Der Zusammenhang von Resilienz und betrieblichem Gesundheitsmanagement


Masterarbeit, 2022

141 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Zusammenhang von neuronaler Plastizität und Resilienz
2.1 Definition der Salutogenese nach Aaron Antonovsky
2.2 Definition Neuronale Plastizität
2.3 Definition Resilienz
2.4 Erkenntnisse aus den Definitionen

3. Resilienzstudien
3.1 Kauai-Längenschnittstudie
3.2 Mannheimer Risikokinderstudie
3.3 Bielefelder Invulnerabilitätsstudie
3.4 Erkenntnisse aus den Studien

4. Betriebliches Gesundheitsmanagement
4.1 Definition von Gesundheit
4.2 Rechtliche Grundlagen für Prävention und Gesundheitsförderung
4.3 Gründe für ein betriebliches Gesundheitsmanagement
4.4 Strategische Einbettung des betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen
4.4.1 Gesundheitsförderliche Angebote durch den Arbeitgeber
4.4.2 Betriebliches Eingliederungsmanagement
4.4.3 Work-Life-Balance
4.4.4 Personalpflege

5. Zwischenfazit – zur Entwicklung der leitenden Fragestellung

6. Einführung in die leitfadengestützten Interviews
6.1 Welche Vorbereitungen müssen für ein leitfadengestütztes Interview getroffen werden?
6.2 Die Entwicklung von Items
6.2.1 Die Formulierung des Frage-Aussage-Teils von Items
6.2.2 Die Skalierung der Items
6.2.3 Die Fragebogenentwicklung
6.2.4 Die Endfassung des Fragebogens und Auswertung
6.2.5 Die Qualität der Endfassung des Fragebogens

7. Vorbereitung des Fragebogens
7.1 Beschreibung der Probanden und Ziel der Befragung
7.2 Aufbau des Fragebogens
7.3 Qualitative Inhaltsanalyse im Rahmen der Auswertung der Fragebögen nach Mayring
7.3.1 Die Techniken qualitativer Inhaltsanalyse
7.3.2 Die Grundformen des Interpretierens und die Interpretationsregeln
7.3.3 Induktive und deduktive Kategorienbildung
7.3.4 Leistungen und Grenzen qualitativer Inhaltsanalyse
7.4 Erkenntnisse der Befragung

8. Mitarbeitende in partizipativen Prozessen der Veränderung
8.1 Change-Management
8.1.1 Definition ‚Change-Management‘
8.1.2 Ebenen der Veränderungen
8.2 Mitarbeitende in Veränderungsprozessen
8.2.1 Die sieben Typen der Mitarbeitenden in Veränderungsprozessen
8.2.2 Die Bedeutung von Veränderungen und die Phasenmodelle
8.2.3 Umgang mit Widerstand
8.3 Partizipation der Mitarbeitenden in Veränderungsprozessen
8.4 Voraussetzungen für partizipatives Handeln
8.5 Formen der Partizipation
8.6 Risiken partizipativen Handelns

9. Fazit
9.1 Zusammenfassung
9.2 Ausblick

10. Literaturverzeichnis

11. Anhang: Fragebögen
11.1 Gespräch mit Heike Wiechers, pädagogische Geschäftsführung des SKF e.V. Herford am 28.10.2021
11.2 Ausgefüllter Fragebogen von Frau Schweppe, Koordinatorin der Flex Jugendhilfe, Stand 12.11.2021
11.3 Gespräch mit Herrn Boving, Einrichtungsleitung des Schloss Varenholz des Blauschek Instituts am 11.11.2021
11.4 Gespräch mit Frau Schmitt-Vogt, Geschäftsführerin der Wohngemeinschaften e.V. am 19.11.2021
11.5 Gespräch mit Herrn Närdemann, Bereichsleitung der Jugendhilfe der Stiftung Bethel am 26.11.2021
11.6 Gespräch mit Frau Cassing, Geschäftsführung der Jugendhilfe Schweicheln e.V. am 03.12.2021

12. Anhang: Abbildungen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklung der zusammengefassten Geburtenziffer 1990 bis 2015

Abbildung 2: Modell eines integrierten betrieblichen Gesundheitsmanagements

Abbildung 3: Vorschläge zur Verbesserung am Arbeitsplatz

Abbildung 4: Das Polaritätsprofil

Abbildung 5: Das Vier-Phasen-Modell nach Roy B. Lacoursiere (1980)

Abbildung 6: Das 7-Phasen-Modell nach Streich (1997)

Abbildung 7: Deitmar Vahs (2009) Verteilung von Mitarbeitenden in Veränderungsprozessen

1. Einleitung

Im Durchschnitt sind Arbeitnehmende in Deutschland 26,3 Tage im Jahr krank (AOK- Fehlzeiten Report, 2018). Bei Beschäftigen in der Hochschullehre und Forschung sind es 4,6 Tage, in der Ver- und Entsorgung hingehen 32,5 Tage (ebenda). Bei pädagogischen Fachkräften lag der Wert 2018 im Schnitt bei 26,3 Tagen (ebenda). Doch gerade ein konstant hoher Krankenstand verschärft eine ohnehin schon als hoch eingeschätzte Arbeitsbelastung im pädagogischen Bereich. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen stellen nur einige der Beschwerden dar, die krankheitsbedingt die individuelle Leistungsfähigkeit von Mitarbeiter*innen in sozialen Berufen einschränken (vgl. GEW). Das bedeutet, dass die Leitungskräfte pädagogischer Einrichtungen, die mit der Personaleinsatzplanung betraut sind, vor besondere Aufgaben gestellt werden.

Durch neue Technologien, die Globalisierung, den Klimawandel, vermehrte Finanz- und Wirtschaftskrisen (Feßler & Guldenschuh-Feßler, 2013, S. 8) und nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie hat sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Auslöser für Stress am Arbeitsplatz sind unter anderem unsichere Arbeitsverhältnisse, hoher Termin- und Leistungsdruck, konstantes Ausüben von Überstunden, lange Arbeitszeiten und die Inkompatibilität von Beruf und Familie. Auch mangelnde Wertschätzung von Vorgesetzten, Mobbing am Arbeitsplatz oder ein schlechtes Betriebsklima führen zu Stress und psychischen Belastungen. Einer Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (Stand 15.11.2021) zufolge ist Stress das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem, obwohl jeder Mensch für sich selbst Gegenmaßnahmen ergreifen könnte. Laut diesen Daten sind bis zu 50 % aller Fehlzeiten am Arbeitsplatz auf stressbedingte Ursachen zurückzuführen. Im Jahr 2002 resultierten daraus für die Wirtschaft Kosten in Höhe von 15 bis 20 Milliarden Euro. Die Tendenz ist steigend (Neumann et al., 2010, S. 35-36). Welche Schäden dadurch den einzelnen Unternehmen entstanden sind, ist unklar und wäre noch zu beziffern. Vor allem dieser Aspekt gibt Anlass, sich in der vorliegenden Masterthesis intensiver mit der Thematik des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) zu befassen.

Ziel der Masterthesis ist es, einen umfassenden, praxisbezogenen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Resilienzförderung in Bezug auf das BGM für die Mitarbeitenden eines Unternehmens zu erstellen.

Der Fokus der Arbeit liegt auf der psychischen und körperlichen Belastung, die aus einer anhaltenden Gesundheitsbelastung im Arbeitsumfeld der sozialwirtschaftlichen Unternehmen entstehen kann. Sozialwirtschaftliche Unternehmen stehen immer wieder im Zusammenhang mit herausfordernden Situationen bis hin zu diversen Krisen, die sowohl intern als auch extern bedingt sein können. Intern kann beispielsweise eine hohe Personalfluktuation oder Personalmangel durch Ausfall (Krankheit, Beschäftigungsverbot, Elternzeit etc.) bedingt sein. Darüber hinaus können ungenügende Strukturen oder fehlende Konzeptionen interne herausfordernde Situationen oder Krisen schaffen. Externe Krisen sind aus Sicht der sozialwirtschaftlichen Unternehmen oftmals durch äußere Umstände oder defizitäre Umstände innerhalb des Familiensystems begründet und können sowohl in der ambulanten als auch stationären Hilfe zur Erziehung im schlimmsten Fall zu Inobhutnahmen von Kindern durch das Jugendamt führen. In vielen Jugendämtern ist der Allgemeine Soziale Dienst beispielsweise gleichzeitig der Krisendienst und die auftraggebende Institution für ambulante und stationäre Hilfen zur Erziehung. Die stationäre Jugendhilfe umfasst einen Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe nach Sozialgesetzbuch (SGB) VIII, in dem Kinder und/oder Familien in den Räumlichkeiten eines sozialen Trägers entweder einen Teil des Tages (teilstationär) oder ganztägig (vollstationär) pädagogische Begleitung erhalten. Dies trifft ebenfalls auf Teile des betreuten Wohnens für junge und alte Menschen zu. Dies bedeutet, dass allein durch diese zeitliche Rahmenbedingung von einer erhöhten Arbeitsbelastung auszugehen ist, da vor allem in diesen Bereichen fast ausschließlich in Schichtdienst gearbeitet wird. Klassische Arbeitszeiten gibt es nicht, da auch Wochenenden und Feiertage durch Fachkräfte abgedeckt werden müssen, was mitunter zu einer stärkeren Einschränkung des Privatlebens führen kann und somit eine erhöhte Belastung darstellen kann. In Bereichen der Altenpflege oder Krankenhauspflege sind Mitarbeitende stets mit Todesfällen konfrontiert, womit ebenfalls eine erhöhte psychische Belastung einhergehen kann. Lehrkräfte an Schulen werden immer häufiger in familiäre Krisen wie häusliche Gewalt involviert, indem Schüler*innen sie darüber informieren. Dennoch fehlt den Lehrkräften häufig die Ausbildung, adäquat auf derart Mitteilungen zu reagieren. Dies sind nur Beispiele aus verschiedenen Berufsgruppen, die Belastung hervorrufen können. Der anhaltende Fachkräftemangel hat an dieser Stelle noch keine Berücksichtigung gefunden.

In dieser Arbeit werden Aspekte systematischen BGM aufgezeigt und weiterentwickelt, um den Rahmen der Resilienzförderung zu erweitern, die Unternehmen leisten können, um eben diese Belastungen zu reduzieren, und die sich sowohl für Unternehmen als auch Arbeitnehmende positiv nutzen lassen kann. In der älteren Literatur hat dies wenig Berücksichtigung gefunden, jedoch innerhalb der letzten fünfzehn Jahre wurden die positiven Effekte des BGM verstärkt beachtet und haben an Bedeutung gewonnen.

Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Zu Beginn wird sich mit dem Begriff der Salutogenese nach Antonovsky, der neuronalen Plastizität und dem Begriff der Resilienz auseinandergesetzt. Dies erfolgt in Vorbereitung auf die Beschäftigung mit den drei bekanntesten Theorien der Resilienz. Aus aktuellem Stand lässt sich der Zusammenhang der Salutogenese, der neuronalen Plastizität und der Resilienz eines Menschen daher ableiten, dass die neuronale Plastizität wissenschaftlich bestätigt, dass das Gehirn bis zum Zeitpunkt des Todes in der Lage ist, Neues zu erlernen. Somit ist im Prinzip jeder Mensch in der Lage, selbst im fortgeschrittenen Alter noch Resilienz zu erlernen. Die Salutogenese setzt sich ergänzend dazu mit der Erhaltung der Gesundheit auseinander. Anschließend wird auf die drei größten Theorien der Resilienz und auf die Thematik des BGM eingegangen. Aus diesen theoretischen Erkenntnissen wird im Zwischenfazit eine leitende Fragestellung gebildet, um diese anschließend im praktischen Teil behandeln zu können. In diesem Prozess wurde sich für eine qualitative Inhaltsanalyse entschieden, da eine quantitative Datenerhebung zur Beantwortung der leitenden Fragestellung nicht ausreichend ist. Aufgrund dessen wird sich im Rahmen dieser Arbeit zusätzlich mit der Thematik der leitfadengestützten Interviews nach Kallus und der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring befasst. Anschließend folgt die Auswertung der Fragebögen, worauf der Punkt der Mitarbeitenden in partizipativen Prozessen der Veränderung folgt. Veränderungsprozesse sind notwendig, um eine Resilienzförderung in Unternehmen zu ermöglichen, da Veränderungen stets auf Widerstände stoßen können.

Im Fazit wird aufgezeigt, was Unternehmen leisten könnten und müssten, um die Mitarbeiterstabilität zu fördern und die Fluktuation zu verringern. Zudem wird ein alternativer Ausblick gegeben.

2. Der Zusammenhang von neuronaler Plastizität und Resilienz

Zunächst sollen drei Prozesse dargestellt werden, die nach Auffassung der Autorin die Förderung der Resilienz begünstigen können. Diese sind die Basis, um zu belegen, warum Resilienz auch im Erwachsenenalter noch der Förderung bedarf beziehungsweise warum der Prozess der Resilienzentwicklung ein Leben lang von Bedeutung ist.

2.1 Definition der Salutogenese nach Aaron Antonovsky

Im Jahr 1970 begann Aaron Antonovsky, das sogenannte salutogenesische Modell zu entwickeln. Dazu setzte er einen pathogenen Zustand der Individuen voraus, der als die Entstehung und Entwicklung einer Krankheit bekannt ist (Antonovsky, 1997, S. 15). Ausschlaggebend für diese Untersuchung war eine quantitative Befragung überlebender Frauen eines Konzentrationslagers. Auffallend war für Antonovsky, dass 29 % der befragten Frauen über einen positiven emotionalen Gesundheitszustand berichteten (Antonovsyky, 1997, S. 15). Daraufhin beschrieb er in seinem Buch den pathogenen Zustand und die salutogenetische Orientierung wie folgt:

Eine pathologische Orientierung versucht zu erklären, warum Menschen krank werden, warum sie unter eine gegebene Krankheitskategorie fallen. Eine salutogenetische Orientierung, die sich auf die Ursprünge der Gesundheit konzentrieren, stellt eine radikal andere Frage: Warum befinden Menschen auf der positiven Seite des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums oder warum bewegen sie sich auf den positiven Pol zu, unabhängig von ihrer aktuellen Position?“ (Antonovsky, 1997, S. 15)

Antonovsky untersuchte das salutogenetische Modell daraufhin anhand der sechs Fragestellungen (Antonovsky, 1997, S. 21 ff.):

- Kontinuum oder Dichotomie? (S. 22)
- Geschichte oder Krankheit? (S. 23)
- Gesundheitsfaktoren und Risikofaktoren? (S. 24)
- Der Stressor: pathogenetisch, neutral oder salutogenetisch? (S. 26)
- Adaption oder Wunderwaffe? (S. 27)
- Der ‚abweichende Fall‘ oder Bestätigung der Hypothese? (S. 28)

Anschließend konnte Antonovsky anhand deiner Untersuchungen feststellen, dass die Pathogenese und die Salutogenese sich stets in einer überaus komplexen Beziehung zueinander befinden. Unter der salutogenetischen Orientierung beschreibt er einen Zustand, der in seinem Fundament ein bestimmtes Handeln abverlangt sowie eine schnelle bis hin zu einer sprunghaften Änderung des Verhaltens, des Handelns oder der Struktur in beispielsweise akuten Belastungssituationen erfordert. Dies führt seiner Forschung nach dazu, dass eine zweigliedrige Einteilung der Menschen als gesund oder krank verworfen wird. Ein multidimensionales Gesundheits-Krankheits-Kontinuum entsteht, das Gesundheit und Krankheit stets in Wechselwirkung zueinander setzt (Antonovsky, 1997, S. 29). Daraus folgt, dass weniger auf den ursächlichen Zusammenhang einer Krankheit geachtet wird und nicht mehr der Mensch mit seiner individuellen Geschichte und Krankengeschichte untersucht wird. Es soll sich demnach weniger auf die Stressoren konzentriert werden, sondern vielmehr soll untersucht werden, welche Faktoren daran beteiligt sind, dass sich eine Person an diesem Punkt des Krankheits-Gesundheits-Kontinuums befindet. Im Fokus steht, wie dieser Zustand zumindest beibehalten werden kann, damit er sich nicht verschlechtert, oder welche Faktoren behilflich sein können, um den Zustand wieder in Richtung des gesunden Poles zu bewegen. Stressoren sind nach Antonovsky stetiger Teil des menschlichen Lebens, jedoch nicht zwangsweise als ausschließlich negativ zu bewerten. Dies hat seiner Auffassung nach zur Folge, dass Stressoren nicht dauerhaft reduziert werden müssen. Diese Einschätzung hängt jedoch von der Charakteristik des Stressors ab und wie dieser zur Auflösung von Anspannungen beitragen kann (Antonovsky, 1997, S. 30). Daraus folgt, dass nicht die negative Entropie (Ungleichheiten, Unordnung) gesucht werden muss. Vielmehr muss analysiert werden, wie sich dies positiv auf die Strukturen und Umgebung des Menschen auswirken kann.

Abschließend verweist Antonovsky dennoch darauf, dass diese Ergebnisse subjektiv sind und er damit lediglich Denkanstöße geben wolle. Er sagt ausdrücklich, dass das (Zitate werden im Verlauf der Arbeit durch die Verfasserin zur besseren Lesbarkeit in Kursiv gesetzt) „ salutogenetische Modell nicht lediglich die andere Seite der Medaille ist…“ (Antonovsky, 1997, S. 30) und dass in Bezug auf einige Krankheiten durchaus weiterhin eine Ursachenforschung stattfinden sollte und die pathogenen Konsequenzen von Stressoren berücksichtigt werden sollten. Zusammenfassend kommt Antonovsky zu der Auffassung, dass: die der Salutogenese zugrunde liegende Prämisse […] in der Tat pessimistisch [ist], doch paradoxerweise ist die Perspektive, die sie eröffnet, zwar ohne Illusion, aber alles andere als düster. (Antonovsky, 1997, S. 31)

2.2 Definition Neuronale Plastizität

Neuronale Plastizität wird umgangssprachlich auch als das formbare Gehirn bezeichnet (Max-Planck-Gesellschaft, 2010, S. 90 f.). Der Begriff der neuronalen Plastizität kommt laut Forschern der Max-Planck-Gesellschaft daher, dass durch Magnetresonanztomografie (MRT), festgestellt werden kann, wie sich das Gehirn durch verschiedene Reize oder Impulse in seiner Arbeit verändern kann.

Durch das MRT kann das Gehirn untersucht werden, ohne dass der Kopf operativ geöffnet werden muss. Mithilfe des funktionelle MRT können inzwischen sogar Schwankungen der Durchflussmenge im Gehirn oder im Sauerstoffgehalt des Blutes gemessen werden. Es dient vor allem dazu, zu erfassen, wie die Gehirnaktivität infolge einer Verletzung beeinträchtigt werden kann.

Die Max-Planck-Gesellschaft bezieht sich auf eine Studie, in der Londoner Taxifahrer untersucht wurden. Dabei war auffällig, dass die Hirnareale, die für das räumliche Denken zuständig sind, vergrößert waren. Bei Menschen, die jonglieren lernten, veränderten sich laut MRT die Areale, die für die Bewegung zuständig sind. Dies sind unter anderem Hinweise darauf, dass selbst im Gehirn von Erwachsenen noch neue Nervenzellen entstehen können.

Nervenzellen jedoch benötigen für eine Aktivität im Gehirn nur Millisekunden, während das funktionale MRT für eine Momentaufnahme mehrere Sekunden braucht. Aufgrund dessen können Forscher bezüglich der Hirnentwicklung und Bewegung in den Hirnarealen bislang nur Mutmaßungen beschreiben. Die Forschung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht weit genug entwickelt, um belegbare Beobachtungen zu tätigen. Hilfreich bei der Forschung ist die Elektroenzephalographie (EEG), die deutlich schneller ist und mit dem funktionellen MRT kombiniert werden kann. Dennoch ist es auch bei dieser Kombination ausschließlich möglich, einzelne Hirnregionen zu beobachten. Hirnareale arbeiten jedoch nicht isoliert, sondern stets als Netzwerk, das inzwischen ebenfalls durch das Diffusion Tensor Imaging (DTI) untersuchbar ist, das eine weitere Form des MRT ist. Das DTI kann Verbindungsstrukturen im Gehirn erfassen, dennoch ist auch in diesem Verfahren der zeitliche Faktor von Bedeutung, da die Aufzeichnungen wie die anderen noch immer zu langsam sind.

Zur Forschung der neuronalen Plastizität hat die Max-Planck-Gesellschaft unter anderem Versuchstiere diagnostiziert. Grund für die Arbeit mit Versuchstieren und nicht mit dem Menschen war, dass die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft die verschiedenen Moleküle untersuchen wollten, die die neuronale Plastizität beeinflussen. Dies gelingt durch die Positronenemissionstomographie (PET), wozu jedoch radioaktive Substanzen notwendig sind, die sich an die entsprechenden Moleküle (beispielsweise an den Rezeptoren) anheften können. Diese Methode wird jedoch als für Menschen zu risikoreich eingeschätzt. Durch die Kombination des PET und MRT war es den Forschern möglich, sowohl die Durchblutung des Gehirns als auch die molekularen Vorgänge gleichzeitig zu untersuchen.

Infolge des medizinischen Fortschritts ist es inzwischen möglich, das Erbgut der verschiedenen Organismen zu entschlüsseln und mithilfe der genannten Verfahren (MRT, funktionales MRT, EEG, DTI und PET) sowie Verhaltenstests eine Prognose zu stellen, inwieweit die neuronale Plastizität im Erbgut verankert ist.

