Kasachstan am Scheideweg: Rentierstaat von morgen oder Chance auf nachhaltiges Wachstum?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

2. Die wirtschaftliche Entwicklung Kasachstans
2.1. Der kasachische Öl-Boom

3. Die politische Entwicklung Kasachstans
3.1. Das Herrschaftsmonopol des Präsidenten
3.2. Strategien des Machterhalts

4. Kasachstan als angehender Rentierstaat
4.1. Renten: Umgang und Verteilungsmechanismen
4.2. Strategien zur Vermeidung des Ressourcenfluchs

5. Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

Nach einer nahezu 70 Jahre andauernden Existenz als Sowjetrepublik wurde Kasachstan 1991 mit dem Zerfall der UdSSR in die Unabhängigkeit entlassen. Dem flächenmäßig größten der fünf zentralasiatischen Staaten[1] ist seit diesem Zeitpunkt ein besonderes Interesse internationaler Herkunft zu Teil geworden, das sich vor allem auf zwei Faktoren begründet: Zum einen wird Kasachstan als Stabilitätsfaktor in Zentralasien geschätzt. Unmittelbar nach dem Zerfall des sowjetischen Staatenbundes wurde der ehemalige Generalsekretär der kommunistischen Partei in Kasachstan, Nursultan Nazarbaev, zur Führungsfigur des Transformationsprozesses. Er bestimmt bis heute das politische Geschehen. Durch einen stetigen Ausbau der staatlichen Kontrolle gelang es ihm unter anderem, trotz ethnisch wie sozial stark ausgeprägter Heterogenität[2], Stabilität innerhalb des Landes und unter der Bevölkerung zu wahren. Innerhalb der Region Zentralasien und im Kaukasus ist deshalb „ [d]ie Lage Kasachstans zwischen Rußland, China, der Türkei, dem Iran und Pakistan [...] geostrategisch brisant.“[3]

Unterstützt wird diese Brisanz durch Kasachstans reichhaltige und äußerst vielfältige Rohstoffquellen. Neben fossilen Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle handelt es sich vor allem um Vorkommen von Edelmetallen oder auch Uran, die den Rohstoffreichtum Kasachstans bestimmen. Offenbar wurden 99 der im Periodensystem bekannten Elemente in Kasachstan nachgewiesen.[4]

Besonders der Energiesektor, der die Hauptstütze der kasachischen Wirtschaft darstellt, lässt das Land nicht unerhebliche externe Einnahmen beziehen. Da Bodenschätze wie Öl und Gas zu Gütern gehören, deren Verkaufspreise auf dem Weltmarkt weit über den Produktionskosten liegen, ist der finanzielle Handlungsspielraum Kasachstans hierdurch erheblich erweitert. Einkommen solcher Art werden in der polit-ökonomischen Theorie als Renten bezeichnet, hohe Rentenzuflüsse führen zur Etablierung von Rentierstaaten.[5] Das Konzept der Rentierstaaten umfasst je nach Definitionsansatz verschiedene Merkmale. Nach einer gängigen und allgemein akzeptierten Begriffsbestimmung trifft diese Bezeichnung auf „any state that derives a substantial part of its revenue from foreign sources and under the form of rent“[6]. Allgemein sind Rentierstaatsregime durch die externen Renten von der Gesellschaft unabhängig und dieser daher bezüglich ihres Handelns kaum Rechenschaft schuldig. Dies steht im Gegensatz zu Systemen, die auf Einnahmen durch Steuern basieren. Eine häufige Folge ist die Ausbildung autoritärer Regime, in denen die Renteneinnahmen durch eine Minderheit, die Macht-Elite, generiert und verteilt werden, dem Großteil der Gesellschaft jedoch kaum zu Gute kommen.

