Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Inhaltsverzeichnis
II. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung – Einführung in das Thema
1.1. Problem- und Zielsetzung
1.2. Forschungsfragen
1.3. Aufbau der Arbeit
1.4. Methodisches Vorgehen
2. Borderline-Persönlichkeitsstörung…
2.1. Persönlichkeitsstörungen, Geschichte und Entwicklungslinien des Störungsbegriffs….…..
2.2. Kategoriale Diagnostik nach ICD-10 und DSM-5.…...
2.2.1. Diagnostische Kriterien nach ICD-10.
2.2.2. Diagnostische Kriterien nach DSM-5..
2.3. Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung….
2.4. Klinische Symptomatik…..
2.4.1. Emotionsregulation….
2.4.2. Identität.
2.4.3. Soziale Interaktion..
2.5. Komorbidität…
2.6. Epidemiologie und Verlauf…
3. Dialektisch-Behaviorale Therapie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
3.1. Verständnis und grundlegende Prinzipien der Dialektisch-Behavioralen Therapie….
3.2.Therapeutische Grundannahmen.
3.3. Die therapeutische Beziehungsgestaltung..…...
3.4. Therapiestruktur und Behandlungsphasen.
3.4.1. Vorbereitungsphase...
3.4.2. Erste Therapiephase..
3.4.3. Zweite Therapiephase
3.4.4. Dritte Therapiephase..
3.5. Skillstraining….…...
3.5.1. Fertigkeiten zur Steigerung der inneren Achtsamkeit...
3.5.2. Fertigkeiten zur Stresstoleranz .
3.5.3. Fertigkeiten zum bewussten Umgang mit Gefühlen.….
3.5.4. Zwischenmenschliche Fertigkeiten ..
3.5.5. Fertigkeiten zur Steigerung des Selbstwertes
4. Soziale Arbeit in der Sozialpsychiatrie...
4.1. Theoretische Fundierung und sozialpsychiatrische Grundlagen der Sozialen Arbeit.
4.2. Zentrale Aufgaben und Kompetenzen in der Berufspraxis.….
4.3. Gestaltung des Hilfeprozesses….
4.4. Soziale Arbeit mit Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung.…
4.4.1. Ziele und Methoden….
4.4.2. Die Rolle der Sozialarbeiter
5. Möglichkeiten zur Integration der Techniken der Dialektisch-Behavioralen Therapie in die Praxis der Sozialen Arbeit…
5.1. Achtsamkeitsübungen...
5.2. Übungen zur Stresstoleranz..
5.3. Übungen zum Umgang mit Gefühlen..
5.4. Übungen zum Erwerb zwischenmenschlicher Fertigkeiten…..
5.5. Übungen zur Steigerung des Selbstwerts..
6. Schlussfolgerung
III. Literaturverzeichnis
IV. Anhang..…
Anhang A: Übungen zum Spüren
Anhang B: Übungen zum Ablenken
Anhang C: Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Anhang D: Liste angenehmer Aktivitäten…
Anhang E: Liste der Glaubenssätze…
Abstract
Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung, welche anhand der aktuell gültigen Klassifikationssysteme, wie der ICD-10 und DSM-5, der Symptomatik und Komorbidität sowie der Ursachen und Besonderheiten des Krankheitsverlaufs dargestellt wird. Die Krankheitssymptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung in Form von Emotionsregulationsstörungen, Störungen des Selbstkonzeptes sowie der sozialen Interaktion beeinträchtigen die Teilhabe dieser Personen am gemeinschaftlichen Leben und die Zusammenarbeit zwischen Klienten und Sozialarbeiter. Um eine professionelle Begleitung und Unterstützung der Borderline-Klienten sicherzustellen, ist es sehr wichtig, dass die Sozialarbeiter sich spezifisches Wissen über herausfordernde Verhaltensweisen sowie Methoden und Therapiemöglichkeiten der Borderline-Persönlichkeitsstörung aneignen. In der vorliegenden Arbeit werden zudem das sozialpsychiatrische Arbeitsfeld, zentrale Aufgaben und Kompetenzen in der Berufspraxis sowie die Dialektisch-Behaviorale Therapie vorgestellt. Während die Soziale Arbeit sich überwiegend um soziale Belange der psychisch kranken Menschen, wie soziale Integration und Bekämpfung der gesellschaftlichen Ausgrenzung, kümmert, bietet die Dialektisch-Behaviorale Therapie spezifische therapeutische Maßnahmen an, um emotionale Krisen der Borderline-Patienten bewältigen zu können. Im Rahmen dieser Arbeit werden spezifische Vorgehensweisen und therapeutische Ansätze für die Begleitung und Unterstützung der Borderline-Patienten untersucht und Möglichkeiten zur Integration der Elemente der Dialektisch-Behavioralen Therapie in die Praxis der Sozialen Arbeit präsentiert.
