Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen - Begriffsdefinitionen.
2.1 Bilingualität/Bilinguismus: simultaner vs. sukzessiver Spracherwerb
2.2 Die verschiedenen Kopulasysteme
2.2.1. Das deutsche Kopulaverb SEIN und das englische Äquivalent BE
2.2.2. Die spanischen Kopulaverben SER und ESTAR
3. Der bilinguale L1-Erwerb
3.1. L1-Erwerbstheorien - der Nativismus/Generativismus
3.2. Die Möglichkeit des Spracheneinflusses
3.2.2 Definition
3.2.2 Manifestationen
3.2.2. Die Ursache für das Auftreten von Spracheneinfluss: erste Zusammenhänge mitder Sprachentrennung und Sprachdominanz
3.2.4. Grammatische Phänomene als Ursache für Spracheneinfluss
4. Forschungsarbeiten
5. Schlussfolgerungen und Ausblick
6. Bibliographie
1. Einleitung
Einige Linguisten haben in der Vergangenheit bereits mit mehreren Modellen versucht zu erklären, wie Kinder eine Sprache erwerben. Dabei handelt es sich zumeist um Modelle, die sich auf den monolingualen Erstspracherwerb beziehen. Was aber, wenn Kinder von Geburt an gleich zwei Sprachen simultan erwerben? Gerade in der heutigen Gesellschaft ist dies eine Frage, die die Spracherwerbsforschung immer mehr beschäftigt, denn obwohl Zweisprachigkeit zunächst den Vorurteilen der Überforderung und der schlechten Sprachentwicklung unterlag, wird sie nun mehr als Bereicherung gesehen. Immer mehr Kinder wachsen heutzutage mit zwei Erstsprachen auf, wobei sich die verschiedensten Sprachkombinationen beobachten lassen. Die Tatsache, dass Sprachen hinsichtlich ihrer Sprach- und Grammatiksysteme deutliche Differenzen aufweisen (können), führt die Spracherwerbsforschung weiter zu der Frage, wie Kinder mit solchen Unterschieden umgehen. Der bereits häufig in Zusammenhang mit dem Zweitspracherwerb (L2) festgestellte Spracheneinfluss lässt die Forscher vermuten, dass Kinder auch beim doppelten Erstspracherwerb (2L1) für den Erwerb grammatischer Phänomene in einer Sprache das jeweils andere Sprachsystem verwenden (vgl. Möhring 2005: 21). Schon durch einige Studien konnte die Vermutung bestätigt und ein Spracheneinfluss nachgewiesen werden. Deutlich wurde jedoch auch, dass ein solcher Einfluss nicht in jedem bilingualen Erstspracherwerbsprozess auftritt, sondern dass dieser von verschiedenen Faktoren abhängt. Die Spracherwerbsforschung hat deshalb versucht, anhand verschiedener Sprachkombinationen und mithilfe der Betrachtung unterschiedlicher Faktoren der Ursache für das Auftreten von Spracheneinfluss nachzugehen.Anfänglich davon ausgegangen, dass eine Kausalität zwischen einer nicht vorhandenen Sprachentrennung oder der Sprachdominanz und einem solchen Einfluss besteht, richten aktuellere Forschungsbeiträge ihren Blick auf einzelne sprachliche Phänomene und untersuchen eine mögliche Anfälligkeit. Unabhängig von der Ursache wird auch der Direktionalität und Manifestation von Spracheneinfluss viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Diese Arbeit wird die Thematik des Spracheneinflusses im simultan bilingualen Erstspracherwerb aufgreifen. Dabei wird sich hauptsächlich auf die Anfälligkeit eines grammatischen Phänomens als Ursache, nämlich das der Kopulaverben der Sprachen Spanisch, Deutsch und Englisch, konzentriert und analysiert, ob sich in diesem Kontext ein Spracheneinfluss nachweisen lässt. Des Weiteren soll untersucht werden, auf welche Weise sich dieser Spracheneinfluss äußert und in welche Richtung er verläuft. Konkret ließe sich die Fragestellung wie folgt formulieren:
Findet Spracheneinfluss - und wenn ja, in welcher Form - im Kontext der Kopulaverben bei den Sprachen Spanisch, Englisch und Deutsch statt?
