Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Herausforderungen und Möglichkeiten der Begleitung


Bachelorarbeit, 2020

57 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Hinführung
2.1 Begriffsbestimmung Übergang - Transition
2.2 Transitionsforschung
2.2.1 Die Entwicklung der Transitionsforschung
2.3 Transitionsmodell nach Griebel und Niesel (2004)
2.3.1 Transition als ko-konstruktiver Prozess
2.3.2 Die AkteurInnen im Übergangsprozess
2.3.3 Transition als prozesshaftes Geschehen
2.3.4 Struktur der Entwicklungsaufgaben
2.3.5 Passung - Entwicklungsaufgaben und Voraussetzungen

3. Bewältigung von Transitionen
3.1 Bedingungen für das Gelingen oder Scheitern eines Übergangs
3.1.1 Schutzfaktoren
3.1.2 Risikofaktoren
3.1.3 Spannungsfeld Kontinuität - Diskontinuität
3.2 Bewältigte Grundschulübergänge
3.2.1 Schulfähigkeit
3.2.2 Kompetenzen zur Bewältigung des Übergangs

4. Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule
4.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
4.2 Kooperationsgestaltung
4.3 Gestaltung des Anfangsunterrichts

5. Folgen für die Pädagogische Umsetzung
5.2 Zur Rolle der Lehrkraft
5.3 Beispielhafte Gestaltungsmöglichkeit Kooperationsstunde

6. Abschließende Betrachtung

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

9. Anhang

1. Einleitung

Der erste Schultag ist ein besonderes Ereignis im Leben, an das sich viele Menschen bis ins hohe Alter erinnern können. Voller Vorfreude warten die 5- bis 6-Jährigen schon Wochen zuvor auf diesen einen Tag. So erging es wohl auch den 733 000 Kindern, welche zu Beginn des laufenden Schuljahres 2019/2020 in Deutschland eingeschult wurden (Statistisches Bundesamt - Pressemitteilung Nr.435). Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist dabei ein Ereignis, das nicht nur Vorfreude entstehen lässt, sondern auch mit Stress, Unsicherheiten und vielen Herausforderungen und Veränderungen einhergeht. Herausforderungen sowohl für die Kinder, Eltern, als auch pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte.

Da ein gelungener Übergang wegweisend für den weiteren Verlauf der Bildungsbiografie der Kinder ist, wird die Wichtigkeit dieses Themas deutlich. (Griebel 2004, S.39) Nun stellen sich die Fragen: Wie kann ein Übergang vom Kindergarten in die Grundschule gelingen? Welche Möglichkeiten hat eine Lehrkraft um einen positiven Effekt auf den Verlauf auszuüben und einen gelungen Schulstart zu ermöglichen? Dem geht die vorliegende Arbeit nach.

Ausgehend von diesen einleitenden Fragestellungen gibt das erste Kapitel zunächst eine theoretische Einführung in die Thematik Transitionen, deren Forschungshintergrund, als auch in das Transitionsmodell nach Griebel und Niesel. Die anschließenden Ausführungen in Kapitel 2 beschäftigen sich mit den Bedingungen eines erfolgreichen Übergangs und welche Ursachen eine Fehlanpassung oder ein gescheiteter Übergang haben können. Das vierte Kapitel steigt in praktische Bezüge ein und befasst sich zunächst mit der Kooperationsarbeit von Kindergarten und Grundschule. Ergänzend dazu folgt in Kapitel 5 eine konkrete Erarbeitung eines praktischen Unterrichtsbeispiels. Außerdem wird die Rolle der Lehrkraft im Übergangsprozess in den Fokus genommen. Die Arbeit schließt mit einem Fazit und rundet so den Beitrag ab.

2. Theoretische Hinführung

Zunächst wird der Begriff Transition definiert und die Entwicklung der Transitionsforschung dargelegt. Dadurch soll zu Beginn der Arbeit eine theoretische Grundlage geschaffen werden. Diese trägt zum Verständnis des Transitionsprozesses vom Kindergarten in die Grundschule bei.

