Triebkontrolle und unterdrückte Sexualität im Drama - „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ von J.M.R. Lenz


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Inhalt
2.3 Formale Analyse

3. Konkupiszenztheorie Lenzens
3.1 Praktische Umsetzung der Konkupiszenztheorie: Lenzens Schrift zu den Soldatenehen

4. Sexualität im Hofmeister
4.1 Diätik des Wenzeslaus
4.2 Gustchens Flucht in die Lektüre
4.3 Tierischer Trieb bei Pätus
4.4 Übermächtige Triebe Läuffers
4.4.1 Verbot der Sexualität in der Hofmeistertätigkeit
4.4.2 Onanie: körperlicher und seelischer Verfall des Hofmeisters

5. Selbstkastration des Hofmeisters als Einschränkungsversuch seiner Triebkräfte

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
7.3 Literatur aus dem Internet

1. Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich die Funktion und Darstellungsform der Triebregulierung und unterdrückten Sexualität in dem Drama „Der Hofmeister oder die Vorteile der Privaterziehung“ von Jakob Michael Reinhold Lenz untersuchen.

Zum besseren Verständnis des Untersuchungsschwerpunktes der Triebregulierung gehe ich im zweiten Abschnitt einleitend auf das Drama ein. Dazu wird die Entstehungsgeschichte beleuchtet, in knapper Form der Inhalt des Dramas wiedergegeben und eine kurze formale Analyse des Werkes erfolgen. Der Hauptteil beginnt mit der Darstellung von Lenzens Konkupiszenztheorie, um eine Verständnisbasis für die Gründe der dargestellten Sexualität im Drama und die Selbstkastration des Hofmeisters zu schaffen. Anschließend betrachte ich die Theorie in ihrer praktischen Anwendung in Lenzens Schrift über die Soldatenehen. Im vierten Abschnitt wird auf den Umgang unterschiedlicher Personen des Dramas mit der Sexualität eingegangen. Bei der Untersuchung des Hofmeisters Läuffer möchte ich das Verbot der Sexualität in seiner Hofmeistertätigkeit und den Onanieverdacht genauer beleuchten. Im fünften Punkt wird abschließend die Entmannung des Hofmeisters als erfolgloser Einschränkungsversuch seiner Triebkräfte diskutiert. Mit einem kurzen zusammenfassenden Fazit endet die Hausarbeit.

2. „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“

2.1 Entstehungsgeschichte

Es wird angenommen, dass die erste Fassung des Dramas „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ in Königsberg geschrieben wurde. Eine Überarbeitung der Handschrift erfolgte in der Straßburger Zeit ab Ende 1771. Weitere Arbeitsstationen waren wahrscheinlich im Militärlager Fort Louis im Sommer 1772 und ab September in Landau. Die Endfassung, die einige Abweichungen zur Erstfassung enthält, schickte Lenz im Oktober 1772 an Johann Daniel Salzmann, der sie an Goethe weiterleitete. Dieser setzte sich bei seinem Verleger Weygand für den Druck ein[1]. In Leipzig erschien „Der Hofmeister“ zur Ostermesse 1774 als erstes Drama von Lenz, aber anonym, aus Angst Lenzens vor einer schlechten Aufnahme in der Öffentlichkeit. Nach einer besonders positiven Rezension von Wieland gab Lenz sich dann als Autor des Hofmeisters bekannt.

Auch die Uraufführung am 22. April 1778 in Hamburg war ein großer Erfolg und gewann großen Beifall, nicht nur von den Stürmern und Drängern, sondern auch von der breiten literarischen Öffentlichkeit. 1781 verschwand das Stück wieder von den Bühnen, weil Lenz auf Grund seiner geistigen Krankheit Befürworter und Bewunderer verloren hatte.

2.2 Inhalt

„Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ basiert stark auf Lenzens früheren Erfahrungen in Livland[2]. Eine in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“ am 16. Juni 1775 vom Autor veröffentlichte Bemerkung verdeutlicht die Erfahrungen, die Lenz mit diesem Stück verbindet:

Auf der Akademie in Königsberg nahm ich einen Antrag von der Art [als Hofmeister zu arbeiten] auf ein halbes Jahr an; weil meine Ueberzeugung aber oder mein Vorurteil wider diesen Stand immer lebhafter wurden, zog ich mich wieder in meine arme Freiheit zurück und bin nachher nie wieder Hofmeister gewesen [...].[3]

Das Drama ist eine satirisch-sarkastische Geschichte eines bürgerlichen triebgesteuerten Theologiestudenten (Läuffer), der nach seinem Studium und den missglückten Versuchen an einer öffentlichen Schule anstellig zu werden, Hofmeister bei dem Major von Berg wird. Nach der folgenreichen Verführung der Tochter des Majors, Gustchen, findet er Unterschlupf bei dem Dorfschullehrer Wenzeslaus. Dort kommt es zur Selbstkastration des Hofmeisters. Nach den schweren Schicksalsschlägen Läuffers und der anderen Protagonisten kann aber trotzdem am Ende jeder sein Glück und seine Familie wieder finden. Sogar Läuffer verliebt sich, trotz seiner Entmannung, in das Bauernmädchen Lise und nimmt dadurch am wenn auch fraglichen „Happy End“ teil.

