Typisierung von Referenten und Aktanten


Hausarbeit (Hauptseminar), 1998

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Funktional-grammatische Prinzipien
2.1 Die Ikonizität der Syntax
2.2 Die Bedeutung von syntaktischen Kodierungsverfahren
2.3 Die funktionalen Bereiche der menschlichen Sprache
2.4 Grammatische Adäquatheitskriterien
2.5 Markierte vs. unmarkierte Sätze

3. Aktanten als pragmatische Kasusrollen
3.1 Topik-Kontinuität, Fokus und pragmatische Kasusrollen
3.2 Hierarchisierung der semantischen Kasusrollen bezüglich der pragmatischen Kasusrollen
3.2.1 Die Hierarchie von „access-to-subject“ oder „subjectization“
3.2.2 Die Hierarchie von „accession to direct-objecthood“
3.3 Die funktionalistische Sprachtypologie Givóns
3.3.1 „The cross-linguistic typology of subjectization“
3.3.1.1 Die nominativ-akkusative Kasusmarkierung
3.3.1.2 Die aktive vs. nicht-aktive Kasusmarkierung
3.3.1.3 Die ergativ-absolutive Kasusmarkierung
3.3.1.4 Der Sonderfall der Philippinen-Sprachen
3.3.2 „The cross-linguistic typology of objectization“
3.3.2.1 „The word-order type“
3.3.2.2 „Limited optional promotion“
3.3.2.3 „Obligatory promotion of DAT/BEN objects“
3.3.2.4 „Extended promotion via verb-coding“
3.3.2.5 „The serial-verb sources of object case-marking“
3.3.2.6 „The nominal-genitive source of object case-marking“

4. Fazit und Ausblick

5. Literaturangaben

1. Einleitung

In dieser Arbeit geht es um die Erfassung des ‚Aktant‘-Begriffs im funktional-grammatischen Ansatz Givóns (1984) und um seine Aufstellung zweier syntaktisch-basierter Sprachtypologisierungen aufgrund der grammatischen Kodierung von Aktanten.

Auch die weitverbreitete ‚Relationale Typologie‘ basiert auf der Kodierung von Aktanten. Die Funktionaltypologien Givóns (1984) unterscheiden sich aber insofern von der Relationalen Typologie, als bei Givón nicht nur die semanti­sche, sondern auch die pragmatische Komponente von Aktant/Referent/Partizipant berücksichtigt werden.

Die Relationale Typologie bezieht sich nämlich auf die Kodierung mittels Kasusdeklination der von Givón (1984:135) genannten „semantic case-roles“. Diese ‚semantischen Kasusrollen‘ sind nichts anders als die bekannten semantischen bzw. thematischen oder Theta-Rollen. Die Relationale Typologie würdigt v.a. die Rollen des Agens und des Patiens und unterscheidet dabei zwischen Nominativ-, Ergativ- und Aktivsprachen.

Nach Givón (1984:135ff.) ist dies nicht ausreichend, denn nach ihm gibt es zwei weitere fundamentale Rollen, die die Relationale Typologie außer acht läßt – das sind das Subjekt und das Direktobjekt, die von Givón „pragmatic case-roles“ genannt werden. Es handelt sich hier um eine Ausformung von dem, was man in der Prager Schule ‚Funktionale Satzperspektive‘ genannt hat, also der Gliederung von Sätzen in eine hierarchisch definierte Abfolge von Konstituenten, und zwar nach dem Gesichtspunkt der Informationsstruktur. Nach Givón (1984:137f.) sind solche Konstituenten meist Nominalphrasen (= NPs) und er nennt sie „topics“, wobei er zwischen „primary clausal topic“ (das Subjekt) und „secondary clausal topic“ (das Direktobjekt) unterscheidet. Den beiden wichtigsten Satz-Topiks setzt er außerdem die weniger ‚topikhaften‘ Fokus-NPs entgegen (Givón 1984:170 u. 256f.).

Aufgrund der pragmatischen Kasusrollen stellt Givón zwei Hierarchisierungen der semantischen Kasusrollen auf, definiert die typologische Unterscheidung zwischen Nominativ-, Ergativ- und Aktivsprachen neu und schlägt eine zweite Sprachtypologie vor, die auf der Kodierung des sekundären Satz-Topiks basiert. Ein weiterer Unterschied zur Relationalen Typologie, besteht darin, daß Givóns Typologien sich nicht nur auf die Markierung mittels Kasusdeklination beziehen, sondern auch mittels Serialisierung.

Wie im Abschnitt 3.1 zu sehen sein wird, sind die Begriffe von Subjekt und Direktobjekt bei Givón (1984) alles anders als sauber definiert. Auch die Verhältnisse zwischen pragmatischen Rollen, Topik und Fokus wirken auf den ersten Blick etwas schwammig; der Eindruck bleibt bei der Lektüre des dieser Arbeit zugrundeliegenden Kapitels „Case-marking typology“ vielfach bestehen, da darin einige Fragen in dieser Hinsicht unbeantwortet oder nicht klar beantwortet bleiben; erst in späteren Kapiteln stellt GIVÓN (1984) Grundannahmen auf eingehendere Weise vor, die für das Verständnis seiner ‚Kasusmarkierungstypologie‘ unentbehrlich sind. Auch einige Schlußfolgerungen und Annahmen sind nicht immer zufriedenstellend.

Für den Moment möchte ich aber bereits Folgendes festhalten: wichtig in dem Givónschen Ansatz – und im funktional-grammatischen im allgemeinen – ist m.E. die Bemühung, Syntax nicht nur formal zu beschreiben – wie das bei den (v.a. nordamerikanischen) Strukturalisten der Fall war und bei den ‚neo-strukturalistischen‘ Generativisten offenbar noch vielfach der Fall ist –, sondern auch in ihrer semantischen und v.a. pragmatischen Funktionen und Motivationen zu erklären.

Diese Diskussion um grammatische Adäquatheitskriterien wird im Abschnitt 2 der Arbeit behandelt. Es wird hier kein Anspruch auf Vollständigkeit gestellt, sondern es geht dabei um eine eher knappe Darstellung der wichtigsten funktional-grammati­schen Prinzipien nach Givón (1984), Givón (1995) und Dik (1997) im Vergleich mit dem ‚klassi­schen‘ Strukturalismus und der Generativen Grammatik (= GG). Da ich mich durch diese Arbeit zum ersten Mal mit Funktionalgrammatik (= FG) beschäftige, schaffe ich mir selbst dabei etwas Klarheit über den theoretischen Rahmen, in den der Gegenstand der Arbeit eingebettet ist. Umgekehrt eignet sich das Thema der Arbeit hervorragend als Ausgangspunkt zu einer – wenn auch nicht ausschöpfenden – vergleichenden Diskussion über grammati­sche Modelle.

Der 3. Abschnitt, der den Kern dieser Arbeit bildet, in dem die pragmatische Charakterisierung von Aktanten behandelt wird, beschäftigt sich zunächst mit der Definition von ‚Topik‘ , Fokus und den pragmatischen Kasusrollen (3.1). In der Folge wird die Givónsche Hierarchisierung von semantischen Rollen bezüglich der pragmatischen Kasusrollen (3.2) und anschließend die Givónschen Sprachtypologien (3.3) in groben Zügen vorgestellt und diskutiert. Wie im Referat wird hier das, was „split ergativity“ (nicht-ergative Merkmale in ergativen Sprachen) genannt wird (Givón 1984:153ff.), nicht behandelt, da im Rahmen dieser Arbeit kein Anspruch auf eine ausschöpfende Analyse von Ergativität erhoben werden kann. Anders als im Referat findet hier die Typologie bezüglich des Direktobjekt-Topiks einige Beachtung, da dadurch ein gesamter Überblick über Givóns funktionalistische Typisierung von Aktanten ermöglicht wird.

Zum Schluß (4. Abschnitt) werden die wichtigsten im Körper der Arbeit diskutierten Probleme und Vorzüge des Givónschen Ansatzes gegenüber der Relationalen Typologie, der GG und anderen funktionalistischen Ansätzen noch einmal zusammengefaßt präsentiert.

2. Funktional-grammatische Prinzipien

2.1 Die Ikonizität der Syntax

Nach Givón (1984:29) bezieht sich Syntax auf ein komplexes Kodierungssystem. Diese Kodierung bezieht sich auf zwei Entitäten, die in einer semiotischen Relation zueinanderstehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Man wird hier gleich an Saussures Begriffspaar ‚signifiant/signifié‘ erinnert, an das Konzept vom aus Form und Inhalt bestehenden sprachlichen Zeichen. Es gibt hier allerdings einen grundlegenden Unterschied: im saussureschen Konzept besteht eine rein arbiträre, im FG-Konzept dagegen eine ikonische Relation zwischen Kodiertem und Kodierendem. Das bedeutet, daß man syntaktische Strukturen (das Kodierende) als Abbildungen von bestimmten Funktionen (dem Kodierten) ver­steht und umgekehrt, aus den Strukturen, die Funktionen ermitteln kann (Givón 1984:33f.).

2.2 Die Bedeutung von syntaktischen Kodierungsverfahren

Syntaktische Strukturen bilden nach Givón (1984:136) vielfach „the case-marking typology of a language“, die „its most central typological parameter“ ist. Darauf basieren seine Typologien.

Die Bezeichnung ‚Kasusmarkierung‘ soll aber nicht dazu verleiten, zu meinen, es handele sich hier um die grammatische Kasusdeklination. Mit ‚Kasus‘ werden hier die unter 2.3 und 3.1 erläuterten semantischen und pragmatischen Kasusrollen gemeint. Die morphologischen Kasus stellen bloß eine der Möglichkeiten syntaktischer Kodierung von semantischen und funktionalen Kasus dar, wie auch von syntaktischen ‚Kasus‘ bzw. Funktionen, was bei Givón (1984), der pragmatische und syntaktische Kategorien miteinander vermengt, nicht ganz eindeutig ist (s. Abschnitt 2.3 und 3.1).

In diesem Zusammenhang ist die Feststellung, daß syntaktische Kodierungsver­fahren auf einige wenige Typen zurückzuführen sind, von großer Bedeutung. In dem ersten Band seiner „functional-typological introduction“ in die Syntax listet Givón folgende drei Typen auf: Serialisierung (Wort- und Konstituentenstellung), grammati­sche Morphologie (Kasusdeklination, Diathesen u.a.) und intonatorische Merkmale, wobei diese Strategien durch Beschränkungen, d.h. Wohlgeformtheitsbedingungen, geregelt werden (Givón 1984:36). Elf Jahre später ergänzt Givón diese Liste um die hierarchische Konstituentenstruktur, die – wie er betont – nicht direkt beobachtbar ist, sondern eher aus der Existenz von Wortstellung und Intonation ermittelt werden (Givón 1995:177).

Interessant ist hier die Kritik, die Givón in den 90er Jahren im Kapitel mit dem vielsagenden Titel „Taking Structure Seriously, I: Constituency and the VP Node“ an einer funktionalistischen Richtung übt, die ihm zufolge die genannten „observable components of grammatical structure“ verleugnen. Damit – so Givón – verleugneten solche Funktionalisten „the most down-to-earth notions of traditional parsing – constituency and hierarchy (Givón 1995:177; Hervorhebungen im Original).