2.1 Begriffsbestimmung Übergang - Transition

Der Begriff Transition leitet sich vom lateinischen Wort „transire“ ab und bedeutet „übergehen“ oder „überschreiten“ (Dudenredaktion o.J.). Übergang und Transition werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Abgrenzen lassen sich die beiden Begriffe durch ihre Anwendung im Alltag (Übergang) und der Fachsprache (Transition). (Griebel 2011, S. 35)

Gekennzeichnet sind Übergänge oder Transitionen durch Veränderungen, dies findet sich auch in der Definition von Harald Welzer (1993). Der Sozialpsychologe beschreibt Übergänge als besondere Lebensereignisse, die mit bedeutsamen Veränderungen für das Individuum einhergehen. Sie sind in soziale Prozesse eingebettet und müssen mit konzentrierten Lernprozessen bewältigt werden. Welzer (1993) sieht den Forschungsgegenstand Transition an einer Schnittstelle im Bereich des individuellen Handlungs- und Bewältigungsvermögen und dem Bereich der gesellschaftlichen Handlungsvorgaben und -anforderungen. Transitionen stellen sich als komplexe, ineinander übergehende und sich überblendende Wandlungsprozesse dar. Immer dann, wenn Lebens­zusammenhänge eine massive Umstrukturierung erfahren. Charakteristisch typisch ist ebenfalls, dass die betreffende Person, Phasen beschleunigter Veränderungen und eine besonders lernintensive Zeit durchmacht. (Welzer 1993, S. 37) Innerhalb dieser Phasen häufen sich unterschiedliche Belastungsfaktoren an. Belastungsfaktoren entstehen, wenn entsprechende Anpassungsleistungen erbracht werden sowie innerpsychische Prozesse und Beziehungen zu Mitmenschen neugestaltet werden müssen. (Cowan 1999, zit n. Griebel und Niesel 2004, S.35)

Ergänzend dazu sollte die Struktur von familiären Übergängen nach Professor Wassilios E. Fthenakis berücksichtigt werden. Übergänge bringen demnach in den folgenden drei Bereichen Veränderungen: auf individueller (das Individuum betreffend), interaktionaler (zwischenmenschlich betreffend) und auf kontextueller (Umfeld betreffend) Ebene. Ist dem nicht so, so kann man nicht von Transition sprechen. Denn, nicht das Lebensereignis als solches wird zu einer Transition, sondern im entwicklungspsychologischen Sinne dessen Verarbeitung und Bewältigung. (Fthenakis 1999, S.49)

Zu den typischen Übergängen im Leben gehören Geburt, Schuleintritt, Pubertät, Eheschließung oder auch das Berufsende. Wie hier und im vorherigen Abschnitt deutlich wurde, finden sich unterschiedliche Formen von Übergängen. In der Literatur wurden diese wie folgt klassifiziert.

- Entwicklung von Familien und ihren Strukturen (Fthenakis 1999)
- Übersiedlung in ein anderes Gesellschaftssystem (Welzer 1999)
- Übergänge vom Bildungssystem ins Erwerbsleben (König und Bührmann 2008; Kutcha 1991)
- Übergänge innerhalb des Bildungssystem (Griebel und Niesel 2004)

Der institutionelle Übergang vom Kindergarten in die Grundschule lässt sich sowohl bei Fthenakis (1999) als auch bei Griebel und Niesel (2004) verorten, denn er betrifft sowohl Veränderung im Leben des Kindes, als auch Veränderungen für die Eltern beziehungsweise innerhalb der Familie und Familienstruktur. (Griebel und Niesel 2013, S. 35) Weiter eingrenzen lässt sich der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule durch den Begriff des normativen Lebensereignisses oder Entwicklungsschrittes. Normative Entwicklungsschritte meinen Entwicklungen, die nicht nur der oder die Einzelne vollzieht, sondern mehrere Menschen in gleicher Art und Weise vollziehen. (Thun-Hohenstein 2005, S.7) Beim Ereignis Schuleintritt wird es daran deutlich, dass annähernd alle Kinder eines bestimmten Jahrgangs, zu einem bestimmten Zeitpunkt, mit dem Übergang und dessen Bewältigung konfrontiert sind (Beelmann 2013, S.12).

Da sich die vorliegende Arbeit auf den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule fokussiert, finden die Veröffentlichungen von Diplom-Psychologe Wilfried Griebel und Diplom Psychologin Renate Niesel besondere Beachtung. Beide waren prägende Wegbereiter in der Übergangsforschung.

