Mehrsprachigkeit im Kontext der Migration. Ist sie eine Ressource für die schulische Bildung mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler oder eine Sprachbarriere?


Hausarbeit, 2017

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Diskurs über Mehrsprachigkeit
2.1 Was bezeichnet „Mehrsprachigkeit“?
2.2 Abgrenzung von „doppelter Ein- bzw. Halbsprachigkeit“
2.3 Idee des sprachlichen Repertoires

3. Der Zweitspracherwerb
3.1 Theorien des Zweitspracherwerbs
3.2 Faktoren der Beeinflussung
3.3 Stellenwert der Erstsprache

4. Die assimilationsorientierte Perspektive: Mehrsprachigkeit als Sprachbarriere
4.1 (Institutionelle) Diskriminierung: Begriffsklärung und Vorkommen
4.2 Erwartungseffekte
4.3 Auswirkungen auf die Persönlichkeit

5. Vorzüge der Mehrsprachigkeit
5.1 Ergebnisse der Spracherwerbsforschung
5.2 Modelle zur Sprachförderung

6. Schlussteil

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang
8. 1 Anhang 1: beeinflussende Faktoren beim Zweitspracherwerb
8. 2 Anhang 2: Nachteile mehrsprachiger Erziehung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit, welche im Rahmen des Seminars „Koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht (KOALA)“ verfasst wird, bearbeitet die Thematik der Mehrsprachigkeit und ihre Entwicklung im Kontext der deutschen Migrationsgeschichte. Vor dem Hintergrund der Fragestellung, ob die Mehrsprachigkeit als eine Ressource oder als ein Stolperstein für die schulische Bildung mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler (SuS) gilt, wird folgende inhaltliche Gliederung ausgearbeitet:

Zuerst soll der facettenreiche Begriff der Mehrsprachigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Um die Bedeutung der Mehrsprachigkeit in heutigen Lebenswelten zu zeigen, bedarf es dann einer begrifflichen Abgrenzung von ,doppelter Einsprachigkeit‘ sowie der ,doppelten Halbsprachigkeit‘, wobei letztere als einer der signifikantesten Anhaltspunkte der Kritiker der Mehrsprachigkeit verstanden wird. Zusätzlich soll die Idee des sprachlichen Repertoires konkretisiert werden , womit eine positive Blickrichtung zugunsten der Mehrsprachigkeit in der Einwanderungsgesellschaft eingeschlagen wird. Nachdem sich der erste Teil der terminologischen Klärung widmet, soll darauf aufbauend im zweiten Teil auf den Zweitspracherwerb an sich eingegangen werden. Für die Fragestellung der Arbeit ist sodann zu klären, auf welche Art und Weise die Zweitsprache (L2) Deutsch von mehrsprachigen Kindern überhaupt erworben wird. Hierfür dienen drei Theorieansätze als Grundlage, wobei eine für die Arbeit relevante näher ausgeführt wird: die Interdependenzhypothese. Aufgrund der Tatsache, dass der Prozess des Erwerbs der L2 Deutsch trotz aller Erklärungsansätze abhängig von individuellen Voraussetzungen ist, werden diese kurz angerissen. Darüber hinaus soll das Verhältnis zwischen der Erstsprache (L1) und der L2 thematisiert werden, indem der Stellenwert der L1 eines mehrsprachigen Kindes herausgestellt wird. Im Weiteren werden zwei Positionen, die in Bezug zur Mehrsprachigkeit vertreten werden, vorgestellt:

Zum einen sind es Gegner der Mehrsprachigkeit. Hierbei wird überwiegend aus der assimilationsorientierten Perspektive argumentiert. Vor allem in pädagogischen Institutionen scheinen mehrsprachige SuS häufig Diskrepanzen zwischen der Herkunftssprache und der Mehrheitssprache1 Deutsch zu erleben. Diese Heterogenität wird seitens Lehrkräften zuweilen als ein Defizit angesehen, womit eine (institutionelle) Diskriminierung der betroffenen Schülerschaft einhergehen kann. Dies hat Auswirkung auf die Persönlichkeit der Kinder zur Folge, worauf der Fokus des vierten Teils dieser Arbeit gelegt werden sollen. Befürworter der Mehrsprachigkeit stellen indes die positive Wirkung auf die schulische Bildung heraus, die als Ergebnisse der Spracherwerbsforschung festgehalten werden. Zur Beantwortung der Fragestellung, o b die Mehrsprachigkeit endgültig eine Ressource für die gesamte Gesellschaft darstellt, hängt davon ab, welche Methode der Sprachförderung angewandt wird. An dieser Stelle werden drei essentielle Säulen der Sprachförderung mit dem Fokus auf Schulen mit koordiniertem Lernen am Beispiel von KOALA erläutert. Im Schlussteil wird die Fragestellung rückblickend auf die erarbeiteten Ergebnisse weitgehend beantwortet. Vorerst folgt eine Definierung der Mehrsprachigkeit als Basis für die Argumentation der komplexen Fragestellung dieser Arbeit.

