Der Transformations- und Übersetzungsbegriff in der Medienbildung


Master's Thesis, 2022

202 Pages, Grade: Sehr Gut


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DIE METHODE DER HERMENEUTIK

3. TRANSFORMATORISCHE BILDUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE
3.1 ÜBERLEGUNGEN ZU TRANSFORMATION IN DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE: SATTLER UND SCHLUß
3.2 ÜBERLEGUNGEN ZU TRANSFORMATION IN DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE: FRIEDRICHS
3.3 FAZIT
3.4 THEORIE TRANSFORMATORISCHER BILDUNGSPROZESSE IN DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE: KOLLER
3.4.1 DER BILDUNGSBEGRIFF BEI KOLLER
3.4.2 VOM VERHÄLTNIS DER TRANSFORMATORISCHEN BILDUNGSTHEORIE KOLLERS ZU DEN VON IHM DARGELEGTEN REFERENZEN
3.4.2.1 Der Gegenstand
3.4.2.2 Der Anlass
3.4.2.3 Transformationsprozesse und Bedingungen
3.4.2.4 Fazit
3.5 DER TRANSFORMATIONSBEGRIFF IN DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VON SELBST- UND WELTVERHÄLTNISSEN – EINE ZUSAMMENFASSUNG

4. TRANSFORMATION IN DER MEDIENBILDUNG
4.1 TRANSFORMATION IN DER STRUKTURALEN MEDIENBILDUNG NACH JÖRISSEN/ MAROTZKI
4.1.1 DER BILDUNGSBEGRIFF BEI JÖRISSEN/ MAROTZKI
4.1.2 THEORIE DER STRUKTURALEN MEDIENBILDUNG
4.1.3 BEZÜGE ZU ANDEREN BILDUNGSTHEORIEN
4.1.4 LERNEN – BILDUNG
4.1.5 WISSEN – BILDUNG
4.1.6 MEDIENBEGRIFF
4.1.7 DIMENSIONEN DER MEDIENBILDUNG
4.1.8 DER STELLENWERT VON TRANSFORMATION IN DER STRUKTURALEN MEDIENBILDUNG
4.2 TRANSFORMATION IN DER PRAXEOLOGISCHEN MEDIENBILDUNG NACH BETTINGER
4.2.1 DER BILDUNGSBEGRIFF BEI BETTINGER
4.2.2 THEORIE DER PRAXEOLOGISCHEN MEDIENBILDUNG
4.2.3 BEZÜGE ZU ANDEREN (MEDIEN-)(BILDUNGS-)THEORIEN
4.2.4 HABITUS – MEDIALER HABITUS
4.2.5 AKTEUR-NETZWERK-THEORIE
4.2.6 MEDIENBEGRIFF
4.2.7 DIMENSIONEN DER MEDIENBILDUNG
4.2.8 DER STELLENWERT VON TRANSFORMATION IN DER PRAXEOLOGISCHEN MEDIENBILDUNG
4.3 FAZIT 1: DIE TRANSFORMATION DES TRANSFORMATIONSBEGRIFFS VON DER ALLGEMEINEN BILDUNGSTHEORIE KOLLERS ZUR MEDIENBILDUNG UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VON SELBST – UND WELTVERHÄLTNISSEN

5. ÜBERSETZUNG IN DER MEDIENBILDUNG
5.1 HINWEISE AUF DEN BEGRIFF DER ÜBERSETZUNG IN DER STRUKTURALEN MEDIENBILDUNG VON JÖRISSEN/ MAROTZKI UND DER PRAXEOLOGISCHEN MEDIENBILDUNG VON BETTINGER
5.2 ÜBERSETZUNG IN DER RELATIONALEN MEDIENPÄDAGOGIK NACH MEDER
5.2.1 DER BILDUNGSBEGRIFF BEI MEDER
5.2.2 THEORIE UND THEORIEBEZÜGE DER RELATIONALEN MEDIENPÄDAGOGIK
5.2.3 MEDIENBEGRIFF
5.2.4 DIMENSIONEN DER MEDIENBILDUNG
5.2.5 LERNEN UND BILDUNG
5.2.6 BILDUNG UND NEUE TECHNOLOGIEN
5.2.7 DER SPRACHSPIELER ALS BILDUNGSIDEAL
5.2.8 DER STELLENWERT VON ÜBERSETZUNG: HÖNIGSWALD
5.2.9 DER STELLENWERT VON ÜBERSETZUNG BEIM SPRACHSPIELER
5.3 DER STELLENWERT DES ÜBERSETZUNGSBEGRIFFS IM BEREICH DER MEDIENBILDUNG UNTER BERÜCKSICHTIGUNG VON SELBST- UND WELTVERHÄLTNISSEN
5.3.1 DAS SPRECHEN VON ÜBERSETZUNG BEI BETTINGER, JÖRISSEN/ MAROTZKI UND MEDER
5.3.2 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE IN DEN BETRACHTUNGS- UND NUTZUNGSWEISEN VON BETTINGER, JÖRISSEN/ MAROTZKI UND MEDER DEN ÜBERSETZUNGSBEGRIFF HINSICHTLICH SELBST- UND WELTVERHÄLTNISSE BETREFFEND
5.3.3 DER STELLENWERT DES ÜBERSETZUNGSBEGRIFFS IM BEREICH DER MEDIENBILDUNG
5.4 FAZIT 2: PROBLEMATISIERUNG DES UMGANGS MIT MEDIEN: TRANSFORMATIONS- ODER ÜBERSETZUNGSPROBLEM?
5.4.1 DAS WANN UND WIE VON TRANSFORMATION IM UMGANG MIT MEDIEN
5.4.2 DAS WANN UND WIE VON ÜBERSETZUNG IM UMGANG MIT MEDIEN
5.4.3 DER ZUSAMMENHANG VON ÜBERSETZUNG UND TRANSFORMATION
5.4.4 REFLEXION UND IHRE POSITION IM VERSTÄNDIGUNGSAKT ALS ÜBERSETZUNGS- ODER TRANSFORMATIONSPROBLEM

6. CONCLUSIO UND WEITERE FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN

7. LITERATUR

ABSTRACT

„Wir sind anderen wie uns selbst noch in intimster Zuwendung nur kraft der symbolischen Konfiguration unseres ‚Ich‘ zugänglich.“ (Rainer Kokemohr 2007, S. 15)

1. Einleitung

Transformation in der Medienbildung: Wo soll eine Spurensuche hinsichtlich des Begriffs Transformation in der Bildungswissenschaft beginnen? Die Spurensuche mit Humboldt (1792) zu beginnen erweist sich als fruchtbar, da seiner Sichtweise von Bildung als Veränderung von Welt- und Selbstverhältnissen die Möglichkeit der Transformation des Subjekts durch Bildungsprozesse innewohnt. In Humboldts Bildungsbegriff des Neuhumanismus erfährt der ganzheitliche Blick auf das Individuum mit seinen inhärenten Veränderungspotenzialen seinen Höhepunkt (vgl. Koller 2017[8], S. 73), weshalb sich eben Humboldts Bildungstheorie als Eröffnung für eine Spurensuche hinsichtlich des Begriffs Transformation in Medienbildungstheorien anbietet.

Humboldt sah, im Gegensatz zur philanthropischen Sichtweise, nicht eine Erziehung zur Brauchbarkeit als in der Bestimmung des Menschen liegend, sondern eine Entfaltung seiner Potenziale und Anlagen. Bildung setzt damit beim Zu-Erziehenden an. Das Innere des Menschen gilt es zu bilden (vgl. Koller 2017[8], S. 72–75). Humboldt definiert Bildung als ein Bilden von Kräften, eine grenzenlose und ausgewogene Entfaltung dieser Kräfte, die schlussendlich als Ganzes gefasst werden sollen. Als Ausgangspunkt betrachtet Humboldt die inneren Potenziale des Einzelnen, die es (1.) umfassend, (2.) perfekt und (3.) ausgewogen zu entfalten und (4.) harmonisch zu integrieren gilt (vgl. Koller 2017[8], S. 74–78). Jedes Individuum soll das Höchstmaß seiner Potenzialentfaltung verwirklichen, dennoch ist Bildung ein gesellschaftlicher Prozess, in dem alle Charaktere zusammen das höchste Maß an Bildung erzielen, das ein Einzelner niemals zu erreichen vermag. Damit ist Bildung kein rein subjektiver Vorgang, sondern als ein als gesellschaftlicher Prozess zu fassen (vgl. Koller 2017[8], S. 78f.). Die universale Entfaltung der Kräfte des einzelnen Menschen ist auf die möglichst umfassende Wechselwirkung dieses Individuums mit der Welt angewiesen. „Was also der Mensch nothwendig braucht, ist bloss ein Gegenstand, der die Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit mit seiner Selbstthätigkeit möglich macht“ (Humboldt (1980) [1792], S. 237). Der Mensch braucht zum Ausüben seiner Kräftebildung einen Gegenstand, mit dem das Subjekt allgemein, rege und frei in Wechselwirkung treten kann. Diesen Gegenstand nennt Humboldt Welt (vgl. Koller 2017[8], S. 80–84). Das Subjekt braucht daher zum Entfalten seiner inneren Kräfte etwas, das außerhalb des Subjekts liegt, um sich zu bilden: Der Mensch bildet sich in der Auseinandersetzung mit der Welt. Im Sich-Bilden impliziert sich der eigene subjektive Antrieb, der zur Auseinandersetzung mit Welt führt. Humboldt betont nach Jörissen/ Marotzki die Notwendigkeit der Berücksichtigung individueller Charaktere, um Bildungsprozesse, die sich nach Jörissen/ Marotzki durch eine Flexibilität des Selbst- und Weltbezuges zeigen, zu ermöglichen (vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 12). Die subjektiven Kräfte des Verstandes (Rationalität), der Einbildungskraft (Fantasie) und der sinnlichen Anschauung (Ästhetik) sollen dabei gleichermaßen zum Einsatz kommen, wobei diese als gleichrangig und gleichwertig gelten (vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 12). Durch eine multiple Auseinandersetzung mit der Welt wird eine vielseitige Entwicklung der individuellen Anlagen angestrebt (vgl. Koller 2017[8]a, S. 77; vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 12).

Sprache vermittelt zwischen Subjekt und Welt. Sprache zeigt vermittelnd verschiedene Ansichten von Welt auf und bereichert beziehungsweise erweitert damit die Weltansicht des Einzelnen. Das Erlernen neuer Sprachen – damit gemeint sind auch Weltansichten und Idiome Andersdenkender – eröffnet neue Blickwinkel (vgl. Koller 2017[8], S. 84–87). Sprachen vermitteln zwischen ich und Welt und zwischen ich und du (vgl. Koller 2017[8], S. 85).

