Structure from Motion - Mögliche Einsatzgebiete in der digitalen Kunstgeschichte


Hausarbeit (Hauptseminar), 2022

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Digitale 3D-Modelle in der digitalen Kunstgeschichte

3. Das Schloss Versailles 3D-Projekt

4. Structure from Motion

5. Structure fom Motion Beispiel: Diana Tempel in München

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsteil

9. Abbildungsnachweis

10. Eigenständigkeitserklärung

1. Einleitung

Die aktuellen Zeiten der digitalen Revolution sind geprägt durch ein stark exponentielles Wachstum. So zeigen beispielsweise Forschungen zu der Entwicklung der technologischen Speicherkapazität, dass sich diese von 2,64 Mrd. Gigabytes im Jahr 1986 innerhalb von 60 Jahren mehr als verhundertfacht hat, auf rd. 294,98 Mrd. Gigabytes im Jahr 2007. Während im Jahr 1986 noch nahezu 100% der Informationen analog gespeichert wurden, so wurden im Jahr 2007 bereits fast 94% der Informationen digital abgesichert. Dies verdeutlicht sowohl das exponentielle Wachstum der verfügbaren Speicherkapazitäten allgemein als auch die Entwicklung der digitalen Technologien. Der Beginn des „digitalen Zeitalters“ wird im Jahr 2002 vermutet, als es erstmals möglich war mehr Informationen digital als analog zu speichern.1

Diese Entwicklungen sind auch für die Kunstgeschichte äußerst interessant. So werden in der digitalen Kunstgeschichte heute bereits digitale dreidimensionale (3D) Modelle historischer Architektur für die Visualisierung und Interpretation von Architekturrekonstruktionen verwendet. Laut Lutteroth und Hoppe besteht dieser digital unterstützte architekturhistorischer Diskurs bereits seit etwa 25 Jahren. Dennoch werden viele Potenziale aktuell noch nicht ausgenutzt.2 Im Hauptseminar „Renaissance-Architektur digital. Aktuelle Forschungen und ihre Unterstützung durch semantische Datenbanken“ im Wintersemester 2021/22 wurden vor dem Hintergrund verschiedenste technologische Entwicklungen vorgestellt und diskutiert. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Technologie Structure from Motion sowie den möglichen Anwendungsgebieten für die digitale Kunstgeschichte.

Der Forschungsstand zur digitalen Kunstgeschichte, insbesondere zu digitalen dreidimensionalen Modellen ist relativ gering. Einzelne Werke mit kunstgeschichtlichem Bezug sind in den letzten Jahren entstanden, hervorzuheben ist hier insbesondere die Buchreihe „Computing in Art and Architecture“ des Arbeitskreises Digitale Kunstgeschichte und der Arbeitsgruppe Digitale Rekonstruktion. Zu Structure from Motion finden sich einige Publikationen, jedoch insbesondere aus (informations-)technologischer Entwicklungssicht. Die Verbindung zur digitalen Kunstgeschichte wird in der bisherigen Forschung noch nicht berücksichtigt.

Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet: Ist Structure from Motion in der Lage, die oftmals sehr teuren und zeitaufwändigen Photogrammetrie-Projekte zur Erstellung von dreidimensionalen Architekturmodellen abzulösen? Zur Beantwortung dieser wird zunächst eine kurze Einführung in digitale 3D-Modelle in der digitalen Kunstgeschichte gegeben. Am Beispiel von Schloss Versailles wird erläutert, wie diese schon heute zum Einsatz kommen. Anschließend wird die Technologie Structure from Motion im Detail erläutert und von herkömmlichen photogrammetrischen Verfahren abgegrenzt. Es folgt die Beschreibung des für diese Arbeit erstellten Anwendungsfalls zur digitalen 3D-Rekonstruktion des Diana Tempels in München im Stil der Renaissance. Anhand der Erkenntnisse aus Forschung, aktuellem Einsatz von digitalen 3D-Modellen in Versailles und dem digitalen 3D-Modell des Dianatempels wird abschließend im Fazit die Forschungsfrage beantwortet und ein Ausblick für die weitere Forschung gegeben.

