Der Salon der Rahel Varnhagen

Bildungsromantik im Zeitalter der Aufklärung oder Jüdische Mädchenbildung in Preußen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsangaben

Einführung

1. Friedrich II. und sein Toleranzanspruch
1.1 Juden unter Friedrich II

2. Kindheit und Erziehung

3. Salonkultur
3.1. Jüdische Salons in Preußen
3.2. Der Salon der Rahel Levin
3.3. Das Leben nach dem Salon

4. Frauenbilder – ein literarische Suche

Zusammenfassung

Literaturangaben

Einführung

Das Leben von Rahel Levin, später Varnhagen, ist ausführlich dokumentiert worden. Und zwar von ihr selbst. Es ist eine Autobiografie in tausenden von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Und da ich sie in ihren Äußerungen als ausgesprochen authentisch erlebt habe, sind diese Selbstzeugnisse für eine Persönlichkeitsanalyse weitestgehend aussagekräftig. In einer Zeit, da die Menschen gerade erst ihre Individualität entdeckten, beschrieb sie in immer neuen Ansätzen, in täglicher Betrachtung Körpererfahrungen und seelische Zustände, Leidenschaften und Verletzungen eines weiblichen Individuums. Obwohl man in der Rezeption vorsichtig davon ausgehen sollte, dass sie zumindest damit kokettierte, ihr Leben für die Nachwelt zu dokumentieren. „Und sterb´ ich“ schreibt sie an eine Freundin im Jahr 1800 „such all meine Briefe … von allen meinen Freunden und Bekannten zu bekommen … Es wird eine Original-Geschichte und poetisch.“1 Gehen wir also davon aus, dass eine gewisse eigensinnige Färbung schon im Moment des Niederschreibens erfolgt ist.

Ein ungeheurer Aufwand. Mit fast 300 Persönlichkeiten war sie Zeit ihres Lebens in Kontakt. Wenn man dazu nimmt, dass die Beförderung eines Briefes in ihrer Zeit so teuer war wie „ein Pfund Fleisch“2 hat ihr ausgedehnter Briefwechsel auch einen nicht zu beziffernden Teil ihres Vermögens beansprucht.

Das Varnhagen-Archiv lagerte lange Zeit im Besitz der preußischen Nationalbibliothek in Berlin. Zusammen mit Originalpartituren von Mozart- und Beethoven kamen die Rahel-Briefe ins niederschlesische Benediktinerkloster Grüssau, um sie im 2. Weltkrieg vor britischen Luftangriffen zu schützen. In festen Kisten nahe der Orgel waren sie hier zwar sicher aber nach Kriegsende verschwunden.

Erst 1977 kam heraus, dass das Archiv in der Biblioteka Jagiellonska in Krakau aufbewahrt wird. Der Nachlass gehört jetzt also der polnischen Nation.

Ab 1979 waren die Schriften dann wieder zugänglich. 1984 erschien in einem Münchener Verlag die zehnbändige Gesamtausgabe: „Gesammelte Werke der Rahel Varnhagen von Ense“. Ich habe mich mit diesem ausführlichen Quellenmaterial für diese Hausarbeit nur punktuell auseinandergesetzt. Die für dieses Thema wichtigsten Aussagen sind in der Sekundärliteratur zusammengefasst. Vor Allem habe ich mit zwei sehr eindrucksvollen Biografien arbeiten können. Hannah Ahrendt, die ihr Buch über Rahel Varnhagen 1933 noch in der Staatsbibliothek in Berlin recherchierte, gab ihre Biografie 1959 mit dem Hinweis heraus, die Quellen nicht überprüft haben zu können, da das Archiv verschwunden sei. Ahrendt hat eine Art Psychogramm angefertigt. Mit dem Verständnis einer engen Freundin und Jüdin hat sie es hauptsächlich auf die widersprüchlichen Seiten der Persönlichkeit Rahel Varnhagens abgesehen. Sie hatte sich vorgenommen, über ihr Leben so zu schreiben, wie sie es selbst getan hätte. Rahel wird hier beschrieben als eine zerrissene Persönlichkeit, ihr Leben lang suchend. Unausgeglichen zwischen einem von Gesellschaft und Zugehörigkeiten abhängenden Glücksgefühl und totaler Vereinsamung: Sie war Ehe- und Kinderlos, litt unter dem Geburtsfehler, Jüdin zu sein, fühlte sich entwurzelt durch den Traditionsverlust dieser Zeit, haltlos, beherrscht von einer autoaggressiven Erfüllungssehnsucht. Das ist alles unglaublich liebevoll dargestellt.

