Prozeß und Struktur, Akteur und System: Die Mikro-Makro-Verknüpfung in der sozialwissenschaftlichen Analyse


Seminararbeit, 1997

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Mikro-Makro-Beziehung
2.1. Makrobedingungen für Mikrointeraktionen
2.2. Mikrodynamik und Makrologik
2.3. Probleme der Mikro-Makro-Verknüpfung

3. Strategien der Integration der beiden Perspektiven
3.1. Tiefenerklärung: Mikrofundierung für Makrostrukturen
3.2. Interpenetration: Makrorahmen für Mikroprozesse
3.3. Jenseits der Dichotomie: Die Figuration und das Machtspiel-Modell

4. Bilanz und Perspektiven

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Zwei große Schulen, die man methodologischer Individualismus und methodologischer Kollektivismus nennt, polarisieren den methodologischen Horizont der Sozialwissenschaften. Der methodologische Individualismus ist der Ansicht, daß letztendlich das ‘Individuum’ die Quelle aller sozialen Erscheinungen ist: Der Mensch mache die Geschichte. Während dessen unterstellt der methodologische Kollektivismus (auch methodologischer Funktionalismus genannt), daß die ‘Gesellschaft’ individuelles Handeln in eine Art Logik zwingt: Die Geschichte verlaufe nach ihrer eigenen Logik.

Dieser methodologische Unterschied – manchmal sogar Antagonismus – erzeugt in der Sozialwissenschaften das sogenannte Mikro-Makro-Problem. Im Lauf der Zeit kommen Wissenschaftler immer wieder zur Einsicht, daß eine Trennung der beiden Ebenen und die Ignoranz der anderen Ebene das Verstehen und die Erklärung des sozialen Lebens lähmen. Bemühungen zur Verknüpfung und zur Zusammenführung der Mikro- und der Makroebene werden versucht.

Die Terme „Mikro“ und „Makro“ sind in der Tat relativ. Mal werden sie nach der Anzahl der Einheiten, mal nach der Größe, mal wieder nach dem Kriterium der Beobachbarkeit, etc. gebraucht. Die kleinsten gemeinsamen Nenner dieser verschiedenen Differenzierungen sind vielleicht die Dichotomien Akteur-System und Prozeß-Struktur. Diese doppelte Dichotomie dient der vorliegenden Arbeit als Basis für die Mikro-Makro-Unterscheidung.

Diese Arbeit beginnt mit einer Untersuchung der Mikro-Marko-Beziehung in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Theorien der Makro- und der Mikro-Tradition. Die Palette reicht von der individualistischen ökonomischen Theorie und der Mikro-Konflikttheorie über dem symbolischen Interaktionismus, der Ethnomethodologie, dem Marxismus und der Makro-Konflikttheorie bis zu den funktionalistischen Theorieansätzen und dem kulturellen Symbolismus. Anschließend werden drei Ansätze dargestellt, die die Integration der beiden (Mikro- und Makro-) Perspektiven mit unterschiedlichen Strategien versuchen. Als die erste wird der ‘positivistisch’ orientierte Rational-Choice-Ansatz gewählt (vgl. Lindenberg/Wippler 1978, Esser 1996). Für die zweite Strategie wird das ‘idealistisch’ gefärbte neo-funktionalistische Modell Münchs (vgl. Münch 1984, 1985, 1987) vertreten. Last but not least kommt der (vielleicht ‘realistisch’ argumentierende) Figurationsansatz Elias’ zur Wort (vgl. Elias [1956] 1983, [1969] 1981, 1970).

2 Die Mikro-Makro-Beziehung

2.1 Makrobedingungen für Mikrointeraktionen

Grundeinheiten der Analyse sind nach den Theorien der Mikro-Tradition der Akteur bzw. ihres Handeln und die Interaktion zwischen ihnen. In der Neoklassischen Ökonomischen Theorie sind diese die Käufer und Verkäufer von Ressourcen und Produkten. Diese Akteuren müssen nicht immer individuell sein. Sie sind, als Haushalte und Unternehmen, korporative Akteure, die wie Individuen agieren.