Im Zusammenhang mit Rentierstaatlichkeit hat sich besonders der Begriff Ressourcenfluch als eine Bezeichnung für den häufig aufzufindenden Zusammenhang zwischen Ressourcereichtum und Entwicklungsstand eines Staates etabliert: Er wird immer dann verwendet, wenn ein Land trotz reicher Rohstoffvorkommen nur ein geringes, meist jedoch gar kein Wachstum aufweist, und zudem ein nur geringer Entwicklungsstand und ein ungleich verteiltes Wohlstandsniveau aufzufinden sind. Trotz hoher Exportquoten kommt es zu Stagnation. Beispiele hierfür lassen sich in Ländern wie Nigeria, Iran oder Libyen finden, hier ist eben jener Zusammenhang zu erkennen, was vor allem für die Bevölkerung negative Auswirkungen mit sich bringt. Anders verhält es sich jedoch zum Beispiel in Botswana, Norwegen oder Kanada. Hier werden die Renten so verwaltet, dass Wohlstand und Wachstum die Folgen sind.[7] Hieraus kann abgeleitet werden, dass Ressourcen zwar zusätzliches Einkommen bedeuten, jedoch nicht automatisch zu nachhaltiger Entwicklung führen.

Über das Phänomen des Ressourcenfluchs existieren vielerlei Erkenntnisse, besonders über die Mechanismen, die zu diesem führen können. Was übereinstimmend als maßgeblich identifiziert wird, sind das Verhalten und die Kompetenz der jeweiligen Machthaber eines Landes. Es existiert ein Zusammenhang zwischen der der Qualität der Staatstätigkeit und der Auswirkungen der Renten.[8]

Wie bereits angedeutet ist Kasachstan ist ein Land mit reichhaltigen Rohstoffvorkommen. Wie in dieser Arbeit gezeigt wird, generiert vor allem der Erdölsektor bereits gegenwärtig externe Rentenzuflüsse, wird dies aber besonders in den kommenden Jahrzehnten in weiter wachsendem Umfang tun, so dass von einem regelrechten Öl-Boom die Rede sein kann. Gemäß den oben genannten Beispielen stellt sich auch hier die Frage, ob der Ressourcenreichtum Motor oder Hemmnis für Wachstum und Entwicklung sein wird. Ist der Öl-Boom in Kasachstan ein Fluch oder ein Segen für das Land?

Dieser Arbeit liegt hiermit zusammenhängend ebenso die Frage zu Grunde, ob sich Kasachstan mit seinen reichen Rohstoffvorkommen zu einem Rentierstaat entwickelt, oder ob sich bereits rentierstaatliche Strukturen finden lassen. Unter Berücksichtigung des transformationsgeschichtlichen Hintergrundes wird hierzu wird erstens die wirtschaftliche Situation des Landes dargestellt und die Bedeutung des Rohstoffsektors herausgearbeitet. Wie gezeigt wird, hat Kasachstan den Wandel von der Plan- zur Marktwirtschaft relativ erfolgreich vollzogen. Jedoch steht das Land noch am Anfang seiner ökonomischen Entwicklung und hat den Gipfel der Ölförderung und –produktion noch vor sich. Zweitens steht die politische Entwicklung des Landes im Vordergrund, anhand derer typisch rentierstaatliche Mechanismen verdeutlicht werden, die bereits ablesbar sind. Die Transformation des politischen Systems und der Wandel des Staatsaufbaus in Richtung einer Demokratie ist kaum festzustellen, liegt Kasachstan doch in aller Konsequenz ein autokratisches System zu Grunde.

2. Die wirtschaftliche Entwicklung Kasachstans

Ohne an dieser Stelle eine differenzierte Analyse der letzten 17 Jahre der kasachischen Wirtschaft seit der Unabhängigkeit vorzunehmen, soll im Folgenden jedoch ein grober Überblick über ihre Entwicklung erfolgen. Besonders markant erscheint in diesem Zusammenhang der Verlauf des Wachstums des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Lag dieses von 1990 bis 1995 noch in einem deutlich negativen Bereich, zeichnet sich besonders seit 2000 eine positive Entwicklung ab, die 2006 mit 10,6 % sogar einen zweistelligen Wert erreichte.[9]