Als zusammenfassende Aussage von Kapitel 2.1 lässt sich daher der in ihrer Forschung definierte Transitionsbegriff wie folgt festhalten:

„Transitionen sind Lebensereignisse, die Bewältigung von Diskontinuitäten auf mehreren Ebenen erfordern, Prozesse beschleunigen und intensiviertes Lernen anregen und als bedeutsame biografische Erfahrungen von Wandel in der Identitätsentwicklung wahrgenommen werden.“ (Griebel und Niesel 2013, S. 37)

2.2 Transitionsforschung

In den nachfolgenden Kapiteln sollen zunächst wissenschaftliche Konzepte zur Transitionsforschung erläutert werden. Anschließend wird das darauf aufbauende Modell zur Übergangsforschung nach Griebel und Niesel (2004) erläutert. Dieses Modell nimmt die Bewältigung von Veränderungen beim Eintritt in Bildungseinrichtungen und Übergänge zwischen Bildungseinrichtungen in den Fokus. (Griebel und Niesel 2013, S.35)

2.2.1 Die Entwicklung der Transitionsforschung

Die Übergangsforschung stellt ein heterogenes und komplexes Forschungsfeld dar (Griebel und Niesel 2004, S.35). Sie hat ihre Wurzeln in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Es finden sich Ansätze aus der Anthropologie, Soziologie, Pädagogik sowie Psychologie. (Griebel 2011, S. 35f) Transitionen im Bildungssystem sind dabei mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen behandelt worden (Griebel 2004, S.26f.). Im Nachfolgenden werden die theoretischen Ansätze dargestellt, welche als Grundlage von Studien zum Schuleintritt herangezogen werden und damit nach vorherrschender Meinung Akzeptanz erfahren. (Grotz 2005, S.17)

-Ökopsychologische Ansatz -

Bronfenbrenner (1981) beschreibt die menschliche Entwicklung als „dauerhafte Veränderung der Art und Weise, wie die Person die Umwelt wahrnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt“ (Bronfenbrenner et al. 1981, S.19 ). In seiner Theorie besteht eine andauernde Wechselwirkung zwischen dem Individuum und der Umwelt. Dabei besteht die Umwelt aus verschiedenen sich überschneidenden Systemen, die jeweils immer vom nächsten System umschlossen werden. Diese unterschiedlichen Systemebenen definiert er als Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosysteme. (Bronfenbrenner et al 1981, S.38)

Das Mikrosystem stellt den Lebensbereich der sich entwickelnden Person dar. Es ist ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die die in Entwicklung betreffende Person in einem gegebenen Lebensbereich mit den ihm eigentümlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt. (Bronfenbrenner et al 1981, S.38) Lenkt man den Blick dieser Theorie auf das Alter zwischen ca. null und sechs Jahren, so repräsentiert das Mikrosystem eines Kindes zunächst in erster Linie die Familie. Später kommen Krippe, Kindergarten, die Schulklasse oder der Freundeskreis als weitere Mikrosysteme dazu. (Beelmann 2013, S.17; Hacker1998, S.37)

Das Mesosystem beinhaltet die Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Lebensbereichen, an denen sich die zu entwickelnde Person aktiv beteiligt (Bronfenbrenner 1981, S.41). Beim Kind stellt dies die Wechselbeziehung zwischen Familie und Kindergarten oder zwischen Familie und Schule dar. (Beelmann 2013, S.18)

Zu dem Exosystem gehören Lebensbereiche, in denen die Person nicht direkt beteiligt ist und diese auch nicht direkt beeinflussen kann. In Exosystemen finden aber Ereignisse statt, welche die Person unbewusst beeinflusst oder von denen sie unbewusst beeinflusst wird. Bei einem Kind wäre das zum Beispiel der Arbeitsplatz der Eltern oder auch die Schulklasse älterer Geschwister. (Bronfenbrenner et al. 1981, S.42; Beelmann 2013, S.18)

Das Makrosystem beeinflusst beispielsweise den Erziehungsstil der Eltern durch bestimmte gesellschaftliche Erziehungsleitbilder. Unter Makrosystemen versteht man demnach grundsätzliche formale und inhaltliche Ähnlichkeiten der Systeme niedriger Ordnungen (Mikro-, Meso- und Exo-), die in Teilen der jeweiligen Kultur oder der gesamten Kultur bestehen und von den vorherrschenden Werten und Normen dominiert werden. (Beelmann 2013, S.18)

