"Der Ursprung des Kapitalismus" von Ellen Meiksins Wood. Eine Buchrezesion


Rezension / Literaturbericht, 2021

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Thematik

2. Aufbau und Inhalt des Werkes

3. Diskussion

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Thematik

Die Frage, wie der Kapitalismus entstand, ist keine bloß für HistorikerInnen interessante Frage, sondern von zentraler Bedeutung, um die heutige kapitalistische Gesellschaft zu begreifen und zu überwinden. Dies stellt Ellen Meiksins Wood in ihrem Buch heraus. Sie geht den Ursprüngen des Kapitalismus und den Diskursen über diese Ursprünge nach und zeigt, dass die Entwicklung hin zu einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft keine gradlinig abzuleitende Fortschrittsgeschichte war, sondern von kontingenten Bedingungen abhing. Die Entstehung der kapitalistischen Produktionsweise verortet Meiksins Wood im englischen Agrarkapitalismus und wendet sich damit gegen Positionen, welche den Kapitalismus aus dem Handel entstanden wissen wollen und eine Ausweitung der Tauschbeziehungen als Erklärung für die Entwicklung des Kapitalismus sehen und deren Wirkung es ist, „die Kontinuität zwischen nicht kapitalistischen und kapitalistischen Gesellschaften zu betonen und die Spezifizität des Kapitalismus zu bestreiten oder zu verschleiern“ (Meiksins 2015: 13). In kritischer Auseinandersetzung mit klassischen, marxistischen und (post-)modernen Positionen zeigt Meiksins Wood die Tendenz auf, die „Entstehung dieses Systems […] als die natürliche Verwirklichung allgegenwärtiger Tendenzen“ zu behandeln (Ebd.: 11). Durch ein solches Geschichtsverständnis verfestige sich die Auffassung, „dass es keine Alternative gibt und geben kann“ (Ebd.: 10) – wogegen Meiksins Wood sich mit ihrem Buch richtet.

2. Aufbau und Inhalt des Werkes

In drei Hauptteilen befasst sich Meiksins Wood mit dieser Fragestellung, wobei immer die zentrale Bedeutung herausgestellt wird, welche die Betrachtung der historischen Entstehungsbedingungen des Kapitalismus für eine heutige Analyse von Gesellschaft hat. Zunächst werden in „Teil I Geschichte des Übergangs“ Debatten klassischer Ökonomie wie Marxistischer Theorie zu den Ursprüngen des Kapitalismus diskutiert und festgestellt, dass sie um das „Kommerzialisierungsmodell“ kreisen, welches auf anthropologischen Grundannahmen beruhe, die letztlich einen ‚ursprünglichen Hang‘zum Tausch attestierten und diesen bloß verallgemeinerten. In „Teil II Der Ursprung des Kapitalismus“ führt Meiksins Wood über die Abgrenzung zu Erklärungen, welche den Kapitalismus aus einem erweiterten Handel ableiten, hin zu den Grundlagen der kapitalistischen Produktion im englischen Agrarkapitalismus.

In „Teil III Agrarkapitalismus und darüber hinaus“ werden beide Linien wieder zusammengeführt und einer erweiternden Debatte um Imperialismus, Nationalstaat und Moderne/Postmoderne zugeführt. – In allem wird deutlich, wie wichtig die Kontroverse um ‚Ursprünge ‘für das Handeln in kapitalistischen Gesellschaften ist. Vor allem stellt Meiksins Wood heraus, wie Ideologien über das Wesen des Kapitalismus sich hartnäckig in der Wissenschaft behaupten.