Borderline-Persönlichkeitsstörung, Dialektisch-Behaviorale Therapie, Soziale Arbeit
This bachelor thesis presents the borderline personality disorder, which is based on the currently valid classification systems, such as the ICD-10 and DSM-5, the symptoms, and comorbidities as well as the causes and peculiarities of the course of the disease. The symptoms of the borderline personality disorder in the form of emotion regulation disorders, disorders of self-concept and social interaction hinder the participation of this people in community life and the cooperation between clients und social workers. To ensure professional support for borderline clients, it is very important that the social workers acquire specific knowledge about challenging behaviors as well as methods and therapeutic options for borderline personality disorder. In this work are also presented the psychiatric social work, central tasks, and competencies in professional practice as well as dialectic behavioral therapy. While social work mainly deals with the social issues of mentally ill people, such as social integration and combating social exclusion, dialectical behavioral therapy offers specific therapeutic measures to help borderline patients to be able to cope with emotional crises. This work is examined specific procedures, and therapeutic approaches for the support of borderline patients and is presented possibilities for integrating the elements of the dialectic behavioral therapy into the practice of social work.
II. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung – Einführung in das Thema
Die Profession Soziale Arbeit zählt nicht zu den Gesundheitsberufen und wird in Deutschland trotz den wesentlichen Beiträgen in gesundheitsbezogener sozialer Beratung und Begleitung nicht als Gesundheitsfach- und Heilberuf verstanden. (Dettmers/Bischkopf, 2019, S. 13) In unterschiedlichen Bereichen und Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit sind die Sozialarbeiter mit Menschen mit sogenannten Persönlichkeitsstörungen konfrontiert. Die Borderline-Störung gehört zu den häufigsten und bekanntesten Persönlichkeitsstörungen. Dabei handelt es sich nach Sachse (2020) um ‘‘Störungen der Beziehung, der Interaktion, nicht um eine Störung der Persönlichkeit‘‘. (S. 12) Die Erkrankung beginnt meist in der frühen Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter. (Bohus & Wolf-Arehult, 2013, S. 386) 70% der Betroffenen sind Frauen. Die ausgeprägten Krankheitssymptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen sich in Form von Emotionsregulationsstörungen, Störungen des Selbstkonzeptes sowie der sozialen Interaktion. (Bohus, 2019, S. 5) Die extremen Stimmungsschwankungen und instabile Gefühlswelt der Borderline-Patienten erschweren die Teilhabe dieser Personen am Leben in der Gesellschaft und beeinträchtigen die Zusammenarbeit zwischen Klienten und Sozialarbeiter. Es ist demnach seitens der Sozialarbeiter äußerst relevant, spezifische Kenntnisse zur Entstehung und Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu erlangen bzw. Wissen über Methoden und Therapiemöglichkeiten aufzuweisen, um optimale Begleitung und Unterstützung der Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu gewährleisten. Da die Dialektisch-Behaviorale Therapie gute Wirkung zeigt, wäre es sinnvoll, die Behandlungsstruktur bzw. die Behandlungsphasen näher zu betrachten, um Möglichkeiten zur Integration von einzelnen Behandlungstechniken in die soziale Arbeit zu untersuchen.
1.1. Problem- und Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit legt den Fokus auf die herausfordernden Eigenschaften und Verhaltensweisen der Menschen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden und auf die therapeutischen und unterstützenden Maßnahmen seitens der Psychotherapeuten und der Sozialarbeiter. Durch ein besseres Verständnis der Auswirkungen der Symptome und Ursachen der Erkrankung wird es Sozialarbeitern ermöglicht, spezifische Kompetenzen und Interventionen herauszuarbeiten, um psychosoziale Begleitung und Betreuung von den Personen, die von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung betroffen sind, zu leisten. Ziel dieser Arbeit ist es, durch die Auseinandersetzung mit den Aufgaben und Handlungsrahmen der Sozialarbeiter in der Sozialpsychiatrie und psychotherapeutischen Behandlungsstrategien, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Bereichen der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit und psychotherapeutischen Arbeit aufzuzeigen und es wird der Versuch unternommen, psychotherapeutisch basierte Handlungsprinzipien und -strategien mit dem Umgang mit Borderline-Klienten zur Erweiterung des Methodenwissens der Sozialarbeiter einzuleiten.
1.2. Forschungsfragen
Folglich ergeben sich folgende Fragestellungen:
Forschungsfrage 1. Wie grenzt sich Sozialpsychiatrie als gesundheitsbezogenes Arbeitsfeld Sozialer Arbeit von der psychotherapeutischen Arbeit ab und wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen?