Givón nennt leider keine Namen, aber seine kritische Einstellung – die m.E. nicht im Gegensatz zu der der 80er Jahre steht, sondern vielmehr eine Weiterentwicklung davon darstellt – ist verständlich: die FG scheint sich als Gegenpol zur GG zu verstehen und somit vielfach generative Ansätze von vornherein abzulehnen, ohne sie ernsthaft zu prüfen. Daß in der GG dem formalen Aspekt von Sprache eine Sonderstellung vorbehalten wird (‚Autonomie der Syntax‘), ist eine Tatsache, die einen wesentlichen Kritikpunkt innerhalb der gesamten Theorie darstellt, was in den nächsten Abschnitten zur Sprache kommt. Aber es bedeutet auch keinen Fortschritt, zu behaupten, morpho-syntaktische Strukturen seien zweitwichtig im Gegensatz zu pragmatischen Funktionen und Argumentstrukturen, da man es hier – wie unter 2.1 kurz skizziert – mit den beiden Seiten einer einzigen Erscheinung zu tun hat.

Insofern stellen Givóns Ausführungen ein Beispiel für das gesunde Verhalten dar, wie ganz oder teilweise gegensätzliche Theorien mittels sachlicher Überlegungen versuchen können, sich gegenseitig befruchten zu lassen. Bei Givóns FG stellt man fest, daß er wichtige strukturalistische Ansätze und Erkenntnisse, die von der GG übernommen wurden, wie z.B. die Bedeutung von syntaktischen Strukturen, nicht ablehnt, sondern sie herausarbeitet und mit den Begriffen der Ikonizität und der Funktion u.a. bereichert.

Leider Gottes muß man aber bei Givón bemängeln, daß er sich nur mit den älteren Ausformungen der GG auseinandersetzt: nur Syntactic Structures von 1957, die Standardtheorie (in Aspects of the Theory of Syntax, 1965) und z.T. die Erweiterte Standardtheorie finden bei ihm einige Beachtung. Die Revidierte Erweiterte Standardtheorie der 70er, die Rektions- und Bindungstheorie der 80er und das Minimalistische Programm der 90er Jahre werden überhaupt nicht berücksichtigt.

2.3 Die funktionalen Bereiche der menschlichen Sprache

Unter 2.1 wurde angedeutet, daß syntaktische Strukturen im funktionalistischen Ansatz als Abbildungen von Funktionen verstanden werden. Welche Funktionen syntaktische Strukturen kodieren bzw. markieren, erläutert Givón (1984:30ff.) anhand seines Schemas der „major functional realms coded by human language“:

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Fig. 1: Funktionale Bereiche der Sprache

[Aus: Givón 1984: 33]

Im Bereich der lexikal-semantischen Bedeutung befindet sich nach Givón (1984:31) das im Lexikon kodierte Weltwissen, d.h. das Wissen über regelhafte Phänomena und Begriffe der außersprachlichen Welt. Givón bezieht sich hier auf die Bedeutung von Lexemen. Diese Bedeutung wird primär durch lineare Lautsequenzen kodiert, und zwar mit hohem Grad an Arbritarität in der Zuweisung von lexikalischer Bedeutung und phonologischer Kodierung, was dem saussureschen Zeichenmodell entspricht. Die Syntax ist hier nicht die primäre Kodierungsstrategie, aber es soll nach Givón (1984:31) zahlreiche Schnittstellen zwischen lexikalischer Semantik und Syntax geben; hierfür gibt Givón leider keine Beispiele an.

Die propositional-semantische Information bezieht sich Givón (1984:31) zufolge einerseits auf die Charakterisierung der Proposition als Zustand, Ereignis oder Handlung und andererseits auf die zusammen mit dem Prädikat die Proposition bildenden Argumente, die Givón (1984:135) „semantic case-roles“ nennt: Agens, Dativ (das ist für Givón der Experiencer und der Rezipient), Benefaktiv, Patiens, Lokativ, Instrumental, Assoziativ, Modal u.a. Die ‚semantischen Kasusrollen‘ werden zusammen mit den „pragmatic case-roles“ (Givón 1984:137f.) syntaktisch kodiert.

Diese ‚pragmatischen Kasusrollen‘ sind „atomic propositions within a wider communicative context, i.e. in discourse“ (Givón 1984:31) und beziehen sich auf diskurspragmatische Funktionen. Es handelt sich dabei um Konstituenten, die die Informationsstruktur des Satzes und des Diskurses bilden. Givón benutzt hierfür die Termini ‚Topik‘ und ‚Fokus‘, wobei er zwischen einem primären und einem sekundären Topik unterscheidet, die er jeweils ‚Subjekt‘ und ‚Direktobjekt‘ nennt. Hier werden pragmatische Funktionen und syntaktische Relationen miteinander vermengt, und das nicht zum Vorteil, wie es noch im Abschnitt 3.1 problematisiert wird.

Wie bereits erwähnt, werden propositional-semantische Information und diskurs-pragmatische Funktion zusammen durch die syntaktischen Verfahren kodiert. Syntax wird somit verstanden „as a communicative compromise, a compromise between the need to code propositional-semantic information and the need to code – simultaneously and by the same structure – discourse pragmatic function“ (Givón 1984:44; Hervorhebung im Original). An dieser Stelle ist bei Givón von der lexikal-semantischen Bedeutung nicht mehr die Rede; was die Propositionalsemantik anbelangt, geht es ihm vornehmlich um die thematischen Rollen; wie bereits erwähnt, werden mit diskurs-pragmatischen Funktionen offenbar auch syntaktische Relationen gemeint (s. Abschnitt 3.1).

Der Gegensatz zum Strukturalismus und zur GG ist augenfällig; das erwähnt Givón (1984:34) selbst:

„Traditionally, structuralists – and in particular the more recent transformational-generative school – have tended to ignore the cross-linguistic typological diversity of structure types that may code the same functional domain.“

[Hervorhebung im Original]

Im Kapitel „Background“, nach einer Liste der Hauptkomponenten der GG (darunter Autonomie der Syntax, Mentalismus u.a.), äußert sich Givón (1984:7ff.) folgendermaßen:

„The approach to the study of syntax adopted in this book developed gradually as a rejection of all the tenets of the transformational-generative tradition as listed above.“

Wie aber in 2.2 bereits angedeutet, bezieht sich Givón nur auf die früheren Phasen der GG. Dabei bietet sich hier eine interessante Auseinandersetzung mit der GG der 80er Jahre. Seit Chomskys Lectures on Government and Binding (1981) (= GB-Theorie) finden in der GG auch Argumentstrukturen einen Platz, und zwar im lexikalischen Modul, was im sog. ‚Y-Modell‘ zur Darstellung der Grammatik (Fig. 2) zum Ausdruck kommt:

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Fig. 2: Die Räpresentationsebenen der Grammatik in der GB-Theorie

[Nach Grewendorf 1991:118f., Stechow/Sternefeld 1988:59ff. u.a. ]

Allerdings sind in der GB-Theorie so gut wie keine Überlegungen zur funktionspragmatischen Seite von Sprache und von Syntax zu finden. Hier handelt es sich m.E. um einen grundlegenden Kritikpunkt, der den Kern beider Sprachtheorien berührt, denn er bezieht sich auf die von Chomsky aufgestellten ‚Adäquatheitskriterien‘ für Grammatikmodelle.

2.4 Grammatische Adäquatheitskriterien

Nach Chomsky kann ein Grammatik-Modell bekanntermaßen erst als adäquat bezeichnet werden, wenn es die drei Bewertungskriterien von Beobachtungs-, Beschreibungs- und Erklärungsadäquatheit erfüllt.

Nach Fanselow/Felix (1993-1:102) ist diejenige Grammatiktheorie beobachtungsadäquat, die „angibt, ob ein gegebener Satz in einer Sprache möglich ist oder nicht“; beschreibungsadäquat ist diese Theorie, wenn sie „jedem dieser möglichen Sätze auch eine ganz bestimmte Struktur zuordnet“.

Die umfassendste Forderung nach Erklärungsadäquatheit sei aber erst gelöst, wenn die grammatische Theorie in der Lage ist, eine plausible Erklärung für den relativ schnellen Erstspracherwerb zu geben (Fanselow/Felix 1993-1:112). Demnach wird das Erklärungskriterium von demjenigen grammatischen Modell erfüllt, das einer mentalistischen Theorie des Erstspracherwerbs entspricht und angeborene linguistische Universalien postuliert. Dabei wird der behaviouristischen Erklärung eine nativistische Hypothese im besten Sinne Descartes’ entgegengestellt. Es handelt sich hierbei um zwei extreme und deshalb einseitige Erklärungsversuche, die hier nicht weiter diskutiert werden sollen.

Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist, daß man vom funktionalistischen Blickwinkel her durchaus bezweifeln kann und soll, ob der generativistische Anspruch auf Erklärungsadäquatheit eben adäquat ist. Denn es fällt oft schwer, mehrere der darauf basierten Annahmen nachzuvollziehen, da sie nicht selten rein spekulativ und etwas gekünstelt anmuten. Das ist beispielsweise der Fall von den sogennanten ‚Grenzknoten‘ und dem damit verbundenen ‚Subjazenzprinzip‘ (vgl. z.B. Grewendorf 1991: 79ff.; Stechow/Sternefeld 1988:358ff.). Es soll sich hierbei um ein universelles (angeborenes) Prinzip handeln, das ‚Transformationsregeln‘ beschränkt und besagt, bei Bewegungen (z.B. W-Bewegungen) dürfe nur ein Grenzknoten in einem Zuge überquert werden; das einzelsprachliche Parameter für das Deutsche lautet: Grenzknoten im Deutschen sind IP (=Inflektionsphrase) und NP. Dieses Prinzip wird verwendet zur Erklärung der unterschiedlichen Grammatikalitätsverteilung von in der Bedeutung sonst ähnlichen Sätzen, in denen Bewegung und Extraktion einer W-Phrase stattgefunden haben; Beispiele aus Grewendorf (1991:79):

(1a) Wen, meint Peter, wird Maria heiraten?

(1b) [CP Weni meint [IP Peter [CP ti’ wird [IP Maria ti heiraten]]]]?

(2a) *Wen, ist Peter der Meinung, wird Maria heiraten?

(2b) *[CP Weni ist [IP Peter [NP der Meinung [CP ti’ wird [IP Maria ti heiraten]]]]]?

Soll der Mensch tatsächlich mit einem solchen mentalen Apparat auf die Welt kommen? Das scheint mir nicht sonderlich wahrscheinlich.

Außerdem kann man anhand vieler Beispiele wie dieses genau dieselbe Kritik an der GG üben, die manche generativistischen Autoren an der FG üben, wie z.B. Fanselow/Felix (1993-1: 93ff.), nämlich, daß Beschreibungen syntaktischer Strukturen als Erklärungen derselben verkauft werden (siehe dazu auch Abschnitt 2.5). Denn z.B. das Subjazenzprinzip bezieht sich m.E. auf nichts anders als eine reine Beschreibung von Strukturen, wobei eben eine Regel aufgestellt wird, die der Beobachtung entspringt. Es mag ein Universalprinzip sein, mit angeborenen Strukturen hat es aber wohl kaum etwas zu tun. Ein anderes Beispiel wäre hier das ‚Kopfprinzip‘, das ‚Phrasenstrukturregeln‘ beschränkt und besagt, jede Phrase habe einen Kopf; in der einzelsprachlichen Parametrisierung erscheine dieser Kopf entweder rechts- oder linksperipher (vgl. z.B. Müller/Riemer 1998:59f.; Stechow/Sternefeld 1988:110ff. u.a.) – ist das viel mehr als die Beschreibung regelhafter Erscheinungen? Wohl kaum.

