Konzept eines modernen Epos. Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz"

Die Konstitution einer neuen Romanpoetik


Magisterarbeit, 2008

100 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Teil 1: Analyse der Ästhetischen Schriften II. 1.Die Bilder der Futuristen
II. 1.1 Expressionismus und Futurismus
II. 1.2 Döblins expressionistische Sichtweise des Futurismus
II. 1.3 Die Unzulänglichkeit der Kunstmittel
II. 1.3.1 Die neuen Methoden der Futuristen
II. 1.3.2 Der Sprachskeptizismus
II. 1.4 Kunst als Transzendenz
II. 1.5 Der Gang nach innen
II. 1.6 Der Kubismus
II. 1.7 Das Schaffen einer neuen Realität aus der Künstlerfantasie II. 2.Futuristische Worttechnik. Offener Brief an F.T. Marinetti
II. 2.1 Der Naturalismus-Begriff
II. 2.2 Die Kritik an Marinetti
II. 2.2.1 Unveränderbares Material – Der Bezug zu Fritz Mauthner und Arno Holz
II. 2.2.2 Die stoffliche Einschränkung
II. 2.2.3 Der ästhetizistische Stil
II. 2.3 Fazit: Der literarische Eigenweg
II. 3.An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm
II. 3.1 Mehr Öffentlichkeit in der Literaturproduktion
II. 3.2 Das moderne Epos
II. 3.3 Antibürgerlichkeit als grundlegende Haltung
II. 3.4 Die neuen poetologischen Prinzipien
II. 3.4.1 ‚Depersonation’
II. 3.4.2 ‚Steinerner Stil’
II. 3.4.3 ‚Tatsachenphantasie’
II. 3.4.4 ‚Kinostil’
II. 3.5 Kritik an expressionistischer Kunsttheorie
II. 4.Der Bau des epischen Werks
II. 4.1 ‚Das Exemplarische des Vorgangs und der Figuren’
II. 4.2 Die Legitimierung der Berichtform
II. 4.3 Das Element des Fabulierens
II. 4.4 Die Befreiung von Kunstregeln
II. 4.5 Die Verbindung zum Publikum und dessen gewandelter Rezeptionshaltung
II. 4.6 Die Rehabilitierung der Autorenpräsenz
II. 4.7 Der Weg zur künftigen Epik
II. 4.8 Die Sprache
III. Teil 2: Die künstlerische Avantgarde in Berlin Alexanderplatz
III. 1. Die Montage von avantgardistischen Stilen
III. 2. Eklektizismus als oberstes Prinzip
III. 3. Der Einfluss des Expressionismus: Ein Vergleich zwischenDie Ermordung einer ButterblumeundBerlin Alexanderplatz
III. 3.1 Über-Ich-Strukturen: Bürgernormen und Gefängnisregeln
III. 3.2 Die Angst vor Strafe und die Großstadt
III. 3.3 Der Gesang
III. 3.4 Das Kriegs-Motiv
III. 3.5 Der exemplarische Charakter der Figuren
III. 3.6 Das Übergangslose
III. 4. Spuren des Futurismus
III. 5. Dadaistische Elemente
III. 5.1 Die Verbindung von futuristischen mit dadaistischen Elementen
III. 5.2 Die Collage – Joyce oder Dada?
III. 5.3 Lautmalereien
III. 5.4 Dada als Avantgarde – Die Antibürgerlichkeit
III. 6.1 Naturalistische Elemente
III. 6.2 ‚Die Überwinterungsform des Naturalismus’
III. 7. Die Neue Sachlichkeit
III. 7.1 Vom Expressionismus zum ‚neuen Naturalismus’
III. 7.2 Die Forschungslage zur Neuen Sachlichkeit
III. 7.3 Alfred Döblin und die Neue Sachlichkeit
III. 7.4 Berlin Alexanderplatz im Kontext der Neuen Sachlichkeit
III. 7.4.1 Die Rolle der Tageszeitung
III. 7.4.2 Ästhetizismus und Zeitung: d’Annunzio und die Homosexuellen
III. 7.4.3 Der Gebrauchswert als Lehrstück
III. 7.4.4 Beckers Verortung des Romans in der Neuen Sachlichkeit
IV. Fazit
V. Literaturverzeichnis
V. 1. Primärmaterialien
V. 1.1 Texte von Alfred Döblin
V. 1.2 Weitere Primärmaterialien
V. 2. Sekundärliteratur

I. EINLEITUNG

Walter Benjamin schreibt in seiner Rezension zuBerlin Alexanderplatzmit Blick auf Döblins poetologischen EssayDer Bau des epischen Werks, dass es ihm in seinem Roman gelinge, seine theoretischen Positionen auch literarisch umzusetzen: „Sein letztes Buch zeigt, daß Theorie und Praxis seines Schaffens sich decken.“1Ebenso unterstreicht Döblin selbst, seine theoretischen Konzepte des modernen Epos in der Praxis verwirklicht zu haben: „Ich spreche hier von einem sich entwickelnden Typ moderner epischer Kunstwerke, die ganz bestimmte Formgesetze in sich tragen. Ich habe leicht analysierbare Beispiele in meinen eigenen Büchern gegeben.“2Doch worin besteht dieser neue Typ der Epik? Was sind seine Merkmale? Auf welchen theoretischen Überlegungen beruht er und woraus speisen sich deren Einflüsse? Wie die beiden Zitate andeuten, unterfüttert Döblin sein dichterisches Werk stets mit literatur- und kunsttheoretischen Schriften, die ein hohes Maß an Selbstreflexion aufweisen und das ästhetische Fundament seines Schaffens bilden. Eine Analyse vonBerlin Alexanderplatzgebietet also zunächst einen genauen Blick auf ebendiese Texte. Dementsprechend zeichnet der erste Teil dieser Arbeit den Entstehungsweg von Döblins romanpoetologischen Überlegungen nach, während der zweite zeigt, wie diese inBerlin Alexanderplatzkulminieren.3

„Von einer ‚Poetik’ Döblins zu sprechen, ist eine fragwürdige Sache,“4schreibt Erich Kleinschmidt über dessen ästhetische Schriften, da sie keine konsistente Theorie erkennen ließen. Stattdessen sei für Döblins gedankliche Selbstfindung jener „geradezu anarchischer Eklektizismus“5charakteristisch, der schon seinen ersten kunsttheoretischen EssayGespräche mit Kalypso. Über die Musik6auszeichne. Vom Beginn seiner literarischen Tätigkeit an setzt er sich kritisch mit „tradierten und zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen“ aus- einander7und gelangt so allmählich nach dem „Prinzip des kreativen Widerspruchs“8durch die „Abgrenzung von Kunstströmungen der Vergangenheit und Gegenwart […] zu eigenen ästhetischen Anschauungen und Maßstäben.“9Insbesondere die Begegnung mit dem Futuris- mus kann als eine Art Schlüsselerlebnis gelten, das Döblin veranlassen wird, sich zu seinem literarischen Eigenweg zu bekennen. Er verweigert sich stets der Vereinnahmung seiner Wer- ke für jedwede Kunstströmung und zeigt sich, wie es Sabina Becker formuliert, als ein Autor, „für den es offensichtlich von großer Bedeutung war, als ein literarischer Einzelgänger gelten zu können, der Anregungen zwar von der gesellschaftlichen Realität, nicht aber von literari- schen Bewegungen und Entwicklungen bezieht.“10Sie weist jedoch darauf hin, dass „die Analyse von Döblins literarästhetischen Positionen indes […] deutlich“ mache, „daß die Ver- flechtungen der Döblinschen Argumentationen mit dem zeitgenössischen literarischen Dis- kurs äußerst eng sind.“11 Dies wirft die Frage auf, zu welchen Bewegungen konkret Bezie- hungen zu Döblins Werk bestehen und aus welchen Einflüssen sich der ‚Döblinismus’ speist, wie er selbst in polemischer Abgrenzung zu Marinettis Futurismus seine eigenen programma- tischen Ansätze bezeichnet.

Auch wenn Döblins Literaturtheorie kein einheitliches System zugrunde liegt, lassen sich doch gewisse Leitlinien ausmachen, an die er immer wieder anknüpft und von denen ausgehend er seine Ästhetik ausbaut. Döblins Verhältnis zu den unterschiedlichen Kunstströ- mungen seiner Zeit kennzeichnet eine ähnliche Haltung wie sie z. B. in seinen naturphilo- sophischen SchriftenDas Ich über der Naturbzw.Unser Daseinzum Ausdruck kommt. Die- se sehr heterogenen Texte, in denen Döblin zu einer Vielzahl an Diskursen Stellung nimmt, prägt sein deutlicher Hang zum Eklektizismus, der sich auch in seiner romanpoetologischen Entwicklung niederschlage, wie Matthias Prangel schreibt: „Grundlegende Bedeutung für alle anderen Bestandteile von Döblins Romantheorie besitzt die von Anfang an erhobene und so- dann vielfach wiederholte Forderung nach der literarischen Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer viel dimensionalen und komplexen Welt. Mit Recht könnte man Döblin als Komplexitätsfanatiker bezeichnen.“12Hierauf beruht auch seine häufige Anwendung der Montage/Collage-Technik, in der Döblin die Möglichkeit findet, sein eklektizistisches Denken lite- rarisch umzusetzen und so gleichzeitig dem Anspruch gerecht zu werden, ein möglichst rea- listisches und detailliertes Abbild seiner Zeit zu schaffen. Folgerichtig schreibt Benjamin in seiner Rezension zuBerlin Alexanderplatz: „Stilprinzip dieses Buches ist die Montage.“13

Der zweite Teil der Arbeit setzt hier an, indemBerlin Alexanderplatzerstens als Mon- tageroman und zweitens als die Widerspiegelung von Döblins ästhetischer Entwicklung gese- hen wird. Döblin reüssiert als einer der bedeutendsten Vertreter des Frühexpressionismus und formt dann aus der Auseinandersetzung mit dem Futurismus eigene programmatische Positio- nen, indem er sich aus der Ablehnung des bürgerlichen Romans und auch aus der Lossagung vom Expressionismus heraus auf den Naturalismus besinnt, wodurch er bereits wesentliche Elemente der Neuen Sachlichkeit vorwegnimmt. Es soll nun gezeigt werden, dass sich Spuren dieses ästhetischen Entwicklungsverlaufs auch inBerlin Alexanderplatzausmachen lassen. Döblin verfolgt in seinem Roman konsequent den Anspruch, die Welt in ihrer ‚Vielheit’ dar- zustellen. Es entsteht ein umfangreiches Zeitgemälde der Stadt Berlin im Jahr1928. Dennoch werden gewisse Aspekte des Berliner Lebens ausgeklammert. Ebenso wenig wie das höhere Bürgertum und die Aristokratie erwähnt der Roman die Welt der Kunst. Implizit, auf forma- lem Weg, findet letztere jedoch sehr wohl Eingang ins Werk. Auch hier geht Döblin nach dem Prinzip der Montage vor und stellt stilistische Elemente heterogener und sogar scheinbar gegensätzlicher künstlerischer Programmatiken verschiedener literarischer Bewegungen der Moderne nebeneinander. Wie zuvor in seinen theoretischen Schriften, so finden sich auch inBerlin Alexanderplatzdeutliche Bezüge zum Naturalismus, Expressionismus, Futurismus, zu Dada und zur Neuen Sachlichkeit. In Form einer textimmanenten Analyse sollen nun präg- nante Textstellen herausgegriffen und in den jeweiligen stilistischen Zusammenhang der ver- schiedenen literarischen Bewegungen gestellt werden. Hierbei wird berücksichtigt, dass sich einige Stilmerkmale nicht eindeutig zuordnen lassen, da sie in mehreren Strömungen der lite- rarischen Moderne anzutreffen sind. Ferner verlangt die Untersuchung des Einflusses jeder dieser Bewegungen eine jeweils andere Herangehensweise, da sie höchst unterschiedliche Konstrukte darstellen: Die Definition des Expressionismus kennzeichnet trotz der Vielzahl der zu diesem Phänomen veröffentlichten Forschungsbeiträge eine gewisse Unschärfe. Hier- auf wird bereits im ersten Teil der Arbeit im Zusammenhang mit Döblins expressionistischer Sichtweise auf die Futuristen eingegangen. Dies geschieht unter Rückgriff auf die grundlegenden Definitionen von Silvio Vietta und Hans-Georg Kemper14und die Hinweise, die Gottfried Benn in verschiedenen theoretischen Schriften und Reden liefert. So kann im zweiten Abschnitt der Anteil an expressionistischen Elementen inBerlin Alexanderplatzanhand einer vergleichenden Analyse mit Döblins ErzählungDie Ermordung einer Butterblumeherausge- arbeitet werden. Die den Expressionismus radikalisierenden Bewegungen des Dadaismus und des Futurismus teilen eine Reihe von stilistischen Merkmalen miteinander. In Hinsicht auf die dadaistischen Elemente bezieht sich die Arbeit in Teilen auf die Darstellungen Eckhard Phi- lipps15und auf die Erinnerungen Richard Huelsenbecks.16Für die Analyse des Futurismus liefert neben den futuristischen Manifesten unter anderem Carmine Chiellino17wichtige Er- kenntnisse. Den Spuren des Naturalismus wird mit Hilfe der Arbeit von Günther Mahal,18der Quellensammlung Theo Meyers19und verschiedenen literaturtheoretischen Texten von Arno

