Stottern in der heutigen Gesellschaft – Wie wird das Stottern im Wohlfahrtsstaat gesehen?


Hausarbeit, 2022

30 Seiten, Note: 1,9


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärung
2.1 Behinderung,
2.2 Stottern
2.3 Wohlfahrtsstaat

3. Ätiologie

4. UN-Behindertenrechtskonvention

5. Exkurs: ICF-Modell

6. Exklusion im Wohlfahrtsstaat durch das Stottern

7. Stottern in der heutigen Gesellschaft
7.1 Familie
7.2 Schule und Arbeit
7.3. Gesellschaftliches Leben

8. Staatliche Hilfen

9. Möglichkeiten der barrierefreien Teilhabe von Stotterern am Wohlfahrtsstaat

10. Fazit

11. Anhang

12. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache. (Wilhelm von Humboldt)1

„In Deutschland stottern rund 800.000 Menschen (also rund ein Prozent der Bevölkerung)“ (Fux, 2020). Das Stottern ist die bekannteste Form der Sprachstörung2 (vgl. Natke & Alpermann, 2010, S. 1). „Beim Stottern gerät der Redefluss ins Stocken“(Fux, 2020). Es handelt sich somit um eine Beeinträchtigung der Sprache.

Die Sprache ist das wichtigste Kommunikations- und Verständigungsmittel des Menschen. „Die Entwicklung der Sprache ist Bestanteil der gesamten physischen und psychischen Entwicklung des Menschen“ (Mielke, David, Hoppe & Stoll, 1993, S. 11).3 „Beim Sprechen handelt es sich vermutlich um die komplizierteste motorische Fertigkeit, die der Mensch erlernt und ausführt“(Natke & Alpermann, 2010, S. 1). Denn beim Sprechen müssen über 100 Muskeln sowie Atmung, Phonation und Artikulation perfekt aufeinander abgestimmt sein (vgl. ebd., 2010, S. 1). Sprache setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Prosodie (rhythmische Gliederung, Betonung), Phonologie (Sprachlaute), Morphologie (Worteinheiten), Syntax (Satzstruktur), Lexikon (Wortschatz) und Pragmatik (Regeln der Sprachverwendung) müssen erlernt und nach und nach optimiert werden (vgl.(Berk, 2011, S. 332 ff.).

Menschen sind soziale Wesen.4,5 Sie stehen durch unterschiedliche Beziehungen miteinander im wechselseitigen Kontakt. Der Kontakt findet durch die Kommunikation statt. Das Hauptmedium der Kommunikation ist neben der Mimik und Gestik die gesprochene Sprache (vgl. Kulbe, 2009, S. 84).

Eine stotternde Person verstößt beständig gegen allgemein übliche Kommunikationsregeln. Ihre Sprechstörung unterscheidet sie beträchtlich von anderen Menschen. In sozialen Situationen hat eine stotternde Person deshalb vermehrt gegen Ablehnung, Statusverlust, Abbruch der Kommunikation und Isolierung zu kämpfen (vgl. Fielder & Standop, 1992, S. 17 ff.).

In der heutigen, auf Perfektion ausgerichteten Leistungsgesellschaft ist das Stottern störend. Ein Mensch, der stottert, benötigt mehr Zeit, um sich zu äußern.6 Gleichzeitig werden heutzutage viele Formen der Diskriminierung angeprangert. Beispiele sind Versuche, gegen Mobbing vorzugehen, die Black-Lives-Matter-Bewegung und der Kampf um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch das Stottern an Bedeutung.

Stottern in der heutigen Gesellschaft – Wie wird das Stottern im Wohlfahrtsstaat gesehen?

Die Frage drängt sich auf, wie das Stottern in der heutigen Gesellschaft gesehen wird und wie das Stottern im Wohlfahrtsstaat gesehen wird.

Anfangs bedarf es eine genaue Begriffsbestimmung bevor wir in die Ätiologie gehen. Anschließend wird die UN-Behindertenrechtskonvention erläutert und das Stottern in der Gesellschaft beschrieben. In der Familie, der Schule und der Gesellschaft wird der Fokus gesetzt und die unterschiedlichen Lebenslagen sowie Perspektiven diskutiert.7,8

2. Begriffserklärung

2.1 Behinderung

Nach § 2 Abs. 1 S. 1SGBIX sind Menschenbehindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Sprachbehinderte sind Menschen, die beeinträchtigt sind, ihre Muttersprache in Laut und/oder Schrift impressiv und/oder expressiv altersgerecht zu gebrauchen, und dadurch in ihrer Persönlichkeits- und Sozialentwicklung sowie der Ausformung und Ausnutzung ihrer Lern- und Leistungsfähigkeit behindert werden (Knura, 1980, S. 3). Das Stottern gilt als die populärste Sprachbehinderung.