Forschungsfrage 2: Welche Techniken und Vorgehensweisen der Dialektisch-Behavioralen Therapie können von den Sozialarbeitern angewendet werden?
1.3. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Bachelorarbeit ist in fünf Abschnitte gegliedert.
Im ersten Teil der Arbeit wird in das Thema eingeführt, die Problem- und Zielsetzung sowie die Forschungsfragen erläutert und einen kurzen Überblick über die Struktur und Methodik der Arbeit gegeben.
Im zweiten Abschnitt wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung präsentiert sowie die Geschichte und die Entwicklungslinien des Störungsbegriffs, die wesentlichen Grundkonzepte, die allgemeinen Merkmale, die Ursachen für die Entstehung und die Symptomatik der Borderline-Persönlichkeitsstörung anhand einer systematischen Literaturrecherche dargestellt.
Der dritte Abschnitt stellt die Dialektisch-Behaviorale Therapie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung dar. Zudem werden die therapeutischen Grundannahmen und die Beziehungsgestaltung sowie Therapiestruktur, Behandlungsphasen und Skillstraining vorgestellt.
Der vierte Abschnitt befasst sich mit der Sozialen Arbeit in der Sozialpsychiatrie und richtet sich insbesondere auf die theoretische Fundierung, zentralen Aufgaben und Kompetenzen sowie auf die Gestaltung des sozialpsychiatrischen Hilfeprozesses. Zudem wird die soziale Arbeit mit Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung thematisiert.
Im fünften Abschnitt wird auf die Möglichkeiten zur Umsetzung der Techniken der Dialektisch-Behavioralen Therapie eingegangen, In den darauffolgenden Kapiteln werden Achtsamkeitsübungen, Übungen zur Stresstoleranz, Übungen zum Umgang mit den Gefühlen, Übungen zum Erwerb zwischenmenschlicher Fertigkeiten und Übungen zur Steigerung des Selbstwerts präsentiert.
Die Schlussfolgerung bietet eine kurze zusammenfassende Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse.
Um die 1. Fragestellung beantworten zu können, es wird zunächst im Abschnitt 3. die Dialektisch-Behaviorale Therapie vorgestellt und wird dazu auf die therapeutische Grundhaltung, auf die Therapiestruktur und Behandlungsphasen sowie auf die Skillstraining eingegangen. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzeigen und die Schnittstelle zwischen Sozialtherapie und Psychotherapie zu erläutern, wird darauffolgend im Abschnitt 4. das Handlungsfeld Sozialpsychiatrie thematisiert und es werden zentrale Aufgaben und Kompetenzen, die Gestaltung des Hilfeprozesses in der Sozialen Praxis sowie die soziale Arbeit mit Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung dargestellt.
Um die 2. Fragestellung beantworten zu können, werden mithilfe der Gegenüberstellung der Sozialen Arbeit und Psychotherapie bzw. der Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Professionen in Bezug auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung, auf Basis einer systematischen Literaturrecherche bestimmte Elemente und psychotherapeutische Vorgehensweisen der Arbeit mit Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung für die Praxis der Sozialen Arbeit herausgefiltert und praktische Übungsvorschläge für mögliche Therapieansätze präsentiert.
1.4. Methodisches Vorgehen
Für die Datenerhebung wurde die qualitative Forschungsmethode ausgewählt und eine systematische Literaturrecherche durchgeführt.
Es wurde Literatur in den Literaturdatenbanken und online-Ressourcen der IU Internationalen Hochschule und der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig sowie im Internet gesucht. Hierfür wurden Suchbegriffe wie ‚‚Borderline-Persönlichkeitsstörung‘‘, ‚‚Soziale Arbeit in der Psychiatrie‘‘, ‚‚Klinische Sozialarbeit‘‘, ‚‚Psychologie in der Sozialen Arbeit‘‘, ‚‚Dialektisch-Behaviorale Therapie‘‘ angegeben. Dabei wurden bestimmte Selektionskriterien festgelegt, indem es nur nach Quellen gesucht wurde, die sich auf die schwierigen bzw. herausfordernden Eigenschaften und dysfunktionalen Verhaltensweisen der Borderline-Patienten beziehen, sich mit Dialektisch-Behavioralen Therapie auseinandersetzen sowie praktische Methoden und spezifische Vorgehensweisen mit der Arbeit mit den Menschen, die unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, für die Praxis der Sozialen Arbeit anbieten. Da diese Arbeit sich an Professionelle der Sozialen Arbeit richtet, wurde die medikamentöse Behandlung der Borderline-Patienten, welche im Aufgabenbereich der Psychiater liegt, nicht berücksichtigt.
