Mehr als Renaissance und Humanismus hat sich die Reformation in Deutschland
ausgewirkt. "Sie hat in alle Lebensgebiete hinein und auf alle Volkskreise ausstrahlen
können, sie hat das ganze deutsche Kulturleben, Sprache, Staat, Wissenschaft, aufs
stärkste beeinflusst, und nicht zuletzt die Bildung und das Unterrichtswesen,
wenigstens im protestantischen Teil Deutschlands."1
Martin Luther strebte nicht nur eine Erneuerung der Theologie und der Kirche,
sondern auch die der Bildung an. Denn nach einem Aufschwung der Schulen und
Universitäten im Zuge des Humanismus kam es zum Niedergang des Schulwesens
und die Studentenzahlen gehen drastisch zurück. Im Lichte dieser Entwicklung
ergreift Luther das Wort und richtet sich in seiner Schrift "An die Burgermeyster und
Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen" 1524 an die Kommunalvertreter der
Städte.
Ich verfolge das Ziel, anhand Luthers Schrift "An die Burgermeyster und Radherren
allerley Stedte ynn Deutschen landen" von 1524 seine Vorstellung von Bildung und
Erziehung der Jugendlichen dieser Zeit auszumachen und darzustellen. Dabei ist mir
wichtig, seine Gedanken in den Kontext der Zeit einzubetten und aufzuzeigen, was
Luthers Hauptgedanken und Hauptanliegen hinsichtlich der Erziehung und Bildung
der Jugendlichen sind.
[...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Vorbetrachtung
1.2 Ziel der Arbeit
1.3 Vorgehen
2. Martin Luther: Leben und Werk vor dem Hintergrund seiner Zeit. Eine Betrachtung der Jahre von 1514 bis
2.1 Die politische, kirchliche und soziale Situation in Deutschland
2.2 Martin Luther als Reformator. Sein Leben und Wirken von 1514 bis
3. Das Bildungsverständnis und -system in Deutschland: Ein Überblick vom Mittelalter bis zur Reformation
3.1 Die Bildungssituation im Mittelalter: Verständnis und System von Bildung und Erziehung
3.2 Die Bildungssituation im Wandel: Humanismus
3.3 Die Bildungssituation um 1520: Der Hintergrund der Entstehung von Luthers pädagogischer Schrift " An die Burgermeyster und Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen "
4. "An die Burgermeyster und Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen" (1524). Luthers Bildungs- und Erziehungsverständnis
4.1 Einleitung
4.1 Das Versagen der Klöster
4.2 Das Versagen der Eltern Das Gedeihen einer Stadt
4.3 Die Notwendigkeit der Sprachen zum Erhalt des Evangeliums
4.4 Der Nutzen für das weltliche Regiment
4.5 Neue Unterrichtsfächer
4.6 Die Büchereien
5. Luthers Erziehungsvorstellung im Rahmen seiner reformatorischen Erkenntnisse
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Vorbetrachtung
Mehr als Renaissance und Humanismus hat sich die Reformation in Deutschland ausgewirkt. "Sie hat in alle Lebensgebiete hinein und auf alle Volkskreise ausstrahlen können, sie hat das ganze deutsche Kulturleben, Sprache, Staat, Wissenschaft, aufs stärkste beeinflusst, und nicht zuletzt die Bildung und das Unterrichtswesen, wenigstens im protestantischen Teil Deutschlands."[1]
Martin Luther strebte nicht nur eine Erneuerung der Theologie und der Kirche, sondern auch die der Bildung an. Denn nach einem Aufschwung der Schulen und Universitäten im Zuge des Humanismus kam es zum Niedergang des Schulwesens und die Studentenzahlen gehen drastisch zurück. Im Lichte dieser Entwicklung ergreift Luther das Wort und richtet sich in seiner Schrift "An die Burgermeyster und Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen" 1524 an die Kommunalvertreter der Städte.
1.2 Ziel der Arbeit
Ich verfolge das Ziel, anhand Luthers Schrift "An die Burgermeyster und Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen" von 1524 seine Vorstellung von Bildung und Erziehung der Jugendlichen dieser Zeit auszumachen und darzustellen. Dabei ist mir wichtig, seine Gedanken in den Kontext der Zeit einzubetten und aufzuzeigen, was Luthers Hauptgedanken und Hauptanliegen hinsichtlich der Erziehung und Bildung der Jugendlichen sind.