2.2 Stottern

„Stottern bedeutet unfreiwillige Blockierung, die Verlängerung von Lauten und die Wiederholung von Lauten“(Sandrieser & Schneider, 2008, S. 1). Diese knappe Definition beschreibt nur grob das Stottern. Grundsätzlich muss zwischen Stottern und Poltern unterschieden werden. „Poltern ist eine Redeflussstörung, in der Sprachsegmente der Konversation typischerweise als zu schnell, irregulär oder beides wahrgenommen werden. Die Segmente schnellen oder irregulären Sprechens werden von einem oder mehreren der folgenden Auffälligkeiten begleitet:

- exzessiven normalen Unflüssigkeiten,
- exzessivem Zusammenziehen oder Auslassen von Silben,
- abnormen Pausen, Silbenbetonung oder Sprechrhythmus“(Sick, 2014, S. 24).

Das Stottern ist eine Kommunikationsbeeinträchtigung, bei der das Kommunizieren miteinander9 gestört scheint. „Stottern ist als Behinderung10 anerkannt“(Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V., 2015).

Das Stottern beginnt11 meist im Alter von zwei bis fünf Jahren (zu 90% vor dem sechsten Lebensjahr).12 Hierbei ist die Verteilung auf die Geschlechter etwa gleich, jedoch stottern im Erwachsenenalter vier- bis fünfmal mehr Männer als Frauen. Das liegt daran, dass bis zur Pubertät 50-80% der Kinder ihr Stottern verlieren, und zwar Mädchen häufiger als Jungen.

In der Wissenschaft wird das Stottern als Krampfanfall verstanden, denn beim Stottern gerät die Sprechmuskulatur ins Stocken.13 Die Ursachen sind unterschiedlich. Es wird davon ausgegangen, dass über 80% der Stotterer ein krampfendes Zwerchfell besitzen. Dies bedeutet, dass die eingeatmete Luft zu schnell in die Luftröhre gepresst wird und die Stimmbänder blockieren. Die übrigen ca. 20% leiden an einem sogenannten Archen-krämpfe, das bedeutet, dass verschiedene Muskelgruppe in der Region des Rachens - oft die Zunge14 krampft (vgl. Neuner, 2011, S. 170 ff.).

Auch wenn vom Stottern 1% der Weltbevölkerung betroffen ist und es damit recht dominant erscheint, ist es wenig erforscht (vgl. Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V., 2015).15

2.3 Wohlfahrtsstaat

Es gibt keine allgemein anerkannte Definition für den Begriff „Wohlfahrtsstaat“. Der Versuch einer Definition16 ist zwei Problemen unterworfen: Erstens wird der Begriff „Wohlfahrtsstaat“ häufig synonym mit weiteren Begriffen benutzt, beispielsweise Sozialstaat, Sozialpolitik, soziale Frage, Arbeiterfrage, Sozialreform, soziale Marktwirtschaft, sozialer Rechtsstaat, System der sozialen Sicherung und Gesellschaftspolitik sowie mit den englischen Begriffen social security, welfare policy und welfare state. Das zweite Problem stellt die inhaltliche Analyse des Begriffs dar: Welche gesellschaftlichen Teilbereiche werden zum Wohlfahrtsstaat gezählt? Auch hierbei gibt es innerhalb der Sozialwissenschaft keine einheitlich gültige Definition. Vielmehr definieren alle AutorInnen den Wohlfahrtsstaat eigenständig (vgl.(Thole, Kessl, Kruse & Stövesand, 2017, S. 9 ff.).

Laut Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. „Mit dem Wohlfahrtsstaat wird ein Ersatz geschaffen für die traditional vermittelten Hilfs- und Solidarformen der sozialen Gemeinschaft, die im Prozess der Modernisierung wegbrechen oder nicht mehr ausreichend den Bedarf nach sozialer Absicherung erfüllen können und wollen“(Wansing, 2005, S. 20). Luhmann behauptet: „der Wohlfahrtstaat ist eine Überdehnung der Zuständigkeit der Politik, ein Ausgreifen der Politik in Bereichen, in denen sie nichts verloren hat und aus denen sie sich besser heraushalten sollte“(Kuchler, 2006, S. 2844). „Wohlfahrtsstaatliche Politik ist derjenige Teil der Staatstätigkeit, der darauf gerichtet ist, vor den Wechselfällen des Lebens und vor Verelendung zu schützen und/oder die Gleichheit der Lebensführung zu befördern“(Schmidt & Siegel, 2007, S. 21).

