James Bond 007: Stirb an einem anderen Tag am gleichen Ort. Die Kontinuität in James-Bond-Filmen anhand der dargestellten Orte


Masterarbeit, 2021

78 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

1. Das Bond-Universum: der Kanon und die Kontinuität

2. Orte und Räume in der Moderne und Gegenwart
2.1 Von Nicht-Orten und Transit-Orten
2.2 Von Transit-Räumen und Heterotopien
2.3 Von Naturorten und Orten des Tourismus
2.4 Von Orten nach Besitzverhältnissen

3. Beobachtungen zu den Orten und Räumen
3.1 Die Orte und Räume der Gegenspieler
3.2 Die Orte und Räume der Protagonisten und ihrer Verbündeten in Relation zu denen der Gegenspieler
3.3 Transit-Orte & -Räume sowie Naturorte
3.4 Kulturorte/-räume & touristische Orte
3.5 Hotels, Kasinos & Spielorte

4. Die örtliche Strukturierung der James-Bond-Reihe
4.1 Die radiale Darstellung der Bond-Filme nach Tendenzen

5. Das Raum-Ortsdiagramm am Beispiel von Dr.No

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Online-Literatur

Filmografie

Ludografie

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die örtliche Strukturierung der James-Bond-Reihe. Eigenanfertigung.

Abbildung 2: Die radiale Darstellung der Bond-Filme nach Tendenzen. Eigenanfertigung.

Abbildung 3: Das Raum-Ortsdiagramm am Beispiel von Dr. No. Eigenanfertigung.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Der Name ist Bond, James Bond: Im Geheimdienst Ihrer Majestät fährt der weltweit wahrschein­lich bekannteste Spion - ein Status, der einem Geheimagenten auf Dauer wohl nicht zu Gute kommt - schnelle, teure Sportwagen der Marke Aston Martin, trinkt geschüttelte Martinis, nutzt hilfreiche, teilweise fremdartige Hilfsgeräte sowie seine Walther PPK, jagt einem Superschurken nach dem anderen hinterher, erobert Damenherzen mit seinem Charme und seiner Intelligenz und bereist dabei die weite sowie exotische Welt (vgl. Francis 2021). Dabei ist er immer ungefähr im gleichen Alter (vgl. Proctor 2015, 3) und meistens im gesundheitlichen Idealzustand, wenn er sich nicht gerade von einer Verletzung erholt (vgl. TWINE 1999, TC: 00:17:02). Diese Formel an Wie­dererkennungsmerkmalen (vgl. Greve 2012, 36 & 43), welche hier zugegebenermaßen sehr grob zusammengefasst werden, charakterisiert eine der langjährigsten und erfolgreichsten Filmreihen der Kinogeschichte (vgl. Osterkorn 2012, 3). Seit fast sechzig Jahren rettet James Bond nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern gar die ganze Welt vor der Vernichtung und anderen Bedro­hungen. Ian Flemings Romanfigur wird in den offiziellen Filmen - der Unterschied zu den inoffi­ziellen wird noch erläutert - von sechs verschiedenen Schauspielern verkörpert (vgl. Werner 2021), die unterschiedlich aussehen und der Figur jeweils eine individuelle Nuance verleihen (vgl. Proctor 2015, 3). Auch andere bekannte Figuren der Reihe, wie etwa Miss Moneypenny, M oder Felix Leiter, werden von mehreren Darstellern gespielt (vgl. Teichmann 2012a, 98-100). Abgesehen da­von, dass nicht nur die Hauptrolle im Laufe der Jahre stets neu besetzt und dadurch die Reihe ,aufgefrischt‘ wird, gibt es auch Überschneidungen zwischen den einzelnen Epochen. Judi Dench etwa spielt Bonds Chefin mit dem Codenamen M sowohl in der Ära Brosnans als auch in den Filmen mit Daniel Craig (vgl. Tesche 2008, 27 & 30), bis ihre Figur in Skyfall ermordet und sie in der Folge von Ralph Fiennes abgelöst wird (vgl. SKF 2012, TC: 02:05:05 & 02:11:30). Dieser spielt ihren direkten Nachfolger, der auch den Codenamen M trägt, jedoch eine andere Figur dar­stellt (vgl. 2012, TC: 00:33:40 & 02:11:30). Q wird über Jahrzehnte hinweg von dem britischen Schauspieler Desmond Llewelyn gespielt, bis dieser nach der Premiere von The World Is Not Enough 1999 bei einem Autounfall ums Leben kommt (vgl. Teichmann 2012a, 101). Er ist damit der Quartiermeister für fünf verschiedene Bond-Darsteller (vgl. Tesche 2008, 14) und stattet sie mit jeweils epochentypischen, aber in Teilen auch futuristisch wirkenden Werkzeugen aus (vgl. ebd.). Diese Wechsel sind vor allem der Natur der Zeit geschuldet, werfen jedoch Fragen zur Fi­gurenkontinuität in der Serie auf: Ist James Bond in Dr. No etwa derselbe James Bond wie in Casino Royale, auch wenn er von jemand anderen verkörpert wird? Hat Timothy Daltons James Bond dasselbe erlebt wie Pierce Brosnans Bond? Haben Roger Moores Verkörperung und George Lazenbys Darstellung des Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten dieselbe Ehegattin durch die Kugeln Blofelds verloren?

