Analyse der Lebenswelt türkischer Migranten in der 1. und 2. Generation in Deutschland anhand des Life-Models


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Erläuterung des Life-Models

2. Die Geschichte der Migrations- und Gastarbeiterbewegung
2.1 Anwerbung ausländischer Gastarbeiter (1955 bis 1973)
2.2 Anwerbestopp und Folgen (1973 bis 1980)
2.3 Politische Wende (1980 bis 1990)
2.4 Krisenjahre und aktuelle Lage (1990 bis heute)
2.5 Zusammenfassung

3. Lebenswelt der türkischen Migranten in Deutschland
3.1 Allgemeine Lebensverhältnisse
3.2 Werte und Normen
3.2.1 Gleichberechtigung der Frau
3.2.2 Islam in Deutschland
3.2.3 Die Frage der „Ehre“
3.2.4 Zusammenfassung
3.3 Lebenswelt der türkischen Jugendlichen (2. Generation)
3.3.1 Die Identitätsfrage
3.3.2 Kontakt mit Deutschen
3.3.3 Bildung
3.3.4 Zusammenfassung

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die knapp 50-jährige Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschen und Türken innerhalb der Bundesrepublik war und ist leider immer noch oft von Missverständnissen und Paradoxien geprägt. Vor allem politische Entscheidungen, Gesetzgebungen und daraus entstandenen hitzigen bürgerlichen Konflikten gegen die ausländische Bevölkerung in den 90er Jahren trugen erheblich zu Misstrauen und Isolation bei. Ging man doch zunächst davon aus, dass die dringend angeworbenen Gastarbeiter nur vorübergehend bleiben würden, musste man letztlich vielmehr das Gegenteil erkennen, und darüber hinaus sogar, dass Deutschland zum Einwanderungsland wurde.

Inzwischen leben ca. 1,7 Millionen türkische Staatsbürger in Deutschland, weiter gefasst gibt es insgesamt sogar 2,6 Millionen Menschen mit familiären Wurzeln in der Türkei (vgl. Goldberg/Halm/Şen 2004, S. 4). Sie sind damit die größte ethnische Minderheit in der Bundesrepublik, verglichen mit Italienern (528.000), Polen (385.000), Serben und Montenegrinern (331.000), Griechen (295.000) und Kroaten (225.000)[1]. Die Lebensverhältnisse unterscheiden sich dabei aber teilweise stark zwischen Deutschen und den türkischen Mitbürger/Innen. Aktuell steuert die Mehrzahl der ehemaligen „Gastarbeiter“ auf die Rente zu, während ihre Kinder und Enkel teilweise noch nach einem eigenen Platz in der deutschen Gesellschaft suchen.

Was sind die Ursachen und Hintergründe dieser Tatsachen, und welche Schwierigkeiten haben sich dabei in der sozialen Arbeit mit unseren türkischen Mitbürger/Innen ergeben? Vor allem stellt sich dabei die Frage, wie die Zusammenarbeit effektiv gefördert werden kann.

Ein unumgänglicher Schritt stellt hier die genauere Erforschung der Lebenswelt dieser Personengruppe dar, um wirklich empathische, konstruktive und lebendige Kooperation zu kultivieren. Wichtig ist dazu die Auseinandersetzung mit der deutschen Migrationsgeschichte, den früheren und aktuellen Lebensverhältnissen der ersten und zweiten Generation, den Wert- und Normorientierungen sowie den politischen Länderbeziehungen. Zuletzt werden alle Kapitel noch einmal mit Hilfe des Life-Models nach Germain/Gitterman analysiert, um den Zugang der sozialen Arbeit zu eröffnen und die konkreten Konfliktpunkte zu betrachten.

1. Erläuterung des Life-Models

Das „Life-Model“ nach Germain/Gitterman ist eine holistische Sicht auf das Verhältnis zwischen Menschen und deren materieller und sozialer Umwelt (auch Ressourcen), da diese beiden Faktoren nur im Gesamtkontext aller Wechselbeziehungen zwischen ihnen voll verstanden werden können. Problemstellungen werden hier nicht nur beim Individuum untersucht, sondern vor allem auch die jeweiligen Umweltbedingungen.