Für die Betrachtung der Kopulaverben wurde sich gerade deshalb entschieden, da sie ein Beispiel für die erwähnte Systemdifferenzierung darstellen. Während das Deutsche und das Englische von einem Kopulaverb Gebrauch machen, verwendet das Spanische gleich die zwei Kopula SER und ESTAR, die sich zudem, anders als im Deutschen und im Englischen, in ihren semantischen und syntaktischen Eigenschaften teilweise stark unterscheiden. Das Kind muss so eine Differenzierung erwerben, die so direkt im Deutschen bzw. Englischen nicht besteht. Die Tatsache, dass Kopulaverben vor allem in diesen Sprachen fester Bestandteil der Kerngrammatik sind, zeigt zusätzlich die Relevanz dieses Phänomens auf. Viele produzierte Sätze des Alltags enthalten ein Verb mit Kopulafunktion (vgl. Geist/Rothman 2007: 1).
Zur Beantwortung der Fragestellung soll zunächst ein theoretischer Rahmen hergestellt werden. Dafür wird in Kapitel 2.1 der Begriff Bilingualität/Bilinguismus definiert und der damit zusammenhängende simultane vom sukzessiven Spracherwerb abgegrenzt. Folgend soll der Begriff Kopulaverb definiert und von anderen Verbarten unterschieden werden. In zwei Unterkapiteln werden die Kopulaverben der Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch sowie ihre Verwendungsweisen vorgestellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. In Kapitel 3.1 wird zuerst konkret auf den Spracherwerb eingegangen und sich speziell auf den nativisti- schen Ansatz von Chomsky fokussiert, woraufhin sich dann in Kapitel 3.2 näher mit dem Spracheneinfluss beschäftigt wird. Dieser wird in Kapitel 3.2.1 ebenfalls definiert und in Verbindung mit dem Begriff der Kompetenz bzw. Performanz gesetzt. Seine möglichen Manifestationen werden in Kapitel 3.2.2 dargelegt. Zur Vollständigkeit wird darauf eine kurze Darstellung der bereits angeschnittenen Zusammenhänge zwischen Spracheneinfluss und Sprachentrennung bzw. Sprachdominanz angeknüpft. Der Fokus auf die Anfälligkeit einzelner grammatischer Phänomene folgt in Kapitel 3.2.4. Hier werden auf der Basis bereits bestehender Ansätze in der Literatur Vorhersagen über einen möglichen Einfluss im Bereich der Kopulaverben in den behandelten Sprachen aufgestellt. Im Anschluss werden ausgewählte Forschungsarbeiten zum Kopulaerwerb deskribiert, mithilfe derer die Vorhersagen in Kapitel 5 verifiziert oder falsifiziert werden sollen. Im selben Abschnitt werden zudem Anreize für weitere mögliche Forschungsaspekte gegeben.
2. Theoretischer Rahmen - Begriffsdefinitionen
2.1 Bilingualität/Bilinguismus: simultaner vs. sukzessiver Spracherwerb
Das Pendant zum Monolingualismus, welcher im Allgemeinen auch als Einsprachigkeit bekannt ist (vgl. Zmek 2010: 19), ist der Bilinguismus.1 Dieser Terminus ist abgeleitet vom lateinischen Wort bilinguis, wobei „bi “ für zwei und „lenguis“ bzw. „lengua“ für Zunge bzw. Sprache steht (vgl. Jensen 2010: 2). „Bilingualität [bzw. Bilinguismus] kann [demnach] mit Zweisprachigkeit übersetzt werden“ (Steinbach [u.a.] 2007: 106). Eine absolute Definition existiert in der Literatur bis heute nicht. Es ist ein eher relativer Begriff, der bei Forschern unterschiedlich konnotiert ist (vgl. Saunders 1988: 7). Auf der einen Seite vertreten Forscher wie Leonard Bloomfield (1933: 56) die Meinung, dass Bilingualität die muttersprachliche Kontrolle zweier Sprachen bedeutet. Eine konträre Auffassung des Begriffs hat Einar Haugen (1953: 7), für den Bilingualität bereits an dem Punkt beginnt, an dem ein Sprecher einer Sprache A vollständige, bedeutungsvolle