2. Der Diskurs über Mehrsprachigkeit

2.1 Was bezeichnet „Mehrsprachigkeit“?

Nach Hinnenkamp (2010) stellt die Mehrsprachigkeit ein „Politikum“2 (ebd.: 1) dar, zu welchem es diverse Auffassungen gäbe (vgl. ebd.). So kennzeichnen konträre Positionen die Idee, dass in dem Land „die als Normalfall betrachtete|.| Einsprachigkeit“ (Busch 2013: 9) vorherrsche (vgl. ebd.). Demnach gelte die Zwei- oder Mehrsprachigkeit als „Sonderfall“ (ebd.). Die Begründung einer solchen Einstellung ist im Kontext der Einwanderungsgesellschaft zu suchen. Folglich erläutert Astrid Messerschmidt (2011) die langjährige Nicht-Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland als Einwanderungsgesellschaft. Darin sieht sie die Gründe für die Überforderung im Umgang mit der heterogenen Gesellschaft: Die Bevölkerung eines Landes, welches vom Leitgedanken „[...] einer nationalen Homogenität [...]“ (ebd.: 105) geprägt sei, lehne neue Ankömmlinge - somit auch ihre Sprachen und Kulturen - ab (vgl. ebd.). Während mit der Rückkehrorientierung der Migrant_innen von Seiten der Bundesrepublik keiner Integration angestrebt wurde, hat sich diese Einstellung im Zuge der letzten Jahre gewandelt: Mittlerweile zielt die Integration von Migrant_innen unabdingbar auf die „Beherrschung der deutschen Sprache bei gleichzeitiger Missachtung von Mehrsprachigkeit“ (ebd.: 106) ab. An dieser Stelle wirft die Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Gogolin (2008, zit. nach Hinnenkamp 2010: 1) dem Land einen „monolingualen Habitus3 “ (ebd.) vor. Das Zentrum für Mehrsprachigkeit (2016) führt die Schwierigkeit an, dass der Gebrauch des Begriffs der Mehrsprachigkeit differente Bedeutungen widerspiegelt. Demnach bedeute Mehrsprachigkeit nicht unbedingt, dass man sich mindestens eine andere Sprache von einem Elternteil aneignet und diese auf demselben Niveau wie die Mehrheitssprache - schriftlich und mündlich - beherrscht (ebd.: o. S.). Wer nun als mehrsprachige Person gilt, definiert Tracy (2008, zit. nach ebd.) folgendermaßen: Als mehrsprachig gilt, „wer regelmäßig mehr als eine Sprache verwendet und in der Lage ist, in allen seinen Sprachen Alltagsgespräche zu führen” (ebd.). Dabei wird von unterschiedlichen Arten und Weisen ausgegangen: Die „simultane Mehrsprachigkeit“ (ebd.) bezeichnet den gleichzeitigen Erwerb mehrerer Sprachen ab der Geburt des Kindes. Die „sukzessive Mehrsprachigkeit“ (ebd.) bezeichnet die Erwerbsreihenfolge des im Umfeld der Bezugspersonen gesprochenen Sprache. Darüber hinaus liegt dem Konzept der Mehrsprachigkeit das Prinzip zu Grunde, dass Sprachen nicht als strikt voneinander trennbare Einheiten zu verstehen sind. Auf eine solche Vorstellung würden nämlich „verbundene soziale Zuschreibungen und Abgrenzung“ (Makoni & Pennycook 2007, zit. nach Busch: 2013: 9) folgen. Vielmehr würde der Prozesscharakter des Spracherwerbs betont (vgl. ebd.: 13) wie Dirim und Mecheril (2010) erläutern: „Die Kinder in den Schulen [...] Deutschlands [...] sprechen eine Vielzahl von Sprachen, die sich in einem unausgesetzten Prozess der Erneuerung, Verschiebung und Vermischung befinden“ (ebd.: 115).

2.2 Abgrenzung von „doppelter Ein- bzw. Halbsprachigkeit“

Mehrsprachige SuS würden eine doppelte Halbsprachigkeit aufweisen, so häufig Opponenten der Mehrsprachigkeit. Doppelte Halbsprachigkeit bedeutet, dass ein mehrsprachiges Kind keine seiner Sprachen korrekt spricht, sondern wie die Begrifflichkeit aussagt, ausschließlich halb so gut (vgl. Wiese et al. o. J.: 1). Einer sprachwissenschaftlichen Stellungnahme zufolge ist diese Auslegung ein „populärer Mythos“ (ebd.), welcher keinerlei Sachlichkeit enthält. Autoren dieser Stellungnahme halten entgegen, dass der Gebrauch fremdartiger Dialekte oder grammatikalischer Ausdrücke Außenstehende dazu verleiten, die Ausdrucksweise des Sprechers als fehlerhaft einzustufen. Die sprachliche Abweichung vom Standarddeutschen4 (bspw. die Umgangssprache) stelle jedoch lediglich eine mögliche Alternative zu jenem dar, weshalb sie nicht ohne weiteres als grammatikalisch „besser“ (ebd.) zu verstehen sei (vgl. ebd.). Ebenso distanziert man sich im Kontext mehrsprachiger SuS vom Gebrauch der doppelten Einsprachigkeit, da diesen SuS zwischen den Sprachen ein fließender Übergang gewährt ist und ihnen die Dynamik des Sprachgebrauchs5 ein kreatives Sprachprofil gewährt (vgl. ebd.). Das hervorgehende kreative Sprachprofil wird im Folgenden mit der Idee des sprachlichen Repertoires untermauert.