1.3 Vorgehen
Um meinen Betrachtungen einen Rahmen zu geben möchte ich zu Beginn unter Gliederungspunkt 2 die politischen, kirchlichen und sozialen Besonderheiten der Zeit, in der Luther lebte und wirkte, kurz skizzieren. Dabei orientiere ich mich besonders an Wolf Dieter Hauschilds Ausführungen in seinem Werk "Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte"[2], aber auch an "Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk" von Bernhard Lohse[3]. Nach den allgemeinen Betrachtungen zu dieser Epoche widme ich mich dem Leben und Wirken Luthers von etwa 1514 bis 1525. Diesen Zeitausschnitt wählte ich in Anlehnung an Lars O. Carstens, weil er die Zeit der Anfänge der Reformation bis zu Luthers Eheschließung markiert. Seine Eheschließung mit Katharina von Bora dient deshalb als Eckpunkt, weil derer beiden Haus "…als Ursprung und Vorbild für eine Erziehung in reformatorischer Verantwortung verstanden werden"[4] muss.
Da das Hauptaugenmerk dieser Arbeit aber auf Luthers Vorstellung eines reformatorischen Bildungswesens liegt, werde ich darauf folgend kurz darstellen, wie das Bildungsverständnis und -system des Mittelalters beschaffen war und welche Folgen bereits das Aufkommen des Humanismus in Deutschland hinsichtlich eines Wandels des Bildungsverständnisses hatte. Diesen Abschnitt habe ich vor allem anhand de Überblickswerke " Geschichte der Pädagogik" von Albert Reble und
"Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte" von Notker Hammerstein erarbeitet. Dies soll der Inhalt des dritten Gliederungspunktes sein, in welchem ich am Ende noch kurz auf die Missstände und Fehlentwicklungen des Bildungswesens und damit den Entstehungsgrund von Luthers Schrift eingehe.
Der Gliederungspunkt 4 soll den Hauptteil meiner Arbeit darstellen und befasst sich daher konkret mit Luthers Schrift "An die Burgermeyster und Radherren allerley Stedte ynn Deutschen landen". Für diese Erarbeitung habe ich "D. Martin Luthers Werke" der Weimarer Ausgabe verwendet. Zitate aus diesem Werk habe ich unverändert übernommen. Diesen Abschnitt werde ich beginnen, indem ich den Inhalt dieses Briefes samt seinen Forderungen und Begründungen anhand einer Gliederung, die an die von Jürgen Mahrenholz angelehnt ist, vorstelle. Daraufhin widme ich mich der Schrift unter der Fragestellung: Was macht Luthers Bildungsidee aus?
2. Martin Luther: Leben und Werk vor dem Hintergrund seiner Zeit. Eine Betrachtung der Jahre von 1514 bis 1525.
Es soll nun kurz skizziert werden, wie die Innen- und Außenpolitik, die kirchlich-religiöse Situation und die Sozialstruktur Deutschlands in diese Epoche, in der der junge Luther lebte, beschaffen war.
2.1 Die politische, kirchliche und soziale Situation in Deutschland
Die politische und soziale Struktur dieser Zeit ist besonders gekennzeichnet durch die Ständestruktur und den Dualismus zwischen dem Reich und den Einzelterritorien sowie die machtpolitischen Auseinandersetzung von Kirche und Staat.
Das Reich wurde von dem jeweiligen König beziehungsweise Kaiser und dem Reichstag, welcher aus einer Versammlung der Reichsstände bestand, verkörpert. Demnach war es ein "…Miteinander eines zentralen und eines föderalen Elements."[5] Tagte der Reichstag und musste ein Gesetz oder Ähnliches verabschiedet werden, so kam es durch diese Konstellation häufig nur über Kompromisse zu einem Reichstagsbeschluss. Wegen der seit 1495 beschlossenen Reichsreform, welche vorsah, den Ständen mehr Einfluss zu verleihen und auf Grund der "unterentwickelten Finanzkraft des Reiches infolge fehlender oder unzureichender Steuern"[6], wurde die zentrale Reichsgewalt immer mehr geschwächt. Nicht zuletzt war es dieses Machtverhältnis im Reich, das ermöglichte, dass die Reformation sich so schnell und in diesem Ausmaß verbreiten konnte.