Die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft schließen mit der Aussage:

„Ein besseres Verständnis der elektrischen Rhythmen im Gehirn dürfte es erlauben, mit Hilfe elektrischer und magnetischer Stimulationen die Aktivitätsmuster in verschiedenen Hirnregionen gezielt zu manipulieren. Dies würde beispielsweise die Lernfähigkeit erhöhen, aber auch Hirnschäden besser heilen lassen.“ (Forschungsperspektive der Max-Planck-Gesellschaft, 2010, S. 91).

2.3 Definition Resilienz

Der Begriff der ‚Resilienz‘ fand Einzug in das Fachgebiet der Psychologie und Pädagogik unter anderem von der Entwicklungspsychologin Emmy Werner im Rahmen der Kauai-Studie 1955, die später im Kapitel „Resilienzstudien“ näher beschrieben wird.

Die Bezeichnung Resilienz leitet sich vom lateinischen Infinitiv resilire ab, dies bedeutet abprallen‘ oder zurückspringen‘. Unter Verwendung der englischsprachigen Ableitung des Wortes resilience meint Resilienz die Belastbarkeit, Widerstandsfähigkeit bzw. Spannkraft (Wustmann Seiler, 2012, S. 18).

In der Literatur zu diesem Thema lässt sich eine Vielzahl von Definitionen finden, wobei es keine einheitliche Verwendung bzw. Begriffsklärung gibt. Eine anerkannte Definition stammt von der Diplom-Pädagogin Corina Wustmann, die Resilienz als „ psychische Widerstandsfähigkeit gegen Risikofaktoren, die auf den Menschen einwirken, welche biologische, psychologische und psychosoziale Risiken darstellen können und sich potentiell negativ auf die Entwicklung auswirken können “ (Wustmann Seiler, 2012, S. 18) definiert. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Definitionen, wobei sich im Folgenden auf die von Wustmann bezogen wird.

Gemein ist allen Definitionen, dass es sich bei Resilienz nicht um ein starres Konstrukt, sondern um eine variable Größe handelt. Resilienz ist nicht sichtbar oder erkennbar und zudem keine feste Persönlichkeitseigenschaft. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Kompetenz und positive Anpassung, die sich auszeichnet durch eine erfolgreiche Bewältigung kritischer Lebensereignisse, akuter Entwicklungsrisiken oder traumatischer Erlebnisse. Eine positive Entwicklung hingegen ist nicht ausreichend, um als resilient bezeichnet werden zu können (Fröhlich-Gildoff & Rönnau-Böse, 2014, S. 10 f.). Vielmehr ist der Begriff der Resilienz an zwei erforderliche Bedingungen geknüpft:

(1) „eine signifikante Bedrohung für die Entwicklung und
(2) eine erfolgreiche Bewältigung dieser belastenden Lebensumstände“ (Wustmann Seiler, 2012, S. 18).

Resilienz als effektiver, dynamischer Anpassungs- und Bewältigungsprozess kritischer Lebensereignisse stellt eine temporäre Eigenschaft dar, die sich im Verlauf der Entwicklung verändern kann und die nicht auf alle Situationen übertragbar ist. Zwar werden durch die erfolgreiche Bewältigung günstige Voraussetzungen geschaffen, jedoch stellt dies keine Garantie dar, auch spätere beeinträchtigende Umstände erfolgreich zu bewältigen. Kinder können somit über eine gewisse Zeitspanne ihres Lebens resilient sein, jedoch zu späteren Zeitpunkten in ihrem Lebenslauf in Verbindung mit Risikofaktoren anfälliger erscheinen (Witteck, 2014, S. 8 ff.).

Resilienz wird in der Literatur häufig auch als positives Gegenstück zur Vulnerabilität verstanden. Letztere bezeichnet dabei „die Verletzlichkeit bzw. Verwundbarkeit eines Menschen gegenüber äußeren (ungünstigen) Einflussfaktoren – also eine erhöhte Bereitschaft, psychische Erkrankungen zu entwickeln“. (Wustmann Seiler, 2012, S. 22, siehe hierzu die Ausführungen in Groeneveld, 2019)

2.4 Erkenntnisse aus den Definitionen

Werden die Definitionen der Salutogenese nach Antonovsky, der neuronalen Plastizität und die der Resilienz übereinandergelegt, geht daraus hervor, dass ihre Gemeinsamkeit die Lernfähigkeit des Gehirns ist. Die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft formulieren in ihrem abschließenden Satz, dass das Hirn manipulierbar sein könnte, was sich mit der Definition der Salutogenese deckt, da auch diese davon ausgeht, dass Stressoren die Gesundheit des Menschen positiv oder negativ beeinträchtigen können. Die Begrifflichkeit der Manipulation ist bei erster Betrachtung meist negativ konnotiert. Wird dieser Aspekt jedoch auf die Definition der Resilienz übertragen, ist davon auszugehen, dass Menschen, selbst im fortgeschrittenen Alter, dazu in der Lage sein müssten, eine psychische Widerstandsfähigkeit nicht nur in Ansätzen zu entwickeln, sondern dass das menschliche Gehirn im vollen Umfang dazu fähig sein müsste, eine psychische Widerstandsfähigkeit zu erlernen. Dies kann wiederum durch die quantitative Forschung von Antonovsky bestätigt werden, da 29 % der befragten Frauen, die sich in einem Konzentrationslager aufhielten, über einen guten psychischen Gesundheitszustand verfügten, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass diese dort Traumatisches erleben mussten.

3. Resilienzstudien

Um in dieser Arbeit begrifflich präzise zu formulieren, wird im Folgenden auf die Definition von Wustmann Bezug genommen, da diese im Fortgang der weiteren Arbeit besonders konkret ist. Laut ihr bedeutet Resilienz, dass Kinder und Jugendliche über eine Fähigkeit der inneren Widerstandskraft gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken verfügen. Ihnen muss somit ermöglicht werden, sich nicht von widrigen Lebensumständen negativ beeinflussen zu lassen. Die Kinder sollten fähig sein, in verschiedenen Situationen individuell für sie hilfreiche Ressourcen und ihnen von der Umwelt vermittelte Kompetenzen ins Bewusstsein zu rufen und adäquat anzuwenden. Dementsprechend ist die Möglichkeit gegeben, sich trotz belastender und risikoerhöhter Bedingungen zu kompetenten und selbstbewussten Individuen zu entwickeln.

Wustmann weist darauf hin, dass die in den nächsten Unterkapiteln beschriebenen Studien von den insgesamt 19 Längenschnittstudien in der Resilienzforschung als elementare Untersuchungen hervorgehoben werden können. Das Ziel der jeweiligen Untersuchungen besteht darin, das Hauptaugenmerk auf mehrere Risikobelastungen zu richten und „[…] kindliche Entwicklungsverläufe zu erfassen und die interindividuellen Unterschiede, die zu den differentiellen Entwicklungsverläufen von Risikokindern führen, zu ergründen“ (Wustmann Seiler, 2012, S. 86; siehe hierzu die Ausführungen in Groeneveld, 2019).

3.1 Kauai-Längenschnittstudie

Pionierarbeit im Bereich der Resilienzforschung leistete die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner mit ihrer Kauai-Studie (gemeinsam mit Ruth Smith).

Auf der hawaiianischen Insel Kauai befassten sich die Entwicklungspsychologin und ein Forscherteam erstmals mit der Wechselwirkung zwischen Risiko- und Schutzfaktoren. Hierbei richtete sich das Hauptaugenmerk sowohl auf den Einfluss verschiedenster Risikofaktoren als auch auf hilfreiche Schutzfaktoren bezogen auf die menschliche Entwicklung. Bei dieser Studie wurden knapp 700 auf der Insel geborene und lebende Menschen des Jahrgangs 1955 über einen Zeitraum von 40 Jahren von den Wissenschaftler*innen begleitet. Signifikant für diese Studie ist, dass diese bereits in der pränatalen Phase begonnen wurde. Ein Drittel der Hawaiianer * innen wurde als Risikokinder bezeichnet, da diese bereits in frühen Jahren unter anderem Armut, kontinuierlichen Konfliktsituationen und Alkoholabhängigkeit bei einem oder beiden Elternteilen ausgesetzt waren. Damals hätten Forscher bei derartigen Risikofaktoren Leistungsminderungen oder erhebliche Beeinträchtigungen in der Entwicklung erwartet. Das traf bei zwei Dritteln dieser Risikokinder zu. So zeigten sich bei ihnen ausgeprägte Defizite in der Entwicklung wie Verhaltensauffälligkeiten oder kognitive Einschränkungen und in späteren Jahren unter anderem ein übermäßiger Drogenkonsum oder delinquentes Verhalten. Allerdings verfügte dennoch ein Teil der auf der Insel lebenden Risikokinder offenbar über verschiedene Bewältigungsstrategien, die es ihnen ermöglichten, sich trotz vorhandener Belastungen und Risiken zu gesunden und kompetenten Erwachsenen zu entwickeln. In dieser Studie wurden mehrere Schutzfaktoren, die dies begünstigen, herauskristallisiert; zum Beispiel die Fähigkeit, Probleme frühzeitig zu erkennen und angemessen zu lösen, und das Vorhandensein eines positiv gestärkten Selbstwertgefühls (Klein, 2012, S. 20 f.).

3.2 Mannheimer Risikokinderstudie

Bei dieser Längenschnittstudie, die von Laucht und wissenschaftlichen Mitarbeitern entwickelt wurde, untersuchten sie 362 Kinder und Jugendliche der Jahrgänge 1986 bis 1988. Bei den Untersuchungen wurden die Kinder von der Geburt an bis in das jugendliche Alter beobachtet. In diesem langen Zeitraum wurden die jungen Menschen begleitet und hauptsächlich nach Schutzfaktoren geforscht, die die Entwicklungslaufbahn von Kindern und Jugendlichen optimal begünstigen. Den Forschenden war bewusst, dass die Kinder und Jugendlichen erhöhten Risikofaktoren ausgesetzt waren. Bei dieser Studie wurden Neugeborene bereits anhand des Vorhandenseins und der Schwere einer organischen und psychosozialen Beeinträchtigung kategorisiert. Wie in der vorherigen Längenschnittstudie zählten zu den risikoerhöhenden Faktoren unter anderem Geburtskomplikationen, Erkrankungen des Neugeborenen und unvorteilhafte Lebensumstände in der Familie wie Armut oder erhöhter Alkoholkonsum eines oder beider Elternteile. In dieser Studie wird verdeutlicht, dass Geburtskomplikationen und unvorteilhafte Lebensumstände zu elementaren Störungen in der menschlichen Entwicklung führen können. Jedoch wirken sich organische Beeinträchtigungen hauptsächlich auf die fein- und grobmotorische sowie geistige Entwicklung und psychosoziale Beeinträchtigungen überwiegend auf die sozial-emotionale Entwicklung negativ aus. Es wird zudem verdeutlicht, dass das Vorhandensein einer risikoerhöhten Bedingung bereits bei Neugeborenen zu elementaren Entwicklungsstörungen führen kann. Treten zudem mehrere Risikofaktoren in Erscheinung, steigt die Tendenz einer äußerst kritischen Entwicklungslaufbahn und einer möglichen Störung (Klein, 2012, S. 21 f.).