Auch die Biografie von Carola Stern zeichnet das Bild einer Frau, die am Ende glaubhaft von sich gibt, dass sie es nicht anders hätte machen können. Ein Kapitel beschreibt beispielsweise ihren Hang zum bösen Tratsch, der sich in ihren Briefzeugnissen ebenso wieder findet wie ihr geistreiches Gedankenkonvolut. Aber in der Darstellung von Stern entwickelt man sogar dafür auch noch Toleranzen. Carola Stern gab ihre Biografie 1994 heraus und hatte dafür schon Zugang zum Archiv in Krakau.

Für diese Hausarbeit habe ich vielmehr versucht, das Thema „Frauenbildung“ in dieser besonderen Zeit des Umbruchs zu erforschen. Wie lebten Juden unter Friedrich II. in Preußen, das heißt: Wieviel Freiheit und Selbstbestimmung stand ihnen überhaupt rechtlich zu? Zu welcher Bildung hatten jüdische Mädchen Zugang? Wie und was lernte Rahel? Woher kam ihr legendärer Selbst-Bildungsdrang? Welches Ansehen hatten gebildete Frauen? Und hat sich der Bildungsweg der Rahel Levin von anderen jüdischen Frauen unterschieden? Wie änderten sich Bedingungen und die Auffassung davon gerade in ihrer Zeit? Wie kam es dazu, dass sie sich ausgerechnet als Saloniere so perfekt verwirklichen konnte? Nebenbei habe ich dafür auch Literatur der Epoche herangezogen. Ein Kapitel der Arbeit untersucht wichtige Romane der Zeit und zitiert Zeitgenossen und Autoren zum Thema „Frauenbildung“.

Friedrich II leistete sich eine verhältnismäßige Großzügigkeit, zumindest in Fragen der Presse und des Glaubens. Und diese Freiheit wurde mehr und mehr vom gebildeten Bürgertum in Anspruch genommen. Die Toleranz des Königs hat nur in der historischen Schönfärberei mit dem aufgeklärten Geist des umstrittenen Monarchen zu tun. Sie resultierte nicht zuletzt aus der Menschenverachtung des alternden Herrschers.3 Vor Allem aber aus der Tatsache, dass er „in seinem Machtbereich protestantische und katholische (Schlesien) Untertanen vereinigte.“4 Das königliche Generalpatent vom 17. April 1750 gewährleistete auch die Ausübung des jüdischen Glaubens und nahm die Juden in Preußen ausdrücklich vor Übergriffen anderer Konfessionen in Schutz.5 Friedrich argumentierte seine neue Toleranzpolitik damit, dass die Duldung verschiedenartiger Bekenntnisse dem Staat ökonomische Vorteile verschaffe, Intoleranz hingegen dem Handel und Gewerbe schade und den wirtschaftlichen Kredit der Nation ruiniere. Er erblickte im konfessionellen Pluralismus ein Gebot der Staatsklugheit und handelte also, indem er zum Beispiel den Juden mehr Rechte einräumte, nicht aus Gründen der Moral oder Gerechtigkeit, sondern einzig zweckmäßig, im Interesse des Staates.6 Juden hatten nach wie vor kein Staatsbürgerrecht, waren vom Zunft-Handwerk, vom Grundbesitz und von staatlichen Ämtern ausgeschlossen. Zudem hatten sie mit einer Unzahl an Einschränkungen und Abgaben zu kämpfen, die Friedrich II. ständig erhöhen ließ, um die leeren Staatskassen nach seinen Eroberungskriegen wieder aufzufüllen. Er ordnete beispielsweise den Zwangskauf von Porzellan aus der königlich preußischen Porzellanmanufaktur an. Für eine festgelegte Summe erhielten Juden Kisten mit Porzellan, das sie gar nicht haben wollten. Moses Mendelssohn geriet auf diesem Weg in den Besitz von 20 Porzellanaffen.7