Es zeigt sich wie anfangs beschrieben, dass alle Systeme mit dem Verhalten des Kindes in wechselseitiger Beziehung stehen. Bronfenbrenner misst dem Übergang in ein neues System besondere Bedeutung zu und nennt die solchen „ökologische Übergänge“. Dazu gehört auch der Schuleintritt, bei welchem sich das Kind an ein neues System, in diesem Fall die Schule, außerhalb der Familie anpassen muss. Weiter beschreibt Bronfenbrenner das Einhergehen des Übergangs mit unterschiedlichen Veränderungen: in der Identität, in der Rolle und in zwischenmenschlichen Beziehungen des Kindes. (Griebel 2004, S.27f.; Griebel 2011, S.40) Der ökopsychologische Ansatz allein ist jedoch als Grundlage nicht ausreichend, da unklar bleibt wie Diskontinuitäten, die beim Übergang entstehen, zu bewältigen sind (Griebel und Niesel 2004, S.87).

-Kritische Lebensereignisse-

Filipp's (1995) Ansatz der „kritischen Lebensereignisse“ beschreibt Veränderungen im Lebenslauf der Kinder. Sie definiert kritische Lebensereignisse zum einen als Ereignisse, die gekennzeichnet sind durch Veränderungen der sozialen Lebenssituation des Individuums, zum anderen als Anpassungsleitung, die das Individuum als Reaktion zeigen muss. (Filipp 1995, 5.23) Die folgenden drei Merkmale kennzeichnen ein kritisches Lebensereignis nach Filipp (1995). Das Lebensereignis muss raumzeitlich zu lokalisieren sein, eine Neuorganisation des Person- Umweltgefüges ist erforderlich und das Ereignis führt unmittelbar zu emotionalen Reaktionen der Person. (Filipp 1995, 5.24) . Beleuchtet man nun das Ereignis Schuleintritt so lässt sich feststellen, dass alle drei Merkmale erfüllt werden. Die Einschulung ist im Erfahrungsprozess des Kindes raumzeitlich lokalisierbar, da alle schulpflichtigen Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Grundschule eintreten. Eine Neuanpassung an die Umwelt findet statt, da sich das Kind in einer veränderten sozialen Lebenssituation befindet, in einer neuen Institution, mit neuen Regeln und neuen Mitmenschen. Und auch unmittelbare emotionale Reaktionen sind festzustellen. Das Kind erfährt beim Übergang starke Emotionen und Stress. (Grotz 2005, S.19) Hier lässt sich ergänzend dazu der Stressansatz, welcher auf der nächsten Seite erläutert wird, nennen.

Zu berücksichtigen bei Filipp's Ansatz ist, dass der Begriff kritisches Lebensereignis nicht ausschließlich negativ zu besetzten ist. Vielmehr ist ein kritisches Lebensereignis als Herausforderung zu sehen. Diese kann sowohl in eine positive Entwicklung münden, als auch mit Risiken und Fehlpassungen einhergehen. Der Schuleintritt kann also folglich sowohl entwicklungs­gefährdendes als auch entwicklungsförderliches Potential beinhalten. Ausschlaggebend ist hier, ob dem Kind die Bewältigung und Anpassung gelingt. (Grotz 2005, S.19) Wie eine Bewältigung gelingen kann wird in Kapitel 3 beantwortet. Das Problem dieses Ansatzes besteht darin, kritische Lebensereignisse eindeutig definieren zu wollen. Im Vergleich dazu führt das Transitionsmodell nach Griebel und Niesel über den Ansatz der kritischen Lebensereignisse hinaus und nimmt zusätzlich die Entwicklung der Identität mit in den Blick. (Griebel und Niesel 2004, S.91f.; Griebel 2004, S.32; Griebel 2011, S.41f.)