Holz nachgegangen. Zur Analyse von Döblins Verhältnis zur Neuen Sachlichkeit bietet sich zunächst ein Blick auf die recht überschaubare Forschungslage an. Neben den Aufsätzen von Karl Prümm20und Klaus Petersen21setzt vor allem die Arbeit von Sabina Becker neue Maß- stäbe in der Forschung zur Neuen Sachlichkeit. Gerade über Alfred Döblins Beziehung zu dieser Bewegung liefert Becker zusätzlich zu ihrer zweibändigen Monographie22ebenfalls in einem zweiteiligen Aufsatz23bedeutende Hinweise. Dort formuliert sie auch die Frage nach einer genauen literarhistorischen Verortung Döblins im Kontext der zwanziger und dreißiger Jahre, deren Beantwortung die Döblin-Forschung bei aller fortschreitenden Detailgenauigkeit

der Fragestellungen bisher habe vermissen lassen. Becker ordnet Döblin in den Zusammen- hang der Neuen Sachlichkeit ein und sieht inBerlin Alexanderplatzsogar den „Prototyp neu- sachlichen Schreibens.“24Dieses Ergebnis wird kritisch hinterfragt und so ein Beitrag zur literaturgeschichtlichen Einordnung vonBerlin Alexanderplatzgeleistet. Von der umfangrei- chen Forschungsliteratur zu Alfred Döblin waren vor allem die Untersuchungen Gabriele Sanders, Birgit Hoocks25und mit Einschränkungen die von Heidi Thomann Tewarson26zur Verfertigung dieser Arbeit von Gewinn.

II. TEIL 1: ANALYSE DER ÄSTHETISCHEN SCHRIFTEN

II. 1.DIE BILDER DER F UTURISTEN

Alfred Döblins Auseinandersetzung mit dem Futurismus beginnt im März 1912, als in der von Herwarth Walden herausgegebenen ZeitschriftDer Sturm, für die Döblin seit 1910 zahlreiche Glossen und Kritiken verfasst, das ersteManifest des Futurismusvon Filippo Tommaso Marinetti sowie dasManifestder futuristischen Maler erscheinen. Mit der Eröff- nung einer zuvor bereits in Paris und London gezeigten Ausstellung futuristischer Malerei unter Führung des Schriftstellers Marinetti in der BerlinerSturm-Galerie bietet sich für Döb- lin im April 1912 die Gelegenheit, einige Protagonisten des Futurismus persönlich kennen zu

lernen.27Zu der erfolgreich verlaufenen Ausstellung verfasst Döblin in der Mai-Ausgabe des

Sturmden kurzen AufsatzDie Bilder der Futuristen, in dem er den Futurismus enthusiastisch bejaht.28Der Text gilt als Döblins erstes deutliches Bekenntnis zur Moderne29und enthält bereits einige Kernpunkte seiner ästhetischen Entwicklung, die bis in den RomanBerlin Ale- xanderplatzhineinreicht.

II. 1.1 EXPRESSIONISMUS UND FUTURISMUS

Carmine Chiellino weist in Hinsicht auf Döblins Wissen um den Futurismus darauf hin, dass das „Mitglied des Berliner Sturm-Kreises über alle futuristischen Ereignisse – Ausstel- lungen, Vorträge, Veröffentlichungen – in Berlin informiert war.“30Die Analyse des ArtikelsDie Bilder der Futuristenergebe laut Chiellino, dass sich Döblin „ein ganz persönliches Bild des Futurismus“ geschaffen habe.31Die Art, in der er die futuristischen Bilder bewundernd beschreibt, zeigt, dass seinem ästhetischen Denken zu jener Zeit noch ein zutiefst expressio- nistisches Kunstverständnis zugrunde liegt, das er auf die Futuristen projiziert. Dies steht in wechselseitiger Bedingung der großen Nähe des italienischen Futurismus zum deutschen Ex- pressionismus, die sich auch darin äußert, dass z. B. Gottfried Benn beide Phänomene mitein-

ander gleichsetzt: Für Benn ist der Expressionismus derjenige Stil, „der in anderen Ländern Futurismus, Kubismus, später Surrealismus genannt wurde.“32

Insbesondere das Fehlen an zeitgenössischen poetologischen Schriften der Vertreter der expressionistischen Generation33gebietet jedoch eine gewisse Vorsicht im Umgang mit der Bezeichnung ‚expressionistisch’, da ihr eine semantische Unschärfe anhaftet. Sogar von der Forschung gemeinhin als bedeutende Vertreter des Expressionismus ausgemachte Autoren vermögen rückblickend nicht zu sagen, was ‚Expressionismus’ genau bedeutet oder geben zumindest vor, dies nicht zu wissen. So schreibt Benn in seiner Einleitung zum GedichtbandLyrik des expressionistischen Jahrzehntsüber die Schwierigkeiten bei der Auswahl repräsen- tativer Gedichte:

Der Verleger sagte: Der und der sind in der und der literarhistorischen Abhandlung von dem und dem als Expressionisten bezeichnet. Das und das Gedicht von dem und dem Essayisten als typisches expressionis- tisches Gebilde angeführt. Ich sagte, wissen Sie nun aber daraufhin, was ein expressionistisches Gedicht eigentlich ist? Ich meinerseits weiß es nicht […].34

Einige Seiten weiter fragt Benn ironisch: „Also was ist Expressionismus? Ein Konglomerat, eine Seeschlange, das Ungeheuer von Loch Ness, eine Art Ku-Klux-Klan?“35Bei aller Pole- mik gegen den Begriff des Expressionismus, aus der wohl auch zu einem großen Teil die Ab- sicht spricht, sich gegen eine allzu starre Kategorisierung des eigenen Werkes zu verwahren, lassen sich doch eine Reihe von charakteristischen Gemeinsamkeiten der Kunstwerke, die im so genannten expressionistischen Jahrzehnt entstanden sind, finden. Auf Benns polemische Fragen, „Was ist der Expressionismus? Gibt es ihn überhaupt?“36, scheint Kasimir Edschmid eine Antwort zu geben:

In der Tat, das Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 und das halbe Jahrzehnt bis 1924 etwa war eine heiße, pralle, beglückende Zeit. Es war das Zeitalter einer Lebensweise und Anschauung, wie sie die Epoche der frühen Renaissance war, als man die Perspektive entdeckte und anwandte und sich mit dem Eifer von Le- benskünstlern nicht den Genüssen des Daseins, sondern den Lehren der Mathematik zuwandte. Wäre der Expressionismus nur ein Stil gewesen, so hätte er damals nicht eine ganze nationale Jugend geprägt.37

Gesprächspartner zu einer allgemein akzeptierten konkreten Definition zu gelangen.“ Vgl.: NIEDERMAYER, MAX: Nachwort. In: Niedermayer/Schlüter: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts, S. 289-291, hier: S. 290-291.

Gottfried Benn greift in der bereits angeführten Einleitung zu der Gedichtsammlung aus dem Jahr 1955 schließlich noch einmal einen Großteil der Punkte zur Charakterisierung des Ex- pressionismus auf, die er bereits 1933 im AufsatzExpressionismusangeführt hat. In seiner Funktion als Mitglied der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste bekennt er sich dort zu der literarischen Bewegung des Expressionismus und verteidigt sie gegen die Anfeindungen der Nationalsozialisten:

In der Tat, ich werde in einigen Literaturgeschichten […] mit Heym als Begründer des literarischen deut- schen Expressionismus bezeichnet und ich gebe zu, mich psychologisch in seinem Reich zu bewegen und seine Methode […] als mir eingeboren zu empfinden; und so will ich denn aus diesem Schicksal heraus und zumal ich der einzige von dieser ganzen zersprengten Gemeinschaft bin, der die Ehre hat, in der neu- en deutschen Akademie der Dichtung einen Sitz zu haben, noch einmal vor diese Gemeinschaft treten. Vor ihren Namen treten, die Erinnerung an ihre innere Lage wachrufen und auf gewisse Dinge zu ihrer Verteidigung hinweisen […].38

Benns Schrift von 1933 ist noch von der Hoffnung getragen, das Interesse des neuen national- sozialistischen Regimes an der Kunst sei Ausdruck eines Kunstverständnisses, das sich mit dem der Expressionisten, insbesondere dem Benns, decke.39Er verweist auf die besondere

Rolle des Futurismus für den italienischen Faschismus40und sucht den Expressionismus ge-

gen die nationalsozialistischen Angriffe unter anderem dadurch zu verteidigen, dass er Ex- pressionismus und Futurismus als Teile einer gemeinsamen Bewegung unterschiedlicher in- ternationaler Ausprägung beschreibt.41Im Zuge dieser Verteidigungsschrift liefert Benn dann

II. 1.2 DÖBLINS EXPRESSIONISTISCHE SICHTWEISE DES FUTURISMUS

Um nun zu veranschaulichen, dass die von Döblin in seiner SchriftDie Bilder der Futu- ristenals vorbildlich hervorgehobenen Eigenheiten der futuristischen Malerei einem genuin expressionistischen Kunstverständnis entsprechen, soll an einige Bezugspunkte angeknüpft werden, die Benn als exponierter Vertreter des Expressionismus in seinem Bekenntnis zum Expressionismus liefert. Markante Stellen ausDie Bilder der Futuristenkönnen so in einen expressionistischen Zusammenhang eingeordnet werden, um zu zeigen, dass Döblin in den Futuristen letztlich vorbildliche Vertreter des Expressionismus sieht und durch ihre begeister- te Begrüßung seine eigenen kunsttheoretischen Auffassungen, die implizit auch seine poeto- logischen Ansichten enthalten, in ebendiesen Rahmen stellt.