Hinsichtlich der gewählten Forschungsmethode und Vorgehensweise ist anzumerken, dass die Beantwortung der Forschungsfragen ausschließlich auf die Erhebung und Bewertung der bereits zur Verfügung stehenden Literaturdaten basiert und auf die empirische Forschung anderer stützt. Es wurde keine praxisbezogene Bearbeitung bzw. Behandlung der Themen in Bezug auf die Möglichkeit der Integration einiger Elemente aus der Dialektische-Behavioralen Therapie in die Praxis der Sozialen Arbeit durchgeführt, welche die Möglichkeit angeboten hätte, die herausgefilterten Methoden der Dialektisch-Behavioralen Therapie in der Praxis der Sozialen Arbeit auf ihre Durchsetzbarkeit und Wirkung hin zu überprüfen. Die Aussagen und Schlussfolgerungen dieser Bachelorarbeit sind theoriebasiert und beruhen lediglich auf die Annahmen der vorhandenen Literatur.
2. Borderline-Persönlichkeitsstörung
Dieser Abschnitt befasst sich mit dem Krankheitsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Kapitel 2.1. stellt eine kurze Erläuterung der Definitionen Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen dar, es werden die allgemeinen Merkmale der Persönlichkeitsstörungen bzw. die Geschichte und die Entwicklungslinien des Störungsbegriffs thematisiert. Das Kapitel 2.2. befasst sich mit den aktuell gültigen Klassifikationssystemen der ICD-10¹ und der DSM-5², welche die zwei relevante und momentan gebräuchliche Klassifikationssysteme psychischer und Verhaltensstörungen sind. (vgl. Bräutigam, 2018, S. 137) Darauffolgend werden in den Kapiteln 2.3., 2.4., 2.5. und 2.6. auf die Ursachen der Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung, auf die Symptomatik, Komorbidität, Epidemiologie und Verlauf der Krankheit eingegangen.
2.1. Persönlichkeitsstörungen, Geschichte und Entwicklungslinien des Störungsbegriffs
Fiedler & Herpertz (2016) definieren Persönlichkeit und Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen als ‚‚Ausdruck der für ihn charakteristischen Verhaltensweisen und Interaktionsmuster, mit denen er gesellschaftlich-kulturellen Anforderungen und Erwartungen zu entsprechen und seine zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Suche nach einer persönlichen Identität mit Sinn zu füllen versucht‘‘. (S. 34)
Streeck-Fischer (2014) deutet in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von Temperamenteigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen sowie sich daraus möglicherweise entwickelnder Persönlichkeitsstörungen hin und befasst sich mit den bislang unbeantworteten Fragen von Heredität von Temperamenteigenschaften und der Prädisposition für psychische Störungen. (S. 78)
Unter Persönlichkeitsstörungen werden laut Fiedler & Herpertz (2016) ‚‚sozial unflexible, wenig angepasste und im Extrem normabweichende Verhaltensauffälligkeiten‘‘ verstanden. (S. 34)
Sachse bezeichnet seinerseits die Persönlichkeitsstörungen als ‚‚extreme Ausprägungen ‚normaler‘ psychologischer Prozesse, die den betreffenden Personen so hohe Kosten erzeugen, dass eine Psychotherapie sinnvoll ist.‘‘ (Sachse, 2013, S. 12)
Persönlichkeitsstörungen dürfen grundsätzlich erst dann als psychische Störung diagnostiziert werden, wenn:
¹ Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, English: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems).
² Diagnostische und statistische Leitfaden zu psychischen Störungen (DSM, English: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).
• bei den betreffenden Menschen ein überdauerndes Muster des Denkens, Verhaltens, Wahrnehmens und Fühlens vorliegt, das sich als durchgängig unflexibel und wenig angepasst darstellt; und
• Persönlichkeitsmerkmale wesentliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit verursachen,
sei es im privaten oder beruflichen Bereich; und / oder
• die Betreffenden unter ihren Persönlichkeitseigenarten leiden, und das heißt: wenn die eigene
Persönlichkeit zu gravierenden subjektiven Beschwerden führt. (Fiedler & Herpertz, 2016, S. 34)
Der Begriff ‚‚Borderline‘‘ wurde 1884 in allgemeinerer Form erstmalig von dem englischen Psychiater Hughes eingeführt. Er sprach von einer sogenannten »Bonderland« psychischen Behinderung. Der Begriff ‚‚Borderline‘‘ wurde dann 1938 von dem US-amerikanischen Psychoanalytiker Adolf Stern umfassend beschrieben und charakterisierte psychische Störungsbilder, die im Grenzbereich zwischen Neurose³ und Psychose⁴ angesiedelt sind. (Berberich et al., 2018, S. 7)
Angesichts dessen, dass die Borderline-Störung Symptome und Verhaltensmerkmale der Neurose und Psychose aufzeigt und sich auf der Grenzlinie der beiden psychischen Störungen bewegt, fällt es sehr schwer, diese äußerst vielschichtige und schwer greifbare Krankheit zu erkennen.
