Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung und Fragestellungen
2. Methodische Vorgehensweise & Aufbau der Arbeit
3. Direkte Demokratie & Volksbegehren: Eine begriffliche Einordnung ...
4. Der historische Wandel des Volksbegehrens in der Zweiten Republik
5. Exkurs: Ein kurzes Für und Wider der direkten Demokratie
6. Die Einbeziehung anerkannter Minderheiten(-sprachen)
7. Die Schweiz als Musterbeispiel für gelungene direkte Demokratie?
8. Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen
9. Literatur- und Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellungen
„Demokratie [wird] heute vielfach als sehr abstrakte Angelegenheit betrachtet, deren konkreter Stellenwert im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess kaum noch reflektiert wird (...); [v]ielfach wird die Frage gestellt, wieweit die traditionellen Einrichtungen der politischen Demokratie heute noch echte Beteiligungschancen sichern.“1
Angesichts dieser bereits vor etwa dreißig Jahren zutreffenden Feststellung erscheint eine tiefgreifende Debatte über die Möglichkeiten einer sinnvollen Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Elemente ebenso sinnvoll wie notwendig. Einem wesentlichen direktdemokratischen Verfahren, nämlich dem in seiner politischen Bedeutung hoch im Kurs stehenden Volksbegehren, widmet sich die vorliegende Arbeit vordergründig mit dem Anspruch, zu eruieren, wie sich die Beschaffenheit und Ausgestaltung der direkten Demokratie im historischen Verlauf der Zweiten Österreichischen Republik verändert haben. Eng mit dieser Frage steht auch die Diskussion darüber in Verbindung, welchen gesellschaftspolitischen Stellenwert das Volksbegehren als wichtiges Instrument der direkten Demokratie mittlerweile erlangt hat und wie sich dieser seit Beginn der Zweiten Republik verändert hat.
In Hinblick auf die mindestens genauso bedeutende Thematik linguistischer Inklusionsprozesse, sprich gezielter Einbeziehung von (offiziell anerkannten) Minderheitensprachen, geht diese Untersuchung auch der Frage nach, inwieweit Aufrufe zur bürgerlichen Partizipation mittels anlassbezogener Inanspruchnahme direktdemokratischer Mitbestimmungsrechte ausschließlich in der ,Staatssprache' Deutsch erfolgen und die Volksbegehren selbst lediglich monolingual durchgeführt wurden und werden. Angesichts zahlreicher gesellschaftlich anerkannter und auch gesetzlich geschützter Minderheiten(-rechte) wird im Rahmen der Arbeit auch analysiert, ob und inwiefern die zu diesen Minderheiten gehörenden Sprachen im Zuge direktdemokratischer Vorgänge in ausreichendem bzw. angemessenem Maße berücksichtigt werden. Abgerundet wird die Analyse mit einer kurzen Diskussion darüber, wie es der direkten Demokratie gelingen kann, eine markante Ergänzung zum System der repräsentativen Demokratie zu bilden, ohne diese letztlich auszuhebeln.
2. Methodische Vorgehensweise & Aufbau der Arbeit
Zur Thematisierung und Beantwortung der im vorangegangenen Kapitel dargelegten Forschungsfragen wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit sowohl auf Primär- als auch Sekundärquellen zurückgegriffen. Bei den einzubeziehenden Primärquellen handelt es sich in aller Regel um Ergebnisse und Statistiken bisheriger Volksbegehren, von denen es in der österreichischen Geschichte einige gibt, aber auch um die historische Beteiligungsentwicklung österreichischer StaatsbürgerInnen bei direktdemokratischen Abstimmungen. Die im Laufe der Forschung verwendeten Sekundärquellen beschreiben in erster Linie Buch-, Zeitschriften- und Journalbeiträge zu den Themen „Direkte Demokratie“ und „Volksbegehren“ bzw. der mit diesen Schlagwörtern in Verbindung stehenden politischen Prozesse.
Des Weiteren wird eine kurze komparative Analyse mit dem westlichen Nachbarland Österreichs, der Schweiz, vorgenommen: Von den Proponenten eines Bedeutungszuwachses direktdemokratischer Elemente stets als Lehr- und Musterbeispiel angepriesen, wird diese oftmals als Referenzrahmen für einen Staat herangezogen, in dem frequente direkte Bürgerbeteiligung an Volksbefragungen zur Entscheidung über polarisierende gesellschaftspolitische Fragen ein besonders hohes Gut darzustellen scheint.
Bevor jedoch eine ausführliche Auseinandersetzung mit den o.a. Fragestellungen erfolgen kann, ist es zunächst angebracht, die Begriffe der ,direkten Demokratie' und des Volksbegehrens' etwas näher zu definieren und zu erläutern bzw. einen geeigneten Rahmen für die Detailanalyse zu schaffen. Als einschlägiges Hilfsmittel wird hierzu eine Reihe politikwissenschaftlicher Lehrbücher eingesetzt, die zu einem besseren Verständnis der übergeordneten Thematik beitragen sollen; im Anschluss an die unerlässlichen Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen folgt ein Überblick über diverse in Österreich durchgeführten Volksbegehren der letzten Jahrzehnte samt einiger exemplarischer Zahlen zur Veranschaulichung der diesbezüglichen Entwicklung in Hinblick auf Beteiligungsraten, Regelmäßigkeit der Intervalle etc.