Äußerungen in einer anderen Sprache B produzieren kann. Laut Diebold (1961: 99) wiederum ist die Produktion von Äußerungen jedoch keine Voraussetzung. Ein Verstehen von Äußerungen in einer zweiten Sprache genügt, um eine Person als bilingual zu betrachten. Nicht selten beziehen sich Autoren, wie beispielsweise Annick De Houwer (1990), mit dem Begriff Bilingualität zudem auf einen simultanen Erwerb. Simultan meint dabei den zeitgleichen Erwerb zweier (oder mehrerer) Sprachen, den man vom zeitversetzen Erwerb einer zweiten (oder mehrerer) Sprachen unterscheiden muss (vgl. Jansen 2015: 19). Diese Art des Erwerbs nennt man sukzessiv. Der sukzessive Erwerb beginnt also da, wo der simultane Spracherwerb endet (vgl. Heimann-Bernoussi 2011: 23). Synonym zum simultanen oder sukzessiven Spracherwerb werden die Termini doppelter Erstspracherwerb, auch oft abgekürzt durch 2L1, und Zweitspracherwerb (L2) gebraucht. Diese Unterscheidung ist vor allem deshalb relevant, da in beiden Fällen zwar zwei Sprachen erworben werden, der Erwerbsverlauf sich jeweils dennoch differenziert. Während der „mehrsprachige simultane Erstspracherwerb [...] den gleichen, recht klaren Aneignungsschritten wie der monolinguale Erwerb [folgt]“ (Montanari 2011: 4), d.h. laut der generativen Linguistik auf Basis der sogenannten Universalgrammatik (UG) verläuft, geht man bei dem Zweitspracherwerb von einem anderen Erwerbsverlauf aus, der besonders durch Variabilität der individuellen Aneignung geprägt ist (vgl. Montanari 2011: 6). Ob L2- Lerner noch Zugang zur UG haben, ist noch nicht einheitlich geklärt und unterliegt bis heute verschiedenen Hypothesen (vgl. Möhring 2005: 1). Auf dieses Prinzip wird in Kapitel 3 in Zusammenhang mit dem Nativismus näher eingegangen. Fest steht aber, dass Zweitsprachlerner andere Vorrausetzungen mitbringen, als sie bei L1-Lernern gegeben sind (vgl. Steinbach 2007: 111). Während L1-Lerner sich ihre Erstsprache ausschließlich durch sprachlichen Input aneignen müssen, haben Lerner einer Zweitsprache den Erwerb der Erstsprache bereits abgeschlossen und bauen die Strukturen der L2 auf Basis des erlangten sprachlichen Wissens der L1 auf.
Die Grenze zwischen einem doppelten Erstspracherwerb und einem Zweitspracherwerb ist jedoch nicht ganz klar. So beschäftigt sich die Literatur immer wieder mit der Frage, „ab wann es sich bei einem Kind um simultanen und ab wann um sukzessiven bilingualen Spracherwerb handelt“ (Jansen 2015: 19). In diesem Kontext rückt das Alter als Eingrenzungskriterium oftmals in den Vordergrund. Die meisten Forscher sind sich einig, dass der Zeitraum auf das Vorschulalter begrenzt werden muss, dennoch kristallisieren sich auch in dieser Altersspanne verschiedene Ansichten heraus. So vertritt De Houwer (1990: 3) die Position, dass ein Kind direkt nach der Geburt mit beiden Sprachen in Kontakt kommen muss, während Tracy und Gawlitzek (2000: 503) den Erwerbsbeginn einer zweiten Sprache bis zum zweiten Lebensjahr tolerieren, um noch von einem simultan bilingualen Spracherwerb sprechen zu können. Meisel (2003: 7) verlängert die Spanne um gleich drei Jahre und zieht die Grenze des doppelten Erstspracherwerbs erst nach dem fünften Lebensjahr. Bilingualität hat somit eine Definitionsspannweite, die von dem beginnenden Verständnis nicht selbst produzierter Sätze bis hin zur Gleichsetzung mit Muttersprachlern reicht und setzt für einige den gleichzeitigen, d.h. simultanen Erwerb beider Sprachen voraus, der in einem Alter zwischen null und fünf Jahren erfolgen muss.
