Motive und Strukturen populärer Märchen in der Werbung


Masterarbeit, 2022

69 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe

I. Einleitung

II. Hauptteil

2.1 Märchenhafte Grundlagen

2.1.1 Begriffsbestimmung

2.1.2 Einstieg in das Thema Märchen

2.1.2.1Volksmärchen

2.1.2.2Kunstmärchen

2.1.2.3Eingangs- und Schlussformeln

2.1.3 Die Gebrüder Grimm

2.2 Märchentypen und -motive

2.3 Märchenhafte Darstellung

2.3.1 Handlungsverlauf

2.3.2 Personal und Requisiten

2.4 Warum die Werbung gerne (von) Märchen erzählt

2.4.1 Die Werbung

2.4.2 (Märchenhafte) Erzählungen in der Werbung

2.4.3 Grundfunktion Werbebotschaft

2.4.4 Märchenhafte Motive in der Werbung

2.4.5 Exkurs: Marken und Märchen

2.4.5.1Märchenhaftes Branding

2.4.5.2Markennamen

2.4.5.3Markenzeichen, Marken- und Produktnamen im märchenhaften Kontext

2.4.5.4Fazit Exkurs

2.5 Forschungsstand

2.6 Methodik

2.6.1 Methodik Werbespots

2.6.2 Methodik Anzeigenwerbung

2.6.3 Auswahl

2.7 Analyse

2.7.1 Werbespots

2.7.1.1Rapunzel KHM 50 /ATU 310

2.7.1.2Rotkäppchen KHM 26 / ATU 333

2.7.1.3Schneewittchen KHM 53 ATU 709

2.7.1.4Der Froschkönig KHM 1 / ATU 440

2.7.1.5Dornröschen KHM 50 / ATU 410

2.7.1.6Hänsel und Gretel KHM 15 / ATU 327A

2.7.2 Anzeigenwerbung

2.7.2.1A.T.U. (2017)

2.7.2.2Immowelt (2007)

2.7.2.3ALDI Süd (2016)

2.7.2.4BSR (2020)

2.8 Besonderheit: Schneewittchen

III. Schlussteil und Fazit

IV. Quellenverzeichnis

Abbildungen


Aus urheberrechtlichen Gründen wurden einige Abbildungen aus dieser Arbeit entfernt!

 

 

Die vorliegende Masterarbeit wird abgegeben für das Abschlussmodul Zwei-Fach-Master Germanistik im Wintersemester 21/22.

 

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick darüber zu erhalten, wie die Werbung, mit der die Konsument:innen tagtäglich konfrontiert werden, sich Motive und Strukturen bekannter Märchen zu Nutze macht und somit versucht, Produkte oder Dienstleistungen attraktiver zu machen. Ein Einblick soll über die Untersuchung von ausgewählten Werbeanzeigen und Werbespots erfolgen, bei denen Sequenzprotokolle erstellt wurden, um sie nachvollziehbar wiedergeben zu können. Die Märchen, die in dieser Arbeit im Fokus stehen, sind alle den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm entnommen. Was natürlich zu der Frage führt: Warum werden ausschließlich die Grimmschen Märchen behandelt, obwohl es doch eine so unglaublich große Vielzahl an Märchen gibt? In der Frage begründet findet sich direkt die Antwort. Es sind viele - mehr als diese Arbeit fassen könnte. Bei der Recherche nach geeigneten Werbespots und Anzeigen ließen sich nicht nur Beispiele aus den Kinder- und Hausmärchen finden, sondern auch Übernahmen der Märchen von Hans Christian Andersen oder Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Um den Rahmen aber nicht zu sprengen, erfolgt eben jene Beschränkung auf die Kinder- und Hausmärchen. Allerdings muss auch betont werden, dass es sich dabei um Referenzfassungen handelt. Die Märchen unterlagen einem stetigen Wandel, sind hier und da abgewandelt und verändert worden. Die Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – bei einer so großen Vielzahl an Märchen, ist es durchaus möglich, weitere Arbeiten mit diesem Thema mit Bezug zu weiteren Märchen zu schreiben. Thematisch ist hier ein spannendes Untersuchungsfeld geboten, in dem noch sehr viel weiter geforscht werden kann.

 

So beginnen und enden viele Märchen. Märchen über Zauberei, Liebe und Freundschaft – zwischen Menschen und Tieren und anderen Wesen.

 

Lüthi schreibt hierzu:

 

Das Märchen wird nicht mehr wie früher von Mund zu Mund übertragen und im Kreise der Erwachsenen erzählt. Aber es bleibt vielfach begehrt. Kindern kommt es als geistige Nahrung zu, Künstler und Wissenschaftler glauben in ihm eine Grundform der Dichtung zu erkennen. (Lüthi 1983: 4)

 

Und:

 

Unsere Einstellung zum Märchen ist zwiespältig. ‚Erzähl mir keine Märchen‘, sagen wir abschätzig – das Wort ist da nur ein höflicher Ausdruck für Lügen, für besonders kunstvoll gebaute Lügen- Wenn wir andererseits etwas außergewöhnlich Schönes bewundern, dann stellt sich wie von selbst das Wort ‚märchenhaft‘ ein, und jetzt heißt es nicht unwirklich im Sinne von unwahr, sondern im Sinne von überirdisch. So deuten sich Ablehnung von Märchen und Faszination durch das Märchen schon im Sprachgebrauch an.“ (Lüthi 1983: 5)

 

Des Weiteren führt er verschiedene Aussagen bezüglich der Frage an, was genau Märchen sind, sein sollen oder wollen:

 

Unter einem Märchen verstehen wir seit Herder und Grimm eine mit dichterischer Phantasie entworfene Erzählung besonders aus der Zauberwelt, eine nicht an die Bedingung des wirklichen Lebens geknüpfte wunderbare Geschichte, die hoch und niedrig mit Vergnügen anhören, auch wenn sie diese unglaublich finden. (Bolte; Polívka 1963, zitiert nach Lüthi 2004: 3)

 

A Märchen is a tale of some length involving a succession of motifs or episodes. It moves in an unreal world without definite locality or definite characters and is filled with the marvelous. In this never-never humble heroes kill adverseries, succeed to kingdoms, and marry princess. (Thompson 1977, zitiert nach Lüthi 2004: 3)

 

Das Märchen ist eine Kunstform der Erzählung, die neben Gemeinschaftsmotiven auch in einer die Entwicklung der Handlung bestimmenden Weise Wundermotive verwendet.“ (Weselski 1974, zitiert nach Lüthi 2004: 3)

 

 

Die nachfolgenden Punkte sollen eine Einführung in die Welt der Märchen geben, was sie sind, was sie ausmacht, wer sie weitergetragen und geprägt hat.

 

 

Freund bestimmt den Begriff Märchen folgendermaßen:

 

Diminutivbildung zum Substantiv maere. Maere bedeutet ursprünglich Nachricht, neue Kunde von einem wirklichen Geschehen, von dem man wissen sollte. Die Diminutivbildung verweist einmal auf die Kürze der zunächst mündlich vorgetragenen Erzählung, auf der anderen Seite ist damit das Unwahrscheinliche und Unglaubwürdige im Unterschied zur maere angesprochen. (Freund 1996: 181)

 

 

Er beschreibt Märchen als „Zankapfel zwischen Philologen und Psychologen“. (Freund 1996: 10) Die ersteren sind in ihrem „Forscherfleiß“ so getrieben davon, über „Motivparallelen und Stofftradition“ zu diskutieren, dass sie einer Deutung der Erzählung, wie es das Märchen erreichen möchte, ausweichen, während die weiteren damit beschäftigt scheinen, „Tiefenschichten zu enthüllen [und] den bürgerlichen Familienroman auf deutlich vorbürgerliche Verhältnisse“ zu projizieren. (ebd.) Das Märchen lebe von der „Begegnung zwischen Leser und Text“, sie sind „nicht für Philologen geschrieben, nicht zur Analyse, zur Systematisierung und zur Archivierung. (Freund 1996: 10, 14)

 

Wilhelm Grimm leitete das Märchen des Froschkönigs ein, mit den Worten „In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat...“. (Freund 1996: 11) Das Märchen erzählt von einer Utopie, einem guten Leben, von Hoffnung und Freuden. „Dem Hunger nach Glück und das Übermaß des Wünschens entspringen dem Bewußtsein [sic!] eines real glücklosen Lebens“. (ebd.) Da das Märchen „in den untersten [sozialen] Schichten des Volkes beheimatet [war], bei den ewig Zukurzgekommenen und Habenichtsen“, diente es als „fiktive[r] Ausgleich für reales Elend, [ist] zugleich aber der soziale Protest gegen eine Welt, die den wenigen fast alles, den meisten jedoch fast nichts gewährt.“ (ebd.) Das Wunderbare in den Märchen drückt nach Freund den Zustand aus, der gegenwärtig sein sollte: „der Hungrige [sollte] gesättigt, der Arme reich, der Schwache stark, der Kleine groß und der Pechvogel [ein] Glückspilz“ sein. (ebd.)

 

Das Märchen träumt den Traum von der poetischen Gerechtigkeit im gläubigen Vertrauen auf ein Glück für alle und in der Zuversicht, daß [sic!] jeder eine Chance hat, wenn er sein Glück nur unbeirrbar verfolgt. (Freund 1996: 12)

 

Mit allem, was der Leserschaft von Märchen geboten wird, ist es kaum verwunderlich, dass Kinder, Jugendliche wie auch Erwachsene von ihnen angesprochen werden. Thematisiertes kann unabhängig vom Alter der Rezipient:innenb in der einen oder anderen Weise auf das eigene Leben projiziert werden. (vgl. Freund 1996: 12) Nach Freund bieten die märchenhaften Erzählungen neuen, „notwendigen Lebensmut“ sowie „konstruktive Perspektiven“. (ebd.)

 

Stefan Neuhaus schreibt, dass der Begriff des Märchens oft synonym genutzt wird mit den Volksmärchen. Tatsächlich scheint sich die „neue“ Prägung des Begriffs Märchen im 19. Jahrhundert in der Zeit der deutschen Romantik durchgesetzt zu haben. (vgl. Neuhaus 2017:4) Schon nach Meinung André Jolles ist „ein Märchen eine Erzählung oder eine Geschichte in der Art“, wie sie die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit ihrer Sammlung der Kinder- und Hausmärchen zusammengestellt haben. (Jolle 1958, zitiert nach Neuhaus 2017: 4) Jolle beschreibt sie als Maßstab und führt an, dass „ein literarisches Gebilde dann als Märchen anzuerkennen [ist], wenn es […] übereinstimmt mit dem, was in den Grimmschen Kinder- und Hausmärchen zu finden ist.“ (ebd.)

 

Neuhaus unterscheidet in seinem Beitrag zur Märchenforschung zwischen mehreren Märchenarten. Zwei davon sind Volks- und das Kunstmärchen. Diese Arbeit wird sich zwar nur mit den Volksmärchen tiefer auseinandersetzen, jedoch scheinen diese beiden Arten mehr Gemeinsamkeiten zu haben, als vermutet. Gleichzeitig soll aber auch eine klare Abgrenzung stattfinden, weshalb auch das Kunstmärchen kurz angeschnitten werden soll.