Nach Berberich et al. (2018) lassen sich in der wechselhaften Entwicklung bis zu dem heutigen Konzept der Borderline-Persönlichkeitsstörung vier verschiedene Ansätze bzw. Entwicklungslinien unterscheiden: subschizophrene Störung, emotional instabile und subaffektive Störung, Impulskontrollstörung, posttraumatische Belastungsstörung⁵. (S. 7)
Das Krankheitsbild der subschizophrenen Störung wurde u. a. als untypische Form der Schizophrenie gekennzeichnet und enthielt multiple neurotische Symptome einer »Panneurosis«, »Pananxiety«
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³ ‚‚Eine Neurose basiert auf einem inneren, ungelösten neurotischen Konflikt – ein klassisches Beispiel wäre der Konflikt zwischen Autonomie- und Abhängigkeitswünschen. Im Unterschied zur Psychose bleibt bei der Neurose der Bezug zur Realität vollständig erhalten. In den aktuell gültigen Klassifikationssystemen wird der Begriff der Neurose nicht mehr benutzt, weil er suggeriert, die Ursache einer psychischen Erkrankung zu erkennen und somit nicht mehr deskriptiv ist.‘‘ (Bräutigam, 2018, S. 139-140).
⁴ ‚‚Der Begriff der Psychose ist [in den aktuell gültigen Klassifikationssystemen] erhalten geblieben. Er umfasst beschreibend jene Störungen, bei denen ein Realitätsverlust auftritt. Damit sind massive Störungen der Wahrnehmung und des Denkens gemeint, wie z. B. Halluzinationen oder Wahnvorstellungen.‘‘ (Bräutigam, 2018, S. 140).
⁵ ‚‚Posttraumatische Belastungsstörungen treten mit einer Latenz von Wochen nach einem schweren (Psycho-)Trauma auf, welches sich in Erinnerungen und Träumen ständig wieder aufdrängt; zusätzlich bestehen abnorme Empfindsamkeit, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen. Betroffene ziehen sich zurück und meiden die Exposition dem Trauma verwandter Situationen.‘‘ (Lingg & Theunissen, 2017, S. 65).
oder »Pansexuality« mit ‚‚vorübergehenden Depersonalisations- und Derealisationserscheinungen-, Beziehungsideen und hypochondrischen- Befürchtungen‘‘. (Hoch und Polantin, 1949, zitiert nach Berberich et al., 2018, S. 7)
Die zweite Entwicklungslinie kennzeichnet die Borderline-Störung als emotional instabile und »subaffektive« Störung und zeichnet sich durch ein Krankheitsmuster aus ‚‚labilen, rasch und unvermittelt wechselnden Stimmungslagen‘‘ sowie leicht erregbare Zustände der betroffenen Menschen aus. (Berberich et al., 2018, S. 7-8)
Die dritte Entwicklungslinie bezieht sich auf das Konzept der Impulskontrollstörung, welches als zentrales Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung zu definieren ist und äußert sich in der Tendenz der Borderline-Patienten, verschiedene Formen autodestruktiver Impulshandlungen zu zeigen. Nach Berberich et al. (2018) werden impulsive Verhaltensweisen als ‚‚krisenhafte Zuspitzungen einer andauernden impulsiven Verhaltensbereitschaft‘‘ angesehen, die nicht eindeutig auf das Auftreten einzelner Ereignisse beruhen. (S. 8)
Der vierten Entwicklungslinie wird ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Hier wird die Borderline-Störung als posttraumatisierte Belastungsstörung aufgrund von ‚‚psychopathologischen Folgen von gravierenden traumatischen Ereignissen‘‘ angesehen und zeichnet sich durch die Instabilität des Selbstbildes und dissoziativen- Symptome und Erlebnisweisen aus. (Berberich et al., 2018, S. 7-9)
- ‚‚Eine seltene Störung, bei der ein Patient spontan beklagt, das [sic] seine geistige Aktivität, sein Körper oder die Umgebung sich in ihrer Qualität verändert haben, und unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert erlebt werden. Neben vielen anderen Phänomenen und Symptomen klagen die Patienten am häufigsten über den Verlust von Emotionen, über Entfremdung und Loslösung vom eigenen Denken, vom Körper oder von der umgebenden realen Welt. Trotz der dramatischen Form dieser Erfahrungen ist sich der betreffende Patient der Unwirklichkeit dieser Veränderung bewusst. Das Sensorium ist normal, die Möglichkeiten des emotionalen Ausdrucks intakt. Depersonalisations- und Derealisationsphänomene können im Rahmen einer schizophrenen, depressiven, phobischen oder Zwangsstörung auftreten. In solchen Fällen sollte die Diagnose der im Vordergrund stehenden Störung gestellt werden.‘‘ (ICD-Code, 2021).