2.2. Die verschiedenen Kopulasysteme
Neben Voll-, Hilfs- und Modalverben verfügen das Spanische, Englische und Deutsche wie viele andere aber nicht alle Sprachen ebenso über Kopulaverben, die sich von den anderen Verbarten vor allem hinsichtlich ihrer semantischen und syntaktischen Eigenschaften unterscheiden. Semantisch sieht die Forschung die Kopulaverben als leer an (vgl. Reguiero Rodriguez 2008: 2; Radatz 2020: 213). Anders als beispielsweise Vollverben, die „eine Handlung bzw. eine Tätigkeit [...], manchmal auch einen Vorgang [...] oder einen Zustand [bezeichnen]“ (Habermann [u.a.] 2015: 12), ist ein Kopulaverb „not an action word“ (Chukwu 2014: 5), sondern ist lediglich „Träger von Finitheitsmerkmalen (Tempus, Modus, Kongruenz)“ (Geist/Rothstein 2007: 4) und bekommt eine rein grammatische bzw. funktionale Bedeutung, die besonders im syntaktischen Kontext hervorsticht (vgl. Habermann [u.a.] 2015: 21). Während Vollverben, die oft auch als prädikative Verben bezeichnet werden, allein das Prädikat bilden können, benötigen Kopulaverben aufgrund ihrer fehlenden lexikalisch-semantischen Bedeutungdafür ein lexikalisches Prädikativ (span. atributo, eng . predicate), das das Prädikat semantisch füllt (vgl. Radatz 2020: 213) und so dem Subjekt ein Merkmal, eine Eigenschaft oder auch eine Rolle oder einen Aufenthaltsort zuschreibt (vgl. Dolinska 2012: 4; Berman/Pitt- ner 2007: 39). Dieses lexikalische Komplement kann in Form einer Nominal-, Adjektiv- oder Präpositionalphrase auftreten, wobei man unabhängig vom Phrasentyp in Zusammenhang mit Kopulaverben von einem Subjektsprädikativ oder Prädikatsnomen spricht, das man vom Objektsprädikativ abgrenzt. Dieses tritt außerhalb der (primären) Kopulaverben auf, weshalb in dieser Arbeit nicht näher darauf eingegangen wird. Der Begriff des Subjektsprädikativ rührt vor allem daher, dass diese Art des Prädikativs eine besondere Nähe zum Subjekt ausdrückt, was grammatisch betrachtet besonders im Deutschen und im Spanischen deutlich wird (vgl. Radatz 2020: 213). Subjekte, sofern realisiert (Pro-drop), stehen in den beiden genannten Sprachen wie auch im Englischen im Nominativ. Entgegen der sonst typischen direkten Objekte, die im Deutschen im Akkusativ stehen und im Spanischen mit der Präposition a eingeleitet werden, findet man das Prädikativ im gleichen Kasus des Subjekts oder ohne die spanische Präposition vor (vgl. Radatz 2020: 213f.). Die Beispiele in (1) sollen dies verdeutlichen.
a. Pedro es un abogado / *Pedro es a un abogado (Radatz 2020: 213)
b. Peter ist ein Rechtsanwalt / *Peter ist einen Rechtsanwalt (Radatz 2020: 214)
Durch ihre semantischen und syntaktischen Differenzierungen kann man Kopulaverben allgemein demnach als „elementos de union vatfos de significado“ (Reguiero Rodriguez 2008: 2) definieren, dessen Funktion darin besteht, das Subjekt und das Prädikativ zu verbinden, um die Beziehung dieser beiden Elemente zum Ausdruck zu bringen.