Der Bildungsbegriff und damit Humboldts Bildungstheorie des Neuhumanismus haben nach dem zweiten Weltkrieg wegen Ideologieverdacht der geisteswissenschaftlichen Pädagogik mit der realistischen Wende an Bedeutung verloren. Mit der kritischen Theorie der Frankfurter Schule und dem Aufkommen der empirischen Erziehungswissenschaft findet ein Wandel, eine Transformation, der Rezeption des Bildungsbegriffs statt: Statt Bildung dienen Begriffe wie Sozialisation, Erziehung, Emanzipation, Qualifikation oder Kompetenz als Alternativen. Innerhalb der Allgemeinen Pädagogik startet in den 1970-er Jahren eine Reformulierung des Bildungsbegriffs. In dieser Arbeit werden mit Koller und Marotzki zwei Theorien, die ab 1990 eine Reformulierung des Bildungsbegriffs der Allgemeinen Pädagogik vorgenommen haben, dargelegt.

„Auch wenn die Bildungstheorie Humboldts viele heute noch wertvolle Gedanken enthält, so versteht es sich, dass jede Theorie zu einem guten Stück die Denkweisen, die soziokulturellen und auch politischen Bedingungen ihrer Zeit widerspiegelt. Andere Zeiten erfordern andere Bildungskonzepte, wobei die Orientierung an Klassikern wie Humboldt, vor allem die Neuinterpretation, das Aufdecken neuer Aspekte und Perspektiven, immer wichtige Impulse für die Verortung in der Gegenwart darstellen.“ (Jörissen/ Marotzki 2009, S. 13f.)

Humboldts positive Hinwendung an die Vielfalt menschlicher Kapazitäten, Artikulationsmöglichkeiten, Charaktere und deren Anerkennung lässt ihn für eine Reformulierung an postmoderne Bedingungen anschlussfähig erscheinen. Damit erweist sich der Bildungsgedanke keineswegs als obsolet und Humboldts Darlegungen als brauchbar für eine Konstruktion transformatorischer Bildungstheorien. Dennoch ist laut Koller (1993, 2004, 2007, 2008, 2011, 2012, 2016, 2017[8]) – angesichts der Pluralisierung von Lebensformen und angesichts der im Zuge postmoderner Gesellschaftstheorie und Philosophie gewachsenen Einsicht in die Unmöglichkeit allgemeinverbindliche Normen letztgültig festzulegen – die Einheitsvorstellung des Humboldt’schen Bildungsideals nicht mehr haltbar, was sich deutlich am Sprachbegriff Humboldts zeigt, da ein rein harmonischer Blick auf heutige postmoderne, multikulturelle Pluralität unterschiedlicher Lebensformen und Wertorientierungen entstehenden Konflikte nicht löst (vgl. Koller 2017[8], S. 92). Es ist Vorsicht vor einem verklärten Blick auf multikulturelle Gesellschaftsbedingungen geboten (vgl. Koller 2012, S. 13–15).

Allgemeinpädagogisch betrachtet befasst sich Kokemohr seit 1989 mit Bildung als Prozess und entwickelt eine Bildungsprozesstheorie. Der Begriff der Transformation für Bildung als Prozess kommt ab 1990 auf (vgl. Koller 2011, S. 153f.; vgl. Koller 2016, S. 149; vgl. Reh 2014, S. 329). Kokemohr, Marotzki und Koller – alle drei Wissenschaftler waren beziehungsweise sind an der Universität Hamburg tätig – etablieren ab den 1990-ern eine strukturale beziehungsweise eine transformatorische Bildungstheorie. Diese Theorien reüssieren ab den 1990-ern unter dem Rahmenbegriff transformatorische Bildungstheorien. Hans-Christoph Koller ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Winfried Marotzki ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seit Herbst 2015 ist er emeritiert. Er promoviert 1983 an der Universität Hamburg mit dem Thema Subjektivität und Negativität als Bildungsproblem. 1989 erfolgt ebenfalls dort mit der Arbeit Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie seine Habilitation. Marotzki als ehemals wissenschaftlicher Assistent von Kokemohr wird von diesem als kritischer, konstruktiver und selbständiger Diskussionspartner beschrieben. Auch Koller war wissenschaftlicher Assistent von Kokemohr (vgl. Kokemohr 2007, S. 20). Laut Recherche veröffentlichen Jörissen/ Marotzki seit 2007 gemeinsam Schriften im Bereich Medienbildung. Benjamin Jörissen verfasst 2014 seine Habilitationsschrift Medialität und Subjektivation. Strukturale Medienbildung unter besonderer Berücksichtigung einer Historischen Anthropologie des Subjekts unter der Begutachtung von Marotzki, Fromme und Wulf. Als sehr junge Theorie, die sich der transformatorischen Idee annimmt, kann Bettingers Praxeologische Medienbildung – Theoretische und empirische Perspektiven auf sozio-mediale Habitustransformationen (2017) gelten, die ebenfalls an der Hamburger Universität als Promotionsschrift erscheint. Erstgutachterin ist Prof. Dr. Kerstin Mayrberger, Zweitgutachter ist Prof. Dr. Hans-Christoph Koller (beide Universität Hamburg). Bettinger lehrt seit Jänner 2018 als Juniorprofessor für Erziehungswissenschaftliche Medienforschung an der Universität zu Köln. (vgl. http://www.patrick-bettinger.de/vita/). In dieser Arbeit dient bezüglich Bettingers Theorie seine Dissertation als Hauptwerk, die seit 2018 als Buch vorliegt.

Koller versucht mit der Theorie der transformatorischen Bildungsprozesse eine Antwort auf die Pluralisierung von Lebensformen zu entwickeln (vgl. Koller 2011, S. 109). In der Auseinandersetzung des Subjekts mit Welt-, Anderen- und Selbstverhältnissen liegt der Ausgangspunkt für Bildungsprozesse im Verständnis von Koller. Dabei bieten krisenhafte Geschehnisse Anlass für transformatorische Bildungsprozesse. Mit dem Begriff der Krise definiert Koller Situationen oder Konstellationen, die keineswegs dramatisch sein müssen, aber dennoch ein Überdenken etablierter Welt- und Selbstverhältnisse verlangen (vgl. Koller 2012, S. 71). Kollers Begriff der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen wird deshalb herangezogen, weil sich die in dieser Arbeit nachfolgend dargelegten Medienbildungstheoretiker, nämlich Marotzki (1990, 2007) beziehungsweise Jörissen/ Marotzki (2008, 2009) und auch Jörissen (2014, 2015) und Bettinger (2018), auf ihn und seine Ausführungen, den Transformationsbegriff betreffend, beziehen.

Marotzki entwickelte eine strukturale Bildungstheorie, die er als strukturale Medienbildungstheorie zusammen mit Jörissen weiterentwickelt, da nach Marotzki der mediale Aspekt konstitutiv für eine – in seinem Sinne strukturale – Bildungstheorie ist. Medien sind als „lebensweltliches Phänomen“ (Jörissen/ Marotzki 2009, S. 30) Teil der menschlichen Lebenswelt und bieten Raum für Bildungsprozesse (vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 30). Diese werden nicht nur als Wissensaneignung verstanden, sondern als Transformationsprozesse der Welt-, Anderen- und Selbstverhältnisse, die durch soziokulturelle Einflüsse neue Blickwinkel hinsichtlich der Welt- und Selbstverhältnisse etablieren lassen.

Bettingers Darlegung einer praxeologischen Medienbildung bezieht sich auf die Bildungstheorien von Nohl (2011), Kokemohr (1989), Koller (2011), Rosenberg (2011, 2012) und Marotzki (2007, 2008, 2009) mit deren Prinzip von Bildung als Transformation. Die praxeologische Medienbildung sieht er als ein auf Humboldts reflexives Bildungsverständnis aufbauendes Konzept. Wie Koller betrachtet Bettinger den Habitus als konstituierenden Bestandteil seiner Theorie einer praxeologischen Medienbildung (vgl. Bettinger 2018, S. 1, S. 30). Sein Begriff der Transformation fokussiert im Wesentlichen – in Anlehnung an Bourdieu und von Rosenberg – die (mediale) Habitustransformation. In der Instabilität der Praxis liegt für Bettinger das Potenzial der Transformation. Subjekte sind Habitus- und Medien Quasi-Habitus-Träger. Medienbildung lässt „soziomediale Hybridakteure“ (Nohl 2011; zit. n. Bettinger 2018, S. 5) entstehen, da Mensch und Medien zusammenwirken und Praxis nicht mehr nur vom Menschen ausgehend gedacht werden kann (vgl. Bettinger 2018, S. 5). Mit der ANT (Akteur-Netzwerk-Theorie) findet er einen Ansatz, mit dessen Konfiguration es ihm ermöglicht wird, Medien als wirkmächtig aber nicht bestimmend zu definieren und die hybride Handlungsverknüpfung zwischen Mensch und Medien darzustellen (vgl. Bettinger 2018, S. 147).

Sowohl Koller als auch Marotzki und Bettinger beziehen sich auf die von Kokemohr „inspirierte Auffassung von Bildung als Transformationsprozess, in dem das Welt- und Selbstverhältnis eines Menschen durch die Konfrontation mit neuartigen Problemlagen eine weitreichende Veränderung erfährt“ (Koller/ Marotzki/ Sanders 2007, S. 7). Interessant dabei ist die Tatsache, dass Kokemohr als Begründer einer transformatorischen Bildungstheorie in seinen neueren Arbeiten auf den Transformationsbegriff verzichtet, da dieser vermeintlich als logisch rekonstruierbarer Prozess verstanden werden kann (vgl. Koller 2016, S. 149, Fn. 2). Dennoch bezieht sich Bettingers aktuelles Konzept der praxeologischen Medienbildung (2018) unter anderem auf Kokemohr und Marotzki und das Prinzip von Bildung als Transformation.