Innerhalb der Anhängerschaft der James-Bond-Filme herrschen daher verschiedene Vorstellungen darüber vor, wie eine Kontinuität denkbar wäre, über welche kontrovers diskutiert wird (vgl. Pro­ctor 2015, 3). Einen Versuch, die Narration der Reihe verständlich in eine kontinuierliche Abfolge zu bringen (vgl. 2015, 1), stellt die sogenannte Code-Namen-Theorie dar, nach welcher der Name James Bond sowie die Nummer 007 Codenamen seien, die von Mann zu Mann weitergetragen werden (vgl. Gillis 2021). Die Nummer 007 wird allerdings im neuen Bond-Film No Time To Die voraussichtlich an eine Frau gehen (vgl. Marain 2020). Diese Theorie erscheint bei genauerer Be­trachtung jedoch kaum haltbar, da die Figur Bond z.B. eine Hintergrundgeschichte besitzt, die auf eine, in der Fiktion tatsächlich existierende, Familie namens Bond verweist (vgl. Wojnar 2019). Denkbar wäre daher auch ein Modell mit zwei oder mehreren Zeitlinien. Dies wird durch den in­haltlichen Neustart mit Casino Royale, der ersten Mission des Spions, untermauert (vgl. Koenig 2016). Daher könnte von Dr. No bis Die Another Day entsprechend derselbe Mann dargestellt werden und ab eben jenem Neustart eine zweite Bondverkörperung die zentrale Figur der Filmreihe sein (vgl. ebd.). Der verkomplizierende Faktor ist in allen Fällen jedoch die Zeit und ihre sichtbaren Auswirkungen. Um eine Kontinuität zu finden, welche die Gesamtheit der Reihe verbindet und sich der dargestellten Figurenproblematik entzieht, wäre es deshalb, auch wenn es zunächst etwas verwirrend erscheinen mag, eine weitere Möglichkeit, die zeitabhängigen Variablen aus der Glei­chung zu streichen, um dieses Problem der Kontinuität zu lösen. Das Rezept eines typischen Bond­films, das sich durch die Reihe hindurchzieht, besteht im Wesentlichen, wie einleitend beschrieben, aus Martinis, Waffen, Autos, Frauen, Bösewichten, Verbündeten und exotischen Schauplätzen. Da die Figuren von neuen Darstellern verkörpert werden und sich die Technologie stetig weiterentwi­ckelt, bleiben für diesen Untersuchungsansatz der Beständigkeit der Filmreihe die Martinis und die Schauplätze, da sie eben ,zeitunabhängig‘ sind. Letztere - die Martinis werden nicht Teil der Be­trachtung sein - sind deshalb von der Zeit unabhängig, da ihr ,Altern‘ nicht zwangsläufig von Bedeutung für die Filmhandlung ist: Ein Bauwerk, welches als Kulisse dient, kann neu oder antik sein, es stellt in jedem Falle einen Handlungsort dar. Mit dem Fokus auf die Orte wird das Haupt­augenmerk der Diskussion daher von der Figur Bond weggelenkt, wodurch es möglich wird, un­terschiedliche filmische Darstellungen des literarischen Vorbildes unabhängig der Zusammen­hänge auf inhaltlicher und figuraler Ebene vergleichbar zu machen. Die Frage, ob die dargestellte Figur Bond im Laufe der Zeit dieselbe ist und dadurch mehrere Zeitlinien resultieren, wird dadurch für die vorliegende Abschlussarbeit irrelevant.

Es wäre allerdings denkbar, eine Kontinuität oder ,Genealogie‘ der dargestellten technischen Hilfs­mittel zu erforschen. Diese würden sich jedoch nur schwer dafür anbieten, strukturelle Überschnei­dungen zwischen den Filmen zu offenbaren. Ferner sind Gerätschaften in eine Evolution eingebun­den, die letzten Endes ihr Alter offenbart. So steht zum Beispiel der Aston Martin DB5, jenes Auto, welches aus dem Film Goldfinger bekannt ist (vgl. Tesche 2008, 12), im Film Spectre im völligen Kontrast zum zeitgenössischen Aston Martin Valhalla (vgl. SPE 2015, TC: 00:24:45 & 02:15:00). Der DB5 kann hier als Referenz verstanden werden, die nicht nur auf einen Film, sondern auf die gesamte Reihe abzielt: ,der Aston Martin DB5: das ikonische Auto James Bonds‘ (vgl. Tesche 2008, 12; vgl. Brauer 2020).

Die Orte hingegen könnten offenbaren, dass James Bond sowohl im Jahre 2006 als auch 1971 in einem Kasino spielt. Denn Kasinos treten in mehreren Filmen der Reihe in Erscheinung (vgl. Gore 2020), sodass, oberflächlich betrachtet, hier auf der Ebene der Schauplätze bzw. dargestellten Orte auf Parallelen zwischen den einzelnen Titeln der Reihe hingewiesen wird (vgl. Weber 2007, 65). Das wiederum wirft die Frage auf, ob größere strukturelle Ähnlichkeiten und Muster zwischen den einzelnen Teilen anhand der dargestellten Orte sichtbar sind. Im Vordergrund der Betrachtung ste­hen somit nicht die konkreten Orte, wie etwa der Eiffelturm in A View To A Kill (vgl. Tesche 2008, 148), und wie oft dieser in Erscheinung tritt, sondern verschiedene Typen sowie Kategorien von Orten und Räumen, welche untersucht werden sollen. Die Frage wäre demnach, wie Sehenswür­digkeiten, wie beispielsweise der angeführte Eiffelturm, in Szene gesetzt werden und welche Funk­tionen sie dabei einnehmen. Denkbar sind auch mehrere Formen von Bond-Filmen, die sich durch verschiedene Orts- und Raumstrukturen bzw. Abfolgen der Orte auszeichnen. Wenn dies der Fall sein sollte, wäre zu fragen, ob diese unterschiedliche Kontinuitäten darstellen oder aus Variationen einer Formel resultieren. Dabei stellt eine denkbare Orts- und Raumkontinuität der Reihe, welche die Figuren und die Zeit weitestgehend unberührt lässt, nur eine von mehreren Formen der Konti­nuitäten dar. Das bedeutet, dass auch auf anderen Ebenen, wie etwa auf der Figurenebene, Konti­nuitäten denkbar sind, die Orts- und Raumfortführung jedoch auch ohne diese funktioniert. Die Orte bieten zudem Requisiten, mithilfe derer der Raum bzw. die Lokalität konstituiert und charak­terisiert wird. Ferner können auch Autos als Orte - des Transits - verstanden werden. Demgemäß stellen der Aston Martin DB5, der Aston Martin Valhalla sowie andere Automobile und Fahrzeuge nichtsdestoweniger ebenso einen Teil der Betrachtung dar.

Im Rahmen dieser vorliegenden Masterarbeit wird daher angenommen, dass durch das Erscheinen gleicher Orte, wie etwa Kasinos oder Sehenswürdigkeiten, in verschiedenen Bond-Filmen aus un­terschiedlichen Epochen eine ,zeitlose‘ Kontinuität resultiert, welche unabhängig vom Produkti­onsjahr sowie vom Figurenkontext funktioniert und die Reihe in Gänze miteinander verbindet. Ferner wird vermutet, dass diese Orte gleiche Merkmale aufweisen und in ihnen dadurch gleiche Räume entstehen, die aus einem jeweiligen Handlungsrahmen resultieren bzw. mit ihnen in einer Wechselbeziehung stehen. Darüber hinaus könnten verschiedene Typen Bond-Filme existieren, die sich anhand ihrer Struktur - also in der Abfolge der dargestellten Orte - unterscheiden .

Im ersten Kapitel wird zunächst der zu untersuchende Kanon definiert, wofür ein Einblick in das mediale Bond-Universum gegeben wird. Hierzu wird erläutert, welche Filme ,offiziell‘ und somit Teil der Betrachtung sind. Ferner wird hierbei anhand einzelner Beispiele kurz auf die Kontinuität, vornehmlich auf der Ebene der Figuren und der Handlungen eingegangen, um zu verdeutlichen, dass Merkmale von Beständigkeit existieren und sich teilweise im Widerspruch befinden.