Jede Sprache verfügt über eine unterschiedliche Anzahl an Kopulaverben, die ebenfalls in der Literatur sprachintern nicht eindeutig determiniert ist. So weist das Deutsche etwa die drei „Verben SEIN, WERDEN und BLEIBEN auf, die als Kopula fungieren können“ (Geist/Roth- stein 2007: 1). Aber auch SCHEINEN, HEIßEN, GELTEN ALS und viele weitere werden von vielen Forschern in Zusammenhang mit den Kopulaverben genannt (vgl. Radatz 2020: 214). Im Englischen teilt Chukwu (2014: 3) die Kopula in drei Typen ein: erstens das Verb BE, zweitens sensorische Verben wie TASTE, LOOK, SMELL, FEEL, SOUND und drittens andere Verben wie REMAIN, BECOME, GROW, SEEM, STAY, APPEAR. Das Spanische verfügt neben SER und ESTAR auch über das Kopula PARECER (vgl. Reguiero Rodriguez 2008: 5). Alcina und Blecua (1975: 858) sehen auch das Verb SEMEJAR in kopulativer Funktion, Alar- cos Llorach (1970: 159) zusätzlich sogar noch QUEDAR. Auch SEGUIR, RESULTAR, AN- DAR oder aber VOLVERSE, QUEDARSE, PONERSE etc. werden oft in Zusammenhang mit Kopulaverben thematisiert (vgl. Radatz 2020: 215).
Grund für die Uneinigkeit sind die sogenannten sekundären Kopula bzw. Semikopula (span. semicopulativos o pseudo-copulativos, eng. semicopula), die ebenfalls mit einem Prädikativ gebildet werden, neben ihrer grammatischen Funktion aber selbst noch eine eigene lexikalische Bedeutung besitzen. Während das deutsche SEIN sowie die englische Entsprechung BE oftmals als „neutral“ und somit zweifelsfrei als Kopulaverb eingeordnet werden, weist Radatz (2020: 214) beispielsweise bei dem Verb SCHEINEN darauf hin, dass es zusätzlich epistemisch interpretiert werden kann.
An dieser Stelle muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Funktion eines Verbs nicht pauschal festgelegt werden kann. Wie an der Uneinigkeit bei der Einordnung der Kopulaverben deutlich wird, kann dasselbe Verb je nach syntaktischem Kontext mehrere Funktionen erfüllen. So fungiert das deutsche SEIN zwar zweifelsfrei als Kopulaverb, kann aber in einer anderen syntaktischen Umgebung auch die Funktion eines Auxiliars übernehmen. Das folgende Beispiel stellt einen solchen Satz dar:
Sie ist nach Hause gekommen.
Die folgende Arbeit wird sich mit der Differenzierung zwischen SER und ESTAR auseinandersetzen. Semantisch entsprechen diese Kopula dem deutschen SEIN sowie dem englischen BE. Für diese Arbeit sind demnach sprachübergreifend nur die zwei primären Kopulaverben des Spanischen sowie jeweils SEIN für das Deutsche und BE für das Englische relevant, die alle Forscher zweifelsfrei in diese Verbklasse einordnen. Sekundäre bzw. Semikopulas werden aus Vergleichszwecken nicht berücksichtigt.
2.2.1. Das deutsche Kopulaverb SEIN und das englische Äquivalent BE
Obwohl die Kopulaverben semantisch restringiert sind, sorgt gerade diese Eigenschaft dafür, dass sie kontextabhängig auf verschiedene Weisen interpretiert werden und so unterschiedliche Bedeutungen annehmen können (vgl. Geist/Rothstein 2007: 12). G. Frege und B. Russel nennen in diesem Zusammenhang, bezogen auf das Verb SEIN und seine Entsprechungen, drei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten (vgl. Geist/Rothstein 2007: 6). Zum einen dient SEIN als Ausdruck der zuvor erläuterten Prädikation, die Sätze wie aus (1) umfasst. Zum anderen kann SEIN eine Subsumption ausdrücken, welche Geist (2006: 3) insgesamt zum ersten Typ der Prädikation zählt, da in beiden Fällen dem Subjekt eine Eigenschaft zugeschrieben wird, die das Prädikativ lexikalisch festlegt. Als dritten Typ geben die Autoren den der Identität an, womit sie sich auf eine Gleichsetzung zweier Referenten beziehen, die in Form einer Nominalphrase (NP) auftreten.
Der Morgenstern ist der Abendstern. (Geist 2006: 3)
In (3) ist ein Beispiel für eine solche Gleichsetzung gegeben. Das Prädikativ Der Abendstern (NP) gibt nicht etwa eine Eigenschaft des Subjekts Der Morgenstern (NP) an, sondern erhält einen gleichwertigen Status, wird also mit dem Subjekt gleichgesetzt (vgl. Geist 2006: 17).