Fanselow/Felix (1993-1:94f.) sind auch nicht in der Lage, funktionalistische Erklärungen ernsthaft abzuschlagen, z.B. in bezug auf Topikalisierungsverhältnisse in der Passiv- gegenüber der Aktivkonstruktion. Allerdings haben sie sicherlich recht mit der Kritik, daß nicht alle syntaktische Strukturen mit einer funktionalen Motivation zu erklären sind (Fanselow/Felix (1993-1:96). Es kann tatsächlich keine funktionale Erklärung für die Grammatikalitätsverteilung der Sätze unter (1) und (2) geben oder dafür, weshalb deutsche intransitive Verben nur dann unpersönliches Passiv bilden können, wenn sie das Perfekt mit haben und nicht mit sein bilden (Fanselow/Felix 1993-1:96):

(3) Es wurde bis spät in die Nacht getanzt.

(4) *Heute darf nicht so früh angekommen werden.

Aber eine Erklärung im kognitiv-psychologischen Sinne scheint mir auch nicht möglich, noch plausibel.

Im großen und ganzen bin ich der Meinung, daß die GG zwar einen Formalismus entwickelt hat, bestehend aus Regeln, Beschränkungen und Repräsentationsstrategien mittels X-Bar-Schema, Bewegungstransformationen und Prinzipien, der ein durchaus interessantes Instrumentarium zur Beschreibung von syntaktischen Strukturen darstellt, aber dem selbstgestellten Anspruch auf Erklärungsadäquatheit wird dieser Formalismus nicht gerecht.

Darüber hinaus drängt sich die Frage auf, ob Spracherwerbsfragen das ausreichende Kriterium sein können, ein Grammatik-Modell als erklärungsadäquat zu beurteilen. Denn die Sprache von seiner primären Funktion – der Kommunikation – getrennt zu analysieren, kann nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen. In diesem Sinne erscheinen mir die „standards of adequacy“, die Dik (1997:12ff.) für die FG aufstellt, und bei denen die pragmatische Adäquatheit eine wesentliche Rolle spielt, realistischer und treffender, selbst wenn – wie schon erwähnt – nicht alles in der Syntax natürlicher Sprachen mittels Pragmatik zu erklären ist.

Bei Dik sind die Adäquatheitskriterien von Beobachtung und Beschreibung – wenn ich das richtig interpretiere – bereits so selbstverständlich geworden, daß sie gar nicht erst eingehend erwähnt werden. Es bleibt so nur die Erklärungadäquatheit übrig, die in drei Aspekte formuliert wird. Zwei davon stellen eine umgeformte und meiner Meinung nach sogar berichtigte Version der generativistischen Auffassung von Erklärungsadäquatheit dar, was psychologische Aspekte und Universalien-Forschung angeht: nach Dik muß eine Sprachtheorie einerseits mit „psychological models of linguistic competence and linguistic behaviour“ kompatibel sein (psychologische Adäquatheit) und andererseits muß sie „capable of providing grammars for languages of any type, while at the same time accounting in a systematic way for the similarities and differences between these languages“ sein (typologische Adäquatheit) (Dik 1997:13f.). Der dritte Aspekt bezieht sich auf die pragmatische Adäquatheit, wonach ein Grammatik-Modell sprachliche Äußerungen in der Kommunikation eingebettet analysieren muß:

„This means that we must not think of linguistic expressions as isolated objects, but as instruments which are used by a Speaker in order to evoke some intended interpretation in the Addressee, within a context defined by preceding expressions, and within a setting defined by the essential parameters of the speech situation.“

[Dik 1997:13]

Was die Charakterisierung der Aktanten und Referenten als topikalisierte und fokussierte NPs angeht, so sind bei Givón (1984) Bemühungen um pragmatische Erklärungsadäquatheit und darauf basierte typologische Aussagen festzustellen (siehe 3. Abschnitt). Sein Verständnis von Vordergrund- vs. Hintergrundinformation im Diskurs ist aber auch in kognitiv-perzeptuellen Faktoren verankert, wie es z.B. bei seiner funktionsbasierten Erklärung von Markiertheit in Tempus-Modus-Aspekt-Systemen deutlich wird (Givón 1984:287ff.).

2.5 Markierte vs. unmarkierte Sätze

Givón (1984:41ff.) unterscheidet zwischen einfachem/unmarkiertem und kom­plexem/markiertem Satz. Der unmarkierte Satz ist der aktive, affirmative, deklarative Hauptsatz, aus dem unterschiedliche markierte Sätze abgeleitet werden, und zwar durch die unter 2.2 genannten syntaktischen Verfahren der Serialisierung, grammatischen Morphologie, Intonation, hierarchischen Konstituentenstruktur und die diese Verfahren regelnden Beschränkungen.

Wichtig dabei ist die Beobachtung Givóns, daß diese syntaktischen Kodierungsstrategien dazu dienen, Veränderungen der diskurs-pragmatischen Funktionen vorzunehmen, und zwar unter Beibehaltung des propositional-semantischen Gehaltes. Dafür folgende Beispiele (nach Givón 1984:42):

(5a) Hans tötete den Löwen.

(5b) Den Löwen tötete Hans.

(5c) Der Löwe wurde von Hans getötet.

(5d) Wer tötete den Löwen?

(5e) Was tötete Hans?

(5f) Hans tötete den Löwen.

In allen Sätzen unter (5) ist genau dieselbe Argumentstruktur enthalten: Hans ist der Agens, derLöwe der Patiens. Aber mittels Serialisierungsveränderungen, Diathese, W-Frage-Bildung und Intonation u.a. wird entweder der Agens oder der Patiens zum wichtigsten Topik (Erläuterung von ‚Topik‘ und Diskussion im Abschnitt 3.1), wobei (5a) die unmarkierte Struktur bildet, aus der alle andere Strukturen abgeleitet werden. Da Givón (1984) pragmatische und syntaktische Kategorien nicht unterscheidet, versäumt er hier zu erwähnen, daß auch die syntaktischen Relationen in obenstehenden Sätzen mittels Strukturveränderungen umgewandelt werden.

Diese Unterscheidung zwischen einfachem und komplexem Satz entspricht im großen und ganzen der Unterscheidung zwischen „‘kernel’ or simple sentences und „‘transformed’ or complex sentences, die in Chomskys Syntactic Structures (1957) zu finden war (Givón 1984:41; Hervorhebungen im Original). Aber bereits im Aspekte-Modell (1965) wurde diese Unterscheidung zugunsten der zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur aufgegeben. Darin wird die Tiefenstruktur als eine eher ab­strakte Grundstruktur verstanden, die nicht unbedingt als aktuelle, reale Struktur er­scheinen muß, wie das noch bei der kernel sentence der Fall war. Aus dieser Tiefen­struktur werden nun die tatsächlich vorkommenden Oberflächenstrukturen abgeleitet, und zwar mittels Bewegungstransformationen (‚Bewege a‘), wie es seit der Revidierten Erweiterten Standardtheorie (70er Jahre) postuliert wird. Siehe dazu Figur 2.

Es ist vielleicht nicht überflüssig zu erwähnen, daß die Unterscheidung zwischen Tiefen- und Oberflächenstruktur keine Erfindung der GG ist, wie man bei der Lektüre mehrerer generativer Einführungswerke glauben könnte (vgl. z.B. Fanselow/Felix (1993-2:123f.; Stechow/Sternefeld 1988: 59ff. u.a.). Bereits bei dem indischen Grammatiker Panini im 4. Jh. v. Chr. sowie in der Port-Royal -Grammatik, bei Humboldt, Wittgenstein und Hockett ist die Idee einer Unterscheidung zwischen zwei Strukturebenen zu finden (Bussmann 1990:789). Es ist ein Gedanke, der durchaus sinnvoll ist und in der GG vorbildhaft zur Beschreibung von Erzeugung und Ableitung von (Phrasen-)Strukturen (‚Phrasenstrukturregeln‘ und ‚Transformationsregeln‘) entwickelt wurde; der Fehlgriff der GG dabei wurde bereits angedeutet: man hebt viel zu sehr die Strukturbeschreibung heraus, wobei diese Beschreibung vielfach als motivierende Erklärung mißinterpretiert wird.

In seiner Hierarchisierung der semantischen Rollen bezüglich der Satz-Topiks und in seinen Kasusmarkierungstypologien geht Givón (1984) von den unmarkierten Sätzen aus. Im zweiten Band seiner Einführung in die funktional-typologische Syntax behandelt er dann markierte Satztypen, wie W-Fragen, Relativsätze, Passivkonstruktio­nen u.a., wobei der Herleitung solcher komplexer Sätze funktionale Erklärungen und Beschreibungen zugrundegelegt werden (Givón 1990).

3. Aktanten als pragmatische Kasusrollen

3.1 Topik-Kontinuität, Fokus und pragmatische Kasusrollen

Die pragmatischen Kasusrollen sind bei Givón das Subjekt und das Direktobjekt. Aufgrund dieser pragmatischen Kasus stellt er Hierarchisierungen der semantischen Rollen sowie Kasusmarkierungstypologien auf.

Die Begriffe von Subjekt und Direktobjekt sind bei Givón (1984: 135ff.) allerdings alles anderes als sauber definiert. Sind das pragmatische Rollen oder syntaktische Funktionen? In der Einführung zum Kapitel „Case-Marking Typology“ beteuert Givón (1984:135):

„Clearly then, both ‚subject‘ and ‚direct object‘ are grammatical/syntactic categories coding another functional level in language, that of discourse-pragmatics, and more specifically the complex system which codes the clausal topic.

[Hervorhebungen im Original]

Eine mögliche Interpretation wäre, daß es sich dabei um zwei ko-existente, aber unterschiedliche Auffassungen von Subjekt und Direktobjekt handelt: eben einmal als hierarchisierte Topiks und einmal als syntaktische Funktionen, die diese Topiks innehaben können, wobei Subjekt und Direktobjekt als syntaktische Funktionen eher als prototypische Ausformungen von den hierarchisierten Topiks aufzufassen wären. Entweder vermengt Givón (1984) beide Auffassungen miteinander – einerseits ist von „important topics in discourse“ (Givón 1984:138) die Rede, was ein pragmatisches Kriterium darstellt; an anderer Stelle wird allerdings ein morpho-syntaktisches Kriterium verwendet, nämlich die Kongruenz von Subjekt und Finitum (Givón 1984:142). Oder er verwendet die Termini ‚Subjekt‘ und ‚Direktobjekt‘ einfach unterschiedslos für beide Auffassungen, was aber kein glücklicher Einfall ist.