2.3 Formale Analyse

Das europäische Drama steht bis zum 18. Jahrhundert völlig unter dem Einfluss der aristotelischen Dramentheorie. Erst im 18. Jahrhundert wenden sich einige Schriftsteller gegen die aristotelische Form des Dramas. Jakob Michael Reinhold Lenz ist einer dieser ersten Kritiker. Der Hofmeister gilt als erste Umsetzung seiner programmatischen Aussagen der „Anmerkungen“, die Lenz für einen Vortrag in der „Société de Philosophie et de Belles-Lettres“ ausgearbeitet hatte.

1774 erschien „Der Hofmeister“ unter der Bezeichnung „eine Komödie“. In einigen Briefen, unter anderem an Salzmann, nennt er das Drama eine Tragödie. „Im Untertitel des Berliner Manuskriptes schließlich wurde die neutrale Bezeichnung ein ´Lust- und Trauerspiel´ gewählt“[4]. Die unklare Bezeichnung des Dramas lässt sich durch die im Stück enthaltenden tragischen und komischen Elemente erklären, die sich weder dem einen noch dem anderen Genre eindeutig zuordnen lassen.

Die Aufteilung des „Hofmeisters“ in fünf Akte entspricht den aristotelischen Regeln und ist sicher ein Zugeständnis Lenzens an die Erwartungen der Leser und Zuschauer, die sie bei einem Drama haben. Doch erfüllt dieser Fünfakter nicht die mit seinem Aufbau verbundene dramaturgische Entwicklungsfunktion. Nicht die Akte, sondern die einzelnen fünfunddreißig Szenen übernehmen die Funktion den Spannungsbogen zu entfalten. Das Stück bricht dadurch mit der von Lenz kritisierten französischen Interpretation des aristotelischen Dramenprinzips der Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Lenz orientiert sich eher an den Shakespeareschen „befreiten“ Dramen, die er bewunderte und auch übersetzte. Häufiger Ortswechsel, parallele Handlungsstränge, das Prinzip des Zufalls und episodenhafte Szenen, die teilweise einfach mitten in einem Satz enden, sind die Innovationen Lenzens. Für ihn sind der Charakter eines Menschen und die ihn umgebende Gesellschaft die wichtigsten Elemente des Dramas. Ein „Gemälde der menschlichen Gesellschaft“[5] will Lenz zeigen. Das gelingt ihm, indem er „ausschnitthaftig […] die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten vor[führt]“[6]. So auch im Hofmeister: Die vierundzwanzig Personen des Dramas werden sehr individuell charakterisiert und durch einen ihrer Schicht eigenen Sprechstil gekennzeichnet.

3. Konkupiszenztheorie Lenzens

In diesem Abschnitt möchte ich, als Grundlage für meine Annahmen über die Beweggründe des Hofmeisters zur Selbstkastration und des negativen Umgangs der Personen im Drama mit der Sexualität, die Konkupiszenztheorie Lenzens erläutern. Dabei stütze ich mich auf die Ausführungen von Uwe Hayer[7] und Johannes Friedrich Lehmann[8]. Beide Texte beschäftigen sich eingehend mit Lenzens Theorie und sind sehr verständlich für Personen, die keine vertiefenden Kenntnisse über die Treibregulierung haben.

Jakob Michael Reinhold Lenz betrachtete den Sündenfall Adams und Evas im Paradies anders, als es die Theologie im 18. Jahrhundert tat. Zum Entsetzen der damaligen theologischen Auffassungen verstand er die Vertreibung aus dem Paradies als gottgewollt und schrieb der Sexualität eine lebenswichtige Energie zu.