- ‚‚Vorherrschendes Kennzeichen [der hypochondrischen Störung] ist eine beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden. Die Patienten manifestieren anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen. Normale oder allgemeine Körperwahrnehmungen und Symptome werden von dem betreffenden Patienten oft als abnorm und belastend interpretiert und die Aufmerksamkeit meist auf nur ein oder zwei Organe oder Organsysteme des Körpers fokussiert. Depression und Angst finden sich häufig und können dann zusätzliche Diagnosen rechtfertigen.‘‘ (ICD-Code, 2021).
- ‚‚Dissoziation ist ein vielgestaltiges Phänomen, wo z. B. Teile des Erlebens gleichsam ausgeblendet werden. Es kommt besonders häufig im Zusammenhang mit Psychotraumata vor, ist aber grundsätzlich zunächst einmal unspezifisch.‘‘ (Heedt, 2019, S. 20).
Zusammenfassend stellen Berberich et al. (2018) fest, dass es sich bei den früheren Borderline-Syndromen weniger um spezifische Störungsbilder handelte, sondern um Sammelbezeichnungen schwieriger Patienten, die aus verschiedenen historischen Ansätzen entstanden und konzipiert wurden. (S. 9)
2.2. Kategoriale Diagnostik nach ICD-10 und DSM-5
Das heutige Diagnosekonzept der Borderline-Persönlichkeitsstörung wird anhand zweier internationaler Diagnosesysteme psychischer und Verhaltensstörungen erstellt. Mithilfe von Klassifikationssystemen wie ICD-10 oder DSM-5 werden die Krankheitssymptome in diagnostische Kategorien eingeordnet. Neben der Klassifikation von psychischen Störungen beinhaltet Diagnostik auch die Erfassung von störungsspezifischen und störungsübergreifenden Merkmalen. Diagnose dienen nicht nur zur psychotherapeutischen Behandlung der Patienten, sondern auch zur Dokumentation des Behandlungsverlaufs, zur Supervision von Therapien sowie zur Abrechnung mit den Krankenkassen. ( Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 15)
2.2.1. Diagnostische Kriterien nach ICD-10
Die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modifikation (ICD-10-GM) ist die amtliche Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland. (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 2021)
In der ICD-10 ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung unter der Gruppe Persönlichkeits- und Verhaltensstörung F60.3 – Emotional instabile Persönlichkeitsstörung folgendermaßen beschrieben:
Eine Persönlichkeitsstörung mit deutlicher Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren, verbunden mit unvorhersehbarer und launenhafter Stimmung. Es besteht eine Neigung zu emotionalen Ausbrüchen und eine Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren. Ferner besteht eine Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden. Zwei Erscheinungsformen können unterschieden werden: Ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle; und ein Borderline-Typus, zusätzlich gekennzeichnet durch Störungen des Selbstbildes, der Ziele und der inneren Präferenzen, durch ein chronisches Gefühl von Leere, durch intensive, aber unbeständige Beziehungen und eine Neigung zu selbstdestruktivem Verhalten mit parasuizidalen Handlungen und Suizidversuchen. (ICD-Code, 2021)
Impulsiver Typus F60.30
Für eine Diagnose des Impulsiven Typus müssen die allgemeinen diagnostischen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllt sein und mindestens drei der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen zutreffen:
1. deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln
2. deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden
3. Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt und Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens
4. Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden
5. unbeständige und unberechenbare Stimmung (Berberich et al., 2018, S. 64-65)
Borderline-Typus F60.31
Für die Diagnose eines Borderline-Typus müssen zusätzlich mindestens zwei der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen zutreffen:
1. Störungen/Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und inneren Präferenzen (einschließlich sexueller)
2. Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von Emotionalen Krisen
3. übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden
4. wiederholte Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung
5. anhaltende Gefühle von Leere (Berberich et al., 2018, S. 65)
2.2.2. Diagnostische Kriterien nach DSM-5
In der DSM-5 wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung nach Berberich et al. (2018) als ‚‚ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität‘‘ definiert. (S. 61) ‚‚Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen‘‘. (Berberich et al., 2018, S. 61)
Diese kategorische Einteilung führt neun spezifische Kriterien auf. Um die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung zu begründen, müssen mindestens fünf der nachfolgenden Kriterien erfüllt sein:
1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)
2. Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
3. Identitätsstörung: Ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, »Essenfälle«). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)
5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern.)