Zentrum der Kritik Meiksins Woods bildet das ‚Kommerzialisierungsmodell‘, welches die Entstehung des Kapitalismus aus einer ‚Befreiung‘der Märkte erklärt. Entwicklung der Städte und des Merkantilismus werden in solchen Erklärungen ebenso herangezogen wie die technische Entwicklung, welche die ‚industrielle Revolution‘ermöglicht habe. In all solchen Argumentationen, welche Meiksins Wood sowohl in klassischen (ausgehend von Adam Smith) und konservativen Theorien als auch in Marxistischen Diskursen nachweist, ist ein „Zirkelschluss“ festzustellen: „Sie haben die vorherige Existenz des Kapitalismus vorausgesetzt, um seine Entstehung zu erklären. Um den charakteristischen Antrieb des Kapitalismus zu erklären, haben sie die Existenz einer universellen Rationalität der Profitmaximierung vorausgesetzt“(Meiksins 2015: 12). Ausgehend von einer anthropologischen Neigung zum Tausch wird hier die Entwicklung hin zu einer Marktgesellschaft als ein gradliniger und logischer Prozess der Erweiterung dieses Prinzips des Tausches aufgefasst. Es wird also eine Naturalisierung kapitalistischer Prinzipien zur Grundlage der Erklärung des Kapitalismus. Die Wirkung solcher Argumentation, welche „Kontinuitäten“ und nicht die „Spezifität des Kapitalismus“ herausstellt (Ebd.: 13), hält Meiksins Wood für fatal: Sie besteht in der „Überzeugung, dass es keine Alternative gibt und geben kann“(Ebd.: 10). Daher macht die Autorin deutlich, wogegen ihre theoretischen Bemühungen angesichts der hartnäckigen Rezeption und Verbreitung dieses Kommerzialisierungsmodells gerichtet sind: „Meine primäre Absicht ist es, die Naturalisierung des Kapitalismus infrage zu stellen und die besondere Art und Weise zu unterstreichen, in der er eine historisch spezifische gesellschaftliche Form und einen historischen Bruch mit früheren Formen darstellt“(Meiksins 2015: 16).

In Auseinandersetzung mit marxistischen Diskursen zum Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus wird deutlich, wie tief diese Vorstellung einer sich verallgemeinernden Tendenz zu Tausch und Handel in der bürgerlichen Theorie verwurzelt ist. Entgegen der Annahme von Maurice Dobb und R. H. Hilton bspw., „dass die Auflösung des Feudalismus und der Aufstieg des Kapitalismus das Ergebnis der Befreiung der kleinen Warenproduzenten“ (Ebd.: 52) gewesen sei, argumentiert Meiksins Wood, dass nicht eine Befreiung ausschlaggebend war, sondern ein Zwang entstand, für den Markt zu produzieren und stellt heraus, dass es „einen qualitativen, nicht einfach quantitativen Unterschied zwischen kleiner Warenproduktion und Kapitalismus“ gibt (Ebd.: 57), welchen es zu erklären gilt. Auch anhand von Perry Andersons Auseinandersetzung mit der Rolle des Absolutismus im Übergang zum Kapitalismus zeigt Meiksins Wood, dass es sich dabei (nur) um „eine Verfeinerung […] des Kommerzialisierungsmodells“ (Ebd.: 61) handelt. Als „Marxistische Alternativen“ dieser Debatte stellt die Autorin „Die Brenner-Debatte“ und E. P. Thompsons „The Making oft the Englisch Working Class“ vor und zeigt vor allem anhand der daran sich entzündenden Diskurse, wie (politisch) bedeutsam und brisant die Auseinandersetzung mit der Entstehung des Kapitalismus ist. Brenner habe klar gemacht, „dass die Auflösung des Feudalismus in Europa mehr als ein Ergebnis hatte“, (Ebd.: 68) und er unternimmt es, einen „Prozess des Übergangs“ zu erklären, welcher sich nicht in dem Zirkelschluss verfängt, das zu Erklärende (die Durchsetzung des Kapitalismus) in der Erklärung bereits vorauszusetzen.