 

 

Den Begriff des Volksmärchens erachtet Freund als problematisch, da „das Volk als kollektiver Erzähler nicht greifbar ist und jeder als Volksmärchen ausgegebene Text deutliche Spuren individueller Bearbeitung trägt.“ (Freund 1996: 182) Für Neuhaus stellt das Volksmärchen hingegen die ursprüngliche Art des Märchens dar. (vgl. Neuhaus 2017: 5) Und nach Lüthi wird das Volksmärchen dadurch definiert, dass es „längere Zeit in mündlicher Tradition gelebt hat und durch sie mitgeformt worden ist“. (Lüthi 2004: 5) Hier widerspricht Neuhaus allerdings. Er schreibt, dass die mündliche Wiedergabe der Märchen und Autorenlosigkeit einem Mythos angehören. (vgl. Neuhaus 2017: 5) Es gäbe sehr wohl einen Autor dieser Märchen, auch wenn sich dieser nach all der Zeit nicht mehr feststellen ließe. (vgl. ebd.)

 

Dass Autoren voneinander abgeschrieben haben, ist nichts Neues und schon gar kein Grund, eine Überlieferung  durch das ‚Volk‘ […] anzunehmen. […] Bestimmte Stoffe sind so alt wie die Menschheit, aber das hat nichts mit der Tradierung, sondern vielmehr etwas mit den zentralen Bedürfnissen und Problemen der Menschen zu tun, die überall auf der Welt gleich oder ähnlich sind. (Neuhaus 2017: 5)

 

Treffend vergleicht er das Weitertragen der einzelnen Erzählungen mit dem Kinderspiel stille Post. Zu einer Zeit in der die Gesellschaft zu einem Großteil aus Analphabeten bestand, ist es nur natürlich, dass Erzählungen und Geschichten nicht via vollgeschriebener Büchlein weitergegeben wurden, sondern sie von Mund zu Ohr transportiert wurden, was somit genügend Raum für Veränderungen bot. (vgl. Neuhaus 2017: 6) Allerdings stehen Neuhaus wie auch andere Forschende dem Begriff Volksmärchen kritisch gegenüber , wurde er sogar von Lothar Bluhm als Idealbegriff typisiert, welcher stattdessen lieber von dem Begriff Buchmärchen abgelöst werden sollte. (vgl. Bluhm 2011, zitiert nach Neuhaus 2017: 6) Darunter versteht Bluhm, „schriftlich fixierte, literarisierte Erzählungen […] die dem an ‚Volksmärchen‘ herangetragenen Erwartungshorizont entsprechen.“ (ebd.) Diese Argumentation scheint mehr als einleuchtend, jedoch auch schwer umsetzbar. Ein so lange Zeit genutzter Begriff lässt sich nur schwer ablösen oder wie Neuhaus meint, „auf den Müllhaufen der Begriffsgeschichte“ werfen. (Neuhaus 2017: 6) Diese Arbeit erlaubt sich jedoch kein Urteil über die Richtigkeit des Begriffs Volksmärchen und überlässt ein Ersetzen dessen den Forschenden und begnügt sich mit dem (Weiter-) Nutzen dieses Begriffs.

 

Zu den Volksmärchen gibt Neuhaus an, dass die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen prototypisch für sie stünden. (vgl. Neuhaus 2017: 7) Eine Klassifikation als Volksmärchen ist laut ihm vor allem über textinterne Merkmale durchzuführen. (vgl. ebd.) Sie sind immer einsträngig und es gibt keine Nebenhandlung. (vgl. ebd.) Hierbei geht er aber immer vom Idealfall aus, Ausnahmen gibt es auch hier. (vgl. ebd.) Ort und Zeit sind irrelevant für das Geschehen des Märchens, die Figuren sind eindimensional konstruiert und es gibt nur schwarz oder weiß, „gut oder böse, klug oder dumm, wenn beide Merkmalspaare vorkommen gut und klug oder böse und dumm.“ (ebd.) Das „echte“ Volksmärchen, so schließt sich auch Lüthi an, gibt sich zufrieden mit einer kurzen Benennung: „Eine alte Hexe, eine häßliche Alte [sic!].“ (Lüthi 1989: 32) Weiterhin gibt es bestimmte Figuren, die immer wieder und unabhängig vom Märchen, den Weg der Rezipient:innen kreuzen, wie zum Beispiel „Königinnen und Prinzessinnen, Könige und Prinzen als gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, Schwester […], Vater und Stiefmutter als familiäre Rollenzuschreibungen“, daneben dienen auch handwerkliche Berufe der Charakterisierung. (ebd.)

 

Das Volksmärchen kennt keine Schilderungssucht, es liebt die entschlossen vorwärtsschreitende Handlung.

 

(Lüthi 1989: 30)

 

Direkt zu Beginn des Märchens wird eine problematische Situation dargestellt, in der der Held oder die Heldin sich befindet und die er/sie bewältigen muss. (vgl. ebd.) Erwähnung findet nur, was für den Handlungsverlauf wirklich wichtig ist: „Die Häuser sind mit schwarzen Tüchern behängt oder sogar schwarz angestrichen, weil heute die Prinzessin dem Drachen geopfert wird.“ (Lüthi 1989: 30) Auf dem Weg zum und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute kommen andere Figuren oder Requisiten zu Hilfe. (vgl. ebd.) Auch typisch für Volksmärchen sind sprechende Tiere, Pflanzen, Gegenstände, ja sogar Metalle oder Minerale. (vgl. ebd.) Sprachlich ist es eher anspruchslos, genutzt wird eine einfache Sprache mit leicht verständlichen Worten, die Nutzung von Hauptsätzen überwiegt, bestimmte Formeln kehren immer wieder. (vgl. ebd.) Auch Zahlen treten von Märchen über Märchen auf die Leser:innen zu, wie zum Beispiel: 3, 4, 7, 12, 13. (vgl. ebd.)  Neuhaus gibt als Grund hierfür die Befriedigung zweier Bedürfnisse an:

 

1.      [Das Bedürfnis] nach einer gemeinsamen Kultur und Geschichte der deutschsprachigen Gebiete, die irgendwann einmal zu einer politischen Einheit führen könnte;

2.      [Das Bedürfnis] nach Transzendenz. (Neuhaus 2017: 7)

 

Allgemein lässt sich sagen, dass die Attraktivität der Volksmärchen daher rührt, dass menschliche Probleme (unter anderem Geschlechter- und Rollenverhalten oder aber der Prozess der sexuellen Reifung) aufgegriffen werden und sie durch ihre einfache Struktur eine größere Masse ansprechen. (vgl. Neuhaus 2017: 10) Lüthi vergleicht das Volksmärchen mit „einem mathematischen Gebilde, einem durchscheinenden, linienscharfen Kristall“; „es ist nicht realistische, sondern fast so etwas wie abstrakte Kunst.“ (Lüthi 1989: 30)

 

 

Neben den Volksmärchen gibt es noch andere Märchenarten. Eine weitere wäre das Kunstmärchen. Nach Lothar Bluhm ist es „eine individuelle Erfindung mit unverstelltem Kunstcharakter“. (Bluhm 2007: 413) Das Kunstmärchen ist das Ergebnis eines einzelnen Autors, was jedoch, so betont Neuhaus, noch nicht ausreicht, um eine klare Abgrenzung vom Volksmärchen vorzunehmen. (vgl. Neuhaus 2017: 10) Hingegen zu der einsträngigen Handlung des Volksmärchens verläuft sie im Kunstmärchen nicht linear, Nebenhandlungen sowie Rückblenden wird ein Schauplatz geboten. (vgl. ebd.) Die für das Volksmärchen typisch genutzte einfache Sprache wird im Kunstmärchen abgelöst durch eine meist komplexere, auch Ort- und Zeitangaben sind keine Seltenheit, Figuren  bleiben nicht flach, sondern werden vielschichtiger beschrieben, haben mehrere, teilweise auch ambivalente Eigenschaften, Figuren (vor allem der Held oder die Heldin) durchleben im Laufe der Geschichte einen Entwicklungsprozess und es endet meist nicht oder nicht nur im Guten, bzw. mit einem offenen Schluss. (vgl. Neuhaus 2017: 10f) Eine Orientierung an den untersten sozialen Schichten ist für das Kunstmärchen untypisch, stattdessen „geht es um umfassende existentielle und gesellschaftlich-geschichtliche Problemstellungen.“ (Freund 1996: 183)

 

Gern genutztes Stilmittel des Kunstmärchens ist Ironie, was in seiner Modernität begründet liegt. (vgl. Neuhaus 2017: 11)

 

Um abschließend Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Volks- und Kunstmärchen nochmals komprimiert zusammenzufassen, findet sich anbei noch eine von Neuhaus erstellte Tabelle: (Neuhaus 2017: 12)

 

 

Abb. 1: Vergleich Volks- und Kunstmärchen

 

Durchaus spannend wäre auch eine Untersuchung von Motiven und Handlungsverläufen der Kunstmärchen in der Werbung. Die Frage stellt sich hier natürlich nach der Bekanntheit der einzelnen Märchen und wie viele Referenzen bereits in Werbespots gezogen werden, ohne dass sie einem breiten Publikum aufgefallen sind.

 

 

Bei einem Blick in verschiedenste Märchen, unabhängig ihrer Ausgangssprache, fällt auf, dass sie einen Einstieg in die Erzählung geben, der oft ähnlich, teilweise sogar in Reimen stattfindet. (vgl. Ranke 2016: 1228) Bezeichnet wird dies als Eingangsformel, welche die Funktion hat, einerseits die Verbindung zu den Zuhörer:innen herzustellen und in das Erzählgeschehen einzuführen, andererseits soll sie die Glaubwürdigkeit des Erzählten unterstützen und sichern, was die Zweifel eliminierende Funktion genannt wird. (vgl. ebd.) Viele Eingangsformeln bereiten den Auszug der Heldin oder des Helden in das Wunderland vor und bieten der Erzählung so die Grundlage für das weitere Geschehen, womit sie eine sehr wichtige Funktion innerhalb des Strukturaufbaus einnehmen. (vgl. ebd.) Als Beispiel soll dafür der Beginn des Märchens Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (KHM 29) dienen:

 

Es war einmal eine arme Frau, die gebar ein Söhnlein, und weil es eine Glückshaut hatte, als es zur Welt kam, so ward ihm geweissagt es würde im vierzehnten Jahr die Tochter des Königs zur Frau haben. (KHM 1999: 142f)

 

Diese Formeln haben „mentale bzw. mnemonische Bedeutung“, da sie dem Erzählenden einen „gut tradierten Bestand an festen Erzählelementen liefern, die jedem bekannt sind und mit deren Anwendung der Kontakt zum Zuhörerkreis am ehesten und besten gesichert ist.“ (Ranke 2016: 1228f)

 

Ähnlich verhält es sich mit den Schlussformeln. Auch sie sind der Teil der wichtigsten formalen Erzählelemente und runden die Erzählung mit einem oder mehreren Sätzen ab und bringen sie somit zu einem Ende. (vgl. Kiliánoivá 2016: 89f) Laut Kiliánoivá verwenden vor allem Zaubermärchen häufig Schlussformeln. (vgl. Kiliánoivá 2016: 90) Ihr Funktion ist demnach recht einfach zu erschließen: sie markieren das Ende des Erzählgeschehens. (vgl. ebd.)