2. Digitale 3D-Modelle in der digitalen Kunstgeschichte

Die Erforschung von und Auseinandersetzung mit Computergrafik-Anwendungen war von ihren Anfängen um 1950 bis zum Beginn der 1970er Jahre vor allem wenigen privilegierten Institutionen vorbehalten, wie beispielsweise der Luftfahrtindustrie und militärische Anwendungen. Erst in den 1980er Jahren kam die Computergrafik durch PCs und Apple-Rechner auf jeden Arbeitsplatz, wodurch ein Impuls für die Entwicklung von Verfahren und Anwendungen gegeben wurde. Diese Entwicklung ist eng verbunden mit dem Fortschritt der 3D-Rekonstruktion.3

Seit den 1960er Jahren wird Computer-Aided Design (CAD) in den Architekturdisziplinen verwendet, um neue Objekte zu konstruieren. Zeitversetzt entstanden jedoch auch computergestützte Methoden zur Dokumentation von Befunden und zur Erfassung von Gebäuden, auf die zur Architektur-Rekonstruktion zurückgegriffen werden konnte.4 In frühen 1980er Jahren werden 3D-Modelle bereits in der Archäologie verwendet, wobei auch diese manuell, unter Einsatz von CAD-Software, konstruiert wurden. Zu der Zeit standen jedoch vor allem schöne Bilder für die Öffentlichkeit im Vordergrund und weniger die Forschung, die Nutzung war eher experimentierend. Erst ab den 1990er Jahren fanden ausgereiftere Modellierungssysteme Einzug in die Archäologie- und Architekturdisziplinen.5

Die teilweise seit den frühen 1980er Jahren bestehenden digitalen 3D-Modelle historischer Architektur lassen existierende, zerstörte und teilweise nie realisierte Bauwerke in teils fotorealistischer Weise betrachten.6 Damit dienen digitale 3D-Modelle unter anderem der Visualisierung und Interpretation von Architekturrekonstruktionen. Daneben existieren auch digitale 3D-Modelle von Skulpturen und Bildwerken, in der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus angesichts des thematischen Hauptseminarschwerpunkts jedoch vor allem auf digitalen 3D-Modellen von historischer Architektur.

Laut Lutteroth und Hoppe ist bislang die wesentliche Herausforderung, dass lediglich eine Annäherung an die formalen und semantischen Aspekte einer Gebäudestruktur und dies nur zu einer bestimmten Zeit möglich ist. Dies ist sowohl mit Abstraktionen als auch mit Informationsverlust verbunden, der von Sachentscheidungen und medialen Rahmenbedingungen abhängt.7

Digitale 3D-Modelle können jedoch trotz der genannten Herausforderung einen Mehrwert für die Kunstgeschichte liefern, da sie den Abstraktionsgrad verschiedener anderer Publikationsformate, wie beispielsweise textbasierter, gedruckter Publikationen, verringern. Darüber hinaus können digitale 3D-Modelle Erkenntnisbestände verschiedenster Fachrichtungen zusammenbringen. Insbesondere bei Architekturrekonstruktionen ergibt sich das wissenschaftliche Potenzial der digitalen 3D-Modelle aus dem Charakter der zu erforschenden Artefakte selbst. Nur im dreidimensionalen Raum lassen sich die Informationsverluste einer textualen Beschreibung oder einer abstrahierten zweidimensionalen Rekonstruktion minimieren. Die digitale Repräsentanz im virtuellen Raum kann daneben ein tieferes Verständnis über Verlustbereiche, wie beispielsweise die räumliche Wahrnehmung des Forschungsgegenstandes, sowie Wissenslücken in den Fokus rücken.8 Messemer ergänzt hierzu, dass digitale 3D-Modelle als Forschungsmethode sogar die kunsthistorische Methodik erweitern können, da sie Fragen zu Raum, Perspektive, Baugeschichte, räumlicher Kontextualisierung oder Wahrnehmung bearbeiten können. So enthalten diese Modelle eine immense Fülle an Informationen, da dem Betrachter über die Visualisierung Wissen begreifbar gemacht und vermittelt werden kann. Über die digitalen Ansätze lassen sich ganz neue Forschungsfragen untersuchen.9