Ein anderer Ansatz wird von Meder (1987, 2004[2], 2007a, 2007b, 2008a, 2008b, 2011a, 2011b, 2013, 2014, 2015a, 2015b, 2016, 2017) zunächst an der Universität Bielefeld und dann an der Universität Duisburg-Essen entwickelt. Er nimmt mit der Theorie der relationalen Medienpädagogik und dem Sprachspieler eine Sonderposition ein: Seine Theorie wird nicht als Transformationstheorie begriffen, hat aber durch den Humboldtbezug (vgl. Meder 2014), der Perspektive auf Medien und die Explikation als postmoderne Bildungstheorie Relevanz für diese Arbeit. Sein Theoriekonzept gibt neben dem Transformationsbegriff dem Begriff der Übersetzung einen hohen Stellenwert, da beide Begriffe im Bereich der Medienbildung von Bedeutung sind. Meder befasst sich in seinen Theorien mit beiden Begriffen: mit Transformation und Übersetzung. Eine Auseinandersetzung mit dem Transformationsbegriff in der Medienbildung bedarf einer gleichzeitigen Beschäftigung mit dem Übersetzungsbegriff, weil eine Abgrenzung hinsichtlich der Benutzung der jeweiligen Begrifflichkeit ungenügend vorhanden ist. Humboldt analysiert das Verhältnis zwischen Sprachen unter anderem mit dem Begriffspaar Verstehen und Nicht-Verstehen, was Hönigswald, auf den sich Meder ebenfalls bezieht, mit dem Begriffspaar Übersetzbarkeit – Nicht-Übersetzbarkeit beschreibt (vgl. Benner 2019, S. 126). Humboldts Darlegungen werden für eine Konstruktion transformatorischer Bildungstheorien herangezogen, da sich deren Vertreter auf ihn beziehen. Hönigswalds Ausführungen werden bei Meders Ausführungen und auch bei der Auseinandersetzung mit dem Übersetzungsbegriff hinsichtlich Übersetzbarkeit – Nicht-Übersetzbarkeit herangezogen.

Ausgehend von der Transformationsproblematik wird in dieser Arbeit strukturell nachgereiht die Übersetzungsproblematik behandelt. Warum wird – anscheinend widersinnig – von der Transformationsproblematik ausgegangen und nicht der wohl historisch naheliegendere Weg von der Übersetzungsproblematik zur Transformationsproblematik eingeschlagen? Der Beginn mit dem Transformationsbegriff ist der anscheinenden Wichtigkeit transformatorischer Bildungstheorien geschuldet, die den Begriff der Übersetzung in den bildungstheoretischen Hintergrund gedrängt haben. Es findet daher, was die Gliederung der vorliegenden Arbeit betrifft, keine mutmaßlich ablauflogische Darstellung von der Übersetzung zur Transformation statt. Stattdessen wird der Transformationsbegriff dem Übersetzungsbegriff vorgereiht behandelt.

Nochmals von Humboldt ausgehend und diesmal nicht unter dem Fokus der allgemeinen Bildung und der transformatorischen Bildungstheorie Kollers, sondern unter dem Blickwinkel der Medienbildung, wird bei Jörissen/ Marotzki, Bettinger und Meder eine Gemeinsamkeit hinsichtlich des humboldtschen Bildungsgedanken mit den inhärenten individuellen Veränderungspotenzialen und der Betrachtung von Sprache sichtbar: Bildungsprozesse sind sprachlich gebunden. (vgl. Meder 2014, S. 64; vgl. Iske/ Meder 2010, S. 27; vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 12f.; vgl. Jörissen 2014, S. 18; vgl. Bettinger 2018, S. 127, S. 194). Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Positionen hinsichtlich der Gewichtung der Sprachproblematik unterscheiden.

Meder ist hinsichtlich der Bedeutung von Sprache als Medium für Bildungsprozesse besonders hervorzuheben. Meder, der wie Jörissen/ Marotzki und Bettinger unter anderem über den humboldtschen Bildungsbegriff seine Theorie der relationalen Medienpädagogik begründet, definiert Bildungsprozesse als Veränderungsprozesse, die medial gebunden sind (vgl. dazu auch Meder 2014).

„Nur im Medium, nur als Transformation des Mediums findet Bildung statt. Bildung ist immer Medienbildung.“ (Meder 2011a, S. 79) „Sprache ist das erste bedeutende, d.h. einen Gegenstand zeigende Medium. Deshalb ist sie für Humboldt das Medium der Bildung. In diesem Medium erfahren und gestalten wir Welt und Gemeinschaft und beziehen sie zugleich auf uns selbst als ‚meine Welt‘ und ‚meine Gemeinschaft‘.“ (Iske/ Meder 2010, S. 27)

Subjektive Veränderungsprozesse zeigen sich im Relationsgefüge Welt, Andere und Selbst an Medien gebunden. Welt ist im Darstellungsmedium, Andere ist im Kommunikationsmedium und Selbst ist im Interaktionsmedium abgebildet (vgl. Meder 2011a, S. 77). Sprache stellt, neben dem Leib als primäres Medium, das Medium dar, in dem sich einerseits Bildung vollzieht und das andererseits zugleich Medien generiert (vgl. Meder 2011a, S. 72).

Auch Humboldt sieht, wie schon erwähnt, Bildung an Sprache gebunden und fasst diese als Gegenstand und implizit als Medium (vgl. Koller 2017[8], S. 84). Bildung ist demnach – sowohl im Bereich der allgemeinen Bildungstheorie (Koller) als auch in der Medienbildungstheorie (Jörissen/ Marotzki, Bettinger, Meder) – ein an Kommunikation gebundener Prozess, der sich durch eine Veränderung im Medium der Sprache zeigt. Bildung als Transformationsprozess findet dann zwischen Sprachen statt. Swertz (2020) verdeutlicht mit Hönigswald den Prozess, der Transformation ermöglicht: „Sprechen ist ein unvermitteltes Operieren mit Bedeutungen, d.h. in seiner Naturgebundenheit sinnbestimmt, in seiner Sinnbestimmtheit naturgebunden. […] ich gehe in dieses Naturereignis ein“ (Hönigswald 1937, S. 25f.; zit. n. Swertz 2020, S. 98). „Genau und nur dieses Operieren produziert Transformation, und es sind solche Operationen, in denen Akteurinnen und Akteure ihre Entscheidungsimpulse setzen und zeigen“ (Swertz 2020, S. 98).

Swertz verweist auf den Umstand, dass Übersetzungsproblematiken als Transformationsproblematiken benannt werden (vgl. Swertz 2020, S. 98). Eine genaue Darlegung der Begriffsbedeutung von Transformation und Übersetzung scheint daher wesentlich für deren Verwendung im medienpädagogischen Bereich.

Als Intention der vorliegenden Arbeit lassen sich folgende Schwerpunkte verdeutlichen:

(1) Wie die vorausgesetzte Möglichkeit einer Transformation des Subjekts durch die Auseinandersetzungen mit Selbst, Welt und Andere bei Jörissen/ Marotzki und Bettinger definiert und dargestellt wird, soll ein Inhalt der vorliegenden Forschungsarbeit sein. Dabei ist bei der Betrachtung der Theorien von Jörissen/ Marotzki und Bettinger das besondere Augenmerk auf die eventuelle Begriffswandlung des Transformationsbegriffs gelegt, wenn er von der allgemeinen Bildungstheorie (dargelegt mit Koller als Referenz) in die Medienbildung überführt wird. Von Interesse für diese Arbeit ist daher, wie die zwei Positionen der Medienbildung – Jörissen/ Marotzki und Bettinger – das Verständnis des Humboldt’schen Veränderungspotenzials, das dem Menschen innewohnt, in ihren Positionen definieren und darlegen, und ob sie dabei, wenn sie auf den Begriff der Transformation der allgemeinen Bildungstheorie Kollers zurückgreifen, diesen an die Bedingungen der Medienbildung anpassen oder umwandeln, quasi transformieren, oder ob sie diesen nur übernehmen.

(2) Zudem erweist sich im Bereich der Medienbildung der Begriff der Übersetzung neben dem Transformationsbegriff als zusätzlich interessant, da dieser Begriff in den Abhandlungen über Medienbildung bei Bettinger und Jörissen/ Marotzki zwar in Spuren vorkommt, dabei aber einerseits keiner klaren Definition unterzogen wird und andererseits keine scharfe Abgrenzung zum Transformationsbegriff stattfindet (vgl. Bettinger 2018, S. 112; vgl. Jörissen/ Marotzki 2009, S. 12). Was mit Übersetzung gemeint ist, ist nicht deutlich dargestellt. Es könnte demnach die angesprochene Problematik von Swertz, dass Übersetzungsproblematiken als Transformationsproblematiken benannt werden, bei Bettinger und Jörissen/ Marotzki zutreffen. Daher stellt sich die Frage, wann sich der Begriff der Transformation im Bereich der Medienbildung für das Darstellen einer Problematik eignet und wann der Begriff der Übersetzung treffender geeignet ist.

Meder nimmt mit seiner relationalen Medienpädagogik und seinem Sprachspieler-Konzept – wie dargelegt – eine Sonderposition in dieser Arbeit ein, da er in seiner Theoriebildung auf den Begriff der Transformation zurückgreift, aber in seinen Ausführungen zusätzlich den Begriff und den Vorgang der Übersetzung implizit und explizit einsetzt beziehungsweise darlegt (vgl. dazu Der Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien). Er definiert seine Theorien zudem nicht als Transformationstheorien. Daher soll mit Hilfe der Theorien Meders der Versuch einer Explikation der Bedeutung von Übersetzung vorgenommen werden.

These 1 lautet, dass der Transformationsbegriff weg vom Begriff der allgemeinen Bildungstheorie hin zum Begriff der Medienbildung selbst einer Transformation unterliegt.

These 2 lautet, dass die beiden Begriffe Transformation und Übersetzung im Bereich der Medienbildung in manchen medientheoretischen Arbeiten ohne klare Bestimmung und präzise Abgrenzung voneinander verwendet werden.

Die Bearbeitung der veranschaulichten Problematik wird mit dem anschließenden Darlegen der Forschungsfragen begonnen. Nach der Beschreibung der Methode der Hermeneutik im Kapitel 2, die in dieser Arbeit ihre Anwendung findet, wird im nächsten Kapitel 3 der Begriff Transformation in der allgemeinen Bildungstheorie charakterisiert. Dazu wird der Transformationsbegriff etymologisch und genealogisch als nicht-heimischer Begriff kritisch durchleuchtet und mit Sattler/ Schluß und Friedrichs einer Untersuchung unterzogen. Mit einem Fazit werden die Ergebnisse zusammengefasst. Nach einer allgemeinen Erläuterung des Bildungsbegriffs von Koller wird seine Theorie transformatorischer Bildungsprozesse dargestellt und ebenfalls mit einem Fazit abgeschlossen, um so das Feld der allgemeinen Bildungstheorie hinsichtlich des Transformationsbegriffs abzudecken. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse den Transformationsbegriff der allgemeinen Bildungstheorie betreffend, schließt das Kapitel 3 ab.