 

Als Beispiel für die Schlussformeln soll Das Mädchen ohne Hände (KHM 31) dienen:

 

[…] Da speiste sie der Engel Gottes noch einmal zusammen, und dann gingen sie nach Haus zu seiner alten Mutter. Da war große Freude überall, und der König und die Königin hielten noch einmal Hochzeit, und sie lebten vergnügt bis an ihr seliges Ende. (KHM 1999: 157)

 

 

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, wird sich diese Arbeit nur mit den Märchen der Brüder Grimm und ihrer Kinder- und Hausmärchensammlung befassen und sie in die Untersuchung miteinbeziehen. Deshalb gibt es an dieser Stelle eine kurze Einführung in das Leben und Schaffen der beiden Brüder.

 

Die weltweit berühmte und bekannte Märchensammlung der Gebrüder Grimm hat ihre Entstehung im Grunde der Untätigkeit Clemens Brentanos zu verdanken. (vgl. Neuhaus 2017: 151) Dieser suchte nach jemandem, der sich für ihn in der Kasseler Bibliothek nach alten Liedern umschauen könnte, da er diese für seine gemeinsame Arbeit (eine Liedersammlung mit dem Titel Des Knaben Wunderhorn, die noch mit einer Märchensammlung ergänzt werden sollte) mit Achim von Arnim benötigte. (vgl. Röllecke 2004; Uther 2013, zitiert nach Neuhaus 2017: 151) Einen Glücksgriff landete der Suchende 1806 bei Jacob Grimm (welcher 1807 seine Brüder Wilhelm und Friedrich für die Mitarbeit gewann) der auch eifrig zu liefern begann. (vgl. Röllecke 2004: 35) Im Jahr 1810 forderte Brentano von den Brüdern die Ergebnisse der Sammlerei, welche sie ihm zwar zukommen ließen, jedoch nicht ohne vorher eine Abschrift dieser angefertigt zu haben, als hätten sie geahnt, dass Brentano schlussendlich weder eine Veröffentlichung anstrebte noch sich einer Rückgabe des Materials verpflichtet fühlen würde. (vgl. Röllecke 2004: 79) Die Brüder entschlossen sich 1811, nachdem Brentano nach der Zusendung nichts mehr von sich hören ließ, „zu eigener Verwendung des nun rasch anwachsenden Materials“. (Röllecke 2004: 80)

 

Achim von Arnim verhalf den Brüdern bei der Vermittlung an seinen Berliner Verleger, Georg Andreas Reimer und schlussendlich, im Jahr 1812, waren die ersten Exemplare der Kinder- und Hausmärchen fertig gestellt. (vgl. Röllecke 2004: 82)

 

Die Märchensammlung der beiden war, überraschenderweise, eher ein wissenschaftliches Projekt. (vgl. Neuhaus 2017: 152) Allein die erste Auflage bot neben den Erzählungen einen großen Anhang von „wissenschaftlichen Anmerkungen zu Herkunft, Parallelen und Bedeutung.“ (Röllecke 2004: 82) Wollte Jacob Grimm den wissenschaftlichen Charakter der Arbeit beibehalten, passte sich Wilhelm Grimm den Wünschen der Leserschaft nach einem Vor-/Lesebuch an, was zu einem Rücktritt des ersteren von der gemeinsamen Arbeit führte. (vgl. Röllecke 2004: 82f) Da Jacob Grimm redaktionell ohnehin schon einen kleineren Anteil an der Sammlung hatte, ist es nicht verwunderlich, dass der Löwenanteil auf Wilhelm Grimm zurückzuführen ist, welcher einen einheitlichen Märchenstil etablieren wollte. (vgl. Röllecke 2004: 83, Neuhaus 2017: 153) Ein gutes Beispiel für die Vereinheitlichung sind die gängigen Eingangs- und Schlussformeln Es war einmal.. und ...wenn sie nicht gestorben sind…, die auf ihn zurückzuführen sind. (vgl. Neuhaus 2017: 153)

 

Freund merkt hierzu an: „Während im romantischen Kunstmärchen die Verwirklichung des Glücksstrebens in aller Regel scheitert, erzählen die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm unermüdlich von erfülltem Glück.“ (Freund 1996: 13) Und: „Bei allen von den Grimms vorgenommenen Stilisierungen sind Inhalt und Sinn des Überlieferten niemals angetastet worden und ursprüngliche Motivbestände erhalten geblieben, die auf ältere Vorstellungen und Haltungen zurückweisen.“ (Freund 1996: 12)

 

 

Um in dem Dschungel der Vielzahl an Märchen ein Durchblick zu schaffen, hat der finnische Märchenforscher Antti Aarne ein Typensystem entwickelt, nachdem er jedem (beachtet hat er hierbei „nur“ finnische, dänische und deutsche (Grimm) Märchen) eine Typennummer zugeteilt hat. (vgl. Lüthi 2004: 16) Im Jahr 1910 wurde seine Typensystematisierung erstmals veröffentlicht. (vgl. ebd.) Eine Erweiterung fand 18 Jahre später, 1928, durch Stith Thompson statt und dann nochmals 1961, erneut durch Thompson, womit diese Ausgabe schlussendlich mehr als ein Siebenfaches des Ursprungswerkes bot. (vgl. ebd.) Unterteilt ist die Arbeit in diverse Gruppen: allen voran beinhaltet die erste Hauptgruppe Tiermärchen, in denen die Handlungsträger Tiere sind. Darauf folgen die eigentlichen Märchen in der zweiten Hauptgruppe, die noch aufgeteilt werden in Zauber- und Wundermärchen, in denen ein entscheidender Faktor das Übernatürliche ist; den legendenartigen Märchen, in denen Gott Bestrafer und/oder Belohner ist; den novellenartigen Märchen, die sich „um Liebe, Treue, Schicksalsmächte und Verbrechen“ drehen und schlussendlich die „Märchen von dummen Riesen oder Teufeln, in denen der Wettstreit zwischen Mensch und Unhold im Mittelpunkt steht. (Freund 1996: 182) Die dritte und letzte Hauptgruppe umfasst Schwankmärchen, in denen List und Einfallsreichtum „die Oberhand [behalten]“. (ebd.)

 

Durchgesetzt hat sich der Index mit der Abkürzung AaTh (oder AT). (vgl. ebd.) Da aber dieser noch immer Platz für Kritik zu bieten schien, fand nochmals eine Überarbeitung durch Hans-Jörg Uther statt, welche nun (unter der Nutzung der Abkürzung ATU) den Standard bietet. (vgl. Pöge-Alders 2016: 62) Die Typen bezeichnet Lüthi als „Schemata der konkret meist in vielen Versionen verbreiteten Erzählungen. Die stattliche, aber nicht unbegrenzte Zahl der stark verbreiteten Typen deutet auf bestimmte Grundmöglichkeiten des dichtenden Menschengeistes hin.“(Lüthi 2004: 19)

 

Was während des Lesens von Märchen, unabhängig des Alters oder der Art, fällt auf, dass sich die einzelnen Erzählungen oft in einigen Punkten überschneiden oder zumindest ähneln. Hier kommen bestimmte Motive zum Einsatz, die wiederholend und geschichtenübergreifend Nutzen finden.

 

Beispielhaft soll hierfür die aus der Antike stammende Erzählung von Amor und Psyche, geschrieben von Apuleius, dienen, im Vergleich mit La Belle et la Bête (zu Deutsch: Die Schöne und das Biest) von Villeneuve aus dem 18. Jahrhundert. In beiden Märchen finden die Rezipient:innen das Motiv der neidischen, missgünstigen Schwestern und das der Treueprüfung. Weiterhin lässt sich in Amor und Psyche das Motiv der nicht standesgemäßen Schwiegertochter feststellen (da Venus gegen die Heirat zwischen einer Sterblichen und ihrem göttlichen Sprössling ist und sie als niederes Wesen erachtet) oder aber der Tiergemahl in La Belle et la Bête (die Verbindung zwischen einem Mädchen und einem Prinzen, der in der Haut eines tierähnlichen Ungeheuers steckt), das sich beispielsweise auch im Froschkönig wiederfindet. Doch was genau sind diese Motive, wer legt sie fest und warum ziehen sie sich durch diverse Erzählungen?

 

Nach Thompson ist ein Motiv die kleinste Einheit einer Erzählung und durch die dem Motiv zugehörige Außergewöhnlichkeit, er schreibt dazu „it must have something unusual und striking“, ist es in der Lage, diverse Überlieferungen zu überstehen und von einer zur nächsten getragen zu werden (vgl. Thompson 1977, zitiert nach Lüthi 2004: 19) „Motive sind allgemein aufgreifbare kleine Einheiten, die in unterschiedlicher Weise […] auftreten können, auf denen die erzählte Handlung basiert und die als Handlungskeim verschiedene Entfaltungsräume bieten […].“ (Pöge-Alders 2016: 60) und weiter: „Motive sind sich wiederholende, typische Bauelemente, die […] in verschiedenen Erzähltypen und Gattungen auftreten und denen eine sinntragende Bedeutung zukommt.“ (Pöge-Alders 2016: 63)

 

Vor allem das Motiv der Erlösung (Entzauberung, Rückkehr zum Leben oder zu Schönheit usw.) scheint von besonderem Wert für Märchen zu sein. (vgl. Röhrich 2002: 223) Lutz Röhrich meint, dass dieses Motiv zum „Bauprinzip vieler Märchen“ gehört und damit elementar für die Erzählung ist. (vgl. Röhrich 2002: 222) Die Erlösung verantwortet die Aufhebung des Negativzustandes, der bis dato bestand, denn nur um überwunden zu werden, erfolgt die Darstellung von Tragischem. (vgl. ebd.)

 

Es ließe sich darauf schließen, dass Motive so oft in gleicher oder ähnlicher Weise auftreten, da sie den menschlichen Bedürfnissen und/oder Ängsten entsprechen. Die Grenzen hierbei sind und bleiben flexibel und fließend und eine genaue Abgrenzung scheint nicht möglich. Ein Mensch in Frankreich kann schließlich den gleichen Gefallen an dem Erzählen eines Märchens haben, wie jemand in Russland. Gehören diese beiden dann auch noch der gleichen sozialen Schicht an, ist es auch nicht verwunderlich, dass sie ähnliche Sorgen und Ängste teilen, sowie den Traum oder den Wunsch nach Aufstieg (oder Erlösung) und sich das dann in ihren Erzählungen widerspiegelt. Zwar ist das nur eine Vermutung, die diese Arbeit weder verifizieren noch falsifizieren möchte, dennoch würde es sich in den bisher erschlossenen Kontext gut einfügen.