Insgesamt lassen sich also prädizierende und gleichsetzende Kopulasätze unterscheiden. Neben dem semantischen Aspekt der Eigenschaftszuschreibung bzw. der Gleichsetzung zweier Individuen, sind die beiden vor allem syntaktisch zu differenzieren, da gleichsetzende Kopulasätze ausschließlich mit NP kombinierbar sind, während prädizierende eine höhere Variabilität in Bezug auf den Phrasentyp des Prädikativs aufweisen. Für einen Sprachvergleich ist gerade der prädizierende Typ interessant, denn wie erkennbar werden wird, sind es vor allem die Adjektiv- und Präpositionalphrasen in prädikativer Verwendung, die sprachübergreifend einen Unterschied hervorrufen, sodass im Folgenden der Ausdruck des Prädikats im Vordergrund steht.
Carlson (1980) hat sich ebenfalls der Betrachtung des Interpretationsspielraums gewidmet und sich speziell der für diese Arbeit relevanten prädizierenden Kopulasätze mit SEIN/BE angenommen. Diese hat er anhand einer Einteilung durch zwei Unterkategorien spezifiziert. Zum einen spricht er von einem sogenannten Stadien-Prädikat (SLP- Stage Level Property), das „temporäre, episodische Eigenschaften von Individuen“ (Geist/Rothstein 2007: 5) umfasst. Davon trennt er zum anderen das Individuen-Prädikat (ILP- Individual Level Property) ab, das sich auf „zeitlich stabile Eigenschaften von Individuen“ (Geist/Rothstein 2007: 5) bezieht. Die Frage ist hier also, ob man von einem Zustand ausgeht, der nur eine Momentaufnahme darstellt und sich zu einem anderen Zeitpunkt verändern kann oder ob man auf einen zeitlich unbegrenzten, andauernden Zustand referiert (vgl. Geist/Rothstein 2007: 5). Beispiele für beiden Typen werden im Folgenden für das Deutsche und das Englische gegeben.
a. Anna ist diskret. (vgl. Geist/Rothstein 2007: 5)
b. Bill is intelligent. (Geist 2006: 64)
a. Anna ist erkältet. (Geist/Rothstein 2007: 3)
b. Bill is available. (Geist 2006: 64)
Konkret bedeuten die Beispiele in (4) nach der Einteilung von Carlson (1980) demnach, dass Anna unabhängig von der zeitlichen und räumlichen Orientierung als diskret und Bill als intelligent charakterisiert werden kann, während (5) darauf hinweist, dass Anna nur für einen bestimmten Zeitraum erkältet bzw. Bill verfügbar ist.
Nicht immer ist die Trennung der Prädikatstypen klar gezogen. Geist (2006: 73) führt dabei das in (6) gegebene Beispiel auf, um die Spannweite der Interpretationen zu illustrieren.
He was French.
Eine Möglichkeit, den Satz zu interpretieren, wäre, davon auszugehen, dass das Subjekt He nun nicht mehr Franzose ist, sondern eine andere Staatsbürgerschaft besitzt. In diesem Falle würde es sich um ein Stadien-Prädikat handeln. Als Individuen-Prädikat wäre es jedoch zu verstehen, wenn French als stabile, unveränderbare Eigenschaft des Subjekts angesehen wird. Nur ein situativer Kontext kann dabei die gemeinte Interpretation aufzeigen.
Wie in (4) und (5) erkennbar ist, benutzt das Deutsche und das Englische für beide Prädikatsarten dasselbe Kopulaverb. Um welchen der beiden Prädikatstypen es sich handelt, ist nur am lexikalischen Gehalt des Prädikativs erkennbar, hängt stark vom kontextualen Umfeld ab und wird nicht auf syntaktischer Ebene markiert. Obwohl es sich durch die hohe Variabilität des Phrasentyps vermuten lässt, wird die semantische Restriktion nicht durch die syntaktische Umgebung, in dem SEIN/BE auftritt, bedingt. Es findet sich demnach immer die gleiche Grundstruktur vor:
Subjekt + SEIN/BE + Prädikativ (NP, AP, PP)
Zusammenfassend kann man für die deutsche und englische Sprache also festhalten, dass die Syntax eine eher untergeordnete Rolle spielt. So stellen schon Geist und Rothstein (2007: 12) fest, dass der Bedeutungsunterschied von der semantischen Ebene herrührt. Insgesamt lässt sich jedoch bereits hier erkennen, dass man sich bei einer Schnittstelle von Syntax und Semantik befindet, die sich im Spanischen weiter verdichten wird.