7. Chronische Gefühle von Leere.
8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome. (Berberich et al., 2018, S. 61)
2.3. Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Die Personen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, ‚‚erleben die Welt als feindselig, sich selbst als machtlos und unfähig zur Impulskontrolle. Sie spalten die Welt in ihrer Wirklichkeitskonstruktion in Extreme auf, während Grautöne fehlen.‘‘ (Levold & Wirsching, 2020, S. 371)
Als Auslöser der Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung gelten Defizite der sozialen Kognition, beeinträchtigte Entwicklung der sozialen Interaktion und traumatische Erfahrungen in der Kindheit. In den 1980er Jahren wurden die Entstehungsursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung mit einer schweren Misshandlung in der Kindheit in Verbindung gebracht. (Heedt, 2019, S. 24)
Linehans biosoziale Theorie zieht als mögliche Ursachen der Entstehung der Krankheit die ‚‚multifaktorielle Interaktionen zwischen Diathese⁹ und Stressoren‘‘ in Betracht (Heedt, 2019, S. 25) und geht von der Annahme aus, dass die Entstehung der Borderline-Störung mit einer hohen emotionalen Verletzbarkeit, mangelhaften Emotionssteuerung, Instabilität der zwischenmenschlichen Bezie-
⁹ Neigung des Körpers zur Entwicklung einer bestimmten Krankheit (Heedt, 2019, S. 25).
hungen und des gestörten Verhältnisses zu sich selbst in Zusammenhang steht. (vgl. Limberg, 2012, S. 28) Nach Biosozialem Entwicklungsmodell ist als entscheidender Faktor zur Krankheitsentstehung die abwertende Umgebung anzunehmen, die in Kombination mit hoher emotionaler Instabilität und Impulsivität der Betroffenen zur Entwicklung einer Emotionsregulationsstörung führt. ‚‚So könne ein Kind mit besonderer Impulsivität als Persönlichkeitseigenschaft in einer Hochrisikoumgebung unfähig sein, extreme Emotionen im Lichte unsteten Elternverhaltens zu regulieren.‘‘ (Heedt, 2019, S. 25-26)
Selbys Emotionale-Kaskaden-Modell ergänzt das BDM-Modell, indem es annimmt, dass verschärfte emotionale Dysregulation, welches zu »Kaskade der Emotion« führt, nur durch starke Ablenkungstechniken wie Selbstverletzung zur emotionalen Entlastung der Betroffenen verhelfen kann. (Selby und Joiner, 2009, zitiert nach Heedt, 2019, S. 26)
Fonagys Mentalisierungs¹⁰-basierte Therapie bezeichnet »epistemisches¹¹ Vertrauen« und soziale Kommunikation als zentrale Faktoren der Entwicklung in Zusammenhang mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Durch mangelhafte bzw. fehlende Zuwendung der primären Bezugsperson, entwickeln die Betroffenen Personen kein Urvertrauen und erleben eine soziale Ausgrenzung, welche zur sozialen Dysfunktion und Mentalisierungsschwierigkeiten führt. (Heedt, 2019, S. 26-27)
Das bio-psycho-soziale Entstehungsmodell stellt ins Zentrum der Entstehung und Entwicklung der Krankheit traumatische Erfahrungen von Zurückweisung, schwerer Enttäuschung und Vernachlässigung. Kinder mit hoher emotionaler Sensitivität erweisen ein starkes Bedürfnis nach emotionalem Austausch (emotional sharing) und wenn dieses nicht zufriedengestellt wird, erleidet das Kind ein Trauma. (Bohus, 2019, S. 25)
Als Hauptverursacher der Borderline-Persönlichkeitsstörung bezeichnet Huber (2020) die ‚‚traumatischen Lebensbedingungen, die Menschen seelisch zusammenbrechen lassen und ihnen langfristig in Form seelischer Störungen zusetzen‘‘. (S. 195)
Bräutigam (2018) weist darauf hin, dass von den Menschen verursachten Traumatisierungen wie beispielsweise Folter oder sexuelle Misshandlung viel traumatisierender erlebt werden, als Naturkatastrophen. (S. 151)
Fleischhaker & Schulz (2010) beschreiben hinsichtlich der Entstehungs- und Entwicklungsursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung vier zentrale Modelle je nach Therapieschule:
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¹⁰ ‚‚Epistemisch heißt etwa: auf die Erkenntnislage des Einzelnen mit seinem persönlichen Wissen in der aktuellen Situation bezogen; verkürzt: Urvertrauen.‘‘ (Heedt, 2019, S. 26).
