Die komplementäre Beziehung zwischen Mirth und Melancholy in John Miltons 'L’Allegro' und 'Il Penseroso'


Hausarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Interpretationsansätze

L'Allegro

Il Penseroso

Die komplementäre Beziehung zwischen Mirth und Melancholy
Struktur und Metrum
Inhalt
Bedeutung
Yin- Yang- Entsprechungen
Hell – Dunkel
Anfang eines Zyklus’ - Ende eines Zyklus’
Dynamik - Starre
Einheit aus Gegensätzen

Fazit

Literature

Einleitung

L'Allegro und Il Penseroso gehören zu den frühen Gedichten, die John Miltons während seiner Jahre in Cambridge geschrieben hat, sie werden auf die beginnenden 1630er Jahre datiert. In der Literatur werden diese beiden gemeinhin als „companion poems“ bezeichnet, was bezüglich des strukturellen Aufbaus und inhaltlichen Gemeinsamkeiten durchaus trefflich formuliert ist. Weniger Einigkeit (als über diese offensichtlichen Parallelen) herrscht allerdings über die (Gesamt-)Bedeutung des Werkes. Im Wesentlichen lassen sich die „Strömungen“ der Interpretationsansätze in zwei Gruppen unterteilen: Zum einen steht die Darstellung von Gegensätzen im Mittelpunkt und zum anderen die Gesamtentwicklung der Geschehnisse, bis hin zu einer Auflösung zugunsten Il Penserosos. Besonders letzterer Ansatz wirft dabei einen wertenden Blick auf die beiden Lebensstile.

Ich möchte in dieser Arbeit eine andere Blickweise verdeutlichen, die mir sehr unterrepräsentiert scheint. Zentraler Punkt dabei ist, dass die in L’Allegro und Il Penseroso beschriebenen Gemütszustände eine komplementäre Beziehung darstellen, die sich ergänzen und eine Einheit bilden. Zentrales Argument dabei ist zum einen, dass alle Dinge nur durch ihren Gegensatz existieren (gut und böse, Tag und Nacht, weltliche - und göttliche Freuden, etc.) und zum anderen, dass jedes der beiden Gedichte spezifische Elemente enthält, die zeigen, dass sowohl Mirth als auch Melancholy nur gemeinsam ein lebenswertes, wenn nicht gar lebensnotwendiges System ergeben und somit keine (objektive) Wertung der beiden erfolgen kann.

Um die Gemeinsamkeiten und Abgrenzung zu bisherigen Theorien zu belegen sollen zunächst kurz einige Interpretationsansätze dargestellt werden. In einem Close Reading wird anschließend die Basis für die weitere Erläuterung oben genannter These erarbeitet werden. Abschließend wird die existentielle Notwendigkeit von Mirth und Melancholy dargestellt. Dabei soll in besonderer Weise auf ihre Komplementarität eingegangen werden, die unter Zuhilfenahme des Konzepts von Yin und Yang erläutert wird.

Interpretationsansätze

Beim Studieren gängiger Literatur zu Miltons Gedichten, findet man unterschiedliche Ansätze, um die Frage zu beantworten, inwiefern diese beiden Gedichte überhaupt als „companion poems“ zu bezeichnen sind und welche Bedeutung damit in Verbindung gebracht werden kann. Es wird dabei deutlich, dass bis heute keine einheitliche Meinung darüber besteht, "wie und warum [L’Allegro und Il Penseroso] miteinander verbunden sind"1.

In einem etwas paradoxen Satz könnte man behaupten, dass es die Gemeinsamkeiten wie auch die vermeintlichen Gegensätze sind, die beide miteinander verknüpfen. Gemeinsamkeiten lassen sich beispielsweise in einer fast identischen Struktur oder dem Vergleich von Mirth und Melancholy auf gleichen Ebenen finden. Aber auch Gegensätze in der Darstellung von Symbolen, die mit Mirth und Melancholy verbunden sind. So merkten Finch and Bowen an, dass sich ein endloser Kreislauf von Ver- und Entflechtung ergibt2, wodurch sich eine Verzahnung von Elementen in Form einer "dissonant companionship”3 ergibt.

Die Auswirkungen dieser Verzahnung werden hingegen weniger einheitlich beantwortet. Im Wesentlichen bestimmt diese zweiseitige Art der Zusammengehörigkeit (Gemeinsamkeiten und Gegensätze) die Interpretationsansätze, wobei zunächst die Gegensätze, als vordergründiges Symbol beider Gedichte gesehen wurden. So gibt es eine Reihe von Autoren, die als Kern beider Gedichte den „Kampf“ zwischen Tag und Nacht4 sehen, womit beide Gedichte gewissermaßen als „eigenständig“ betrachtet werden.