3.3 Bielefelder Invulnerabilitätsstudie

Diese Studie wurde an Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe durchgeführt und bietet eine zentrale Vorgehensweise, um bereits vorhandene Schutzfaktoren zu erkennen. Bevor in diesem Abschnitt die Studie näher beschrieben wird, erfolgt eine Begriffsklärung.

Der Begriff ‚Vulnerabilität‘ bedeutet Verwundbarkeit/Verletzlichkeit ( Lexikon der Fremdwörter, S. 312). Diese Verwundbarkeit umfasst biologische und psychologische Merkmale von Kindern und Jugendlichen und wird darüber hinaus in primäre und sekundäre Faktoren unterteilt (Fröhlich-Gildorff & Rönnau-Böse, 2014, S. 20).

Invulnerabilität ist dementsprechend das positive Gegenstück und kann mit Unverwundbarkeit übersetzt werden.

Während in den Studien zuvor Wissenschaftler Risiko- und Schutzfaktoren untersuchten, die ausschlaggebend für Entwicklungsstörungen und dennoch eine gesunde Entwicklung sind, richtete die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie das Hauptaugenmerk gezielt auf die innere Widerstandsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen und auf äußere, schützende Faktoren. Gezielt daher, da bereits Risikofaktoren ermittelt wurden und eine dennoch erfolgreiche Entwicklung bei einem Teil der Betroffenen festgestellt werden konnte. Bei dieser Forschung wurden 146 zwischen 14 bis 17 Jahre alte Jugendliche untersucht, die in stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen lebten. Alle Jugendlichen aus diesen Einrichtungen wiesen eine ähnliche risikobehaftete Lebenssituation auf. In den jeweiligen Institutionen wurde das bereits erforschte und verfasste Resilienzkonzept vorgestellt. Anhand des Lesens von Hilfekonferenzberichten, durch pädagogische Gespräche oder den Einblick in Akteneinträge konnten Forscher bereits vorhandene Bewältigungsstrategien herauskristallisieren. 66 Jugendliche, die bereits über individuelle Ressourcen und sozial vermittelte Kompetenzen verfügten, zeigten eine ausgesprochen gesunde Entwicklung auf und wurden als resilient eingestuft. Die restlichen Jugendlichen ließen trotz ähnlicher Lebensumstände Auffälligkeiten in ihrem Verhalten erkennen, woraus sich schließen lässt, dass diese über wenige Schutzfaktoren verfügten bzw. nicht fähig waren, sich diese ins Bewusstsein zu rufen und anzuwenden. Wie auch in der hawaiianischen Kauai-Studie konnten Schutzfaktoren, zum Beispiel ein gestärktes Selbstwertgefühl, vorhandener Optimismus und internalisierte Konfliktlösungsstrategien, identifiziert werden (Klein, 2012, S. 22 f.).

Zurückblickend entwickelten sich in der erstbeschriebenen Studie ein Drittel der knapp 700 untersuchten Hawaiianer I nnen, trotz widriger Lebensumstände, zu gesunden und kompetenten Erwachsenen. Auch die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie erzielte entsprechende Studienergebnisse, wonach trotz ähnlicher risikobehafteter Lebensumstände ein Teil der Jugendlichen zu gesunden Erwachsenen heranwuchs. Diese Forschungsergebnisse geben einen wesentlichen Aufschluss darüber, dass es sich bei der inneren Widerstandsfähigkeit um „[...] kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal [handelt], sondern im Verlauf der Entwicklung durch fördernde Kind-Umwelt-Interaktion erlernt wird“ (Sit, 2012, S. 12).

Des Weiteren liegen Ergebnisse im Hinblick auf die Dauer und Veränderbarkeit der inneren Widerstandsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen vor. So wurde untersucht, dass resiliente Kinder und Jugendliche in verschiedenen Situationen fähig sind, auf vorhandene Ressourcen zurückzugreifen, dennoch zu anderen Zeitpunkten und gegebenen Veränderungen scheitern bzw. daran zerbrechen können. Dies ist beispielsweise bei einem weiteren Entwicklungsübergang und der damit verbundenen Herausforderung, neue Aufgaben bewältigen zu müssen, gegeben (Sit, 2012, S. 13). Kinder und Jugendliche sollten während dieser Übergänge nicht nur auf ihre inneren Ressourcen und Stärken vertrauen, sondern sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Darüber hinaus ist es entscheidend, weitere Bewältigungsstrategien zu erfahren, zu selektieren und zu internalisieren, um möglichen Belastungen und Risikofaktoren ausweichen zu können und vorhandene und weitere Schutzfaktoren zu stärken und zu fördern.

3.4 Erkenntnisse aus den Studien

Die grundlegende Erkenntnis aus diesen Studien ist, dass ungünstige Lebensvoraussetzungen von Geburt an nicht zwingend zu Elend und Misserfolg führen müssen. Resiliente Kinder und Jugendliche verfügen über bestimmte Eigenschaften und Strategien, die es ihnen ermöglichen, an widrigen Umständen nicht zu zerbrechen.

Der ursprünglich auf Kinder und Jugendliche gelegte Fokus der Resilienzforschung hat sich in der Zwischenzeit in Richtung Erwachsenenalter ausgeweitet (Groeneveld, 2019, S. 15).

4. Betriebliches Gesundheitsmanagement

Mitarbeiter*innenfürsorge und -pflege hat heute einen höheren Stellenwert denn je, denn in den vergangenen Jahren ist der Krankenstand in Unternehmen gestiegen (AOK Fehlzeitenreport, 2018). Zunehmende Krankheitsausfälle, die psychisch und körperlich bedingt sind, belasten die Unternehmen in ihrer Wirtschaftlichkeit und stören den Betriebsablauf. Hinzu kommt, dass das Betriebsklima in instabilen Teams, das heißt in Teams mit hoher Personalfluktuation oder häufig wechselnden Leitungsteams, oft angespannt ist und Mitarbeitende dazu neigen, weniger motiviert zu sein (Armbrust, Kießler-Wisbar & Schmalzried, 2018, S. 15). Aufgrund dessen wurde das sogenannte BGM geschaffen. Gut geführte Unternehmen wollen die Gesundheitsfürsorge und eine angemessene Work-Life-Balance nicht allein ihren Mitarbeitenden überlassen, sondern stellen den Fürsorgegedanken ins Zentrum unternehmerischen Handelns. Daher werden zunehmend Angebote innerhalb der Betriebe geschaffen, um der Mitarbeitendenfürsorge und -pflege nachzukommen, sich als sozialer Arbeitgeber attraktiv zu machen und den Krankenstand im Unternehmen so gering wie möglich zu halten (Kolhagen, 2014, S. 54).

Das BGM wurde erstmals zum Ende der 1970er-Jahre als solches benannt (Esslinger, Emmert & Schöffski, 2010, S. 26). Es unterscheidet sich wesentlich von der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), auch wenn es häufig als Synonym für BGF verwendet wird. Korrekt ist jedoch, dass die Gesundheitsförderung alle Interventionen von Arbeitgebern, Arbeitnehmenden und Organisationen umfasst, die die psychische und körperliche Gesundheit fördern und unterstützen, damit Arbeitnehmende gesund, motiviert und einsatzfähig bleiben (Emmert & Schöffski, 2010, S. 68). Dahinter steht die Annahme, dass jeder Mensch über ein individuelles Repertoire von Ressourcen verfügt, um psychisch und körperlich gesund zu bleiben. Jedoch sind nicht nur die persönlichen Verhaltensweisen dafür von Bedeutung, sondern auch die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes tragen effektiv zur Gesundheitsfürsorge bei (vgl. ebd.). Betriebliche Prozesse zielorientiert, systematisch und kontinuierlich zu steuern, ist Teil dieses Gesundheitsmanagements. Ziel dabei sollte es sein, den Erfolg, die Gesundheit und die Leistung zu erhalten und zu fördern, damit ein Betrieb fortbestehen kann (Fuchs, 2015, S. 27).

4.1 Definition von Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) hat den Begriff der Gesundheit 1946 als „[…] Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen […]“ definiert (World Health Organisation [WHO], 1946). Weiterentwickelt wurde der Begriff von der WHO im Jahr 1987. Seither umfasst Gesundheit die Fähigkeit und auch die Motivation, ein wirtschaftliches und sozial aktives Leben zu führen. Das verdeutlicht, wie sich der Begriff der Gesundheit im Laufe von 40 Jahren verändert hat (Ulich & Wülser, 2018, S. 3), und rückt den Motivationsaspekt nicht nur in sozialer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht in den Mittelpunkt.

Am 21. November 1986 tagte in Ottawa (Kanada) eine Weltgesundheitskonferenz und verabschiedete in diesem Rahmen die Ottawa-Charta‘. Durch dieses Dokument erhielt die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und der Arbeit einen besonderen Stellenwert innerhalb der Unternehmen: „die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit und die Arbeitsbedingungen organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehmen Arbeits- und Lebensbedingungen.“ (WHO, 1946). Dieses urkundliche Dokument stärkt somit die Gesundheitsfürsorge in Unternehmen.

Hurrelmann, ein Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler und Jugendforscher, entwickelte den Gesundheitsbegriff im Jahr 2000 weiter. Er definiert ihn als Zustand des objektiven und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet. „Die Gesundheit ist beeinträchtigt, wenn sich in einem oder mehreren dieser Bereiche Anforderungen ergeben, die von der Person in der jeweiligen Phase im Lebenslauf nicht erfüllt und bewältigt werden können. Diese Beeinträchtigung kann sich, muss sich aber nicht in Symptomen der sozialen, psychischen oder physischen-physiologischen Auffälligkeit manifestieren“ (Hurrelmann, 2000 zitiert nach Esslinger, et al., 2010, S. 6). Das bedeutet, dass die Lebensbedingungen entscheidend sind. Vor allem die Umweltfaktoren gestalten den Rahmen für die Entwicklung des Gesundheitszustands zum Positiven oder zum Negativen. Physische und psychische Gesundheit kommt in allen hier benannten Definitionsansätzen zur Geltung, was darauf hinweist, dass beide Aspekte die Gesundheit gleichermaßen bestimmen und Gesundheit nur im Einklang zwischen Leib und Seele möglich sein kann.

4.2 Rechtliche Grundlagen für Prävention und Gesundheitsförderung

2007 wurde im SGB V durch die Einführung des § 20a gesetzliche Grundlage geschaffen: „Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten“. Der § 20a verpflichtet die Krankenkassen und die gesetzliche Unfallversicherung dazu, Unternehmen dabei zu unterstützen, aktiv an der Gestaltung von Gesundheitsförderlichen Maßnahmen zu arbeiten und eigene Angebote der BGF anzubieten und umzusetzen (vgl. Esslinger et al., 2010, S. 45). „Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben [...] sollen die Krankenkassen zusammenarbeiten und kassenübergreifende Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten erbringen.“ (§20a Abs. 1 SGB V). Es ist evident, dass die Aufgabe der Gesundheitsförderung nur durch ein Zusammenarbeiten und gemeinsame Anstrengungen realisiert werden kann.

