Die Entstehung des Völkerrechts

Die Idee der Völkergemeinschaft bei Francisco de Vitoria


Hausarbeit, 2007

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hintergründe und Wurzeln
2.1 Politische Geschehnisse
2.2 Grundlagen
2.2.1 Das Naturrecht

3 Die Völkergemeinschaft
3.1 Der Staat als Völkerrechtssubjekt
3.1.1 Entstehung und Zweck des Staates
3.2 Der Orbisgedanke
3.2.1 Aufbau und Wirkung
3.2.2 Zweck und Mittel
3.3 Individuen im Völkerrecht

4 De Indis
4.1 Die Gleichstellung
4.2 Die Scheintitel und ihre Widerlegung
4.2.1 Einflussbereich des Kaisers
4.2.2 Macht des Papstes
4.2.3 Entdeckerrecht
4.2.4 Glaubensfrage
4.2.5 Sünden wider die Natur
4.2.6 Freie Herrscherwahl
4.2.7 Ein Entschluss Gottes
4.3 Die legitimen Rechtstitel

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll auf die Entstehung des modernen Völkerrechts durch die Werke Francisco de Vitorias eingegangen werden. Dies sind besonders die Vorlesungen (Relectiones): De potestate civili (1527) , De Indis 1538/39) und De iure belli (1539), wobei hier nur die ersten beiden, und insbesondere die Zweite, ausführlich behandelt werden, da diese den Schwerpunkt bilden, der zum Verständnis des vitorianischen Völ- kerrechtes erforderlich ist.

Dazu werden zunächst die Hintergründe erörtert, indem auf die zeitgenössischen politi- schen Umwälzungen und die neu entstandenen Probleme durch die Entdeckung Ameri- kas eingegangen wird. Ferner werden auch die Grundlagen aufgezeigt, aus denen Vitoria seine Ideen des Völkerrechtes ableitete, während aber auch auf die grundlegenden Un- terschiede zu diesen Wurzeln hinzuweisen ist. Anschließend soll das Staatsrecht sowie die Integration der Staaten in die Völkergemeinschaft Vitorias näher betrachtet werden. Dabei wird sowohl auf den Zweck wie auch auf die Entstehung des Staates und auch der Staatengemeinschaft eingegangen, aber auch die Rolle der Individuen in diesem System wird beleuchtet. Schließlich ist am Beispiel der illegitimen Rechtstitel, welche Vitoria in De Indis darlegt, zu zeigen, welche Grenzen des Rechtes Spanien bei der Eroberung der überseeischen Gebiete überschritten hat.

Insgesamt ist zu Vitorias Werk zu sagen, dass er kein systematisches, in sich geschlosse- nes Völkerrecht erstellt hat. Vielmehr handelt es sich um ein weitläufiges Stückwerk aus den unterschiedlichen Vorlesungen, die jedoch alle dem gleichen Ziel dienen. Erst seine Nachfolger haben diese Arbeit übernommen und ein zusammenhängendes, gegliedertes Völkerrecht ausgearbeitet.1

Zu Vitorias Person sei nur soviel angemerkt: Er wurde nicht 1492, dem Entdeckungsjahr Amerikas, geboren wie oft behauptet, sondern bereits 1483.2 Desweiteren ist natürlich zu beachten, dass er auf Grund seiner Ausbildung und Tätigkeit als Moraltheologe, Pro- fessor der Theologie und nicht zuletzt als Dominikanermönch natürlich ein sehr gott- verbundener Mensch war und er daher stets versucht hat, seine Lehre in Einklang mit Gott zu stellen.3 Insofern ist es wenig verwunderlich, dass bei ihm sowohl die Natur, der menschliche Verstand als auch das Recht, welches aus den letzteren hervorgeht, immer, wenn auch indirekt, göttlichen Ursprungs sind.4

2 Hintergründe und Wurzeln

2.1 Politische Geschehnisse

Ein Völkerrecht im modernen Sinne bedurfte es erst mit der Bildung der europäischen Nationalstaaten während des Überganges zur Neuzeit. Die Länder der mittelalterlichen Welt waren noch nicht derart miteinander verflochten, dass sie bei jedem Schritt über den eigenen Bereich hinaus das Interesse eines Anderen unmittelbar berührten.1 Auch die innere Struktur der Staaten war wenig ausgeprägt und nur verhältnismäßig schwach organisiert, während jedoch die meisten von ihnen seit dem späten 15. Jahrhundert Zeuge einer zunehmenden militärischen und politischen Zentralisierung wurden.2 Erst durch die innere Organisation, die daraus folgende Stärkung des Staates und die Abgren- zung zu anderen Staaten wurde die Möglichkeit, wie auch das Bedürfnis geschaffen, als Akteur nach außen hin tätig zu werden. Spanien, Frankreich und England können hierbei als Vorreiter und Vorbilder in Europa gesehen werden,3 während beispielsweise im Bereich des Heiligen Römischen Reiches eine einheitliche Innen- wie Außenpolitik durch die Selbstständigkeit der Territorialherren unmöglich war. Immer deutlicher trat auch dadurch die praktische Schwächung des supranationalen Kaisergedankens zu Tage – selbst Vitoria sprach dem Kaiser das Recht ab „Herr der Welt“ zu sein4 und nimmt damit Stellung gegen den politischen Universalismus des Mittelalters.5 Auch wenn die Herrschaft Kaiser Karls V. für eine ungewöhnliche Machtfülle und die Schaffung ei- nes Weltreiches steht – zu seiner Wahl als römisch-deutscher König musste er als erster künftiger Kaiser den Fürsten Mitspracherechte in Reichsangelegenheiten per Eid zusi- chern.6 Zeitgleich versuchten französische und englische Philosophen und Juristen im Auftrag ihrer Herrscher nachzuweisen, dass ihre Könige dem Kaiser an Macht in nichts nachstünden und keineswegs dessen Untertanen seien.7