2.3 Idee des sprachlichen Repertoires

Das Konzept des sprachlichen Repertoires ist auf den Anthropologen Gumperz zurückzuführen (vgl. Busch 2013: 20). Es folgt der Grundvorstellung, dass Sprachen unzählbar sind. Demzufolge bilden die unterschiedlichen Versionen von Sprache eine Ganzheit, welche „[.] jene Sprachen, Dialekte, Stile, Register, Codes und Routinen einschließt“ (ebd.). Der Sprechende bediene sich zwar - je nach Situation und auf eigenständige Weise - seines sprachlichen Repertoires, allerdings sei dieses von Interaktionskonventionen6 beschränkt, die im Laufe des Lebens „[.] erlernt, befolgt und gelegentlich durchbrochen [würden]“ (ebd.: 22). Die Verinnerlichung eines sprachlichen Repertoires - wobei dieses als offen betrachtet wird - verhelfe dem Einzelnen dazu, sich in Interaktionen zu positionieren. Hierbei beschränkt sich Gumperz auf das äußere Erleben von Konventionen in sprachlichen Interaktionen: Das erlebende Subjekt und dessen sich dynamisch entwickelndes Repertoire wird außer Acht gelassen. Dieser Forderung wird mit der Veranschaulichung der leiblichen, emotionalen und historisch-politischen Dimension entgegengekommen (vgl. ebd.: 20ff.). Nach Merlau-Ponty (2009, zit. nach ebd.: 23) besteht die Bedeutsamkeit der leiblichen Dimension für das Repertoire darin, dass auch das Sprechen leiblich zu verstehen ist. Unter der leiblichen Dimension wird hierbei die Befähigung verstanden, mit der Welt zu interagieren, „sich auf sie einzulassen“ (ebd.). So setze man sich auch beim Sprechen in Bezug zu Jemandem oder Etwas. Obwohl das Repertoire prozesshaft und dynamisch begriffen wird, scheint dieses dem Leib innezuwohnen, sodass einst Erlebtes situativ im späteren Leben erneut hervortreten kann (vgl. ebd.). Die nächste Dimension kennzeichnet die beim Sprechen erzeugten Emotionen. Busch (2013) führt das Beispiel an, dass das Subjekt in aufregenden Situationen zum Stottern o. ä. neigt. Aneto Pavlenko (2005, zit nach. ebd.) setzt sich für die Bedeutsamkeit der emotionalen Seite gerade im Bereich der Mehrsprachigkeit ein. Vor allem bei der Thematisierung der Emotion Scham sei der Bezug zur Mehrsprachigkeit enorm. Eine falsche Ausdrucksweise führe dazu, dass das sprechende Subjekt in eine Scham-Situation verfalle7. Die Bildung von Kategorien ist das Charakteristikum der von Busch (2013) dargelegten historischen Dimension. Kategorisierungen seien unabsichtlich, unbewusst und nach Michel Foucault (2007) nie „unschuldig“ (zit. nach ebd.: 28), da Kategorien gleichzeitig definieren, was nicht in diese fällt. Hierbei spricht man vom „ausgeschlossene[n] Andere[n]“ (ebd.: 28)[8] und somit von der „Macht der Kategorisierung“ (ebd.).

[...]


1 „Die Begriffe sprachliche Mehrheit' und sprachliche Minderheit' beziehen sich [...] nicht auf die zahlen­mäßige Größe, sondern auf den sozialen Status von Gruppen“ (Fürstenau 2012: 26).

2 Bezeichnung für „Vorgang, Ereignis, Gegenstand o. Ä. von politischer Bedeutung“ (Duden 2016: o. S.).

3 Gogolin (2003) definiert die Begriffskombination wie folgt: „Diese Grundüberzeugung, dass die Einspra­chigkeit einer Gesellschaft oder eines Menschen normal sei, habe ich als monolingualen Habitus bezeichnet.“ (ebd.: 1).

4 Gemeint ist hier das „Hochdeutsche“ (Wiese et al. o. J.: 1).

5 Bspw. der situative Wechsel zwischen mehreren Sprachen oder grammatische Neuschöpfungen

6 Bspw. der situative Gebrauch von formellen und informellen Ausdrucksweisen

7 Vgl. hierzu auch Kapitel 4.3

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Mehrsprachigkeit im Kontext der Migration. Ist sie eine Ressource für die schulische Bildung mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler oder eine Sprachbarriere?
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
21
Katalognummer
V1194631
ISBN (eBook)
9783346639653
ISBN (Buch)
9783346639660
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mehrsprachigkeit, Erstsprache, Zeitsprache, Schulische Bildung
Arbeit zitieren
Özge Sakalar (Autor:in), 2017, Mehrsprachigkeit im Kontext der Migration. Ist sie eine Ressource für die schulische Bildung mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler oder eine Sprachbarriere?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1194631

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