Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der DDR

Vorbedingungen und Kerngedanken einer verhinderten Wirtschaftsreform


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1.Die wirtschaftliche Situation in der DDR zur Dekadenwende
1.1 Ökonomische Hauptaufgabe und Mauerbau
1.2 Zwischen Mauerbau und Reformbeginn. Die DDR-Wirtschaft von 1961 bis

2.Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der DDR
2.1 Liberman - Diskussion und Reformvorbereitungen
2.2 Die Reform – Inhalte und Ziele
2.2.1 Das System der ökonomischen Hebel
2.2.2 Die Industriepreisreform
2.2.3 Änderungen im Planungssystem

3.Zusammenfassung

4.Bibliographie

Einleitung

Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖS) wurde durch einen Beschluss des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik am 15. Juli 1963 ins Leben gerufen. Vom Leitgedanken des Marxismus-Leninismus ausgehend, dass eine Gesellschaft durch den Staat quasi nach Plan gestaltbar ist, war die

Ausarbeitung und Umsetzung einer neuen sozialistischen Wirtschaftsordnung in der DDR zu Beginn der sechziger Jahre konsequent und logisch.1

Das bisher verfolgte, dem sowjetischen Vorbild entlehnte, Modell der Wirtschaftsplanung schien nach den wirtschaftlich schwierigen Jahren um die Dekadenwende nicht mehr angemessen, um der heiklen Lage in der Deutschen Demokratischen Republik Herr zu werden. Zwar ging es nicht um die völlige Abkehr von der sozialistischen Planwirtschaft nach russischem Vorbild, aber doch um eine grundlegende Erneuerung des bestehenden Systems. Da die Parteiführung eingesehen hatte, dass ein materiell fundiertes Interesse der Werktätigen an hohen Leistungen allein mit Planbefehlen nicht erreicht werden konnte, sollte die im Kern weiter bestehende Wirtschaftsplanung um ein umfassendes System ökonomischer Anreize erweitert und somit die „schöpferische Initiative“ der werktätigen Bevölkerung zum „höchsten gesellschaftlichen Nutzen“ der DDR genutzt werden. Das Ziel des NÖS war die Schaffung eines sozialistischen Systems der Volkswirtschaft, dass die zu Beginn der sechziger Jahre als nicht mehr zeitgemäß geltende „Art und Weise der Planung und Leitung“ überwinden sollte.2

Wie die Wirtschaftsreform vor sich ging und welche Maßnahmen ergriffen wurden, um die hohen Ambitionen zu verwirklichen, kann nicht vollständig Gegenstand dieser Arbeit sein. Zu umfangreich sind die politischen und wirtschaftlichen Neuerungen dieser Zeit, als dass sie erschöpfend behandelt werden könnten. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, ausgehend von der wirtschaftlichen Situation Ende der fünfziger Jahre, die die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Umgestaltung verdeutlichte, kurz die wichtigsten Eckpunkte der Reform zu beleuchten und in einem wirtschaftspolitischen Kontext darzustellen. Vor allem jene Maßnahmen, die in der „Richtlinie für das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ der DDR als unumgängliche Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchsetzung der Reform Erwähnung fanden, wie beispielsweise die Einführung eines Systems ökonomischer Hebel (mit den zu schaffenden Bedingungen) und die Reorganisation der Planungs- und Leitungsstrukturen, finden besondere Beachtung. Äußere Einflüsse auf die Reformbestrebungen in der DDR, wie die von der sowjetischen Ordnungsmacht ausgeübten spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die Resonanz, die diese Neuerungen in der DDR-Bevölkerung hervorriefen.

Als Grundlage für die Erarbeitung dieser Thematik dienten vor allem die Bücher von André Steiner (VonPlan zu Plan), Jörg Roesler (ZwischenPlan und Markt) und Hans- Georg Kiera (Parteiund Staat im Planungssystem der DDR), sowie die weiterführenden Werke zur Wirtschaftspolitik der DDR in der Ära Ulbricht von Gerd-Jan Krol (DieWirtschaftsreform in der DDR und ihre Ursachen) und Klaus Becker (Plan und Markt im Neuen Ökonomischen System der DDR).

1. Die wirtschaftliche Situation in der DDR zur Dekadenwende

Im Laufe der fünfziger Jahre, in denen die Bundesrepublik Deutschland einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung erlebte, hatte die DDR immer noch sehr mit den Folgeschäden des Zweiten Weltkrieges zu kämpfen. Auswirkungen der entbehrungsreichen Jahre wie Nahrungsmittel- und Konsumgüterknappheit waren immer noch präsent und griffen die Machtposition der SED massiv an, wie schon die Unruhen des Jahres 1953 bewiesen hatten. Das von der Parteiführung Mitte der fünfziger Jahre verkündete Ziel, bis zu Beginn der sechziger Jahre wirtschaftlich zur BRD aufzuschließen, war in weite Ferne gerückt. Im Gegenteil; die ökonomische Kluft zwischen den beiden Teilen Deutschlands wurde gen Ende der fünfziger immer größer statt kleiner. So zum Beispiel lag in der DDR der private Pro-Kopf-Verbrauch an Konsumgütern im Jahre 1958 gerade einmal bei gut 60% des westdeutschen Verbrauchs und hatte damit erst am Ende der Dekade wieder das Vorkriegsniveau erreicht.3