Im Kapitel 4 wird der Transformationsbegriff in der Medienbildung dargelegt. Eingangs wird der Begriff Medienbildung geschichtlich und struktural kurz umrissen. Besonderes Augenmerk erhalten in einem Unterkapitel jeweils Jörissen/ Marotzkis strukturale Medienbildung und Bettingers praxeologische Medienbildung. In gleichlautenden Unterkapiteln werden der jeweilige Bildungsbegriff und deren Theorie erläutert. Medienbegriff, Theoriebezüge und Dimensionen der Medienbildung werden betrachtet, um anschließend den jeweiligen Stellenwert der Transformation, der der jeweiligen Theorie innewohnt, zu durchleuchten. Das Fazit im Unterkapitel 4.3 Die Transformation des Transformationsbegriffs von der allgemeinen Bildungstheorie Kollers zur Medienbildung unter Berücksichtigung von Selbst – und Weltverhältnissen soll Antwort auf die erste Forschungsfrage geben: Welcher Transformation unterliegt der Transformationsbegriff unter Berücksichtigung von Selbst- und Weltverhältnissen, wenn er von der allgemeinen Bildungstheorie in die Medienbildung überführt wird? Dabei sollen eventuelle Rückschlüsse auf die Transformation des Transformationsbegriffs, weg vom Begriff der Transformation der allgemeinen Bildungstheorie hin zum Transformationsbegriff der medialen Bildungstheorie, verdeutlicht werden.

Im Kapitel 5 beginnt die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Übersetzung, weil die aufbaulogische Herangehensweise dieser Arbeit – wie dargestellt – über die Veranschaulichung der Transformationsproblematik zur Übersetzungsproblematik führen soll und daher der Begriff Übersetzung an der erwähnten Stelle von Bedeutung wird. Nach eingangs dargelegten Hinweisen von Übersetzung bei Jörissen/ Marotzki und Bettinger wird anschließend auf Meders relationale Medienpädagogik eingegangen. Ziel ist – nach einer ausführlichen Darstellung von Meders Bildungsbegriff und seiner Theorie, seinen Theoriebezügen, seinem Medienbegriff und seinem Zugang zur Übersetzungsproblematik – den Stellenwert des Übersetzungsbegriffs im Bereich der Medienbildung unter Berücksichtigung von Selbst- Welt- und Anderenverhältnissen zu charakterisieren. Aus den entwickelten Positionen von Meder, Jörissen/ Marotzki und Bettinger wird in einem weiteren Unterkapitel der Frage nach dem Umgang mit Medien als Transformations- oder Übersetzungsproblem nachgegangen und dabei im Kapitel 5.4 unter Fazit 2 die zweite Forschungsfrage anhand von vier Leitfragen beantwortet: Wann ist der Umgang mit Medien als Übersetzung respektive Transformationsproblem zu verstehen? Dabei soll versucht werden die Bedeutungshoheit der Begriffe Transformation und Übersetzung in der Medienbildung klarzulegen. Eine Conclusio und eine weiterführende Forschungsperspektive schließen die Arbeit ab.

Das Forschungsinteresse der These 1 – die Transformation des Transformationsbegriffs, wenn er für die Bestimmung des transformatorischen Medienbildungsbegriffs Verwendung findet – lässt folgende Forschungsfrage generieren:

1.) Welcher Transformation unterliegt der Transformationsbegriff unter Berücksichtigung von Selbst- und Weltverhältnissen, wenn er von der allgemeinen Bildungstheorie in den Bereich der Medienbildung überführt wird?

Warum? Unter Bezugnahme auf den Humboldt’schen Bildungsbegriff scheint sich ein Bildungsbegriff des Medialen zu entwickeln, der den Transformationsbegriff explizit mitdenkt. Gedacht sei hier eben an Jörissen/ Marotzkis strukturale Medienbildung und Bettingers praxeologische Medienbildung. Diesem Anschein soll durch ein Darlegen dreier Bildungstheorien – Koller, Jörissen/ Marotzki und Bettinger – nachgegangen werden und der Transformationsakt – die Transformation des Transformationsbegriffs weg vom Begriff der Transformation der allgemeinen Bildungstheorie (Koller) hin zum Transformationsbegriff der medialen Bildungstheorie (Jörissen/ Marotzki, Bettinger) – durchforscht und seine eventuell neue transformierte Bedeutung veranschaulicht werden.

Nach der Beantwortung der ersten Forschungsfrage und dem daraus resultierenden Versuch einer Darlegung des Transformationsbegriffs in der Medienbildung stellt sich die Frage nach dem Stellenwert des Transformationsbegriffs in der Medienbildung. Laut These 2 fehlt eine genaue Abgrenzung zum Begriff der Übersetzung in der Medienbildung, der Ähnlichkeiten in der Auslegung zulässt. Wann wird in der Medienbildung von einer Übersetzung, wann von einer Transformation gesprochen? Über den Versuch einer Abgrenzung zwischen den beiden Begrifflichkeiten soll eruiert werden, wo der Begriff Transformation eine Darstellungsoption hinsichtlich Medienproblematiken zulässt und wo sich der Begriff Übersetzung als Darstellungsoption richtig erweist.

Als weitere Intention der vorliegenden Arbeit lässt sich daher folgende zweite Forschungsfrage generieren:

2.) Wann ist der Umgang mit Medien als Übersetzungs- respektive Transformationsproblem zu verstehen?

Zum Beantworten der zweiten Forschungsfrage, wann der Begriff Transformation oder der Begriff Übersetzung die Problematik im Umgang mit Medien pointierter darstellen lässt, werden Jörissen/ Marotzki und ihre Verweise Richtung Humboldts Sprachenbegriff, Bettingers praxeologische Medienbildung unter Einbeziehung der Akteur-Netzwerk-Theorie von Latour und Meders relationale Medienpädagogik respektive sein Sprachspieler und die darin enthaltene Bezugnahme zu Hönigswald beziehungsweise Wittgenstein als Hauptquellen zur Bearbeitung dieser Thematik herangezogen. Dabei soll versucht werden eine klare Bedeutungshoheit und scharfe Abgrenzung der Begriffe Transformation und Übersetzung für den medientheoretischen Bildungsbereich darzulegen.

Zusammenfassend lässt sich die Struktur der vorliegenden Arbeit folgendermaßen knapp beschreiben: Über eine Darlegung des Transformationsbegriffs in der allgemeinen Bildungstheorie von Sattler/ Schluß und Friedrichs und eine Veranschaulichung von Kollers trans-formatorischer Bildungstheorie wird, über die Charakterisierung der Medienbildungstheorien von Jörissen/ Marotzkis und Bettinger, die Transformation des Transformationsbegriffs bei der Überführung von der allgemeinen Bildungstheorie hin zur Medienbildungstheorie untersucht. In einem ersten Fazit wird versucht die erste Forschungsfrage nach der Transformation des Transformationsbegriffs unter Berücksichtigung von Selbst- und Weltverhältnissen in der Medienbildung zu beantworten. Dabei werden eventuelle Rückschlüsse auf die Transformation des Transformationsbegriffs, weg vom Begriff der Transformation der allgemeinen Bildungstheorie Kollers hin zum Transformationsbegriff der Medienbildungstheorie gezogen.

Wie der Begriff der Übersetzung im Bereich der Medienbildung Verwendung findet, wird anschließend im Besonderen mit Meder und der relationalen Medienbildung beziehungsweise dem Konzept des Sprachspielers dargestellt, um dadurch Klarheit über die Verwendung des Übersetzungsbegriffs zu erhalten. Dieser Auseinandersetzung wird ein allgemeiner Überblick den Übersetzungsbegriff betreffend vorangestellt. Im Fazit 2 wird der Stellenwert des Übersetzungsbegriffs mit Meder, Bettinger und Jörissen/ Marotzki veranschaulicht. Wann der Begriff der Übersetzung, wann der Begriff der Transformation relevant für die Darlegung eines Medienproblems ist – ob beispielsweise eine Reflexion und damit einhergehende Distanzierung bei Verständigungsproblemen ein Transformations- oder Übersetzungsproblem darstellen – wird im Kapitel 5.4 Problematisierung des Umgangs mit Medien: Transformations- oder Übersetzungsproblem? mit den dargelegten Perspektiven von Meder, Jörissen/ Marotzki und Bettinger versucht zu klären. Damit soll anschließend die zweite Forschungsfrage beantwortet werden: Wann ist der Umgang mit Medien als Übersetzungs- respektive Transformationsproblem zu verstehen?

Mit einer Conclusio und einer weiterführenden Forschungsperspektive schließt die Arbeit ab.

2. Die Methode der Hermeneutik

In diesem Kapitel wird das methodische Vorgehen dieser Arbeit allgemein und im speziellen dargelegt und begründet. Klafkis Hermeneutische Verfahren in der Erziehungswissenschaft (1971/ 2007) und Rittelmeyer/ Parmentier Einführung in die pädagogische Hermeneutik. Mit einem Beitrag von Wolfgang Klafki (2007) dienen als Grundlagenliteratur.

Obwohl es sich bei dem Vorhaben dieser Arbeit streng genommen um einen systematischen Vergleich von Positionen handelt, kann die Herangehensweise der Hermeneutik als methodischer Rahmen dienen.

Unter Hermeneutik ist die Kunst der Textinterpretation zu verstehen, deren Ursprung in der griechischen Antike liegt (vgl. Friebertshäuser 2009, S. 230; vgl. Rittelmeyer/ Parmentier 2007, S. 126f.). Gadamer erkennt in seinem hermeneutischen Grundlagenwerk Wahrheit und Methode (1960) das Verstehen als ein Anders-Verstehen, ein Sich-Verständigen (vgl. Rittelmeyer/ Parmentier 2007, S. 18).

Ein systematisches Verfahren verlangt – punktuell dargelegt – ein Thema, eine erste Fragestellung, die Grobgliederung der Arbeit, eine ausführliche Literaturrecherche zum Thema, wobei eine Suche vom Allgemeinen zum Speziellen stattfindet, und die Auswertung der Literatur. Die Literatur hilft auf bekannten Erkenntnissen aufbauend, erarbeitete Ergebnisse argumentativ abzusichern. Neue und eigene Lösungsansätze werden erst durch eine umfassende Kenntnis über das Thema möglich. Die Hermeneutik als ein spezielles systematisches Verfahren bietet sich wegen der verschriftlichten und klar dargelegten Vorgehensweise zum Beschreiben des methodischen Ansatzes dieser Arbeit an.

Mit der Darlegung der zehn ausgearbeiteten Punkte (1–10) des hermeneutischen Verfahrens von Klafki soll über die Fragestellung(en) eine überprüfbare und damit nachvollziehbare Textauslegung möglich gemacht werden. Der Fragestellung liegt (1) ein bestimmtes Vorverständnis zugrunde, das der Interpretin bewusst sein soll. Die Interpretin formuliert ihre Fragestellung mit der sie an den Text/ die Texte herangeht. Das Vorverständnis und die Fragestellung(en) müssen (2) an dem/ den Text(en) überprüft, reflektiert und gegebenenfalls korrigiert werden. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung bedarf Quellentexte oder kritische Ausgaben als wesentliche Voraussetzung der Interpretation. Die daraus neu generierten Hypothesen werden (3) im Prinzip des hermeneutischen Zirkels kontrolliert und mit dem Wissenstand, der durch andere Texte erweitert wird, überprüft (vgl. Rittelmeyer/ Parmentier 2001, S. 232).