Zur Analyse werden neben vielen anderen Aspekten des Life-Models in dieser Arbeit hauptsächlich folgende Elemente untersucht:

(1) Transaktionen: Dies sind die dysfunktionalen (anpassungshemmende) oder adaptiven (anpassungsfördernde) Wechselwirkungsprozesse zwischen den Menschen und ihrer Umwelt.
(2) Anpassung: Optimal ist ein kongruentes Verhältnis zwischen der Person und seiner materiellen und sozialen Umwelt (Abgestimmtheit).
(3) Lebensbelastungsfaktoren: Äußern sich in Lebensveränderungen, die die bisherige Abgestimmtheit von Person und Umwelt stören. Mitinbegriffen ist dabei auch das „Coping“, also die bisherigen Strategien einer Person, mit dem Stress umzugehen.
(4) Mitmenschliche Bezogenheit: Meint die Verbindung mit anderen Menschen sowie die Fähigkeit, mit ihnen Beziehungen einzugehen (Beziehungsfähigkeit). Mit dazu gehört u.a. auch das Selbstwertgefühl, welches fundamentale Bedeutung für alle Umweltbeziehungen hat.
(5) Macht: Missbräuchliche Machtausübung führt meist zu Unterdrückung von vulnerablen Gruppen aufgrund persönlicher oder ethnischer Merkmale.
(6) Habitat und Nische: Habitat ist der gesamte Lebensraum, in dem eine Person anzutreffen ist. Nische ist die Position oder der Rang, die innerhalb einer biotischen Gemeinschaft eingenommen wird.
(7) Lebenslauf: Der Lebenslauf ist die individuelle Geschichte und Konzeption des bisherigen Lebens eines Menschen oder auch einer Gruppe.

Ziel des Life-Models ist letztlich die gerade unter Punkt 2 genannte Anpassung, also das ausgeglichene Verhältnis zwischen Person und Umwelt. In den folgenden Kapiteln wird ersichtlich sein, dass die fehlende Abgestimmtheit die Hauptursache für die Probleme der türkischen Mitbürger/Innen ist.

2. Die Geschichte der Migrations- und Gastarbeiterbewegung

Zu Beginn soll ein anschaulicher Geschichtsüberblick den Zugang in den objektiven Lebenslauf der ersten Migrationsbewegung eröffnen, um die heutige Lebenswelt und die dazugehörigen Verhaltensweisen und Meinungen besser nachvollziehen zu können.

2.1 Anwerbung ausländischer Gastarbeiter (1955 bis 1973)

Das erste offizielle Anwerbeabkommen Deutschlands wurde im Dezember 1955 mit Italien geschlossen, womit die sogenannte „Gastarbeiterperiode“ begann. Ziel war hierbei, die dringend benötigten Arbeitskräfte zu beschaffen, da sie einerseits durch den vorherigen zweiten Weltkrieg und seiner katastrophalen Auswirkungen für den Wiederaufbau fehlten, andererseits auch durch den Mauerbau 1961 der wichtige Facharbeiterstrom aus der DDR versiegte. Diese Maßnahme wurde auch für die Wirtschaft überaus lukrativ, da die ausländischen Hilfskräfte einen günstigeren Kostenfaktor darstellten.

In Bezug auf die türkische Gastarbeiterbewegung ist dabei das Jahr 1961 entscheidend, denn Deutschland schloss hier neben Spanien und Griechenland (1960), Marokko (1963), Portugal (1964) Tunesien (1965) und dem ehemaligen Jugoslawien (1968) sein vertragliches Abkommen mit der Türkei. Damit wurde gleichzeitig auch ein neues Zeitalter der bisherigen deutsch-türkischen Beziehungen eingeläutet (vgl. Goldberg/ Halm/Şen 2004, S. 3f).

Mehrheitlich brachen damals Männer aus den entlegenen, bildungsärmeren Regionen Anatoliens in die Fremde auf, damit sie einerseits ihre Familien in der Heimat versorgen, andererseits für die baldige gemeinsame Zukunft nach der Rückkehr in die Türkei sparen (vgl. Güngör 2004, S. 77). Diese Zukunft sollte ferner durch die neu erworbenen Fachkenntnisse mit einer selbständigen Existenz aufgebaut, sowie der Traum vom eigenen Haus auf dem Land oder der Erwerb von landwirtschaftlichen Maschinen verwirklicht werden (vgl. Goldberg/Halm/Şen 2004, S. 11). Viele wagten diesen Schritt primär wegen der damaligen schlechten Wirtschaftslage in der Türkei, welche sich noch bis in die 80er Jahre hinein fern von freier Marktwirtschaft befand und von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet war.