Zwar konnten im letzten Drittel dieser Phase oftmals die Bedürfnisse der Bevölkerung quantitativ befriedigt werden, die qualitative Bedürfnisbefriedigung hingegen war nicht oder nur sehr bedingt möglich. Der Ressourcenmangel, niedrige Innovationsfähigkeit, die massenhafte Abwanderung von jungen und qualifizierten Arbeitskräften in die Bundesrepublik sowie das uneffektive, oft auf Fehlinformationen beruhende Planungssystem der Staatlichen Plankommission bildeten einen Kreislauf, der wirtschaftliche Veränderungen im großen Umfang nicht zuließ. Das ökonomische Wachstum, das in dieser Zeit trotz der großen Probleme entstehen konnte, war nur aufgrund eines ständig steigenden Einsatzes von Produktionsfaktoren und durch erhöhte Lieferungen aus der Sowjetunion möglich.4

Um das Niveau so lange wie möglich halten zu können, wurden wirtschaftliche Reserven angegriffen und Maschinen und Anlagen in den Produktionsbetrieben „auf Verschleiß“ gefahren. Trotz aller Bemühungen nahmen die prozentualen Zuwachsraten der ostdeutschen Industrie und Landwirtschaft am Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre tendenziell wieder ab. Welche Maßnahmen ergriffen wurden, um den Negativtrend in der DDR-Wirtschaft in dieser Phase umzukehren, wird im kommenden Abschnitt thematisiert.5

1.1 Ökonomische Hauptaufgabe und Mauerbau

Mit den sinkenden Produktionszahlen, die sich auch negativ auf das Warenangebot im Einzelhandel niederschlugen, nahm auch wieder die Zufriedenheit der DDR-Bürger mit dem Wirtschaftssystem insgesamt ab. Hatte die DDR-Bevölkerung im ersten Teil der fünfziger Jahre ihren Lebensstandard noch am Vorkriegsniveau gemessen, verglich man sich im zweiten Teil der Dekade aufgrund des nominell ähnlichen Einkommensniveaus mit der Bundesrepublik Deutschland, wobei das vorherrschende Warenangebot und die Preisstruktur als Vergleichswerte zur Beurteilung des Lebensstandards dienten. Lebensmittel, Mieten und Transportgebühren waren in der DDR niedriger als im Westen. Die Preise für Industriewaren in der DDR hingegen überflügelten oftmals die in der Bundesrepublik um ein Vielfaches. Speziell die übermäßig hohen Preise für qualitativ geringwertige Genussmittel, Bekleidung und Schuhe führten bei den Bürgern der DDR zu einem gefühlt weitaus niedrigeren Lebensstandard als in der Bundesrepublik Deutschland.6

Die Beseitigung dieser Diskrepanz stellte für die Vertreter der Staatspartei immer eine besondere Herausforderung dar. Die Euphorie, die sich nach der 1957 erstmals erfolgreich durchgeführten Erdumrundung des russischen Satelliten „Sputnik“ im gesamten Ostblock, und natürlich auch im sozialistischen Teil Deutschlands, breit machte, führte dazu, dass am Ende der Dekade zum wiederholten Male das Ziel verkündet wurde, den Lebensstandard und die Produktivität der Bundesrepublik Deutschland nicht nur zu erreichen, sondern noch zu übertreffen. Die von Walter Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 verkündete „ökonomische Hauptaufgabe“ bestand darin, die volkswirtschaftliche Produktivität der DDR und den „Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern“ bis zum Jahre 1961 „so zu entwickeln, daß die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft umfassend bewiesen wird.“7 Das Ziel der „ökonomischen Hauptaufgabe“, die „Festigung der Arbeiter-und- Bauern-Macht in der Deutschen Demokratischen Republik“, sollte durch eine „rasche Steigerung der Arbeitsproduktivität“ erreicht werden, wozu „die umfassende Anwendung der neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft und Technik auf allen Gebieten der Volkswirtschaft“ ebenso notwendig sei, wie die Bereitschaft eines jeden einzelnen Arbeiters, „seine Qualifikation und Initiative so zu entwickeln, daß er an der Lösung dieser Aufgaben in bedeutendem Maße Anteil nimmt.“8

