Das Sanctus


Klassiker, 2008

19 Seiten

E. T. A. Hoffmann (Autor:in)


Leseprobe


Das Sanctus

Der Doktor schüttelte bedenklich den Kopf. – „Wie“, rief der Kapellmeister heftig, indem er vom Stuhle aufsprang, „wie! so sollte Bettinas Katarrh wirklich etwas zu bedeuten haben?“ – Der Doktor stieß ganz leise drei- oder viermal mit seinem spanischen Rohr auf den Fußboden, nahm die Dose heraus und steckte sie wieder ein, ohne zu schnupfen, richtete den Blick starr empor, als zähle er die Rosetten an der Decke, und hüstelte mißtönig, ohne ein Wort zu reden. Das brachte den Kapellmeister außer sich, denn er wußte schon, solches Gebärdenspiel des Doktors hieß in deutlichen lebendigen Worten nichts anders als: „Ein böser, böser Fall – und ich weiß mir nicht zu raten und zu helfen, und ich steure umher in meinen Versuchen, wie jener Doktor im ,Gilblas di Santillana’.“ – „Nun, so sag Er es denn nur geradezu heraus“, rief der Kapellmeister erzürnt, „sag Er es heraus, ohne so verdammt wichtig zu tun mit der simplen Heiserkeit, die sich Bettina zugezogen, weil sie unvorsichtigerweise den Shawl nicht umwarf, als sie die Kirche verließ – das Leben wird es ihr doch eben nicht kosten, der Kleinen.“ – „Mitnichten“, sprach der Doktor, indem er nochmals die Dose herausnahm, jetzt aber wirklich schnupfte, „mitnichten, aber höchstwahrscheinlich wird sie in ihrem ganzen Leben keine Note mehr singen!“ Da fuhr der Kapellmeister mit beiden Fäusten sich in die Haare, daß der Puder weit umherstäubte, und rannte im Zimmer auf und ab und schrie wie besessen: „Nicht mehr singen? – nicht mehr singen? – Bettina nicht mehr singen? – Gestorben all die herrlichen Kanzonette – die wunderbaren Boleros und Seguidillas, die wie klingender Blumenhauch von ihren Lippen strömten? – Kein frommes ,Agnus’, kein tröstendes ,Benedictus’ von ihr mehr hören? – Oh! oh! – Kein ,Miserere’, das mich reinbürstete von jedem irdischen Schmutz miserabler Gedanken – das in mir oft eine ganze reiche Welt makelloser Kirchenthemas aufgehen ließ? – Du lügst, Doktor, du lügst! – Der Satan versucht dich, mich aufs Eis zu führen. – Der Domorganist, der mich mit schändlichem Neide verfolgt, seitdem ich ein achtstimmiges ,Qui tollis’ ausgearbeitet zum Entzücken der Welt, der hat dich bestochen! Du sollst mich in schnöde Verzweiflung stürzen, damit ich meine neue Messe ins Feuer werfe, aber es gelingt ihm – es gelingt dir nicht! – Hier – hier trage ich sie bei mir, Bettinas Soli“ (er schlug auf die rechte Rocktasche, so daß es gewaltig darin klatschte) „und gleich soll herrlicher als je die Kleine sie mir mit hocherhabener Glockenstimme vorsingen.“ Der Kapellmeister griff nach dem Hute und wollte fort, der Doktor hielt ihn zurück, indem er sehr sanft und leise sprach: „Ich ehre Ihren werten Enthusiasmus, holdseligster Freund! aber ich übertreibe nichts und kenne den Domorganisten gar nicht, es ist nun einmal so! Seit der Zeit, daß Bettina in der katholischen Kirche bei dem Amt die Solos im ,Gloria’ und ,Credo’ gesungen, ist sie von einer solch seltsamen Heiserkeit oder vielmehr Stimmlosigkeit befallen, die meiner Kunst trotzt und die mich, wie gesagt, befürchten läßt, daß sie nie mehr singen wird.“ – „Gut denn“, rief der Kapellmeister wie in resignierter Verzweiflung, „gut denn, so gib ihr Opium – Opium und so lange Opium, bis sie eines sanften Todes dahinscheidet, denn singt Bettina nicht mehr, so darf sie auch nicht mehr leben, denn sie lebt nur, wenn sie singt – sie existiert nur im Gesange – himmlischer Doktor, tu mir den Gefallen, vergifte sie je eher desto lieber. Ich habe Konnexionen im Kriminalcollegio, mit dem Präsidenten studierte ich in Halle, es war ein großer Hornist, wir bliesen Bizinien zur Nachtzeit mit einfallenden Chören obligater Hündelein und Kater! – Sie sollen dir nichts tun des ehrlichen Mords wegen – aber vergifte sie – vergifte sie – “ – „Man ist“, unterbrach der Doktor den sprudelnden Kapellmeister, „man ist doch schon ziemlich hoch in Jahren, muß sich das Haar pudern seit geraumer Zeit, und doch noch, vorzüglich die Musik anlangend, vel quasi ein Hasenfuß. Man schreie nicht so, man spreche nicht so verwegen vom sündlichen Mord und Totschlag, man setze sich ruhig hin dort in jenen bequemen Lehnstuhl und höre mich gelassen an.