2.2 Anwerbestopp und Folgen (1973 bis 1980)

Das zweite maßgebliche Jahr kennzeichnete 1973, als der sogenannte „Anwerberstopp“ ausgerufen wurde, wodurch nun allgemein keine weiteren ausländischen Hilfsarbei-ter/Innen mehr angeworben wurden. Beigetragen hat dazu unter anderem die Wirtschafts- und Energiekrise von 1973/74, als auch wirtschaftliche Berechnungen. Diese wurden unter anderem daran angestellt, ob sich die Ausländerbeschäftigung nach den bisherigen Konditionen als weiter sinnvoll und wünschenswert erweist. Schließlich implizierte die Erwartungshaltung als „Gastarbeiter“ lediglich die vorübergehende Arbeitshilfe, weswegen letztlich auch kein großes Integrationsbestreben durch den Staat stattfand. Die Vorstellung, „dass nichtintegrierte Gastarbeiter hier nichtintegrierte Kinder bekommen und diese dann gemeinsam das Fundament für „Parallel-gesellschaften“ legen“ (Finkelstein 2004, S. 16), wurde nicht als politischer Aspekt, gar als zukünftiges „Gastarbeiterproblem“ antizipiert. Die Bundesregierung ging durch den Anwerbestopp davon aus, dass nun jährlich ca. 200.000 bis 300.000 Gastarbeiter/Innen in ihre Heimatländer zurückkehren werden, wodurch die Ausländerbeschäftigung innerhalb der nächsten zehn Jahre zumindest um die Hälfte sinken sollte. Real fand allerdings eine andere Entwicklung statt.

Die Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländer/Innen nahm zwar in den Folgejahren ab, problematisch erwies sich dabei aber die Tendenz, dass sich in den folgenden sechs Jahren vor allem der Anteil der erwerbstätigen Ausländer/Innen von 2,6 auf 1,8 Millionen Menschen verringerte. Somit wurde ein Großteil der in der Bundesrepublik gebliebenen türkischen Migrant/Innen lediglich arbeitslos, wodurch die Rechnung der Politik ins Gegenteil der Erwartungen umschlug. 1980 musste sogar festgestellt werden, dass die ausländische Bevölkerung seit 1972 sogar um eine Million Menschen rapide zugenommen hatte, was vor allem dadurch begründet war, dass viele Männer aufgrund der wohl länger vermuteten Aufenthaltsdauer in Deutschland ihre Familienangehörigen nachholten (vgl. a.a.O., S. 17).

Durch den Familiennachzug wurde die deutsche Gesellschaft nun mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Allmählich musste sie feststellen, dass die sozialen Folgen der Migration nicht berücksichtigt wurden und öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Behörden auf die neuen MitbürgerInnen nicht eingestellt und vorbereitet waren. Max Frisch kommentierte die Situation folgendermaßen: „Wir haben Arbeitskräfte geholt und Menschen sind gekommen.“ (Goldberg/Halm/Şen 2004, S. 16). Dies beschreibt wohl ziemlich genau den damaligen Erkenntnisprozess in der Bundesrepublik.

Die darauf folgenden politischen Maßnahmen verliefen eher mäßig bis paradox. Beispielsweise wurde am 1. Januar 1975 eine Kindergelderhöhung eingeführt, welche jedoch nur für Kinder gelten sollte, die auch in Deutschland wohnen. Als logische Konsequenz stieg daraufhin die Zahl der nachgeholten Kinder. Andererseits bestimmte aber eine Arbeitserlaubnisverordnung, dass nach dem 30. September 1974 eingereiste Ausländer/Innen (inklusive Jugendliche) in Deutschland nicht arbeiten durften, und sie nun zur Arbeitslosigkeit „gezwungen“ waren. Auch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik nach vollzogener Rückkehr in die Türkei brachte vielmehr das Problemfeld auf, dass die noch in Deutschland Verbliebenen vorerst eine Heimkehr lieber ausschlossen.

[...]


[1] vgl. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelk erung/AuslaendischeBevoelkerung/Tabellen/Content50/TOP10,templateId=renderPrint.psml

Statistisches Bundesamt Deutschland vom 31.12.2007, abgerufen am 28.07.2008.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Analyse der Lebenswelt türkischer Migranten in der 1. und 2. Generation in Deutschland anhand des Life-Models
Hochschule
Katholische Stiftungsfachhochschule München
Veranstaltung
Lebenswelten
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V119738
ISBN (eBook)
9783640236435
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Lebenswelt, Migranten, Generation, Deutschland, Life-Models, Lebenswelten
Arbeit zitieren
Justin Sane (Autor:in), 2008, Analyse der Lebenswelt türkischer Migranten in der 1. und 2. Generation in Deutschland anhand des Life-Models, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119738

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