3. Ätiologie

„Das Stottern ist ein universelles Phänomen, das in allen Kulturen und sozioökonomischen Schichten auftritt. Es ist keine moderne Störung, sondern begleitet die Menschen schon seit langer Zeit“(Natke & Kohmäscher, 2020, S. 1). „Noch können wir keine verlässliche Aussage über die Ursachen des Stotterns machen. Trotz zahlreicher Untersuchungen zum Stottern sind Zusammenhänge, die als kausale Ursachen des Stotterns zu betrachten sind, nicht gefunden worden“(Wendlandt, 2009, S. 13). Die möglichen Therapieformen und -arten lassen sich ebenfalls nur vage skizzieren.17

Auch wenn detaillierte Statistiken fehlen, ist das Stottern auf der ganzen Welt bekannt. In jedem Land gibt es vermutlich Personen, die stottern (vgl.(ebd., 2020, S. 1 ff.). „Das Stottern tritt meist vor dem 5. Lebensjahr auf“(Natke & Kohmäscher, 2020, S. 22). Es entsteht meist ohne ersichtlichen Anlass in der Kindheit, wenn sich Sprechen und Sprache am schnellsten entwickeln. In der Vergangenheit wurde das Stottern oft mit Umwelteinflüssen in Verbindung gebracht. Nicht selten wurde versucht, das Stottern damit zu erklären, dass das Kind erschreckt wurde, eine Lungenkrankheit oder eine kognitive Behinderung habe.

Bei den meisten Kindern legt sich das Stottern wieder. Bislang lässt sich nicht vorhersagen, bei welchen Kindern dies der Fall ist. Im Vergleich zu nichtstotternden haben stotternde Menschen häufig stotternde Verwandte. Es gibt also möglicherweise eine Veranlagung zum Stottern (vgl.(ebd., 2020, S. 2 ff.).

4. UN-Behindertenrechtskonvention

„Auf der politischen Ebene gibt es seit den 1990er Jahren und im neuen Jahrtausend eine Bewegung in den Gesetzesbestimmungen zur Integration behinderter Menschen. Nachdem im Jahre 1994 das Grundgesetz in Artikel 3 Abs. 3 um den Satz ‚Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden‘18 ergänzt wurde, folgte das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter mit Wirkung ab Oktober 2000. Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) trat im Juli 2001 in Kraft und fasste die bisher geltenden Rehabilitations- und Schwerbehindertenrechte zusammen und entwickelte sie fort“(Fröhlich, 2008, S. 18). „Die Grundrechte verbieten punktuelle Eingriffe der Politik in andere Funktionssysteme und sichern so die Autonomie dieser anderen Systeme“(Kuchler, 2006).

Menschen mit einer Behinderung sind und waren weltweit massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dabei wird die Zahl der Personen, die von einer Behinderung betroffen sind, weltweit auf ca. eine Milliarde geschätzt. Dies entspricht 15% der Weltbevölkerung. Spätestens seit dem Bericht des UN-Sonderberichterstatters.

„Die UN-Behindertenrechtskonvention wurde am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und gilt mittlerweile für fast Dreiviertel aller Staaten weltweit“ (ebd. 2014, S. 1).19 Die Konvention ist kein neues Gesetz, sondern ergänzt bestehende Gesetze und internationale Vereinbarungen zu den Menschenrechten. Sie spezifiziert diese und spricht konkrete Handlungsanweisungen aus (vgl. (ebd. 2014, S. 3 ff.).

In Deutschland wurde zwischen 2001 und 2006 ein zusätzlicher Meilenstein gelegt. Mit der Schaffung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG), dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und der Antidiskriminierungsgesetzgebung hatte die Bundesrepublik Deutschland eine internationale Vorreiterrolle inne (vgl. Bernier, 2014, S. 14).

Am 26. März 2009 trat in Deutschland das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft. Damit verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, nicht nur die Rechte der Menschen mit Behinderungen zu wahren und zu beschützen, sondern auch Einrichtungen und Mittel für die Umsetzung der Rechte bereitzustellen. Die Umsetzung ist auf allen Ebenen gefordert (vgl. Demke, 2014, S. 2 ff.).

5. Exkurs: ICF-Modell

Die Internationale Klassifizierung zur Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) fasst das Syndrom des Stotterns unter dem Punkt Funktionen des Redeflusses und Sprechrhythmus zusammen. DieICFdient fach- und länderübergreifend als einheitliche und standardisierte Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren eines Menschen. Mit derICFkönnen die bio-psycho-sozialen Aspekte von Krankheitsfolgen unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren systematisch erfasst werden.