-Stressansatz­

Anhand des Stressansatzes nach Lazarus (1995) kann eine Bestimmung und Untersuchung von Anforderungen und Belastungen einschließlich ihrer subjektiven Wahrnehmung und Bewertung durchgeführt werden. Eine Theorie der Transitionen kann deshalb auf das Basiswissen aus dem Stressparadigma nicht verzichten. (Griebel und Niesel 2004, S.89)

Stress ist laut Lazarus (1995) folgendermaßen definiert: „Allgemein gesehen bezieht sich psychischer Streß auf (u.U. miteinander konkurrierende) Anforderungen, die in der Einschätzung der betroffenen Person interne oder externe Ressourcen auf die Probe stellen oder überschreiten.“ (Lazarus 1995, S.213) In Bezug auf den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule bedeutet das, dass negativer Stress beim Kind erst dann ausgelöst wird, wenn es den unterschiedlichen Anforderungen weder mit Hilfe von eignen Ressourcen noch mit Unterstützung des sozialen Umfelds bewältigen kann. (Grotz 2005, S.28) Das bedeutet, dass in diesem Ansatz Stresssituationen als dynamische Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt gesehen werden, die darauf beruhen, wie ein Individuum seine Beziehung zur Umwelt wahrnimmt, bewertet und konstruiert. (Lazarus 1995, S. 204f.)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stresstheorie Perspektiven integriert, die die subjektive Sicht des betroffenen Kindes berücksichtigen und zur Bewältigung überleiten. Zentrale Inhalte sind Stress, Bewältigung und Entwicklung. Es fehlen aber dennoch Perspektiven, die die Ebenen der biografischen Einordung und Identitätsentwicklung berücksichtigen. (Griebel und Niesel 2004, S. 89)

-Familien-Transitions-Modell -

Cowan (1991) entwickelte das Familien - Transitionsmodell, um Übergänge zu beschreiben, die die ganze Familie betreffen. Erstmalig wird nicht nur die Perspektive des vom Übergang betroffenen Individuums berücksichtigt. Es werden ebenso alle Perspektiven aller Familienmitglieder in Betracht gezogen. (Cowan 1991, S.7). In seinem Modell geht Cowan davon aus, dass der Übergangsprozess und die damit verbundenen Veränderungen eines Familienmitglieds auch Auswirkung auf andere Familienmitglieder haben und dessen Veränderungen wiederum weitere Auswirkungen im Familienverband haben. (Cowan 1991, S.7) Bei diesem Konzept finden neben äußeren Umweltveränderungen vor allem die intrapsychische Veränderungs- und sozialen Reorganisationsprozesse Berücksichtigung. (Beelmann 2013, S. 21) Das bedeutet, das bei der von einer Transition betroffenen Person und ihrer Familie Veränderung bezüglich ihrer Sicht auf sich selbst oder ihre Beziehung zueinander festzustellen sind. Cowan (1991) fasst dies unter den Begriffen der individuellen Ebene und der sozialen Ebene. (Cowan 1991, S.17)

Dissonanzerleben und eine emotionale Verunsicherung führen anschließend und in der Regel zu einer Anpassung an die veränderte Umwelt. (Beelmann 2013, S. 21) Von der betroffene Person werden vielfältige Bewältigungsstrategien auf verschiedenen Ebenen gefordert, die im Idealfall zu einer Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts führen. (Cowan 1991, S.15) Nach außen zeigen sich Übergangsprozesse durch eine veränderte Rolle der Person. Neue Rollen und Rollenvorstellungen kommen hinzu, während alte Rollen wegfallen. Dadurch werden die mit dem Übergang verbundenen Rollenvorstellungen neu definiert. Veränderungen in bestehenbleibenden Rollen ergeben sich beispielsweise in den Anforderungen, die sich an das neue Schulkind seitens der Eltern stellen. (Cowan 1991, S.16) Für Cowan spielen in der Übergangsbewältigung vorangegangene Erfahrungen erfolgreicher Anpassung und Risiko- und Schutzfaktoren (►siehe Kapitel 3.1) eine zentrale Rolle. Weitere wichtigen Faktoren einer erfolgreichen Bewältigung sind sowohl verfügbaren Ressourcen als auch die Bedeutung der Transition für den Einzelnen und für die Familie. (Griebel und Niesel 2013, S.29)

2.3 Transitionsmodell nach Griebel und Niesel (2004)

Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, bilden die vorgestellten Ansätze der Übergangsforschung die Grundlage für Griebel und Niesels Transitionsmodell. Cowans Transitionsansatz wurde von den beiden Diplom- Psychologen auf den Übergang und dessen Bewältigung beim Eintritt in und zwischen Bildungseinrichtungen übertragen und am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München (IFP) weiterentwickelt. Der ökopsychologische Ansatz richtet den Blick innerhalb des Modells auf Entwicklung im sozialen Zusammenhang. Der Stressansatz wurde dahingehend integriert, dass die Berücksichtigung von Überforderung und Motivation Auswirkung auf die Bewältigung haben. Dabei wurden Veränderungen auf der subjektiven Ebene, der Identität eingeführt. Durch die Theorie der kritischen Lebensereignisse wurde der Bezug zu Stress, Bewältigung und Entwicklung hergestellt (Griebel und Niesel 2004, S.93; Griebel und Niesel 2013, S.35f.).