3. Das Schloss Versailles 3D-Projekt

Zwar handelt es sich bei dem Schloss Versailles nicht um Renaissance Architektur, dennoch werden an dieser Stelle angesichts der großen Bedeutung des Schlosses sowie der umfangreichen digitalen Projekte die Potenziale und Einsatzmöglichkeiten von digitalen 3D-Modellen aufgezeigt. Seit 2013 leitet das Forschungszentrum des Schlosses von Versailles ein gigantisches Digitalisierungsvorhaben, unter dem zahlreiche unterschiedliche Projekte stattfinden.10

In einem Telefonat führte Paul Chaine, Abteilungsleiter für digitale Entwicklung im Schloss von Versailles, die Autorin durch das umfassende Digitalisierungsprojekt von Schloss Versailles. Hier werden digitale 3D-Modelle für verschiedenste Anwendungsgebiete produziert. So ist beispielsweise „The Queens Hamlet“11, ein idealisiertes Dorf im Park des Schlosses Versailles, das am Ende des 18. Jahrhunderts für die französische Königin Marie-Antoinette errichtet wurde, insgesamt gut erhalten. Eine Begehung durch Besuchermassen würden die teilweise engen und fragilen Bauwerke jedoch nicht aushalten, weswegen dieses nur selten für die Öffentlichkeit geöffnet wurde. Vor dem Hintergrund wurden die Innenräume in digitale 3D-Modelle überführt, sodass die Besucher von Schloss Versailles heute in einer geführten Tour durch das Dorf gehen können und virtuell über Smartphone und Tablet einen realitätsgetreuen Eindruck der Innenräume bekommen. So wird das kulturelle Erbe auf der einen Seite geschützt und dennoch der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. Diese digitalen 3D-Modelle wurden mittels Photogrammetrie erstellt. Hierfür arbeitet das Team um Paul Chaine mit externen Dienstleistern zusammen, mehrfach auch mit Google.12

Daneben werden digitale 3D-Modelle in Versailles dazu genutzt, fragile Kunstwerke sowie besonders herausragende Werke virtuell zu konservieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Paul Chaine sagte hierzu, dass es natürlich nicht zielführend sei, jede Skulptur in Versailles in ein digitales 3D-Modell zu überführen. Vielmehr wird projektspezifisch zunächst hinterfragt, was das Ziel des 3D-Modells sein soll. Richtet es sich an Museumsbesucher vor Ort, Menschen die weit entfernt sind, Schüler bzw. Lehrzwecken oder dient es der Bearbeitung von Forschungsfragen. Auf der Basis wird überlegt, wie die digitalen 3D-Modelle genutzt werden sollen. Ob auf mobilen Endgeräten, mittels virtual reality (VR)-Brille oder am PC. Abzuwägen ist hier insbesondere, wie detailliert das digitale 3D-Modell mindestens sein muss und wie verfügbar die Datei sein soll. Herausforderung ist laut Chaine, dass vor allem die Ausstattung der Besucher heute noch unzureichend ist, da VR-Brillen noch nicht weit verbreitet sind und die virtuellen Angebote über das Smartphone teilweise noch nicht von der breiten Masse genutzt werden. Dennoch sieht Chaine trotz der hohen Kosten der Digitalisierungsprojekte große Chancen, da digitale 3D-Modelle sowohl einen Beitrag zur Konservierung von Kunst, der chancengleichen Verfügbarkeit von Kunst und der Rekonstruktion verlorener Architektur leisten. In Versailles werden daher verschiedenste Möglichkeiten genutzt: Es existieren digitale 3D-Modelle von Skulpturen aus dem Schlossgarten, die über Sektchfab online eingesehen werden können. Daneben bestehen VR-Rundgänge durch digitale 3D-Modelle für die Museumsbesucher vor Ort sowie virtuelle 3D-Rundgänge für Menschen die nicht vor Ort sind. Teilweise werden digitale 3D-Modelle zur Erweiterungen von Ausstellungen verwendet und sogar um verschwundene Räume erlebbar zu machen.13