Die Klassifikation wurde 2001 als Nachfolgerin derICIDHvon derWHO20 herausgegeben und ehrenamtlich durch Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übersetzt“ (Bundesinstitut für Arzeneimittel und Medizinprodukte, 2021). Das alte System war defizitorientiert. Das neuere Modell ist dagegen ressourcenorientiert. Es werden Bereiche klassifiziert, in denen Behinderungen auftreten können. Die Partizipation und deren Beeinträchtigung werden neu definiert als Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person (ICD) und ihren person- und umweltbezogenen Kontextfaktoren. „Die ICF umfasst die objektiv erfassbaren Dimensionen des menschlichen Lebens. Die subjektive Dimension der Funktionsfähigkeit und Behinderung (subjektives Wohlbefinden) ist dabei nicht eingeschlossen, bildet aber ein ebenso wichtiges Element bei der Beurteilung von Lebensqualität“(Rentsch & Bucher, 2005, S. 17).

Siehe Anhang 2. S.25

[...]


1 Humboldt definiert die Sprache als artikulierten Schrei (vgl. Tabant, 2008, S. 25). Für Humboldt erübrigt sich die systematische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sprachursprung, „die für Mendelssohns Sprachphilosophie von zentraler Bedeutung gewesen war, denn hinter die Bestimmung des Menschen als eines Sprachgeschöpfes kann nicht mehr zurückgegangen werden“. „Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache […], um aber die Sprache zu erfinden, müßte er schon Mensch seyn“ (Humboldt, zitiert nach Schneider, 1994, S. 103).

2 Außerdem gehören Poltern und Stammeln zu den anerkannten Sprachbehinderungen.

3 Der Erwerb der Sprache ist für jedes Kind ein wichtiger Entwicklungsschritt. Um ihn zu meistern, muss es eine Vielzahl von Regeln beherrschen. Der Spracherwerb beginnt bereits pränatal, durch die auditive Wahrnehmung der mütterlichen Stimme. Das erste Wort spricht das Kind mit ca. einem Jahr. Bereits mit 18 Monaten erreicht das Kind einen Wortschatz von 50 Wörtern und versteht ca. 200 Wörter rezeptiv. Der Ausbau des Wortschatzes vollzieht sich stetig. Bereits am Ende des dritten Lebensjahres kann ein Kind eine Satzäußerung mit elf Wörtern tätigen (vgl. Berk, 2011, S. 331 ff.).

4 „Menschen sind essentiell auf die Sprache angewiesen […]. Mit der Sprache benennen und unterscheiden wir die Dinge der Welt. Sie ist Grundlage für Erkenntnisse und Einsicht in Zusammenhang, für Urteil und Wertung, sie ermöglicht es, sich darüber zu verständigen. Erfahrungen, Wissen und Wertvorstellungen der Menschen vergangener Zeiten und der Gegenwart werden durch Sprache überliefert“(Weigt, 1997, S. 12).

5 Der Mensch [ist] ein geselliges Wesen“(Künkel, 2003, S. 13) und benötigt die Gesellschaft, um ein geselliges Wesen zu werden.

6 „Stottern ist eine Störung, die für Mitmenschen zumeist deutlich hörbar und sichtbar in Erscheinung tritt“ (von Tiling, Crawcor & Hoyer, 2014, S. 7).

7 „Eine Behinderung ist eine dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich, der allgemein ein entschieden negativer Wert zugeschrieben wird. ‚Dauerhaftigkeit‘ unterscheidet Behinderung von Krankheit. ‚Sichtbarkeit‘ ist im weitesten Sinne das ‚Wissen‘ anderer Menschen um die Abweichung“(Cloerkes, 2007, S. 8).

8 „Behinderung“ ist in der Pädagogik ein relativ junger Begriff. Erst in den 70er Jahren wurde er in der deutschsprachigen Heil- und Sonderpädagogik zum konstituierenden Zentralbegriff. Im wesentlichen dazu bei trug Ulrich Bleideck 1971 mit seinem Werk Pädagogik der Behinderten, in dem er den Behinderungsbegriff ausführlich skizziert und diskutiert.

9 Es tritt in der Regel nicht auf, wenn die Betroffenen allein vor sich hinsprechen. Auch bei Kopfgesprächen wird nicht gestottert. Stotternde Menschen können flüssig sprechen, ihre Sprechfähigkeit ist nicht gestört. Das Problem des Stotternden ist somit nicht das Sprechen, sondern das Sprechen beim Kommunizieren. Erst im Kontakt mit anderen Personen wird das Stottern hörbar.