 

 

Nach Freund ist es das Erzählziel eines jeden Märchens, mittels der Darstellung der „natürlichen Ordnung der Lebensverhältnisse […] zum Sieg zu verhelfen, was vor allem der einsträngigen Handlungsführung mit Konflikterfahrung und anschließender -lösung dient. (Freund 1996: 183) Das glückliche Ende impliziert immer auch das Fehlen des sich durch die Erzählung gezogenen Mangels und das Böse hat verloren. (vgl. ebd.) Der Heldin/dem Helden stehen in der Regel im Kampf gegen den Feind Helfer:innen oder hilfreiche Tiere zur Seite. (vgl. ebd.) Auch Requisiten haben das ein oder andere Mal den positiven Ausgang eines Märchens bestimmt, wie zum Beispiel „der Knüppel aus dem Sack, die drei goldenen Haare des Teufels, der goldene Apfel vom Lebensbaum und ähnliche.“ (Freund 1996: 183f) Freund verweist auch nochmals auf die symbolisch genutzten Zahlen in Märchen (siehe dazu Punkt 2.1.2.1), wie beispielsweise die Drei, die „mit Blick auf die naturgewollte Einheit von Mutter, Vater und Kind auf Harmonie“ verweist, die Sieben, „parallel zu den sieben Wochentagen auf Vollendetes“ und die Dreizehn, die mit Blick auf den zwölfmonatigen Jahreszyklus eine Überschreitung dessen und damit das Aufkommen von Bedrohlichem symbolisieren soll. (Freund 1996: 184) Lüthi spricht hier von fest und formelhaft: „Fest und formelhaft sind […] die Zahlen, die das Märchen verwendet […]. Fest und formelhaft sind die Anfänge […] und die Schlüsse. Fest und Formelhaft sind die Sprüche […].“ (Lüthi 1989: 29)

 

Aber nicht nur Zahlen, sondern auch Farben tragen einen hohen Symbolwert in sich. Da wäre zum Beispiel die Farbe Weiß, die nach Freund Reinheit und Gesundheit symbolisiert, Rot für die Symbolisierung von Lebenskraft, Schwarz, was nicht, wie naheliegend, für Tod und Verderben steht, sondern für Fruchtbarkeit der Erde und Gold als Zeichen „für das Überlegene und Siegreiche“. (Freund 1996: 184) Daneben gibt es natürlich noch hier und da übernatürliche Gestalten, wie Riesen oder Zwerge, die meist eine Aufgabenstellung symbolisieren, sie stellen oder bei der Lösung behindern. (vgl. ebd.) Und auch bestimmte Tiere treten nicht grundlos in den Erzählungen auf. Laut Freund gelten vor allem wasserverbundene Tiere „häufig als Träger für Fruchtbarkeit“, Schlangen stehen für die Verbundenheit zur Erde und Wölfe gelten als Gleichnis für das Böse. (ebd.) Freund verweist schlussendlich noch darauf, dass es stets darauf ankommt, „das negativ Verschobene wieder positiv zu richten.“ (ebd.)

 

 

Nach Lüthi folgt das Volksmärchen einem allgemeinen Schema, das sich von Märchen zu Märchen wiederholt, was „Schwierigkeiten und ihre Bewältigung“ umfasst. (vgl. Lüthi 2004: 25) Er bezeichnet „Kampf/Sieg, Aufgabe/Lösung“ als „Kernvorgänge des Märchengeschehens.“(ebd.) Der gute Ausgang wird von ihm als charakteristisch für das Märchen beschrieben und findet sich deshalb auch in vielen wieder. (vgl. ebd.) Auch die „wesentlichsten menschlichen Verhaltensweisen und Unternehmungen“ werden in nicht allen, aber in einer Vielzahl von Märchen dargestellt. (vgl. Lüthi 2004: 26) Diese reichen von Intrigen, Schändungen oder Gefangenschaft bis hin zu Heilung, Erlösung und Rettung. (vgl. ebd.) Prägende Themen sind für Lüthi der „Widerstreit von Schein und Sein, Verkehrung der Situation in ihr Gegenteil“ oder der Sieg des vermeintlich Unterlegenen. (ebd.) Weiterhin charakteristisch für den Handlungsverlauf sind Paradoxien, welche nach Lüthi schon so selbstverständlich für Märchen sind, dass „sie kaum mehr als solche empfunden werden“ und Ironien innerhalb der Geschehnisse (irony of event) „in Form der ‚Konträrironie‘ […]: Die Dinge stehen nicht schlimmer, sondern besser als es scheint.“ (ebd.)

 

 

Innerhalb der Märchen bietet sich eine Palette an Nebenfiguren, die den Weg der Heldin oder des Helden kreuzen: Auftraggeber:innen, Helfer:innen der Heldin/ des Helden (Geber:innen, Ratgeber:innen und unmittelbar Helfende), Kontrastgestalten (erfolglose Brüder, Schwestern oder Kameraden, Neider Usurpatoren – also Unheld:innen und falsche Held:innen) und von Held oder Heldin gerettete, befreite oder erlöste oder sonst wie gewonnene Personen (Braut oder Bräutigam und Nebenfiguren). (vgl. Lüthi 2007: 27) Alle wichtigen Figuren sind also auf die Heldin/ den Helden bezogen als dessen Partner:innen, Schädiger:innen, Helfer:innen oder als Kontrastfiguren zu ihr/ ihm; Gegner:innen und Helfer:innen gehören häufig der außermenschlichen Welt an. (ebd.) Die Position der zu gewinnenden Person kann noch verstärkt werden durch einen Gegenstand (welcher die Person aber auch ersetzen kann), da wären zum Beispiel die drei Haare vom Teufel. (vgl. ebd.) Das wichtigste Requisit aber ist meist eine Waffe, die es der Heldin oder dem Helden ermöglicht, die gestellte Aufgabe zu lösen oder die Krise zu bewältigen. (vgl. ebd.) Das kann in Form eines Tierhaars sein, welches ermöglicht, sich in das besagte Tier zu verwandeln, ein goldenes Spinnrad oder ein Rat sein. (vgl. Lüthi 2004: 27f) Lüthi beschreibt sie als „wunderhafte und profane, dinghafte und nichtdinghafte Gaben.“ (Lüthi 2004: 28) Die Handlungen, Gestalten und Dinge spiegeln die Wirklichkeit, auf ihre Weise. (vgl. Lüthi 2004: 28) Und Personen, Requisiten, ob gewöhnlich oder ungewöhnlich, haben ihren Platz in der Märchenwelt zugeteilt bekommen. (vgl. ebd.)

 

 

In Band 14 der Enzyklopädie des Märchens hat Autor Wolfgang Mieder dem Themenfeld Werbung einen sehr informativen eigenen Beitrag gewidmet, der wichtige Erkenntnisse für diese Arbeit geliefert hat. Er baut mit seinem Beitrag, welcher auf den folgenden Seiten erläutert werden soll, eine wichtige Brücke für das dem sich diese Arbeit widmenden Themas.

 

Doch zu aller erst muss geklärt werden, was Werbung überhaupt ist. Worin liegt ihr Zweck, ihr Handeln?

 

 

Laut Behrens ist der Begriff Werbung seit dem 19. Jahrhundert mit „sich um etwas kümmern“ oder „jemanden für einen Dienst gewinnen“ konnotiert. (Behrens 2001: 456) Die Eigenbedeutung des Begriffs scheint sich nach dem Ende des ersten Weltkrieges gewandelt zu haben, war er vorher synonym zu den Begriffen Reklame und Propaganda. (vgl. ebd..) Anknüpfend hat Seyffert für Werbung folgendermaßen definiert:

 

Werbung ist eine seelische Beeinflussung, die durch bewussten Verfahrenseinsatz zum freiwilligen Aufnehmen, Selbsterfüllen und Weiterpflanzen des von ihr dargebotenen Zwecks veranlassen will. (Seyffert 1966, zitiert nach Behrens 2001: 456)

 

Behrens betrachtet diese Definition allerdings kritisch, schließt sie doch jegliche „problematische Werbung“ aus, da davon ausgegangen wird, dass die Rezipient:innen nur die Werbung aufnehmen, für die sie sich entscheiden. (vgl. Behrens 2001: 457) Womit er natürlich Recht hat, denn wie oft sah man sich schon einer Werbung ausgesetzt, die inhaltlich unwesentlich für die eigenen Belange war, aber durch einen einprägsamen Slogan dennoch lang im Kopf blieb. Während der 1970er und 1980er Jahre unterzog sich die Begriffsbestimmung einem Wandel und wurde wirkungsbezogener gestaltet. (vgl. Behrens 2001: 457)

 

Wichtig ist auch zu erwähnen, dass es verschiedene Werbearten gibt. Werbung kann unterschiedlichste Erscheinungsformen annehmen und nach zahlreichen Kriterien klassifiziert werden, wie zum Beispiel nach Werbeobjekten, -mitteln oder -trägern. Werbeträger wären nach Schrattenecker und Schweiger Radio, Zeitung oder Fernseher, welche die Funktion haben die Werbebotschaft so gut wie möglich an die Rezipient:innen bzw. die entsprechende Zielgruppe heranzutragen. (vgl. Schrattenecker, Schweiger 1995: 217) Sie streuen die Werbemittel, also Anzeigen, Werbe- oder Rundfunkspots. (vgl. ebd.)

 

Besonders die Werbespots im Fernsehen sind für die beiden von besonderer Wichtigkeit, da sie die Informationen zweikanalig übermitteln können. (vgl. Schrattenecker, Schweiger 1995: 221) Durch die Fusion von Bild und Ton wird die Aufmerksamkeit der Zielgruppen stärker gefesselt als nur mit einem Bild oder nur dem Ton. (vgl. ebd.) Da viele Werbespots neben Bild und Ton auch noch an der einen oder anderen Stelle Text einblenden, gibt es so eine ungeahnte Möglichkeit an Einsatzmöglichkeiten, mit der zu Beginn des 20. Jahrhunderts sicher noch nicht gerechnet wurde. (vgl. ebd.) Eine Übermittlung der Werbebotschaft ist auf diesem Weg demnach sehr viel wirksamer als über Rundfunk oder Printmagazine. (vgl. ebd.) Aber nur weil diese die lukrativste zu sein scheint, heißt das nicht, dass eine Werbebotschaft nicht auch auf anderem Wege an die Konsument:innen herangetragen werden kann. Sowinski beispielsweise scheint sich den Anzeigenwerbungen verschrieben zu haben und widmet der Untersuchung und Analyse dieser sogar ein ganzes Buch. Der Streit, ob Text oder Bild bei der Anzeigenwerbung der wichtigere Bestandteil ist, scheint Forschende zu durchaus zu beschäftigen, was die Ausarbeitung relevant macht und auch im Kontext dieser Arbeit von Bedeutung ist. Der Spruch, dass ein Bild mehr als 1000 Worte aussagen würde, wird von Sowinksi insoweit verifiziert, das dem, was die Rezipient:innen optisch erfassen, mehr Bedeutung zukommt. (vgl. Sowinski 1979: 69) Die Tatsache angeführt, dass es viele Werbebilder ohne Text zu geben scheint, lässt diese Aussage in der Theorie korrekt sein. (vgl. ebd.) Allerdings gibt es laut Sowinski auch kaum eine Werbeanzeige, die ohne Marken- oder Firmenzeichen ausgestattet ist, was bedeutet, dass auch auf den “textfreien“ Anzeigen sprachliche Zeichen für die Rezipient:innen sichtbar sind. (vgl. Sowinski 1979: 70) Ein Großteil der Anzeigen scheint aber dennoch aus kurzen oder langen Wort- bzw. Satzketten zu bestehen. (vgl. ebd.) Nach Sowinskis Ansicht ist der Text elementar für eine Werbeanzeige, da er das Bild nicht nur stabilisiert, sondern auch ergänzt und damit konkretisiert. Erst durch die Fusion des Bildes mit dem sprachlichen Kontext, kann es „in den vorgesehenen Kommunikationskontext eingefügt“ werden. (Sowinski 1979: 70) Demnach können Anzeigen zwar ohne Bild auskommen, jedoch nicht ohne Text. (vgl. ebd.) Spannend wird diese Aussage in der im Verlauf der Arbeit getätigten Analyse von Anzeigenwerbung.

