Der Antikenroman des Mittelalters stellt in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes dar. Nach Elisabeth Lienert ist er aus literarischer Perspektive eine Sonderform des höfischen Romans. Die Rolle, die er in dieser Position spielt, ist eine außerordentlich wichtige: Er verbindet gänzlich gegensätzliche Weltanschauungen miteinander; in diesem Fall die antik-griechisch-römische mit der mittelalterlich-deutschen.
Zwischen den genannten Epochen liegen nicht nur mehr als tausend Jahre Zeit, sondern damit verbunden auch mehr als tausend Jahre technische, politische, menschliche, weltanschauliche und ebenso literarische Entwicklungen, natürlich auch geprägt von großen Auseinandersetzungen, Kriegen und Schmerz. Es ist somit offensichtlich nicht zu leugnen, dass der Mensch der Antike in vielen Belangen – hier vor allem betont in seiner Diesseits- und Jenseitsvorstellung – grundsätzlich anders geartet war als der des Mittelalters.
Der vermutlich Mitte bis Ende des zwölften Jahrhunderts geborene und damit mittelalterliche Autor Heinrich von Veldeke stellt sich mit seinem „Eneasroman“ diesem Sachverhalt: Er übersetzt und überarbeitet den „Roman d’Eneas“ eines ebenfalls der Zeit des Mittelalters zugeordnetem anonymen französischen Autors, dessen Werk wiederum eine Adaption des antiken Heldenepos „Aenaeis“ von Vergil ist. Veldeke arbeitet also antiken Stoff für ein mittelalterliches Publikum auf.
Vergils Werk handelt vom Helden „Eneas“, einem Trojaner und menschlichen Sohn der Göttin Venus, der während des großen trojanischen Krieges von den Göttern den Auftrag erhält, mit seinen Männern zu fliehen und nicht im Kampf zu sterben. Er gelangt nach einer jahrelangen Irrfahrt nach Karthago, dessen Herrin „Dido“ in brennende Liebe zu ihm verfällt, welche aber unerfüllt bleibt und sie in den Tod treibt. Nach der Weisung seines bereits toten Vaters Anchises zieht Eneas mit dem Heer weiter nach Italien, das er nach langen Kämpfen mit den Einheimischen und einer weiteren, diesmal jedoch erfüllten Liebesgeschichte für sich gewinnen kann und legt damit den Grundstein für das ihm bereits vorausgesagte, Jahrhunderte überdauernde Herrschergeschlecht.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Die Unterwelt des Eneas und die christliche Hölle des Mittelalters
- Die Stationen der Unterwelt
- Die Autoritäten der Unterwelt
- Die Erscheinungsformen der Toten und die Vorstellung der Metempsychose
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die Darstellung der Unterwelt im Eneasroman Heinrichs von Veldeke. Ziel ist es, die beschriebenen Stationen, Insassen und Autoritäten der Unterwelt zu untersuchen und diese mit den mittelalterlich-christlichen Höllenvorstellungen zu vergleichen. Weiterhin soll die Frage nach der Plausibilität der dargestellten Seelenvorstellung für ein mittelalterliches Publikum erörtert werden.
- Vergleich der Unterweltdarstellung im Eneasroman mit mittelalterlich-christlichen Höllenvorstellungen.
- Analyse der Stationen und Insassen der Unterwelt im Eneasroman.
- Untersuchung der Autoritäten der Unterwelt und deren Rolle.
- Diskussion der Seelenvorstellung im Eneasroman und deren Plausibilität für ein mittelalterliches Publikum.
- Vergleich der Elysischen Gefilden mit dem Himmel.
Zusammenfassung der Kapitel
Das Vorwort bietet einen Überblick über den Antikenroman im Mittelalter und die besondere Rolle des Eneasromans als Verbindung zwischen antiker und mittelalterlicher Weltanschauung. Es wird die Überarbeitung des antiken Stoffes durch Heinrich von Veldeke für ein mittelalterliches Publikum erläutert. Der erste Abschnitt "Die Unterwelt des Eneas und die christliche Hölle des Mittelalters" führt in die Thematik ein. Der Abschnitt "Die Stationen der Unterwelt" beschreibt den Eingang zur Unterwelt und die anfängliche Begegnung des Eneas mit der Sybille, wobei der Aspekt der Gleichheit aller Toten im Gegensatz zur Vorstellung eines unmittelbaren Gerichts thematisiert wird.
Schlüsselwörter
Heinrich von Veldeke, Eneasroman, Unterwelt, Mittelalter, christliche Hölle, Antike, Jenseitsvorstellungen, Metempsychose, Sybille, Pluto, Proserpina, literarischer Vergleich.
- Quote paper
- Josepha Mohr (Author), 2008, Die Unterweltfahrt in Heinrich von Veldekes "Eneasroman", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121292