Schließlich hatten auch die großen spanischen Eroberungen in der 1492 durch den Ge- nuesen Kolumbus neuentdeckten Welt jenseits des Atlantiks ihren Anteil an der Ent- stehung des modernen Völkerrechtes. Durch den Rechtsanspruch auf die eroberten Ge- biete und die Probleme im Umgang mit den dortigen Eingeborenen, mussten die ko- lonialrechtlichen Fragen erörtert und geklärt werden. Die scheinbare Legitimität ihres Handelns leiteten die Spanier von dem westindischen Edikt Papst Alexanders VI. aus dem Jahre 1493 ab, welches ihnen die kolonialen Erwerbungen als Auftragslehen ver- machten. Die Informationen über das Wüten der Conquistadores im Azteken- und In- kareich, sowie deren Zerstörung und Plünderung riefen bereits bei vielen Zeitgenossen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit auf. Schließlich waren es die Dominikaner- missionare, welche Protest gegen das Vorgehen der Spanier erhoben – von ihnen erhielt Francisco de Vitoria die besten Informationen bezüglich der überseeischen Zustände sowie über den institutionellen und organisatorischen Entwicklungsstand der Urbevöl- kerung.8 Mit Hilfe dieses Wissens erarbeitete er die Schwerpunkte des modernen Völ- kerrechts: Die Vorlesungen De Indis und De jure belli, welche auf dem in De potestate civili erarbeiteten Staatsrecht aufbauen.9

2.2 Grundlagen

Die Grundlagen für Vitorias Denken sind sowohl in der Antike bei Aristoteles, Platon oder Cicero als auch im Mittelalter, hier vor allem bei Thomas von Aquin zu finden.10 Während Platon und nach ihm Aristoteles auf der Grundlage des Naturrechts vor allem die Idee entwickelten, dass der Mensch auf Grund seiner Natur in Gesellschaft leben und Staaten gründen müsse, überwanden die Stoiker, zu denen auch Cicero gehörte, den schroffen Gegensatz zwischen Griechen und Barbaren, den Aristoteles noch vorgenom- men hatte und leiteten zur Gleichstellung aller Menschen über.11 Grund für Gleichheit sei nicht, wie noch bei Aristoteles, die Herkunft aus einem Kulturkreis, sondern der Besitz des Logos, der menschlichen Vernunft welche göttlichen Ursprung habe.12 Auf dieser Ansicht der gleichberechtigten Völkergemeinschaft und dem zuletzt von Thomas von Aquin im Besonderen ausgeführten Naturrecht errichtete Vitoria unter dem Ein- druck der zeitgenössischen Entwicklungen die Ursprünge des modernen Völkerrechts.

2.2.1 Das Naturrecht

Das Naturrecht ist an sich der elementare Grundstein, auf dem Vitorias Völkerrecht in- klusive der Staatstheorie fußt.13 Es sei, zumindest war dies die zeitgenössische Überzeu- gung,14 unabhängig von der zeitlichen Entwicklung und dem menschlichen Einfluss.15 Es sei gewissermassen überzeitlich, und vertrete universal geltende Normen, ausgehend von der menschlichen Vernunft und ist nicht an die kulturelle oder soziale Prägung ei- nes Menschen oder einer Gesellschaft gebunden. Es stelle gewissermassen die Natur des Menschen dar – Herkunft, Sprache oder Kultur seien gleichgültig, das Naturrecht sei al- len Menschen gleich bekannt, da es ihrer Vernunft entspringe.16 Demzufolge müssten auch alle Menschen, selbst wenn es ihnen nicht bewusst wäre, Teilhaber an eben jenem Recht und daher auch Teil der Völkergemeinschaft sein. Im Unterschied zum römischen ius gentium, welches das Privatrecht umfasste und den Umgang mit Fremden regelte, definierte Vitoria ein ius inter gentes. Damit schuf er den modernen Begriff des Völker- rechts, indem er sich auf voneinander unabhängige Menschengruppen stützte und sie zu Rechtssubjekten machte:17