In der zweiten Hälfte der Arbeit wird schließlich die im germanistischen Kontext besonders wichtige Frage der Repräsentation von Minderheitensprachen in Österreich hinsichtlich direktdemokratischer Verfahren beleuchtet; ein kurzer vergleichender Blick ins unmittelbare Ausland zwecks aussagekräftiger Einordnung runden das Werk ab.
3. Direkte Demokratie & Volksbegehren: Eine begriffliche Einordnung
Bevor auf den historischen Wandel von Volksbegehren in Österreich und deren Ausgestaltung vor allem mit Fokus auf den Grad der Einbeziehung von Minderheiten(sprachen) Bezug genommen werden kann, werden im Folgenden zunächst die im Rahmen dieser Arbeit behandelten Begriffe der ,direkten Demokratie' und des Volksbegehrens' etwas genauer unter die Lupe genommen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sowohl hinsichtlich der konstitutionellen Ordnung als auch der gelebten Praxis in zahlreichen europäischen Staaten, so auch in Österreich, der repräsentative Charakter der Demokratie als prioritär anzusehen ist und die Bürgerinnen und Bürger eines Landes, das Elektorat, in diesem Sinne die verantwortlichen politischen Akteure bzw. Mitglieder des nationalen Parlaments (in Österreich: Nationalratsabgeordnete) mit der Entscheidungshoheit über die Gesamtheit der politischen Angelegenheiten eines Staates ausstatten.
Ergänzt werden kann diese Organisationsform freilich durch die bereits angesprochenen Elemente direktdemokratischer Politikentscheidungen, deren Bedeutungszuwachs laut Kost „auf relevante Prozesse des Wertewandels, veränderter Politik- und Lebensstile und damit korrespondierend neuen Prioritätensetzungen von Bürgerinnen und Bürgern sowie gesellschaftlichen Gruppen zurückgeführt werden“2 kann. ,Direkte Demokratie' bezeichnet in diesem Sinne „alle durch Verfassung und weitere Rechtsvorschriften ermöglichten Verfahren, durch die die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger eines Staates, eines Bundeslandes oder einer Kommune politische Sachfragen durch Abstimmung selbst und unmittelbar entscheiden bzw. auf die politische Agenda setzen“, wobei es sich im Regelfall um eine „Ergänzung und Erweiterung des politischen Entscheidens in repräsentativen Demokratien, wo politisch verbindliche Entscheidungen im Rahmen der Verfassungsordnung von gewählten Repräsentanten getroffen werden“3, handelt. Im Zentrum dieser Arbeit soll das sogenannte Volksbegehren' als Instrument der direkten Demokratie stehen, das (in Österreich) ein Verfahren bezeichnet, „welches den Bürgern ermöglicht, autonom Gesetzesvorschläge bzw. entsprechende Anregungen an den Nationalrat als primäres Organ der Gesetzgebung zu richten“4 und von folgender Rechtsgrundlage gedeckt ist:
„Jeder von 100.000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Stimmberechtigt bei Volksbegehren ist, wer am letzten Tag des Eintragungszeitraums das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt und in einer Gemeinde des Bundesgebietes den Hauptwohnsitz hat. Das Volksbegehren muss eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betreffen und kann in Form eines Gesetzesantrages gestellt werden.“5
Unabhängig von der rechtspolitischen Einbettung des Volksbegehrens in die direktdemokratischen Gepflogenheiten Österreichs kann man dieses gewissermaßen als ,Sprachrohr des Volkes' bezeichnen, das konkrete plebiszitäre Anliegen gegenüber der Regierung und dem Parlament als repräsentativ-demokratisch legitimierte Körperschaften transportiert. Zahlreiche BeobachterInnen des politischen Geschehens nehmen eine eindeutige Entwicklung in Richtung ,mehr direkter Demokratie‘ wahr, die sich sowohl in der medialen Berichterstattung als auch in der tatsächlichen Umsetzung auf mehreren Ebenen widerspiegelt: „Direkte Demokratie liegt offenkundig im Trend (...); es ist sowohl in der Praxis eine Zunahme der Anwendung direkter Demokratie zu verzeichnen, als auch vor allem in der öffentlichen Diskussion ein neuer Höhepunkt der Debatte um ein Mehr an direkter Demokratie zu bemerken“6, wobei zu konstatieren ist, dass der Ruf nach einem Bedeutungsgewinn direktdemokratischer Mechanismen gerade für ,Krisenzeiten der Demokratie', in denen die Politikverdrossenheit mitunter stark ansteigt, charakteristisch ist. Im folgenden Kapitel werden ein kurzer historischer Überblick österreichischer Volksbegehren sowie entsprechende Interpretationen mit dem Ziel präsentiert, eine akkurate Einschätzung des Bedeutungswandels der direkten Demokratie zu liefern.