 

Ganz neue Möglichkeiten, die in den kommenden Jahren sicher noch Raum und Anregung für sehr viele Forschungen bieten, sind die Social Media Netzwerke. Im digitalen Zeitalter von Facebook, Instagram und Tiktok ist es Unternehmen möglich, Werbung besser auf Zielgruppen zugeschnitten zu senden. Einige Kosmetik- oder Bekleidungsmarken haben Linien für jüngere oder ältere, männliche oder weibliche Käufer:innen. Ein gutes Beispiel bietet hier H&M mit verschiedensten Instagramaccounts wie hm_kids, hm_man, hm_home. So ist es ganz einfach, sogenannte Stories oder Reels zu posten, in denen Produkte oder Aktionen vorgestellt werden, mit der Möglichkeit über die Kommentarfunktion direkt Reaktionen der Rezipient:innen zu erhalten.

 

Aber auch die Art der Werbung ist ein spannendes Thema, welches hier aber nur kurz dargestellt werden soll anhand eines übersichtlichen Schemas von Karl Schneider.

 

 

Abb. 2: Arten von Werbung

 

In der späteren Analyse soll anknüpfend an dieses Schema dargestellt werden, um welche Art von Werbung es sich jeweils handelt.

 

  Produktnutzen

 

Werbung dreht sich meist um das Anpreisen einer bestimmten Sache, die die Kund:innen so sehr überzeugen soll, dass sie sich zum Kauf entscheiden. Das Gabler Wirtschaftslexikon unterscheidet zwei Arten vom Nutzen einer Ware oder eines Produktes. Auf der einen Seite wäre da der Grundnutzen, welcher wie folgt definiert wird:

 

[Der Grundnutzen ist die] grundlegende Konzeptionsebene eines Produktes oder Angebotes. Umfasst den Teil des Nutzens, der die fundamentale Leistung des Angebotes für den Kunden darstellt. Er besteht in der wirtschaftlich-technischen, sachlich-stofflichen oder funktionalen Eignung eines Gutes für seine Verwender und sollte mindestens durch ein Basisprodukt abgedeckt werden. Der Grundnutzen wird auf verschiedenen Ebenen durch Zusatznutzen ergänzt. (Gabler Wirtschaftslexikon 2014: 1398)

 

Auf der anderen Seite steht der sogenannte Zusatznutzen.

 

[Der Zusatznutzen ist] Teil des Nutzens, der ergänzend zum Grundnutzen eines Produktes hinzutritt. Der Zusatznutzen zielt auf die Befriedigung seelisch-geistiger Bedürfnisse (bspw. Soziale Bedeutung, Prestige, Selbstbestätigung und -achtung) oder individuelle Wertschätzung des Produktes durch den Käufer bzw. Verwender. (Gabler Wirtschaftslexikon 2019: 3982)

 

Bei einem Gang durch Supermarkt oder Drogerie wird schnell eines klar: es gibt einen immensen Überschuss an Waren. Einen einfachen Grundnutzen erfüllen sie alle, wichtig ist daher, welchen Zusatznutzen sie den Verbraucher:innen bieten, ob sie nun besonders luxuriös, robust oder einfach „der ideale Begleiter durch dick und dünn“ sind. Die Hauptsache hierbei ist, dass die Ware durch den angepriesenen Zusatznutzen die Konkurrenz ausschaltet.

 

An dieser Stelle soll nochmals erinnert werden an die eingangs gestellten Fragen in diesem Kapitel bezüglich des Zwecks der Werbung. Mieder beschreibt Werbung als eine „planmäßige Maßnahme“, die notwendig ist, um die Menschen für eine bestimmte Idee zu gewinnen (ein aktuelles Beispiel hierfür könnte die derzeit laufende Impfkampagne sein, die die Menschen versucht, von einer wichtigen Corona-Schutzimpfung zu überzeugen) oder aber sie zu einer Kaufentscheidung zu bewegen (hierfür ließen sich beliebig viele Beispiele finden, angefangen bei der Werbung für die neuesten Autos von Audi, Opel und Co. bis hin zu dem Erwerb von Zugtickets der Deutschen Bahn). (vgl. Mieder 2014: 640) Hand in Hand mit den Massenmedien schafft es die Werbung, das Leben der Konsument:innen auf verschiedensten Ebenen zu beeinflussen und hat sich durch die Globalisierung auch zu einem internationalen Phänomen entwickelt. (vgl. ebd.) Untersuchungen, die sich dem Themenfeld Werbung widmen (Mieder führt hier vergleichsweise die NS-Zeit an, die des deutschen Wirtschaftswunders und des neuen Medien- und Informationszeitalters) legen ihren Fokus nicht nur auf die Art des Anbietens oder -werbens von Konsumgütern, sondern betrachten auch sozialpolitische Aspekte. (vgl. Mieder 2014: 641) Erkennbar ist dies unter anderem auf Werbeplakaten, die die Werte- und Wunschvorstellungen und den Wandel derer, sowie politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen in der Werbung widerspiegeln. Als Beispiel hierfür soll die seit August 2021 in Deutschland laufende Werbekampagne von der Datingapp OkCupid dienen. Vor allem in Großstädten sind die U- und S-Bahnen, Straßenbahnen, Litfaßsäulen oder ganze Mauern mit den neuen Plakaten geschmückt und werben für, durch die App gebotenes, besonderes Dating.

 

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Abb.3: Gendern mit Herz

 

Die App, bzw. die Firma, die dahinter steht, geht mit der Zeit. Das ist schon erkennbar an der ersten Abbildung. Anstelle des normalerweise genutzten Gerndersternchens, um jede/n zu inkludieren, nutzt OkCupid ein Herz. Es lässt sich die Vermutung anstellen, dass das Herz, welches bekanntlich für Liebe steht, in diesem Fall eine Brücke zwischen Inklusion und dem Suchen (und Finden) von Liebe schlägt.

 

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Abb. 4: OkCupid Werbung (1)

 

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Abb. 5: OkCupid Werbung (2)

 

Auch die Abbildungen zwei und drei belegen, inwieweit OkCupid einen Wandel widerspiegelt. Abbildung zwei macht das Adjektiv „seriensüchtig“ zum Thema des Plakats. Das dargestellte Paar, umringt von Getränken und Essen, macht den Eindruck, dass es schon eine Weile auf der Couch sitzt. Mit dem stetig wachsenden Angebot von Streamingdiensten ist es nun schon lange möglich, ganze Serien innerhalb kürzester Zeit und Folge nach Folge durchzuschauen, wodurch sich der Begriff Binge Watching entwickelt hat. Mussten Zuschauer:nnen früher meist eine Woche warten, um eine neue Folge der aktuellen Lieblingsserie zu sehen, ist heute (höchstens) einfach nur ein Klick auf „Nächste Folge abspielen“ nötig. Laut des Plakats findet OkCupid also eine/n Partner/in, der/die exzessives Serienschauen genauso gern betreibt, wie man selbst. Auch hier zeigt sich: die Köpfe hinter der App haben erkannt, was aktuell beliebt ist und es in ihrer Werbung umgesetzt. Und auch die dritte Abbildung reiht sich hier ein. Zu sehen sind zwei Frauen. Eine der beiden trägt die jeweils andere. Die Getragene, mit langem Haar, gesenktem Blick und einer Rose in der Hand, könnte dem klassischen Bild einer Frau, die von einem Mann errettet wird, entsprechen. Wäre da nicht eine zweite Frau, die sie trägt. Was zeigt dieses Bild dem Betrachtenden also? Ein vermutlich homosexuelles Paar in Form zweier Frauen. Mussten nicht-heterosexuelle Menschen dafür kämpfen, nicht öffentlich ausgegrenzt, verfolgt oder gar getötet zu werden (was leider nicht überall auf der Welt der Vergangenheit angehört), hat sich bezüglich der verschiedensten sexuellen Orientierungen und der Akzeptanz dessen ein starker Wandel durch die Gesellschaft gezogen. Genau hier setzt die OkCupid Werbung an und inkludiert auch jene, die sich vielleicht auf anderen Datingplattformen ausgegrenzt fühlen.

 

Diese drei Beispiele sollen Mieders Aussage verifizieren, dass Werbung einerseits die, wie bereits erwähnt, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen darlegt und außerdem zeitorientiert ist. (vgl. Mieder 2014: 641)

 

Siegfried J. Schmidt beschreibt Werbung als „Resonanzkörper oder sensible[n] Indikator des soziokulturellen Wandels im Lebens- und Weltgefühl des Menschen“. (Schmidt 1999: 518-519) Ergänzend hierzu schreibt Kropff, dass Werbung nur von Nutzen für die Hersteller:innen und Konsument:innen sein kann, wenn sie den Zuständen und Bedingungen sowie den Voraussetzungen des Marktes entspricht und bestimmten (vorgegebenen) ethischen Grundregeln der Werbewirtschaft folgt. (vgl. Kropff 1961: 19f)

 

Um diesen Teil mit Mieders Worten zu schließen:

 

De facto […] fungiert [Werbung] in der Regel als psychologische Strategie einer breitangelegten Manipulation, bei der das eigentliche Verbraucherinteresse gegenüber der angestrebten Gewinnmaximierung eine untergeordnete Rolle spielt. (Mieder 2014: 641)

 

 

Mit Hinblick auf diverse Forschende deutet Mieder den Zusammenhang zwischen Werbung und volkskundlichen Erzählungen an und verweist auf die neuen Möglichkeiten und Forschungsfelder, die sich daraus ergeben. (vgl. Mieder 2014: 642)

 

Laut eines 2009 veröffentlichten Beitrags von Bies, greift die Produktwerbung in Text und Bild immer noch in hohem Maße auf traditionelles Erzählen zurück. (vgl. Bies 2009: 354) Dazu zählt er Sprichwörter, Sagen, Märchen, Embleme, Witze und Slogans. (vgl. ebd.: 365) Als sehr bekannte Beispiele könnten an dieser Stelle Haribo macht Kinder froh (und Erwachsene ebenso), Red Bull verleiht Flügel fungieren. Die Werbung bedient sich an allen möglichen Gattungen und den Rezipient:innen bekannten Figuren oder Motiven. (vgl. ebd.) Jedoch wird keine andere so oft verwendet, wie die Gattung der Märchen, oft ironisierend oder parodisierend. (vgl. ebd.: 358)

 

Besonders charakteristisch für die märchenhafte Rezeption in der Werbung ist „die vollständige Aussparung oder weitgehende Abflachung von Spannungsbögen, die Ausdünnung des Märchenpersonals [oder] die Negierung der langen Suchen […]“, was zugleich auch den wichtigsten Unterschied zwischen Werbung und Märchen definiert: das Märchen gibt dem Helden oder der Heldin einen oft steinigen Weg vor, der erst beschritten werden muss; die Werbung aber führt ohne Probleme ans Ziel, was Bies die „Kultur der schnellen Wunscherfüllung“ oder „easy gratification“ nennt. (Bies 2009: 360f) Er verweist darauf, dass Werbung zeitbedingt ist, vor allem in Form des Erzählens und schreibt, dass das Erzählen als „Projektionsschirm der Mentalität, Werte, kulturellen Einstellungen und Lebensgefühle einer bestimmten Gesellschaft“ dient. (ebd.: 365)

 

Einige Märchenstoffe sind in der Werbung (Reklame) oder im Fernsehen, im Buchhandel oder in der Souvenir-Industrie omnipräsent. Insbesondere die Werbe-Industrie arbeitet in mannigfacher Weise mit Zitaten oder Anspielungen aus der Welt weithin bekannter Volkserzählungen, Sprichwörtern und Redensarten. Das positive Gefühl potentieller Käufer und Käuferinnen, ein Folklore-Faktum wiedererkannt oder entschlüsselt zu haben, wird bei dieser Art von Kommunikation geschickt ausgenutzt, um ihnen assoziativ die propagierte Ware begehrenswert erscheinen zu lassen. (EM 8 zitiert nach Mieder 2014: 643 )