Gleich zu Beginn des Textes rückt Döblin die Malerei der Futuristen in die Nähe der Dichtung: „Jedes Bild ist ein Gedicht, eine Novelle, ein Drama“42heißt es unter Hinweis dar- auf, dass die Bilder der Futuristen vom Betrachter mehr Zeit verlangten als die der „Pointil- listen und Impressionisten; mit den vier Schritten an die gegenüberliegende Wand und

‚rechtsum kehrt’ ist es nicht getan.“43In aggressivem Ton lobt Döblin die futuristische Her-

ausforderung des „durch zehnmal durchgekaute Kost“ verderbten und „an den breitgetretenen Quark“ gewöhnten Publikums.44Unverhohlen tritt eine antibürgerliche Haltung zu Tage, die an das Avantgardebewusstsein der Expressionisten erinnert,45wenn Döblin den Kritikern der Futuristen ein mangelndes Kunstverständnis nachsagt. Jedes Bild stelle den Betrachter vor eine Aufgabe, denn „das Kunstwerk verlangt Disziplin, Eindringen, Bemühung, Bemü-

grundlegenden Gemeinsamkeiten gelten. Diese Art der expressionistischen Stilisierung zur Avantgarde, die sich gegen Bürger- und Spießertum richtet, veranschaulicht z. B. das als exemplarisch für den frühex- pressionistischen Reihungsstil geltende GedichtWeltendevon Jakob van Hoddis aus dem Jahr 1911:

„Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut […]“. Vgl.: HODDIS, JAKOB VAN: Weltende. In: Nieder- mayer, Max; Schlüter, Marguerite (Hg.): Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Von den Wegbereitern bis zum Dada. Eingeleitet von Gottfried Benn. Wiesbaden 1955, S. 83.

hung.“46Schließlich spricht der von der ignoranten Bürgerwelt verkannte Künstler, ebenfalls ein expressionistischer Topos,47aus Döblin, wenn er schreibt:

Kein Kunstfortschritt wird auch der Masse etwas bedeuten […], wenn ihr nicht von Kindheit an einge- bläut wird durch Lehrer, Kritiker, Kenner: daß sie ist, was sie ist, nämlich dumm, kaum fähig aufzuneh- men, zum Kretinismus geneigt, ein Greuel jedes Musischen; daß die einzigen Menschen die Könner jeder Art sind, an die sie sich zu drängen hat, hinter denen sie herzukriechen hat, selbst wenn sie sie anspeien und treten.48

Diese Textstelle korrespondiert mit Döblins wenig späterem EssayBemerkungen zum Roman, in dem er ein weiteres Mal das Kunstunverständnis der Masse anprangert und von einer „Le- seunfähigkeit des Publikums“ spricht, welches sich ähnlich wie für die Bilder der Futuristen auch für den Roman keine Zeit nehme und stattdessen die „Ungeduld“ zum „Maß aller Din- ge“ mache.49Hier ist eine deutliche Parallele zu Benn zu sehen, der den expressionistischen Künstler rückblickend zu einer Art Märtyrer stilisiert, der im Namen des künstlerischen Fort- schritts ein Leben in Armut außerhalb der Gesellschaft in Kauf nimmt:

[…] diese Handvoll von Expressionisten […], diese Gläubigen einer neuen Wirklichkeit und eines alten Absoluten, […] hielten mit einer Inbrunst ohnegleichen, mit der Askese von Heiligen, mit der todsicheren Chance, dem Hunger und der Lächerlichkeit zu verfallen, ihre Existenz dieser Zertrümmerung entgegen.50

Döblin betont inDie Bilder der Futuristen, dass der Künstler nicht dem Geschmack der Mas- se, sondern allein seiner „Phantasie“ verpflichtet sei. Dementsprechend ist es für ihn „kein fragwürdiges Recht des Malers, sondern das Recht seiner Phantasie, zu sehen, wie und wohin sie will – nicht wie Herr Müller, der verblüfft vor dem Bild steht […].“51Döblin macht hier deutlich, dass die Provokation zwar nicht Zweck der Kunst sei, sie aber auch nicht vermieden werden solle, da der Künstler unabhängig von der äußeren Realität allein aus sich selbst und seiner Fantasie heraus schöpferisch tätig sein müsse. Diese Auffassung deckt sich mit der ebenfalls imSturmveröffentlichten SchriftDie Futuristische Malerei. Technisches Manifest, in der es heißt: „[…] der Maler trägt die Landschaften, die er wiedergeben will, in sich.“52

Diese Berufung auf die Fantasie als Ausdruck des Innersten eines Künstlers ist auch bei Benn häufig zu finden und mithin als einer der wesentlichen Bestandteile seiner Ästhetik an- zusehen. Die Konzentration auf das innere Selbst lässt sich als Reaktion auf das seit der Jahr- hundertwende und gerade im expressionistischen Jahrzehnt virulent gewordene Gefühl des

Wirklichkeitsverlustes begreifen. Dementsprechend versteht Benn den Expressionismus und die ihm verwandten internationalen Kunstbewegungen auch als Ausdruck des Leidens an der industrialisierten Wirklichkeit: „[…] es gab ja auch keine Wirklichkeit, höchstens noch ihre Fratzen. Wirklichkeit, das war ein kapitalistischer Begriff.“53Als ästhetische Konsequenz hat es „in Europa von 1910 bis 1925 überhaupt kaum eine naive, das heißt gegenstandsparallele Gestaltung mehr [gegeben], sondern nur noch die antinaturalistische,“54also abstrakte Kunst.

Die Idee eines Zerfalls der Wirklichkeit gehört zu den Kernpunkten des expressionisti- schen Programms und hängt, Silvio Vietta zufolge, wesentlich mit „der tiefgreifenden Erfah- rung der Verunsicherung, ja Dissoziation des Ich, der Zerrissenheit der Objektwelt, der Ver- dinglichung und Entfremdung von Subjekt und Objekt“ zusammen.55Neben allen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlich-sozialen Umwälzungen ist es vor allem die Destruktion des christlich-metaphysischen Gefüges, die auf die Generation der Expressionisten wirkt und sich an ihrer vielfach belegbaren und oft betonten Nietzsche-Rezeption verdeutlicht.56Diese wird für die durch die Umwälzungen der modernen Welt verstörte Generation der Expressio- nisten zur einschneidenden Erfahrung: „Die Metaphysikkritik Nietzsches, sein fundamentaler Zweifel an einem letztlich Wahren, Guten, an den großen Idealen [...] schafft […] für eine Generation, die ökonomisch und sozialpsychologisch ohnehin verunsichert [ist], einen Zu- stand erkenntnistheoretischer Bodenlosigkeit.“57

II. 1.3 DIE UNZULÄNGLICHKEIT DER KUNSTMITTEL

II. 1.3.1 DIE NEUEN METHODEN DER FUTURISTEN

In DöblinsDie Bilder der Futuristenfolgt nun auf das Postulat, der Künstler möge sich auch unter der Gefahr der Provokation und Anstößigkeit im Widerstand gegen spießbürgerli- ches Kunstunverständnis allein auf seine Fantasie berufen, die Erkenntnis: „Eine Szene zu malen lohnt nicht die Mühe.“58Auf die möglichst detailgetreue Darstellung der Objektwelt kommt es in der zerfallenden und als Lüge entlarvten Wirklichkeit nicht mehr an. Darüber

hinaus werden die bisher zur Verfügung stehenden künstlerischen Mittel als unzureichend empfunden. InDie Futuristische Malerei. Technisches Manifestheißt es dementsprechend:

„Unseren Drang nach Wahrheit können Form und Farbe im konventionellen Sinne nicht mehr befriedigen!“59Dieser „Drang nach Wahrheit“ ist als Chiffre zu sehen für den imManifest der Futuristischen Malerformulierten Anspruch, die veränderte Wirklichkeit der Moderne wie- derzugeben: „Nur die Kunst ist lebensfähig, die ihre eigenen Elemente in der sie umgebenden Umwelt findet. Wie unsere Vorfahren Stoff für ihre Kunst aus der religiösen Atmosphäre zo- gen, die auf ihre Seelen drückte, so müssen wir uns an den greifbaren Wundern des zeitgenös- sischen Lebens inspirieren […].“60Diesem Ansatz folgend formulieren die futuristischen Ma- ler in ihremTechnischen Manifestdie Forderung nach Abbildung von Dynamik, Bewegung und Geschwindigkeit:

Alles bewegt sich, alles fließt, alles vollzieht sich mit größter Geschwindigkeit. Eine Figur steht niemals unbeweglich vor uns, sondern sie erscheint und verschwindet unaufhörlich. Durch das Beharren des Bil- des auf der Netzhaut vervielfältigen sich die in Bewegung befindlichen Dinge, ändern ihre Form und fol- gen aufeinander wie Schwingungen im Raum. So hat ein galoppierendes Pferd nicht vier, sondern zwan- zig Beine, und ihre Bewegungen sind dreieckig.61

Die Futuristen machen klar, dass sie sich über sämtliche bisher geltende Kunstnormen hin- wegsetzen müssen, um ihrem Ziel, der Wiedergabe der modernen Realität, nahe zu kommen:

„In der Kunst ist alles Konvention, und die Wahrheiten von gestern sind für uns heute lauter Lügen.“

Auch Döblin hebt die Divergenz zwischen dem modernen künstlerischen Anspruch und den unzureichenden Methoden der bisherigen Malerei hervor und mokiert sich über „die vie- len der älteren Maler“, die „diese krampfhafte Bemühung“ besitzen, „jedes Eckchen mit Emp- findung auszustatten.“62Zuvor hat Döblin bereits deutlich gemacht, dass es nicht nur in der Malerei, sondern vor allem auch in der Sprache unmöglich sei, Empfindungen adäquat auszu- drücken: „Wer als Dichter oder routinierter Skribent ist fähig, in eine knappe Seite den Reich-

tum eines mächtigen Gefühls zusammenzupressen? Wer kann da mehr als Stichworte ge- ben?“ In diesen Sätzen äußert sich Döblins Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Sprachkritik, die auch auf den Expressionismus wirkte.

II. 1.3.2 DER SPRACHSKEPTIZISMUS

Der Eindruck des Wirklichkeitzerfalls verbindet sich im Expressionismus mit dem be- reits bei Nietzsche angelegten Sprachskeptizismus. Nietzsche stellt an unterschiedlichen Stel- len seines Werkes die Unglaubwürdigkeit des christlichen Glaubens als willkürliche Kon- struktion in eine Reihe mit der menschlichen Sprache, die er in ihrem täuschenden Charakter entlarvt. Von der Darstellung der Beliebigkeit der Sprache und ihrem unlogischen Entstehen gelangt er allmählich zu der These, dass die menschliche Weltsicht von den Metaphern und Begriffen, in die der Mensch sie kleidet, geprägt ist und folglich mit der Wahrheit wenig zu tun hat:

Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, ge- schmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken […] wahrhaft sein, d. h. die usuellen Metaphern zu brauchen, also moralisch ausgedrückt: [die] Ver- pflichtung nach einer festen Convention zu lügen, schaarenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen.63

Nietzsches Sprachkritik steht im Zusammenhang mit einer seit Mitte des 19. Jahrhunderts polemisch geführten Diskussion über die Weiterentwicklung der seit der Klassik für standar- disiert gehaltenen deutschen Sprache, die sich in scharfer Kritik am Phrasenhaften der Journa- listen und Geisteswissenschaftler äußert.64Diese verstärkt sich um die Jahrhundertwende und geht in eine neue Phase über, die schließlich in der so genannten Sprachkrise kulminiert.65Als Folge einer allgemeinen Krise des „kanonisierten Bildungsdeutsch“66ist die Idee einer Sprachkrise − neben Nietzsche − vor allem durch Fritz Mauthner geprägt, dessen Schriften intensiv auf Döblin wirkten.67Mauthner knüpft an Nietzsche an und radikalisiert dessen Ge- danken „von einem historisch bedingten Sprachverfall zu einer Verachtung der Sprache über- haupt.“68Seine Sprachkritik fußt auf der Idee, dass „Dichterkult, Politik, öffentliche Massen- kommunikation und Wissenschaftsgläubigkeit so etwas wie ‚Religionsersatz‘ seien. Politiker, Journalisten und Wissenschaftler sieht er als die Schuldigen am modernen ‚Wortfetischismus’[…].“69Mauthner wendet hier einen Gedanken Nietzsches an, den dieser in dem mitDie

„Vernunft“ in der Philosophiebetitelten Stück derGötzen-Dämmerungformuliert. Dort heißt es: „Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentären Form von Psycho- logie: wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzun- gen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen.“70Nietz- sche weist hier bereits vor Freud auf das Unbewusste hin und gelangt von der Untersuchung der Ureigenheiten der Sprache, die im Grunde die so genannte Vernunft bedingt, allmählich wieder zu seiner Metaphysikkritik. Er sieht sogar in der Sprache den eigentlichen Grund für die Existenz des Glaubens an eine Metaphysik.71Aus diesen Gedanken schließt er die vielzi- tierte Sentenz: „Ich fürchte wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glau- ben…“72Mauthner bezieht dieses von Nietzsche herausgearbeitete Verhältnis zwischen Me- taphysik und Sprache nun auf die Verwendung von Sprache in der verstärkt von Medien und Wissenschaften geprägten wilhelminischen Öffentlichkeit. Durch die radikale Ablehnung ihrer Sprache und der von ihr geschaffenen Sprachkonventionen gewinnt Mauthners Sprach- kritik eine sozialkritische und letztlich antibürgerliche Tendenz, da es das Bürgertum ist, das das Kaiserreich prägt und somit schließlich auch dessen Sprache.