Im zweiten Kapitel werden anschließend verschiedene Überlegungen zu Raum- und Ortstheorien der Moderne diskutiert. Zentral für die Betrachtung ist das Motiv der modernen Reise, weswegen vor allem Transit-Orte, aber auch der Tourismus und seine Beziehung zu Orten im Fokus stehen werden. In diesem Kapitel soll die Frage beleuchtet werden, wie die moderne Infrastruktur bzw. die Räume und Orte unserer modernen Welt beschrieben und folglich kategorisiert werden können. Auch jene Orte, die sich dieser Moderne entziehen bzw. nicht aus dieser resultieren, sollen be­schreibbar gemacht werden. Für den besseren Überblick werden die Orts- sowie die Raumkatego­rien, welche aus dem theoretischen Rahmen hervorgehen, abschließend zusammengestellt.

Im darauffolgenden dritten Kapitel werden allgemeine Betrachtungen thematisiert, welche ohne eine visuelle Darstellung der Verteilung der Orts- sowie Raumkategorien erkennbar sind. Aus die­ser Analyse sollen Erkenntnisse über wiederkehrende Muster gewonnen werden, welche auf eine Kontinuität der Schauplätze und Räume hinweisen. Diese Beobachtungen werden anhand der ein­zelnen aufgestellten Kategorien erfolgen, welche ebenfalls untereinander in Beziehungen stehen können. Die hier verwendeten Definitionen und Benennungen der Einstellungsgrößen beziehen sich auf das Studienhandbuch Filmanalyse von Beil, Kühnel und Neuhaus (vgl. Beil, Kühnel und Neuhaus 2012, 83-84).

Die Kategorien werden im vierten Kapitel in einem Diagramm visuell dargestellt, um die gesam­melten Erkenntnisse und Ergebnisse bezüglich dieser Kontinuität innerhalb der Reihe greifbar zu machen. Mit dieser Visualisierungsform sollen strukturelle Überschneidungen, nach Reihenfolge und Frequenz der hier aufgestellten Kategorien, sichtbar gemacht werden. Die aus dieser Visuali­sierung hervorgehenden Feststellungen werden darauffolgend diskutiert und erörtert. Hierbei wird zudem der Frage nach einer Unterscheidung verschiedener Typen der Bondfilme nachgegangen.

Anhand des Beispielfilms Dr. No wird anschließend die Verteilung der Räume und ihre Bedeutung für den Film untersucht und erörtert. Der Unterschied zwischen Raum und Ort wird bereits im theoretischen Teil beleuchtet und stellt eine zentrale Annahme für die vorliegende Masterarbeit dar, welche die Betrachtung beider Ebenen erklärt. In einem Abriss werden die Ergebnisse zusam­mengefasst, diskutiert und kontextualisiert. Das Kontinuitätsthema samt den Feststellungen wird folglich in einem Ausblick über mögliche weiterführende Themen und Untersuchungsmöglichkei­ten fortgeführt.

1. Das Bond-Universum: der Kanon und die Kontinuität

Die James-Bond-Filme handeln von dem gleichnamigen britischen Spion des Mi6 - des britischen Auslandsgeheimdienstes -, seinen Abenteuern und Missionen. Diese greifen jeweils verschiedene, gefährliche Gegenspieler aus ominösen Kreisen auf, welche unterschiedliche und illegale Absich­ten verfolgen - wie etwa die Vernichtung der Menschheit und ihrem ideologischen Neuaufbau in Moonraker (vgl. Tesche 2008, 71) oder Drogengeschäfte im großen Stil, wie in Licence To Kill (vgl. 2008, 46). Auf seinen gefährlichen Missionen trifft er auf lokal agierende Verbündete, zahl­reiche Handlanger und macht dabei auch Bekanntschaften mit Damen, welche in der Fachliteratur als „ Bond-Girls [kursiv durch den Verfasser]“ (Tesche 2008, 16) bezeichnet werden (vgl. ebd.). Zu seiner Seite stehen sein Vorgesetzter bzw. seine Vorgesetzte mit dem Codenamen M, Ms Sek­retärin Miss (Eve) Moneypenny sowie der Quartiermeister Q, welcher zusammen mit seiner Ab­teilung die technische Ausstattung entwickelt, die Bond auf seinen Einsätzen verwendet. Da Bond ein Spion des Auslands- und nicht des Inlandsgeheimdienstes ist, agiert dieser folglich in unter­schiedlichen Ländern und Regionen weltweit. Die Filme, welche dem Genre des Spionagefilmes zugeordnet werden können (vgl. Seesslen 2012, 87-88), zeigen neben Bonds Agieren als Spion daher auch Eindrücke aus, aus europäischer Sicht, ,exotischen‘ Ländern, wie etwa Thailand, Japan oder auch Brasilien (vgl. Tesche 2008, 4-5).

Die literarische Vorlage der Filme bildet die Buchreihe Ian Flemings, die er bis zu seinem Tode 1964 geschrieben hat und welche von offiziellen Nachfolgeautoren bis zum heutigen Tage fortge­führt wird (vgl. 2008, 10-11). Die Bücher unterscheiden sich von der Filmreihe vor allem in der Veröffentlichungsreihenfolge (vgl. 2008, 11 & 26). So stellt Casino Royale das Erstlingswerk dar, allerdings erschien es in einer offiziellen Filmfassung erst als 21. Verfilmung im Jahre 2006 (vgl. ebd.). Doch was bedeutet im Kontext der James-Bond-Filme ,offiziell‘ und davon ableitend ,inof- fiziell‘? Bereits in der Einleitung war von ,offiziellen‘ Filmen die Rede. Diese Trennung ist ent­scheidend, da sich die Untersuchung auf erstere Filme beziehen wird, die von der Produktionsfirma EON Productions produziert worden sind, welche die Lizenzen und Rechte an der Figur des James Bond hält (vgl. Greve 2012, 37). Dies schließt die ersten 24 Filme ein, also von Dr. No bis Spectre, die in der Zeit von 1962 bis 2015 erschienen sind. Da es im Rahmen der Veröffentlichung des 25. Teils der Reihe, No Time To Die, aufgrund der weltweiten, pandemischen Lage zu mehreren Ver­schiebungen kam (vgl. Lindahl 2021), wird sich dieser der Betrachtung entziehen. Ferner muss hierbei angemerkt werden, dass die ersten zwanzig Filme, also von Dr. No bis Die Another Day, in der Ultimate Edition -Version auf DVD (vgl. Scruggs 2006) betrachtet wurden. Dies ist vor allem für On Her Majesty's Secret Service von Bedeutung, da von diesem Film mehrere Fassungen existieren (vgl. Adrian 2013). In der deutschen Synchronfassung wird dies vor allem durch die unterschiedlichen Synchronstimmen deutlich, welche teilweise auch innerhalb einer Szene wech­seln und sich stark unterscheiden (vgl. ebd.). Daher ist es denkbar, dass andere Fassungen der Filme in der Folge leicht abgewandelte Ortsstrukturen aufweisen können.