In einem neueren Ansatz sieht auch Flannagan diese Gegensätzlichkeiten im Vordergrund, schlägt dabei aber eine etwas andere Interpretation vor: Er sieht die beiden Gedichte als Repräsentationen von Miltons Leben. So beschreibt L'Allegro Miltons Kommilitonen Charles Diodati und dessen leichtfüßigen Lebensstil, wohingegen Il Penseroso den wissbegierigen und studierenden Milton repräsentiert. Diese Sichtweise untermauert er durch einen Brief, den Milton an seinen Freund adressierte, in dem er s]chrieb:

“...it is in my favour that your habit of studying permits you to pause frequently, visit friends, write much, and sometimes make a journey. But my temperament allows no delay, no rest, no anxiety — or at least thought — about scarcely anything to distract me, until I attain my object and complete some great period, as it were, of my studies.” 5

Des Weiteren werden die beiden Gedichte zum anderen als 2 Hälften eines Gedichts gelesen, da die von Mirth und Melancholy symbolisierten Gegensätze miteinander verbunden sind. In diesem Sinne stellt sich eine recht geradlinige Entwicklung dar, die mit den Zeilen „These pleasures Melancholy give / And I with thee will chose to live“ (Z. 175 f.) aus Il Penseroso endet. Demnach wird der Weg des melancholischen Mannes als einzige Möglichkeit interpretiert, um das höchste Level kreativen Ausdrucks und Göttlichkeit zu erlangen, was durchaus vereinbar mit Miltons Zeilen an Diodati ist. Mit Millers Worten ausgedrückt:

“The delights of L'Allegro are real and valued, but like the glories of Greece they cannot stand against the ecstasy of Christian contemplation. Partial truth is inferior to complete truth. It is Il Penseroso who represents the proper Christian pattern”.6

Wie Miller sieht auch Zaccharias den in Il Penseroso beschriebenen Weg, als die Möglichkeit, ein „kompletter“ Mensch und wahrer Dichter zu werden.7 Es ist allerdings fraglich, ob diese dargestellten Ansätze dem Begriff „dissonant companionship“ gerecht werden, da sie in gewisser Weise dem folgen, was Tillyard als “simple progressions and self-evident contrasts“ beschrieb und damit die unterschwellige Komplexität übersehen8.

Es soll daher in dieser Arbeit eine Art Bindeglied zwischen diesen beiden oben genannten Interpretationsansätzen geschaffen werden, in dem deutlich wird, dass es Elemente in den Gedichten gibt, die sowohl Mirth als auch Melancholy unentbehrlich (für das Leben) machen. Dabei spricht sowohl einiges gegen diese lineare Leseweise über L’Allegro und Il Penseroso hinweg, als auch gegen das ausschließliche Konzentrieren auf die Gegensätze beider Gedichte.

Obwohl es stimmt, dass Mirth und Melancholy (sowie die damit verbundenen Symbole) gegensätzliche Positionen einnehmen, sind sie doch - zusammengenommen - wesentlich vielfältiger und nicht nur bloße Gegensätze. Dafür spricht bereits, dass die Freude, die in Il Penseroso verbannt wird, eine andere ist als die, die in L'Allegro gelobt wird und auch die Melancholy von L'Allegro nicht dieselbe ist, wie die von Il Penseroso. Das heißt, dass hier vier unterschiedliche Stadien betrachtet werden müssen, da Mirth und Melancholy in jeweils gute und schlechte Varianten unterteilt sind9. Weiterhin sind diese Gegensätzlichkeiten besonders in dem Maße zu beachten, als dass sie einander bedingen und eine komplementäre Beziehung eingehen, frei nach Hegels Dialektik, dass alles Seiende nur durch seinen Gegensatz verstanden werden kann10. Betrachtet man demnach Schwarz und Weiß, so sind sie zum einen Gegensätze, weil sie auf der Skala der Grautöne zwei Extreme beschreiben, aber ebenso zusammengehörig, da es sich um ein und dieselbe Skala handelt.

Liest man andererseits beide Gedichte als eines, spricht man dem Fakt Bedeutung ab, dass es zwei eigenständige Gedichte sind. Cox erkennt diese Notwendigkeit, wenn er sagt, dass sowohl der Pfad der Freude in L’Allegro, als auch der Pfad der Weisheit in Il Penseroso, jeweils einen Weg zu einer Verschmelzung mit Gott beschreibt. Allerdings sieht er keinen offensichtlichen Beweis dafür, dass eines das andere benötigt um den Pfad vollständig zu gehen.11

Ich sehe in L’Allegro und Il Penseroso eine komplementäre Beziehung und mehr noch, eine Beziehung, wie sie Yin und Yang eingehen. Nach diesem taoistischen Konzept steht alles in der Natur, alle Naturerscheinungen und Lebensabläufe in polarer Wechselbeziehung zueinander.12 Dies wird durch die beiden, jedwedem System immanenten, polaren Kräfte Yin und Yang ausgedrückt wird. Dabei können diese Pole nicht isoliert betrachtet werden, sondern immer nur in der jeweiligen Beziehung zueinander. Sie haben gegensätzlichen Charakter und bilden doch zugleich eine Einheit; sie wirken nicht gegeneinander, sondern spielen zusammen und ergänzen sich gegenseitig.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in jeder Yin - Kraft auch ein Yang - Anteil enthalten ist, und umgekehrt. Sobald eine Polarität ihr Maximum erreicht, wandelt sie sich in ihr Gegenteil.