Sicherlich kann man davon ausgehen, das Subjekt (als syntaktische Funktion) sei das prototypische Thema einer Äußerung; das wird auch klar in der Erklärung vom Subjekt als „Satzgegenstand“ (vgl. z.B. Bussmann 1990:748). Genauso gut wird allgemein angenommen, der Agens stelle die prototypische thematische Rolle des Subjekts dar. Aber es kommt niemand mehr auf die Idee, auch Givón (1984) nicht, die Grenzen zwischen syntaktischem Subjekt und Agens-Rolle zu verwischen. Gleichfalls sollte man syntaktische und pragmatische Funktion voneinander unterscheiden. Denn es handelt sich hier um drei Ebenen der Aktanten-Charakterisierung oder wie Comrie (1989:57) es formuliert: „There are thus several terminologies within which we can describe the valency of a verb [...] : semantic roles, pragmatic roles, and grammatical (syntactic) relations“. Die Grenzen zwischen den beiden letzten Ebenen sind bei Givón (1984) nicht klar genug abgezeichnet. Interessant ist bei Comrie (1989: 57, 64f.) die Subsumierung dieser drei Kategoriengruppen unter dem Begriff der ‚Fundamentalrelation‘, d.h. der Relation zwischen dem Prädikat und seinen Argumenten, was im Fall der pragmatischen Rollen meiner Meinung nach nicht ganz zutreffend ist, da der Topikhaftigheitsgrad nominaler Argumenten von dem jeweiligen Diskurskontext abhängt.

Was die Schwerpunktsetzung auf diese Topikhaftigkeitsverteilung zwischen NPs innerhalb von Sätzen angeht, äußert sich Givón (1984:137) folgendermaßen:

„This is the system of tracking and identifying the participants in the story, the ones most likely to surface out as subjects and objects of clauses. We shall call it the system of topic maintenance or topic continuity. While human discourse may have loftier, more abstract themes, we would consider it as being prototypically about the fate, affairs, doings, trials and tribulations of individual – most commonly nominal – topics. Potentially, all nominal arguments in propositions are topics in this sense.

[Hervorhebungen im Original]

Was aber ist genau „topic“ und „topic continuity“ bei Givón? Seine Definition zu diesen Begriffen muß erst einmal in seinem Syntax-Werk mühsam zusammengesucht werden.

Im Kapitel „Case-marking typologie“ nennt er als Kriterium für Topik-Kontinuität eine statistisch belegbare frequency of occurrence [Hervorhebung im Original] , was „the main behavioral manifestation of important topics in discourse“ darstellt. Aufgrund derer unterschiedlichen Kontinuität im „multi-propositional discourse“ unterscheidet Givón (1984:137f.) zwischen einem „primary clausal topic“ (dem Subjekt) und einem „secondary clausal topic“ (dem Direktobjekt); ‚Indirektobjekte‘ (das sind für Givón 1984:168ff. alle andere NPs, auch Adverbial-NPs[1] ) sind noch weiter unten in der Topik-Kontinuitäts-Hierarchie, obwohl auch sie unter bestimmten Bedingungen zum sekundären Topik gemacht werden können (siehe dazu Abschnitt 3.3.2).

Im einführenden Kapitel „Methodological preliminaries: communicative function and syntactic structure“ ist vage von Wichtigkeit der Informationen im Sinne von Rekurrenz die Rede, aber auch hinsichtlich der Unterscheidung von „what is the foreground of new information as against what is background (Givón 1984:32; Hervorhebungen im Original).

Setzt Givón etwa die Dichotomie Subjekt-Topik vs. Direktobjekt-Topik mit denen von Thema vs. Rhema und Fokus vs. Nicht-Fokus gleich? Eine klare Definition wäre nach dieser Interpretation z.B. folgende: ein topikalisiertes Argument ist:

- entweder ein thematisiertes Argument, insofern, als es durch den Kontext bekannt oder vorausgesetzt wird [Givón 1984:138 redet z.B. von ‚Leitmotiv‘];
- und/oder ein fokussiertes Argument, insofern, als es das Informationszentrum des Satzes darstellt, unabhängig davon, ob es Thema oder Rhema ist.

Solch ein Verständnis von Topikalisierung scheint plausibel. Allerdings hat Givón doch eine ganz andere Vorstellung darüber, denn bei ihm sind die Begriffe ‚Topik‘ und ‚Fokus‘ offenbar antonymisch zu verstehen, was die Sache viel interessanter macht.

Im Rahmen der Erklärung des Direktobjets als pragmatische Kasusrolle im Gegensatz zum Indirektobjekt wird der Antagonismus zwischen Topik und Fokus klar. Fokus existiert demnach z.B. in der W-Frage bzw. in der Antwort auf eine W-Frage; im Fall einer W-Frage (bzw. Antwort auf eine W-Frage) mit zwei Objekten stellt Givón Folgendes fest: wenn die eine Objekt-NP fokussiert wird – d.h. dem Skopus des W-Wortes und „focus of new information“ entspricht –, muß die zweite Objekt-NP das sekundäre Satz-Topik – „the more topical (‚out of focus‘) object“ – sein, da das Subjekt meist das primäre Satz-Topik darstellt (Givón 1984:170).

Noch deutlicher wird diese Dichotomie im Kapitel „Information-theoretic preliminaries to discourse pragmatics“, mit der Verwendung von den Termini ‚Presupposition‘ und ‚Assertion‘. Darin beschreibt Givón Propositionen als meistens bestehend aus „old/presupposed (‚topical‘) information“ (Topik) und „the new, asserted information“ (Fokus). Dabei ist das Subjekt meist Teil der bekannten Information – was seine Charakterisierung als primäres Satz-Topik erklärt -, während der Rest des Satzes am wahrscheinlichsten die neue Information trägt; in einem Satz mit einem Direktobjekt und einem anderen Objekt (z.B. einem Indirektobjekt) ist aber Ersteres meist das sekundäre Satz-Topik – also, wie das Subjekt, Teil der präsupponierten/bekannten Information – und Letzteres der Fokus, also „under the scope of asserted new information“; es gibt allerdings unterschiedliche morpho-syntaktische Mittel, wie z.B. W-Fragen oder Cleft-Sätze u.a., bzw. intonatorische Mittel, die es erlauben, beispielsweise das Subjekt zu fokussieren (nach Givón: als neue Assertion zu präsentieren), während Verb und Objekte topikalisiert (nach Givón: präsupponiert) erscheinen (Givón 1984:256f.).

Wenn ich das Ganze richtig interpretiere, heißt es zusammengefaßt:

- ein Satz besteht meist aus Topik- und Fokus-Teilen; das entspricht auf den ersten Blick dem Verständnis von Thema-Rhema, wie es bei Mathesius definiert wurde, und der Unterscheidung Comries (1989:63) zwischen „non-focus“ und „focus“;
- die prototypischen Topik-Konstituenten stellen das Subjekt und das Direktobjekt dar, die aufgrund von ihrer Rekurrenz im Diskurs-Kontext in primäres und sekundäres Satz-Topik hierarchisiert werden; solch eine Behauptung geht von einem Verständnis von Topikalität als ein hierarchisiertes Kontinuum aus (s. Abschnitt 3.3);
- die prototypische Fokus-Konstituente – verstanden als die weniger ‚topikhafte‘ Konstituente und somit gleichfalls im Topik-Kontinuum enthalten – stellt das Indirektobjekt dar (s. Abschnitt 3.3 und 3.3.2);
- Givóns Konzeption von Topikhaftigkeit als hierarchisiertes Kontinuum distanziert sich also von der vereinfachten und diskreten Unterscheidung zwischen neuer (Thema) und alter Information (Rhema), was mir sinnvoll und anerkennenswert erscheint;
- sie hebt sich aber auch von der gängigen Dichotomie Topik vs. Prädikation ab, wie sie z.B. von Comrie (1989:64) verstanden wird: „We define topic (sentence topic) as ‚what the sentence is about‘; the remainder of the sentence is the comment“, denn nach Givón (1984:137) sind alle nominale Argumente Topiks, d.h. Partizipanten im Satz, auch wenn sie nur hierarchisiert vorkommen; auch diese Sichtweise scheint mir einleuchtend und stichhaltig;
- obwohl auch das Verb alleine oder zusammen mit der gesamten Verbalphrase (=VP) und sogar ganze Sätze topikalisiert bzw. fokussiert werden können, bezieht sich Givón (wie auch Comrie 1989:62) v.a. auf nominale Argumente;
- es gibt in jeder Sprache Mechanismen zur Umkehrung der Verhältnisse zwischen Topik und Fokus, wobei der propositionale Gehalt unveränderlich bleibt (s. Abschnitt 3.3.2);
- die Hierarchie zwischen primärem und sekundärem Topik kann gleichfalls mittels syntaktischer Verfahren, die zur Bildung komplexer Sätze dienen, umgedreht werden, ohne daß sich die Argumentstruktur des Satzes verändert (siehe Abschnitt 2.5);
- was bei Givón (1984) angesichts der Vermengung von pragmatischen und syntaktischen Relationen nicht expliziert wird, ist, daß morpho-syn­taktische Verfahren auch dazu dienen, „to put the same semantic role in different grammatical relations“ (Comrie 1989:75).

Welche Argumente wann als primäres oder sekundäres Topik fungieren können, ist der Gegenstand des nächsten Abschnitts. Givón (1984) zeigt, daß es auch im Bereich des einfachen Satzes zu einer Hierarchisierung der thematischen Rollen bezüglich ihrer Fähigkeit, als primäres oder sekundäres Satz-Topik zu fungieren, kommt.

3.2 Hierarchisierung der semantischen Kasusrollen bezüglich der pragmatischen Kasusrollen

Im einfachen/unmarkierten Satz (siehe Abschnitt 2.5) entspricht der Agens dem prototypischen Subjekt und der Patiens dem prototypischen Direktobjekt. Es wurde bereits mehrmals angedeutet, daß diese Parallelität zwischen thematischen Rollen und Satztopiks in der Bildung markierter Sätze mittels Diathesen, Wortstellung oder Intonation umgekippt werden kann.

Givón (1984:139ff. und 169ff.) zeigt aber, daß auch im Bereich der einfachen Sätze die pragmatischen Rollen des Subjekts und Direktobjekts den unterschiedlichen semantischen Argumenten zugewiesen werden können. Dabei stellt Givón eine Hierarchisierung der semantischen Rollen bezüglich ihrer Fähigkeit, pragmatische Kasusrollen zu übernehmen („topic accession hierarchy“, Givón 1984:139).

3.2.1 Die Hierarchie von „access-to-subject“ oder „subjectization“

Mit „access-to-subject“ oder „subjectization“ meint Givón (1984:139) die Zuweisung des Subjekt-Topiks an eines der Satzargumente. Bezüglich dieser ‚Subjektisierungsfähigkeit‘ stellt Givón folgende Hierarchie der semantischen Rollen auf:

AGT > DAT/BEN > PAT > LOC > INSTR/ASSOC > MANN

Dabei verhält es sich folgendermaßen:

- wenn der einfache Satz ein Agens-Argument hat, dann ist dieses das Subjekt;
- wenn der einfache Satz kein Agens-, aber ein Dativ- (=Experiencer-/Rezipient-) bzw. Benefaktiv-Argument hat, dann ist dieses das Subjekt
- wenn der einfache Satz kein Agens-, noch Dativ- bzw. Benefaktiv-, aber ein Patiens-Argument hat, dann ist dieses das Subjekt
- usw.