Meiksins Wood verortet dagegen den Ursprung des inzwischen globalen Kapitalismus im englischen Agrarkapitalismus und begründet damit, dass er ausgehend von einer politisch sich zunächst lokal durchsetzenden Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse zu finden ist, deren Folge die Abhängigkeit der Landpächter vom Markt war. Erst damit ist zu erklären, warum sich der Markt eben nicht als Möglichkeit (Tausch von Luxusgütern), sondern als Imperativ (Tausch, um die Existenzgrundlage zu sichern) entwickelte: Nicht als Möglichkeit, Überschüsse auszutauschen, sondern als Imperativ, profitabel zu produzieren, wirkte sich diese Revolutionierung der Eigentumsverhältnisse auf die Produzenten aus und brachte zugleich jene Menge an eigentumslosen Bauern hervor, die dann die Grundlage städtischer industrieller Produktion bildeten. Mit der seit dem 16. Jahrhundert sich so in England durchsetzenden „Ethik der ‚Verbesserung ‘“(improvement) (Meiksins 2015: 124 ff.), welche auf Produktivität und Profit der Bearbeitung des Landes ausgerichtet war, wurde eine qualitativ neuartige Produktionsweise begründet. Diese Ineinssetzung von ‚Verbesserung‘und ‚Profitsteigerung‘ist in der Theorie von John Locke paradigmatisch festgehalten und in dieser historischen Epoche zunächst in England neu hervorgetreten. Nicht ‚Arbeit‘ –so Meiksins Wood – sondern Tauschwert schaffende Arbeit begründet hier ‚Verbesserung‘des Landes und damit Eigentum. „Diese Betonung der Schaffung von Tauschwert als Grundlage von Eigentum ist ein entscheidender Schritt bei der Theoretisierung kapitalistischen Eigentums“ (Ebd.: 131). Damit ist bereits bei Locke ‚produktiv‘, was Profit erzielt; nicht der ‚Fleiß‘ begründet in seiner Theorie das Eigentum, sondern die Profitabilität/Verbesserung.

Dies ist nur die theoretische Legitimation der realiter sich durchsetzenden Umstrukturierung von Eigentumsverhältnissen, welche sich ausgehend von England vollzog. Meiksins Wood zeigt, dass nur „eine Transformation der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse, die die Menschen dazu zwang, konkurrenzförmig zu produzieren (und nicht nur billig zu kaufen und teuer zu verkaufen), eine Transformation, die den Zugang zu den Mitteln der Selbstreproduktion vom Markt abhängig machte, […] die dramatische Revolutionierung der Produktivkräfte erklären [kann], die für den modernen Kapitalismus auf einzigartige Weise charakteristisch ist“ (Ebd.: 165).

So setzt sich Meiksins Wood auch mit dem Imperialismus auseinander und zeigt, wie durch die von Locke (bloß) ausformulierte Ideologie Rechtfertigungsnarrative für eine imperialistische Ausdehnung des Kapitalismus bereitgehalten wurden, indem – die Verschmelzung von Ökonomie und politischer Herrschaft begleitend – ökonomische Prinzipien zu moralischen wurden: „Diese Kolonisatoren fanden ihre Rechtfertigung jetzt in einer ökonomischen statt in einer außerökonomischen Moral und religiösen Prinzipien, oder genauer gesagt, ökonomische Prinzipien nahmen eine moralische und religiöse Bedeutung an“ (Meiksins 2015: 189). Gleichwohl bleibt festzustellen, dass kapitalistische Gesellschaften „einen irreduziblen Bedarf an ‚außerökonomischer Unterstützung‘[haben], deren räumliche Reichweite niemals ihrer ökonomischen Reichweite gleichkommen kann“ (Ebd.: 207). Es bedarf „größere[r] lokale[r] Gewalten des Zwangs und der Verwaltung“ (Ebd.: 206) und damit ist die Verbindung zwischen Kapitalismus und der Entwicklung von Nationalstaaten angesprochen, wobei Meiksins Wood zugleich hervorhebt, dass es sich bei diesen Entwicklungen nicht um ein kausales Verhältnis handelt, aber sie auf den gleichen „gesellschaftlichen Transformationen“ beruhten (Vgl. Ebd.:196).