Ergänzend zu dem SGB V § 20a besagt der § 20b Absatz 1 SGB V, dass die Krankenkassen Leistungen der BGF erbringen sollen, „[…] um unter der Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb die gesundheitliche Situation einschließlich ihrer Risiken und Potentiale zu erheben und Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten zu entwickeln und deren Umsetzung zu unterstützen.“

Eine weitere zentrale rechtliche Grundlage für das BGM ist das betriebliche Eingliederungsmanagement. Dieses ist verankert im SGB IX § 167 Absatz 2 und besagt:

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement) […]

Dieser Paragraf bietet langzeiterkrankten Arbeitnehmenden einen sanfteren Einstieg zurück in das Arbeitsleben. Hat ein Unternehmen ein BEM, signalisiert es dem Arbeitnehmenden damit, dass es auch Mitarbeiter wieder eingliedern möchte, die längere Zeit nicht in der Lage waren, ihrem Beruf nachzugehen.

4.3 Gründe für ein betriebliches Gesundheitsmanagement

Das BGM wurde geschaffen, um die Quote durch Krankheitsfälle möglichst gering zu halten. Darüber hinaus soll es vor arbeitsbedingten Erkrankungen, Unfällen am Arbeitsplatz, Burn-out etc. schützen und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz fördern (Rössler, Keller & Moock, 2016, S. 45).

Gute Fachkräfte sind rar, vor allem im sozialen Bereich. Dadurch etablierte in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich des Personalwesens eine veränderte Sichtweise. Das Bild der Mitarbeitenden ist nun zunehmend distanziert von einer Person, die eine Leistung erbringt, hin zu einer Person, die darüber hinaus auch Bedürfnisse, Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualifikationen mitbringt. Die Leistungsbereitschaft ist abhängig von der Motivation und Zufriedenheit am Arbeitsplatz und in dem Unternehmen. Dies wirkt sich auf die Wettbewerbsfähigkeit und den Erfolg einer Organisation aus (Esslinger et al., 2010, S. 49).

Der demografische Wandel ist allgegenwärtig und wirkt sich somit auch auf die Bevölkerungsstruktur, Politik und Wirtschaft aus und stellt diese zusätzlich vor eine immer größer werdende Herausforderung.

Während die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt, sinkt die Geburtenrate konstant (Esslinger et al., 2010, S. 50). Im Jahr 2011 lag die Lebenserwartung für neugeborene Jungen bei 77,9 Jahren, bei Mädchen bei 82,9 Jahren. Um die Bevölkerungszahl des damaligen Zeitpunktes zu halten, sollte jede Familie im Schnitt 2,1 Kinder bekommen, während die realen Zahlen 2011 jedoch nur bei 1,4 Kindern pro Familie liegen. Im Jahr 2015 lag der Wert bereits bei 1,5 Kindern pro Familie (siehe Abbildung 1). Während der Altersdurchschnitt stetig weiter ansteigt, schrumpft jedoch die Bevölkerung. Dies hat zur Folge, dass ältere Menschen ein höheres Renteneintrittsalter haben und der Fachkräftemangel trotzdem weiter zunimmt. Diese Effekte sind auf den demografischen Wandel zurückzuführen. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund dessen bereits im Jahr 2050 lediglich noch drei Viertel der notwendigen Fachkräfte für die entsprechenden Stellen zur Verfügung stehen werden (Esslinger et al., 2010, S. 51).

Mitarbeitende, die bereits mehrere Jahre in einem Unternehmen arbeiten, sind in der Regel ohne Befristung angestellt und verfügen demnach über einen gesetzlichen Kündigungsschutz. Menschen mit einer Schwerbehinderung haben einen noch höheren Kündigungsschutz. Sind diese längere Zeit erkrankt, ist es von Vorteil, ein BGM zu haben, um sie wieder einzugliedern, statt länger auf sie verzichten zu müssen. Zusätzlich verringert es die Fluktuation der Mitarbeitenden, da das Bedürfnis nach einem Wechsel geringer ist, wenn das Unternehmen signalisiert, dass es sich den Bedürfnissen der Mitarbeitenden anpassen möchte und interessiert daran ist, diese zu halten. Es löst somit gleichzeitig eine Bindung der Mitarbeitenden aus und steigert im Idealfall deren Produktivität und Motivation. Dies ist sowohl ein Vorteil für Arbeitnehmende als auch für Organisationen und nur dann umsetzbar, wenn das BGM konsequent verfolgt und eingehalten wird (Esslinger et al., 2010, S. 63).

4.4 Strategische Einbettung des betrieblichen Gesundheitsmanagements im Unternehmen

Die strategische Einbettung des BGM im Unternehmen ist notwendig, da die Gesundheit der Mitarbeitenden wie auch die Bereitschaft und Fähigkeit, konstant eine Leistung zu erbringen, gefördert werden sollen. Dies beinhaltet Angebote, die über die strukturellen Bedingungen am Arbeitsplatz hinausgehen. Es ist entscheidend, dass Arbeitnehmende sich ganzheitlich wohlfühlen, weswegen das BGM als ganzheitliche Strategie verstanden wird (Esslinger et al., 2010, S. 55).

Das BGM ist ein ganzheitliches Thema und zieht sich durch alle Strukturen eines Unternehmens. Aufgrund dessen ist es zunehmend bedeutsam, diese Thematik in alle Managementsysteme (z. B. Personal- und Qualitätsmanagement) einzubinden. Erst, wenn ein Unternehmen die Thematik der Gesundheit in sein Leitbild einbindet, wird BGM auch als Managementaufgabe verstanden (vgl. Esslinger, Emmert, Schöffski, 2010, S. 56).

Abbildung 2 zeigt ein Modell eines integrierten BGM. Dieses Modellbeispiel ist häufig in Organisationen mit einer größeren Anzahl an Mitarbeitenden vorhanden. Anhand der Abbildung lässt sich erkennen, dass die Strukturen aus den verschiedenen Arbeitsbereichen systematisch zusammengeführt werden (Wienemann & Schumann, 2011, S. 96). Eine Umsetzung dieses Modells ist vor allem dann erfolgreich, wenn die verschiedenen Bereiche stetig weiter ausgearbeitet werden und Kooperationspartner (z. B. Betriebsärzte) und spezialisierte Fachkräfte der internen und externen Institutionen (z. B. Schwerbehindertenvertretung und Suchtberatung) einbezogen werden (Essling et al., 2010, S. 57).

Mittlerweile gibt es im BGM diverse Instrumente, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu bestärken. Diese sind zunehmend im Bereich des Managements verankert und Führungskräfte werden durch Weiterbildungen immer häufiger befähigt, die Strukturen des Gesundheitsmanagements in den Organisationen umzusetzen (Badura et al., 2011, S. 7). Diese Maßnahmen sollen sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte unterstützen und ihnen Ressourcen bieten, um die eigene Gesundheit auf einem konstant guten Niveau zu halten bzw. zu verbessern.

Im Folgenden soll sich nochmals auch das eigene Fachgebiet der Autorin, die ambulante und stationäre Jugendhilfe, bezogen werden.

Die Arbeitsbelastung in der stationären Jugendhilfe steigt konstant. Verstärkt wurde diese nochmals durch die Anpassung der Dienste an das Arbeitszeitgesetz, wodurch in vielen stationären Gruppen bereits die 24-Stunden-Dienste abgeschafft wurden oder Wohngruppen mit alternierender Betreuung (WAB) gar nicht mehr existent sind (vgl. ArbZG § 6). Diese Veränderung der Dienste hat zusätzlich zu der Arbeitsbelastung in vielen Unternehmen zu einer hohen Fluktuation der Mitarbeitenden geführt. Aufgrund dessen sollen im Rahmen dieser Masterarbeit einige Instrumente erläutert werden, die das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz fördern.

4.4.1 Gesundheitsförderliche Angebote durch den Arbeitgeber

Vor allem in Unternehmen der Sozialwirtschaft hat Führung viel Einfluss auf die Mitarbeiter, deren Leistungsbereitschaft, Motivation und nicht zuletzt auch ihr Wohlbefinden (Weinreich & Weigl, 2011, S. 54). Nicht umsonst schließen Unternehmen zunehmend Verträge mit erbringenden Institutionen für Sportangebote, bietet Supervision an, verfügen über Betriebsärzte und Schwerbehindertenvertretungen und ermöglichen den Mitarbeitenden teambildende Tage, die finanziell gefördert werden. Hinzu kommt, dass vor allem in Berlin die Bewegung als Ausgleich zur Arbeit einen wesentlichen Stellenwert bekommen hat. So bieten viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, betriebsintern Sport (z. B. Yoga oder Laufgruppen) zu machen, und nehmen an städtisch organisierten Firmenläufen teil, die zusätzlich noch den Zusammenhalt im Team fördern (AOK Fachportal für Arbeitgeber, 2020).

Diese Aspekte sind Teil eines gesunden Führungsstils, der zunehmend an Bedeutung gewinnt und gefördert wird (Badura et al., 2011, S. 102). Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) belegt ebenfalls, dass Führungsstil und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden in einem engen Verhältnis stehen. So waren die Mitarbeitenden, die angaben, einer guten Führungskraft zu unterstehen, deutlich zufriedener und zeigten weniger gesundheitliche Beschwerden als solche, die aussagten, mit ihrer Führungskraft eher unzufrieden zu sein. In der Abbildung 3 wird noch mal deutlich, wie wichtig eine gute Führung ist, da über 35 % der Befragten äußerten, dass sie sich mehr Einsatz vonseiten der Vorgesetzten wünschen. 27,7% wünschen sich ‚Gesundheitskurse für Mitarbeitende‘, was darauf hindeutet, dass das Gesundheitsmanagement vonseiten der Führungskräfte in vielen Organisationen bislang noch nicht ausreichend etabliert ist. Differenzen mit der Leitungsebene wirken sich ebenfalls negativ auf das Betriebsklima aus, 18,8 % gaben an, dass sie sich klärende Gespräche wünschen (Zok, 2010, S. 88).