II. 1.4 KUNST ALS TRANSZENDENZ

Neben Mauthner hat Döblin auch die Werke Nietzsches eingehend rezipiert und im Jahr 1902 einen Aufsatz mit dem TitelDer Wille zur Macht als Erkenntnis bei Friedrich Nietzscheverfasst. Nicht zuletzt inDer Wille zur Machtwird die Idee formuliert, dass der Weg zur Ü- berwindung des Nihilismus in der Kunst liege, wodurch die künstlerische Produktion in eine Art pseudoreligiöse transzendentale Sphäre erhöht wird.73Auch Döblin bezieht sich in seinem Nietzsche-Aufsatz auf diese These: „Und man übersehe nicht die Consequenzen dieses Skep- tizismus und Nihilismus: wenn alles falsch ist, nun dann wacker darauf los gedichtet und er-

Überwindung des Nihilismus stellt sich als ein eminent künstlerisches Unternehmen heraus […]. Einzig der Wille zur Form widersteht dem Verfall, sichert gegen den Medusenblick des Nichts. […] In diesem Zustand der Sinnlosigkeit und der Gnadenlosigkeit rettet der Dienst an der Form, der Kult des Ausdrucks, sind sie die einzige, die letzte Bestätigung des Seins. Ich forme, also bin ich.“ Vgl.: LOOSE, GERHARD: Die Ästhetik Gottfried Benns. Frankfurt am Main 1961, S. 7-8.

funden, wenn es nur dem Leben dient, – ja das eben entschlafene Schneewittchen ‚Wahrheit’ kann nun schon wieder erwachen und aufstehn!“74

Deutlicher macht es wiederum Benn, wenn er eine Idee Nietzsches hervorhebt, die sich bereits in dessen erstem philosophischen Werk,Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musikaus dem Jahr 1872, findet und die von ihm in seinen weiteren Werken wiederholt auf- gegriffen und variiert wird,: „Nietzsche als Ganzes in einem einzigen Satz, das könnte nur sein tiefster und zukünftigster sein: ,Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.‘“75Dieser Satz Nietzsches, der als grundlegend für Benns Ästhetik

gelten kann,76steht am Anfang einer Erhöhung der Kunst zu der „eigentliche[n] metaphysi-

sche[n] Tätigkeit des Menschen“,77wie es Nietzsche 1886 anlässlich der erneuten Durchsicht derGeburt der Tragödieformuliert und woraus Benn schließlich die Kunst zur letzten

„Transzendenz innerhalb des großen europäischen Nichts“78macht. So wie bei Nietzsche die Kunst zum Mittel der Überwindung des Nihilismus wird, das dem Zerfall der Wirklichkeit entgegenwirkt, indem der Mensch sich schöpferisch und spielerisch selbst über die Welt er- hebt, so wird den Expressionisten im Umkehrschluss der Zerfall zur Voraussetzung ihrer Kunstproduktion. Die als lügenhaft entlarvte Wirklichkeit und die Sprache als ihr Abbild sol- len zerstört werden: „Von Goethe bis George und Hofmannsthal hatte die deutsche Sprache eine einheitliche Färbung, eine einheitliche Richtung und ein einheitliches Gefühl, jetzt war es aus, der Aufstand begann. Ein Aufstand mit Eruptionen, Ekstasen, Haß, neuer Menschheits-

sehnsucht, mit Zerschleuderung der Sprache zur Zerschleuderung der Welt.“79Aus der Ab-

lehnung der Wirklichkeit heraus vollführen die Vertreter der expressionistischen Generation einen Rückzug in die Innerlichkeit, um zu der Schicht zu gelangen, aus der heraus sie wieder schöpferisch tätig werden können. Genau hierin sieht Benn den gemeinsamen Kern aller Kunstbewegungen, die er unter den Begriff Expressionismus subsumiert und wie folgt be- schreibt als

einheitlich in seiner inneren Grundhaltung als Wirklichkeitszertrümmerung, als rücksichtsloses An-die- Wurzel-der-Dinge-Gehen bis dorthin, wo sie nicht mehr individuell und sensualistisch gefärbt, gefälscht, verweichlicht, verwertbar in den psychologischen Prozeß verschoben werden können, sondern im akausa-

Benn sieht im Expressionismus

die einzige geistige Leistung, die diesen kläglich gewordenen Kreis liberalistischen Opportunismus ver- ließ, die reine Verwertungswelt der Wissenschaft hinter sich brachte, die analytische Konzernatmosphäre durchbrach und jenen schwierigen Gang nach innen ging zu den Schöpfungsschichten, zu den Urbildern, zu den Mythen, und inmitten dieses grauenvollen Chaos von Realitätszerfall und Wertverkehrung […] um ein neues Bild des Menschen rang.81

II. 1.5 DER GANG NACH INNEN

Dieser von Benn an den Expressionisten als charakteristisch ausgemachte „Gang nach innen“ hängt mit Sigmund Freuds Entdeckung des Unbewussten zusammen die er in seiner 1899 erschienenenTraumdeutungdarlegt. Auch Freud gibt an, Nietzsche rezipiert zu haben,82und weist auf die Nähe der Psychoanalyse zu den Einsichten Nietzsches hin.83In Anlehnung an Freud geht es den Expressionisten darum, „das Unbewußte bewußt zu machen“ und „im- mer eindringlicher jenes ‚Es‘ bloßzulegen“, wie Benn es schreibt.84Die Ansicht, dass das Bewusstsein und die so genannte Vernunft Ausdruck einer vom Bürgertum bestimmten Form der Weltwahrnehmung seien, und die auf Freud zurückgehende These vom rationalen Ich als

bloßer Fassade der Gesamtperson bilden in der Kunsttheorie Carl Einsteins eine Synthese. Einstein setzt die ‚Dingwelt’, das Bewusste, die Vernunft und den Glauben an das Subjekt mit dem Bürgertum gleich. Jegliche realistische Kunst lehnt er als tautologische Nachbildung dieser ‚Dingwelt’ ab, weil er in ihr letztlich die Affirmation des Bürgertums sieht, das sich durch seine „Besitzpsychose“ kennzeichne.85Ferner beruht die realistische Darstellung stets auf der Beobachtung eines bewussten Ich, Einstein hingegen fordert ein „halluzinatorisches Schauen“86als Grundvoraussetzung für das Schaffen von Kunst, die dann zwangsläufig eine abstrakte wird. Einsteins Kunsttheorie ist also auch eine Weiterentwicklung der von Nietzsche inDie Geburt der Tragödiedargelegten Idee des zugleich dionysischen und apollinischen, d.

h. entweder rauschhaften oder träumerischen Künstlers. Der von den Expressionisten gefor- derte Rückzug aufs Innere, Unbewusste, als Geburtsstätte der Künstlerfantasie umfasst den diskursiven Rahmen aus Traum, Rausch, kindlicher und primitiver Naivität. Dies hebt Ein-

stein auch in seiner 1915 erschienenenNegerplastikhervor, in der er deutlich auf die Nähe zwischen afrikanischen Plastiken und den Werken der Kubisten verweist.87Da der Futurismus der 1912 in Berlin ausgestellten Bilder als „Weiterführung und Assimilation kubistischer Prinzipien“88gilt, lohnt sich ein kurzer Blick auf die Theorie des Kubismus, zumal Döblins RomanDie drei Sprünge des Wang-Lun, die praktische Entsprechung zur Theorie desBerli- ner Programms, in zeitgenössischen Rezensionen mehrfach mit ihr in Verbindung gebracht wurde.89

II. 1.6 DER KUBISMUS

Etwa in der Mitte des Jahres 1907 vollendet Pablo Picasso das BildLes Demoiselles d’Avignon, in dem er neue Möglichkeiten der Darstellung „sowohl in der Behandlung des Raumes wie auch im Ausdruck menschlicher Empfindungen und Gemütszustände“90findet. Abgesehen vom provokanten Sujet, einer Bordellszene aus fünf nackten Frauen, und der un- gewöhnlichen Mischung aus Einflüssen afrikanischer und iberischer Kunst, wird das Bild „zu

einem wirklich revolutionären Kunstwerk […] vor allem durch die Tatsache, daß Picasso sich von den beiden Hauptmerkmalen der europäischen Malerei seit der Renaissance losmachte: der klassischen Norm für die menschliche Gestalt und dem Raum-Illusionismus der Zentral- perspektive.“91Picasso selbst hat es stets vermieden, öffentlich Theorien aufzustellen. Seine früheste publizierte Aussage über Kunsttheorie ist ein Interview aus dem Jahr 1923, das eine

Reihe von Anhaltspunkten enthält, die auf die Parallelen zwischen kubistischer, futuristischer und mithin auch expressionistischer Ideen verweisen, wie sie in DöblinsDie Bilder der Futu- ristenzum Ausdruck kommen. So erinnert es wieder an Nietzsche, wenn es bei Picasso heißt:

„Wir wissen alle, daß Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit be- greifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.“92Picasso verwahrt sich dagegen, dass er in der Kunst etwas suche oder untersuche. Die moderne Kunst habe sich in Theorien verloren „und sie veranlasst, das Unsichtbare – und das heißt, das Un- malbare – malen zu wollen.“93Wenn er festhält, der Kubismus habe „sich innerhalb der Grenzen und Begrenzungen der Malerei gehalten und nie behauptet, er wolle darüber hinaus-

gehen,“94so klingt dies nach einem Wissen um die Eingeschränktheit der darstellerischen Mittel der Kunst, worauf auch Döblin verweist. Ferner unterstreicht Picasso den antinaturalis- tischen Charakter seiner Kunst,95erwähnt das Unverständnis, auf das der Kubismus trifft96und unterstreicht schließlich ebenfalls, dass sich die Kunst mit der Wahrnehmung der Men- schen ändert und so auch auf die moderne Zeit zu reagieren hat.97Alles dies sind Punkte, die Döblin mehr oder weniger deutlich auch in Hinsicht auf die futuristischen Bilder anführt, und sie decken sich ebenfalls grundlegend mit dem futuristischen und letztlich auch dem expressi- onistischen Kunstverständnis. 1908 schrieb Guillaume Apollinaire über Georges Braque, des- sen „enge künstlerische[…] Verbundenheit“ mit Picasso „die eigentliche Quelle des Kubis- mus“ wurde:98

[…] aus sich selbst schöpfend ist er zum Schöpfer geworden. Der sichtbaren Umwelt schuldet er nichts mehr. Sein Geist hat eigenwillig das Verdämmern der Wirklichkeit herbeigerufen; so geschieht es, daß sich in ihm und außer ihm eine universale Wiedergeburt bildnerisch gestaltet. […] Dieser Maler ist einem himmlischen Wesen gleich.99

Auch an dieser Stelle zeigt sich wieder die im Expressionismus vorherrschende, auf Nietzsche zurückgehende Idee des Künstlers, der die Metaphysik und den Nihilismus schöpferisch ü- berwindet und so selbst zu einem gleichsam transzendenten Wesen wird. Wie Benn in Bezug auf die Expressionisten betont, geht es auch den Kubisten darum, aus den primitiven Schich- ten des Unbewussten heraus schöpferisch tätig zu werden.