“ Der Kapellmeister rief mit sehr weinerlicher Stimme: „Was werd ich hören?“ und tat übrigens, wie ihm geheißen. „Es ist“, fing der Doktor an, „es ist in der Tat in Bettinas Zustand etwas ganz Sonderbares und Verwunderliches. Sie spricht laut, mit voller Kraft des Organs, an irgendeines der gewöhnlichen Halsübel ist gar nicht zu denken, sie ist selbst imstande, einen musikalischen Ton anzugeben, aber sowie sie die Stimme zum Gesange erheben will, lähmt ein unbegreifliches Etwas, das sich durch kein Stechen, Prickeln, Kitzeln oder sonst als ein affirmatives krankhaftes Prinzip dartut, ihre Kraft, so daß jeder versuchte Ton, ohne gepreßt-unrein, kurz, katarrhalisch zu klingen, matt und farblos dahinschwindet. Bettina selbst vergleicht ihren Zustand sehr richtig demjenigen im Traum, wenn man mit dem vollsten Bewußtsein der Kraft zum Fliegen doch vergebens strebt, in die Höhe zu steigen. Dieser negative krankhafte Zustand spottet meiner Kunst, und wirkungslos bleiben alle Mittel. Der Feind, den ich bekämpfen soll, gleicht einem körperlosen Spuk, gegen den ich vergebens meine Streiche führe. Darin habt Ihr recht, Kapellmeister, daß Bettinas ganze Existenz im Leben durch den Gesang bedingt ist, denn eben im Gesange kann man sich den kleinen Paradiesvogel nur denken, deshalb ist sie aber schon durch die Vorstellung, daß ihr Gesang und mit ihm sie selbst untergehe, so im Innersten aufgeregt, und fast bin ich überzeugt, daß ebendiese fortwährende geistige Agitation ihr Übelbefinden fördert und meine Bemühungen vereitelt. Sie ist, wie sie sich selbst ausdrückt, von Natur sehr apprehensiv, und so glaube ich, nachdem ich monatelang, wie ein Schiffbrüchiger, der nach jedem Splitter hascht, nach diesem, jenem Mittel gegriffen und darüber ganz verzagt worden, daß Bettinas ganze Krankheit mehr psychisch als physisch ist.“ – „Recht, Doktor“, rief hier der reisende Enthusiast, der so lange schweigend, mit übereinander geschlagenen Ärmen im Winkel gesessen, „recht, Doktor, mit einemmal habt Ihr den richtigen Punkt getroffen, mein vortrefflicher Arzt! Bettinas krankhaftes Gefühl ist die physische Rückwirkung eines psychischen Eindrucks, ebendeshalb aber desto schlimmer und gefährlicher. Ich, ich allein kann euch alles erklären, ihr Herren!“ – „Was werd ich hören“, sprach der Kapellmeister noch weinerlicher als vorher, der Doktor rückte seinen Stuhl näher heran zum reisenden Enthusiasten und guckte ihm mit sonderbar lächelnder Miene ins Gesicht. Der reisende Enthusiast warf aber den Blick in die Höhe und sprach, ohne den Doktor oder den Kapellmeister anzusehen: „Kapellmeister! ich sah einmal einen kleinen buntgefärbten Schmetterling, der sich zwischen den Saiten Eures Doppelklavichords eingefangen hatte. Das kleine Ding flatterte lustig auf und nieder, und mit den glänzenden Flügelein um sich schlagend, berührte es bald die obern, bald die untern Saiten, die dann leise, leise nur dem schärfsten, geübtesten Ohr vernehmbare Töne und Akkorde hauchten, so daß zuletzt das Tierchen nur in den Schwingungen wie in sanftwogenden Wellen zu schwimmen oder vielmehr von ihnen getragen zu werden schien. Aber oft kam es, daß eine stärker berührte Saite wie erzürnt in die Flügel des fröhlichen Schwimmers schlug, so daß sie, wund geworden, den Schmuck des bunten Blütenstaubs von sich streuten, doch dessen nicht achtend, kreiste der Schmetterling fort und fort im fröhlichen Klingen und Singen, bis schärfer und schärfer die Saiten ihn verwundeten und er lautlos hinabsank in die Öffnung des Resonanzbodens.“ – „Was wollen wir damit sagen?“, frug der Kapellmeister. „Fiat applicatio, mein Bester!“ sprach der Doktor. „Von einer besonderen Anwendung ist hier nicht die Rede“, fuhr der Enthusiast fort, „ich wollte, da ich obbesagten Schmetterling wirklich auf des Kapellmeisters Klavichord spielen gehört habe, nur im allgemeinen eine Idee andeuten, die mir damals einkam und die alles das, was ich über Bettinas Übel sagen werde, so ziemlich einleitet. Ihr könnet das Ganze aber auch für eine Allegorie ansehen und es in das Stammbuch irgendeiner reisenden Virtuosin hineinzeichnen. Es schien mir nämlich damals, als habe die Natur ein tausendchörichtes Klavichord um uns herum gebaut, in dessen Saiten wir herumhantierten, ihre Töne und Akkorde für unsere eigne, willkürlich hervorgebrachte haltend, und als würden wir oft zum Tode wund, ohne zu ahnden, daß der unharmonisch berührte Ton uns die Wunde schlug.