 

Mieder verweist in seinem Beitrag auf eine Untersuchung, die sich mit Sprichwörtern und in der Werbung genutzten Märchenmotiven auseinandersetzt und verweist darauf, dass primär Personal sowie Requisiten (darunter zählt er Feen und Hexen oder aber Rosen, Spiegel oder Schlüssel) aus Märchen übernommen werden. (vgl. Herles 1966; Dégh/Vázsonyi 1979 zitiert nach Mieder 2014: 643) Jedoch handelt es sich in der Werbung „gewöhnlich nur um Anspielungen auf allgemein bekannte Märchen der Gebrüder Grimm, Hans Christian Andersens oder aus Tausendundeine Nacht.“ (Mieder 2014: 643) Fast immer geht es um die Erfüllung eines Wunsches. Die Werbung bedient sich also bei Märchen an der Fülle von Trägern und Szenen der Wunscherfüllung, sie borgt sich das Zauberhafte und das Wundersame, um einen schönen Schein zu (er-)schaffen. (vgl. Bies 2009: 358) In den Märchen müssen die Protagonisten dazu Hindernisse überwinden, um ihre Wünsche erfüllt zu bekommen oder belohnt zu werden; in einem kurzen Werbespot geschieht dies schnell und ohne große Probleme. (vgl. Mieder 2014: 644)

 

Mieder und Bies führen beispielhaft einige Märchen an, die sich die Werbung zu Nutze gemacht hat. Unter anderem wären da die Bremer Stadtmusikanten, die „ein fester Bestandteil der Bremer Tourismuswerbung“ sind, Rotkäppchen, das „u.a. für Sekt oder Käse“ wirbt oder aber Der Froschkönig, der mit parodierten Kussszenen wohl schon öfter Opfer ambitionierter Werbetreibender geworden ist. (vgl. Mieder 1986 zitiert nach Mieder 2014: 644, vgl. Bies 2009: 358) Er weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass zwar eine hohe Frequenz an Märchenstoffen in Form von Motiven und Figuren vorhanden ist und die Werbung es meisterhaft versteht, das Wissen der Rezipient:innen darum zu nutzen, „doch mehr als eine Verschlagwortung von Versatzstücken aus dem verbreitetsten Märchen findet nicht statt“. (Mieder 2014: 644) Das märchenhafte Personal, die Requisiten sowie beispielsweise Eingangs- oder Schlussformeln sind aus dem eigentlichen Kontext gerissen und eine Verbindung zwischen Märchen und angeworbenem Produkt muss erst hergestellt werden. (vgl. ebd.)

 

Mieder schreibt, dass „die Werbung […] Märchen nur als beliebig verfügbare Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses [betrachtet], sie schreckt vor keiner Umfunktionierung oder Verfremdung zurück und nutzt den Wiedererkennungseffekt der Märchenelemente lediglich im Interesse einer Absatzsteigerung.“ (Mieder 2014: 644f) Als „unausweichliche Folge der profitorientierten Aktualisierung des Märcheninventars durch die W[erbung], zählt Mieder, dass Kinder teilweise oder sogar ausschließlich Märchen nur „in Form verfremdeter Fragmente“ aufnehmen können. (Mieder 2014: 645)

 

 

Sinn und Zweck der Werbung ist es (in den meisten Fällen) ein Produkt zu verkaufen und die Botschaft von eben jenem Produkt zu übermitteln. Kuchenbuch gibt an, dass die Botschaft der Werbung „in drei charakteristische Momente unterteilt werden“ kann. (Kuchenbuch 2005: 343)

 

-       die Werbebotschaft muss die Aufmerksamkeit des Zuschauers ansprechen (Aufmerksamkeitserregung);

-       die Werbebotschaft muss das Produkt im Gedächtnis der potentiellen Konsumenten verankern (Gedächtnisstütze);

-       die Werbebotschaft muss von der „Qualität“ oder zumindest von der Wünschbarkeit des Produkts überzeugen (Überzeugung) (ebd.)

 

In groben Zügen erinnern diese Punkte an das AIDA-Modell, welches sich mit der Werbewirkung auseinandersetzt. Kuchenbach hat die Funktionen jedoch nach eigener Aussage absichtlich „vereinfacht“ bzw. komprimiert dargestellt, da sich die verschiedensten Werbewirkungs- oder -kommunikationsforschungen, so umfangreich sie auch sein mögen, auf diese drei Grundfunktionen reduzieren lassen. (vgl. ebd.)

 

 

Helmut Herles hat 1966 einen Beitrag für die Zeitschrift für Volkskunde über Märchenmotive in der Werbung verfasst, welcher nun hier als Grundlage dienen soll.

 

Märchen, wie es bisher schon herausgearbeitet wurde, stellen eine Utopie dar, eine unversehrte Welt, die „überraschend die Lösung von Konflikten“ bietet. (Herles 1966: 77) Ähnlich funktioniert auch die in der Werbung dargestellte Welt, was im Folgenden weiter erläutert werden soll.

 

Was Motive sind und dass sie märchenübergreifend auftreten, ist in Punkt 2.2 bereits erläutert worden. Die Werbung nutzt Motive, die Märchen entnommen sind, um so die Konsument:innen zum Kauf zu verleiten. Herles führt hier ein Beispiel von Kartoffelchips an, dessen Werbung mit dem Titel „Tischlein deck dich“ geworben oder eine (nicht näher benannte) Lebkuchenfirma, die Hänsel und Gretel als Logo verwendet hat. (vgl. Herles 1966: 78) Auch in der Werbung treten sprechende Tiere oder Gegenstände auf, wie es zuweilen in Märchen der Fall ist. (vgl. ebd.) Daneben gibt es oft Figuren oder Personen, die gerne in Spots oder Anzeigen integriert werden. Eine davon ist nach Herles die Figur des Königs, die laut ihm eine der beliebtesten ist. (vgl. ebd.) Bereits Edeka und Kaufland haben sich das Königsmotiv zu Eigen gemacht und den Kunden zum König ernannt. (vgl. ebd.)

 

[Die Werbung] will in der konsumierenden Gesellschaft die harte, poesielose Wirklichkeit verklären, sie will aus Kunden und Konsumenten Könige machen, sie will irrationale Momente des Lebens, die in der technischen Welt zu kurz kommen, ersetzen. (Herles 1966: 78f)

 

Beispielhaft führt Herles Weißer Riese an, der Waschende mit seiner „Riesenwaschkraft“ unterstützt oder Putzmittel von Ajax, die gleich einem weißen Wirbelwind für Ordnung sorgen. (vgl. Herles 1966: 79) Hierbei verweist er vor allem auf die Nutzung der Farbe Weiß, da wie bereits in Punkt 2.3 auch von Lüthi und Freund erwähnt, Farbstrukturen im Märchen signifikant sind. (vgl. ebd.; vgl. Lüthi 2004: 28) Das Motiv der Metamorphose im Jungbrunnen findet Herles in der Werbung von Fenjal oder dass der Verwandlung vom „hässlichen“ Aschenputtel in eine schöne Frau. (vgl. Herles 1966: 79)

 

Herles meint, dass die Gemeinsamkeiten von Märchen und Werbung sogar noch über die Nutzung von Personen, Requisiten und Motiven hinausgehen. (vgl. Herles 1966: 80) Das allgemeine Schema, das einem Märchen zugrunde liegt (sh. Punkt 2.1.2.1), lässt sich auch auf die Werbung anwenden und übertragen, die in vielen Bildern, Texten und Spielen „Wesenszüge des europäischen Volksmärchens“ annimmt. (vgl. ebd.)

 

Denn nicht nur im Märchen, auch in der Werbung geht keineswegs alles glatt. Ausgangspunkt sind ebenfalls oft Mängel (schmutzige Wäsche, Schmerzen, Unglück in der Liebe), die dann durch eine bestimmte Ware, die wie ein Märchenrequisit den Umschwung herbeiführt, bewältigt werden. In der Werbung lebt das Märchen in seinen Merkmalen und Funktionen weiter. Sowohl im Sprachlichen wie in den Bildern erweist sich die Werbung als Traditionsträger. (Herles 1966: 80)

 

 

[Der Markenname] ist die Eintrittskarte für die Kommunikation. Einen Namen haben heißt, die Macht zu besitzen, präsentiert und genannt werden zu können. (Latour 1996: 21)

 

Es lässt sich darüber streiten, inwiefern der Name einer Marke bei einer Betrachtung von Werbung mit einbezogen werden könnte oder sollte, dennoch soll an dieser Stelle ein kurzer Exkurs erfolgen, da es auch Markennamen gibt, die einen direkten Bezug zu Märchen haben und so, frei nach persönlichem Empfinden, eine werbende Funktion haben.

 

Janich hat in ihrem Buch über die Werbekommunikation den Markennamen ein ganzes Kapitel gewidmet, welches in diesem Teil der Arbeit als Grundlage für die Untersuchung dieser dienen soll. Sie schreibt, dass „Markennamen [uns] in der Presse-, Rundfunk- und Fernsehwerbung, auf Plakatwänden, beim Einkauf im Supermarkt sowie im eigenen Haushalt [begegnen]. (Janich 2014: 49) Laut Platen ist dem Markennamen eine entscheidende Bedeutung beizumessen, da er als mind-marker signifikant bei der Wiedererkennung eines Produkts behilflich ist. (vgl. Platen 1997: 162) Der Name einer Marke kann nach Sprengel und Janich als kognitiver Anker bezeichnet werden, „der dem Verbraucher Orientierung ermöglicht und für den er ein ganzes Wertpaket verkörpert.“ (Sprengel 1990:410; Janich 2014: 49)

 

 

Janich (2014: 50) schreibt, dass „das Markieren von Produkten […] im Rahmen des Marketings mittels des Terminus Branding erfasst [wird]“ und führt eine Definition des Begriffes von Esch/Langner an:

 

[Branding umfasst] alle Maßnahmen, die dazu geeignet sind, ein Produkt aus der Masse  gleichartiger Produkte herauszuheben und die eine eindeutige Zuordnung von Produkten zu einer bestimmten Marke ermöglichen.“ (Esch/ Langner 2001: 441)

 

Besonders prädestiniert, um dem Markierungsanspruch zu gewährleisten, sind vor allem Markenname, - zeichen und/oder -bild sowie die Verpackungs- bzw. Produktgestaltung. (vgl. Langner 2003: 5) Der Markenname als solcher stellt für die Kundschaft einen artikulierbaren Teil der Marke selbst dar und dient somit auch als Rufname der Produkte dieser. (vgl. Janich 2014: 50; Langner 2003: 27; Kotler/ Bliemel: 2001: 736) Als Beispiel ließe sich hier die Nuss-Nougat-Creme von Nutella anführen, die von den Verbraucher:innen beim Marken- (=Nutella) und nicht beim eigentlich zutreffenden Produktnamen (Nuss-Nougat-Creme) genannt wird. Antonoff schreibt über den Effekt und die Wirkung des Namens:

 

Die Namen, die die Firmen besitzen bzw. verwenden, sind wie radioaktive Strahler, die das gesamte Sprachinventar des Unternehmens auf ihre eigene, einmalige Art „aufladen“. Was die Sache hier so dramatisch macht: Namen haben eine extrem lange Halbwertzeit!“ (Antonoff 1988: 74)

 

Das Logo, welches noch unterschieden werden kann in Bild- und Schriftlogo, ist, laut Janich, der visuelle Bestandteil des Brandings. (vgl. Janich 2014: 51) Sie schreibt außerdem, dass „die Markenästhetik, die im Rahmen der Beurteilung von Marken eine Schlüsselrolle spielt, kommt insbesondere bei der Verpackungsgestaltung und bei der Markenkommunikation zur Geltung.“ (ebd.)