Annahmen über die Individuen und die Interaktionen zwischen ihnen sind Bestandteile der Theorie. Die erste Annahme behandelt die Maximierung: Akteure verhalten sich so, daß sie ihren Wohlstand, ihren Nutzen in ökonomischen Transaktionen maximieren. Die zweite Annahme besagt, daß Akteure perfekte Informationen über die Preise, Opportunitäten und anderen Marktbedingungen haben. Die dritte These ist ein Rationalitätspostulat. Darunter wird verstanden, daß Käufer und Verkäufer aufgrund ihrer Interessen und voller Information rational handeln.

Außerdem wurden Aussagen über die Interaktion zwischen den Akteuren gemacht. Es wurde angenommen, daß Käufer und Verkäufer in ihren Beziehungen eher den ökonomischen Tausch bevorzugen, als etwa den Zwang oder die Gewalt. Dabei sind sie einverstanden, daß Arbeit für Löhne oder Güter für Geld getauscht wird.

Aufgrund dieser Mikro-Annahmen (Annahmen über die Akteure oder die Prozesse auf der Mikroebene) erreicht man die Makrostrukturen (z.B. die Strukture der Produktion, die Allokation der Ressourcen oder die Verteilung der Anteilen) damit, daß man einfach tausende Mikroentscheidungen und -problemlösungen aggregiert.

Diese mikroökonomische Theorie besteht aber nicht nur aus den Mikro-Annahmen und den Aggregationsregeln. Explizit oder implizit werden noch andere speziellen Annahmen in die Theorie eingebaut. Eine von ihnen konstatiert die perfekte Mobilität der Ressourcen und Güter im Markt. Nach einer anderen besteht eine Unfähigkeit aller Produzenten sowie Konsumenten, um Kontrolle über anderen in bezug auf den Output und die Preise zu üben. Eine dritte Annahme sagt über die Natur der Kultur aus, daß die Informationen für alle gleich verteilt und voll verfügbar sind. Darüber hinaus wird angenommen, daß es ein Banksystem gibt, daß das politische System Sicherheit und Stabilität für die Tauschprozesse gewährleistet.

All diese Annahmen, die auf der individuellen psychologischen Ebene sowie die auf der institutionellen Ebene liegen, können als Parameter betrachtet werden. Sie sind Parameter (und keine unabhängigen Variablen) in dem Sinne, daß sie als invariant angenommen sind. Doch falls sie geändert werden, machen sie einen eindeutigen Unterschied in der Art des auf dem Markt resultierenden Gleichgewichts. Neue Schulen der ökonomischen Theorien wurden oft mit der systematischen Modifikation von einem oder mehreren Annahmen über die Makro-Bedingungen geformt (Münch/Smelser 1987: 360).

Auch die Mikro-Konflikttheorie sieht die Akteure als Grundeinheiten der Analyse. Gesellschaft und die Institutionen der Gesellschaft werden als Resultate einer unendlichen Geschichte von Konfliktregelungen zwischen konkurrierenden historischen Akteuren erfaßt (Collins 1975). Die Mikro-Konflikttheorie unterscheidet sich von der Neoklassischen Ökonomischen Theorie vor allem in ihrer Aussage über die Art der Interaktion zwischen den Akteuren. Weil die ökonomischen Akteuren auf dem Markt keinen Zwang und keine Gewalt üben können, um ihren Nutzen zu maximieren, gehen sie eine Tauschbeziehung miteinander ein. Im Gegenteil wollen die Konfliktakteure keinen Tausch bzw. sie sind unfähig, durch Tauschprozessen ihre Ziele zu erreichen.