“ – „Sehr dunkel“, sprach der Kapellmeister. „Oh“, rief der Doktor lachend, „oh, nur Geduld, er wird gleich auf seinem Steckenpferde sitzen und gestreckten Galopps in die Welt der Ahnungen, Träume, psychischen Einflüsse, Sympathien, Idiosynkrasien und so weiter hineinreiten, bis er auf der Station des Magnetismus absitzt und ein Frühstück nimmt.“ – „Gemach, gemach, mein weiser Doktor“, sprach der reisende Enthusiast, „schmäht nicht auf Dinge, die Ihr, sträuben mögt Ihr Euch auch, wie Ihr wollt, doch mit Demut anerkennen und höchlich beachten müßt. Habt Ihr es denn nicht selbst eben erst ausgesprochen, daß Bettinas Krankheit von psychischer Anregung herbeigeführt oder vielmehr nur ein psychisches Übel ist?“ – „Wie kommt“, unterbrach der Doktor den Enthusiasten, „wie kommt aber Bettina mit dem unglückseligen Schmetterling zusammen?“ – „Wenn man“, fuhr der Enthusiast fort, „wenn man nun alles haarklein auseinandersieben soll und jedes Körnchen beäugeln und begucken, so wird das eine Arbeit, die, selbst langweilig, Langeweile verbreitet! – Laßt den Schmetterling im Klavichordkasten des Kapellmeisters ruhen! – Übrigens, sagt selbst, Kapellmeister! ist es nicht ein wahres Unglück, daß die hochheilige Musik ein integrierender Teil unserer Konversation geworden ist? Die herrlichsten Talente werden herabgezogen in das gemeine dürftige Leben! Statt daß sonst aus heiliger Ferne, wie aus dem wunderbaren Himmelsreiche selbst, Ton und Gesang auf uns herniederstrahlte, hat man jetzt alles hübsch bei der Hand, und man weiß genau, wie viel Tassen Tee die Sängerin oder wie viel Gläser Wein der Bassist trinken muß, um in die gehörige Tramontane zu kommen. Ich weiß wohl, daß es Vereine gibt, die, ergriffen von dem wahren Geist der Musik, sie untereinander mit wahrhafter Andacht üben, aber jene miserablen geschmückten, geschniegelten – doch ich will mich nicht ärgern! – Als ich voriges Jahr hieher kam, war die arme Bettina gerade recht in der Mode – sie war, wie man sagt, recherchiert, es konnte kaum Tee getrunken werden ohne Zutat einer spanischen Romanze, einer italienischen Canzonetta oder auch wohl eines französischen Liedleins: ,Souvent l'amour’ etc., zu dem sich Bettina hergeben mußte. Ich fürchtete in der Tat, daß das gute Kind mit samt ihrem herrlichen Talent untergehen würde in dem Meer von Teewasser, das man über sie ausschüttete; das geschah nun nicht, aber die Katastrophe trat ein.“ – „Was für eine Katastrophe?“ riefen Doktor und Kapellmeister. „Seht, liebe Herren!“ fuhr der Enthusiast fort, „eigentlich ist die arme Bettina, – wie man so sagt, verwünscht oder verhext worden, und so hart es mir ankommt, es zu bekennen, ich – ich selbst bin der Hexenmeister, der das böse Werk vollbracht hat und nun, gleich dem Zauberlehrling, den Bann nicht zu lösen vermag.“ – „Possen – Possen, und wir sitzen hier und lassen uns mit der größten Ruhe von dem ironischen Bösewicht mystifizieren.“ So rief der Doktor, indem er aufsprang. „Aber, zum Teufel, die Katastrophe – die Katastrophe“, schrie der Kapellmeister. „Ruhig, ihr Herren“, sprach der Enthusiast, „jetzt kommt eine Tatsache, die ich verbürgen kann, haltet übrigens meine Hexerei für Scherz, unerachtet es mir zuweilen recht schwer aufs Herz fällt, daß ich ohne Wissen und Willen einer unbekannten psychischen Kraft zum Medium des Entwickelns und Einwirkens auf Bettina gedient haben mag. Gleichsam als Leiter, mein ich, so wie in der elektrischen Reihe einer den andern ohne Selbsttätigkeit

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Details

Titel
Das Sanctus
Veranstaltung
-
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V119794
ISBN (eBook)
9783640229727
ISBN (Buch)
9783640231188
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sanctus
Arbeit zitieren
E. T. A. Hoffmann (Autor:in), 2008, Das Sanctus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119794

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