Hervorzuheben ist eine Erweiterung des Personenkreises, die sich aktiv mit dem Transitionsprozess auseinandersetzen. Zu den Akteuren und Akteurinnen zählen nunmehr Pädagogische Fachkräfte, Geschwister oder auch Großeltern. Nicht nur die Kinder selbst und deren Eltern sehen sich mit Entwicklungsanforderungen konfrontiert. Alle am Prozess Beteiligte werden in den Blick genommen. (Griebel und Niesel, 2004 S. 8)

Das auf zwei Pilotstudien aufbauende theoriegeleitete Modell wurde im Austausch nationaler und internationaler Transitionsforschung, im Rahmen von Projekten und in der Praxis diskutiert und überprüft. (Griebel und Niesel 2013, S.35) Das Transitionsmodell hat unterschiedliche Ziele zugrunde liegen. Es soll Übergangsprozesse transparenter machen und den Blick für die komplexen Veränderungsprozesse schärfen.

Des Weiteren soll der pädagogischen Praxis ein Instrument zur Verfügung gestellt werden. Durch eine Analyse der Anforderungen sollen konkrete pädagogische Maßnahmen formuliert, entwickelt und eingeleitet werden, um so allen beteiligen Personen die Übergangsbewältigung und -begleitung zu erleichtern. (Griebel und Niesel 2004, S.119; Niesel 2004, S.90; Griebel und Niesel 2006, S.11; Griebel und Niesel 2013, S.38).

Die folgenden Schwerpunkte stehen im Mittelpunkt des Transitionsmodells:

- „Die Berücksichtigung aller Akteure und
- ihr Zusammenwirken
- in einem prozesshaften Geschehen,
- in dem die für eine erfolgreiche Übergangsbewältigung benötigten Kompetenzen identifiziert und entwickelt werden.“ (Griebel und Niesel 2013, S.116)

Da das entwickelte Modell bei verschiedenen Übergängen Anwendung findet, soll an dieser Stelle nochmals erwähnt werden, dass in Bezug zum Thema der Arbeit ausschließlich der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule in den Blick genommen wird. Die fortlaufende Beschreibung des Modells beschränkt sich deshalb auf diesen speziellen Übergang. Die Modellbeschreibung beginnt mit einer kurzen Einführung als Gesamtüberblick des Transitionsmodells nach Griebel und Niesel (2004). Anschließend wird detailliert auf einzelne Schwerpunkte eingegangen.

2.3.1 Transition als ko-konstruktiver Prozess

Während des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule und vor allem auch am Tag der Einschulung steht das Kind im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Jedoch ist eine Vielzahl weiterer Personen an diesem wichtigen Schritt beteiligt. Die im Nachfolgenden beschriebene Abbildung 1 des Transitionsmodells nach Griebel und Niesel (2004) verdeutlicht das Zusammenwirken der beteiligten Personen und die Funktion, die sie bei der Transition einnehmen. (Griebel und Niesel 2004, S.121; Niesel 2004, S.89).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1- Transitionen als ko-konstruktiver Prozess (Griebel und Niesel 2013, S.116)