In der Konkupiszenztheorie entwickelt sich Adam in drei Stufen, von einem tierähnlichen Wesen bis zum Menschen. In der ersten Phase „ist Adam zur bloßen Selbstbezüglichkeit“[9] fähig und kann deswegen auch noch nicht sprechen. Mit dem beginnenden Spracherwerb in der zweiten Phase setzt zunehmend die Fähigkeit ein zwischen Innen- und Außenwelt zu unterscheiden. Außerdem kann Adam nun ein „verworrene[s] Gefühl“[10] wahrnehmen. Es ist genetisch der Empfindung vorausgesetzt und nur ein Sinnesreiz, ohne Verarbeitung im Menschen. In der dritten Phase erlernt Adam, mit Anstrengung seines Verstandes zu urteilen und zu differenzieren. Das ist ihm möglich, weil er jetzt empfinden kann, also „ein Verhältnis zu sich selbst, nicht nur bloße Gefühlsunmittelmarkeit“[11] herstellt. Nun kann der Mensch auch bewusst handeln und das ist es, was Gott laut Lenzens Theorie wollte. Der Mensch soll ein „kleiner Schöpfer [sein, indem er] der Gottheit nachhandel[t](n)“[12].

Durch das Verbot Gottes im Paradies erhielten Adam und Eva als Stellvertreter für alle Menschen einen Antrieb zu handeln – und zwar gegen das Verbot. Sie gerieten durch die Untersagung in ein Spannungsverhältnis zweier Kräfte: Die Kraft des Verbotes, dem „Sollen“, und die Kraft entgegen dem Verbot zu handeln, das „Wollen“. Durch diese entgegengesetzt wirkenden Kräfte unterscheidet sich der Mensch vom Tier, welches lediglich aus Instinkt handelt. Der Mensch kann frei entscheiden, wie er handeln möchte.

[...]


[1] Vgl. Voit, Friedrich: Erläuterungen und Dokumente. J.M.R. Lenz Der Hofmeister. Reclam-Verlag. Stuttgart 1986, S.84

[2] Vgl. Voit, Friedrich: Erläuterungen und Dokumente. J.M.R. Lenz Der Hofmeister. Reclam-Verlag. Stuttgart 1986, S.80f.

[3] Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Nr. 48/49. 1775. S.416f. In: Erläuterungen und Dokumente. J.M.R. Lenz Der Hofmeister. Reclam-Verlag. Hrsg. von Friedrich Voit. Stuttgart 1986, S.80

[4] Wiessmeyer, Monika: Gesellschaftskritik in der Tragikomödie: Der Hofmeister (1774) und die Soldaten (1776) von J.M.R. Lenz. In: Luserke, Matthias: Jakob Michael Reinhold Lenz im Spiegel der Forschung. Georg Olms Verlag. Hildesheim, Zürich, New York 1995, S.370

[5] Lenz, J.M.R. Die Rezension des neuen Menoza. In: Lenz, Gesammelte Schriften, hrsg. von Franz Blei. Verlag Georg Müller. 1909. Bd. II, S.334.

[6] Borries, Ernst und Erika von: Aufklärung und Empfindsamkeit, Sturm und Drang. Deutscher Taschenbuchverlag. München 1992, S.254-263

[7] Hayer, Uwe: Das Genie und die Transzendenz. Untersuchungen zur konzeptionellen Einheit theologischer und ästhetischer Reflexion bei J. M. R. Lenz. Langverlag. Frankfurt am Main [u.a.]1995

[8] Lehmann, Johannes Friedrich: Vom Fall des Menschen. Sexualität und Ästhetik bei J.M.R. Lenz und J.G. Herder. In: Bergengruen, Maximilian; Borgards, Roland; Lehmann, Johannes Friedrich: Die Grenzen des Menschen. Anthropologie und Ästhetik um 1800. Königshausen und Neumann Verlag. Würzburg 2001

[9] Hayer, Uwe: Das Genie und die Transzendenz. Untersuchungen zur konzeptionellen Einheit theologischer und ästhetischer Reflexion bei J. M. R. Lenz. Langverlag. Frankfurt am Main [u.a.]1995, S.129

[10] Ebd., S.129

[11] Ebd., S.130

[12] Ebd., S.130

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Triebkontrolle und unterdrückte Sexualität im Drama - „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ von J.M.R. Lenz
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Anthropologische Vorstellungen und ihre Reflexion in Ästhetik und Literatur im 18. Jahrhundert
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V119490
ISBN (eBook)
9783640229192
ISBN (Buch)
9783640231348
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Triebkontrolle, Sexualität, Drama, Hofmeister, Vorteile, Privaterziehung“, Lenz, Anthropologische, Vorstellungen, Reflexion, Literatur, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Bachelor of Education Lisa Kittler (Autor:in), 2007, Triebkontrolle und unterdrückte Sexualität im Drama - „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ von J.M.R. Lenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119490

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