4.4.2 Betriebliches Eingliederungsmanagement

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das BEM tritt dann in Kraft, wenn Mitarbeitende mindestens sechs Wochen ohne Unterbrechung innerhalb eines Kalenderjahres erkrankt gewesen ist. Ziel des BEM ist es, den zu dem Zeitpunkt vorhandenen Ist-Zustand zu überwinden und erneute krankheitsbedingte Ausfälle zu vermeiden. Jedes Verfahren im BEM wird individuell für den jeweiligen Mitarbeitenden erarbeitet (Weinreich & Weigl, 2011, S. 160). Zum BEM können neben dem Personalmanagement, der Leitung und dem betroffenen Mitarbeitenden der Betriebsrat, der Betriebsarzt, die Schwerbehindertenvertretung sowie – wenn gewünscht – Vertrauenspersonen der oder des Betroffenen eingeladen werden. Das BEM soll lösungsorientiert arbeiten und den Mitarbeitenden dabei unterstützen, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden. Grundlage dafür ist unter anderem das SGB IX § 84 ( Gesetze für die Soziale Arbeit, 2016, S. 1877). Ein BEM kann nach SGB IX § 28 stufenweise gestaltet werden (Esslinger et al., 2010, S. 79; Gesetze für die Soziale Arbeit, 2016, S. 1856). So ist es beispielsweise möglich, dass Mitarbeitende vorerst mit einer geringen Stundenanzahl am Tag beginnen und die Arbeitszeit über mehrere Wochen steigern. Dieses Modell bedarf jedoch der Kooperation des Arbeitgebers. Verfügt eine mitarbeitende Person über eine Schwerbehinderung ist dieses Modell der Umsetzung leichter, da der Arbeitgeber nach SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–5 dazu verpflichtet ist, den Arbeitsplatz dem Leiden des betroffenen Menschen anzupassen oder ihm gegebenenfalls eine andere Tätigkeit als zuvor zu ermöglichen ( Gesetze für die Soziale Arbeit, 2016, S. 1876).

4.4.3 Work-Life-Balance

Die sogenannte Work-Life-Balance (WLB) wird immer mehr thematisiert. Wird die Entwicklung der Arbeitswelt betrachtet, ist auffallend, dass die Arbeitsschutzgesetze inzwischen einen Höchstsatz an Stunden, die Mitarbeitende innerhalb einer Woche leisten dürfen, vorschreiben ebenso wie Ruhe-, Pausen- und Urlaubszeiten vorgeschrieben werden. Aus eigener Erfahrung mit verschiedenen Kolleg*innen hat die Autorin mehrfach festgestellt, dass sich die Einstellung zur Arbeit im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Beispielsweise gewinnen Wertschätzung und Anerkennung für viele Arbeitnehmende an Bedeutung und sind essenziell, um die Motivation aufrechtzuerhalten. Die WLB beschreibt einen Lebens- und Arbeitsstil, der das Gleichgewicht, die Balance, zwischen der Arbeit (work) und dem Leben (life) herstellt und über Jahre versucht, zu halten (Badura et al., 2012, S. 147). Jeder Mensch hat andere Aspekte in seinem Privatleben, die für ihn bedeutsam sind. Bei der WLB geht es nicht um den Inhalt des Privatlebens, sondern vielmehr um die Vereinbarkeit dieser beiden Aspekte im Leben. Private Gesichtspunkte sind gleichgestellt mit beruflichen. Es beschreibt eine Entwicklung, bei der das berufliche Vorankommen nicht mehr die oberste Priorität hat.

Entstanden ist dieser Lebensstil im Laufe der 1990er-Jahre. Frauen gingen trotz Kindern wieder arbeiten und alternative Familien- oder Beziehungsmodelle etablierten sich im Laufe der vergangenen 30 Jahre. In Zeiten, in denen Paare regelmäßig Fernbeziehungen führen, Patchwork und Wechselmodelle in der Kindererziehung keine Seltenheit mehr darstellen, ist das Bedürfnis nach einer ausgeglichenen WLB gewachsen (Badura et al., 2012, S. 147 ff.). Die WLB hat sich jedoch nicht nur für Mitarbeitende bewährt, sondern auch für die Unternehmen und die Wirtschaft. Abgesehen davon, dass Mitarbeitende weniger erkranken, wenn sie eine ausgeglichene WLB haben, ist es für Unternehmen leichter, Mitarbeitende zu halten, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinfacht wurde. Frauen ist es möglich, trotz Kinder eine finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, was sie nicht mehr vor die Wahl der Familie oder der Karriere stellt (Badura et al., 2012, S. 149). Die entstandenen Gleitzeitmodelle und die Fortschreitung der digitalen Entwicklung ermöglichen den Arbeitnehmenden ebenfalls eine höhere Flexibilität. Mittlerweile ist es in den meisten Unternehmen gängig, dass Mitarbeitende über Diensthandys und -laptops verfügen. In der stationären Jugendhilfe ist dieses Modell nicht so einfach umsetzbar. Maximal Leitungskräfte verfügen über die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung. In den letzten Jahren haben die Möglichkeiten des Sabbaticals in Unternehmen zugenommen. Dies zeigt sich auch in sozialwirtschaftlichen Unternehmen. Ebenso wird die Möglichkeit eines Lebenszeitkontos, auf dem Überstunden gesammelt werden können, um dadurch frühzeitig in den Ruhestand zu gehen, eine aktuell immer bedeutendere Thematik in sozialwirtschaftlichen Unternehmen.

4.4.4 Personalpflege

Die Personalpflege ist ein Instrument des BGM, das die Gesundheit der Mitarbeitenden fördern und lange erhalten soll. Eine langfristige Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen ist das Ziel dieses Aspekts im BGM. Die Personalpflege setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen. Sowohl die personellen als auch organisationsbezogenen Maßnahmen sind entscheidend. Zum Beispiel ist eine angenehme Arbeitsatmosphäre relevant, damit sich Mitarbeitende im Unternehmen wohlfühlen und motiviert ihrer Arbeit nachgehen. Diese kann durch teamfördernde Maßnahmen gefördert werden, die auch gleichzeitig Raum geben, die sozialen Kontakte zu pflegen. Für diese Form der Teamförderung bieten sich vor allem Sportkurse, Firmenläufe etc. an. Sportkurse können gleichzeitig so gestaltet werden, dass sie auch dem Unternehmen von Nutzen sind. Werden beispielsweise Rückenkurse, Yoga etc. angeboten, ist das Verletzungsrisiko gering, gleichzeitig wird die Gesundheit unterstützt und Mitarbeitende fallen weniger aus. Ist das Unternehmen zu klein, um Angebote dieser Art umzusetzen, bieten sich als Alternative auch Kooperationen oder Zuschüsse für Fitnessstudios oder Gesundheitsgutscheine, die für verschiedene Trainingsformen verwendet werden können (Esslinger et al., 2010, S. 82).

Besteht Interesse daran, Mitarbeitende langfristig zu halten, ist es für das Betriebsklima von Vorteil, eine breite Qualifikation der Mitarbeitenden anzustreben. Darüber hinaus ist eine Mischung der Altersdurchschnitte sinnvoll, damit beispielsweise nicht mehrere Mitarbeiter zeitgleich in den Ruhestand oder in Elternzeit gehen. Dies erleichtert zusätzlich die Urlaubsplanung innerhalb des Teams und sorgt für weniger Konflikte.

Zur Personalpflege und zum BGM gehört unter anderem auch, Mitarbeitende in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen. Diese könnten Formen der Sucht und Abhängigkeit (Drogen, Alkohol, Spiel, Medikamente etc.) sein. Ein Unternehmen kann selbst diverse Veranstaltungen planen und organisieren oder Kooperationen mit entsprechenden Organisationen eingehen, um Mitarbeitende für solche Thematiken zu sensibilisieren. Informationen dazu oder Veranstaltungen können über diverse Medien im Unternehmen verbreitet werden. So können beispielsweise Flyer ausgelegt werden oder Informationen über interne Quellen (Dienst E-Mail-Adresse, Zeitschriften etc.) an Mitarbeitende des Unternehmend herangetragen werden. Personalpflege kann ebenfalls über interne Angebote umgesetzt werden. Es können Mitarbeiter zum Beispiel gewonnen werden, indem gleichzeitig eine Betreuungsmöglichkeit für deren Kinder angeboten wird. Dies gibt gleich wieder einen Ausgleich zur WLB und signalisiert, ein familienfreundliches Unternehmen zu sein. Gesundheitsfürsorge und -vorsorge in Form von Schutzimpfungen, etc. ist ebenfalls Aufgabe des BGM (Esslinger et al., 2010, S. 82 f.).

Das BGM sollte immer präventive Angebote für Mitarbeitende gestalten und nicht erst, wenn Mitarbeitende bereits länger erkrankt sind, aktiv werden. Hinzu kommt, dass Organisationen selbst mehr Nutzen vom BGM haben, wenn sie präventiv arbeiten, da selbst hochbelasteten Mitarbeitenden frühzeitig geholfen werden kann und ein längerer Ausfall evtl. vermeidbar ist. Jedoch sollte das BGM stets das Wohl der einzelnen Mitarbeiter im Fokus haben und nicht so gestaltet sein, dass es den Mitarbeitern vermittelt, es würde nur um eine bessere Leistungsfähigkeit gehen (Hillert, 2018, S. 70 f.).

Meist verfügen nur größere Unternehmen (ab ca. 50 Mitarbeitenden) über ein BGM und die damit verbundene Personalpflege. In kleineren Unternehmen obliegt diese Thematik häufig der Geschäftsführung oder den Bereichsleitungen. Jedoch können Kleinunternehmen ein Netzwerk bilden, um gemeinsam neue Perspektiven der Personalpflege und des BGM zu erarbeiten (Esslinger et al., 2010, S. 86).

5.
Zwischenfazit – zur Entwicklung der leitenden Fragestellung

Da, wie im bisherigen Verlauf der Arbeit dargelegt, theoretisch jeder Mensch – unabhängig vom Alter – in der Lage ist, Resilienz zu erlernen, sollte insbesondere in Berufen, die eine psychisch höhere Belastung erzeugen, Bezug auf die Resilienzförderung genommen werden.

Wustmann bezieht sich in ihren Ausführungen zur Resilienzförderung auf zwei Ebenen, die sie in ihrer Studie zunächst auf Kinder anwendet, die sich nach Meinung der Autorin der vorliegenden Arbeit jedoch auch auf die Resilienzförderung von Erwachsenen übertragen lassen: Zum einen schreibt Wustmann über die Resilienzförderung auf individueller Ebene, die direkt beim Individuum ansetzt und sich unter anderem auf die Förderung von Problemlösefertigkeiten und Konfliktstrategien, die Unterstützung von Eigenaktivität und persönlicher Verantwortungsübernahme, aber auch die Förderung positiver Selbsteinschätzung des Menschen und sozialer Kompetenzen wie Empathie und sozialer Perspektivübernahme bezieht.

Die zweite Ebene bildet die Resilienzförderung auf der Beziehungsebene, die sich auf die Arbeits- bzw. Interaktionsqualität fokussiert und die Stärkung durch Dritte ins Zentrum rückt. Beispiele hierfür stellen die Förderung einer konstruktiven Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden dar, aber auch die Stärkung des Kompetenzgefühls durch die Führungskraft wie auch die Förderung von Konfliktlösungsstrategien in herausfordernden Situationen oder Krisen sowohl innerhalb des Unternehmens als auch außerhalb (Wustmann Seiler, 2012, 125 f.).