Auf der linken Seite der Abbildung sind alle Personen oder auch sogenannte „bewältigenden“ AkteurInnen aufgeführt, welche den Übergang bewältigen müssen. Dazu gehören sowohl die Kinder als auch die Eltern. Auf der rechten Seite stehen alle Personen, welche den Übergang begleiten und Einfluss nehmen, laut Griebel und Niesel (2004) „moderierende“ AkteurInnen. Dazu gehören ErzieherInnen, LehrerInnen oder auch Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld des Kindes oder der Eltern. Transition wird in diesem Modell als ko-konstruktiver Prozess verstanden. Sichtbar wird dies durch Kommunikation und Partizipation zwischen den bewältigenden AkteurInnen und den unterstützenden, moderierenden AkteurInnen. Es entwickeln sich durch diesen Prozess sowohl Basiskompetenzen als auch schulnahe Vorläuferkompetenzen auf Seiten der bewältigenden AkteurInnen. Die Transition ist erst abgeschlossen, wenn Kindergartenkinder zu Schulkindern werden und Eltern zu Schulkind-Eltern werden. (Griebel und Niesel 2004, S.121f.; Niesel 2004, S.91f.) Transitionen sind, wie bereits angerissen soziale Prozesse, da unterschiedliche AkteurInnen in Interaktion miteinander treten. Als Ko- konstruktiven Prozess versteht man den Übergang dann, wenn sich alle Beteiligten verständigen und Klarheit über die Zusammenarbeit besteht. (Griebel und Niesel 2013, S.118). Es soll eine „Übereinstimmung in der Sinnhaftigkeit für alle Beteiligten“ (Niesel 2004, S.96) entstehen. Die Kompetenz, einen Übergang erfolgreich zu bewältigen, kennzeichnet demnach nicht das einzelne Kind, sondern alle beteiligten sozialen Systeme gemeinsam (Griebel und Niesel 2006, S.8).

2.3.2 Die AkteurInnen im Übergangsprozess

Wie in der vorherigen Modellbeschreibung angeführt wird zwischen „Bewältigern“ und „Moderieren“ unterschieden. Zwischen den beteiligten Personen des Übergangsprozess sind bedeutsame Unterschiede zu verzeichnen. Deutlich wird dies bei der jeweiligen Funktion der Beteiligten. (Niesel 2004, S.92). Die pädagogischen Fachkräfte und das soziale Umfeld erleben keinen Übergang im Sinne des Transitionsmodells, da sie keine Veränderung ihrer Identität erfahren. Sie begleiten den Übergangsprozess und moderieren ihn aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation, wodurch ihnen eine Schlüsselfunktion zukommt (Griebel und Niesel 2004, S.76). Im Vergleich dazu sind die vom Übergang betroffenen Kinder und Eltern nicht nur Empfänger der unterstützenden und fördernden Maßnahmen, sondern auch aktive Bewältigter und Mitgestalter des Prozesses, weshalb alle Bewältiger ebenso auf der Moderierenden Seite des Modells zu finden sind. Den Eltern kommt außerdem eine Doppelfunktion zu. Sie selbst werden mit den Anforderungen der Übergangsbewältigung konfrontiert, sind aber gleichzeitig Unterstützer ihres Kindes. Meistens ist den Eltern lediglich letztere Funktion bewusst. Deshalb ist es eine wichtige pädagogische Aufgabe, die Eltern in ihrem Übergangsprozess zu unterstützen und ihnen geeignete Bewältigungsstrategien aufzuzeigen (Niesel 2004, S.93; Griebel und Niesel 2006, S.8). Des Weiteren wird in Abbildung 1 deutlich, dass bei den aktiven Bewältigern, also Eltern und Kinder, Unterschiede gemacht werden in Hinblick auf ihr Geschlecht. Jungen und Mädchen, sowie Väter und Mütter werden dabei differenziert betrachtet, da geschlechtsspezifische Merkmale bei der Bewältigung des Übergangs eine Rolle spielen. Dieses Unterscheidungsmerkmal Geschlecht soll hier aber auch stellvertretend für viele Individuelle Unterschiede in der Persönlichkeit eines jeden Bewältigers stehen. Es soll aufmerksam machen auf die Heterogenität in der Gruppe der Schulanfänger und zwischen den Familien, sodass dies durch gezielte pädagogische Begleitung berücksichtigt wird und darauf reagiert wird. Denn nicht alle Familien und Kinder bedürfen jeder Form von Unterstützung. Die gewählte Unterstützung soll aber immer in Hinblick auf Intention und Bedürfnis erfolgen. (Griebel und Niesel 2004, S.121f.; Niesel 2004, S. 91ff.).