Die Interpretin generiert eben diese Hypothesen aus einem Text durch das Überprüfen ihres Vorverständnisses und dem Hineinversetzen in die Umstände. Die Umstände betreffen neben dem Textinhalt den Autor des zu interpretierenden Textes, die historischen Bedingungen und (4) – besonders – die Sprache.

„Für die Ermittlung des Argumentationszusammenhangs eines Textes haben die syntaktischen Mittel, die Sätze oder Satzteile miteinander verbinden, große Bedeutung. Wissenschaftliche Interpretation muß folglich diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit schenken.“ (Klafki 1971/ 2001, S. 141)

Der Bedeutungsgehalt des Textes ist damit ein wesentlicher Interpretationsfaktor.

Zum Verstehen braucht es bei Kontroversen (5) das Einbeziehen der Gegenspieler. (6) Das Hinzuziehen weiterer Quellen dient dazu, textübergreifende Zusammenhänge zu verstehen. (7) Syntaktische Mittel, die Sätze beziehungsweise Satzteile verbinden, müssen beim hermeneutischen Verfahren besonders beachtet werden. (8) Die Gliederung fasst die Gedankengänge verständlich zusammen und erleichtert die Übersicht durch ihre Wertung. Die Argumentation muss (9) logisch stringent sein. Die Interpretation verläuft (10) zirkulär. Wichtig ist laut Klafki, dass „später in einem Text auftretende Aussagen […] ergänzend und verändernd auf das Verständnis des früher Gesagten zurück [wirken; S.O.]. Zugleich gilt aber auch: Der jeweils umfassendere Zusammenhang kann nicht ohne seine einzelnen Elemente verstanden werden“ (Klafki 1971/ 2007, S. 144). Die gesellschaftliche Lage und das Bewusstsein des Autors muss mitgedacht werden und eventuell (10) ideologische Kritik als diese erkannt werden (vgl. Klafki 1971/ 2007, S. 134–147).

Zusammenfassend findet hinsichtlich der Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit eine hermeneutische Darlegung bezüglich des Begriffs der Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen in der Medienbildung statt, wobei vom transformatorischen Bildungsbegriff Kollers und seiner Bezugnahme auf Humboldt ausgegangen wird. Es wird mit der Methode der Hermeneutik in einem ersten Schritt der mögliche Transformationsakt – die Transformation des Transformationsbegriffs weg vom Begriff der Transformation der allgemeinen Bildungstheorie hin zum Transformationsbegriff der medialen Bildungstheorie – untersucht und versucht, seine eventuell neue, transformierte Bedeutung darzulegen. Dazu werden die strukturale Medienbildung nach Jörissen/ Marotzki und die praxeologische Medienbildung Bettingers herangezogen und einem systematischen Vergleich unterzogen. In einem zweiten Schritt wird mit der Methode der Hermeneutik der Versuch unternommen herauszufinden, wann der Umgang mit Medien als Übersetzungs- oder als Transformationsproblem zu verstehen ist. Eingangs wird dazu für den Bereich der Übersetzungsproblematik Meders relationale Medienpädagogik und sein Sprachspieler, die sich – anknüpfend an Hönigswald und Wittgenstein – besonderes mit der Bedeutung der Sprache als medialer Mittler und Vermittler auseinandersetzen und damit für eine Bearbeitung der Übersetzungsproblematik im Bereich der Medienbildung besonders geeignet scheinen, einer genauen Betrachtung unterzogen. Weiters wird über die Problematisierung von Übersetzung respektive Transformation veranschaulicht, welchen Stellenwert Übersetzung und Transformation in den dargelegten Positionen von Meder, Jörissen/ Marotzki und Bettinger einnehmen, wobei gewonnene Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit herangezogen werden, um anschließend ein Verständnis hinsichtlich des Zusammenhangs von Übersetzung und Transformation zu generieren.

3. Transformatorische Bildungsprozesse in der allgemeinen Bildungstheorie

Es stellt sich die Frage, welche Relevanz der vorwiegend technisch konnotierte Begriff Transformation als Begriffsimport in der Bildungswissenschaft aufweist: Was soll Transformation im bildungswissenschaftlichen Kontext bedeuten? Im dritten Kapitel wird der Transformationsbegriff kritisch im Hinblick auf seine nicht-heimische Nutzung im bildungswissenschaftlichen Kontext durchleuchtet. Seine etymologischen und genealogischen Wurzeln werden beforscht und diskutiert. Dabei dienen Sattler und Schluß (2001) Transformation – einige Gedanken zur Adaption eines nicht-einheimischen Begriffs. Dietrich Benner zum 60. Geburtstag, die in ihren Ausführungen den Begriff kritisch hinsichtlich einer Nutzung als Begriffsimport betrachten und Werner Friedrichs (2002) Transformation des Allgemeinen. Allgemeine Transformation als Hauptliteratur. Sattler/ Schluß appellieren an Benner für eine Ausdrucksänderung hinsichtlich des Begriffs der Überführung hin zum Begriff der Transformation, wenn gesellschaftliche in pädagogische Determinationen überführt werden. Friedrichs Beitrag über Allgemeine Pädagogik und ihre Transformation erweist sich als besonders fruchtbar, nicht nur, weil er über die Position und die Entwicklung der Allgemeinen Pädagogik im Becken der Pädagogiken reflektiert, sondern auch, weil er in seinen Ausführungen das Mediale mitdenkt und damit bei der Fassung des Transformationsbegriffs als das Dazwischen zwischen allgemeiner Bildungstheorie und Medienbildung vermitteln kann und zudem bei einer Spurensuche hinsichtlich eines eventuellen Wandels des Transformationsbegriffs, weg vom Allgemeinen hin zu einem medialen Transformationsbegriff, hilfreich sein könnte.

Der Begriff Transformation etabliert sich ab 1990 in der qualitativ-empirischen Bildungsforschung und hier besonders in der Biografieforschung durch ein Fokussieren auf Bildung als Transformationsprozess eines Subjektes und seiner Selbst- und Weltverhältnisse. Dabei spielen die Beiträge von Kokemohr, Marotzki und Koller eine bedeutende Rolle (vgl. Koller 2012, S. 15–17; vgl. Reh 2014, S. 329). Transformation wird in diesem Zusammenhang als Transformation von Strukturen des Subjektes, etwa als Habitustransformation, verstanden oder als bestimmte Reaktionen des Subjektes auf gesellschaftliche Diskurse beziehungsweise Problemstellungen. Das Subjekt ist dabei nicht nur als aufnehmendes passives, sondern auch als aktives und handelndes Wesen zu verstehen (vgl. Reh 2014, S. 329f.). Kollers Theorie von Bildungsprozessen als Transformationsprozesse wird exemplarisch herangezogen.

Zusammenfassend zeigt dieses Kapitel zu Beginn mit Sattler/ Schluß und Friedrichs zwei Überlegungen zur Transformation in der allgemeinen Bildungstheorie auf. Im Anschluß findet eine Darlegung Kollers transformatorischer Bildungstheorie mit seinen relevanten Referenzen statt, um so das Feld „Transformatorische Bildungsprozesse in der allgemeinen Bildungstheorie“ abzustecken.

3.1 Überlegungen zu Transformation in der allgemeinen Bildungstheorie: Sattler und Schluß

Sattler und Schluß (2001) verweisen in ihrem gemeinsamen Aufsatz Transformation – einige Gedanken zur Adaption eines nicht-einheimischen Begriffs. Dietrich Benner zum 60. Geburtstag auf die Affinität des Begriffs Transformation, der als Import in der Bildungswissenschaft reüssiert, in den Bereichen der Soziologie und Elektrotechnik hin (Sattler/ Schluß 2001, S. 173). Sie geben zu bedenken, dass sich in der Auslegung der Soziologie als auch der Elektrotechnik transformative Prozesse durch einen Beginn A und ein Ende B auszeichnen, wohingegen Bildungsprozesse offen zu denken sind (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 175). Problematisch ist dabei, dass das Ziel transformatorischer Bildung als das B nicht fassbar ist, wiewohl sowohl der technischen als auch der soziologischen Auslegung von Transformation eine Zielbestimmung innewohnt. Damit erweist sich der gängige Transformationsbegriff nicht uneingeschränkt für das Beschreiben von Bildungsprozessen geeignet (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 173). Der inhaltlich soziologisch beziehungsweise elektrotechnisch besetzte Begriff bedarf daher einer Überführung entsprechend einer bildungswissenschaftlichen Denkrichtung, die Sattler/ Schluß mit Benners Modell einer Praxeologie beispielhaft vollziehen wollen (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 176). Dies wird im nächsten Absatz versucht darzulegen. Sie verweisen zudem auf das Exempel Lehrplanentwicklung als Transformationsprozess auf das in dieser Arbeit nicht eingegangen wird, dennoch sind die erhobenen allgemeinen Thesen von Interesse und werden daher explizit angeführt.

Der Mensch als handelndes Wesen agiert in verschiedenen Praxen , für die er Problemlösungen bei spezifischen Sachlagen finden muss. Pädagogische Praxis ist durch die spezifische Not/ Sachlage der Erziehungsnotwendigkeit der Kinder, die sich erst Welt aneignen müssen, entstanden. Institutionen entlasten durch professionelle pädagogische Praxis. An die pädagogische Praxis werden Erwartungen und Forderungen von anderen gesellschaftlichen Praxen herangetragen. Diese werden aufgenommen und durch eine Neuauslegung nach den Prinzipien des pädagogischen Denkens und Handelns umformuliert und damit transformiert (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 176f.). Benner (2015[8]) verweist bezüglich der vorangegangenen Problematik von Sattler und Schluß in Allgemeine Pädagogik. Eine sytematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denken und Handelns auf pädagogische Transformationen in Form didaktischer und gesellschaftspädagogischer Natur, die sich gegenseitig beeinflussen und ergänzen respektive bedingen (vgl. Benner[8] 2015, S. 110–113). Unter didaktischer Transformation versteht Benner, wenn notwendige gesellschaftliche Sachlagen durch Lerninhalte im Unterricht transformiert werden. Dabei finden welt- und selbstbildende Lehr- und Lernprozesse statt. Eine gesellschaftspädagogische Transformation ist als außerunterrichtlicher diskursiver Akt in der Gesellschaft zu verstehen (vgl. Benner 2015[8], S. 110f.).