Als inoffiziell gelten im Umkehrschluss alle nicht von EON Productions produzierten Filme. In der Literatur werden hierfür zumeist drei wichtige Vertreter genannt (vgl. Tesche 2008, 26 & 58), da sie von der Produktionsgröße und der Machart einem professionellen Film entsprechen und sie keine Amateurproduktionen von enthusiastischen Anhängern der Reihe darstellen, wie sie etwa auf der Videoplattform YouTube zahlreich zu finden sind. Hierbei handelt es sich zum einen um Casino Royale, welcher eine U.S.-amerikanische Fernsehproduktion von CBS (vgl. Tesche 2008, 119) aus dem Jahre 1954 darstellt, in welcher der CIA-Agent Jimmy Bond thematisiert wird (vgl. 2008, 120­121). Sie entstand damit noch vor Dr. No und kann somit als die erste Verfilmung des literarischen Stoffes identifiziert werden, obgleich die Nationalität und die jeweilige Zugehörigkeit der Prota­gonisten vertauscht wurden (vgl. 2008, 26 & 121). Ferner handelt es sich um eine Liveproduktion, weswegen der Film nur an einem Ort bzw. in einer einzigen Kulisse spielt (vgl. 2008, 121). Da die Rechte an dem Erstlingswerks Flemings sich lange nicht im Hause EON befanden (vgl. 2008, 26), entstand im Jahre 1967 eine psychedelisch anmutende Parodie, in der David Niven - als einer von vielen James Bond in diesem Film (vgl. 2008, 98) - die Hauptrolle übernimmt (vgl. ebd.). Aus einem anderen Rechtsstreit entstand 1983 die Neufassung von Thunderball Namens Never Say Never Again mit Sean Connery in der Hauptrolle, was den insgesamt siebten Auftritt des Schotten als James Bond darstellt (vgl. 2008, 58). Ferner sei hier Happy & Glorious aus dem Jahre 2012 erwähnt. Es ist ein kaum beachteter, von der BBC produzierter Kurzfilm, in dem jedoch der ,offi- zielle‘ Darsteller Daniel Craig in der Rolle des Agenten zu sehen ist und welcher zu Ehren der Olympischen Sommerspiele 2012 in London sowie mit Beteiligung Ihrer Majestät Königin Elisa­beth II. entstand (vgl. Brown 2012). In diesem begleitet Bond die Königin des Vereinigten König­reiches per Hubschrauberflug zur Eröffnung der Sommerspiele, bis beide zum Stadion gelangen und dort - vertreten durch zwei Stunt-Double - live einen Fallschirmsprung absolvieren (vgl. H&G 2012).

Um indes die Fortführung der Buchreihe zu gewährleisten, werden vom Nachlass Flemings nicht nur offizielle Nachfolgeautoren beauftragt, sondern in einigen Fällen auch die Skripte späterer Filme, die keine Buchvorlage haben, als Romane veröffentlicht, wie etwa für Tomorrow Never Dies (vgl. Cox 2011). Somit bedient sich die Filmreihe aus der literarischen Vorlage und vice versa. In Videospielen hingegen, besonders in denen von EA und Activision, wird zum einen die eigene, spielinterne Kontinuität aufgegriffen und zum anderen die der Filmreihe ergänzt. Zum Beispiel taucht in den Videospielen Agent Under Fire sowie in Nightfire, welche ohne filmische Vorlagen entstanden sind (vgl. Fielder 2006; vgl. Williams 2002), die Figur der Zoe Nightshade auf (vgl. James Bond 007: Agent Under Fire, EA Games, 2001; vgl. James Bond 007: Nightfire, EA Games, 2002). Ferner ist das Spiel Everything or Nothing, mit Pierce Brosnan als James Bond, eine direkte Fortsetzung des Filmes A View To A Kill, des letzten Auftritts Roger Moores, wodurch die Ereig­nisse aus dem Film mit der Epoche Brosnans in eine Kontinuität gebracht werden (vgl. Everything or Nothing, EA Games, 2004). Auch in zeitgenössischen Titeln wird die Kontinuität der Filme verschoben sowie ergänzt. Die Daniel-Craig-Ära wird etwa mit Spielen wie Bloodstone, Legends oder Goldeneye: Reloaded ausgeschmückt und zuweilen neu arrangiert. Denn während das älteste dieser Spiele eine eigene, filmunabhängige Geschichte darstellt, welche nach dem Film Quantum of Solace spielt (vgl. Collellli 2010; vgl. James Bond 007: Bloodstone, Activision, 2010), schlüpft Daniel Craig in den anderen beiden Spielen in die Missionen anderer Bond-Darsteller, wie Moon­raker oder Goldfinger (vgl. GoldenEye 007: Reloaded, Activision 2011; vgl. James Bond 007: Legends, Activision, 2012). Die Geschehnisse werden somit auch hier auf der Ebene der Zeit in die Aktualität verschoben. Aus Sicht der Filmreihe, stellen diese Videospiele also eine Erweiterung des filmischen Kanons dar, vor allem weil besonders in diesen Beispielen auf cineastische Mittel zurückgegriffen wird, wie insbesondere auf die sogenannte Pistolenlauf- oder Gunbarrell-Sequenz (vgl. Teichmann 2012b, 102), welche in jedem offiziellen Film auf die eine oder andere Weise auftaucht und diesen entsprechend als solchen markiert (vgl. ebd.). Dies zeigt, dass die Filmreihe sowie der Kanon und damit auch die Kontinuität und die Fortführung der Abenteuer Bond mithilfe anderer (Bewegtbild)-medien erweiterbar sind. Allerdings stellen die Bücher Flemings und der Nachfolgeautoren, trotz der Überschneidungen, seitens EONs zwar eine ,offizielle‘, aber dennoch völlig von der Filmreihe getrennte Kontinuität dar (vgl. Proctor 2015, 2)

Die Filme der Craig-Ära sind mittels einer durchgehenden Geschichte miteinander verbunden und bauen aufeinander auf (vgl. Reyes 2020). Sie stehen somit in einem Kontrast zu den restlichen offiziellen Filmen, die erzählerisch kaum miteinander in Beziehung stehen (vgl. Koenig 2016). Jedoch sind auch in jenen Filmen Verbindungen zu erkennen (vgl. ebd.). Als Beispiel seien hier die immer wiederkehrende Organisation S.P.E.C.T.R.E. samt ihrem Vorsitzenden Ernst Stavro Blofeld erwähnt, die bis Diamonds Are Forever auftritt (vgl. Tesche 2008, 239) und danach erst wieder in Spectre auftaucht (vgl. Koenig 2016). Blofeld ist für den Mord an Bonds Ehefrau Tracy in On Her Majesty's Secret Service mitverantwortlich (vgl. Tesche 2008, 91). Deren Grab wird von Roger Moores Bond in For Your Eyes Only besucht bevor er einen Bösewicht in Gestalt Blo­felds - der Rechtsstreit um Thunderball unterband zu jener Zeit die Verwendung des Namens (vgl.