Carl Einstein will in diesem Zusammenhang aufzeigen, wie man durch Zerstörung des rationalen Ich wieder zu den „schöpferischen Sphären“ eines „vorbewußten Identitätszu- stand[s]“ gelangt.100Dies legt er in seinem 1912, also im Jahr derSturm-Ausstellung, erschie- nenen WerkBebuquin oder die Dilettanten des Wundersals eine Art des „Trainings der Ich- zerstörung“ dar.101 Einsteins Theorien werden im Folgenden noch in ihrem Einfluss auf Döb- lins Romanpoetik gesondert hervorgehoben werden. Sein ebenfalls 1912 erschienenerBrief über den Romanlässt sich jedoch bereits an dieser Stelle erwähnen, da er dem fiktiven Ro-

manschreiber, an den sich der Brief richtet, den seine Theorie zusammenfassenden Rat gibt:

„Seien Sie in der Nähe Gottes, d. i. seien Sie ursprünglich von Ihrem Innern aus.“102

II. 1.7 DAS SCHAFFEN EINER NEUEN REALITÄT AUS DER KÜNSTLERFANTASIE

Genau darauf zielt in letzter Konsequenz auch Döblins Kunstverständnis, wie er es inDie Bilder der Futuristenzum Ausdruck bringt. Insbesondere die Forderung nach dem Schaf- fen einer aus der Fantasie des Künstlers gewonnenen neuen Realität sieht Döblin nämlich mit Begeisterung in den Werken der Futuristen verwirklicht:

Mit einem Ruck macht sich der Futurist Platz, stößt den Alb von seiner Brust. Worauf kommt es doch an? Nicht auf die entseelte blöde Szene, das Objekt, sondern auf – mich, auf mich, auf mich und auf nichts weiter. Was sind Wellen, Berge, Gesichter, Farben, Linien gegen mich! Er ist nicht Nachschöpfer, son- dern Neuschöpfer. Die Beseeltheit ist alles.103

Es triumphiert schließlich der schöpferisch gewordene Mensch nicht nur über die Natur, son- dern über die gesamte Wirklichkeit, indem er als Künstler selbst zu einem gottesähnlichen Wesen wird: „Was ist alle Wirklichkeit, zum tausendsten Male, wo es sich um Kunst handelt, um eine andere, freiere, stolzere Realität, um die des triumphierenden Menschen?“ Letztlich bedeutet Kunst in diesem Sinn also die tatsächliche Befreiung des Menschen von einem jen- seitigen Gott, indem er sich seine Realität und auch seine Transzendenz selbst schafft. Folg-

lich ist für Döblin der Futurismus „ein großer Schritt“ und „stellt einen Befreiungsakt dar.“104

Döblin bewundert die drastischen neuen Methoden der Futuristen, mit denen sie sich von überkommenen Kunstvorstellungen lösen und neue Möglichkeiten der Darstellung schaf- fen. Der Schluss liegt nahe, dass Döblins euphorische Begrüßung der futuristischen Malerei in einem nicht geringen Maße auch darin gründet, dass ihm ihre Werke einen Weg aus der eige- nen Problematik, der Unzulänglichkeit der künstlerischen Mittel, aufzeigen. Er sieht in ihnen die Umsetzung ihrer Ansprüche, die sie inDie Futuristische Malerei. Technisches Manifestwie folgt formuliert haben: „Der Aufbau der Bilder ist töricht konventionell: die Maler haben

uns immer Dinge und Personen gezeigt, die vor uns aufgestellt sind. Wir setzen den Beschau- er mitten ins Bild.“105Dementsprechend schreibt auch Döblin: „Der Maler hat nicht die eine Dimension, die Fläche, die er zu zwei, drei umtauschen muß, sondern unendlich viel, sondern genau so viel, als ihm seine Phantasie gewährt.“106

Ähnlich wie Benn in seinem Bekenntnis zum Expressionismus unterstreicht Döblin im 1918 veröffentlichten AufsatzVon der Freiheit eines Dichtermenschendie Gemeinsamkeit der modernen internationalen Kunstbewegungen:

Die Tatsache dieser Bewegung, die man ruhig Expressionismus nennen kann, ist nicht zu bezweifeln. Ein, zwei Jahre vor dem Krieg hatte ich Gelegenheit, französische, russische, italienische Künstler der jetzt dominierenden Generation zu sprechen; zu meinem Erstaunen, dessen Heftigkeit ich mich noch entsinne, äußerten sie, die mit deutschen Verhältnissen gerade so bekannt waren wie ich mit ihren, Wünsche, Urtei- le, Pläne über Kunst und Verwandtes, die verblüffend mit einigen in Deutschland umgehenden überein- stimmten. […] Was voranging, so in der am meisten auffälligen Malerei, in Kubismus, Futurismus, aber noch viel früher, ja vielleicht längst vorher im Impressionismus, jawohl Impressionismus, gehört zu der gleichen Geisteswelle, die durchweg bei ihren Trägern oder Befallenen durch eine zunehmende Steige- rung des Lebensgefühls, ein leidenschaftliches Sichbesinnen sich charakterisiert, durch eine berserkerhaft entschlossene Stellungnahme im Formalen und Inhaltlichen, Drang zu intensiver ungebrochener Äuße- rung.107

Döblins SchriftDie Bilder der Futuristenzeigt den Futurismus als radikale Verwirklichung von zeitgenössischen internationalen Kunstforderungen. Er bewundert an den Futuristen, dass sie sich über gängige Formen der Darstellung hinwegsetzen und dabei, nur der Fantasie ver- pflichtet, die Provokation der in ihrem Kunstverstand beschränkten Spießbürger mit Freuden in Kauf nehmen. Sie überwinden die bisherigen Methoden der Kunst, indem sie neue Techni- ken der Kubisten, wie die Polyperspektive, anwenden und um die Darstellung dynamisierter

Bewegungen erweitern. Döblin wird dieses Stilmittel von der Malerei auf die Literatur über- tragen108und davon nicht zuletzt auch inBerlin Alexanderplatzschließlich umfangreich Gebrauch machen. Da ist es nur folgerichtig, wenn er sich bereits während derSturm- Ausstellung an Marinetti wendet und fordert: „Wenn wir in der Literatur auch so etwas hät- ten!“109

II. 2.F UTURISTISCHE W ORTTECHNIK . O FFENER B RIEF AN F.T. M ARINETTI

Döblin bezieht sich in seinem im März 1913 imSturmveröffentlichten110offenen Brief an Marinetti einerseits auf dessen ersten futuristischen RomanMafarka le futuriste, den er 1910 vorgelegt hatte und der unter dem Einfluss des französischen Symbolismus entstand.111Andererseits verweist er auf „die literarischen Manifeste“112des Futurismus, insbesondere wohl auf dasTechnische Manifest der futuristischen Literatur, das im Oktober 1912 imSturmerschienen ist.113Da Döblin, wie vorangehend erläutert, im Futurismus eine radikale Umset-

zung seines eigenen expressionistischen Kunstverständnisses sieht, fordert er zunächst eine Übertragung der in der futuristischen Malerei angewandten Methoden auf die Literatur. Dem- entsprechend lobt er in seinem zehn Monate nach der SchriftDie Bilder der Futuristenveröf- fentlichten Brief an Marinetti eingangs noch einmal die Eigenschaften, die er an den futuristi- schen Bildern beeindruckt festgestellt hat: „Die Intensität und Ursprünglichkeit, das Kühne und gänzlich Zwanglose schlug bei mir ein.“ Doch Marinettis literarischen Futurismus lehnt er ab, auch wenn er an ihm einige Eigenschaften als positiv hervorhebt, die sich mit seinen eigenen Auffassungen decken:

Es ist uns klar, Marinetti, Ihnen wie mir: wir wollen keine Verschönerung, keinen Schmuck, keinen Stil, nichts Äußerliches, sondern Härte, Kälte und Feuer, Weichheit, Transzendentales und Erschütterndes, ohne Packpapier. Die Emballage gehört den Klassikern. […] Was nicht direkt, nicht unmittelbar, nicht gesättigt von Sachlichkeit ist, lehnen wir gemeinsam ab; das Traditionelle, Epigonäre bleibt der Hilflo- sigkeit reserviert.

Daran schließt er jedoch die Forderung: „Naturalismus, Naturalismus; wir sind noch lange nicht genug Naturalisten.“114

II. 2.1 DER NATURALISMUS-BEGRIFF

Die Verwendung des Begriffes ‚Naturalismus’ an dieser Stelle hat in der literaturwis- senschaftlichen Forschung zu unterschiedlichen Interpretationen geführt. Heidi Thomann Te- warson schreibt darüber 1979: „Die plötzliche positive Verwendung des Naturalismusbegriffs beruht nicht auf Döblins Anerkennung der naturalistischen Theorie.“115Er verwende ihn

„nicht als literaturhistorischen Begriff,“ sondern sehe in ihm eine „periodisch erscheinende Auflehnung gegen eine überholte Kunstform.“116Wie Thomann Tewarson setzt auch Sabina Becker 1995 das Aufgreifen des Begriffes ‚Naturalismus’ im Brief an Marinetti in Bezug zu Döblins bereits ab 1904 entstandenen (jedoch erst 1910 veröffentlichten)117Gespräche mit Kalypso. Becker knüpft darin an Tewarson an, die die antimimetische Komponente des Tex-

tische Biberkopf Döblins Beschreibung nach ein „sachlicher Mensch im ideologischen Sinn“ sei in Ver- bindung damit, dass Döblin an ihm das „Bild eines zukünftigen Faschisten“ zeichne. Ferner ließe seine

„sexuelle Prüderie“ „völkische Züge“ erkennen (THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 104-105). Dies erscheint schon angesichts der von Biberkopf gelebten Promiskuität (u. a. mit derpolnischenLina) absurd. Ferner ist sicher auch die Hervorhebung der Verbindung von ‚völkisch’ mit ‚Prüderie’ als ein zeittypi- sches Kind der siebziger Jahre zu betrachten.

tes betont118und die in der Schrift hergestellte Beziehung zu Homer in ebendiesen Zusam- menhang stellt, indem sie unterstreicht, dass „Homers Werk in die Zeit vor dem aristoteli- schen Kanon“ fällt und so „außerhalb der Periode der Nachahmung steht.“ Daran schließt sie die Feststellung an, dass „Homers Art einer wirklichkeitsnahen, konkreten und umgreifenden Darstellung – ohne Interesse am Innenleben seiner Helden – Döblins Idee einer sachlichen, veräußerlichten Kunst“ entspricht.119Sabina Becker greift diesen Punkt heraus und schreibt hiervon ausgehend: „[…] schon in seinenGesprächen mit Kalypso, die als grundlegend für seine späteren ästhetischen Positionen gelten dürfen, plädiert er für eine sachliche, realitätsbe- zogene Kunst.“ Becker meint hier bereits eine frühe Ausprägung des „in den Jahren nach1910[…] bei Döblin programmatisch“ werdenden Begriffs der Sachlichkeit zu entdecken.120Sie sieht in dem Text den Ausgangspunkt einer „Sachlichkeitsästhetik“, die Döblin unter