„Völkerrecht nennt man, was die natürliche Vernunft in alle Nationen gelegt hat.“ 18

(De Indis)

Auch Hugo Grotius, der niederländische Völkerrechtler des 17. Jahrhunderts, welcher lange Zeit als Begründer des Völkerrechts galt, baute sein Rechtsgebäude auf der Theo- rie des Naturrechts auf. Er dachte es, um dessen weitreichende Macht und Konsequenz zu verdeutlichen, hypothetisch sogar ohne die Existenz Gottes,19 während Vitoria das Naturrecht über den „Umweg“ des menschlichen Verstandes auf Gott zurückführte, da dieser schließlich gottgegeben sei. Durch diesen göttlichen Ursprung des universa- len, allen Menschen und Gesellschaften gleichermassen bekannten und gleichwertigen Rechtes liegt nach Vitoria auch der Ursprung der menschlichen Gemeinschaft bei Gott. Daraus folgt schließlich, dass auch alle Gesetze, Regeln und Normen, die dem Natur- recht entsprechen, zwar nicht gottgegeben sind, aber auf diesen indirekt zurückzuführen wären. Dies betrifft letztendlich auch die Herrschaftsform: Den Gedanken, ein König sei König da er von Gott eingesetzt worden wäre, verwirft Vitoria – die Institution der Herr- schaft gehe aus dem Naturrecht hervor und sei damit nur indirekt mit Gott verbunden.20

[...]


1 Vgl. Grewe, Wilhelm G.: Epochen der Völkerrechtsgeschichte. 2. Auflage. Baden-Baden, 1988, S. 33.

2 Vgl. Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte: ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000. Frankfurt am Main, 2000, (Fischer-Taschenbücher; 14968), S. 124 f.

3 Vgl. Grewe (1988), S. 34, f.

4 Vgl. de Vitoria, Francisco: De Indis. In: Ders.: Vorlesungen, Band 2. hrsg von Ulrich Horst, Heinz Gerhard Justenhoven und Joachim Stüben. Stuttgart / Berlin / Köln, 1995a, (Theologie und Frieden; Bd. 8), S. 412.

5 Vgl. Serra (1947), S. 57.

6 Vgl. van Creveld, Martin: Aufstieg und Untergang des Staates. München, 1999, S. 96.

7 Vgl. van Creveld (1999), S. 96 f.

8 Vgl. Ulrich (1995), S. 85.

9 Vgl. Soder (1955), S. 23.

10 Vgl. Soder (1955), S. 18.

11 Vgl. Braun, Eberhard, Heine, Felix und Opolka, Uwe: Politische Philosophie: ein Lesebuch - Texte, Analysen, Kommentare. 8. Auflage. Reinbek bei Hamburg, 2002, (Rowohlts Enzyklopädie; 55406) S. 26 ff.

12 Vgl. Grewe (1988), S. 174, f., Vgl. Bonato, Marco: Art.: Stoa. In Prechtl, Peter und Burkard, Franz-Peter (Hrsg.): Metzler- Philosophie-Lexikon: Begriffe und Definitionen. 2. Auflage. Stuttgart / Weimar, 1999, S. 569.

13 Vgl. Ulrich (1995), S. 39, f.

14 In der heutigen Zeit ist man davon abgekommen und wirft dem Naturrecht eben diese Unflexibilität vor. (Vgl. Grunert, Frank: Art.: Naturrecht. In Prechtl, Peter und Burkard, Franz-Peter (Hrsg.): Metzler- Philosophie-Lexikon: Begriffe und Definitionen. 2. Auflage. Stuttgart / Weimar, 1999, S. 393.)

15 Vgl. Lück, Heiner: Art.: Naturrecht B. Antike Grundlagen 1. Antike Philosophie. In Cancik, Hu- bert (u.a.) (Hrsg.): Der neue Pauly: Enzyklopädie der Antike. Band 15/1, Stuttgart / Weimar, 2001, Sp. 772.

16 Vgl. Grunert (1999), S.392.

17 Vgl. Serra (1947), S. 49.

18 Vgl. de Vitoria (1995a), S. 465.

19 Vgl. Hildebrandt, Hans Hage: Art.: Grotius, Hugo. In Metzler-Philosophen-Lexikon: von den Vorso- kratikern bis zu den Neuen Philosophen. 3. Auflage. Stuttgart / Weimar, 2003, S. 263.

20 Vgl. Soder (1955), S. 45, ff.

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Details

Titel
Die Entstehung des Völkerrechts
Untertitel
Die Idee der Völkergemeinschaft bei Francisco de Vitoria
Hochschule
Universität Mannheim  (Historisches Institut, Seminar für Neuere Geschichte )
Veranstaltung
Proseminar: Karl V.
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V119417
ISBN (eBook)
9783640228843
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Völkerrechts, Proseminar, Karl, Karl V, Neue Welt, Amerika
Arbeit zitieren
Lutz Spitzner (Autor:in), 2007, Die Entstehung des Völkerrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119417

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