Der ökonomische Niedergang der ersten Jahre ist vor allem dem mit dem Ende der UdSSR zusammenhängenden Zerfall der Wirtschaftstrukturen und –abhängigkeiten zwischen Russland und dem Netzwerk anderer Satellitenstaaten geschuldet. Produktion und Beschäftigung gingen in den meisten Bereichen zunächst massiv zurück. Jedoch wurden im Zuge der Transformation wirtschaftliche Strukturreformen relativ rasch und streng durchgeführt, so dass der negative Trend durch Maßnahmen wie die Liberalisierungen von Preisen und Außenhandel oder die Privatisierung von Unternehmen aufgehalten und umgekehrt werden konnte.[10] Diese Maßnahmen waren ein Faktor, der die dargestellte Entwicklung begünstigt hat, ein anderer sind die in der Einleitung angedeuteten Rohstoffvorkommen, besonders der Bereich fossiler Energieträger.

2.1. Der kasachische Öl-Boom

Vor der Unabhängigkeit des Landes waren die Hauptstützen der Wirtschaft Kasachstans vor allem der Agrarsektor und der Bergbau. Zwar fand parallel hierzu bereits seit den 1970er Jahren ein Anstieg der Rohölförderung statt, rapides Wachstum erfolgte jedoch erst Mitte der 90er Jahre. Verursacher für diese relativ späte Entwicklung waren einerseits Uneinigkeiten bei der Festlegung der Landesgrenzen besonders im ölreichen Norden des kaspischen Meeres, zum anderen existierte nur eine Pipeline, die wiederum russisches Eigentum war. Dies resultierte in hohen Transportkosten für die Kasachen, die hierdurch aus finanzieller Sicht lange nicht in der Lage waren, neue Ölfelder zu erschließen. Erst seit Ende 2001 wurde mit der Öffnung der ersten privaten Pipeline durch das Caspian Pipeline Consortium (CPC)[11] ein alternativer Förderungsweg gewährleistet, der Kasachstan entlastete und die Transportkosten um die Hälfte reduzierte. Der Bau weiterer Pipelines durch das CPC folgte. Die Wende entwickelte sich außerdem mit steigenden Ölpreisen auf dem Weltmarkt im Jahr 2000 und der Entdeckungen eines großen Offshore-Ölfeldes (Kashagan) im nordkaspischen Meer.[12]

Der Anstieg der Ölförderung verlief entsprechend:[13] 1996 wurden 23 Mio. t Rohöl gefördert, 2000 waren es 35,3 Mio. t, 2006 bereits 66,1 Mio. t.[14] Die Tendenz ist nicht zuletzt wegen der neu entdeckten Reserven und Ressourcen weiter ansteigend. Die nachgewiesenen Reserven beliefen sich 2006 auf 5,5 Mrd. t[15], die geschätzten Offshore-Ressourcen im Kaspischen Meer könnten eine Menge von etwa 6,12 Mrd. t ergeben. Damit würde Kasachstan unter die Top Ten der größten Ölexporteure aufsteigen können.[16] Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IMF) könne tendenziell davon ausgegangen werden, dass Kasachstan etwa ab 2018 den Gipfel der Förderung erreicht.[17] Es lässt sich also feststellen, dass Kasachstan die wirtschaftliche Blütezeit noch bevorsteht, sich jedoch bereits jetzt ein deutlicher Öl-Boom ablesen lässt. Somit steht das Land Kasachstan an einem Scheideweg: Kann aus den Rohstoffen nachhaltiges Wachstum und sozialer Wohlstand generiert werden, oder wird aus dem Ressourcenreichtum ein Ressourcenfluch? Um dies beurteilen zu können, ist ein Blick auf die politische Elite erforderlich.

[...]


[1] Anm. Kasachstan verfügt über eine Fläche von über 2,7 Mio. m² bei gerade einmal 15,1 Mio. Einwohnern. Damit beträgt die Bevölkerungsdichte 5,6 Menschen pro km². Die Hauptstadt ist seit 1997 Astana, davor war der Regierungssitz in Almaty an der kirgisischen Grenze. Das Land ist in 14 so genannte Oblaste (kleinere Verwaltungseinheiten) gegliedert, wird jedoch zentral regiert.

