Die Diskussion in den Sozialwissenschaften um kollektive Identitäten hat seit dem Fall der Berliner Mauer scheinbar an Intensität und Ausmaß gewonnen. Der Fokus richtet sich darauf, kollektive Identitätsbildungsprozesse besser zu verstehen und Erklärungen für sogenannte ‚Ethnic Revivals’ zu finden. Das Phänomen Nationalismus wurde unter dem Mantel des Kalten Krieges und vielleicht auch über die Scham der Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges mehr oder weniger öffentlich totgeschwiegen (McCrone 1998, S.2). Eine schockartige Wirkung hatten dann die Vorgänge in den post-sozialistischen Ländern, das klassische Beispiel ist das ehemalige Jugoslawien, als sich Konfliktlinien zwischen einzelnen ethnischen Gruppen und kollektiven Identitäten ergaben, deren teilweise blutige Absteckung vor allen Dingen in Westeuropa nicht unbedingt so erwartet wurde. Auf der Suche nach Verständnis und Aufklärung für die gesellschaftlichen Transformations- und Identitätsbildungsprozesse ist klar geworden, dass bisherige Theorien auch um die gesellschaftliche Erfahrung der sozialistischen Erziehung und Sozialisation in den jeweiligen Staaten erweitert werden müssen. Alte Muster kollektiver Identitäten, welche in den sozialistischen Nationalstaaten auf verschiedene Weise unterdrückt und verzerrt erlebt und wahrgenommen wurden, treffen auf die Überbleibsel der kosmoplitischen sozialistischen Identitäten und Sozialstrukturen, und entwickeln mit ihnen zusammen ihre Wirkung in einer Welt der Globalisierung und neuen Wettbewerbs zwischen den Nationalstaaten. Die heutige Tschechische Republik, die jahrzehntelang zusammen mit der Slowakei einen gemeinsamen Staat bildete, ist in ihrer jetzigen Form noch keine zwanzig Jahre alt. Die Tschechen und die Slowaken haben sich institutionell voneinander getrennt, vielleicht auch deshalb, weil die tschechische Kultur im tschechoslowakischen Bündnis immer dominiert hatte (Znoj 1997, S.261). Um mehr über Identitätsbildungsvorgänge an einem konkreten Beispiel zu erfahren, widmet sich meine Arbeit dem Versuch, Debatten zur tschechischen Nation in ein soziologisches Profil zu fassen. Die Arbeit ist dazu in zwei größere Teile aufgeteilt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Kollektive Identitäten und nationale Identität
- 1. Kollektive Identitäten
- 1.1. Geschlecht
- 1.2. Territoriale Identitäten
- 1.3. Sozio-ökonomische Identitäten
- 1.4. Religiöse Identitäten
- 1.5. Religiöse und ethnische Identitäten
- 2. Nationale Identität
- 2.1. Elemente nationaler Identitäten
- 2.2. Nationenkonzepte
- 2.3. Funktionen nationaler Identitäten
- 2.3.1. Externe Funktionen
- 2.3.2. Interne Funktionen
- 2.4. Probleme nationaler Identitäten
- 2.5. Ethnische Grundlagen
- 2.6. Typen ethnischer Gemeinschaften
- 2.6.1. Laterale ethnische Gemeinschaften
- 2.6.2. Vertikale ethnische Gemeinschaften und ihre Transformationswege
- 3. Moderne und Antike in der Nation
- 3.1. Nationalismus und Moderne
- 3.2. Nationalismus und Industrialismus
- 3.3. Soziale Entropie
- 3.4. Die Bedeutung vormoderner Elemente
- 3.5. Die kulturelle Nation
- 3.6. Ethnische nationale Identitäten
- 3.7. Die Anwendung ethnischer Geschichte
- 3.8. Stärken und Schwächen
- 3.9. Ethnizität und Nationalismus
- 3.10. Ethnizität
- 3.11. Kollektive Identität in Krisen
- 3.12. Multiple Identitäten
- 1. Kollektive Identitäten
- III. Die tschechische Nationalidentität
- 1. Die Rolle von Ethnizität