Zusätzlich konnte im Rahmen des BGM dargestellt werden, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden eines Unternehmens – nicht zuletzt durch den demografischen Wandel – eine zunehmende Bedeutung erlangt. Organisationen müssen dies stets im Blick behalten, um Mitarbeitende langfristig zu halten. Das heißt, BGM spielt eine immer bedeutendere Rolle im Bereich der Unternehmenskultur und des Managements. Studien der wie die der AOK und der WHO haben bestätigt, dass psychische Erkrankungen immer häufiger Ursache für krankheitsbedingte Ausfälle sind. Arbeitet ein Unternehmen im Rahmen des BGM präventiv und vor allem aktiv, liegt die Vermutung nahe, dass die Zahl der krankheitsbedingten Ausfälle verringert wird.

Auch die Führungskraft als positives Vorbild für die Mitarbeitenden hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Viele Arbeitnehmende definieren die Wahl des Unternehmens und ihre Zufriedenheit am Arbeitsplatz über die Führungskraft (Badura et al., 2011, S. 102). Die Arbeitszeiten sowie die Organisation des Arbeitsplatzes sollten so gestaltet sein, dass diese zur Lebenssituation der/des Mitarbeitenden passt und die WLB erhalten bleiben kann.

Die Glaubwürdigkeit und die Authentizität der Führungskraft sind entscheidend. Nur wenn diese gegeben sind, können eine Vertrauensbasis und Transparenz zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft aufgebaut werden. Wem es gelingt, einen gesundheitsgerechten und mitarbeiter*innenorientierten Umgang zu schaffen, wird mit seinem Unternehmen langfristig erfolgreich sein (Neumann et al., 2010, S. 34).

Es kann anhand der Theorie resümiert werden, dass jeder Mensch bis zum Zeitpunkt seines Ablebens in der Lage ist, Resilienz zu erlernen. Die Theorie der neuronalen Plastizität liefert dazu die wissenschaftliche Grundlage und die Theorie der Salutogenese von Antonovsky erklärt ausführlich, dass es im Sinne eines jeden Menschen ist, seine eigene Gesundheit zu erhalten (siehe Kapitel 2). Daher ist eine Förderung der Resilienz bis ins hohe Alter sinnvoll, um den Menschen als Individuum in möglichst allen Bereichen des Lebens in seiner Gesundheit zu erhalten. Durch die in Kapitel 3 dargestellten Theorien wird nochmals untermauert, dass die Erlangung von Resilienz auch dann gelingen kann, wenn ein Mensch in widrige Lebensumstände hineingeboren wurde. Die Theorien besagen zwar deutlich, dass die Resilienz durch die biografische Entwicklung beeinträchtigt wird, aber dass eine Erlangung der Resilienz durch die entsprechende Förderung dennoch möglich sei. Für berufstätige Menschen spielt daher das BGM eines Unternehmens eine entscheidende Rolle. Vor allem die Arbeit in psychisch belastenden Berufen kann in Bezug auf die Resilienz immer wieder einen Risikofaktor darstellen, der durch ein gut strukturiertes BGM und durch entsprechende Angebote verringert werden kann (siehe Kapitel 4). Daher entsteht an dieser Stelle die leitende Fragestellung:

„Welche Angebote der Resilienzförderung werden durch den Arbeitgebenden zur Verfügung gestellt und in welchem Umfang und in welcher Qualität werden diese von den Arbeitnehmenden angenommen? Ist aufgrund dessen eine erkennbare Auswirkung auf die Resilienzförderung zu beobachten?“

6. Einführung in die leitfadengestützten Interviews

Im Folgenden soll eine Einführung in das leitfadengestützte Interview gegeben werden, um die weitere Arbeit mit der vorab entwickelten leitenden Fragestellung zu präzisieren und einen ausführlichen Fragebogen für den praktischen Teil zu gestalten. In diesem Rahmen wird sich auf eine Quelle der Bundeszentrale für politische Bildung bezogen.

Es wurde sich für diese Form des Interviews entschieden, da es ermöglicht, in kurzen Fragen möglichst präzise Informationen zu erlangen und mit den Personen des Interesses in den direkten Kontakt zu treten. Dies setzt die Offenheit und Mitteilungsbereitschaft der Person des Interesses voraus. Aufgrund dessen werden ausschließlich offene Fragen gestellt, die dem Gegenüber die Möglichkeit eröffnen bzw. dazu auffordern, viel zu berichten. Im Idealfall entsteht mehr das Gefühl eines Gesprächs als eines Interviews.

6.1 Welche Vorbereitungen müssen für ein leitfadengestütztes Interview getroffen werden?

Zunächst sollte sichergestellt werden, dass die Unterschiede der Merkmale von der Situation und den Zuständen zuverlässig erfasst wurden. Darüber hinaus sollte die leitende Fragestellung klar formuliert sein, sodass dem Befragten von Beginn an eindeutig ist, worauf mit dem Interview abgezielt wird.

Für die korrekte Entwicklung eines Fragebogens sind folgende Schritte nach Kallus abzuarbeiten (Kallus, 2016, S. 14 f.).

1. Abgrenzung und Klärung des zu erfassenden Merkmalbereiches und der Zielpopulation
2. Spezifizierung des Merkmalbereiches (und Sammlung von Beispielen)
3. Gruppierung der Manifestationen in Teilbereichen, die in ähnlicher Weise mit unterschiedlichen Merkmalsausgängen variieren
4. Festlegung der charakteristischen Manifestationen und Festlegung der Antwortdimensionen
5. Formulierung der Items (Gruppen von Fragen-Antwort-Einheiten)
6. Prüfung der Items auf sprachliche Konsistenz, Einfachheit und Verständlichkeit
7. Festlegung von Instruktionen, Ankern und Vorgabemodalitäten
8. Fixierung der Itemreihenfolge
9. Durchführung einer Studie zur Prüfung der Subtests/Items
10. Kürzung/Ergänzung des Fragebogens
11. Festlegung der Varianten des Fragebogens
12. Normierung und Auswertungsrichtlinien
13. Validierung und Interpretationsrichtlinien

Um sowohl einen möglichst quantitativen als auch qualitativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung zu erhalten, muss dieses wissenschaftliche Routineverfahren daher objektiv, zuverlässig und valide sein. Das bedeutet, dass eine Objektivität gegeben sein muss, um die Merkmale der Aussagen unabhängig von den Untersuchungsleitenden erfassen zu können. Eine Zuverlässigkeit muss erkennbar sein, indem die Fragen so gestellt werden, dass die befragte Person in konsistenter Form antworten kann und die Ergebnisse sich bei verschiedenen Fragen zu einer Merkmalsfacette stets in vergleichbarer Weise zeigen können. Der Fragebogen sollte modellkonform, d. h. valide sein, damit die Merkmale abgebildet werden, die der Fragebogen zu messen vorgibt (Kallus, 2016, S 15 f.).

6.2 Die Entwicklung von Items

Items sind klar und eindeutig zu formulieren und entsprechen im Idealfall den Merkmalen in repräsentativer Weise. In diesem Zusammenhang bedeutet der Begriff ‚Item‘ immer die Grundeinheit, die die Frage oder Aussage gemeinsam mit den Antwortmöglichkeiten umfasst (Kallus, 2016, S. 42 ff.). Dies beinhaltet verschiedene Aspekte, die angewandt werden können. Die Zustimmungsskalen und deren Dimensionen, die die Wahrscheinlichkeit oder Bewertung (gut oder schlecht) und einige andere einschließen, können einen Aspekt eines Items darstellen. Darüber hinaus sind entscheidende Faktoren der Items die Intensitätsskalierung, die Valenzskalierung in Verbindung mit der direkten Skalierung, das Polaritätsprofil, die Häufigkeitsskalen sowie die Wahrscheinlichkeitsskalierung.

In der Intensitätsskalierung kann eine klare Vorstellung über die Stärke der Merkmalsausprägung entwickelt werden. Durch die Valenzskalierung in Verbindung mit der direkten Skalierung lassen sich psychische Merkmale, beispielsweise die Zufriedenheit, messen. Das Polaritätsprofil stellt Gegensatzpaare gegenüber, die durch eine Skala miteinander verbunden sind, auf der sich die befragte Person positionieren soll. Es ist geprägt durch Eigenschaftswörter (siehe Abbildung 4). Als letzten Aspekt können Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsskalen helfen, Items so konkret wie möglich zu benennen, und in das Konstrukt eines Fragebogens einbezogen werden.

6.2.1 Die Formulierung des Frage-Aussage-Teils von Items

Der Frage-Aussage-Teil von Items wird in drei Bereiche untergliedert. Diese drei Themenfelder umfassen den semantisch-inhaltlichen, den sprachlichen und den psychologischen Aspekt (Kallus, 2016, S 59 ff.)

Im Bereich des semantisch inhaltlichen Aspektes geht es vorwiegend um die Einfachheit. Das bedeutet, dass beispielsweise einfache, jedoch präzise Aussagen formuliert werden sollen. Pro Item sollte nicht mehr als eine Aussage getroffen werden, was voraussetzt, dass ausschließlich eine Antwortdimension vorgegeben wird. Die Merkmalfacetten sollten am Alltagsverhalten orientiert sein. Diese Eigenschaften des semantisch-inhaltlichen Aspekts ermöglichen es, dass die Aussagen klar und affirmativ formuliert sind.

Im sprachlichen Aspekt geht es, wie die Begrifflichkeit bereits andeutet, um die Sprache der Antwortenden. An dieser Stelle sollten die Bezüge eindeutig gemacht werden und Konzepte in die Sprache der Befragten übersetzt werden. Das beinhaltet unter anderem, dass Begriffe präzisiert werden, um Mehrdeutigkeiten auszuschließen oder spezifische Bedeutungen klarzumachen. Ähnliche Begriffe sollten zur Eingrenzung komplexer Zustände und Prozesse angewandt werde. Darüber hinaus sollten spezifische Begriffe der befragten Person an den Einsatzbereich des Fragebogens angepasst werden. Wörter, die jedoch eine regional unterschiedliche Bedeutung beinhalten, sollten vermieden werden (beispielsweise Semmel/Schrippe). Ein Zeitbezug oder eine situative Spezifizität des Items kann zu einem Dilemma führen. „Je spezifischer die Frage, desto klarer ist sie beantwortbar – je allgemeiner die Frage, desto einfacher sind Vergleiche möglich.“ (Kallus, 2016, S. 65) Des Weiteren sollte ein geeignetes Abstraktionsniveau gewählt werden, damit einfache Sätze mit mehrdeutigen grammatikalischen Bezügen ausgeschlossen werden können.

Im psychologischen Aspekt sind eher die Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung. So sind beispielsweise die Lesbarkeit und ein klares Design ebenso wie die Verständlichkeit des Items von großer Bedeutung. Die Fragen sollten für die befragte Person einfach, eindeutig und klar zu beantworten sein. Abschließend sollten die Fragen einen neutralen Bezug zum Personenumfeld sowie zum Lebensumfeld und -kontext ermöglichen.

