Reiseliteratur wird gelesen, um fernab der eigenen Realität fremde Erlebniswelten kennen zu lernen. Was dieses Fremde genau ist, lässt sich schwer definieren. Das Verständnis von Fremdheit ist nämlich durch das Eigene konstruiert; als Gegenbild des Heimischen hat das Fremde weniger mit der unbekannten Kultur und Weltwahrnehmung zu tun, sondern ist vielmehr ein Spiegelbild der eigenen Vorstellungen, Wahrnehmungen und der eigenen oder kollektiven Identität.
Die Reiseliteratur bestätigt die kollektive Identität einerseits, anderseits hat sie eine bildende Funktion. Indem sie Eindrücke über ein fremdes Land vermittelt, stellt sie alternative Gesellschaftsmodelle vor und stellt den absoluten Anspruch des eigenen Weltbildes in Frage. -Dies umfasst neue Impulse für eine Änderung von veralteten Konventionen, ein generelles Bewusstsein für den die Kommunikation gefährdenden Einfluss von Vorurteilen sowie die potentielle Fehlbarkeit von Wertsystemen.
Die Reiseliteratur über Russland ist deshalb besonders interessant, weil Europa und Russland jahrhundertealte politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen verbinden. Gleichzeitig ist Russland aber ebenso durch andere Elemente bestimmt: asiatische Einflüsse, die Orthodoxe Kirche, Verzögerung bei der Übernahme europäischer Kulturerrungenschaften und unterschiedliche politische Strukturen lassen Russland eben nicht als typisch europäisches Land erscheinen. Aber der westlich-östliche Dualismus ist untrennbar miteinander verbunden, so dass die Frage nach Russland Sonderrolle als Teil zweier Kontinente nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder aktuell ist.
Sowohl Europa als auch Russland sind auf der Suche nach einer kollektiven Identität, die den Bedingungen der globalisierten Welt entspricht. Beide kämpfen mit ähnlichen Problemen: Trotz politischer Macht gesellschaftliche Visionslosigkeit, routierende Wirtschaftsgebilde ohne kulturellen Werteunterbau, der von der Bevölkerung als nationale oder supranationale Identität akzeptiert würde.
Die Frage ist also: Gibt es eine europäische Identität? Und wie kann europäische Identität als dialektische Verbindung regionaler Kulturen gedacht werden? Russland gibt Europa Antworten.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Definition: Reiseliteratur
- 1.2 Anknüpfungspunkte: Europa und Russland
- 1.3 Methode und Zielsetzung
- 2. Das Russlandbild im Kontext europäischer Reiseberichte - vom 16. Jahrhundert bis heute
- 2.1 Beginn der Neuzeit: Barbarentum und Despotie
- 2.2 Aufklärung: Europäisierung und Kulturoptimismus
- 2.3 Restauration: Mir und Allmenschlichkeit
- 2.4 auf dem Weg zum Krieg: Revolution und Ideologisierung
- 2.5 aktuell: Globalisierung und Pluralismus
- 3. Motive des Russlandbildes in der gegenwärtigen europäischen Reiseliteratur
- 3.1 Natur - Exotismus und Ökologie
- 3.2 Gesellschaft - Verwestlichung und Improvisation
- 3.3 Geschichte - Totalitarismus und Demokratisierung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Diplomarbeit untersucht die Darstellung Russlands in der Reiseliteratur ausgewählter europäischer Länder. Ziel ist es, die Entwicklung des Russlandbildes über die Jahrhunderte hinweg zu analysieren und aktuelle Motive in der gegenwärtigen Reiseliteratur zu identifizieren.
- Entwicklung des Russlandbildes in europäischen Reiseberichten von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
- Einfluss historischer Ereignisse auf die Wahrnehmung Russlands
- Analyse aktueller Motive wie Natur, Gesellschaft und Geschichte in der Darstellung Russlands
- Methodologische Herausforderungen bei der Analyse von Reiseliteratur
- Interkulturelle Kommunikation und die Auseinandersetzung mit eigenen Werten in Reiseberichten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung definiert den Begriff Reiseliteratur und beschreibt die methodischen Herausforderungen ihrer Erforschung. Kapitel 2 beleuchtet die Entwicklung des Russlandbildes in europäischen Reiseberichten von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, wobei historische Epochen und ihre Einflüsse auf die Wahrnehmung Russlands im Fokus stehen. Kapitel 3 analysiert aktuelle Motive in der europäischen Reiseliteratur, die sich mit Natur, Gesellschaft und Geschichte Russlands auseinandersetzen.
Schlüsselwörter
Russlandbild, Reiseliteratur, Europa, Geschichte, Kultur, Wahrnehmung, Interkulturelle Kommunikation, Reisebericht, Methodologie, Historische Entwicklung, Gegenwartsanalyse.
- Quote paper
- Simone Belko (Author), 2006, Das Russlandbild in der Reiseliteratur ausgewählter europäischer Länder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121894