„Anlehnung an den historischen Naturalismus und an Arno Holz’ Positionen“ entwickelt.121

Gerade diese frühe Erwähnung des Begriffes der Sachlichkeit als poetische Kategorie hebt Becker schließlich hervor, wenn sie Döblins literaturtheoretische Schriften in einen neusach- lichen Kontext stellt.122Auf den Zusammenhang zwischen Döblin und der literarischen Be- wegung der Neuen Sachlichkeit wird später umfassend eingegangen. An dieser Stelle soll zunächst der Hinweis darauf genügen, dass sich Döblins Auseinandersetzung mit dem Natura-

lismus Holzscher Prägung anregend auf die Entwicklung seiner poetologischen Positionen ausgewirkt hat. Dass Döblin sich im Brief an Marinetti entgegen Tewarsons These nämlich tatsächlich auf den Naturalismus als literarhistorischen Begriff bezieht und ihn sich zumindest teilweise als Vorbild nimmt,123geht aus einer Reihe von Döblins Schriften hervor. Besonders deutlich wird dies in seinemBekenntnis zum Naturalismusvon 1920, in dem er schreibt: „Um es stark, herausfordernd auszudrücken: ich bekenne mich zum Naturalismus. Ich will nicht mich, sondern die Welt erobern. Mich an ihr bereichern […].“124Dies klingt zunächst nach einer Abkehr von der expressionistischen Haltung, die nochDie Bilder der Futuristenträgt,

merous essays in which he deals with this, it becomes clear that Döblin’s Naturalism has some character- istics that distinguish it from the literary movement of the nineteenth century that customarily goes by the name and to which he himself harks back in his theoretical discussions. His writing was in his own eyes ‘naturalistic’ in the sense that it attempted to reproduce ‘reality’ as closely as possible, but it did so in a peculiarly modernist way that in many ways went beyond the naturalism of his forbears.”123

124 DÖBLIN, ALFRED: Bekenntnis zum Naturalismus. In: Ders.: Kleine Schriften I 1902-1921, S. 291-294, hier: S. 293.

wo es heißt: „Worauf kommt es doch an? Nicht auf die entseelte blöde Szene, das Objekt, sondern auf – mich, auf mich, auf mich und auf nichts weiter.“125In Wahrheit ist Döblins Rückgriff auf den Naturalismus jedoch nichts anderes als die konsequente Weiterentwicklung seiner expressionistischen Positionen. Diese These gilt es im Folgenden anhand des Briefes an Marinetti zu belegen.

II. 2.2 DIE KRITIK AN MARINETTI

II. 2.2.1 UNVERÄNDERBARES MATERIAL – DER BEZUG ZU FRITZ MAUTHNER UND ARNO HOLZ Schon der Titel des Briefes an Marinetti,Futuristische Worttechnik,126verweist darauf,

dass Döblins Kritik an Marinetti auch darin besteht, dass dieser sich mit seinen ‚parole in li- bertà’, den imTechnischen Manifest der futuristischen Literaturpropagierten ‚Befreiten Wor- ten’,127um die künstliche Veränderung der falschen semantischen Einheit bemüht: Döblin betrachtet das Wort als unveränderbares Material. Hierin ähneln Döblins Angriffe auf Mari- netti in mancher Hinsicht der Kritik Mauthners an den Naturalisten, die jener wie folgt an-

bringt: „Mit dem Stammeln und Lallen und Klangnachahmen ist nicht viel getan. Klarheit wäre das erste Erfordernis jeder brauchbaren Sprache, der Kellnersprache, der Forscherspra- che und der Poetensprache. Aber mit der Klarheit allein wird ein Wort noch nicht poesiefä- hig.“128Mit den künstlerischen Gestaltungsmitteln, die der Malerei und der Musik zur Verfü- gung stehen, könne die Sprache nicht mithalten.129Die naturalistischen Dichter

borgen bei der Musik und der Malerei in dem falschen Bestreben, mit den unmittelbaren Sinneseindrü- cken zu wetteifern. Sie haben vergessen oder niemals empfunden, daß ihre Kunst eine Wortkunst ist: daß sie mit ihren konventionellen Wortzeichen nur bekannte Vorstellungen erregen können, nur auf diesem Weg ihre Phantasiebilder erzeugen. Der Dichter kann nie etwas anderes tun, als von der Alltagssprache ausgehen.130

Wenn Mauthner die Dichter daran gemahnt, dass ihnen als Kunstmittel nichts anderes als die Alltagssprache zur Verfügung stehen kann, so ist er mit dieser Auffassung von dem kritisier- ten ‚konsequenten Naturalisten’ Arno Holz in Wahrheit nicht so weit entfernt, wie er zu mei- nen scheint. Zwar lehnt er die naturalistischen Sprachexperimente als unnötig ab, da ja

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

125 DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 114.

126 Judith Ryan sieht den Titel des offenen Briefes als Hinweis auf Döblins Kritik an Marinettis „bedeutungs- loser Wortspielerei“: “Marinetti’s novel Mafarka appeared to Döblin as a meaningless juggeling with words, nothing more than a ‘Futuristische Worttechnik’ […].“ RYAN: From Futurism to “Döblinism”, S. 415.

127 MARINETTI, FILIPPO TOMMASO: Technisches Manifest der futuristischen Literatur. In: Asholt/Fähnders: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde, S. 27.

128 MAUTHNER: Kritik der Sprache, S. 95.

129 Döblin reflektiert diesen Gedanken schon sehr früh. Bereits in denGesprächen mit Kalypsobetont er den antimimetischen Charakter der Musik. So spricht der Musiker, Kalypsos Gesprächspartner: „Die Musiker haben sich stolz die Werkzeuge selbst gerichtet, eigenherrlich wandeln die Töne ab. Nun stimmt die Mu- sik mit nichts überein.“ DÖBLIN: Gespräche mit Kalypso, S. 19-20.

130MAUTHNER: Kritik der Sprache, S. 107.

schließlich schon „unsere bestimmtesten Worte […] so schwebend“ in ihrer Ungenauigkeit seien, „daß die Poesie eben durch ihr einziges Kunstmittel von selbst so stimmungsvoll wird, wie die Malerei erst durch Aufwendung von raffinierter Kunst.“131Dabei übersieht er jedoch, dass diese genau dem von ihm formulierten Anspruch entsprechen, eine neue an der Alltags- sprache orientierte Poesiesprache zu schaffen. So schreibt Günther Mahal über die naturalisti- sche Art der Sprachführung: „Sie wirkt leicht manieristisch, entspricht aber nichtsdestoweni- ger dem angestrebt veristischen Abbildungskriterium exakter Beobachtung.“132Der naturalis- tische Versuch, aus dem aufs Genaueste wiedergegebenen Alltagssprechen eine neue Poesie- sprache zu kreieren ist somit eigentlich auch in Mauthners Sinn. Aus einer allgemeinen Er- kenntniskrise heraus erkennen Mauthner und Holz die Sprache als unzulänglich für ihre An- sprüche, Mauthner für die Philosophie, Holz für die Dichtung. Arno Holz stellt in seiner be-

rühmten Formel „Kunst = Natur – x“ die These auf, dass alle Kunst dazu tendiere, wieder Natur zu werden. Inwiefern dieses gelinge, hänge von der gestalterischen Möglichkeit des Künstlers und den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, dem ‚x’ in der Formel ab.133Gene- rell gelte aber, dass die Natur nie endgültig erreicht werden könne, selbst bei dem größten Talent und den besten Instrumenten zur künstlerischen Darstellung, „weil das betreffende Reproduktionsmaterial“, das im Fall der Dichtung also die Sprache ist, „stets unzulänglich war, stets unzulänglich ist und stets unzulänglich bleiben wird.“134Aus dem Anspruch heraus, das ‚x’ möglichst klein zu halten, schaffen die Naturalisten neue Darstellungstechniken, die zum Ziel haben, zu einer naturgetreuen Wiedergabe alltäglichen Sprechens zu gelangen.135Döblin versteht unter ‚Natur’ nicht bloß den Anspruch einer möglichst realistischen Abbil- dung der bewusst wahrgenommenen Welt. Vielmehr geht es ihm darum, die Welt in all ihrem Facettenreichtum, zu dem auch expressionistische Elemente gehören, darzustellen.136Döblins Verweis auf den Naturalismus versteht sich also als eine Orientierung an der Holzschen For- mel, die impliziert, dass zu einer adäquaten Darstellung der Welt ein breiter Blick auf sie ge- hört, der nichts anderem als der Dichterfantasie verpflichtet ist.

weiten die Fühl- und Denkweise; im engsten Andrang an die Natur, an die herumliegende und mit mir wachsenden Realitäten selber wachsen: eine andere Aufgabe weiß ich nicht. Habe ich nie gewußt. Die Kunst hat es nicht mit der Kunst, sondern der Seelen- und Lebensübermittlung zu tun; Leben und Seele, das wußten schon die ältesten Köpfe, ist aber in der Sonne wie in der Stecknadel, im Ruhenden wie Be- wegten.“ DÖBLIN: Bekenntnis zum Naturalismus, S. 294.

[...]


1BENJAMIN, WALTER: Krisis des Romans. Zu Döblins „Berlin Alexanderplatz“. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. III. Hg. von Hella Tiedemann-Bartels. Frankfurt am Main 1972, S. 230-236, hier: S. 231.

2DÖBLIN, ALFRED: Der Bau des epischen Werks. In: Ders.: Aufsätze zur Literatur. Ausgewählte Werke in Einzelbänden. In Verbindung mit den Söhnen des Dichters hg. von Walter Muschg. Olten/Freiburg im Breisgau 1963, S. 215-245, hier: S. 240.

3Der Roman wird in der Forschung unbestritten als der Höhepunkt des Döblinschen Werks gesehen. Vgl. z. B.: MÜLLER-SALGET, KLAUS: Alfred Döblin. Werk und Entwicklung. Bonn 1972, S. 357: „Es gehört zur

Tragik des Dichters Döblin, daß Berlin Alexanderplatz […] bereits den Gipfel seines Schaffens bezeich- net.“

4KLEINSCHMIDT, ERICH: Nachwort. In: Döblin, Alfred: Schriften zur Ästhetik, Poetik und Literatur. Aus- gewählte Werke in Einzelbänden. Begründet von Walter Muschg. In Verbindung mit den Söhnen des

Dichters hg. von Anthony W. Riley. Hg. des Bandes: Erich Kleinschmidt. Olten/Freiburg im Breisgau 1989, S. 740-754, hier: S. 740.

5KLEINSCHMIDT: Nachwort, S. 742.

6DÖBLIN, ALFRED: Gespräche mit Kalypso. Über die Musik. In: Ders.: Schriften zur Ästhetik, Poetik und Literatur, S. 11-112.

7SANDER, GABRIELE: Alfred Döblin. Stuttgart 2001, S. 271.

8KLEINSCHMIDT: Nachwort, S. 743.

9SANDER: Alfred Döblin, S. 271.

10BECKER, SABINA: Alfred Döblin im Kontext der Neuen Sachlichkeit (II). In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik. Bd. 2. 1996, S. 157-181, hier: S. 157-158.