10 Behinderungen werden grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilt: die sichtbaren und die nicht sichtbaren Behinderungen (vgl. Haupt & Wieczorek, 2007, S. 64).

11 Der historische Ursprung des Stotterns ist unbekannt. Es wird vermutet, dass das Stottern beziehungsweise Sprechstörungen aufkamen, als der Mensch das Sprechen lernte, indem er Laute zu Worten formte. Wissenschaftler fanden heraus, dass bereits der Homo erectus eine Sprachfähigkeit besaß. Dieser lebte etwa vor 1,5 Millionen Jahren. Sicher ist, dass der Homo sapiens vor 150.000 Jahren das erste Wort sprach (vgl.(Ziegler, 2020).

12 „Der durchschnittliche Beginn ist mit 2,8 Jahren. Der etwas höhere Anteil von stotternden Jungen zu Beginn verschiebt sich bis zum Jugendalter noch, da mehr Mädchen eine Remission erfahren“(Sandrieser, 2021, S. 26).

13 „Stottern bedeutet eine unfreiwillige Blockierung, die Verlängerung von Lauten und die Wiederholung von Lauten“(Sandrieser & Schneider, 2008, S. 1).

14 Die Zunge ist für das Sprechen äußert wichtig. Die Zunge trägt die Hauptaufgabe der Artikulation, aber auch diese Funktion kann gestört sein. „Die bekannteste Form ist das ‚Lispeln‘ bzw. der ‚Sigmatismus‘, bei dem die Zunge bei der Artikulation des Lautes /s/ zwischen die Zähne rutscht“(Waltraud, 2016).

15 „Stottern Japaner eigentlich auch? Ja, denn rund 1 Prozent der Weltbevölkerung ist von Stottern betroffen, allein in Deutschland sind es mehr als 800.000 Menschen. Stottern beginnt meist im Kindesalter, ganz unabhängig von der kulturellen und sozialen Herkunft, in Afrika wird ebenso gestottert wie in Europa oder in den USA“ (Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V., 2015).

16 Der Begriff des Wohlfahrtsstaates ist komplex und lässt sich schwer präzise definieren. In der Sozialwissenschaft existiert kein Konsens darüber, was unter einem Wohlfahrtsstaat zu verstehen ist.

17 Die Behandlung des Stotterns lässt sich bis weit in die Geschichte zurückverfolgen. Die erste „Therapie“ begann bereits vor Christus. 382 v. Chr. hatten die großen Redner Übungsräume, um den Vortrag zu proben. Sir Francis Bacon machte die Kälte der Zunge verantwortlich für das Stottern. Daher wurde heiße Kohle auf die Zunge gelegt, damit die Zunge flexibler wurde. Um 1837 wurde versucht, das Stottern zu heilen, indem beispielsweise ein Teil der Zungenwurzel weggeschnitten oder die Zunge gekürzt wurde, damit sie flüssiger arbeitete. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde versucht, das Stottern durch gezielte Sprech- und Atemübungen wie Flüstern zu heilen (vgl.(Natke & Alpermann, 2010, S. 85 ff.).

18 „Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist die Achtung gleicher Rechte von Menschen mit Behinderungen Verpflichtung geworden“ (Aichele, 2019, S. 1).

19 Siehe Anhang 1. S.25

20 „Allgemeines Ziel der WHO ist es, in einheitlicher und standardisierter Form eine Sprache und einen zur Beschreibung von Gesundheits- und mit Gesundheit zusammenhängenden Zuständen zur Verfügung zu stellen. Sie definiert Komponenten der Gesundheit und einige mit Gesundheit zusammenhängende Komponenten von Wohlbefinden, wie Erziehung, Bildung und Arbeit“(Rentsch & Bucher, 2005, S. 17).

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Stottern in der heutigen Gesellschaft – Wie wird das Stottern im Wohlfahrtsstaat gesehen?
Hochschule
Universität Trier
Note
1,9
Autor
Jahr
2022
Seiten
30
Katalognummer
V1192272
ISBN (eBook)
9783346630988
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Stottern, Wohlfahrtsstaat, UN-Behindertenrechtskonvention, ICF Modell, Stottern in der heutigen Gesellschaft, Behinderung Sprachbehinderung
Arbeit zitieren
Felix Girst (Autor:in), 2022, Stottern in der heutigen Gesellschaft – Wie wird das Stottern im Wohlfahrtsstaat gesehen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1192272

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