6.2.2 Die Skalierung der Items

„In der Skalierung wird versucht, Unterschiede in der Merkmalsprägung in entsprechenden Unterschieden zwischen zahlenmäßigen Repräsentationen wiederzugeben.“ (Kallus, 2016, S. 71)

Das Skalierungsniveau gibt an, wie die Unterschiede zwischen den Zahlen zu interpretieren sind. Hierbei wird unterschieden in die Nominalskala, die Rangskala, die Intervallskala, die Verhältnisskala und die Absolutheitsskala. Für meine Zwecke des Fragebogenitems ist prinzipiell die Arbeit mit dem Intervallskalierungsniveau anzustreben. Die Intervallskala entspricht der Annahme, dass die Abstände zwischen zwei Abstufungen eine identische Größe haben, beispielsweise eine IQ-Testung. Bereits die Formulierung der Items und die Auswahl der Antwortformate sollte eine möglichst hohe Messgenauigkeit anstreben. Jedoch muss jedes zu untersuchende Merkmal in diesem Format abgestuft beurteilbar sein. Die Werteeinheit allein macht ein Merkmal noch nicht messbar, sondern erst ein Merkmal (Länge), eine Messanleitung (Zollstock) und eine Einheit (Meter) führen zu einer Skala, die sich bei der Auswertung tatsächlich verwenden lässt. Der befragenden Person muss bei der Erstellung eines Fragebogens bewusst sein, was erhoben werden soll, wie es gemessen werden soll und auf welcher Grundlage es ermittelt werden soll.

6.2.3 Die Fragebogenentwicklung

„Konzeptionell sollten die Items repräsentative Stichproben aus der ‚Population aller Items‘ des Merkmalbereichs darstellen.“ (Kallus, 2016, S. 80) Diese Aussage von Kallus selbst beschreibt, dass die Items stets auf einem vergleichbaren Abstraktionsniveau sein und alle Facetten des Konzeptes abbilden sollten. Damit meint Kallus, dass die verschiedenen Items inhaltlich und formal zueinander passen müssen. Demzufolge müssen die Items vor der Erstellung einer Erstfassung sowohl inhaltlich als auch formal geprüft werden. Eine inhaltliche Prüfung umfasst, dass die Person, die den Fragebogen erstellt, vorab überprüft, ob es Überlappungen der Itemintervalle gibt, ob die Spezifität des Items gegeben ist oder ob es Itemschwierigkeiten gibt. Letztere können beispielsweise eine Nichtpassung zwischen Item- und Antwortformat sein. Darüber hinaus muss das Item auf seine Eindimensionalität geprüft werden. Die formale Prüfung gestaltet sich deutlich einfacher, da die Items in diesem Schritt lediglich grammatikalisch überprüft werden müssen, ebenso wie das Layout und die Lesbarkeit.

Die Erstellung der Erstfassung des Fragebogens erfolgt durch ein standardisiertes Verfahren (Kallus, 2016, S 85 f.). Der Fragebogen sollte über ein Deckblatt sowie Instruktionen und Studieninformationen verfügen. In der Fußzeile muss stets das Copyright, ebenso wie das Erscheinungsjahr, Autor*innen und der Ort der Publikation angegeben werden. Zusätzliche Studieninformationen können freiwillig angegeben werden. Die Erstfassung sollte zunächst von Personen einer potenziellen Zielgruppe qualitativ auf die Verständlichkeit überprüft werden. Es sollten mindestens sechs Items pro Subtest einbezogen werden. Subtests sind die Werte für zusammengehörige Items, die zu einem Messwert, dem Subtestwert, verrechnet werden. Umgangssprachlich könnte der Begriff Subtest auch als Themenfeld bestimmt werden, jedoch ist für dieses Vorhaben zu ungenau, da durch einen leitfadengestützten Fragebogen präzise Messwert bestimmt werden sollen. Darüber hinaus sollte der Subtest durch eine Itemanalyse nochmals überprüft werden. Die Endfassung des Fragebogens sollte Items beinhalten, die eine hohe Streuung, Trennschärfe und Validität aufweisen (Kallus, 2016. S. 96).

6.2.4 Die Endfassung des Fragebogens und Auswertung

Die Endfassung des Fragebogens beinhaltet vier bis acht Items pro Subtest. Kallus unterteilt einen Fragebogen nochmals in vier Varianten (vgl. Kallus, 2016, S. 100 ff.). Der State-Trait-Ansatz unterscheidet zwischen aktuellen Zuständen (State) und allgemeinen, zeitstabilen Merkmalen (Trait). Der situationsspezifische Fragebogen wird von Kallus wie folgt beschrieben: „Situationsspezifität von Angaben ist dadurch gekennzeichnet, dass sich Merkmalsprofile über verschiedene Situationen nicht nur im mittleren Niveau verändern, sondern es auch zur Veränderung der Profilform kommt (…)“ (Kallus, 2016, S. 101) beschrieben. Die Selbst- und Fremdbeurteilung beinhaltet eine mehrperspektivische Befragung, die von der befragten Person erfordert, die Blickwinkel ändern zu können.

Abschließend beschreibt Kallus das Konzept des modularen Fragebogens. Dieses stellt eine Kombination unterschiedlicher Differenziertheit dar, bei dem allgemein orientierte und spezifische Fragen in systemischer Weise kombiniert werden. Der spezifische Teil erfasst Details des jeweiligen Feldes (teleobjektiv), während der allgemeine und unspezifische Teil ein breiter Vergleich mit anderen Populationen zur Gesamtbewertung und Einordnung der Ergebnisse und dem daraus resultierenden Weitwinkel ist. In der Regel erfolgt die Datenauswertung bei allen vier Varianten über Statistikprogramme.

6.2.5 Die Qualität der Endfassung des Fragebogens

Auch in diesem Punkt unterscheidet Kallus erneut zwischen verschiedenen Begrifflichkeiten, die für die Qualität des Fragebogens stehen (Kallus, 2016, S. 116 ff.). Als den ersten zentralen Punkt benennt Kallus die Zuverlässigkeit und Reproduzierbarkeit, auch Reliabilität genannt. Diese beschreibt, dass die befragte Person bestimmte Testwerte aufweisen muss, die mit den situativen Bedingungen zum Testzeitpunkt zusammenhängen. In Fall der vorliegenden Befragung bedeutet dies, dass die befragte Person zum Zeitpunkt der Testung in der Jugendhilfe als Leitung tätig sein muss. Dies stellt den Testwert dar. Die Gültigkeit benennt Kallus als Validität. Diese bezieht sich auf die inhaltliche Abbildung des Merkmals durch die Frage-Antwort-Einheit, in diesem Fall also auf die Items. Die Validität wird von Kallus abermals unterteilt in die soziale Validität, die Augenscheinvalidität und die Konstruktvalidität (vgl. Kallus, 2016, S 121 ff.). Eine soziale Validität ist bei vollständiger Information, Partizipation, Transparenz und einem Feedback gegeben. Die soziale Validität beschreibt somit auch eine Form der Akzeptanz. Die Augenscheinvalidität ergibt sich aus dem Urteil von Expert*innen, dass sie die Frage in plausibler Weise auf einen bestimmten Merkmalsbereich beziehen. Die Konstruktvalidität gibt abschließend Auskunft darüber, ob die Korrelationen theorie- und konzeptkonform sind und das Wissen und andere empirische Ergebnisse dem Merkmalsbereich entsprechen. Auch in diesem Punkt wird die Validität nochmals unterschieden in drei Korrelationen: zum einen in die diskriminante Validität, die eine niedere Korrelation ist, in die konforme Validität, die eine positive Korrelation darstellt, und in die inkrementelle Validität, die zu etwas Neuem beiträgt.

Abschließend beschreibt Kallus, dass Fragen und Antworten stets so gestellt sein sollten, dass die befragte Person sofort dazu in der Lage sein sollte, Rückschlüsse auf den entsprechenden Subtest zu geben (Kallus, 2016, S. 132).

7. Vorbereitung des Fragebogens

7.1 Beschreibung der Probanden und Ziel der Befragung

Bei den Teilnehmenden der Untersuchung handelt es sich um Führungskräfte der ambulanten Jugendhilfe nach § 30 und § 31 SGB VIII sowie Führungskräfte der stationären Jugendhilfe nach § 19 sowie § 33–35a und § 42 SGB VIII ( Gesetze für die Soziale Arbeit, 2016). Insgesamt werden sechs Führungskräfte verschiedener sozialwirtschaftlicher Unternehmen der ambulanten und stationären Jugendhilfe befragt, um einen breiten Überblick über die verschiedenen Angebote der Unternehmen zu erlangen. Ziel der Befragung soll es sein, festzustellen, ob Unternehmen, die mehr Mitarbeitendenfürsorge und -vorsorge betreiben, stabilere Teams haben als Unternehmen mit weniger Angeboten für Mitarbeitende.

7.2 Aufbau des Fragebogens

Fragen zum Unternehmen:

- In was für einem sozialwirtschaftlichen Unternehmen arbeiten Sie?
- In welcher Position arbeiten Sie dort?
- Geschäftsführung
- Regional- oder Bereichsleitung
- Teamleitung
- Mitarbeiter*in
- Sonstige
- Wie sind die hierarchischen Strukturen in Ihrem Unternehmen aufgebaut? Bitte beschreiben Sie die hierarchischen Ebenen in kurzen Stichpunkten.
- Wonach richtet sich die Bezahlung in Ihrem Unternehmen?
- TVöD
- TV-L
- Trägerinterner Tarif
- Angelehnt an TVöD oder TV-L
- Bitte benennen Sie kurz die Abweichungen.
- Wie viele Tage Urlaub stehen einem Mitarbeitenden zu?
- In welchen Fällen haben Mitarbeitende Anspruch auf Sonderurlaub?
- Werden Überstunden berechnet oder sind diese mit dem Gehaltsmodell abgegolten? Wenn ja, wie werden diese berechnet?
- Analoge Zeiterfassung durch die Mitarbeitenden
- Analoge Zeiterfassung durch die Führungskraft (bspw. fester Dienstplan)

[...]

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang von Resilienz und betrieblichem Gesundheitsmanagement
Hochschule
Alice-Salomon Hochschule Berlin  (Paritätische Akademie Berlin)
Note
1,3
Autor
Jahr
2022
Seiten
141
Katalognummer
V1196171
ISBN (eBook)
9783346641335
ISBN (eBook)
9783346641335
ISBN (eBook)
9783346641335
ISBN (Buch)
9783346641342
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Resilienz, BGM, BEM, betriebliches Gesundheitsmanagement
Arbeit zitieren
Julia Groeneveld (Autor:in), 2022, Der Zusammenhang von Resilienz und betrieblichem Gesundheitsmanagement, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1196171

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