Was die Stellung vom Agens, Dativ (=Experiencer oder Rezipient) bzw. Benefaktiv und Patiens angeht, zeigt Givón (1984:140ff.) anhand von englischen Beispielen, daß es sich mit der Hierarchie - bis auf einige Besonderheiten, die hier nicht behandelt werden - soweit unkompliziert verhält; es gibt zahlreiche Sprachen, die Agens-, Dativ- oder Patiens-Subjekte aufweisen. Givón führt Satzsets aus einem einfachen Satz und mehreren daraus abgeleiteten komplexen Sätzen an, wobei im jeweiligen einfachen (= affirmativen, deklarativen, aktiven Haupt-)Satz oben dargelegte Hierarchie zu beobachten ist; hier wird zur Veranschaulichung jeweils nur der unmarkierte und einer der markierten Sätze aufgenommen:

(6a) The woman broke the cup (AGT > PAT)

(6b) The cup was broken by the woman

(7a) The woman saw the house (DAT > PAT)

(7b) The house was seen by the woman

(8a) The book fell on the floor (PAT > LOC)

(8b) *The floor was fallen on by the book

Dagegen gibt es Givón (1984:142) zufolge nur sehr wenige Sprachen, die ein Lokativ-Subjekt aufweisen können. Das ist der Fall von Bemba[2]. In (9) wird zunächst ein Satz mit einem nicht-lokativen Subjekt vorgestellt. Für den Satz (10) entscheidet sich Givón, den Lokativ als Subjekt anzusehen, wobei er sich auf die Kongruenz des Subjekts mit dem Verb beruft. Damit wird klar, daß sich seine Kriterien für die Ermittlung des Subjekt-Topiks nicht nur auf die Informationsstruktur beziehen, was allerdings von Givón selbst nicht expliziert wird (siehe Abschnitt 3.1):

(9) im -fumu i -li na -abaana [nicht-lokatives Subjekt zu

PREF -chief he-be with -children ‚be with/have‘ ]

‚The chief has children‘

(10) mu -h -gaanda mu -li na -abaana [lokatives Subjekt zu

in -PREF -house in/there-be with-children ‚be with/have‘ ]

‚The house has children in it‘

‚In the house there are children‘

‚There are children in the house‘

Nach Givón (1984:129; Fn. 7) gibt es keine klaren Fälle, in denen das Instrumental, der Assoziativ oder das Modal als Subjekte von einfachen Sätzen erscheinen. Der Assoziativ, als semantischer Ko-Agens, kann noch als „conjoined subject“ bezeichnet werden, hört dann aber auf, Assoziativ zu sein. Zum Modal äußert sich Givón nicht weiter. Was den Instrumental angeht, handelt es sich nach Givón (1984:143) bei den fettgeschriebenen Phrasen in den (a)-Sätzen, nicht aber in den (b)-Sätzen, um Instrumentale:

(11a) He filled the pond with water

(11b) The water filled the pond

(12a) He tied the gate with a rope

(12b) The rope tied the gate

(13a) He broke the window with a hammer

(13b) The hammer broke the window

Nach Givón ist der Instrumental ein relationaler Begriff, der nur existieren kann, wenn er von einem Agens verwendet wird, der als Vermittler im Kausalitätsvorgang fungiert. Da in den (b)-Sätzen Vorgänge kodifiziert werden, ohne daß ein Agens gebildet oder mitgeteilt wird, sind die Subjekte keine Instrumental-, sondern Patiens-Subjekte. Diese Überlegung ist nicht sehr überzeugend, denn man kann genauso gut argumentieren, daß Patiens gleichfalls nur relational denkbar ist, d.h., nur wenn ein Agens, ein Dativ oder eben ein Instrumental, nicht aber ein anderer Patiens, vorhanden ist. Da dieses Problem für die pragmatische Aktantencharakterisierung nicht weiter von Belang ist, soll es hier auch nicht weiter diskutiert werden.

3.2.2 Die Hierarchie von „accession to direct-objecthood“

Mit „accession to direct-objecthood“ meint Givón (1984:169) die Zuweisung des Direktobjekt-Topiks an eines der Satzargumente. Bezüglich dieser ‚Objektisierungsfähigkeit‘ stellt Givón eine Hierarchie der semantischen Rollen auf, die fast genauso aussieht, wie die bezüglich der Subjektrolle; der einzige Unterschied ist, daß der Agens hier nicht erscheint, da er im einfachen Satz automatisch die Rolle des primären Satz-Topiks zugewiesen bekommt:

DAT/BEN > PAT > LOC > INSTR/ASSOC > MANN

Givón (1984:169) kündigt an, daß die Argumentation für diese Hierarchisierung gleichzeitig mit der Typologie von Direktobjekt-Markierung präsentiert wird, da diese Klassifizierung der Sprachen darauf basiert, welche semantische Rollen außer dem Patiens die Kodierung und die pragmatische Rolle als sekundäres Topik übernehmen, die sonst dem Direktobjekt-Patiens vorbehalten werden. Tatsächlich aber wird keine vollständige Argumentation für die oben angeführte Hierarchisierung angeboten (siehe Abschnitt 3.3.2). Die Position des Dativs bzw. Benefaktivs vor dem Lokativ, dem Assoziativ, dem Instrumental und dem Modal ist leicht belegbar. Aber weshalb der Dativ/Benefaktiv auch vor dem Patiens darin erscheinen soll, da scheint Givón (1984) an bestimmte Sprachen zu denken, in denen der Dativ/Benefaktiv obligatorisch topikalisiert vorkommt. Das wird aber von ihm selbst nicht explizit argumentiert. Außerdem stellt das ein Widerspruch dar, da es sich hier eben um die Markierung des sekundären Satz-Topiks handelt, des Direktobjekts, das im einfachen Satz typischerweise ein Patiens ist, sowie das Subjekt im einfachen Satz typischerweise ein Agens ist.

Der Widerspruch scheint Givón allerdings nichts auszumachen, da er die paradoxe Feststellung macht, daß der „patient/accusative“„a higher potential for becoming the pragmatic DO case“ aufweist, obwohl das Dativ- bzw. Benefaktiv-Objekt „pragmatically higher on the topic hierarchy“ ist (Givón 1984:183). Im zweiten Band seiner Einführung in die Syntax, im Kapitel „ Marked topic constructions“, ist auch keine Erklärung dafür zu finden; dort wird nur behauptet, daß der „typically human dative-benefactive object“ „the most topical object type “ ist (Givón 1984:763).

3.3 Die funktionalistische Sprachtypologie Givóns

Givón (1984:145ff. und 171ff.) stellt zwei syntaktisch-basierte Sprachtypologisierungen aufgrund der grammatischen Kodierung von Subjekt und Direktobjekt auf.

Seine Typologie bezüglich des Subjekts stellt eine Abwandlung der herkömmlichen ‚Relationalen Typologie‘ dar. Die Relationale Typologie beschäftigt sich mit der Kodierung mittels Kasusdeklination der thematischen Rollen, v.a. der Rolle des Agens und des Patiens, und unterscheidet dabei zwischen Nominativ-, Ergativ- und Aktivsprachen. Givón (1984) dagegen bezieht sich in seiner „case-marking typology“ nicht nur auf die Argument-, sondern auch auf die Informationsstruktur, wobei die Topiks Subjekt und Direktobjekt – aber auch der Fokus im Gegensatz dazu – zugrundegelegt werden (s. Abschnitt 3.1). Aus diesem Grunde nennt er seine Typologien „the cross-linguistic typology of subjectization“ und „the cross-linguistic typology of objectization“ (Givón 1984:145 und 171).

Hierbei beruft er sich auf das, was er „functional dilemma in subjectization“ und „functional dilemma in objectization“ nennt, und sich zusammengefaßt folgendermaßen formulieren läßt: Wie kann man die semantische Rolle eines Arguments und seinen pragmatischen Kasus als primäres oder sekundäres Satz-Topik gleichzeitig zum Ausdruck bringen (Givón 1984:145 und 169)? Die Art, wie die natürlichen Sprachen - mittels Wortstellung, Morphologie und Intonation (oder mindestens Tonhöhe), alleine oder in verschiedenen Kombinationen – dieses Dilemma lösen, soll nach Givón die Grundlage seiner Typologien darstellen.

Wir werden sehen, daß dieser Anspruch v.a. wegen der fehlenden eindeutigen Unterscheidung zwischen syntaktischen und pragmatischen Kategorien nicht zufriedenstellend gelöst werden kann, denn das ‚funktionale Dilemma‘ in der Form, wie Givón (1984) es formuliert, läßt die dritte Ebene der Aktanten-Typisierung, die bezüglich der syntaktischen Relationen, unberücksichtigt.

Trotzdem stellen Givóns Typologien m.E. einen Beitrag zu einer differenzierteren Sichtweise von Topikalität und Informationsstruktur dar, indem hier eine vereinfachte und diskrete Gliederung in Thema-Rhema oder Fokus-Nichtfokus gemieden wird. Stattdessen ist Givón bemüht, mit den Begriffen ‚primäres‘ und ‚sekundäres Topik‘ gegenüber weniger ‚topikhafter‘ Fokus-Information zu zeigen, wie Topikhaftigkeit als ein vielschichtiges Kontinuum verstanden werden kann, das von möglichen Referenten unterschiedlich besetzt werden kann. In der ‚Subjektisierungstypologie‘ wird z.B. die Markierung des primären Satz-Topiks im Kontrast zu der des sekundären Satz-Topiks behandelt. In der ‚Objektisierungstypologie‘ ist das Verhältnis zwischen dem topikalisierten Direktobjekt und anderen weniger ‚topikaften‘ Indirektobjekten ausschlaggebend.

Auf andere Vor- und Nachteile wird an den betreffenden Stellen hingewiesen.

Es sei noch einmal erinnert, daß Givón in seiner „case-marking typology“ von der Analyse einfacher (= deklarativer, affirmativer, aktiver Haupt-)Sätze ausgeht (s. Abschnitt 2.5).

3.3.1 „The cross-linguistic typology of subjectization“

Es handelt sich hier um die in den Sprachen dieser Welt vorkommenden Strategien, das Subjekt zu markieren. Givón (1984:147ff.) stellt fest, daß diese Markierung sich nur auf drei Komponenten des Satzes beziehen können:

- die semantischen Rollen,
- die pragmatischen Rollen und
- die Transitivität des Prädikats.

Aufgrund dessen kann die Subjektmarkierung in vier Haupttypen gruppiert werden:

- die nominativ-akkusative Markierung,
- die aktive vs. nicht-aktive Markierung,
- die ergativ-absolutive Markierung und
- der Sonderfall der Philippinen-Sprachen.

Die Typologie der Subjektmarkierung kann – wie Givón (1984:145) betont – nicht erfolgen, ohne die Typologie von Direktobjekt-Markierung wenigstens z.T. mit zu berücksichtigen.

Hier wird allerdings nochmals auffällig, wie Givón die Bezeichnungen ‚Subjekt‘ und ‚Direktobjekt‘ mal als syntaktische und mal als pragmatische Größen verwendet, was die Kohärenz seiner Typologie gefährdet. So wird zunächst angekündigt, es beziehe sich dabei um Subjekt als pragmatische Kasusrolle (Givón 1984:145); bei den ersten drei Typen (siehe Abschnitte 3.3.1.1 bis 3.3.1.3) scheint es sich aber eher um eine syntaktische Herangehensweise zu handeln, da die in den Beispielsätzen erscheinenden betreffenden NPs immer das grammatische Subjekt darstellen; das Kriterium von Subjekt als primäres Topik wird nur eindeutig verwendet, um die Philippinen-Sprachen (Abschnitt 3.3.1.4) als einen vierten besonderen Typ der Kasusmarkierung zu behandeln.