11BECKER: Alfred Döblin im Kontext der Neuen Sachlichkeit (II), S. 158.

12PRANGEL, MATTHIAS: Alfred Döblins Überlegungen zum Roman als Beispiel einer Romanpoetologie des Modernismus. In: Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium Strasbourg 2003. Der Grenzgänger Alfred Döblin, 1940-1957. Biographie und Werk. Hg. von Christine Maillard und Monique Mombert (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Rh. A Kongressberichte, Bd. 75). Bern 2006, S. 11-29, hier: S. 13.

13BENJAMIN: Krisis des Romans, S. 232.

14VIETTA, SILVIO; KEMPER, HANS-GEORG: Expressionismus. Rh.: Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Literaturwissenschaftliche Arbeitsbücher. Hg. von Lothar Köhn und Klaus-Peter Philippi. München 51994.

15PHILIPP, ECKHARD: Dadaismus. Rh.: Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Bd. 4. München 1980.

16HUELSENBECK, RICHARD: Mit Witz, Licht und Grütze. Auf den Spuren des Dadaismus. Hg. von Reinhard Nenzel. Hamburg 1992. Und: HUELSENBECK, RICHARD: En avant Dada. Im Anhang Deutschland muß

untergehen. Hamburg 1984.

17CHIELLINO, CARMINE: Die Futurismusdebatte. Zur Bestimmung des futuristischen Einflusses in Deutsch- land. Frankfurt am Main 1978.

18MAHAL, GÜNTHER: Naturalismus. Rh.: Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Literaturwissenschaftliche Arbeitsbücher. Hg. von Hans-Georg Kemper; Lothar Köhn; Klaus-Peter Philippi. Bd. 1. München 21975.

19MEYER, THEO (HG.): Theorie des Naturalismus. Stuttgart 1973.

20PRÜMM, KARL: Neue Sachlichkeit. Anmerkungen zum Gebrauch des Begriffs in neueren literaturwissen- schaftlichen Publikationen. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie. Bd. 91 (1972), S. 606-616.

21PETERSEN, KLAUS: „Neue Sachlichkeit“: Stilbegriff, Epochenbezeichnung oder Gruppenphänomen? In:

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982). LVI. Band, S. 463-477.

22BECKER, SABINA: Neue Sachlichkeit. Bd. 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920-1933). Köln/Weimar/Wien 2000. Und: BECKER, SABINA: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln/Weimar/Wien 2000.

23BECKER, SABINA: Alfred Döblin im Kontext der Neuen Sachlichkeit (I). In: Jahrbuch zur Literatur der

Weimarer Republik. Band 1. 1995, S. 202-229. Und: BECKER, SABINA: Alfred Döblin im Kontext der Neuen Sachlichkeit (II). In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik. Bd. 2. 1996, S. 157-181.

24BECKER: Neue Sachlichkeit. Bd. 1, S. 56.

25HOOCK, BIRGIT: Modernität als Paradox. Der Begriff der „Moderne“ und seine Anwendung auf das Werk Alfred Döblins (bis 1933). Tübingen 1997.

26THOMANN TEWARSON, HEIDI: Alfred Döblin. Grundlagen seiner Ästhetik und ihre Entwicklung 1900- 1933. Europäische Hochschulschriften, Rh. 1: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 286. Bern 1979.

27THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 52. Die Ausstellung wurde begleitet von einer Schrift, die unter dem TitelManifest der Futuristenin der vorletzten Märzausgabe desSturmerschien. Entgegen der ei- gentlichen Chronologie der futuristischen Manifeste handelte es sich hierbei jedoch um die SchriftDie fu- turistische Malerei. Technisches Manifestund nicht umGründung und Manifest des Futurismus, letzterer Text erschien erst im darauf folgendenSturm. Vgl.: CHIELLINO: Die Futurismusdebatte, S. 19.

28SANDER: Alfred Döblin, S. 274-275.

29THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 52.

30CHIELLINO: Futurismusdebatte, S. 113.

31CHIELLINO: Futurismusdebatte, S. 115.

32BENN, GOTTFRIED: Einleitung. In: Niedermayer, Max; Schlüter, Marguerite (Hg.): Lyrik des expressionis- tischen Jahrzehnts. Von den Wegbereitern bis zum Dada. Eingeleitet von Gottfried Benn. Wiesbaden 1955, S. 5-20, hier: S. 11.

33Vgl.: BEST, OTTO F.: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Theorie des Expressionismus. Stuttgart 21982, S. 5-25,

hier: S. 17: „Es fällt auf, daß die Vertreter der expressionistischen Generation offenbar nur geringe Nei- gung verspürten, sich theoretisch zu äußern. Vergeblich hält man […] nach Poetiken Ausschau, aus denen sich eine ‚Theorie des Expressionismus’ ableiten ließe.“

34BENN: Einleitung, S. 5. Auch der Verleger Max Niedermayer bestätigt im Nachwort die Schwierigkeiten bei der Auswahl der Gedichte und beschreibt es als „so gut wie unmöglich, selbst in einer so harmlos er- scheinenden Frage wie der, was ein expressionistisches Gedicht überhaupt sei, im größeren Kreise der

35BENN: Einleitung, S.10.

36BENN: Einleitung, S.6.

37EDSCHMID, KASIMIR: Lebendiger Expressionismus. Auseinandersetzungen. Gestalten. Erinnerungen. München/Wien/Basel 1961, S. 11.

38BENN, GOTTFRIED: Expressionismus. In: Ders.: Essays. Reden. Vorträge. Rh.: Ders.: Das Hauptwerk. Bd.

2. Hg. von Marguerite Schlüter. Wels 1980, S. 122-138, hier: S. 124.

39Vgl. BENN: Expressionismus, S. 122: „Das Maß an Interesse, das die Führung des neuen Deutschlands der Kunst entgegenbringt, ist außerordentlich. Ihre ersten Geister sind es, die sich darüber unterhalten, ob in der Malerei Barlach und Nolde als deutsche Meister gelten dürfen, ob es in der Dichtung eine heroi- sche Literatur geben kann und muß, die die Spielpläne der Theater überwachen und die Programme der Konzerte bestimmen, die mit einem Wort die Kunst als eine Staatsangelegenheit ersten Ranges der Öf- fentlichkeit fast täglich nahe bringen. Der enorme biologische Instinkt für das rassenhafte Vervollkomm- nen, der über der ganzen Bewegung schwebt, läßt sie in all dem Wirbel von außen- und innerpolitischen, sozialen und pädagogischen Problemen, die sie umdrängen, nie diesen einen Gedanken aus den Augen verlieren: hier ist, fühlt dieser Instinkt, der Schwer- und Hebepunkt der ganzen geschichtlichen Bewegung: die Kunst in Deutschland, Kunst nicht als Leistung, sondern sie als fundamentale Tatsache des metaphy- sischen Seins, das entscheidet die Zukunft, das ist Deutsches Reich, mehr: die weiße Rasse, ihr nordischer Teil […].“

40Vgl. BENN: Expressionismus, S. 125: „Der Faschismus hat übrigens diese Bewegung in sich aufgenom- men, Marinetti ist heute Exzellenz und Präsident der römischen Akademie der Künste. Aufgenommen ist nicht einmal das richtige Wort, der Futurismus hat den Faschismus mitgeschaffen […].“ Ähnlich äußert

er sich 1934 anlässlich des italienischen Staatsbesuches in seinerRede auf Marinetti, der unter Mussolini mittlerweile zum Kultusminister avanciert war. Auch an dieser Stelle rückt er seine Kunstvorstellung und dadurch auch den Expressionismus in die Nähe zum Futurismus und lässt implizit anklingen, dass er auf eine Verbindung der Expressionisten mit den Nationalsozialisten nach dem Vorbild des Verhältnisses der Futuristen zum italienischen Faschismus hofft: „Sie hatten, Herr Marinetti, das ungeheure Glück, […] zu erleben, wie die Gesetze Ihres inneren Gesichts in Ihrem Volk das Ideal der Geschichte wurden. Wir ha- ben von hier aus verfolgt, wie Ihr Futurismus den Faschismus mitschuf […].“ Vgl.: BENN, GOTTFRIED: Rede auf Marinetti. In: Ders.: Essays. Reden. Vorträge. Rh.: Gesammelte Werke in vier Bänden. Hg. von Dieter Wellershoff. Bd. 1. 41977, S. 487-481, hier: S. 480.

41Vgl. BENN: Expressionismus, S. 124: „Zunächst muß man einmal richtig stellen, daß der Expressionismus keine deutsche Frivolität war und auch keine ausländische Machenschaft, sondern ein europäischer Stil.“ Vgl. ebenso: BENN: Expressionismus, S. 125: „Der Futurismus als Stil, auch Kubismus genannt, in Deutschland vorwiegend als Expressionismus bezeichnet […].“

doch eine Beschreibung des Expressionismus und der ihm zugrunde liegenden Auffassung von Kunst, die er im Kern über zwanzig Jahre später in seiner bereits angeführten Einleitung wiederholen wird.

42DÖBLIN, ALFRED: Die Bilder der Futuristen (Mai 1912). In: Ders.: Kleine Schriften I 1902-1921. Hg. von Anthony W. Riley. Olten/Freiburg im Breisgau 1985, S. 112-117, hier: S. 112.

43DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 112.

44DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 113.

45Die Betonung der Opposition zum Bürgertum, in der die Expressionisten standen, kann als eine ihrer

46DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S.113.

47Vgl. Gottfried Benns Stilisierung des Künstlers (und seiner selbst) als Paria. Vgl.: SCHARF, CHRISTIAN: Der Unberührbare: Gottfried Benn – Dichter im 20. Jahrhundert. Bielefeld 2006. Schärf vertritt die These, die Paria-Gestalt sei die zentrale Identitätsfigur Benns.

48DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 112.

49DÖBLIN, ALFRED: Bemerkungen zum Roman. In: Ders.: Aufsätze zur Literatur, S. 19-23, hier: S. 20.

50BENN: Expressionismus, S. 129.

51DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 114.

52BOCCIONI, UMBERTO: Manifest der futuristischen Maler. Unterzeichnet von Umberto Boccioni, Carlo Dalmazzo, Luigi Russolo, Giacomo Balla, Gino Severini. In: Asholt, Wolfgang; Fähnders, Walter: Mani- feste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938). Stuttgart/Weimar 1995, S. 11-13, hier: S. 14.

53BENN: Expressionismus, S. 127.

54BOCCIONI: Futuristische Malerei, S. 124.

55VIETTA,/KEMPER: Expressionismus, S. 21.

56So schreibt Gottfried Benn im Jahr 1950 rückblickend: „Eigentlich hat alles, was meine Generation dis- kutierte, innerlich sich auseinanderdachte, man kann sagen: erlitt, man kann auch sagen: breittrat – alles das hatte sich bereits bei Nietzsche ausgesprochen und erschöpft, definitive Formulierung gefunden, alles Weitere war Exegese.“ Vgl.: BENN, GOTTFRIED: Nietzsche – Nach fünfzig Jahren. In: Ders.: Essays. Re- den. Vorträge. Rh.: Ders.: Das Hauptwerk. Bd. 2. Hg. von Marguerite Schlüter. Wels 1980, S. 305-316, hier: S. 305. Vgl. ebenso: BENN, GOTTFRIED: Doppelleben. In: Ders.: Prosa und Autobiographie in der Fassung der Erstdrucke. Mit einer Einführung hg. von Bruno Hillebrand. Frankfurt am Main 1984, S. 355-480, hier: S. 465.

57VIETTA/KEMPER: Expressionismus, S. 142.

59BOCCIONI: Futuristische Malerei, S. 13.