¹¹ Mentalisierung ist die Fähigkeit, ‚‚die eigenen inneren Befindlichkeiten von denen des Gegenübers differenzieren zu können‘‘, welche ‚‚zwischenmenschliches Verständnis und eine daraus resultierende Handlungsfähigkeit‘‘ ermöglicht. (Bräutigam, 2018, S. 53).
1. Aus psychiatrischer Sicht beruht die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auf einem deskriptiven Ansatz, der die Borderline-Persönlichkeitsstörung kategorial von anderen Persönlichkeitsstörungen und von gesunden Menschen unterscheidet.
2. Aus Sicht der Persönlichkeitspsychologie ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine extreme Ausprägung basaler Persönlichkeitsdimensionen, die sich nur quantitativ von normalen Persönlichkeitsprägungen unterscheidet.
3. Aus tiefenpsychologiescher Sicht wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung als strukturelle Störung beschrieben mit frühen Störungen in der Objektbeziehung.
4. In kognitiv-bevaviouralen [sic] Modellen der Borderline-Persönlichkeitsstörung wird die zwischenmenschliche Interaktionsstörung als dominierend angesehen. (S. 22)
Aufgrund verschiedener Untersuchungen lässt sich laut Fleischhaker & Schulz (2010) feststellen, dass einen erheblichen Anteil an der Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung genetische Dispositionen und individualspezifische Umweltfaktoren haben, wobei 50% der Varianz durch genetische Aspekte erklärt werden können. (S. 24)
Zusammenfassend lässt sich verdeutlichen, dass heutige Theorien und Ansätze das Zusammenspiel von genetischen Dispositionen, prägenden Erfahrungen und Erlebnisse, Kognitionen, tiefschichtigen Emotionen und Verhaltensmuster als entscheidend für die Entstehung und Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung bewerten.
2.4. Klinische¹² Symptomatik
Die vielfältige klinische Symptomatik von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung lässt sich in drei Dimensionen einteilen; Emotionsregulation, Identität und soziale Interaktion, welche sich wechselseitig beeinflussen. (Bohus, 2019, S. 5)
2.4.1. Emotionsregulation
Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung sind überempfindlich und erleben sowohl unangenehme als auch angenehme Emotionen zu intensiv. Hierbei geht es um die gestörte emotionale Bewertung und Verarbeitung von Gefühlen, die starke innere Erregung und Anspannungszustände nach sich ziehen. Die Betroffene Personen werden von ihren zeitgleich unterschiedlichen und gegensätzlichen Gefühlen überflutet. Aufgrund eines eingeschränkten selbstreflektierenden Denkens
¹² ‚‚Mit dem Begriff des Klinischen wird ein Übergang zum Spektrum zwischen Gesundheit und Krankheit sowie zwischen Normalität und Pathologie beschritten.‘‘ (Bräutigam, 2018, S. 137).
sind die Betroffene in diesen langanhaltenden Stressphasen nur damit beschäftigt, Möglichkeiten zu finden, um diese unerträglichen Zustände schnell zu beenden und es werden Bewältigungsversuche in Form unterschiedlicher destruktiver Verhaltensmuster, wie z. B. Selbstverletzungen und explosive Verhaltensweisen, unternommen. (Bohus, 2019, S. 5-8)
Bandelow, Gruber & Falkai (2012) weisen darauf hin, dass die Autoaggression (selbstverletzendes Verhalten) nicht mit Suizidversuchen verwechselt werden sollte. Da die Borderline-Patienten unter andauerndem, starkem Leeregefühl leiden, fühlen sie sich erleichtert, nachdem sie sich selbst Verletzungen zufügen. (S. 119)
Zudem wird von einem Hochrisikoverhalten berichtet, wie z. B. Balancieren auf Baukränen, Hochhäusern oder Brückengeländern, rasen auf der Autobahn, sitzen auf Bahnschienen, bis die Vibration zu spüren ist. (Bohus, 2019, S. 8)
Weinert (2009) spricht im Zusammenhang mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung über einen schlecht organisierten Bildungsstil und im Erwachsenenalter über einen unsicheren Bildungsstil der Betroffenen. (S. 111) Des Weiteren weist Bohus (2019) auf das erhöhte Bedürfnis der Borderline-Patienten nach Nähe und Aufmerksamkeit hin. (S. 9)
Defizite zeigen sich in der Emotionsregulation auch in Form von stressassoziierten Störungen der Raum, Zeit- und Selbstwahrnehmung sowie paranoiden und halluzinatorischen Illusionen. (Bohus, 2019, S. 9-10) Es treten psychologische dissoziative Zustände, wie z. B. Depersonalisation und Derealisation und somatoforme Störungen, wie z. B. Analgesie, Verlust der Kontrolle über die Willkürmotorik auf.
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