Sattler und Schluß entwickeln aus Benners Explikationen der Ausgabe von Allgemeine Pädagogik. Eine sytematisch-problemgeschichtliche Einführung in die Grundstruktur pädagogischen Denken und Handelns aus dem Jahr 1996 den Vorschlag, den Prozess der Überführung gesellschaftlicher Determination in pädagogische Determination als Transformation zu bezeichnen, dem Benner wohl nachgegangen ist, wie in Fn. 15 dargelegt wird und legen von sechs Thesen fünf Thesen, die für den Begriff Transformation relevant erscheinen dar. Die von Sattler/ Schluß ausgeführte These 2 bezieht sich auf die vielfältigen Erwartungen an die Pädagogik und dem daher unangemessenen Ausdruck Determination. Sie plädieren für Ansprüche statt diesem (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 179).

These: „Die Überführung (später Transformation), obgleich ein Inter-Prozeß, ist der Sphäre zugehörig, in die transformiert werden soll. Das Telos entscheidet demnach über die Zugehörigkeit“ (Sattler/ Schluß, 2001, S. 178).

Dem Agenten der Transformation gehört die Sphäre (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 179). Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Bestimmend ist nicht wer eine Transformation will, sondern wer diese Transformation vollzieht.

These: „Im Prozeß der Transformation geht es um die im Rahmen der pädagogischen Praxis und ihrer Institutionalisierungen wahrgenommenen Ansprüche“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 179).

Im Wahrnehmen liegt eine einfache Form der Interpretation. Die Möglichkeit des Verstehens ist dem eingeschlossen (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 180). „Die Wahrnahme von Ansprüchen ist so als ein hermeneutischer Akt zu begreifen, der Bedingungen der Möglichkeit jedes Verstehens unterworfen ist“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 180).

These: „Auch die Überführung ist kein mechanischer Akt, sondern eine kreative Leistung eines handelnden Individuums. Diesen Sachverhalt beschreibt der Begriff der ‚Transformation‘ angemessen“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 180).

Transformation ist damit nach Sattler/ Schluß an ein aktiv handelndes kreatives Subjekt gebunden. Selbst ähnliche Wahrnahme wird immer zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, da der Prozess der Umsetzung kein mechanischer Transfer, sondern ein von Einflüssen geprägter ist. Der Begriff der Transformation lässt den Handlungscharakter der Übersetzung abbilden und ist daher dem Begriff der Überführung vorzuziehen (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 180). Transformation ist ein ergebnisoffener Prozess, der von handelnden Subjekten gestaltet wird. Zudem erlaubt die Wesensart des Transformationsbegriffs kritische Fragen bezüglich seiner Kriterien und seiner Geltungsansprüche (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 180f.).

These: „Am Ende von Transformationen wahrgenommener Ansprüche können nicht Determinationen stehen, sondern selbst nur wieder Ansprüche“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 181).

Damit können zwar Verbindlichkeiten erwartet werden, die jedoch nicht festgelegt sein können (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 181).

These: „Auch die Ergebnisse von Transformationsprozessen sind Ansprüche, die nur dadurch die Chance der Wirksamkeit erlangen, daß sie wahrgenommen werden“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 181).

Nur durch eine Reflexion über den vergangenen Prozess kann (Selbst-)Erkenntnis gewonnen werden.

Transformation kann dann als eine subjektiv-kreative Handlung mit einem beschreibbaren Anfangs- und Endzustand, die sich klar voneinander unterscheiden und als ein Phänomen, das weitere Transformationen nicht ausschließt, betrachtet werden. Transformation ist damit nicht abschließbar, sondern als „ein Inter-Phänomen zwischen zwei beschreibbaren Zuständen“ (Sattler/ Schluß 2001, S. 182) zu sehen. Die zeitliche Dimension liegt dem Transformationsprozess inne (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 181f.). Durch Reflexion und (Selbst-)Erkenntnis zeigt sich das transformierte Selbst. Ein letztgültiges transformiertes Bildungsideal kann dabei nicht beschrieben werden (vgl. Sattler/ Schluß 2001, S. 183).

3.2 Überlegungen zu Transformation in der allgemeinen Bildungstheorie: Friedrichs

Friedrichs (2002) sieht in Transformation des Allgemeinen. Allgemeine Transformation die Kultivierung des Transformationsbegriffs gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüchen geschuldet, die mit krisenhaften Geschehnissen einher gehen (vgl. Friedrichs 2002, S. 17). Er verweist mit Weik (1998) auf Eigenschaften, die Transformation ausmachen und damit ein Abgrenzen von Vorgängen wie Umbrüche, Wandel oder Evolution zulassen: Transformation wird von Qualität und nicht von Quantität bestimmt, wobei die Wahrnehmung des Geschehens als relevantes Ereignis für das Individuum oder ein Kollektiv wesentlich ist (vgl. Friedrichs 2002, S. 25).

„Es ist nicht die Masse der Wandlungsvorgänge, die Transformation ausmacht, sondern

– die wahrgenommene Relevanz dieser Vorgänge für des (sic!) Leben das (sic!) Einzelnen oder der Gruppe (z. B. ihre Einstufung als ›krisenhaft‹),
– der Grad der Änderung (Einstufung als im Prinzip bekannt oder neu).“ (Weik 1998, S. 141; zit. n. Friedrichs 2002, S. 25)

Als schwierig, nahezu unmöglich, erscheint das Fest-stellen von Transformation: Wenn von gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationen die Rede ist muss eine Selbstbeobachtung und Reflexion stattfinden, die jedoch ebenfalls einem Transformationsmodus unterliegen. Damit erscheint das Festmachen als problematisch, denn wer ist vor dem Anfang da und nach dem Ende, um Anfang und Ende ausmachen zu können (vgl. Friedrichs 2002, S. 17).

Von bildungstheoretischer Relevanz ist Friedrichs Verweis auf einen Rest, der ersichtlich macht, dass durch Transformationsprozesse Sedimente erhalten bleiben, womit „nicht alles zu Ende gegangen ist“ (Friedrichs 2002, S. 18). Transformation lässt sich so mit einer Form, die einer Veränderung unterliegt und einem Medium, das Bestand hat beschreiben (vgl. Friedrichs 2002, S. 18).

„Zwar wird die Form in der Transformation wesentlich verändert, aber über das Medium schreibt sich die Transformation der Form in ein Kontinuum ein. […] Mit der Unterscheidung von Form und Medium ist die Möglichkeit gegeben, von Transformation zu reden und nicht einfach von Anfang und Ende.“ (Friedrichs 2002, S. 18)

Für eine Beschreibung der Komponenten Form und Medium – im Sinne Friedrichs – eignet sich die Form-Medium-Differenz von Luhmann , die er in Gesellschaft der Gesellschaft (1997) konkretisiert und Mersch (2013[3]) darlegt (vgl. Mersch 2013[3], S. 209, S. 247).

Das Medium wird darin als Systemkategorie maschineller, biologischer, psychischer oder sozialer Systeme erkannt. Mit den Eigenschaften Referenz – Selbstreferenz werden Bewegung, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Sinn und Kommunikation operational repräsentiert. Die Form trägt den operativen Status, womit das Wie der Entstehung und nicht das Was sie ist wesentlich ist. Formen entstehen durch „Hervorbringung und Setzung von Unterscheidungen und Unterscheidungen von Unterscheidungen“ (Luhmann zit. n. Mersch 2013[3], S. 211). Dies ist die einzige Grundoperation, die nach einer Setzung auch keine Rückgängigkeit ermöglicht. Eine Folge von Unterscheidungen erzeugt durch die gesetzten Handlungen nach Spencer-Brown eine Struktur (vgl. Mersch 2013[3], S. 211).

Das Wie der Artikulation der Handlungen, der Ausdruck, wird – wie Mersch darlegt – durch Medien konkretisiert. Damit wird das Medium dann bedeutsam, wenn Formen sich entfalten und eine Konkretisierung ansteht. Im Medium liegt die Antwort auf die Frage nach der Bedingung der Entfaltung, das Wie der Entstehung und damit die Form. Das Medium ist das Bedingende, das Voraussetzende, das eine Vielzahl möglicher Formen ermöglicht. Das Medium als Bedingung der Möglichkeit trägt die zentrale Rolle für die Konstitution von Entscheidungen in sich. Medium und Form als zwei Relata sind damit als Relationsgefüge erkennbar (vgl. Mersch 2013[3], S. 208-214). Luhmann arbeitet drei relevante Punkte, die laut Mersch „Konturen eines philosophischen Medienbegriffs“ (Mersch 2013[3], S. 216) erkennen lassen, heraus:

1.) Medien und Form bestehen aus denselben Elementen und sind in Relation zueinander (vgl. Mersch 2013[3], S. 216). Meder, der sich ebenfalls auf Luhmann bezieht, verdeutlicht dies:

„Medium ist immer Medium für eine Form und Form ist immer Form mit Bezug auf ein Medium. Es gibt weder ein absolutes Medium noch eine absolute Form. Medium und Form sind co-prinzipal wie Materie und Form.“ (Meder 2015a, S. 127)

Das Medium ist strukturiert und lässt Möglichkeiten zu, aber nicht beliebig (vgl. Mersch 2013[3], S. 216).

2.) Medien kommen nur in anderen Medien vor. Formen kommen nur in Formen vor. Der Prozess bestimmt das Medium: Es ist nur im Wirken sichtbar (vgl. Mersch 2013[3], S. 216f.).

„[…] Medien und Form [sind; S.O.] nicht selbst etwas […], sondern sie entstehen und vergehen nur in einem permanenten Prozess des Koppelns und Entkoppelns, so dass sie jeweils nur in Bezug auf diesen beschreibbar erscheinen. Die eigentliche Bestimmungsgröße ist demnach der Prozess. Er macht aus ihnen ein ‚Differenzial‘. Medium und Form funktionieren als solche Differentiale, die übersetzen, transformieren oder verschieben, die aber als Differentiale nicht hervortreten, sondern nur in ihrem Wirken ‚sind‘ und als solche beobachtbar werden.“ (Mersch 2013[3], S. 217)

3.) Das Medium ist das Konstituierende. „Das Medium ‚ist‘ nicht: Wir haben nur die konkreten Formen und Artikulationen, das Geschehen der Formung und Entformung […]“ (Mersch 2013[3], S. 218).