60BOCCIONI, UMBERTO: Manifest der futuristischen Maler. Unterzeichnet von Umberto Boccioni, Carlo Dalmazzo, Luigi Russolo, Giacomo Balla, Gino Severini. In: Asholt/Fähnders: Manifeste und Proklama- tionen der europäischen Avantgarde, S. 11-13, hier: S. 12.

61BOCCIONI: Futuristische Malerei. S. 14.

62 DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 114.

63NIETZSCHE, FRIEDRICH: Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. In: Ders. Nachgelassene Schriften 1870-1873. Abt. 3; Bd. 2. Hg. von Giorgio Colli und Wolfgang Müller-Lauter. Berlin/New Y- ork 1973, S. 369-384, hier: S. 374-375.

64Vgl.: POLENZ, PETER VON: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. III. 19. und 20. Jahrhundert. Berlin/New York 1999, S. 301.

65Vgl.: POLENZ: Deutsche Sprachgeschichte, Bd. III, S. 301.

66POLENZ: Deutsche Sprachgeschichte, Bd. III, S. 303.

67Vgl.: SANDER: Alfred Döblin, S. 311-312.

68KÜHN, JOACHIM: Gescheiterte Sprachkritik. Fritz Mauthners Leben und Werk. Berlin/New York 1975, S.

200. Mauthners Sprachkritik hat nicht zuletzt auch Hugo von Hofmannsthal beeinflusst, dessen ‚Chan- dos-Brief’ von 1902 für die literarische Moderne epochemachend war. Vgl.: POLENZ: Deutsche Sprachge- schichte, Bd. III, S. 303: „Mauthners antipositivistische Sprachkritik hatte einen teils nachzuweisenden, teils sehr wahrscheinlichen Einfluß auf Hofmannsthal und andere sprachskeptische Schriftsteller.“

69Vgl.: POLENZ: Deutsche Sprachgeschichte, Bd. III, S. 304.

70NIETZSCHE, FRIEDRICH: Götzen-Dämmerung. In: Ders.: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung. Nachge- lassene Schriften (August 1888 – Anfang Januar 1889): Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos- Dithyramben. Nietzsche contra Wagner. Kritische Gesamtausgabe hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 3. Berlin 1969, S. 71.

71NIETZSCHE: Götzen-Dämmerung, S. 71. Das Bewusstsein „sieht überall Thäter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; das glaubt an’s ‚Ich‘, an’s Ich als Sein, an’s Ich als Substanz und projicirt den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge – es schafft erst damit den Begriff ‚Ding‘ […].“

72NIETZSCHE: Götzen-Dämmerung, S. 72.

73Besonders deutlich wird dies in der Ästhetik Benns, über die Gerhard Loose schreibt: „Wenn alles fällt und zerfällt, wenn nichts der Lösung und Auflösung entgeht, widersteht der schöpferische Wille […]. Die

74DÖBLIN, ALFRED: Der Wille zur Macht als Erkenntnis bei Friedrich Nietzsche. In: Ders.: Kleine Schriften I 1902-1921, S. 13-29, hier: S. 26.

75BENN, GOTTFRIED: Dorische Welt. Eine Untersuchung über die Beziehung von Kunst und Macht. In: Ders.: Essays. Reden. Vorträge. Rh.: Ders.: Das Hauptwerk. Bd. 2. Hg. von Marguerite Schlüter. Wels 1980, S. 139-171, hier: S. 169.

76Vgl.: LOOSE: Ästhetik Gottfried Benns, S.9.

77NIETZSCHE, FRIEDRICH: Die Geburt der Tragödie. In: Ders.: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870-1873. Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 1999, S. 9-156, hier: S. 17.

78BENN, GOTTFRIED: Probleme der Lyrik. In: Ders.: Essays. Reden. Vorträge. Rh.: Ders.: Das Hauptwerk. Zweiter Band. Hg. von Marguerite Schlüter. Wels 1980, S. 317-355, hier: S. 323.

79BENN: Einleitung, S. 18. len Dauerschweigen des absoluten Ich der seltenen Berufung durch den schöpferischen Geist entgegense- hen […].80

80BENN: Einleitung, S. 125.

81BENN: Einleitung, S. 130.

82Vgl.: KRUMMEL, RICHARD FRANK: Nietzsche und der deutsche Geist. Unter Mitwirkung von Evelyn S. Krummel. Berlin 1974, S. 103, Fußnote 117.

83FREUD, SIGMUND: Selbstdarstellung: Schriften zur Geschichte der Psychoanalyse. Hg. und eingeleitet von

Ilse Grubrich-Simitis. Frankfurt am Main 1984, S. 87: „Nietzsche, […] dessen Ahnungen und Einsichten sich oft in der erstaunlichsten Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Psychoanalyse decken, habe ich gerade darum lange gemieden; an der Priorität lag mir ja weniger als an der Erhaltung meiner Unbefan- genheit.“

84BENN: Einleitung, S. 16.

85Vgl.: OEHM, HEIDEMARIE: Die Kunsttheorie Carl Einsteins. München 1976, S. 28-29.

87Vgl.: FRY, EDWARD: Der Kubismus. Hg. von Werner Haftmann. Köln 21974, S. 153.

88THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 52.

89Vgl.: KÖPKE, WULF: Zur Ethik der Avantgarde. Die Rezeption von Döblins ersten Romanen. In: Eggert, Hartmut; Prauß, Gabriele (Hg.): Internationales Alfred-Döblin-Kolloquium Berlin 2001. Jahrbuch für In-

ternationale Germanistik. Rh. A. Kongressberichte. Bd. 69. Bern 2003, S.107-122, hier: S. 107.

90FRY: Kubismus, S. 13.

91FRY: Kubismus, S. 14.

92PICASSO, PABLO: Interview mit Marius de Zayas. In: FRY: Kubismus, S. 175-179, hier: S. 176.

93PICASSO: Interview, S. 176.

94PICASSO: Interview, S. 176.

95PICASSO: Interview, S. 176: „Man spricht immer vom Naturalismus als dem Gegensatz zur modernen Malerei. Ich möchte mal wissen, ob irgend jemand schon einmal ein natürliches Kunstwerk gesehen hat. Natur und Kunst sind verschiedene Dinge, können also nicht das gleiche sein. Durch die Kunst drücken wir unsere Vorstellung von dem aus, was Natur nicht ist.“

96PICASSO: Interview, S. 177: „Die Tatsache, daß der Kubismus lange Zeit nicht verstanden wurde und daß es noch heute Menschen gibt, die nichts darin sehen, bedeutet gar nichts. Ich kann nicht Englisch lesen, und für mich besteht ein englisches Buch aus leeren Blättern. Das bedeutet aber nicht, daß die englische Sprache nicht existiert, und warum sollte ich jemand anderes als mir selbst die Schuld geben, wenn ich etwas nicht verstehen kann, wovon ich nichts weiß?“

97PICASSO: Interview, S. 177: „Kunst entwickelte sich nicht aus sich selbst, sondern die Vorstellungen der Menschen ändern sich und mit ihnen ihre Ausdrucksform.“

98FRY: Kubismus, S. 19.

99APOLLINAIRE, GUILLAUME: Georges Braque. In: FRY: Kubismus, S. 56-57, hier: S. 56.

100Vgl.: OEHM, HEIDEMARIE: Die Kunsttheorie Carl Einsteins. München 1976, S. 33.

101OEHM: Kunsttheorie Carl Einsteins, S. 33.

102EINSTEIN, CARL: Brief über den Roman. In: Lämmert, Eberhard; Eggert, Hartmut; Hartmann, Karl-Heinz; Hinzmann, Gerhard; Scheunemann, Dietrich; Wahrenberg, Fritz (Hg.): Romantheorie. Dokumentation ih- rer Geschichte in Deutschland seit 1880. Rh.: Neue wissenschaftliche Bibliothek 80: Literaturwissen- schaft. Köln 1975, S. 105-109, hier: S. 109.

103DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 114.

104DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 116.

105BOCCIONI: Futuristische Malerei, S. 14.

106DÖBLIN: Bilder der Futuristen, S. 116.

107DÖBLIN, ALFRED: Von der Freiheit eines Dichtermenschen. In: Ders.: Aufsätze zur Literatur, S. 23-32, hier: S. 25.

108Vgl.: CHIELLINO: Futurismusdebatte, S. 112.

109DÖBLIN, ALFRED: Futuristische Worttechnik. Offener Brief an F.T. Marinetti. In: Ders.: Aufsätze zur Literatur, S. 9-15, hier: S. 9.

110SANDER: Alfred Döblin, S. 275.

111Vgl.: CHIELLINO: Futurismusdebatte, S. 113.

112CHIELLINO: Futurismusdebatte, S. 113.

114DÖBLIN: Futuristische Worttechnik, S. 9.

115THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 53.

116THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 53. Thomann Tewarsons Negieren des Einflusses des histori- schen Naturalismus auf Döblin erklärt sich aus dem ideologisch gefärbten Verhältnis der Literaturwissen- schaft der siebziger Jahre zur teilweise durch die Auseinandersetzung mit dem Naturalismus inspirierten Bewegung der Neuen Sachlichkeit. So bringt Thomann Tewarson z. B. auch den Umstand, dass der apoli-

118Vgl. z.B.: DÖBLIN: Gespräche mit Kalypso, S. 62: „Ich möchte nicht fragen, wie die Künste zur Nachah- mung und Verdoppelung befähigt sind, sondern wie breit hin sich das Gebiet der Eigenwertigkeit der Kunst erstreckt, und wie viel herrische Fremdlinge aus der Wirklichkeit sich im Kunstwerk einnisten.“

119THOMANN TEWARSON: Alfred Döblin, S. 40.

120BECKER: Alfred Döblin im Kontext der Neuen Sachlichkeit (I), S. 207.

121BECKER: Neue Sachlichkeit. Bd. 1, S. 68.

122Vgl.: BECKER: Neue Sachlichkeit. Bd. 1, S. 72.

123Judith Ryan weist darauf hin, dass sich Döblins von ihm selbst ‚naturalistisch’ genanntes Schreiben je- doch sehr von dem historischen Naturalismus unterscheide. Vgl.: RYAN, JUDITH: From Futurism to “Döblinism”. In: The German Quarterly. Vol. LIV. Nr. 4 (1981), S. 415-427, hier S. 416: “From his nu-

131MAUTHNER: Kritik der Sprache, S. 110.

132MAHAL: Naturalismus, S. 98.

133HOLZ, ARNO: Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze. In: Ders.: Das Buch der Zeit. Dafnis. Kunsttheore- tische Schriften. Reihe: Arno Holz Werke. Band V. Neuwied am Rhein 1962, S. 3-46, hier: S. 14.

134HOLZ: Die Kunst, S. 38.

135Vgl.: MAHAL: Naturalismus, S. 96: „Die mimetische Reproduktion der Alltagssprache, welche die Natu- ralisten als Novum in die deutsche Literatur einführen, stellt einen radikalen Bruch mit der bisherigen Dichtungssprache dar: angestrebt ist eine Form der Redeweise, die sich alles Poetischen, alles Fiktionalen im herkömmlichen Sinn enthält.“

136Z. B. aus DöblinsBekenntnis zum Naturalismuslässt sich lesen, wie er den ‚Natur’-Begriff deutet: „Aus-

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Konzept eines modernen Epos. Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz"
Untertitel
Die Konstitution einer neuen Romanpoetik
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
100
Katalognummer
V119577
ISBN (eBook)
9783640232994
ISBN (Buch)
9783640233212
Dateigröße
1083 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alfred, Döblin, Berlin, Alexanderplatz
Arbeit zitieren
Magister Artium Julian Philipp Schlüter (Autor:in), 2008, Konzept eines modernen Epos. Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119577

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