Um ihre Ziele zu verwirklichen, braucht der Konfliktakteur Macht über andere Akteure. Das ist ein Nullsummenspiel: der Gewinn eines Akteurs bedeutet Verlust der anderen. Jeder Akteur muß die von den anderen gesetzten Hindernisse auf dem Weg zur Zielerreichung überwinden. Eine ‘objektive’ Bedingung für jeden Akteur in dem ‘Spiel’ ist daher die Machtverteilung zwischen ihnen. Determinanten des Konfliktspiels sind aber nicht nur Macht, sondern auch andere Faktoren wie die Taktik, die Norm der Gleichheit, die Übereinstimmung von Ideen, etc. Alle Konflikte finden statt unter der Bedingung von Strukturen, die nicht (nur) durch die Beteiligten selbst erschafft werden. Eine zentrale Struktur ist die Machtverteilung. Diese resultiert nicht bloß aus früheren Konflikten. Traditionelle Normen, kulturelle Ideale und ökonomische Kalküle spielen ebenfalls mit und verzerren die bloßen Machtverteilung. Konfliktregelungen können nicht beliebig sein. Sie bewegen sich in einem institutionellen Rahmen. Allerdings sind die Grade der Strukturiertheit der Konflikte unterschiedlich.

Im Vergleich zu den oben genannten ‘positivistischen’ Theorien ist die Ethnomethodologie eine interpretative Version des Individualismus in der sozialwissenschaftlichen Theorie (Garfinkel 1967). Sie betrachtet das Handeln als eine ordnungsschaffende Aktivität. Interaktionen im Sinne der Ethnomethodologie sind ‘konzertierte Aktionen’ von Individuen. Obwohl die Schaffung der Ordnung spontan ist, gibt es nichtspontane Fundierungen dieses spontanen Prozesses. Zu diesen Vorbedingungen gehören der allgemeine Sinn bzw. die Bedeutung der Sachverhalte, die autoritative Abhängigkeiten zwischen den Akteuren und andere präexistierende ‘Spielregeln’ und Institutionen. „Order does not come from chaos; it always presupposes some other order“ (Münch/Smelser 1987: 365).

Bei der Erklärung der Ähnlichkeit von Problemlösungen in unterschiedlichen Kulturen entdeckt Schegloff (1987), daß die Situation und das Problem der beteiligten Akteuren bestimmen, welche Ordnungsart eine Lösung für das Problem bieten kann. Dieselbe Struktur der Situation und des Problems führt zu gleicher Problemlösung in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Wenn die Ethnomethodologie die kulturelle Vorbestimmtheit des individuellen Handelns ablehnt, kommt sie doch zur Entdeckung einer technischen Vorbestimmtheit des Handelns. Makrostrukturen sind also unvermeidbar.

Eine weitere Version des Individualismus in der sozialwissenschaftlichen Theorie ist der symbolische Interaktionismus. Deren Hauptthese ist, daß menschliches Handeln immer von der Interpretation des Sinnes von (physischen, sozialen, kulturellen) Sachverhalten ausgeht. Wie ein Akteur handelt, wird bestimmt durch den Sinn, den er dem Handeln der anderen zuschreibt. Auch der zentrale Prozeß dieser Theorie, die Interpretation, muß innerhalb solche Makrostrukturen stattfinden wie der Spache, den autoritativen Beziehungen oder den Normen und Mitteln der Kommunikation (Münch/Smelser 1987: 367).

Kurzum: die Mikroprozesse, die im Mittelpunkt der Analyse all dieser individualistischen Theorien stehen, setzen Bedingungen voraus, die auf der Makroebene gelegen sind. Diese Rahmenbedingungen einerseits bieten Opportunitäten für die Akteure, andererseits schränken sie ihre Handlungsräume ein.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Prozeß und Struktur, Akteur und System: Die Mikro-Makro-Verknüpfung in der sozialwissenschaftlichen Analyse
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Moderne Politische Theorie
Note
1,0
Autor
Jahr
1997
Seiten
22
Katalognummer
V1208
ISBN (eBook)
9783638107624
Dateigröße
404 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Prozeß, Struktur, Akteur, System, Mikro-Makro-Verknüpfung, Analyse, Seminar, Moderne, Politische, Theorie
Arbeit zitieren
Alexander Hong Lam Vu (Autor:in), 1997, Prozeß und Struktur, Akteur und System: Die Mikro-Makro-Verknüpfung in der sozialwissenschaftlichen Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1208

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