Mit der Verkündung dieses illusorischen Zieles brachte sich die SED-Führung allerdings selbst unnötig in wirtschaftliche und politische Bedrängnis. Nicht nur wurde die Nutzung modernster Technologien (wie beispielsweise der Atomphysik, der Kerntechnik oder der Chemie) und Produktionsverfahren vorausgesetzt, derer man nicht oder nur sehr bedingt habhaft war; man baute auch auf das uneingeschränkte Engagement und den Willen der Werktätigen, um zur Erreichung dieses Zieles beizutragen. Trotz des Sputnik- Erfolges und trotz der wirtschaftlichen Flaute, die die BRD zwischen 1958 und 1959 erlebte, hätte, objektiv beurteilt, klar sein müssen, dass dieses Ziel nur theoretisch erreichbar sein würde. Eine sachliche Analyse der Umstände und Möglichkeiten, frei jedweder ideologischer Einflüsse, war den Parteifunktionären im ständigen Wettstreit mit dem bundesrepublikanischen Konkurrenzsystem allerdings nur sehr selten bis nie vergönnt.9

Zwar konnte in den Jahren 1958 und 1959 unter großen Kraftanstrengungen die industrielle Produktion tatsächlich deutlich gesteigert werden, doch schon im Jahre 1960 wurde offensichtlich, dass die Erfüllung der „Hauptaufgabe“ die wirtschaftlichen Kapazitäten der DDR übersteigen würde. Mangelnde Leistungsanreize für die Beschäftigten und das, im krassen Gegensatz zum stetig steigenden Einkommen der Bevölkerung stehende, unzureichende Warenangebot erlaubten es der Staatsregierung nicht, das Niveau der Vorjahre zu halten oder gar noch höhere Normen zu fordern, zumal sich die Arbeiter erhöhten Leistungsforderungen jederzeit durch Auswanderung nach Westberlin entziehen konnten.10 Weiterhin verhinderten die bisweilen massiven Probleme in der Landwirtschaft und die Schwierigkeiten, die sich aus dem unzuverlässigen Handel mit anderen Ostblockstaaten ergaben die Verwirklichung der „ökonomischen Hauptaufgabe“. Die Bevölkerung fand immer häufiger leere Regale vor und die seit 1956 rückläufige Tendenz der Auswanderungszahlen nach Westdeutschland stieg zu Beginn der sechziger Jahre wieder rapide an.11

Die wieder anwachsenden wirtschaftlichen Probleme in den Jahren 1960 und 1961, sowie die Aussichten auf weitere, die Ausreise nach Westdeutschland reglementierende Maßnahmen hatten zur Folge, dass wieder mehr Bürger die DDR verließen. Dies führte wiederum verstärkt zu einem Arbeitskräftemangel, der sich seinerseits in Produktionsstörungen und daraus resultierend in einem mangelnden Warenangebot niederschlug. Die Konsequenz dieses Kreislaufes war die Flucht weiterer Bevölkerungsgruppen nach Westberlin oder in die Bundesrepublik. Zu Beginn der sechziger Jahre war eine Wirtschaftsplanung nur noch unter Vorbehalt möglich, da während dieser Zeit die Anzahl der in der DDR verbleibenden Arbeiter nicht konkret vorhersagbar war. Eine kurzfristige Entspannung der wirtschaftlichen Lage war trotz aller Bemühungen nicht in Sicht. Aus diesem Grunde sah die SED-Spitze als Ausweg aus der Misere nur eine nicht-ökonomischen Maßnahme, um die massive Westmigration der DDR-Arbeiter schnell zu stoppen und so die ostdeutsche Wirtschaft wieder kalkulierbar zu machen. Mit der Abriegelung der Grenzen zu Westberlin im August 1961 wurde der Auswanderungswelle aus der DDR ein jähes Ende gesetzt.12

[...]


1 Vgl. Krömke, Claus: Das „Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ und die Wandlungen des Günter Mittag (= Hefte zur DDR-Geschichte 37), Berlin 1996, S. 7.

2 Vgl. ebd. S. 7f.

3 Vgl. Steiner, André: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 100f.

4 Vgl. Steiner, Plan, S. 103f.

5 Vgl. Roesler, Jörg: Zwischen Plan und Markt. Die Wirtschaftsreform 1963-1970 in der DDR, Berlin 1990, S. 18.

6 Vgl. Steiner, Plan, S. 108f.

7 Vgl. Dokument Nr. 136: „Aus der Entschließung des V. Parteitages der SED über die weiteren ökonomischen Aufgaben, 15. Juli 1958“ in: Weber, Herrmann (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1985, 3. Auflage, München 1987, S. 237f.

8 Vgl. Weber, Dokumente, S. 238f.

9 Vgl. ebd.

10 Vgl. Steiner, Plan, S. 112ff.

11 Vgl. ebd. S. 118f., 105; vgl. auch Roesler, Plan, S. 16f.

12 Vgl. Roesler, Plan, S. 21.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der DDR
Untertitel
Vorbedingungen und Kerngedanken einer verhinderten Wirtschaftsreform
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Philosophische Fakultät - Lehrstuhl für Technikgeschichte)
Veranstaltung
HS Industrieller Wohnungsbau in der DDR
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V120795
ISBN (eBook)
9783640260904
ISBN (Buch)
9783640862382
Dateigröße
422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neue, System, Planung, Leitung, Volkswirtschaft, Industrieller, Wohnungsbau
Arbeit zitieren
Thomas Eschner (Autor:in), 2007, Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120795

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