Koenig 2016) - von Bond in einen Fabrikturm fallen gelassen wird (vgl. FYEO 1981, TC: 00:06:12). In George Lazenbys einzigem Auftritt als Bond, in On Her Majesty's Secret Service, sind weitere Verweise auf frühere Missionen zu sehen (vgl. OHMSS 1969, TC: 00:27:39), sodass hier zudem untermalt wird, dass Lazenby und Connery dieselbe Person darstellen sollen (vgl. Pro­ctor 2015, 4). Durch die Anspielung auf Bonds Gattin in For Your Eyes Only steht demnach auch ebenjener Bond in dieser Kontinuität und stellt somit dieselbe Figur dar (vgl. 2015, 5). Auf eine Ehefrau Bonds - welche jedoch nicht deutlich als Tracy Bond bezeichnet wird - sowie auf Arte­fakte aus vergangenen Missionen wird in späteren Filmen hingewiesen, wie etwa in Licence To Kill (vgl. 2015, 6) oder auch in Die Another Day (vgl. 2015, 7).

Auf der Ebene der Schauspieler wurden bereits die Darsteller Desmond Llewelyn und Judi Dench erwähnt, die ihre Rollen über Jahrzehnte hinweg verkörperten (vgl. Teichmann 2012, 98 & 101). Das Besetzen der Rollen mit denselben Schauspielern, aber auch die Wiederkehr derselben Figuren in unterschiedlicher Gestalt weist eine Kontinuität auf (vgl. Greve 2012, 39). Judi Dench‘ Auftreten als M in zwei unterschiedlichen Handlungssträngen zeigt zudem, dass dadurch auch die Zeitlinie für den Zuschauer verkompliziert wird (vgl. Proctor 2015, 8). Auch ist es schwierig, aufgrund des wechselnden Alters der Darsteller und die sichtbaren Auswirkungen auf das äußere Erscheinungs­bild glaubhaft zu vermitteln, dass James Bond aus Die Another Day dieselbe Person sein soll wie die aus Dr. No (vgl. 2015, 5). Hierzu sei der kuriose Fall des Charles Gray erwähnt, der in Dia­monds Are Forever die Rolle des Blofelds übernimmt, während er zwei Filme zuvor noch den Verbündeten Dikko Henderson mimt (vgl. Greve 2012, 42). Zwischen You Only Live Twice, On Her Majesty's Secret Service und Diamonds Are Forever erfolgt jedoch der offensichtlichste Kon­tinuitätsfehler der Handlung (vgl. Proctor 2015, 4-5), dessen Grund in der abweichenden Reihen­folge der Filme zur Buchveröffentlichung zu finden ist (vgl. Tesche 2008, 94 & 90). Im ersten Film lernt Bond Blofeld in dessen Vulkan kennen und am Ende flieht der Bösewicht aus seinem Ver­steck in einen ungewissen Verbleib (vgl. YOLT 1967, TC: 01:43:38). Im zweiten Film werden die Darsteller beider Figuren ersetzt und auch in diesem lernen sie sich erneut kennen, wobei sie sich hier bereits kennen müssten (vgl. OHMSS 1969, TC: 01:01:04). Nachdem seine Ehefrau ermordet wird, beginnt der letzte dieser Filme mit Bonds Rachefeldzug und seiner globalen Suche nach Blo­feld - hier zum letzten offiziellen Male von Connery verkörpert (vgl. DAF 1971, TC: 00:00:40). Zunächst wird ein japanisch aussehendes Zimmer gezeigt, was als Rückgriff auf You Only Live Twice verstanden werden könnte, der in Japan spielt (vgl. ebd.; vgl. Tesche 2008, 93). Einen ex­pliziten Rückbezug auf Tracy lässt sich im Film jedoch nicht finden, wodurch der Grund für die Suche nach Blofeld nicht explizit erwähnt wird (vgl. Kennedy 2021). Damit wirkt es beinahe so, als ob On Her Majesty 's Secret Service aus der Kontinuität ,gestrichen‘, was spätestens durch die explizite Anspielung auf Bonds verstorbene Ehefrau in For Your Eyes Only jedoch revidiert wird (vgl. Proctor 2015, 5).

Zusammenfassend ist das gesamte mediale Bonduniversum durch miteinander verwobene Ge­schichten sowie durch intermediale Bezüge geprägt. William Proctor umschreibt diese verwobene Struktur in Bezug auf die Figur Bond passenderweise wie folgt:

„[...] Bond is not a stable site of personality and identity but a many splintered multiplicity spread across various transmedia locations. [...], there is no such singular entity as ‘James Bond,' only a plurality of James Bonds populating and dialoguing within a matrix of influence, appropriation and borrowing.“ (2015, 1).

Das Filmuniversum allein erfährt seit Daniel Craig eine durchgehende, zusammenhänge Ge­schichte und damit eine Kontinuität, die es zuvor nicht bzw. nur in Ansätzen kannte. Ferner ver­deutlichen die angeführten Beispiele, dass der Faktor ,Zeit‘ sowie die stetigen Neubesetzungen die Wahrnehmung der Filmreihe als eine Kontinuität erschwert. Weswegen im Folgenden eine Konti­nuität untersucht wird, die zeit- und figurenunabhängig ist und sich auf die dargestellten Orte und Räume fokussiert. Allerdings sei hier gesagt, dass die Bücher Flemings zur Zeit des kalten Krieges geschrieben und durch seine persönlichen Erfahrungen als Spion inspiriert worden sind (vgl. Tesche 2008, 9 & 177). Das bedeutet, dass die literarische Vorlage aus einer expliziten Epoche - die des Zweiten Welt- bzw. des darauffolgend beginnenden Kalten Krieges - stammt und sie ein Kind ihrer Vorstellungen ist. Cineastisch behandelt wird diese Prägung prominent in GoldenEye, dem ersten Film nach dem Zerfall der Sowjetunion (vgl. Meroth 2012, 124). Da die Figur Bond demzufolge aus der Moderne stammt, aus der Zeit ca. ab dem frühen 20. Jahrhunderts bis zur Ge­genwart, ist ihre Welt in der entsprechenden Epoche situiert und findet hier auch ihren Ursprung, weshalb diese durch passende Orte und Räume geprägt ist. Konträr dazu würde ein theoretischer James-Bond-Film, welcher etwa im Mittelalter spielt, neben anderen politischen und sozialen Be­dingungen, andere Lokalitäten aufweisen als unsere derzeitige Realität. Auch die technischen Ge­gebenheiten der Moderne würden fehlen, sodass die einleitend beschriebene ,Formel‘ der Reihe in einem Mittelalter-Bond kaum realisierbar wäre, wodurch sich eine Betrachtung anderer Epochen erübrigt. Die früheste denkbare, zeitliche Grenze eines Bond-Filmes wäre die Mitte des 19. Jahr­hunderts, da zu dieser Zeit die Eisenbahn entwickelt wurde, welche als ein entscheidender Faktor der Schnelligkeit innerhalb der Industrialisierung galt und diese somit als der wohl wichtigste Tran­sit-Ort jener Zeit einzustufen wäre (vgl. Wilhelmer 2015, 10). Dadurch wurde das Reisen deutlich einfacher (vgl. ebd.), was entscheidend und grundlegend für das weltweite Handeln Bonds ist. Al­lerdings sei hier festgehalten, dass der Britische Geheimdienst eine Geschichte aufweist, welche sich bis ins 15. Jahrhundert zurückführen lässt (vgl. Seesslen 2012, 88).