Folgend sollen die Elemente aus den beiden Gedichten analysiert werden, die diesem Konzept entsprechen. Dafür wird zunächst mit einem Close Reading beider Gedichte begonnen.

L'Allegro

L'Allegro beginnt damit, dass der Erzähler seine abwertende Haltung gegenüber Melancholy ausdrückt. Sie wird in den ersten zehn Zeilen mit beeindruckend zerstörerischen Worten abgewiesen und verbannt. Bereits in der ersten Zeile wird Melancholy personifiziert als schreckenbesetzt und von schwärzester Nacht geboren. Der - eigentlich unmögliche – Superlativ der Farbe "blackest" (Z. 2) bringt dabei die Stärke dessen zum Ausdruck, was mit ihr verbunden wird, nämlich Tod und Verfall. So wird verdeutlicht, dass Melancholy ein lebensfeindlicher Zustand ist. Mit der Erwähnung Cerberus’, einem dreiköpfigen Hund, der die Tore zur Hölle bewacht, wird Melancholie mit der Hölle, dem Fegefeuer, Satan etc. in Verbindung gesetzt. Melancholische Menschen werden als verlorene, in Zellen gesperrte Seelen beschrieben (Z. 5), womit ausgedrückt wird, dass Melancholie nicht zur Freiheit, Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit führen kann, da melancholische Menschen es nicht vermögen, aus ihrem Geist herauszutreten. “[H]orrid shapes, and shreiks, and sights unholy” (Z. 4) treten in Gegensatz zu einem Frieden, der durch ein Leben in melancholischer Stimmung nicht erreicht werden kann. Die personifizierte Melancholy wird in die Wüste verbannt, wo sie für immer bleiben soll. Die Wüste unterstreicht einen lebensfeindlichen Ort, an dem die Sonne alles verbrennt. Im Gegensatz dazu wird später eine, durch warme Farben untermalte, lebensfreundliche Wärme erwähnt. Das zuvor erwähnte Bild der Dunkelheit wird abgerundet durch "ebon shades", "the brooding darkness" und "the night- raven" (Z. 6-8), Melancholie wird verbannt an den Rand der Welt, wo sie eingehüllt sein wird in den Nebel und die Wolken der Nacht.

Nach dieser Verbannung von Melancholy wird Mirth, also die Freude und die Heiterkeit willkommen geheißen. Dabei zeichnet der Erzähler ein völlig gegensätzliches Bild zu den ersten zehn Zeilen. Wie Melancholy wird auch Mirth personifiziert, beide haben also etwas lebendiges, sind eigenständige Wesen, Freund und Feind des Sprechers. Mirth wird als gerechte und freie Göttin bezeichnet (Z. 11), und es wird die Geschichte ihrer Geburt aus göttlichen Sphären erzählt. Damit wird Mirth zu etwas Göttlichem und zusammen mit den einführenden Worten über Melancholie wird eine Antithese über Himmel (Mirth) und Hölle (Melancholy) aufgebaut. Ob in der Welt der Götter oder auf Erden, Mirth ist immer als etwas Positives bekannt. Im Himmel ist sie Euphrosyne, Göttin von Freude und Schönheit; auf der Erde ist sie einfach die „heart-easing Mirth“ (Z. 11f.). Ihre Geburtsstunde wird in zwei Varianten erzählt: zum einen ist sie die Tochter von Venus, die gemeinhin als Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit gilt, und Bacchus, dem Gott des Weines und der Vegetation. Zum anderen wird die Entstehung Euphrosynes aus der Verschmelzung, von Zephyr und Aurora erzählt, Göttern die Westwind und Morgenröte darstellen. Da beide Versionen dichterische Erfindungen sind, untermauert der Erzähler seine Versionen, indem er davon anführt, dass weise Männer von diesen Geschichten sprechen (Z. 17). Im Kern dieser Geburtengeschichten wird die Herkunft von Mirth in jedem Fall mit etwas Frohem und Unschuldigen verbunden13. Insofern ist auch Mirth selbst als “bucksom, blith, and debonair.” (Z. 24) benannt.

[...]


1 Cox, 1983

2 Finch & Bowen, 1990

3 ebd.

4 Tillyard 1938, Brooks. 1947

5 Flannagan, 1998

6 Miller, 1971

7 Zaccharias, 1988

8 Tate, 1961

9 Joplin, 1993

10 Bukdahl, Harbsmeier, 1986

11 Cox (1983)

12 Fasching, 2000

13 Flannagan, 1998

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die komplementäre Beziehung zwischen Mirth und Melancholy in John Miltons 'L’Allegro' und 'Il Penseroso'
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Poetic Genres and Styles: From the 17th to the 18th century
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V119640
ISBN (eBook)
9783640235322
ISBN (Buch)
9783640235452
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Beziehung, Mirth, Melancholy, John, Miltons, L’Allegro, Penseroso, Poetic, Genres, Styles, From
Arbeit zitieren
Norman Knabe (Autor:in), 2008, Die komplementäre Beziehung zwischen Mirth und Melancholy in John Miltons 'L’Allegro' und 'Il Penseroso', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119640

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