4. Der historische Wandel des Volksbegehrens in der Zweiten Republik
Zuallererst ist festzustellen, dass es auch innerhalb der Zweiten Republik, die unmittelbar vor Kriegsende im April 1945 ausgerufen wurde, einige Jahrzehnte (!) dauerte, bis die Inklusion direktdemokratischer Instrumente als wichtige Flankierungen der parlamentarischen Demokratie Einzug hielt. Dies war sicherlich auch mit der Tatsache geschuldet, dass die Regierung und das Parlament trotz der bereits im November 1945 abgehaltenen demokratischen Parlamentswahlen, aus denen eine Koalition aus ÖVP, SPÖ und KPÖ hervorging, erst mit Schließung des sogenannten „Staatsvertrags“, also eines Friedensvertrags mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, im Jahre 1955 ihre politische Entscheidungsgewalt vollends zurückerlangten.7 Unter anderem verpflichtete sich Österreich im Rahmen dieses Vertrags - und dies steht zumindest mittelbar auch mit der Frage nach der adäquaten Berücksichtigung von Minderheitensprachen in Zusammenhang - zum Schutz der slowenischen und kroatischen Minderheiten im Land8, woraus eine besondere Verantwortung für das friedliche Zusammenleben im ,Nachkriegs-Österreich‘ erwuchs.
Im Jahr 1964 war es dann schließlich so weit: Das sogenannte ,Rundfunksvolksbegehren' läutete eine neue Ära der direkten Demokratie knapp zwanzig Jahre nach der Gründung der Zweiten Republik ein und wurde mit dem Ziel durchgeführt, den Österreichischen Rundfunk zu einem politisch unabhängigen Medium zu machen, nachdem er jahrelang praktisch als parteipolitisches Kommunikationsinstrument der großen Koalition fungiert hatte. Wie die Übersicht auf den folgenden Seiten zeigt, lässt sich die Dichte der Volksbegehren innerhalb der ersten zwei Jahrzehnte infolge der Rundfunkbefragung dennoch als eher spärlich bezeichnen, während ab Mitte der 1980er Jahre eine wesentlich größere Regelmäßigkeit in der Inanspruchnahme direktdemokratischer Verfahren zu verzeichnen ist; die hier präsentierten Daten stellt das Bundesministerium für Inneres zur Verfügung, die hiesige Darstellung verzichtet allerdings auf in der Originalquelle selbstverständlich nachzulesende Informationen zu konkreten Eintragungszeiträumen sowie jeweils unterstützenden Akteuren.
Abb. 1: Übersicht der Volksbegehren in Österreich von 1964-19899
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus diesen Angaben geht hervor, dass die Intervalle zwischen den einzelnen Volksbegehren gerade innerhalb der ersten zwanzig Jahre nach dem Auftakt im Jahre 1964 noch relativ groß waren; die direkte Demokratie spielte in der österreichischen parlamentarischen Landschaft zwar eine gewisse Rolle, regelmäßig gelebte politische Realität war sie zu der Zeit allerdings noch nicht. Als interessant erweisen sich auch die Statistiken zu den Eintragungsraten und entsprechenden prozentuellen Stimmbeteiligungen an diesen Verfahren: Ein klarer Anstieg oder Rückgang in der plebiszitären Partizipation an den Volksbegehren ist im Grunde zu keiner Zeit wirklich zu erkennen, vielmehr ist diese je nach Gegenstand der Abstimmung mitunter starken
Schwankungen unterworfen, deren Ausprägung und Intensität sich naturgemäß in erster Linie nach der persönlichen Priorisierung der betreffenden gesellschaftspolitischen Anliegen richtet.
Abb. 2: Übersicht der Volksbegehren in Österreich* von 1991-201810
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 Ucakar, Karl (1985): Demokratie und Wahlrecht in Österreich: Zur Entwicklung von politischer Partizipation und staatlicher Legitimationspolitik (S. 11). Verlag für Gesellschaftskritik, Wien.
2 Kost, Andreas (2008): Direkte Demokratie (S. 9), 1. Auflage 2008. VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden.
3 ebda.
4 Herweg, Barbara (2014): Volksbegehren in Österreich: Zur Praxis direkter Demokratie (S. 35), Wien, 2014.
5 Merli, Franz (1999): Art. 41 Abs. 2 B-VG, S. 1-35, Rz. 1-62.
6 Poier, Klaus (2015): Direkte Demokratie und Partizipation in den österreichischen Gemeinden - Symposium am 5. November 2014. In: RFG - Schriftenreihe Recht & Finanzen für Gemeinden (S. 25), Manz GmbH, Wien.
7 vgl. Homepage www.staatsbuergerschaft.gv.at/index.php?id=38, zuletzt abgerufen am 22.10.2018.
8 ebda.
9 vgl. Homepage https://www.bmi.gv.at/411/Alle Volksbegehren der zweiten Republik.aspx, zuletzt abgerufen am 19.10.2018.
10 In: Korinek, Karl/Holoubek, Michael (Hg.): Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Textsammlung und Kommentar, Lfg. 1, Wien, 1999.