Was ihn offensichtlich nicht davon abhielt, den König, der ihm die Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften verweigert hatte, glühend zu verehren. Er schätzte sich „… glücklich, in einem Staate zu leben, in welchem einer der weisesten Regenten, die je Menschen beherrscht haben, Künste und Wissenschaften blühend und vernünftige Freiheit zu denken so allgemein gemacht hat, dass sich seine Wirkung bis auf den geringsten Einwohner seines Staates erstreckt. Unter seinem glorreichen Szepter habe ich Gelegenheit und Veranlassung gefunden, mich zu bilden und über meine und meiner Mitmenschen Bestimmung nachzudenken.“8

Friedrich II. vergab auch verschiedene königliche Privilegien an einzelne Juden, die sich in im Geld- und Juwelenhandel einen Namen gemacht hatten. Es war ein Geschäft, das christliche Kaufleute wegen zu hoher Risiken ablehnten. Sicher auch, weil der Handel mit Geld einen unchristlichen Ruf hatte, er galt als ein „schmutziges“ Geschäft. Friedrich finanzierte seine Eroberungskriege durch die von ihm geförderte jüdische Geldwirtschaft. Mit dubiosen Mitteln. Insbesondere beauftragte er die so genannten Geld- oder Schutzjuden mit der Herstellung von versilberten Kupfermünzen, die der Volksmund mit „außen Friedrich, innen Ephraim“ betitelte und diese Wertminderung den Juden in die Schuhe schob.9 Der Vater von Rahel, Levin Markus, war einer dieser privilegierten Geldjuden.

1. 1. Juden in Berlin unter Friedrich II.

Die Levins gehörten also zu den etwa vier- bis fünfhundert reichen jüdischen Familien Berlins. Das waren in der Zeit etwa 2% der jüdischen Bevölkerung Preußens. Die obere Schicht der Juden Berlins, weit unter den „Geldjuden“, stand der wohlhabenden christlichen Handwerkerklasse gleich, die untere Schicht war arm oder ganz arm. Zudem kann man die jüdische Bevölkerung auch noch in drei weitere Gruppen unterteilen.

Es gab die orthodoxe Gruppe der Juden, die in alter Tradition lebten und jede Assimilation und Integration ablehnten. Es gab die Reformer der Traditionen, die aber an ihrem Glauben festhielten. Und es gab die Juden, die durch kulturelle Anpassung an einer vollständigen Integration interessiert waren und in letzter Konsequenz zum Christentum konvertierten. Rahel Levin, die zwar in einem orthodoxen Haushalt groß geworden war, gehörte zu der letzten Gruppe.

Juden durften Berlin nur durch zwei Tore betreten und verlassen. Waren sie Fremde, mussten sie sich selbst und ihre Waren verzollen. Noch um die Jahrhundertwende wurde nach der Handelsordnung von 1716 verfahren. In ihr wurde ein Jude dem „strafbaren Totschläger, Gotteslästerer, Mörder, Dieb, Ehebrecher, Meineidigen oder den sonst mit öffentlichen Sünden Befleckten und Behafteten“10 gleichgestellt. Erst im Berliner Bürgerreglement von 1805 wurden jüdische und christliche Kaufleute nach gleichen Rechtssätzen behandelt.

Die Geldgeschäfte der Juden brachen aber trotzdem die starren Strukturen auf, welche Christen und Juden bisher voneinander getrennt hatten. Es wurde möglich, sich bei Schutzbrief-Juden des Königs Geld zu leihen. Rahels Vater, Markus Levin, gab in erster Linie Adligen und Künstlern, die in Berlin häufig über ihre Verhältnisse lebten, Kredite. Dafür kamen sie ins Haus der Levins und lernten bald die jüdische Gastlichkeit kennen. Aus Geschäftsverbindungen entwickelten sich Freundschaften. „Hier hatten die Beziehungen der reichen Juden zur deutschen Aristokratie und zum Künstlertum ihren Ursprung. Das Geschäftliche wurde mit dem Geselligen verbunden und führte bei den Juden zu einer Lockerung der orthodoxen Lebensweise und bei den Adligen zum Abbau ihrer Vorurteile.“11 Rahel nahm als junges Mädchen an den abendlichen Geselligkeiten ihres Vaters teil.

Ende des 18. Jahrhunderts trat die jüdische Intelligenzia an die Spitze der deutschen Intellektuellenschicht. Das hatte mehrere Gründe.

