet Libido als „sexuelle Energie, durch die der Mensch zur Suche nach Lustgewinn aus erogenen Körperzonen aktiviert wird.“ (Toman, 1971/2004c, Sp. 1273). Sexuelle Nichtbefriedigung betrifft als Bedingung für die Bildung einer Angststörung sowohl Männer als auch Frauen, die wegen fehlender Potenz (des Mannes) oder aus Verhütungsgründen einen verkürzten Geschlechtsakt vollziehen (Meyer, 2005, S. 29). Anstelle der libidinösen Erregung, die frustran befriedigt wird, tritt ein Angstgefühl auf, welches sich entweder in neurotischer Angst oder einem freien Angstanfall äußern kann. Es handelt sie hierbei also um die Aufstauung sexueller Energie ohne angemessene Entladung. Freud (1994, S. 383) manifestiert diese Vermutung durch die Beobachtung, dass die Angststörung bei Aufgeben dieser sexuellen Praxis erlischt (Mertens, 1981, S. 100). Dieser Zusammenhang zwischen Libido und Angst ist nicht nur auf das Pathologische zu beziehen. Auch eine (noch) nicht krankhafte Ängstlichkeit ist mit sexueller Einschränkung in Bezug zu setzen, wobei die Psychoanalyse die Umkehrung des Zusammenhangs, dass eine allgemeine Ängstlichkeit auch in sexuellen Dingen zu Zurückhaltung führt, entschieden ablehnt (S. Freud, 1994, S. 384). In bestimmten Lebensphasen ist der Einfluss von Libido besonders gravierend, was sich durch eine vermehrte Angstentstehung ausdrückt. Dazu gehören beispielsweise Pubertät und Menopause. Auch in Phasen verstärkter Aufregung kann es zu einer Vermischung von Angst und Libido oder einer völligen Ersetzung der Libido durch Angst kommen. Ausschlaggebend ist hier eine Anhäufung sexueller Erregung, die sich nicht entladen kann (Meyer, 2005, S. 29). Dies erklärt jedoch nicht die Wandlung von Libido in Angst, sondern zeigt nur die Beobachtung des Übergangs.
Ein weiterer Hinweis zur Entstehung von neurotischer Angst ergibt sich aus der Analyse von Psychoneurosen, speziell der Hysterie. Hier ist in Begleitung der Symptome (Dämmerzustände, Wahnvorstellungen, Amnesien, Affektausbrüche mit Wein- oder Schreikrämpfen, etc.) häufig auch Angst in verschiedenen Qualitäten zu beobachten
(Amelang, 1971/2007, Sp. 947). Durch Analyse der Situation, die als Auslöser des Angstempfindens dient, kann der unterbliebene psychische Ablauf, der durch den Angstzustand ersetzt wurde, erkannt werden. Dies zeigt, dass verdrängte Vorstellungsinhalte leicht durch Angst auszutauschen sind.
Als dritte klinische Manifestation neben Erwartungsangst durch unterdrückte Libido und als Begleitsymptom der Hysterie rechnet Freud Patienten mit Zwangshandlungen zu den von neurotischer Angst Betroffenen. Hier erscheint die Angststörung jedoch sekundär bzw. in verborgener Form. Offenbar wird krankhafte Angst in diesem Fall erst, wenn der Betroffene an der Durchführung seines durch diese Zwangsneurose bedingten Rituals gehindert wird. Die Angstempfindung wird also vermieden, indem die Handlung sie überdeckt (S. Freud, 1994, S. 385f; Toman, 1971/2007d, Sp. 2598). Aus den Entstehungsmechanismen der Erwartungsangst kann bis hier gefolgert werden, dass sie durch somatische Vorgänge (Ablenkung der Libido) ebenso wie durch Verweigerung psychischer Instanzen (Hysterie, Zwangsneurose) entstehen kann.
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