An keiner Stelle findet sich aber eine Erklärung oder Rechtfertigung für diese ungleiche Vorgehensweise. Das stellt m.E. eine ernsthafte Schwachstelle innerhalb des Givónschen Ansatzes dar, da das Ergebnis eine nicht vereinheitlichte Sprachtypologie ist, wie es bei der herkömmlichen Relationalen Typologie der Fall ist. Auch wenn die Aussagen über das unterschiedliche Gewicht, den semantische Rollen, pragmatische Rollen und Transitivität in natürlichen Sprachen bei der morpho-syntaktischen Kennzeichnung von Aktanten plausibel erscheinen, fußen sie leider nicht auf festem theoretischem Boden: die Methodologie ist damit zweifelhaft, weil der Definitionsrahmen schwammig bleibt.

Einige Vorteile gegenüber der Relationalen Typologie verbucht Givón trotzdem. Bei ihm werden andere semantische Rollen außer Agens und Patiens berücksichtigt, da er die richtige Beobachtung anstellt, daß dem Subjekt und Direktobjekt – wie diese Begriffe auch immer verstanden werden – unterschiedliche semantische Rollen entsprechen können, was bereits in seiner Hierarchisierung der semantischen Rollen bezüglich des Subjekts und Direktobjekts (Abschnitt 3.2) demonstriert wird. Außerdem berücksichtigt er die Sonderstellung von bestimmten Sprachen, die keinem der von der Relationalen Typologie vorgeschlagenen Typen zugerechnet werden können, nämlich der sog. ‚topik-prominenten‘ Sprachen (Abschnitt 3.3.1.4).

Einige Beispielsätze von Givón (1984) wurden hier zur Veranschaulichung mit aufgenommen. Was bei Givón fehlt, ist der Vergleich zu der Relationalen Typologie, was hier mit den spärlichen Daten aus Bussmann (1990) ohne Anspruch auf Vollständigkeit versucht wird.

3.3.1.1 Die nominativ-akkusative Kasusmarkierung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fig. 3 Nominativsprachen in der Relationalen Typologie[Nach: BUSSMANN 1990:531]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fig. 4 Nominativ-akkusativische Markierung in der GIVÓNschen Typologie[Nach: GIVÓN 1984:148]

In der Relationalen Typologie geht man von der Distribution der Kasusmarkierungen hinsichtlich der Agens- und Patiens-Rollen: mit dem Nominativ wird der Aktant intransitiver Sätze, ob Agens oder Patiens, und der Agens transitiver Sätze markiert; der Akkusativ wird dem Patiens transitiver Sätze vorbehalten.

Im Gegensatz dazu wird das ‚Subjektisationsdilemma‘ nach Givón (1984:147; Hervorhebungen im Original) durch Markierung der „pragmatic unity of the category ‚subject‘“ gelöst: unabhängig von der Transitivität des Satzes und der semantischen Rolle wird das Subjekt einfacher Sätze durch den „nominative coding“ gekennzeichnet. In transitiven Sätzen bekommen Subjekt und Direktobjekt eine unterschiedliche Kodierung: unabhängig von ihren semantischen Rollen wird das Subjekt durch den „nominative coding“ und das Objekt durch den „accusative coding“ gekennzeichnet. Das entspricht der beobachtenden Tatsache, daß diese Markierungen nicht an die Rollen des Agens und des Patiens gebunden sind, wie das in der Relationalen Typologie postuliert wird, sondern an die Rollen des Subjekts und Direktobjekts, die hier, den Beispielen nach zu beurteilen, offenbar eher als syntaktische denn als pragmatische Größen verstanden werden.

Mit den Bezeichnungen „nominative“ und „accusative coding“ will Givón offenbar darauf hinweisen, daß er sich nicht nur auf grammatische Kasusdeklination bezieht, sondern auch auf die zweite wichtige Strategie zur Markierung semantischer wie pragmatischer Kasus: die Wortstellung. Der Bezuf auf die Transitivität wirft nochmals die Frage auf, ob man unter ‚Subjekt‘ und ‚Direktobjekt‘ Topikstruktur des Satzes oder syntaktische Kategorien oder beides verstehen soll.

Folgende von Givón (1984:148) angeführte englische Beispiele bestätigen seine Ausführungen:

(14a) intr. The book fell. [Patiens-Subjekt]

The man was sad. [Dativ- (=Experiencer-)Subjekt]

The man worked. [Agens-Subjekt]

(14b) trans. The man kicked the mule. [Agens-Subjekt, Patiens-Objekt]

Zu den Nominativsprachen gehören alle europäische Sprachen bis auf das Bas­kische (Bussmann 1990:531); als nicht-europäische Sprachen nennt Givón (1984:148f.) das Koreanische, das Hebräische und das Mohave[3].

3.3.1.2 Die aktive vs. nicht-aktive Kasusmarkierung

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Fig. 5 Aktivsprachen in der Relationalen Typologie[Nach: BUSSMANN 1990:61f.]

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Fig. 6 Lazisch als ein Beispiel für aktive vs. nicht-aktive Kasusmarkierung[Nach: GIVÓN 1984:149f.]

In der Relationalen Typologie kennzeichnet die morphologische Kategorie ‚Aktiv‘ agentivische Aktanten, wobei Patiens-Aktanten durch den ‚Inaktiv‘ markiert werden; die Transitivität des Satzes spielt dabei keine Rolle.

Das ‚Subjektisationsdilemma‘ wird hier nach Givón (1984:149f.) gleichfalls durch Markierung der semantischen Kasusrolle des Subjekts und unabhängig der Transitivität des Satzes gelöst. Givón macht allerdings die Beobachtung, daß die unterschiedliche Markierung des Subjekts sich nicht nach der Dichotomie Agens vs. Patiens richtet, sondern danach, ob es ein Agens- oder Nicht-Agens-Subjekt ist, wobei hier die Instanz Kontrolle – wie auch in der Relationalen Typologie – indirekt hervorgehoben wird. So wird z.B. im Lazischen[4] das Agens-Subjekt mit dem markierten ‚Aktiv‘ gekennzeichnet; der unmarkierte Nominativ dient dagegen zur Kodierung von nicht-agentivischen Argumenten – also nicht nur von Patiens-Aktanten – gleichgültig, ob es sich dabei um Subjekte oder um Direktobjekte handelt. Auch hier scheint Givón von einem syntaktischen Verständnis dieser zwei Begriffe auszugehen.

(15a) Aktiv trans.

koci-k doqvilu g´-ji [Agens-Subjekt, Nicht-Agens-Objekt]

man-ACT he-kill-it pig (NOM)

‚The man killed the pig‘

(15b) Aktiv intr.

jogo -epe -k -ti lales [Agens-Subjekt]

dog -PL -ACT -too they-bark

‚The dogs barked too‘

(15c) Nicht-aktiv intr. [Nicht-Agens-Subjekt]

koci doguru

man(NOM) he-died

‚The man died‘

Es werden außer dem Lazischen zu den Aktivsprachen gerechnet: einige amerindische Sprachen – wie z.B. die Muskogi-Sprachen, das Dakota oder das Guaraní – und das Lhasa-Tibetische u.a. (vgl. Givón 1984:150 und Bussmann 1990:62).

3.3.1.3 Die ergativ-absolutive Kasusmarkierung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fig. 7 Ergativsprachen in der Relationalen Typologie [Nach: BUSSMANN 1990:220f.]

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Fig. 8 Ergativ-absolutive Kasusmarkierung in der GIVÓNschen Typologie[Nach: GIVÓN 1984:151f.]

In der Relationalen Typologie geht man hier von der Distribution der Kasusmarkierungen hinsichtlich der Agens- und Patiens-Rollen aus, je nachdem, ob das Verb transitiv oder intransitiv ist: mit dem Ergativ wird nur der Agens transitiver Sätze markiert; der Absolutiv kennzeichnet sowohl den Aktanten intransitiver Sätze – ob Agens oder Patiens –, wie den Patiens transitiver Sätze.

Bei den Ergativsprachen ist zu beobachten, daß sie zwei unterschiedliche Subjektmarkierungen – wie in den Aktivsprachen –, sowie differenzierte Kennzeichnungen für Subjekt und Direktobjekt transitiver Sätze – wie in den Nominativsprachen – aufweisen. Nach Givón (1984:151) ist dafür lediglich die Transitivität des Satzes verantwortlich; tatsächlich aber spielt auch die Verteilung Subjekt-Objekt (hier wieder eher als syntaktische Funktionen verstanden) eine wenn auch kleinere Rolle: das Subjekt des transitiven Satzes wird durch den Ergativ; das Subjekt des intransitiven Satzes sowie das Direktobjekt transitiver Sätze durch den Absolutiv markiert. Dabei ist die Abwesenheit eines Direktobjekts dafür ausreichend, einen Satz als intransitiv zu bezeichnen. Die semantische Rolle der betreffenden Referenten ist dabei nicht von Belang. Dazu führt Givón (1984:151) folgende Beispiele aus dem „Inuktitut“ [5] an:

(18a) intr.

innuk -Æ takuvuq-Æ [Experiencer-Subjekt]

person-ABS saw

‚The person saw (something)‘

(18b) trans.

pallu -up qimiq-Æ takuvaa [Experiencer-Subjekt; Patiens-Objekt]

Paluk-ERG dog -ABS saw

‚Paluk saw the dog‘

In den meisten ergativen Sprachen finden sich nicht-ergative Merkmale, die u.a. durch den Transitivitätsgrad des Satzes bedingt sind. Givón (1984:153ff.) bietet eine ausführliche und interessante Analyse dieser Erscheinung, die „split ergativity“ (nach Bussmann 1990:220: „gespaltener Ergativität“) bezeichnet wird; diese Analyse bleibt hier allerdings ausgeklammert, denn sie würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Als Beispiele für ergative Sprachen erwähnt Givón (1984:151f.) – außer der obenerwähnten Eskimo-Sprache – mehrere tibetische Sprachen, wie das gesprochene Neutibetisch ; ; Maya-Sprachen, wie Jakaltekisch (Guatemala); australische Sprachen, wie Dyirbal; (ost-)austronesische Sprachen, wie Chamorro (Marianen). Bussmann (1990:220) ergänzt die Liste mit einigen kaukasischen Sprachen, wie das Georgische oder das Ubychische.

3.3.1.4 Der Sonderfall der Philippinen-Sprachen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fig. 9: Subjektmarkierung in den Philippinen-Sprachen [Nach: Givón 1984:167f.]

In der Relationalen Typologie werden die Philippinen-Sprachen (die zum West-Austronesischen gehören) gezwungenermaßen ausgeklammert, da sie keinem der drei gängigen Sprachtypen zugeordnet werden können. Dabei bilden sie einen besonderen Typ der Kasusmarkierung. Sie stellen nämlich den einzigen Typ dar, bei dem das funktionale Kriterium von ‚Subjekt‘ als Topik, d.h. als bekannter/präsupponierter Information (siehe Abschnitt 3.1) deutlich zutage tritt.

Nach Bussmann (1990:794f.) handelt es sich hier um „topik-prominente“ Sprachen, in denen im einfachen Satz „jedes beliebige Satzglied mittels bestimmter Partikeln oder Affixe als T. [=Topik] gekennzeichnet werden“ kann; den Gegensatz dazu bilden die „subjekt-prominenten“ Sprachen, in denen das grammatische Subjekt im einfachen Satz typischerweise die alte/vorausgesetzte Information darstellt. In diesem Sinne und nach den vorliegenden Daten zu beurteilen, könnte man m.E. die Nominativ-, Ergativ- und Aktivsprachen den subjekt-prominenten Sprachen zurechnen.