Dazu kam, dass das Kaisertum, welches bis auf eine kurze Unterbrechung von der Habsburgerdynastie dargestellt wurde, grundsätzlich universal orientiert war. Karl V., welcher in den Jahren 1519-1556 das Amt des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation innehatte, brachte die Verbindung zum habsburgischen Erbland Spanien mit in seine Regierungszeit. Da er sich äußerst intensiv der "…Neuerung der spanischen Herrschaftsverhältnisse, einschließlich der transatlantischen Kolonialpolitik"[7] widmete, mangelte es an seiner Präsenz im eigenen Reich.
Dazu kam, dass sich das sich im Prozess der Verweltlichung befindliche Papsttum in innen- und außenpolitische Belange europäischer Staaten einmischte. Doch die Verweltlichung war nicht nur dadurch charakterisiert. Neben einer ausufernd prunkvollen Lebens- und Amtsführung der Päpste verfügte die katholische Kirche über ein kompliziertes Kirchenrechts- und Finanzsystem, was diesen Prozess förderte. Auch diese Entwicklung, diese "Politisierung des Papsttums", wie Hauschild es bezeichnet[8], begünstigte den Erfolg der Reformation sehr, da all dies Kritik an der führenden geistlichen Universalmacht hervorbrachte.
Die ständische Struktur des Reiches war sehr prägend für die Mentalität und Lebenssituation der Menschen in dieser Epoche. Diese ständische Ordnung orientierte sich jedoch nicht nur an der weltlichen Macht. Neben der Einteilung in weltliche Schichten, welche vom Adel an der Spitze über Bürger- und Rittertum (und auch andere Schichten) bis zum Bauernstand als Basis aufgebaut war, verlief parallel die Einteilung in geistliche Stände. Es lag sozusagen eine Zweiteilung vor. Der jeweilige Stand entschied über den Grad der Abhängigkeit vom Obersten Stand, über soziale Geltung und politische Mitwirkungskraft, was sich in allen Lebensbereichen widerspiegelte. Da im 16. Jahrhundert in Deutschland hinsichtlich Wirtschaft und Kultur die Städte dominierten, begann von dort aus die reformatorische Bewegung, weil "…die Städte die Bildungs- und Kommunikationszentren waren und die führenden Köpfe der Bewegung stellten."[9]
Diese kurz umrissene Ausgangssituation zeigt, welche Besonderheiten die Epoche, in der Luther zum Reformator wurde, ausmachten und deuten zugleich an, dass viele Faktoren an der Entstehung und Verbreitung der Reformation beteiligt waren und sie begünstigten.