 

Um die Wichtigkeit der Verbindung der drei hier genannten Komponenten des Brandings darzustellen, hat Langner (2003: 27) das sogenannte Branding-Dreieck erstellt.

 

Markenname

 

 

Markenzeichen Produkt-/ Verpackungsgestaltung

 

Abb. 6: Branding-Dreieck

 

Janich zieht hier die Arbeit von Esch heran und stellt heraus, dass das

 

[…] Branding […] einer ganzheitlichen Betrachtung [bedarf], in der Wechselwirkungen zwischen den        verschiedenen Markenelementen bei der Kreation einer neuen Marke explizit zu berücksichtigen sind, denn erst das Zusammenspiel zwischen Markenname, Markenzeichen und Produktdesign bzw. -verpackung entscheidet über den Erfolg einer Branding-Maßnahme.“ (Janich 2014: 51, vgl. Esch (2018): 157ff.)

 

 

Platen hat zu dem Thema der Markennamen eine ausführliche Untersuchung geführt, welche im Folgenden kurz angeschnitten werden soll. Hier unterscheidet er in drei Gruppen, und zwar Übernahmen, Konzeptformen und Kunstwörter. (vgl. Platen 1997: 38ff.)

 

  Übernahmen

 

Übernahmen sind, definiert nach Platen, „Eigennamen, Wörter oder Morpheme, die aus natürlichen Sprachen bzw. aus dem allgemeinen Namenbestand entlehnt und zur Bezeichnung von Produkten umfunktioniert werden (z.B. Bahlsen, Brigitte, Polo, Knirps) (Janich 2014: 53, vgl. Platen 1997: 39) Eine Abgrenzung zwischen lexikalischen und onomastischen Typen „ist durch vergleichsweise klare Trennlinien bestimmt.“ (ebd.)

 

a)       Konzeptformen

 

Konzeptformen sind (Neu-) Bildungen, die im Vergleich zu den Übernahmen verfremdet oder aber abgewandelt sind. (vgl. Platen 1997: 39ff.) Hier differenziert Platen wiederum in vier Formen:

 

o   deformierte Typen: Veränderungen im Anlaut (Smild – mild), im Inlaut (Fagolosi – Modifikation des italienischen Adjektivs favolosi „fabelhaft“; goloso „naschhaft, wohlschmeckend“) oder Auslaut (Schauma – Schaum); graphische Variationen (Moovy – movie); lexikalische und deonymische Kurzformen ( Rei – rein, Reinigungsmittel; Giò – Giorgio Armani),

o   derivate Formen mittels natürlichsprachiger (Yogur-ette) oder künstliche Suffixe (Tand-il) sowie mit vom System her gesperrten Affixen (un-kaputt-bar),

o   zusammengesetzte Prägungen (Denta-gard, Dolor-min),

o   und komplexe Formen (Satznamen), in denen das Konzept phraseoligisch realisiert wird (Du darfst, Nur die)

 

(Janich 2014: 53)

 

b)       Kunstwörter

 

Die Kunstwörter unterscheiden sich zu den beiden vorhergegangenen Formen durch ihren besonders hohen Grad der Verfremdung. (vgl. Platen 1997: 44) Die Kunstwörter sind nach Janich „weder aus der natürlichen Sprache noch aus dem allgemeinen Namenbestand übernommen und transportieren keine klar konturierbaren semantischen bzw. onymischen Konzepte.“ (Janich 2014: 53)

 

Folgende Typen führen hierbei zu einer weiteren Differenzierung:

 

o   Kunstformen: Es handelt sich meist um Initialwörter auf der Basis von Hersteller- oder Firmennamen, die sowohl in ausbuchstabierter als auch in silbischer Realisierung vorkommen (Haribo <  Hans Riegel Bonn),

o   teilanagrammatische, mitunter synchron verdunkelte Formen (z.B. Rowenta < Robert Weintraud),

o   Pseudoformen (Scheinentlehnungen wie Rivella, die im Wortschatz der vermeintlichen Spendersprache nicht existieren)

o   arbiträre Schöpfungen, die dem Rezipienten völlig opak und ohne jeden Sinngehalt erscheinen (Elmex, Kodak)

 

(Janich 2014: 53-54)

 

Der folgende Punkt soll diesen kurzen Teil der Arbeit nochmals kurz aufgreifen und beispielhaft Markenzeichen, Marken- und Produktnamen aufführen und sie den von Janich genannten Typen zuordnen.

 

 

In diesem Punkt sollen nochmals per Exkurs die Erkenntnisse der vorhergegangenen Punkteaufgegriffen und angewendet werden. Wichtig ist für diesen Punkt, dass nicht die Motive oder Strukturen im Vordergrund stehen, sondern die Nutzung von Märchen, ihren Figuren oder Requisiten für Unternehmen oder Einrichtungen als Name oder Logo.

 

Als sehr gutes Beispiel für Makenezeichen und Marken- oder Prouktnamen dient die Werner&Mertz GmbH. Abgebildet ist hier das Markenzeichen der Firma. Genutzt wird ein Frosch mitsamt Krone, der offensichtlich auf den Froschkönig verweisen soll.

 

Diese Abbildung wurde entfernt

 

Abb 7: Logo Werner&Mertz GmbH

 

Entstanden ist dieses Logo zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Jahr 1903. Für die Schuhcreme der Produktlinie Erdal entschied man sich für den Frosch samt Krone, da Schuhe aus der sogenannten Froschperspektive die Welt betrachten und die Erdal-Creme wie die Haut des Tiers wasserabweisend wirkt. (vgl. Die Entwicklung des Markenzeichens o.D.) Da royale Attribute auch gern genutzt wurden, platzierte der Hersteller auf den ersten Erdal-Dosen den Zusatz, dass das Produkt auch an Fürstenhöfen genutzt würde. (vgl. ebd.) War der Frosch anfangs noch grün, veränderte er ab 1918 seine Farbe in ein sattes rot. Grund hierfür waren qualitative Unterschiede im Produkt selbst, ausgelöst durch Lieferengpässe im ersten Weltkrieg. In den 1960er Jahren bekam der Frosch dann anstelle eines mürrisch dreinblickenden Gesichts ein einladendes Lächeln, womit, so Bies, wenig Verbindung mehr zu dem Motiv des „hässlichen und erlösungsbedürftigen Tierbräutigam[s] des Grimmschen Märchens“ bestand. (vgl. ebd.; Bies 2009: 363) Dieser Frosch muss weder an eine Wand geworfen, noch geküsst werden.

 

Märchentitel oder -figuren scheinen generell sehr beliebt zu sein für Unternehmen jeglicher Art. Kindergärten beispielsweise nutzen gerne Zwerge in ihrem Namen (beispielsweise Motiv Zwerg F451 Types 480, 403B). Allein in Berlin gibt es unter anderem die Friedrichshainer Zwerge, die Kleine Zwergenparade, Prenzl‘ Zwerge, Wolkenzwerge oder die kleinen Zwerge.

 

Und nicht nur die Werner&Mertz GmbH liebt den royalen Frosch. Der Froschkönig leiht neben seinem Bild auch seinen Namen Unternehmen oder Einrichtungen: von Bars über Restaurants bis hin zu Galerien und auch (wieder) Kindergärten.

 

Auch das Tischlein deck dich (ATU 212, 2015, 563; KHM 36) scheint seinen festen Platz in der Wirklichkeit gefunden zu haben, gibt es sich gerne her für die Namen von Restaurant- oder Catering-Firmen.

 

Nachfolgend soll eine Tabelle einen kleinen Überblick über die Vielzahl und Masse von Unternehmen oder Einrichtungen aufzeigen, die ihre Markenzeichen, Markennamen oder Produkte an Märchen anpassen. Sie orientiert sich damit an der Arbeit von Kerstin Seitz-Heinrich. (vgl. Seitz-Heinrich 2017: 219)

 

 

Bei der Online-Recherche nach Beispielen für Produktnamen, Marken- oder Firmennamen ließen sich, wie der Tabelle zu entnehmen ist, sehr viele finden. Die Tabelle hätte noch um dutzende weitere Zeilen erweitert werden können. Da dieser Punkt jedoch nur als kleiner Exkurs dienen soll, sind 20 Zeilen ausreichend, um darzustellen, wie gerne Märchen von jeder Branche genutzt werden. Die märchenhaften Benennungsmotive, die hier direkt oder indirekt genutzt werden, rufen bei Kundinnen und Kunden positive Gefühle und Assoziationen hervor, wie ja bereits im Punkt 2.4.2 erläutert. Zwar war es eigentlich das Ziel dieses Exkurses, anhand von Beispielen herauszustellen, welche und wann Firmen bei ihrer Produkt-, Marken- oder Firmenbenennung Übernahmen, Konzeptformen oder Kunstwörter nutzen, da jedoch hier das Thema Märchen im Fokus steht, ist es kaum verwunderlich, dass ausschließlich Übernahmen in den Beispielen zu finden sind.

 

 

Ziel der Arbeit soll es sein, herauszuarbeiten, wie die Werbung in Form von Werbespots oder Anzeigenwerbung die Motive und Strukturen bekannter Märchen imitiert und inszeniert.

 

Nach der Meinung von Werner Bies reichen die meisten theoretischen Ansätze und gängigen Methoden der Erzählforschung bisher nicht aus, um das Erzählen in der Werbung so umfassend wie nötig zu untersuchen und zu deuten. (Bies 2009: 369)

 

Auch der Typen- und Motivkatalog bietet nur einen geringen Erkenntnisgewinn, da die meisten großen Erzähltypen, beispielhaft führt er hier ATU 451 Mädchen sucht seine Brüder an, im Grunde nicht präsent sind. (vgl. Bies 2009: 370) Jedoch die klassischen Typen, wie ATU 333 Rotkäppchen oder ATU 440 Froschkönig, bedürfen keiner weiteren Bestimmung, da durch ihre Bekanntheit eine direkte Bezugnahme auf das jeweilige Märchen erfolgt. (vgl. ebd.) Nach Bies ist die traditionelle Erzählforschung wohl (noch) nicht in der Lage, das Erzählen in der Werbung ausreichend zu erforschen. (Bies 2009: 371) Deshalb meint er, dass nicht nur Anregungen, sondern auch Theorien aus einem anderen Forschungsbereichen genutzt und eingeholt werden dürfen, und zwar aus den Medien- und Kommunikationswissenschaften, da diese industrienahe Disziplinen für die Werbung darstellen. (vgl. ebd.) Es ist nach Kuchenbuch nicht überraschend, dass die Werbung „schon immer ein bevorzugtes Gebiet semiotischer Untersuchungen gewesen ist“, da sie mit stereotypen Mustern und Anspielungen, „die mit bestimmten Zeichenmaterialien, Zeichengebräuchen und allgemeinen Kulturmustern verbunden sind“, spielt. (Kuchenbuch 2005: 338)

 

 

 

Die Analyse der Werbespots soll sich an der „Analyse von konventionellen Werbespots“ von Kuchenbuch orientieren und sie exemplarisch miteinbeziehen. (vgl. Kuchenbuch 2005: 350) Allerdings gilt es an dieser Stelle zu betonen, dass die Analyse sich zwar an Kuchenbuch orientieren, sie jedoch nicht 1:1 übernehmen wird.