Nach Givón (1984:167) erfolgt die Kasusmarkierung in den Philippinen-Sprachen folgendermaßen: die topikalisierte NP – die das syntaktische Subjekt oder ein Objekt sein kann – wird mittels eines Präfixes gekennzeichnet; die nicht-topikalisierten NPs bekommen gleichfalls Präfixe, die sich allerdings auf die thematischen Rollen beziehen. Die semantische Rolle der topikalisierten NP wird aber auch angezeigt, und zwar am Finitum. Dazu folgende Beispiele aus Bikol (Givón 1984:168):

(19a) nag -ta’ó ’ang-laláke ning-líbro sa -babáye [Agens-Subjekt]

AGT-give TOP-man PAT-book DAT-woman

‚The man gave a book to the woman‘

(19b) na -ta’ó kang-laláke ’ang-líbro sa -babáye [Patiens-Subjekt]

PAT-give AGT-man TOP-book DAT-woman

‚The book was given to the woman by the man‘

‚The man gave the book to the woman‘

‚As for the book, the man gave it to the woman‘

(19c) na -ta’o -hán kang-laláke ning-líbro ’ang-babáye [Rezipient-Subjekt]

DAT-give-DAT AGT-man PAT-book TOP-woman

‚The woman was given a book by the man‘

‚As for the woman, the man gave her a book‘

3.3.2 „The cross-linguistic typology of objectization“

Anders als bei den drei ersten Klassen der Sprachtypologie bezüglich des Subjekts, soll es sich hier nach Givón (1984:171f.) nicht nur um die in den Sprachen dieser Welt vorkommenden Strategien, das Direktobjekt zu markieren, handeln, sondern auch darum, wie in diesen Sprachen Nicht-Patiens-Objekte die pragmatische Rolle des sekundären Topiks und dessen syntaktische Kodierung (meist: unmarkierte Form plus markierte Position im Satz) bekommen, welche sonst den Patiens-Objekten vorbehalten werden („promotion to DO“, „dative shifting“). Givón stellt sechs Typen von Objektmarkierung auf (Givón 1984:172ff.):

- „the word-order type“
- „limited optional promotion“
- „obligatory promotion of DAT/BEN objects“
- „extended promotion via verb-coding“
- „the serial-verb sources of object case-marking“
- „the nominal-genitive source of object case-marking“

Während die Subjektisierungstypologie auf der differenzierten Markierung von Subjekt-NP und Direktobjekt-NP (bzw. Nicht-Subjekt-NP) basiert, wird der Objektisierungstypologie die Differenzierung in der Markierung von Direktobjekt und anderen Objekten (das sind nach Givón, wie bereits angedeutet, alle andere NPs außer Subjekt und Direktobjekt) zugrundegelegt. Das heißt m.a.W.: ausschlaggebend soll hier die Kodierung des topikhaften Objekts im Gegensatz zu anderen, fokussierten Objekten sein.

Von den sechs Kasusmarkierungstypen beziehen sich allerdings nur die ersten vier auf die „promotion to DO“ und somit auf die gleichzeitige Kodierung semantischer und pragmatischer Rollen („functional dilemma of objectization“, s. Abschnitt 3.3). Bei den beiden letzten Typen werden ohne jedwede Begründung zwei Typen von Kasusmarkierung vorgestellt, die sich nur auf die semantischen Rollen beziehen, was ganz aus dem übrigen typologischen Kriteriumsrahmen fällt.

Problematisch ist hier außerdem die Verwendung der Bezeichnung ‚Objekt‘ auch für Adverbial-NPs, da dies gleichfalls unbegründet bleibt. Auf indirekter Weise scheint Givón (1984:171ff.) ‚Objekt‘ bei den ersten vier Typen ausschließlich als ‚topikhafte‘/‚topikfähige‘ bzw. ‚fokusfähige‘ NP im einfachen Satz, also nur als funktionale Kategorie aufzufassen. Das bleibt aber unausgesprochen und deshalb nicht ganz eindeutig, was allerdings in Anbetracht dessen, was in dieser Arbeit diesbezüglich bis jetzt problematisiert wurde, nicht weiter verwunderlich ist.

Ein anderes Problem besteht darin, daß Givón in der vorliegenden Typologisierung keine vollständige Argumentation für die postulierte Hierarchisierung von semantischen Rollen bezüglich des sekundären Satztopiks vorbringt, wie er verkündet (siehe Abschnitt 3.2.2).

Trotz aller Definitionsschwächen stellt diese ‚Objektisierungstypologie‘ mit der Einführung des Begriffs von ‚sekundärem Topik‘ gegenüber wenig ‚topikhafter‘ Fokus-Information einen Beitrag zu einer erneuerten Betrachtungsweise von Topikalität als hierarchisiertes Kontinuum dar (siehe Abschnitte 3.1. und 3.3), die eine interessante typologische Instanz darstellt.

3.3.2.1„The word-order type“

Nach Givón (1984:172) bezieht sich die morpho-syntaktische Markierung in manchen Sprachen nur auf die seman­tischen Rollen. Die Kodierung des ‚topikhaftesten‘ Objekts – wenn zwei oder mehr vorhanden – muß deshalb über die Wortstellung erfolgen: das ‚topikhafteste‘ Objekt wird den übrigen Objekten vorangestellt, allerdings ohne Veränderung der (propositional-semantisch bedingten) morphologischen Markierung der betreffenden NPs.

Die markierte Stellung vor allen anderen Objekten wird also dem se­kundären Satz-Topik vorbehalten, das meist das (Patiens-)Direktobjekt ist. Wenn dieses aber – z.B. im W-Frage-Kontext – fokussiert wird (siehe Abschnitt 3.1), bedeutet dies, daß ein anderes, im Satz vorhandenes Objekt ‚topikhafter‘ ist als das Patiens-Objekt. Das ist die Voraussetzung dafür, daß z.B. ein (Experiencer- oder Rezipient-)Indirektobjekt oder auch ein ‚Lokativobjekt‘ – häufig pronominalisiert – zum Direktobjekt ‚befördert‘ wird und dessen markierte Stellung vor allen anderen Objekten einnimmt. Givón (1984:172) führt folgende Beispiele aus dem Hebräischen an:

(20a) hu natán et- ha- séfer la- ishá [Patiens-Topik; Dativ-Fokus]

he gave ACC-the-book to-the-woman

‚He gave the book to the woman‘

(20b) hu natán la et- ha- séfer [Dativ-Topik; Patiens-Fokus]

he gave to-her ACC-the-book

‚He gave her the book‘

3.3.2.2 „Limited optional promotion“

Nach Givón (1984:173f.) sind hier Sprachen – wie das Englische – zu nennen, die nur „a limited range of promotion of non-patient objects to DO“ erlauben, was außerdem Veränderungen in der semantisch bestimmten Kasusmorphologie-Markierung auslöst.

Im Englischen können nämlich – außer dem Patiens-Objekt – nur pronominalisierte Dativ- bzw. Benefaktiv-Objekte einiger weniger Verben topikalisiert werden; dabei verlieren diese Aktanten die Markierung mittels Präpositionen, mit denen sie sonst als fokussierte Indirektobjekt-NPs gekennzeichnet sind, und erhalten sowohl die markierte Position des prototypischen Patiens-Direktobjekts (vor allen anderen Objekten) als auch dessen unmarkierte Form (Givón 1984:173f.):

(21a) He gave the book to the woman. [Patiens-Topik; Dativ-Fokus]

(21b) He gave her the book. [Dativ-Topik; Patiens-Fokus]

Givón (1984:174f.) macht außerdem die Beobachtung, daß das „‘promoted’ dat/ben object“ stets das Merkmal [+human] u.a. aufweist, während der „semantic patient“ – der seine unmarkierte Form behält, aber seine Stellung vor den anderen Objekten einbüßt – typischerweise durch das Merkmal [-belebt] charakterisiert wird. Durch diese beiden Prozesse – semantische Differenzierung und Wortstellung – ist die Disambiguierung der beiden morphologisch unmarkierten Objekte gewährleistet.

Daß Lokativ- und Instrumental-‚Objekte‘ im Englischen (beides immer [-belebt]) niemals auf diese Art topikalisiert werden können, ist nach Givón (1984:174) ein Beweis für die Stellung des Dativs bzw. Benefaktivs vor dem Lokativ in seiner Hierarchisierung der semantischen Rollen bezüglich ihrer Fähigkeit, als sekundäres Satz-Topik vorzukommen (siehe Abschnitt 3.2.2).

3.3.2.3„Obligatory promotion of DAT/BEN objects“

Während im Englischen die Topikalisierung von Dativ/Benefaktiv-Objekten eine fakultative – wenn auch bei bestimmten Verben ziemlich häufige – Angelegenheit ist, gibt es Sprachen, in denen dieser Vorgang bei einigen Verben gleichfalls fakultativ, bei anderen Verben dagegen obligatorisch eintreten muß. Das ist der Fall von Ute[6] und von einigen Bantu-Sprachen (Givón 1984:175).

Wie im Englischen oder im Hebräischen wird in diesen Sprachen die zum Direktobjekt ‚beförderte‘, morphologisch unmarkierte NP dem semantischen Patiens vorangestellt; zusätzlich wird am Finitum angezeigt, daß das ‚Direktobjekt‘ ein semantischer Dativ bzw. Benefaktiv ist (Givón 1984:175f.). In den von Givón angegebenen Beispielen sind die betreffenden NPs nicht pronominalisiert und sie weisen sowohl das Merkmal [-belebt] wie [+belebt]. Beispiele aus Ute mit „obligatory promotion“ von einem Benefaktiv-Objekt zum Direktobjekt:

Patiens-Topik

(22a) ’áapa-ci ’u siváatu-ci ’uwáy paxá-pugá

boy-SUBJ the-SUBJ goat-OBJ the-OBJ kill- REMOTE

‚The boy killed the goat‘

Dativ-Topik, Patiens-Fokus

(22b) ’áapa-ci ’u mamá-ci ’uwáy siváatu-ci ’uwáy paxá-ku-pugá

boy-SUBJ the-SUBJ woman-OBJ the-OBJ goat-OBJ the-OBJ kill-BEN-REMOTE

‚The boy killed the goat for the woman‘

Vielleicht denkt Givón (1984) an solche Sprachen, wenn er den Dativ/Benefaktiv vor den Patiens in seiner Hierarchisierung der semantischen Rollen stellt; das wird aber nicht explizit erklärt und stellt außerdem auch keine genügende Argumentation dafür dar (s. Abschnitt 3.2.2).