2.2.2. Die spanischen Kopulaverben SER und ESTAR
Auch im spanischen Kopulasystem findet man die Unterscheidung zwischen ILP und SLP. Im Gegensatz zum Deutschen und Englischen hat das Spanische für jeden Prädikatstyp jedoch ein separates Kopulaverb ausgebildet (vgl. Geist/Rothstein 2007: 5). Es handelt sich um die Verben SER und ESTAR, wobei ersteres dem Individuen-Prädikat und letzteres dem Stadien-Prädikat zuzuordnen ist. Je nach verwendeter Kopula ist die Eigenschaft/das Merkmal entweder als vorübergehend oder als konstant zu betrachten. Die Interpretationsweise ist im Spanischen damit bereits syntaktisch markiert. SER und ESTAR stehen allerdings nicht in freier Variation zueinander, sind demnach nicht in jedem syntaktischen Kontext frei austauschbar, sondern sind vielmehr entweder komplementär oder kontrastiv distribuiert und damit in ihrer Verwendung zumindest partiell eingeschränkt (vgl. Arnaus Gil 2013: 19). Auf der einen Seite kann abhängig vom Phrasentyp des Prädikativs nur eines der beiden Verben verwendet werden. Es kann bereits durch die syntaktische Umgebung vorhergesagt werden, von welcher Kopula Gebrauch gemacht werden muss. Auf der anderen Seite sind mit bestimmten Phrasentypen auch beide kombinierbar, rufen dann jedoch einen Bedeutungsunterschied hervor. Um einen komplementären Kontext handelt es sich beispielsweise, wenn die Kopula mit einer definiten Determinier- bzw. artikellosen Nominalphrase verknüpft wird (vgl. Arnaus Gil 2019: 165). Eine solche syntaktische Umgebung erlaubt nur SER, „porque los sustantivos no funcionan como predicados de estadios, sino de individuos, como expresiones estativas, porque denotan clases“ (Reguiero Rodriguez 2008: 9). So werden sich immer Sätze wie (7a) nicht aber solche wie (7b) vorfinden.
a. Ella es médico/ la profesora. (Arnaus Gil 2019: 165)
b. *Ella esta médico/ la profesora. (vgi. Arnaus Gil 2019: 165)
Ausnahmen dieses Aspektes bilden laut Reguiero Rodriguez (2008: 9) „solo los que expresan escalas” und „sustantivos de profesion, cargo, oficio [que] pueden aparecer con ESTAR si van precedidos de la preposicion de.” Beispiele für beide Ausnahmen sind in (8) gegeben.
a. El Barcelona esta en el segundo en la clasificacion. (Reguiero Rodriguez 2008: 9)
b. Antonio esta de camarero. (Reguiero Rodriguez 2008: 9)
Betrachtet man allerdings einmal die Satzstruktur, so fällt auf, dass sowohl in (8a) als auch in (8b) ESTAR nicht direkt am prädikativen Substantiv hängt. In beiden Fällen wird eine Präposition verlangt, die die Kombination mit einer NP bzw. DP zulässt. Welche Bedeutung genau dieser Präposition zukommt und ob man das Prädikativ wirklich als NP oder durch die Bedingung der Präposition nicht als PP interpretieren sollte, bleibt zu hinterfragen und bedarf syntaktischer und semantischer Analyse, die für die Leitfrage dieser Arbeit nicht relevant ist und daher nicht durchgeführt wird. Es wird weiterhin von einer Ausnahme der Nominalphrasenregelung ausgegangen. Prädikative Präpositionalphrasen sind in kopulativen Kontexten jedoch nicht unbedeutend, denn lokative PPs sind ebenfalls ein Beispiel für eine komplementäre Distributionsweise. Anders als bei Nominalphrasen bestimmt hier allerdings nicht der prädikative Phrasentyp die Wahl des kopulativen Verbs, sondern das Subjekt. Das bedeutet, dass zunächst einmal beide Verben mit Präpositionalphrasen kombiniert werden können. Das Subjekt gibt über die Semantik Aufschluss darüber, welches der beiden in einem bestimmten syntaktischen Kontext eingesetzt wird. Dafür unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Zum einen kann das Subjekt auf ein physisches Objekt referieren, das man verorten will (vgl. Sera 1992: 411; Arnaus Gil 2019: 165). Satz (9) besitzt ein solches Subjekt.