Der theoretische Rahmen der vorliegenden Arbeit wird sich demzufolge auf raum- und ortstheore­tische Ansichten der Moderne fokussieren, mit dem Ziele, in der Folge die dargestellten Orte in Kategorien betrachten zu können. Folglich kann die Zeit zwar für die weitere Untersuchung per se an Relevanz verlieren, da es hier um Orte und Räume geht, sie bleibt jedoch in Form der betrach­teten Epoche, deren Auswirkungen auf die verkehrsgebundene Infrastruktur und später in der zeit­lichen Abfolge der Filme in Ansätzen erhalten. Durch letzteres ist eine Verschränkung der Orts­und Zeitebenen als zu betrachtenden Chronotopos denkbar (vgl. Beil, Kühnel & Neuhaus 2012, 280).

2. Orte und Räume in der Moderne und Gegenwart

Bereits 1914 hält der deutsche Architekt Peter Behrens fest, dass die Zeit durch die technologischen Fortschritte seiner Epoche schneller und hektischer vonstattenginge als in Generationen zuvor (vgl. Behrens 1914, 8). Dies führe in der städtischen Architektur schließlich dazu, dass die Menschen nicht auf Details derer achten könnten (vgl. ebd.).

„Wir empfinden einen anderen Rhythmus in unserer Zeit als in einer der vergangenen. So ist es auch eine rhyth­mische Auffassung, wenn wir sagen, daß [sic!] unsere Zeit schneller dahineilt als die unserer Väter. Eine Eile hat sich unserer bemächtigt, die keine Muße gewährt, sich in Einzelheiten zu vertiefen. Wenn wir im überschnellen Gefährt durch die Straßen unserer Großstädte jagen, können wir nicht mehr die Einzelheiten der Gebäude gewah­ren“ (ebd.).

Zur Folge hätte diese Entwicklung, dass sich Städte archetektonisch angleichen und sie sich daher ausschließlich durch ihre jeweiligen ,Umrisse‘ auszeichnen würden (vgl. ebd.):

„Ebensowenig [sic!] können vom Schnellzug aus Städtebilder, die wir im schnellen Vorbeifahren streifen, anders wirken als nur durch ihre Silhouette. Die einzelnen Gebäude sprechen nicht mehr für sich.“ (ebd.).

Ferner seien durch die Hektik der rasanten Moderne zwei Bauweisen und ihre jeweiligen Auswir­kungen auf den Lebensrhythmus der Menschen erkennbar, da in den Innenstädten vertikal und so empor wie möglich sowie in den Vororten horizontal gebaut werde (vgl. 1914, 9):

„Zunächst wird die innere Geschäftsstadt immer mehr einen ausgesprochenen Charakter erhalten. Die Zeit- und Raumnutzung wird von selbst dazu führen, die Häuser so hoch wie möglich aufzuführen. [...] Auch eine Stadt­anlage verlangt nach Körperlichkeit und Silhouette, die nur in der Zufügung von kompakten, vertikalen Massen gefunden werden kann.“ (ebd.).

Dies führe dazu, dass die Natur bzw. der Vorort zu Gegenräumen zur hektischen Innenstadt werde (vgl. 1914, 9-10):

„Ist es ein berechtigter Wunsch, in der inneren Geschäftsstadt keine Zeit durch das Zurückgehen langer Wegstre­cken zu verlieren, [.], so ist das Verlangen, nach beendeter Geschäftszeit durch immer zu verbessernde Ver­kehrsmittel in die große freie Natur hinauszustreben und sich hier in erweiterter Freiheit ergehen und wohnen zu können, ebenso berechtigt.“ (ebd.).

In seinen Beobachtungen nimmt Peter Behrens bereits einige Gedankengänge vorweg, welche die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die räumlichen Strukturen des Alltags beschreiben: Hierbei handelt es sich um das Prinzip von Raum vs. Gegenraum, Urbanität vs. Natur, Wiederer­kennung von Städten sowie die Entwicklung von Orten, die dem Erhalt der Mobilität und ihrer Infrastruktur dienen. Zwar bezieht sich Behrens eher auf die stilistischen Ausdrücke der architek­tonischen Stile seiner Zeit, nichts destotrotz zeigen seine Beobachtungen einen passenden roten Faden für dieses Kapitel. Im Folgenden wird daher versucht, die Orte und Räume unserer Gegen­wart mittels einiger Gedankenexperimente und Theorien zu beschreiben. Denn der reisende James Bond ist dafür bekannt, die weite Welt zu seinem Arbeitsplatz zu machen (vgl. Tesche 2008, Ein­leitung), was sowohl mithilfe von Zügen und Flugzeugen als auch durch Boote bzw. Schiffe mög­lich wird. Diese Verkehrsmittel benötigen wiederum aufgrund ihrer Funktionsweisen bestimmte lokale Gegebenheiten.