3.3.2.4„Extended promotion via verb-coding“

Hier finden sich nach Givón (1984:177f.) Sprachen, in denen gleichfalls eine obligatorische Topikalisierung von Benefaktiv/Dativ-Objekten stattfindet. Der Unter­schied besteht darin, daß hier auch andere ‚Indirektobjekt‘-NPs mit dem Merkmal [–belebt] zum sekundären Topik werden können, also auch Lokativ-, Instrumental- oder Modal-‚Objekte‘. Die Kennzeichnung der topikalisierten Aktanten erfolgt – wie bei den drei ersten Markierungstypen – durch Vor­anstellung und Verlust der morphologischen Markierung an der NP; wie in Ute wird am Finitum mittels Suffixe gekenzeichnet, welche semanti­sche Rolle der jeweilige topikalisierte Nicht-Patiens-Partizipant innehat; die Bantu-Sprache Kinyarwanda ist ein Beispiel hierfür:

Patiens-Topik, Lokativ-Fokus

(23a) umugore y-ooher-eje umubooyi ku-isoko

woman she-sent-ASP cook to-market

‚The woman sent the cook to the market‘

Lokativ-Topik, Patiens-Fokus

(23b) umugore y-ooher-eje-ho isoko umubooyi

woman she-sent-ASP-LOC market cook

‚The woman sent to the market the cook‘

3.3.2.5„The serial-verb sources of object case-marking“

Hier bezieht sich Givón (1984:179f.) auf verschiedene Niger-Kongo-Sprachen, wie Yoruba, Bemba, Efik u.a., in denen Serialverben als semantische Kasusmarkierer für Objekte dienen. Hier ist plötzlich nicht mehr von „promotion to DO“ die Rede, auch nicht von dem Verhältnis in der Markierung semantischer und pragmatischer Rollen, sondern darum, wie die Konstruktionen aus Serialverben und ‚Objekten‘ in diesen Sprachen „highly specific semantically“ sind, „so that one may read the [semantic] case-role of a noun off the meaning of its governing verb.“ Dieser Typ von Kasusmarkierung fällt aus dem gesamten Rahmen, da hier die pragmatischen Rollen plötzlich und unerklärlicherweise außer acht gelassen werden. Folgende Beispiele sind jeweils aus dem Yoruba und dem Efik:

(24) mo fi àdé gé nakã [Instrumental]

I took machete cut wood

‚I cut wood with the machete‘

(25) nám útom émì [Benefaktiv]

do work this give me

‚Do this work for me‘

3.3.2.6„The nominal-genitive source of object case-marking“

Auch dieser Typ der Kasusmarkierung paßt nicht in die „typologie of objectization“. Hier werden von Givón (1984:180f.) wiederum Niger-Kongo-Sprachen genannt, in denen ‚Lokativobjekte‘ aus Präpositionalphrasen (=PP) plus genitivischen Modifier-NPs gebildet werden, so daß diese Lokative als solches prä- bzw. postpositional kasusmarkiert sind. Auch hier ist ihre Fähigkeit, zum sekundären Satz-Topik zu werden, plötzlich und seltsamerweise unerheblich. Die von Givón angeführten Beispiele – hier jeweils aus Bemba und Kru – sind symptomatischerweise keine Beispiel-Sätze, sondern bloß Phrasen:

(26) pa- i-saamba lya-ngaanda

at- bottom of-house

under the house‘

(27) blokun kli

box cavity

inside the box‘

4. Fazit und Ausblick

Der wichtigste Kritikpunkt innerhalb der Givónschen Aktantencharakterisierung stellt die Vermengung von pragmatischen und syntaktischen Kategorien miteinander dar. Dadurch ist sein Modell der funktionalen Bereiche der menschlichen Sprache – im Gegensatz zu Comries Unterscheidung zwischen den drei Ebenen der Aktantencharakterisierung – zwangsläufig unvollständig bzw. nicht deutlich genug umrissen. Eine zweite gravierende Konsequenz ist, daß die Begründung für seine Typologien auf der Basis der Kodierung von Subjekt und Direktobjekt zwischen syntaktischen und pragmatischen Kriterien schwankt. Was die Subjektkodierung angeht, verwendet Givón (1984) pragmatische Kriterien auf eindeutige Weise nur bei den Philippinen-Sprachen. Bei der Direktobjektkodierung beziehen sich die beiden letzten Typen sogar weder auf pragmatische noch auf syntaktische Aspekte.

Trotz dieser und anderer Probleme verbucht Givóns Ansatz viele Pluspunkte gegenüber der gängigen Relationalen Typologie, der GG und auch anderen funktionalistischen Betrachtungsweisen.

Gegenüber der Relationalen Typologie haben Givóns Typologien den Vorteil, daß sie nicht nur an die Agens- und Patiens-Rollen und auch nicht nur an semantische Rollen gebunden sind, sondern auch pragmatische Faktoren einführen will. Die Feststellung, daß Subjekt und Direktobjekt – ob als pragmatische oder als syntaktische Größen verstanden – unterschiedliche semantische Rollen entsprechen können, ist überzeugend. Mit der Einführung pragmatischer Kriterien ist es bei Givón außerdem möglich, topik-prominente Sprachen zu behandeln, die kein Platz in der Relationalen Typologie finden. Darüber hinaus bietet Givón mit der Gegenüberstellung von sekundärem Topik und Fokus eine weitere, interessante typologische Möglichkeit.

Die Unterscheidung zwischen primärem Topik, sekundärem Topik und weniger topikhaften Fokus-Elementen ist nicht nur im typologischen Sinne von Bedeutung. Das Problem von Informationsstruktur des Satzes und des Diskurses, das in funktional-grammatischen Ansätzen große Beachtung findet, erfährt mit Givóns Verständnis von Topikhaftigkeit als hierarchisiertes Kontinuum eine differenziertere Behandlung, die zeigt, wie die diskrete Unterscheidung Thema vs. Rhema und Fokus vs. Nicht-Fokus simpel und oberflächlich ist.

Ein weiterer Vorzug bei Givón innerhalb funktional-grammatischer Betrachtungsweisen stellt seine Kritik an Funktionalisten dar, die die Erkenntnis über die Bedeutung von syntaktischen Strukturen ablehnen und dabei den ikonischen Charakter syntaktischer Strukturen als Abbildung von semantischen und pragmatischen Funktionen verkennen (wobei die syntaktischen Relationen bei Givón – wie schon zur Genüge erwähnt – mit den pragmatischen verflochten erscheinen).

Weitaus tiefsinniger und folgenschwerer stellt in diesem Zusammenhang der Kontrast dar, den Givóns Begriff von ‚ Ikonizität der Syntax‘ zum generativistischen Begriff von ‚ Autonomie der Syntax‘ bietet, denn mit seiner Ikonizitätsprämisse ist Givón wahrscheinlich einer der wenigsten Sprachwissenschaftler der zweiten Hälfte des 20. Jhs., der in der Lage ist, der generativistischen Sprachtheorie eine stichhaltige Gegenparole zu halten. Die Annahme, syntaktische Strukturen seien funktional motiviert und funktional erklärbar, ist – selbst wenn nicht alles Syntaktisches funktional erklärt werden kann – allemal überzeugender, als die nicht sehr glaubhafte Annahme einer angeborenen Universalgrammatik und die damit verbundenen, oft nicht ernstzunehmenden Erklärungsversuche im Sinne von Spracherwerbsfragen.

Trotzdem kann man die beschreibende Aussagekraft von Phrasenstruktur- und Transformationsregeln u.a. nicht verleugnen; die GG stellt damit einen der interessantesten Formalismen zur Beschreibung syntaktischer Strukturen zur Verfügung, die es gibt, und es wäre schade darum, es nicht nutzbar zu machen. Es wäre sicherlich gewinnbringend und auf jeden Fall einen Versuch wert, generativistische Beschreibungen anhand funktionaler Erklärungen zu ergänzen.

5. Literaturangaben

Bussmann (1990)

Bussmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft.– 2., völlig neu bearb. Aufl.– Stuttgart: Kröner, 1990.–

Comrie (1989)

Comrie , Bernard: Language Universals and Linguistic Typology. Syntax and Morphology. 2nd ed.– Oxford: Blackwell, 1989.– Kapitel 3: Theoretical prerequisites (S. 57-85).–

Dik (1997)

Dik, Simon C.: The theory of functional grammar.– Berlin; New York: de Gruyter, 1997.– [Germ.-Bibo: ET 100]

Pt. 1. The structure of the clause.– 2., rev. ed. –

Kapitel 1: Methodological preliminaries (S. 1-24).-

Fanselow/Felix (1993)

Fanselow, Gisbert / Felix, Sascha W.: Sprachtheorie: eine Einführung in die generative Grammatik. 3. Aufl.– Tübingen/Basel: Francke, 1993.–

Bd. 1: Grundlagen und Zielsetzungen.– [ UTB für Wissenschaft; Uni-Taschenbücher; 1441]

Bd. 2: Die Rektions- und Bindungstheorie.– [ UTB für Wissenschaft; Uni-Taschenbü­cher; 1442]

Givón (1984)

Givón , Talmy: Syntax: a functional-typological introduction.– Vol. I.– Amsterdam / Philadelphia: Benjamins, 1984.– [Stabi 2: 651959-1]

Givón (1990)

Givón, Talmy: Syntax: a functional-typological introduction.– Volume II.– Amster­dam / Philadelphia: Benjamins, 1990.– [Stabi 2: 651 959-2]

Givón (1995)

Givón, Talmy: Functionalism and grammar.– Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, 1995.– [Stabi 2: 1 A 294194]

Grewendorf 1991

Grewendorf, Günther: Aspekte der deutschen Syntax. Eine Rektions-Bindungs-Analyse.– 2. Aufl.– Tübingen: Narr, 1991.– [ Studien zur deutschen Grammatik; Bd. 33]

Metzler (1993)

Metzler-Lexikon Sprache . Hrsg. von Helmut Glück.– Stuttgart/Weimar: Metzler, 1993.–

Müller/Riemer (1998)

Müller, Natascha / Riemer, Beate: Generative Syntax der romanischen Sprachen: französisch, italienisch, portugiesisch, spanisch.- Tübingen: Stauffenburg, 1998.- [ Stauffenburg-Einführungen ]

Stechow/Sternefeld (1988)

Stechow/Sternefeld, Arnim von / Sternefeld, Wolfgang: Bausteine syntaktischen Wissens. Ein Lehrbuch der generativen Grammatik.- Opladen: Westdeutscher Verlag, 1988.- [LBS: ALLG 1037]

[...]


[1] Nach Comrie (1989:65) wird in der traditionellen und der neueren Literatur (womit er wahrscheinlich die anglo-amerikanische Literatur meint) üblicherweise nur zwischen Subjekt, Direktobjekt und Indirektobjekt unterschieden, allerdings ausschließlich als syntaktische Relationen.

[2] Eine in Sambia verbreitete Bantu-Sprache; Eigenbez. Chibemba (vgl. Metzler 1993:91f.)

[3] Eine Yuman-Sprache, die zum Hokanischen, einem Sprachstamm Nord- und Mittelamerikas, gehört (Bussmann 1990:311f.) .

[4] Eine südkaukasische Sprache, verwandt mit dem Georgischen (vgl. Bussmann 1990:754).

[5] „Inuktitut“ ist der von Givón für eine Eskimo-Sprache angegebene Name; eine deutsche Bezeichnung wurde weder in Bussmann (1990) noch in Metzler (1993) gefunden.

[6] Einer Shoshoni-Sprache, der Uto-Aztekischen Sprachfamilie gehörend.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Typisierung von Referenten und Aktanten
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar Dependenz und Valenz in den romanischen Sprachen
Note
1,0
Autor
Jahr
1998
Seiten
30
Katalognummer
V12075
ISBN (eBook)
9783638180627
ISBN (Buch)
9783656914488
Dateigröße
688 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand.
Schlagworte
Funktionalismus, Sprachtheorie, Sprachtypologie, Kasusrollen
Arbeit zitieren
Suzie Bartsch (Autor:in), 1998, Typisierung von Referenten und Aktanten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12075

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