 

Zu aller erst wird ein Sequenzprotokoll erstellt (Kuchenbuch hat in seiner Analyse die einzelnen Einstellungen unterteilt, da diese Arbeit den Fokus auf den dargestellten Märchen hat, erschien es sinnvoller direkt eine Einteilung in Sequenzen vorzunehmen), inklusive Screenshots, die den Sequenzen beispielhaft entnommen sind, den Kameraeinstellungen, einer kurzen Wiedergabe des Inhalts und der Beschreibung und Abbildung von Ton und Sprache des Spots, gefolgt von von einer kurzen Wiedergabe des Spots.

 

Weiterhin die Beantwortung folgender Fragen:

 

Um welche Art von Werbung handelt es sich?

 

Was ist der Grund- und was der Zusatznutzen?

 

Um eine konkrete Verbindung zum Thema der Arbeit herzustellen, soll nach der Ausarbeitung noch eine Herausarbeitung der im Spot beobachteten Märchenmotive erfolgen und inwieweit die Struktur des originalen Märchenstoffes imitiert wird. Hier gilt es folgende Fragen zu beantworten:

 

Welche Motive des jeweiligen Märchens werden genutzt?

 

Gibt die Werbung Glücksversprechen und bietet sie märchenhafte Helfer?

 

Neben den Motiven steht auch noch die Struktur der Märchen und wie sie in der jeweiligen Werbung dargestellt wird, im Vordergrund. Eine Untersuchung der Struktur soll in dieser Arbeit jedoch nur für die Werbespots durchgeführt werden, da sie aufgrund der fortlaufenden Erzählung eine bessere Analysemöglichkeit bieten.

 

Die Ausarbeitung selbst soll sich an Grazzinis Untersuchung der Struktur von „Der blinde König“ orientieren, welche sich ihrerseits orientiert an der morphologischen Analyse von Propp. (vgl. Grazzini 1999:48-63) Eine Analyse, die sich strikt nach der von Propp ausgearbeiteten richtet, würde in Anbetracht der für die Werbespots genutzten Märchen nicht sinnvoll sein. Die ausgewählten Beispiele besitzen alle eine einsträngige Struktur, weshalb die Analyse von Propp oder auch Grazzini zu umfangreich wären. Deshalb wird die Struktur untersucht nach dem folgenden erstellten Paradigma:

 

 

Abb. 8: entwickeltes Struktur-Paradigma

 

Dem vorangegangenen Schema nach wird sich die Untersuchung der Struktur nur auf die Beschreibung der Ausgangssituation, dem Auftreten der Mangelsituation und der Schlusslösung inklusive der Aufhebung des Mangels beschränken.

 

 

Die Anzeigewerbung soll unter zu Hilfenahme von Bernhard Sowinski erfolgen. Werbeanzeigen sind nach Sowinski vor allem gekennzeichnet „durch ihren pragmatischen Charakter“ und nicht durch „literarisch-gattungsmäßige[…] Traditionen“. (Sowinski 1979: 70) Und das scheint auch sehr sinnvoll. Hingegen zu einem Werbespot, der mittels vieler (oder weniger) Sequenzen eine oder mehrere Geschichten erzählen kann, ist die Werbeanzeige starr und bewegungslos und muss somit durch Bild und Text so viel wie möglich aussagen, um von Kund:innen wahrgenommen und positiv bewertet zu werden. Und auch hier haben die Märchen wieder den Vorzug, dass sie einer breiten Masse bekannt sind und demnach eine andere Wirkung auf die Kund:innen haben (sh. Punkt 2.4).

 

Nach Sowinski haben die meisten Werbeanzeigen dreiteilige Werbetexte, bestehend aus Schlagzeile (head-line), Haupttext (enthält Informationen über das zu bewerbende Objekt) und Schlusszeile (meist ein Slogan). (vgl. Sowinski 1979: 71f) Bei der Vorstellung der ausgewählten Anzeigenwerbung ist es demnach auch ein Teil der Analyse, zu bestimmen, wie viele Werbetexte die jeweilige Anzeige aufweist. Für den Thematischen Bezug werden die Fragen der Werbespots nach Art der Werbung, Grund- und Zusatznutzen und verwendeten Märchenmotiven bearbeitet

 

 

Die Empirie wird unterteilt in die Analyse von Werbespots und Anzeigenwerbung. Bei der Suche nach geeigneten Beispielen fiel auf, dass es eine Unmenge an (vor allem) Werbespots gibt, die bekannte Märchen nacherzählen (wollen) oder die dargestellte Geschichte in Form eines Märchens verpacken, beispielsweise mit der bekannten Eingangsformel Es war einmal. Das kann bei Werbespots für Fernsehserien oder Filmen genauso erfolgen, wie bei der Werbung von Produkten für den täglichen oder seltenen Gebrauch.

 

Die für die Arbeit ausgewählten Spots sollten sich an bekannten Märchenstoffen orientieren, die einer Vielzahl von Menschen bekannt ist. Die Auswahl umfasst daher: Der Froschkönig (KHM 1), Rapunzel (KHM 12), Hänsel und Gretel (KHM 15), Rotkäppchen (KHM 26), Die Bremer Stadtmusikanten (KHM 27), Dornröschen (KHM 50), Schneewittchen (KHM 53) und Rumpelstilzchen (KHM 55).

 

 

 

 

a)      Amazon Prime (2021); Länge: 15 Sekunden

 

 

Die Werbung von Amazon für ihren Prime Dienst ist aus dem Jahr 2021. Dargestellt ist das Märchen Rapunzel. Rapunzel sitzt in ihrem Turm fest, beschließt nicht länger auf ihre Rettung zu warten, bestellt sich anschließend eine Leiter und gründet ein Friseurunternehmen.

 

Die Sprecherin schafft mit ihrer Stimmlage eine offene Atmosphäre und informiert den Zuschauenden über den Werdegang. Die Musik im Spot orientiert sich am Hiphop Genre und begleitet den Zuschauenden die ganze Länge über. Sobald der Griff zum Smartphone erfolgt, erhält die Werbung eine moderne Richtung und verweist auf das 21. Jahrhundert, im Gegensatz zu der grauen Einöde und der Kleidung, in der Rapunzel sich befindet, die schon einige Jahrhunderte weiter zurückliegen. Zum Ende des Spots befindet sich Rapunzel in ihrem eigenen Salon, der Teil ihres eigenen Friseurimperiums ist und wird auf dem Cover einer Zeitung in den Händen einer Kundin gezeigt, was suggeriert, dass Rapunzel sehr erfolgreich geworden ist.

 

Es handelt sich hierbei um eine Dienstleistungswerbung für den Amazon eigenen Prime-Dienst. Der Grundnutzen ist in diesem Fall der Online-Handel bzw. die Möglichkeit des Tätigens von Bestellungen online. Dieser wird ergänzt durch eine Prime-Mitgliedschaft, die schnelle und kostenlose Lieferungen garantiert und somit Träume wahr werden lässt.

 

Prime fungiert in diesem Fall auch als märchenhafter Helfer der Protagonistin, wodurch sie mittels Leiter dem Turm entfliehen kann. Danach orientiert sich auch das Glücksversprechen der Werbung: jede/r kann mit Prime schnell und kostenlos genau das bekommen, was er/sie braucht.

 

Lose an die originale Erzählung angelehnt, lassen sich in dieser Werbung Motive wiedererkennen, mit deren Hilfe sich leicht auf Rapunzel schließen lässt. Das erste Märchenmotiv ist das der Gefangenschaft im Turm (R41.2). Weiterhin lassen sich die Motive identifizieren, die Rapunzels Haar in den Fokus nehmen. Einerseits das Motiv F555, welches das außerordentliche Haar beschreibt (dieses Motiv ist laut des Online-Motivkatalogs jedoch nicht direkt Rapunzel zugeordnet – dennoch passt es in den Kontext der Werbung, weshalb es aufgelistet wird) und andererseits das Motiv F848.1, welches in dieser Werbung jedoch einer Veränderung unterzogen wurde. Weist es normalerweise daraufhin, dass das lange Haar als Leiter genutzt, lässt Rapunzel es gar nicht erst soweit kommen, jemandem ihr Haar als Leiter darzubieten, sondern bestellt sich kurzerhand eine echte.

 

Struktur:

 

Ausgangssituation: Rapunzel ist in ihrem Turm gefangen.

 

Mangelsituation: Sie wartet vermutlich auf ihren Retter, der jedoch (bis dato) noch nicht auf der Bildfläche erschienen ist.

 

Aufhebung des Mangels und Schlusslösung: Sie bestellt über Amazon Prime eine Leiter und verlässt eigenmächtig den Turm und gründet ein Friseur Imperium, mit dem sie sehr erfolgreich ist.

 

b)      Red Bull (1999); Länge 36 Sekunden

 

 

Es handelt sich hier um einen Werbespot von Red Bull aus dem Jahr 1999. Rapunzel sitzt, wie auch im originalen Märchen im Turm fest. Der Prinz reitet zum Turm und möchte sich an Rapunzels Haaren hochziehen, jedoch sind diese zu kurz. Nach Meinung des Prinzen brauche sie Red Bull, was nicht nur Flügel verleiht, sondern auch den Geist belebt. Nachdem sie ihr Getränk hat, fordert er sie auf, einfach die Tür des Turms zu öffnen.

 

Die Sprache von Rapunzel und ihrem Prinzen ist in einem bairischen Dialekt gehalten, begleitet wird der Spot von Vogelgezwitscher und den Geräuschen des Pferdes, daneben gibt es keine weitere Musik. Es handelt sich hierbei um eine Konsumgüterwerbung. Grundnutzen des Produkts ist, dass es, typisch für einen Energydrink, wachmacht. Ergänzt wird das Produkt aber dadurch, dass es „Flügel verleiht“ und den Geist belebt. Der Energydrink fungiert hier auch als märchenhafter Helfer für Rapunzel und ihren Prinzen. Der Slogan der Werbung kann auch direkt als Glücksversprechen gewertet werden: Red Bull verleiht nicht nur Flügel, es belebt auch den Geist.

 

In dieser Red Bull Werbung lassen sich ganz klar die Motive der Gefangenschaft im Turm (R41.2) sowie der Nutzung von langem Haar als Leiter (F848.1), wobei hier die Haare von Rapunzel noch nicht langgenug sind, damit sich der Prinz an ihren hoch ziehen kann, weshalb sie in Red Bull eine Alternativlösung finden. Auch wie bei der Amazon-Werbung ließe sich aber auch ein Motivverweis auf F555 finden, da das Haar von Rapunzel dennoch bemerkenswert (lang) ist.

Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Motive und Strukturen populärer Märchen in der Werbung
Hochschule
Universität Rostock
Note
2,3
Jahr
2022
Seiten
69
Katalognummer
V1217382
ISBN (eBook)
9783346649102
ISBN (eBook)
9783346649102
ISBN (eBook)
9783346649102
ISBN (Buch)
9783346649119
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Märchen, Werbung
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Motive und Strukturen populärer Märchen in der Werbung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1217382

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