2.1 Von Nicht-Orten und Transit-Orten

Seit jenen Überlegungen Behrens‘ ist mehr als ein Jahrhundert vergangen, in welchem der techno­logische Fortschritt und seine Rasanz drastisch zugenommen haben. Die derzeitige Verkehrstech­nologie benötigt zwangsläufig eine Infrastruktur, um zu funktionieren, weswegen die Gegenwart von einer Fülle an Orten des Personenverkehrs und einem ständigen Fluss an großen Menschen­massen gekennzeichnet sei (vgl. Schuller 2017, 3). Dies führe zu einer Zunahme an sogenannten Nicht-Orten (vgl. 2017, 3 & 5). Der Begriff des Nicht-Ortes stammt im Ursprung von Michel De Certeau, der jene Orte als „semantisch entleert[e]“ (Wilhelmer 2015, 40) bezeichnet, die sich vom Blicke des Reisenden - Certeau wählt das Bild des Gehenden (vgl. ebd.) - entziehen (vgl. ebd.) und somit nur kurzweilig im Verstande des (Nicht-)Betrachters leben würden (vgl. 2015, 41). Bei­spielhaft wäre somit jeder Ort ein Nicht-Ort, der nicht von Bedeutung für den täglichen Arbeitsweg ist. Da Orte jedoch auch ohne Betrachter existieren und nicht einfach aufhören zu sein, greift die Definition dieses Gedankengangs zu kurz (vgl. ebd.).

1992 greift der französische Anthropologe Marc Augé diesen Begriff in seinem Werke Nicht-Orte auf, definiert ihn hier jedoch anders (vgl. 2015, 42). So konstatiert er spezifische strukturelle Ei­genschaften des Nicht-Ortes (vgl. 2015 43). Er sieht ihn als ,schlechten‘ Ort (vgl. Wilhelmer 2015, 43), welcher dem positiv konnotierten, sogenannten anthropologischen Ort gegenüberstehe (vgl. 1992, 83). Ein anthropologischer Ort sei im Sinne Augés, wie der Name bereits vermuten lässt, vom menschlichen Dasein geprägt; Sie seien also Orte, an denen etwa gearbeitet oder einem religiösen Zwecke nachgegangen werde (vgl. Augé 1992, 51), wodurch sie so sozial konnotiert (vgl. 1992, 52; 63) sowie identitätsstiftend und geschichtlich seien (vgl. 1992, 59). Ferner bänden sie umliegende Orte ein und seien dadurch relational (vgl. ebd.). Darüber hinaus stellten sie Schnitt­punkte auf Wegen dar, wofür sie durch entsprechende Sehenswürdigkeiten klar markiert seien (vgl. Schuller 2017, 4). Augé zufolge werden daher gerade die Innenstädte zu Gegenden, an denen das Historische konserviert werde, sodass nicht-historische Orte an die Stadtränder verdrängt würden (vgl. Augé 1992, 77). In denen wiederum werde mithilfe von Wegweisern auf die Sehenswürdig­keiten der Innenstadt verwiesen (vgl. ebd.). Als ein Beispiel hierfür seien Autobahnschilder ge­nannt, durch welche auf Sehenswürdigkeiten der naheliegenden Ortschaften hingewiesen wird. Der Nicht-Ort dagegen weise, gegensätzlich zum anthropologischen Ort, weder eine Identitätsstiftung noch eine Integration historischer Orte oder eine Historizität auf (vgl. 1992, 83). Jedoch könnten auch Nicht-Orte rein plakativ durch Texte markiert werden, wie z.B. durch Schilder, die auf einen Flughafen verweisen (vgl. 1992, 97-98).

Wilhelmer untermalt mit dem Vergleich zwischen einem einzelnen Restaurant und der Kette McDonald's diese fehlende, ,ursprüngliche‘ Identität der Nicht-Orte: Ein einzelnes Restaurant mit einem bestimmten Namen weise eine eigene, einmalige Identität auf, im Gegensatz zu einer Filiale der Fast-Food-Kette, welche in diesem großen Unternehmen förmlich untergehe (vgl. Wilhelmer 2015, 44). Das einzelne Restaurant werde so zu einem Synonym für die gesamte Kette und anders­herum (vgl. ebd.). Beispiele für Nicht-Orte unserer Zeit seien daher Krankenhäuser, Hotels, Flug­häfen und im weitesten Sinne sämtliche Verkehrsorte (vgl. Augé 1992, 97-98). Denn gerade „der Raum des Reisenden [...] [sei] der Archetypus des Nicht-Ortes“ (1992, 90), da er austauschbare Facetten des jeweiligen Reiseziels vorgesetzt bekäme (vgl. ebd.). Just beim modernen Flugverkehr gehe daher der Mensch in einer Massenanonymität unter, stehe aber dort in einem „Vertragsver­hältnis“ (1992, 102) mit den regelgebenden Instanzen des jeweiligen Nicht-Ortes (vgl. ebd.). So sei ein einzelner Mensch Teil der grauen Menge an Fluggästen, habe aber durch das Flugticket ein individuelles Geschäftsverhältnis mit der jeweiligen Fluggesellschaft und infolgedessen mit dem Flughafen (vgl. ebd.). Dies bedeute ebenfalls, dass für Nicht-Orte Eintrittsmechanismen und -ritu­ale existieren, die den Zugang beschränken (vgl. ebd.) und dass der Einzelmensch sich in ihnen demzufolge in einer Rolle befände - in diesem Falle als Fluggast (vgl. 1992, 103). Bezogen auf die Definition als nicht-historisch hält Augé ferner fest, dass an Nicht-Orten eine Aktualität vorherr­sche - etwa durch Zeitpläne -, wodurch eine Historie de facto nicht zugelassen werde (vgl. 1992, 104).

Jedoch würden sowohl Orte als auch Nicht-Orte nie in reiner und in voller Gestalt existieren (vgl. 1992, 83). Daher seien beide „fliehende Pole“ (ebd.), die weder in Gänze konstruiert noch ver­schwunden seien (vgl. 1992, 83-84). Gerade auch weil sich Nicht-Orte und Orte überschneiden würden, würden sie durch das Auge des Betrachters sowie durch seine etymologischen Definitio­nen als ebensolche charakterisiert werden (vgl. 1992, 107 & 124). Ebendies lässt allerdings einen großen Interpretationsraum offen, was nun als Nicht-Ort betitelt werden kann und was nicht, ob­wohl Augés Definitionsversuch die Menge deutlicher beschränkt als der De Certeaus.

In seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Werke Augés hält Lars Wilhelmer fest, dass die­ser den Nicht-Ort nur über seinen Mangel definiere und ihm die Menschlichkeit abspreche, obwohl sich Menschen gerade an solchen Nicht-Orten in größeren Gruppen aufhalten (vgl. Wilhelmer 2015, 44 & 46). Vor allem sind auch Flughäfen von Menschenhand erschaffen und nicht gottgege­ben. Es entstehe somit, genau in der Mitte des Nicht-Ortes, zwischen den Ein- und Ausgangsme­chanismen, die Augé beschreibt, ein Vakuum (vgl. 2015, 46). Aber in einem solchen Vakuum könne kein Raum entstehen, sondern eben nur an Orten (vgl. 2015, 47), womit ein wichtiger Punkt thematisiert wird: Die Unterscheidung zwischen Raum und Ort. Diese findet bei Augé kaum statt (vgl. 2015, 44), obwohl er eine Definition aufstellt, die sich auf De Certeaus Raumverständnis bezieht (vgl. Augé 1992, 84). So sei ein Raum ein Ort, aus und an dem etwas hergestellt und dieser aus dem Nutzen definiert werde, wie z.B. eine Fußgängerzone eine Straße sei, welche erst durch den Fußgänger und sein Gehen als solche definiert werde (vgl. ebd.). Der Begriff des Ortes meint daher die real existierenden ,Vier-Wände‘, während der Raumbegriff sich auf das Handeln mit ebenjenem Ort bezieht. Zudem wird der Begriff des Ortes bei Augé doppeldeutig, gar als Synonym für den Raum verwendet: „Sobald Individuen zusammenkommen, bringen sie Soziales hervor und erzeugen Orte [im Original kursiv].“ (1992, 110).

Ferner definiert Augé nicht, ab wann etwas historisch ist. Denkbar wäre z.B. ein Flughafen, der von historischer Bedeutung und z.B. mit Werbungen für touristische Ziele sowie durch seine Be­nennung relational ist. Ein Beispiel ist hierfür der John-Lennon-Airport in Liverpool, der auf eine wichtige, historische Person der Stadt verweist (vgl. Villamizar 2021). Hier könnte weiter gefragt werden, ob überhaupt, auch abseits der Diskussion, eine Aktualität existiert und in welchem zeit­lichen Rahmen diese definiert wird. Dies wird im Kontext dieser Arbeit jedoch nicht betrachtet werden können, da es den Rahmen dieser überschreiten würde. Außerdem widerspricht sich Augé, wenn er zum einen behauptet, dass Nicht-Orte nicht relational seien (vgl. Augé 1992, 83), sie aber auf Sehenswürdigkeiten hinweisen können (vgl. 1992, 77), da hier eindeutig eine Einbindung ge­schieht wie beispielsweise durch das bereits erwähnte Autobahnschild. Was den Charakter von Nicht-Orten betrifft, so hält Wilhelmer fest, seien zwar z.B. Flughafenhallen homogen in ihrem Aussehen, hätten deshalb jedoch keinen Identitätsverlust, sondern vielmehr andersgeartete Identi­täten, Relationen und Geschichten (vgl. Wilhelmer 2015, 48). Es sind ebenso Orte, an denen Viel­falt vorherrsche und die unterschiedlich wahrgenommen werden könnten (vgl. 2015, 47-48). Hier­für nennt Wilhelmer das Beispiel einer Autobahnraststätte, die regelmäßig von Stammkunden auf­gesucht werde, da sie einen besonderen Charme versprühe (vgl. 2015, 47). Aus diesem kritischen Diskurs heraus verwendet Wilhelmer den Begriff des Transit-Ortes statt des Nicht-Ortes (vgl. 2015, 48), der auch im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit genutzt wird, wenn nicht explizit Augés Nicht-Orte thematisiert werden.

Den Transit-Ort beschreibt Wilhelmer konkreter als den Ort des Durchgangs, der gezielten Bewe­gung und auch des Haltens, da z.B. eine Wartehalle ebenfalls einen Transit-Ort darstellen könne (vgl. 2015, 35-36). Damit liegt das Hauptaugenmerk der Begriffswahl stärker auf der (mechanisch unterstützten) Bewegung als bei Augé oder De Certeau. Ähnlich wie Augé beschreibt er Transit­Orte als „flüchtige Orte“ (2015, 39), als „Orte, an denen sich Menschen aufhalten, ohne zu bleiben“ (2015, 7), wodurch sie „ paradoxe [im Original kursiv] Orte“ (2015, 37) darstellten (vgl. ebd.); Paradox, da der Begriff des ,Ortes‘ etwas Beständiges vermittle und ,Transit‘ eine Bewegung im­pliziere (vgl. ebd.). Letzten Endes seien die Transit-Orte Orte der „ Entgrenzung [im Original kur­siv]“ (2015, 38), da der Reisende weder an seinem Herkunftsort noch an seinem Zielort sei und sich vage im Dazwischen befände (vgl. ebd.). Eine kategorische Trennung von Orten und Transit­Orten sei daher nicht zwangsläufig möglich, da die Verwendung des Ortes mitberücksichtig werden müsse (vgl. 2015, 33). Dadurch wird dieser Begriff aber auch zu einem stark dehnbaren (vgl. 2015, 34). So könne ein Ort transitorisch genutzt werden, obschon dieser stationär bleibe, wie etwa ein Bahnhof (vgl. 2015, 35). Andererseits können Transit-Orte komplex sein und damit Unterorte of­fenbaren, die keine transitorischen Ausdrücke aufweisen und andersherum (vgl. ebd.). Hierfür nennt der Autor zum einen das Bahnhofsrestaurant und zum anderen den Flur in einem Wohnhaus als gegensätzliche Beispiele (vgl. ebd.). Während das Restaurant im hektischen Bahnhof zum Ver­weilen einlädt, ist der Flur im ruhigen Hause von der Bewegung vereinnahmt (vgl. ebd.).

Aus der Geografie bzw. Einzelhandelsforschung heraus weisen Transit-Orte zudem ähnliche Ei­genschaften auf, die Augé seinen anthropologischen Orten zuschreibt. In ihrer Dissertation über ,Transit-Räume‘ als Konsumorte aus dem Jahre 2006 hält Juliane Korn fest, dass Transit-Orte Punkte in Verkehrsnetzen darstellen, an denen der Reisestrom an Menschen kontrolliert und gelei­tet werde (vgl. Korn 2006, 3).

[...]

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
James Bond 007: Stirb an einem anderen Tag am gleichen Ort. Die Kontinuität in James-Bond-Filmen anhand der dargestellten Orte
Hochschule
Hochschule für Bildende Künste Braunschweig  (Institut für Medienforschung)
Note
1,5
Autor
Jahr
2021
Seiten
78
Katalognummer
V1192455
ISBN (eBook)
9783346630865
ISBN (Buch)
9783346630872
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Da der Film "Keine Zeit zu Sterben" noch nicht erscheinen war, ist dieser in der Masterarbeit nicht enthalten.
Schlagworte
James Bond, Kontinuität, Film, Kanon, 007, FIlmreihe, Franchise, Ian Fleming, Spionage, Thriller, Action, Literatur, Videospiele, Casino Royale, Dr.No, Skyfall
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Martin Laumeyer (Autor:in), 2021, James Bond 007: Stirb an einem anderen Tag am gleichen Ort. Die Kontinuität in James-Bond-Filmen anhand der dargestellten Orte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1192455

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