2.2 Martin Luther als Reformator. Sein Leben und Wirken von 1514 bis 1525.
Wann genau das so genannte "Turmerlebnis" Martin Luthers, das heißt seine reformatorische Erkenntnis, stattfand, ist nicht genau datierbar. Bernhard Lohse datiert es auf die Jahre 1514/1515.[10] Auf seine reformatorische Erkenntnis stoß Luther, als er auf der Suche nach Sündenvergebung und Heilsgewißheit war, welche er in der mittelalterlichen Praxis der individuellen Bußeleistung (in Form von Gebeten oder Ablaßzahlungen) nicht finden konnte. "In Röm 1,17 bzw. Gal 3,11 fand er die Antwort auf die Frage nach dem Weg zum Heil: "Der Gerechte wird aus Glauben leben".[11] Von da an war für Luther klar, dass die mittelalterliche Buß- und Ablaßpraxis nicht der richtige Weg zum Heil war. Mit dem Thesenanschlag trat Luther am 31. Oktober 1517 an die Öffentlichkeit und bekundete seine Verwerfung des Ablasshandels. Nachdem die Kirche in Rom die Anschuldigungen, die der in Thüringen eingesetzte Ablassprediger Tetzel[12] und Wimpina[13] gegen Luther vortrugen, vorerst nicht ernst nahm, wurde im Juni 1518 ein Inquisitionsverfahren gegen ihn eingeleitet mit dem Vorwurf der Bestreitung der Papstautorität und des Ablaßwesens. Luthers Verhör vor dem Augsburger Reichstag im Oktober des Jahres 1518 verlief jedoch vorerst ohne Konsequenzen, denn während Luther eine dogmatische Sachdiskussion führen wollte, forderte man von ihm lediglich den Widerruf der Ablaßthesen, welchem er aber nicht Folge leistete. In der Leipziger Disputation mit Johannes Eck bestritt Luther erstmals öffentlich die Lehrautorität des Papstes. Da sich die innen- und außenpolitische Situation im Reich unter Karl V., welcher im Juni 1519 zum Kaiser gewählt wurde, beruhigte, konzentrierte man sich nun umso mehr auf den römischen Prozess. Schon kurz darauf, am 15. Juni 1520, wurde die Bannandrohungsbulle "Exsurge Domine" verabschiedet. Luther reagierte darauf mit der Ablehnung des verlangten Widerrufs seiner so genannten Irrtümer. Nach der Bücherverbrennung von Luthers Werken galt dieser nun offiziell als Ketzer und wurde durch die Bannbulle "Decet pontificem Romanum" exkommuniziert. Im Sinne des mittelalterlichen Ketzerrechts musste dieser päpstlichen Bannbulle nun die Reichsacht durch den Kaiser folgen. Auf die Bitte des Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, welcher immer eine Lutherschutzpolitik verfolgte, entschied Karl V., Luther vor der endgültigen Reichsacht unter Zusicherung freien Geleits noch einmal anzuhören. Zum wiederholten Male wurde beim Wormser Edikt im April 1521 allerdings lediglich Luthers Widerruf gefordert, anstatt eine neuen Verhandlung zu beginnen. Als er dieser Forderung nicht nachkam, verhängte der Kaiser im Sinne der damals geltenden Ordnung über Luther die Reichsacht. Gleichzeitig wurde damit auch Druck und Verbreitung seiner Schriften und Lehre verboten. Als Luther sich auf dem Rückweg befand, ließ Kurfürst Friedrich von Sachsen ihn in einer "Scheinentführung" am 4. Mai 5121 auf die Wartburg bringen. Dort lebte er unter dem Namen Junker Jörg. Zwar waren Luthers Kontakte in dieser Zeit durch seine Isolation stark reduziert, doch durch Briefe fand "…ein intensiver persönlicher und theologischer Austausch mit den Wittenberger Freunden…"[14] statt.
[...]
[1] Reble, A.: Geschichte der Pädagogik. Stuttgart, 1993, 17., durchges. und überarbeitete Aufl., Klett-Cotta, S. 88.
[2] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus.
[3] Lohse, Bernhard: Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk. München, 1981, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung
[4] Carstens, Lars O.: Luther als Pädagoge. Aachen, 1999, Shaker Verlag, S. 14.
[5] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, S. 13.
[6] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit.Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, S. 13.
[7] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, S. 14.
[8] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, S. 12.
[9] Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Band 2, Reformation und Neuzeit. Gütersloh, 1999, Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, S. 18.
[10] Vgl. Lohse, Bernhard (Hrsg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther. Wege der Forschung. Band CXXIII. Darmstadt, 1968, Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
[11] Carstens, Lars O.: Luther als Pädagoge. Aachen, 1999, Shaker Verlag, S. 36.
[12] Johann Tetzel war ein Dominikanermönch, welcher in Mainz Ablasshandel betrieb. Vgl. Carstens, Lars O.: Luther als Pädagoge. Aachen, 1999, Shaker Verlag, S. 19.
[13] Konrad Wimpina lehrte an der Universität Leipzig Theologie und unterstützte Tetzel bei der Verfassung seiner Thesen gegen Luthers Ablaßthesen. Vgl. Carstens, Lars O.: Luther als Pädagoge. Aachen, 1999, Shaker Verlag, S. 22/23.
[14] Brecht, Martin: Martin Luther. Zweiter Band. Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521-1532. Stuttgart, 1986, Cawler Verlag, S. 14.
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