[2] Anm. In Kasachstan leben über 50 Nationalitäten. 53,4 % Kasachen und 30% Russen bilden die größten Gruppen unter ihnen. Vgl.: CIA – The World Factbook – Kazakhstan,https://www.cia.gov/librarys/publications/the-world-factbook/geos/kz.html#Econ, letzter Abruf 29.08.2007.

[3] Wurzel, Ulrich G.: Eine neue Generation von Rentierstaaten: Bodenschätze, geostrategische Interessen und autoritäre Regime in Zentralasien – Der Fall Kasachstan, in: Asien, Afrika, Lateinamerika, Vol.27/ 1999, S. 553.

[4] Vgl. Darstellungen des auf der offiziellen Website des kasachischen Parlaments, http://www.parlam.kz/Information.aspx?doc=1&lan=en-US, letzter Abruf 01.07.2007.

[5] Vgl. Wurzel, Der Fall Kasachstan, S. 551.

[6] Beblawi, Hazem/ Luciani, Giacomo (Hrsg.): The Rentier State, New York 1987, S.11.

[7] Vgl. van der Ploeg, Frederick: Challenges and opportunities in resource rich economies, Discussion Paper No. 5688 (25. April 2006), Centre for Economic Policy Research, S. 3 – 6.

[8] Vgl. ebd.

[9] Datengrundlage: Worldbank - Kazakhstan Data Profile, http://devdata.worldbank.org/external/CPProfile.asp?PTYPE=CP&CCODE=KAZ, letzter Abruf: 06.07.2007

[10] Vgl. Wurzel, Der Fall Kasachstan, S. 544 – 545.

[11] Das CPC besteht zur einen Hälfte aus den Regierungen Russlands (24%), Kasachstans (19%) und Omans (7%), zur anderen Hälfte aus privaten Unternehmen. Die größten Anteile haben ChevronTexaco (15%), LUKoil (12,5%), ExxonMobil (7,5%), Rosneft/Shell (7,5%), Vgl. Najman, Boris et. al.: How are Oil Revenues redistributed in an Oil Economy? The Case of Kazakhstan. Working Papers University of Adelaide. June 2005, S. 3 – 4.

[12] Vgl. Ebd.

[13] Da die statistischen Angaben in diesem Bereich je nach Datengrundlage variieren, besteht an dieser Stelle kein Anspruch auf absolute Zahlengenauigkeit. Da jedoch zumeist tendenzielle Übereinstimmung zwischen den Quellen besteht, können die hier dargestellten Werte als richtungweisende Grundlage angesehen werden.

[14] Datengrundlage: BP Statistical Review of World Energy 2007

http://www.deutschebp.de/liveassets/bp_internet/germany/STAGING/home_assets/assets/deutsche_bp/broschueren/statistical_review_of_world_energy_full_report_2007.pdf, letzter Abruf: 06.07.2007.

[15] Datengrundlage: Ebd.

[16] Vgl. Najman, How are Oil Revenues redistributed in an Oil Economy?, S. 1, S. 4.

[17] Berengaut, Julian et.al.: Republic of Kazakhstan – Selcted Issues, IMF 2004. http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2004/cr04362.pdf, S. 17 – 18, letzter Abruf 06.07.2007.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kasachstan am Scheideweg: Rentierstaat von morgen oder Chance auf nachhaltiges Wachstum?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Sozialwissenschaften (Bereich Politikwissenschaft))
Veranstaltung
Hauptseminar „Rentierstaatregime im Nahen Osten und Zentralasien“
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V120395
ISBN (eBook)
9783640253340
ISBN (Buch)
9783640253418
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
23 Einträge im Literaturverzeichnis, davon 12 Internetquellen.
Schlagworte
Kasachstan, Scheideweg, Rentierstaat, Chance, Wachstum, Hauptseminar, Nahen, Osten, Zentralasien“
Arbeit zitieren
Nina Paulsen (Autor:in), 2007, Kasachstan am Scheideweg: Rentierstaat von morgen oder Chance auf nachhaltiges Wachstum?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120395

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