Erstens war es den jüdischen Männern erst seit 1779 durch einen Abschluss auf einer allgemein bildenden Schule möglich, an Universitäten zu studieren. Diese Chance nutzen viele, um sich in der Gesellschaft zu assimilieren. Zweitens waren es gerade die humanistischen Fächer, die sie interessierten, weil die Ideen der Aufklärung ihrem Gedankengut entsprachen und drittens war es die einzige Möglichkeit, aus dem Schacher- oder Händlertum heraus und in andere Berufe zu kommen.12

2. Rahels Kindheit und Erziehung

Rahels Bildungsweg ist nicht im Einzelnen überliefert. Es ist überhaupt sehr wenig aus ihrer Kindheit und Jugend bekannt. „Mir wurde nichts gelehrt; ich bin wie in einem Walde von Menschen erwachsen.“13 Das schrieb Rahel noch als 41-jährige.

Ihr Vater, Markus Levin, verzichtete auf keines der Rechte, die ihm als Oberhaupt einer jüdischen Familie nach uraltem Brauch zustanden; er nahm sie wahr, wie ein Despot, herrschsüchtig und gewalttätig. Rahel beschrieb ihn als einen „…rauhen, strengen, heftigen, launenhaften, genialistischen, fast tollen Mann“, der sie, die Erstgeborene zwar, anders als seinen Sohn, abgöttisch liebte, ihr „von Natur aus starkes Herz aber übersah … und es brach, brach, brach. Mir jedes Talent zur That gebrach, ohne solchen Karakter schwächen zu können. Nun arbeitet dieser ewig verkehrt, wie eine Pflanze, die nach der Erde hinein treibt; die schönsten Eigenschaften werden die hideusesten [gräßlichsten].“14 Ihr lebenslanger, peinlich überzogener Wunsch, zu gefallen, hat möglicherweise ihren Ursprung in dieser pathologischen Vater-Tochter-Beziehung. Vermutlich sah der Vater in seiner temperamentvollen Erstgeborenen ein Ebenbild und hob die Beziehung auf eine psychologisch übergriffige Ebene, in der er sich mit ihr, anstelle seiner schwachen, einfältigen Ehefrau, eine Art Partnerschaft sah.

[...]


1 Stern Carola: Der Text meines Lebens; Das Leben der Rahel Varnhagen. Reinbek bei Hamburg, 1996. S. 9

2 ebenda S. 152

3 Vgl. Kroll, Frank-Lothar: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates. Paderborn; München; Wien ; Zürich 2001, Fußnote 50, S. 18

4 Scurla, Herbert: Begegnungen mit Rahel. Der Salon der Rahel Levin. Berlin 1975. S. 28

5 Das bis 1812 geltende „Revidierte General-Privilegium und Reglement für die Judenschaft im Königreich Preußen“ legte in 32 Artikeln die Modalitäten des Handels, der Gemeindeordnung, der finanziellen Belastung, aber auch etwa der familiären Lebensführung (Unterbindung einer Vermehrung der Familienzahl) für die in Preußen lebenden Juden fest. Kroll, Frank-Lothar: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates. Paderborn; München; Wien ; Zürich 2001, Fußnote 50, S. 27

6 Vgl. Kroll: Das geistige Preußen, S. 22

7 Vgl. Thomann Tewarson, Heidi: Rahel Varnhagen (Rowohlts-Monografien) Hamburg. 1988. S. 12ff

8 Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. Teil 3, Abt. 1: Die Zeit Friedrichs des Großen. Tübingen 1971. S. 370

9 Vgl. Thomann, R.V., S. 13

10 Scurla, Herbert: Der Salon der Rahel Levin. S. 29

11 Thormann: R.V., S. 14

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Salon der Rahel Varnhagen
Untertitel
Bildungsromantik im Zeitalter der Aufklärung oder Jüdische Mädchenbildung in Preußen
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Das weibliche Wissen Gebildete Frauen in Europa im 16. - 20. Jahrhundert
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
25
Katalognummer
V121680
ISBN (eBook)
9783640266869
ISBN (Buch)
9783640267774
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Salon, Rahel, Varnhagen, Wissen, Gebildete, Frauen, Europa, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Juliane Voigt (Autor:in), 2008, Der Salon der Rahel Varnhagen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121680

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