- 1.1. Das Konzept der tschechoslowakischen Identität
- 1.1.1. Tschechoslawismus und Tschechoslowakismus
- 1.1.2. Das Bild der Tschechen von den Slowaken
- 1.1.3. Der Trennungsprozess
- 1.1.4. Gründe für die Trennung
- 1.2. Sprache und Nation
- 1.3. Mystifizierung auf Tschechisch
- 1.4. Landesname
- 1.1. Das Konzept der tschechoslowakischen Identität
- 2. Tschechische Nation und tschechische Geschichte
- 2.1. Das historische Gedächtnis der Nation
- 2.2. Das nationalistische Geschichtsbild
- 2.2.1. Der tschechische Mythos vom weißen Berg und sein poltitisches Potenzial
- 2.2.2. Das Münchner Abkommen und seine Wiedergutmachung
- 2.3. Tomas Masaryk & Vaclav Havel
- 2.4. Das nicht-nationalistische Geschichtsbild
- 2.5. Die Geburt der modernen tschechischen Identität
- 2.6. Die Sozialstruktur des Nationalbewusstseins
- 3. Nationale Symbole, Stereotypen, Traditionen
- 3.1. Die tschechische Nationalidentität und die postkommunistische soziale Transformation
- 3.1.1. Speziell tschechische Aspekte während der Revolution von 1989 und zur Zeit des Kommunismus
- 3.1.2. Das Öffentliche und das Private in der sozialistischen Tschechoslowakei
- 3.1.3. Opposition zum kommunistischen Regime
- 3.1.4. Symbolische Aspekte der ersten öffentlichen Demonstrationen
- 3.1.5. Schauplätze als nationale Symbole
- 3.1.5.1. Der Wenzelsplatz
- 3.1.5.2. Das Denkmal von Jan Hus
- 3.1.5.3. Die Prager Burg
- 3.2. Tschechische Märtyrersymbolik
- 3.3. Das Samt-Symbol
- 3.4. Die Wahrheit siegt
- 3.5. Stereotypen und Selbstbilder
- 3.6. Nationale Traditionen und ihr Einfluss auf politische Ereignisse
- 3.1. Die tschechische Nationalidentität und die postkommunistische soziale Transformation
- 1. Die Rolle von Ethnizität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht die tschechische nationale Identität im Kontext kollektiver Identitäten und historischer Entwicklungen. Sie analysiert die Rolle von Ethnizität, Geschichte und Symbolen im Aufbau und der Transformation der nationalen Identität Tschechiens.
- Kollektive Identitäten in Tschechien
- Die Entwicklung der tschechischen nationalen Identität
- Der Einfluss von Geschichte und historischem Gedächtnis
- Die Bedeutung nationaler Symbole und Stereotype
- Die tschechische nationale Identität im Kontext der postkommunistischen Transformation
Zusammenfassung der Kapitel
Teil I: Einleitung legt den Grundstein der Arbeit und beschreibt die Forschungsfrage.
Teil II: Kollektive Identitäten und nationale Identität analysiert verschiedene Formen kollektiver Identitäten und erörtert zentrale Aspekte nationaler Identität, einschließlich ihrer Funktionen und Probleme. Der Abschnitt beleuchtet die Interaktion von Moderne und vormodernen Elementen in der nationalen Identität.
Teil III: Die tschechische Nationalidentität untersucht die Rolle der Ethnizität in der Entstehung der tschechischen nationalen Identität, die Bedeutung der tschechischen Geschichte und des historischen Gedächtnisses, sowie nationale Symbole, Stereotype und Traditionen im Kontext der postkommunistischen Transformation.
Schlüsselwörter
Tschechische nationale Identität, Kollektive Identitäten, Ethnizität, Nationalismus, Geschichte, historisches Gedächtnis, Symbole, Stereotype, Postkommunismus, Tschechoslowakei, Transformation.
- Arbeit zitieren
- Jan Fischer (Autor:in), 2008, Debatten über die Nation in Tschechien - Versuch eines soziologischen Profils, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119181