El libro esta en la mesa. (Krasinski 2005: 218)
Auf der anderen Seite kann mit dem Subjekt ein Event gemeint sein, d.h. eine Veranstaltung, eine Theatervorstellung, ein Ereignis oder ähnliches ausgedrückt werden (vgl. Arnaus Gil 2019: 165). Satz (10) soll diesen Aspekt veranschaulichen.
La reunion es en la oficina. (vgi. Krasinski 2005: 218)
Für die Unterscheidung von SER und ESTAR in Präpositionalphrasen wird demnach auf die Eigenschaft [+/- event] zurückgegriffen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die ILP- SLP- Unterscheidung hier nicht widerspiegelt. Sera (1992: 411) sagt hierzu, dass die Lokation als unveränderliche Eigenschaft des Events anzusehen ist, ein physisches Objekt aber jederzeit bewegt werden kann. Bezogen auf die Beispiele würde la oficina eine feste Eigenschaft von reunion sein, die sich über die gesamte Dauer der Versammlung nicht verändert, während sich el libro zum Zeitpunkt der Aussage auf dem Tisch befindet, jederzeit aber woanders hingelegt werden kann.
Bei den Adjektivphrasen kann man zunächst allgemein festhalten, dass sich ebenfalls sowohl SER als auch ESTAR mit dieser Art von Phrasentyp verknüpfen lassen. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Kombinationseinschränkungen, die in diesem Fall wieder von den Eigenschaften des jeweiligen prädikativen Adjektivs abhängen (vgl. Arnaus Gil 2019: 166). Um diese Restriktionen möglichst konkret zu erfassen, haben viele Autoren die Perfektivität als orientierendes Merkmal aufgeführt. Auf Grundlage dieses Merkmals bilden unter anderem Autoren wie Re- guiero Rodriguez (2008: 9) drei Typen von Adjektiven heraus. Zur ersten Gruppe zählen solche wie contento, descarzo, harto, die „eine zeitliche Begrenzung eines Geschehens ausdrücken“ (Dudenredaktion o.J.) und damit die Eigenschaft [+perfektiv] haben, d.h. perfektiv/terminiert sind. Die temporale Terminierung erlaubt ausschließlich ESTAR. Dem gegenüber stehen diejenigen Adjektive, die die Eigenschaft [-perfektiv] tragen, d.h. imperfektiv sind und zeitlich keine Begrenzung aufweisen. Dazu kann man beispielhaft capaz, mortal und idoneo, inteligente nennen. Sätze mit einem solchen Adjektiv werden mit SER gebildet. Beispiel (11) zeigt jeweils ein Beispiel mit einem perfektiven (a) und eins mit imperfektiven (b) Status.
[...]
1 Im Umgang mit den Begrifflichkeiten findet man in der Literatur immer wieder Autoren, die zwischen den Termini Bilingualität und Bilinguismus unterscheiden. Dabei bezieht sich Bilingualität auf „das individuelle Beherrschen zweier Sprachen seit der Kindheit“ (Schneider 2015: 15) während Bilingualismus „das kollektive Phänomen einer Gesellschaft [meint], die in allen wichtigen kommunikativen Interaktionen zwei Sprachen verwendet“ (Schneider 2015: 15). Unterschieden wird hier demnach zwischen einer individuellen und gesellschaftlichen Zweisprachigkeit, wobei beide Formen nicht in Abhängigkeit auftreten müssen (vgl. Schneider 2015: 15). Aufgrund dieser Unabhängigkeit und den für diese Arbeit nicht relevanten Unterschied werden diese Begriffe nachfolgend synonym verwendet. Hauptsächlich betrifft die folgende Analyse jedoch die Bilingualität.