Meder (2015a) fasst Luhmanns Medium-Form-Differenz derart:

„Auch Luhmann versteht das Medium als Substrat, Hypokeimenon. Auch für Luhmann kommt das Medium – wie der Materie – Beständigkeit zu, während die Formen wechseln und vergessen werden. Auch er parallelisiert Möglichkeit und Wirklichkeit mit Materie und Form. […] Materie/Medium ist das Prinzip der Veränderbarkeit, das Prinzip des Passiven, dem die Form als Prinzip der Aktivität die Veränderung einschreibt.“ (Meder 2015a, S. 125)

Friedrichs denkt wohl Medium und Form im Sinne Luhmanns, wenn er die Relata Medium und Form für eine Beschreibung von Transformation verwendet (die Zitatwiederholung dient der Verdeutlichung):

„Zwar wird die Form in der Transformation wesentlich verändert, aber über das Medium schreibt sich die Transformation der Form in ein Kontinuum ein. […] Mit der Unterscheidung von Form und Medium ist die Möglichkeit gegeben, von Transformation zu reden und nicht einfach von Anfang und Ende.“ (Friedrichs 2002, S. 18)

Wird nun nach dem vorhergegangenem Zitat Friedrichs Bildung als Form betrachtet, ändert sich Bildung in der Transformation. „Bildung [wird; S.O.] als neu transformiertes beschreibbar“ (Friedrichs 2002, S. 18).

Ein Transformationsprozess zeichnet sich zudem durch die Dimensionen der Veränderung und des Bestandes aus. Transformation in der Bildung verweist demzufolge auf einen Gegenstand, der transformiert wird und auf Restliches, das unverändert bleibt. Damit bleiben Dinge erhalten und werden von der Transformation nicht beeinflusst (vgl. Friedrichs 2002, S. 18). Aber:

„In der Topographie einer Transformation zeigen sich […] nicht Lücken, Nischen oder Ränder, in denen Untransformiertes konserviert wird, sondern durch das Medium hindurch artikuliert sich die Transformation.“ (Friedrichs 2002, S. 18)

Damit verdeutlicht Friedrichs, dass Transformation nicht durch Untransformiertes gehemmt wird.

In der Unbestimmtheit was an Sachverhalten transformiert wird und was nicht transformiert wird, welcher Qualität diese unterliegen und wie sich Bildung daher im Unspezifischen der Transformation beschreiben lässt, erweist sich die Verbindung von Bildung und Transformation für Friedrichs in der aktuellen Denkweise als problematisch (vgl. Friedrichs 2002, S. 19f.).

Hinsichtlich der speziellen Debatte, die Friedrichs anstößt, nämlich die, durch gesellschaftliche Krisen und einhergehender Transformation zu hinterfragender Rechenschaft der Allgemeinen Pädagogik, lässt sich erkennen, dass sich einerseits Allgemeine Pädagogik als Spezielles im fachlichen Diskurs finden lässt und andererseits, dass sich zu den speziellen Einzelpädagogiken ihre spezifischen Allgemein-Pädagogiken formulieren und etablieren (vgl. Friedrichs 2002, S. 22).

Der Transformationsgesellschaft wohnt eine „radikale Pluralität vielfältiger Differenzen, die an unterschiedlichen Schmelzpunkten wieder zusammenschließen“ (Friedrichs 2002, S. 23) inne. Dabei liegt der Idee der Differenzen das Auskommen ohne zentrales Organisationsprinzip der Identität inne. Mit der Transformation von der Moderne zur Postmoderne setzt eine Transformation der Differenz ein, die als Beschleunigung und Ausufern von Differenzen erlebbar wird (vgl. Friedrichs 2002, S. 23f.). Als Logik ergibt sich eine Gegenüberstellung von Identität und Differenz: „Genau dann, wenn ein Identitätsbegriff als durchlässig und ergänzungsbedürftig empfunden wird, gilt dies ebenso für die ihn bedingende Differenz“ (Friedrichs 2002, S. 24). In dieser ganzen Verschiedenheit sieht sich damit das Individuum selbst nicht mehr. Dieser fortwährende und unabschließbare Prozess führt letztendlich zu Blindheit (vgl. Friedrichs 2002, S. 24). Damit wird auch hinsichtlich der Problematik Allgemeine Pädagogik – spezielle Pädagogiken und deren Allgemeinheit deutlich, dass Vermittlung zu keiner neuen Sichtweise führen kann. Mit einer Übersetzung „der veränderten Differenzarchitektur für die Formulierung der Allgemeinen Pädagogik“ (Friedrichs 2002, S. 25) kann Abhilfe geschaffen werden.

Der Begriff Bildung bedarf dabei mehr als einer Reformulierung. Friedrichs verdeutlicht, dass Bildung sich „im Kurzschluss, im Übergang von Form und Medium“ (Friedrichs 2002, S. 26) herstellt. Ein aktueller Bildungsbegriff im Dreieck Bildung – Allgemeines – Transformation lässt sich für Friedrichs endgültig mit dem Begriff der Theatralität so formulieren: „[…] im Medium der Inszenierung taucht die Form der Bildung auf“ (Friedrichs 2002, S. 26; zit. n. Friedrichs 2002 ). Damit wird Bildung nach Friedrichs als im Medium der Inszenierung -auftauchende Form verstanden (vgl. Friedrichs 2002, S. 26). Bildung erscheint damit als Gestaltbares und Anpassbares.

Abseits der im Feld Bildung – Allgemeines – Transformation dargelegten Metaebene, die Friedrichs zu verdeutlichen versucht, könnten sich mögliche relevante Rückschlüsse hinsichtlich Subjekt – Bildung – Transformation ziehen lassen:

Mit Luhmann dargestellt könnte sich über das Medium als Systemkategorie die Transformation der Bildung in ein Kontinuum im System Subjekt einschreiben, was bedeuten würde, dass Bildung durch Transformation stattfindet, denn „[…] durch das Medium hindurch artikuliert sich die Transformation“ (Friedrichs 2002, S. 18). Kontinuität in der Transformation würde ein Medium voraussetzen.

Zudem würde sich Transformiertes als Bildung durch das Subjekt zeigen, wobei nach Friedrichs nicht das Subjekt als Ganzes einer Transformation unterzogen wird und Bildung daher nicht eine totale Änderung durch Transformation des Subjektes bedeuten würde. Transformation wirkt dennoch ganzheitlich.

Friedrichs Verweis auf die Korrelation von Identität und Differenz pluralistischer Gesellschaften der Postmoderne könnte für das Subjekt bedeuten, dass ein Sich-Selbst-Erkennen an ein Unterscheiden von den Anderen gebunden ist (vgl. Friedrichs 2002, S. 23f.). Bröckelt die Identität durch die Pluralität der Lebensformen wäre der Blick für Unterschiede verstellt – man würde blind für Selbst- und Weltblicke werden. Vermitteln wäre kein Weg aus diesem Dilemma. Ein Übersetzen der resultierenden Unterschiede von Selbst und Welt könnte neue Sichtweisen und damit Transformation begünstigen.

3.3 Fazit

Nach grundlegender Betrachtung der Ausführungen von Sattler/ Schluß und Friedrichs lässt sich über den Begriff der Transformation in der allgemeinen Bildungstheorie folgendes zusammenfassend verdeutlichen:

Von Transformation lässt sich dann sprechen, wenn qualitative Aspekte eines relevanten Überführungs-Ereignisses für Individuen und Gesellschaften als solche wahrgenommen werden. Dem Initiator der Transformation gehört der Wirkungsbereich. Transformation ist ein ergebnisoffener von handelnden Subjekten gestalteter Prozess. Dem Transformationsbegriff liegt eine kritische Instanz inne, die Rückfragen hinsichtlich seiner Kriterien und seiner Geltungsansprüche erlaubt. Transformation ist als ein Inter-Phänomen zwischen zwei beschreibbaren Zuständen als nicht abschließbar zu sehen. Dem Transformationsprozess liegt eine zeitliche Dimension inne. Ein letztgültiges transformiertes Bildungsideal kann nicht beschrieben werden.

Es bedarf eines Fokus auf Inhalte, die von der Transformation unbeeinflusst geblieben sind, denn Transformation in der Bildung verweist auf einen Gegenstand, der transformiert wird und auf Restliches, das unverändert bleibt. Eine Bildungstheorie, die vom Subjekt und seinen Veränderungspotenzialen ausgeht, kann als Bildungstheorie Transformation mitdenken.

Wird das Feld der Allgemeine Pädagogik als in Transformation befindlich betrachtet, definiert sich Bildung nach Friedrichs als ein „im Übergang von Form und Medium“ (Friedrichs 2002, S. 26) hergestelltes, das „im Medium der Inszenierung“(ebd.) als „Form“ (ebd.) auftaucht.

Friedrichs fasst Transformation somit als mediales Ereignis und Bildung als an Medien gebunden. Er beschreibt das Feld der Allgemeinen Pädagogik als eines, das sich Umbrüchen und Differenzen in der Weise stellen muss, dass das Feld Übersetzungsmöglichkeiten hinsichtlich der Differenzarchitektur für eine Re-Formulierung der Allgemeinen Pädagogik benötigt. Friedrichs regt damit eine Diskussion an, die sich der Frage nach den Teildisziplinen innerhalb der Allgemeinen Pädagogik widmet.

Pointiert auf den Punkt gebracht, kann wohl davon ausgegangen werden, dass in bildungswissenschaftlichen Theoriekonstrukten – wie beispielshaft bei Koller, Jörissen/ Marotzki und Bettinger dargelegt – auf den Begriff der Transformation zurückgegriffen wird, wenn

1.) Selbst,- Welt- und Anderenverhältnisse im Sinne der humboldtschen Bildungstheorie einer Transformation unterzogen werden. Bildung soll dabei keine ökonomische Größe werden, sondern Selbstzweck sein. Die angestrebte Transformation neuhumanistischer Bildungsideale muss dabei auf die aktuelle Informations- und Risikogesellschaft mit ihrer Pluralisierung Rücksicht nehmen.

2.) über gesellschaftliche Veränderungen von der Moderne hin zur Postmoderne und dem gegebenen Einwirken in wissenschaftliche Felder nachgedacht wird, wobei hinsichtlich des Allgemeinen und seiner Berechtigung Zweifel aufkommen. Die daraus resultierende Frage, ob ein Allgemeines hinsichtlich der gesellschaftlichen Pluralität zeitgemäß sei, kann als Provokation hinsichtlich der Gegenstandstheorie erkannt werden .

3.) sich bildungswissenschaftliche Transformation auf Grund gesellschaftlicher Bedingungen, die auf die verschiedenen Praxen einwirken, als notwendig erweist. Hier sei beispielsweise an die gesellschaftliche Bedeutung von Empirie (PISA etc.) versus Bildungsphilosophie respektive die Verknüpfung beider – wie beispielsweise transformatorische Bildungstheorien mit Biografieforschung – gedacht, was sich wohl als Provokation durch einen resultierenden Bedeutungsverlust des Allgemeinen darstellt.