2.3.3 Transition als prozesshaftes Geschehen

Transition ist ein prozessuales Geschehen. Sie erstreckt sich immer über einen längeren, meist nicht vorhersagbaren, Zeitraum. Sie beginnt bereits vor dem Schuleintritt und dauert individuell unterschiedlich lange. Erst in der Schule schließt der Prozess mit schulspezifischen Erfahrungen ab (►siehe Kapitel 3.2.1 Schulfähigkeit). (Griebel und Niesel 2004, S.122; Griebel und Niesel 2011, S.118; Niesel 2004, S.93) Festmachen lässt es sich daran, dass ein Kindergartenkind zum Schulkind und Eltern zu Schulkind- Eltern werden. (Niesel 2004, S.91). Der Übergangsprozess nimmt oft längere Zeit in Anspruch als zu Anfang erwartet (Griebel und Niesel 2004, S.122). Das Zugestehen eines längeren Zeitraums der Eingewöhnung kann für die Eltern dabei eine wichtige und entlastende Funktion haben (Griebel und Niesel 2004, S.77). Bei den Maßnahmen zur Übergangsbegleitung müssen demnach unterschiedliche Entwicklungszeiträume sowie Entwicklungstempi berücksichtigt werden, wie auch bewusst sein muss, dass Schulfähigkeit erst im Zusammenhang mit Schulerfahrungen erreichbar ist und somit erst in der Schule abgeschlossen wird. (Griebel und Niesel 2004, S.122) Schulfähigkeit ist demnach ein Konstrukt, welches von allen Beteiligten in einem ko-konstruktiven Prozess inhaltlich zu füllen ist (Griebel und Niesel 2006, S.10).

2.3.4 Struktur der Entwicklungsaufgaben

Übergänge bringen verschiedenste Veränderungen mit sich. Dafür muss das Kind Kompetenzen erwerben, die es in die Lage versetzt, die Veränderungen zu bewältigen und den neuen Aufgaben gerecht zu werden. Die mit dem Übergang verbundenen Anforderungen finden laut Griebel und Niesel (2004) auf mehreren Ebenen statt: auf der individuellen, der interaktionalen und der kontextuellen Ebene. Erfahrbar wird dies beim Kind durch das Erleben von Diskontinuitäten in der eigenen Lebenswelt. Diskontinuitäten fordern Anpassungsleistungen, welche sich als Entwicklungsaufgaben charakterisieren lassen. Der Begriff der Entwicklungsaufgabe zeichnet sich hier im Vergleich zur Anforderung stärker durch eine positive und motivationale Behaftung aus. Da die Entwicklungs­aufgaben beim Übergang Kindergarten in die Grundschule in relativ kurzer Zeit geleistet werden müssen, werden diese verdichteten Lernprozesse als Entwicklungsstimulus benannt. Um den Übergang angemessen begleiten zu können, müssen die Anforderungen für alle Beteiligten möglichst genau bekannt sein. (Griebel und Niesel 2003, S.140; Griebel und Niesel 2004, S.123; Niesel 2004, S.94; Griebel und Niesel 2006, S.8f.) Aus diesem Grund werden nachstehend die einzelnen Veränderungen, Anpassungen und Lernprozesse der jeweiligen Ebenen erläutert.

-Individuelle Ebene-

Auf der individuellen Ebene erlebt das Kind beim Eintritt in die Schule einen Statuswechsel, das Kindergartenkind wird zum Schulkind. Von den ehemals „großen“ Vorschulkindern ändert sich der Status in die „kleinen“ Schulanfänger. Dieser Wechsel hat Auswirkung auf das kindliche Selbstkonzept und dessen Identität. Im Übergang wird das Kind mit eigenen starken Emotionen konfrontiert. Es erlebt Vorfreude, Neugier, Unsicherheit und Angst, die reguliert werden müssen. Zusätzlich müssen beim Schuleintritt neue Fertigkeiten angeeignet und erweitert werden, wie z.B. die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Ausbildung eines Zugehörigkeitsgefühls wird ebenfalls als eine individuelle Anforderung gesehen. Es zeigt sich, dass mit dem Schuleintritt der Erwerb neuer Kompetenzen und der Ausbau bereits vorhandener Kompetenzen einher gehen. Neue Verhaltensweisen sind hier als Entwicklung erkennbar. (Griebel und Niesel

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Details

Titel
Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Herausforderungen und Möglichkeiten der Begleitung
Hochschule
Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd
Veranstaltung
-
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
57
Katalognummer
V1196242
ISBN (eBook)
9783346645203
ISBN (Buch)
9783346645210
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Übergang, Transition, Kindergarten, Grundschule, Bachelorarbeit
Arbeit zitieren
Maria Wratschko (Autor:in), 2020, Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule. Herausforderungen und Möglichkeiten der Begleitung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1196242

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