Urteilsbesprechung: Das LAG Berlin stärkt Arbeitnehmerrechte. Die Personalstatistik kann ein Indiz für geschlechtsspezifische Diskriminierung sein
Statistischer Nachweis von Diskriminierungen !
1. Der Fall
Die Musikrechte-Verwertungsgesellschaft Gema hatte ohne interne Ausschreibung einen Mann auf eine freigewordene Führungsposition im Personalwesen gesetzt. Dagegen wandte sich die bei der Beförderung übergangene Klägerin mit der Begründung, dass alle 27 Führungspositionen im Unternehmen von Männern besetzt seien, während über zwei Drittel der Belegschaft weiblich seien. Bereits der Umstand, dass bisher keine einzige Frau eine Führungsposition innerhalb des Unternehmens erhalten hatte, zeigte nach Auffassung der Klägerin, dass im Unternehmen eine geschlechterbezogene Diskriminierung stattfinde. Die Klägerin wandte sich nach versagter Beförderung an das Arbeitsgericht Berlin, um nach § 15 AGG einen finanziellen Ausgleich für den erlittenen immateriellen Schaden und einen Ausgleich für den durch die versagte Beförderung erlittenen Gehaltsausfall zu erhalten.
2. Entscheidung des LAG Berlin
Das Landesarbeitsgericht Berlin verurteilte die Gema zur Zahlung von € 20.000,00 als Entschädigung für den immateriellen Schaden. Außerdem sprach es der Klägerin die Differenz zwischen ihrem bisherigen Gehalt und dem Gehalt zu, das sie in der Führungsposition bekommen hätte. Dieser Schadensersatz wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin zeitlich nicht befristet und an die zukünftige Gehaltsentwicklung der Beförderungsstelle gekoppelt.
3. Begründung des LAG Berlin
Das Gericht hat die Personalstatistik, dass alle Führungspositionen von Männern besetzt sind, während der Frauenanteil in der Belegschaft über zwei Drittel beträgt, als ausreichendes Indiz im Sinne des § 22 AGG für die Tatsache gelten lassen, dass die Klägerin lediglich wegen ihres Geschlechts nicht befördert worden sei. Das Gericht ließ das nachträglich vorgebrachte Argument, dass die Klägerin nicht die am Besten geeignete Bewerberin war, nicht gelten, weil der Arbeitgeber keine schriftlich dokumentieren Auswahlkriterien vorlegen konnte. Demnach sah das Gericht die versagte Beförderung als Diskriminierung und damit als eine Persönlichkeitsverletzung an. Wegen der gravierenden Persönlichkeitsverletzung sprach das Landesarbeitsgericht Berlin der Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 20.000,00 zu.
4. Konsequenzen
Diese Entscheidung bedeutet eine erhebliche Ausweitung des Schutzes vor Diskriminierung bei Beförderungen. In Zukunft werden Arbeitgeber genauer auf eine ausgewogenere Verteilung bei der Vergabe von Führungspositionen achten müssen oder im Vorwege nachvollziehbare, nicht diskriminierende Kriterien angeben müssen, anhand derer sie die Bewerber/Innen messen und auswählen wollen. Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass das erkennende Landesarbeitsgericht Berlin in seiner Entscheidung erstmals ein mathematisches, auf den Gesamtbetrieb bezogenes Verfahren zur Bestimmung der Diskriminierung herangezogen hatte. Denn die Statistik hatte nicht die Geschlechtsverteilung bei Beförderungen im Personalwesen der Gema zum Gegenstand.
Statt der bisher üblichen Einzelnachweise jeweiliger diskriminierender Handlungen, die in der Praxis kaum zu erbringen waren, wurde nunmehr über die Statistik ein Indiz für die Diskriminierung gesetzt, dass der Arbeitgeber nur durch substantiierten Sachvortrag erschüttern kann. Zukünftig wird daher in ähnlich gelagerten Fällen die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Auswahl der Bewerber bei den Unternehmen liegen. Die Aussichten bei Rechtsstreitigkeiten im Kampf gegen Diskriminierungen sind damit für den Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerin erheblich verbessert worden. Immer dann, wenn bei unternehmerischen Entscheidungen vom statistischen Erwartungshorizont deutlich abgewichen wird, ist darin ein Indiz für eine rechtswidrige Ungleichbehandlung zu sehen.
Dr. jur. Frank Sievert
Rechtsanwalt, Hamburg, 24.12.2008
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Rechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Frank Sievert Alsterkamp 26
20149 Hamburg
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Fall, der in dem Artikel "Statistischer Nachweis von Diskriminierungen!" beschrieben wird?
Der Fall betrifft eine Mitarbeiterin der Musikrechte-Verwertungsgesellschaft Gema, die sich gegen die Besetzung einer Führungsposition im Personalwesen mit einem Mann ohne interne Ausschreibung wehrte. Sie argumentierte, dass alle Führungspositionen im Unternehmen von Männern besetzt seien, während über zwei Drittel der Belegschaft weiblich seien. Sie sah darin eine geschlechterbezogene Diskriminierung und klagte auf finanziellen Ausgleich.
Wie hat das Landesarbeitsgericht Berlin entschieden?
Das Landesarbeitsgericht Berlin verurteilte die Gema zur Zahlung von 20.000,00 € als Entschädigung für den immateriellen Schaden. Außerdem sprach es der Klägerin die Differenz zwischen ihrem bisherigen Gehalt und dem Gehalt der Führungsposition zu, und zwar unbefristet und gekoppelt an die zukünftige Gehaltsentwicklung.
Welche Begründung hatte das LAG Berlin für seine Entscheidung?
Das Gericht sah die Personalstatistik (alle Führungspositionen von Männern besetzt, hoher Frauenanteil in der Belegschaft) als ausreichendes Indiz für eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Da die Gema keine schriftlich dokumentierten Auswahlkriterien vorlegen konnte, wurde das Argument, die Klägerin sei nicht die am besten geeignete Bewerberin gewesen, nicht akzeptiert. Das Gericht wertete die versagte Beförderung als Persönlichkeitsverletzung und sprach daher Schadensersatz zu.
Welche Konsequenzen hat diese Entscheidung?
Die Entscheidung weitet den Schutz vor Diskriminierung bei Beförderungen erheblich aus. Arbeitgeber müssen in Zukunft stärker auf eine ausgewogenere Verteilung bei Führungspositionen achten oder nachvollziehbare, nicht diskriminierende Auswahlkriterien angeben. Besonders wichtig ist, dass das Gericht ein mathematisches Verfahren zur Bestimmung der Diskriminierung herangezogen hat, das sich auf den Gesamtbetrieb bezieht, anstatt nur auf die Geschlechtsverteilung bei Beförderungen im Personalwesen.
Wie beeinflusst diese Entscheidung die Beweislast in Diskriminierungsfällen?
Statt Einzelnachweise für diskriminierende Handlungen zu erbringen, reicht nun eine Statistik als Indiz für Diskriminierung aus, die der Arbeitgeber durch Sachvortrag entkräften muss. Die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Auswahl der Bewerber liegt somit zukünftig stärker bei den Unternehmen. Abweichungen vom statistischen Erwartungshorizont bei unternehmerischen Entscheidungen gelten als Indiz für eine rechtswidrige Ungleichbehandlung.
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Der Autor des Artikels ist Dr. jur. Frank Sievert, Rechtsanwalt in Hamburg.
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- Dr. jur. Frank Sievert (Author), 2008, Die Personalstatistik kann ein Indiz für geschlechtsspezifische Diskriminierung sein, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120363