Abschließend setzt sich Meiksins Wood kritisch mit den Begriffen „Moderne“ und „Postmoderne“ auseinander. Im Wesentlichen knüpften solche Bestimmungen an Max Webers Theorie der fortschreitenden Rationalisierung an und verschleierten durch eine Ineinssetzung von Kapitalismus und Moderne (Aufklärung sowie bürgerliche Revolution) nicht nur die Spezifität einer kapitalistischen, sondern auch die einer möglichen nicht kapitalistischen Moderne (Vgl. Ebd.: 209 f.). Dies führt im Begriff der Postmoderne zu einer unreflektierten Abwendung von Errungenschaften der Aufklärung und zugleich einem Unvermögen, den Kapitalismus analytisch zu erklären. „Die Spezifität des Kapitalismus geht wieder in den Kontinuitäten der Geschichte verloren, und das kapitalistische System wird in dem unvermeidlichen Prozess der ewig aufsteigenden Bourgeoisie naturalisiert“ (Ebd.: 220).

Der Ursprung des Kapitalismus hat das entscheidende Geheimnis des Kapitalismus offenbart“ (Ebd.: 222). Es gab laut Meiksins Wood keine notwendige Entwicklung hin zur kapitalistischen Produktion, sondern diese setzte sich – einmal lokal entstanden – unter historisch kontingenten Bedingungen durch, nachdem sich die Logik kapitalistischen Profitstrebens als Imperativ entwickelt hatte. „Wenn die Marktimperative einmal die Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion festgelegt haben, dann sind alle ökonomischen Akteure […] den Forderungen der Konkurrenz, der Steigerung der Produktivität, der Kapitalakkumulation und der intensiven Ausbeutung der Arbeitskraft unterworfen“ (Meiksins 2015: 223). Das Wesen des Kapitalismus ist nicht in der Ausweitung des Marktes zu finden, nicht in einer quantitativen Entwicklung des Anhäufens von Eigentum – so auch die treffenden Anmerkungen zur „sogenannten ursprünglichen Akkumulation“ bei Marx (Ebd.: 47 ff.). „Was Reichtum in Kapital transformierte, war eine Transformation der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse "(Ebd.: 49). Und es wird so, durch die Untersuchung der historischen Grundlagen des Kapitalismus, das Wesen kapitalistischer Gesellschaften deutlich in den Blick genommen, sodass Meiksins Wood am Schluss auch begründen kann, warum Forderungen nach einem sozialen oder ökologischen Kapitalismus als ideologisch aufzufassen sind. „Die Geschichte des Agrarkapitalismus und von allem das, was ihm folgte, sollten deutlich gemacht haben, dass es, wo immer Marktimperative die Ökonomie regulieren und die gesellschaftlichen Reproduktion beherrschen, keinen Ausweg aus der Ausbeutung geben wird. Es kann mit anderen Worten nicht so etwas wie einen ‚sozialen‘oder ‚demokratischen‘Markt, geschweige denn einen ‚Marktsozialismus‘geben“(Ebd.: 223). – „Ohne beständig die Grenzen des Schutzes der Umwelt zu überschreiten, ohne beständig die Grenzen der Verschwendung und der Zerstörung auszuweiten, kann es keine Kapitalakkumulation geben“ (Ebd.: 226). Die einzige Alternative, um die zerstörerischen Auswirkungen dieses Systems zu stoppen, bleibt die Überwindung dieses Systems, „bleibt der Sozialismus“ (Ebd.: 226).

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Details

Titel
"Der Ursprung des Kapitalismus" von Ellen Meiksins Wood. Eine Buchrezesion
Hochschule
Universität Osnabrück
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1218774
ISBN (eBook)
9783346670076
ISBN (Buch)
9783346670083
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ursprung, kapitalismus, ellen, meiksins, wood, eine, buchrezesion
Arbeit zitieren
Ceyda Güler (Autor:in), 2021, "Der Ursprung des Kapitalismus" von Ellen Meiksins Wood. Eine Buchrezesion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1218774

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