Diese Arbeit widmet sich im Besonderen dem im Punkt 1 dargelegten Transformationsprozess und will die im Punkt 2 angeführte Problematik hinsichtlich der Frage nach einer Überführung des Transformationsbegriffs von der allgemeinen Bildungstheorie von Koller hin zur Medienbildung überprüfen, wiewohl eine stringente Trennung der angesprochenen Verwendungszwecke nicht möglich erscheint und daher ein Ineinanderfließen der drei Problematiken als logisch zu erachten ist. Koller wird deshalb herangezogen, weil sich Kokemohr – wie in Fußnote 17 erwähnt – vom Transformationsbegriff distanziert hat und sich zudem sowohl Jörissen/ Marotzki als auch Bettinger, die im Kapitel Transformation in der Medienbildung herangezogen werden, auf Koller beziehen.

3.4 Theorie transformatorischer Bildungsprozesse in der allgemeinen Bildungstheorie: Koller

In diesem Unterkapitel erfolgt eine Darstellung und kritische Auseinandersetzung mit der Theorie transformatorischer Bildungsprozesse von Koller. Koller (2011) plädiert für eine Neubestimmung des Bildungsbegriffs hin zu einem transformatorischen, der soziokulturellen Bedingungen moderner Gesellschaften gerecht wird (vgl. Koller 2011, S. 109). Koller bezieht sich mit seinen Aussagen bezüglich des Konzepts transformatorischer Bildungsprozesse auf Kokemohr und Marotzki, die 1989 und in den 1990-ern erste Entwürfe einer Neufassung des Bildungsbegriffs in dieser Hinsicht vorschlugen (vgl. Koller 2011, S. 153f.; vgl. Koller 2016, S. 149). Kokemohr fasst den Bildungsbegriff neu in eine Bildungsprozesstheorie, die Bildung „als einen sprachlich figurierten Transformationsprozess begreift, in dem die Art und Weise, in der ein Subjekt sich zur Welt und zu sich selbst verhält, grundlegende Veränderungen erfährt“ (Koller 2007, S. 69). Koller betont die Neubetrachtung des Subjekts als ein sozialreferentielles an Stelle eines selbstreferentielles bei Kokemohr (vgl. Koller 2007, S. 69).

Koller bietet bezogen auf den neuhumanistischen Bildungsbegriff das Konzept transformatorischer Bildungsprozesse als Reformulierung von diesem an, um so erstens gegenwärtige Gesellschaftsentwicklungen zu berücksichtigen, zweitens empirische Untersuchungen zu ermöglichen und drittens das kritische Potenzial des Bildungsbegriffs zu erhalten (vgl. Koller 2011, S. 109). Mit diesem Konzept beabsichtigt Koller eine Bildungstheorie bezogen auf die Verhältnisse von Selbst und Welt, der Subjekte untereinander und zu sich selbst zu entwickeln. Dabei nimmt er zentral die Möglichkeit in den Blick, dass die Methode der Biografieforschung zur Beschreibung von Bildungsprozessen tauglich sein könnte.

3.4.1 Der Bildungsbegriff bei Koller

Koller (2004) zeigt mit seiner Theorie transformatorischer Bildungsprozesse auf, dass auf Grund der heutigen gesellschaftlichen Pluralität mit ihren Krisen und Konflikten der humboldtsche Bildungsbegriff einer zeitgemäßen Anpassung bedarf (vgl. Koller 2004, S. 92). Seine Theorie transformatorischer Bildungsprozesse knüpft in zweifacher Hinsicht an Humboldt an: Bildung wird auch bei Koller erstens als Veränderung der Verhältnisse von Subjekt und Welt gedacht und zweitens wird das Verhältnis zur Welt und zu sich selbst sprachtheoretisch gefasst (vgl. Koller 2012, S. 16).

Bildung findet laut Koller dann statt, wenn es zu Transformationsprozessen der Selbst-, Welt- und Anderen-Verhältnisse kommt. Er differenziert Bildung vom Begriff des Lernens (vgl. Koller 2012, S. 15). Lernen ist nach Koller ein „Prozess der Aufnahme, Aneignung und Verarbeitung neuer Informationen“ (Koller 2012, S. 15). Bildung ist in Abgrenzung zu Lernen als „grundlegende Veränderung der gesamten Person zu begreifen“ (Koller 2011, S. 109).

Bildungsprozesse definiert Koller nach Marotzki (1990) als „Lernprozesse höherer Ordnung […], bei denen nicht nur neue Informationen angeeignet werden“ (Koller 2012, S. 15, zit. n. Marotzki 1990, S. 32-34). Oder er beschreibt sie als „Prozess des Werdens eines Subjekts in seinem Verhältnis zur Welt, zu anderen und zu sich selbst, wie es der Tradition der Bildungstheorie seit Humboldt entspricht“ (Koller 2014, S. 218). Koller verdeutlicht damit, dass sowohl durch äußere Einwirkungen als auch durch innere Kräfte Bildungsanreize gesetzt werden können.

„Bildungsprozesse bestehen demzufolge also darin, dass Menschen in der Auseinandersetzung mit neuen Problemlagen neue Dispositionen der Wahrnehmung, Deutung und Bearbeitung von Problemen hervorbringen, die es ihnen erlauben, diesen Problemen besser als bisher gerecht zu werden.“ (Koller 2012, S. 16)

Für eine an gegenwärtige Verhältnisse angepasste Neufassung des Bildungsbegriffs Humboldts bedarf es einerseits laut Koller einer Klärung des Anlasses für Bildungsprozesse und andererseits einer empirischen Forschungsperspektive, um die Bildungstheorie transformatorischer Bildungsprozesse mit der empirischen Erforschung von Bildungsprozessen zu verknüpfen (vgl. Koller 2012, S. 16–18). Der so verstandene Bildungsbegriff wirft folglich zwei grundlegende Forderungen auf: „Zum einen nach der theoretischen Konzeptualisierung und zum anderen nach der empirischen Rekonstruktion“ (Koller 2011, S. 109).

Bildungsstatus ist dann zu erlangen, wenn, wie Koller verdeutlicht, eine Reflexivitätssteigerung sowie eine Komplexitätssteigerung stattfinden. Eine Transformation im Sinne einer Verkürzung der Weltsicht, sowie ein Erwerb neuer, nicht mobilisierbarer, Lerninhalte ist keine Bildung (vgl. Koller 2016, S. 155). Zudem ist laut Koller eine Offenheit, die Bildungsprozesse ermöglicht, bedeutsam (vgl. Koller 2016, S. 156).

Als drei Aspekte des transformatorischen Bildungsprozesses nimmt Koller den Gegenstand, den Anlass und die theoretischen Perspektiven von Prozessen beziehungsweise Bedingungen selber in den Blick (Koller 2012, S. 17f.). Diese drei Aspekte werden im folgenden Unterkapitel für eine kritische Betrachtung, was das Verhältnis von transformatorischer Bildungstheorie zu den dargelegten Referenzen betrifft, herangezogen, da auch Koller in dieser Struktur die Anschlussfähigkeit, der von ihm in Erwägung gezogenen Theorien überprüft.

3.4.2 Vom Verhältnis der transformatorischen Bildungstheorie Kollers zu den von ihm dargelegten Referenzen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematische Darstellung transformatorischer Bildungsprozesse, deren drei Bestandteile und Referenzen (Sabine Oberneder 2020)

Die zentrale Aufgabe dieses Unterkapitels ist es das Verhältnis der innewohnenden Theorien hinsichtlich Kollers Theoriekonstrukt transformatorischer Bildungsprozesse kritisch zu betrachten. Dabei wird zu Beginn eines jeden Unterkapitels der allgemeine theoretische Bezug Kollers zum jeweiligen Aspekt Gegenstand, Anlass oder theoretische Perspektiven von Prozessen beziehungsweise Bedingungen selber dargestellt, um danach explizit auf Kollers Bezugnahmen einzugehen und kritisch zu betrachten. Kollers starke Fokussierung auf Bourdieu wird einer stärkeren Akzentuierung hinsichtlich der Habitustheorie gerecht. Zudem bezieht sich auch Bettinger in seiner Theorie der praxeologischen Medienbildung auf Bourdieu, was eine genauere Betrachtung der Habitustheorie auch in weiterer Hinsicht sinnvoll erscheinen lässt.

Die Theorie des Habitus von Bourdieu ist als Begriff keineswegs unbekannt. Dennoch stellen sich Fragen: Was heißt Habitus? Was bedeutet Habitus nach Bourdieu? Dazu gilt der Verweis auf die folgende Abbildung 2 Vereinfachte Darstellung des Habituskonzepts , die zusätzlich Überblick verschaffen soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Vereinfachte Darstellung des Habituskonzepts Pierre Bourdieus (Sabine Oberneder 2019)

„Das lateinische Wort habitus ist eine Übersetzung des griechischen hexis. In der Philosophie des Aristoteles wird damit der Begriff der Haltung bezeichnet“ (Gebauer 2017, S. 27).

Das zentrale Prinzip, dass soziale Praktiken produziert und reproduziert werden, bezeichnet Bourdieu als Habitus. Habitus meint das „Körper gewordene Soziale“ (Ackerman 2016, S. 84). In diesem Körper gewordenen Sozialen sind unsere Denk- und Sichtweisen der Gesellschaft, sowie Wahrnehmungsschemata und die Prinzipien des Urteilens bzw. des Bewertens eingegangen (vgl. Ackerman 2016, S. 84). Der Habitus ist als ein System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen zu verstehen, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen fungieren, und zwar im Sinne einer Spontaneität und damit ohne Wissen und Bewusstsein (vgl. Krais/ Gebauer 2014, S. 105). „Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat“ (Krais/ Gebauer 2014, S. 105).

[...]

Excerpt out of 202 pages

Details

Title
Der Transformations- und Übersetzungsbegriff in der Medienbildung
College
Vienna University of Economics and Business  (Bildungswissenschaft)
Grade
Sehr Gut
Author
Year
2022
Pages
202
Catalog Number
V1193115
ISBN (eBook)
9783346636737
ISBN (eBook)
9783346636737
ISBN (eBook)
9783346636737
ISBN (Book)
9783346636744
Language
German
Keywords
Bildung, Medien, Transformation, Übersetzung, Koller, Meder, Jörissen/Marotzki, BettingerHönigswald, Sprachspieler, Akteur-Netzwerk-Theorie
Quote paper
Sabine Oberneder (Author), 2022, Der Transformations- und Übersetzungsbegriff in der Medienbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1193115

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