Der Dokumentarfilm „Versailles. Le palais retrouvé du Roi-Soleil“ (Der wiedergefundene Palast des Sonnenkönigs) aus dem Jahr 2019 zeigt das bislang umfassendste Projekt zur Digitalisierung und Modellierung von Versailles aus der Zeit des Ancien Régime. Augenmerk lag vor allem auf verschiedenen, heute verschwundenen, Räumen des Versailles Ludwigs XIV. Zunächst wurden fast 9.000 Pläne digitalisiert, von Generalplänen über Schnitte und Ansichten bis hin zu Architektur- und Dekorationsdetails. Diese gesammelten Quellen bieten die Grundlage für die anschließende digitale 3D-Modellierung. Daneben werden auch schriftliche Dokumente, wie Kostenvoranschläge und Preislisten, Inventare von Möbeln oder sogar Beschreibungen von Zeitgenossen herangezogen.14 Um die daraus resultierenden digitalen 3D-Rekonstruktionen zu validieren wurden mittels Photogrammetrieverfahren digitale 3D-Modelle von erhaltenen Skulpturen aus den verschwundenen Räumen erstellt. Am Beispiel der heute verschwundenen Grotte von Thétis wird in der Dokumentation gezeigt, dass ein digitales 3D-Modell der Skulpturengruppe Apollo mit den fünf Nymphen Aufschluss darüber gibt, wie die räumlichen Verhältnisse in der Realität gewesen sein müssen.15 So können digitale 3D-Modelle von erhaltenen Kunstwerken in der Kunstgeschichte auch Erkenntnisse über verschwundene Kunstwerke und Architektur liefern.

[...]


1 Vgl. Hilbert/Lopez (2011), S. 64.

2 Vgl. Lutteroth/Hoppe (2018), S. 186 f.

3 Vgl. Stenzel (2019), S. 81.

4 Vgl. ebd., S. 83.

5 Vgl. ebd., S. 86 ff.

6 Vgl. Messemer (2020), S. 13 f.

7 Vgl. Lutteroth/Hoppe (2018), S. 186.

8 Vgl. ebd. S. 186 f.

9 Vgl. Messemer (2020), S. 14 f.

10 Vgl. Maral et al. (2019), S. 161 ff.

11 Vgl. Châteauversailles.fr (2022).

12 Vgl. Wolf (2021), S. 1.

13 Vgl. Wolf (2022), S. 1.

14 Vgl. Maral et al. (2019), S. 161 ff.

15 Vgl. Wolf (2022), S. 1.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Structure from Motion - Mögliche Einsatzgebiete in der digitalen Kunstgeschichte
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Renaissance Architektur Digital
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
21
Katalognummer
V1220517
ISBN (eBook)
9783346647153
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Structure from Motion, Photogrammetrie, Renaissance, Architektur, 3D Modell, Versailles, Diana Tempel, Digitale Kunstgeschichte, SfM, Kunstgeschichte
Arbeit zitieren
Lisa Marie Wolf (Autor:in), 2022, Structure from Motion - Mögliche Einsatzgebiete in der digitalen Kunstgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1220517

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Structure from Motion - Mögliche Einsatzgebiete in der digitalen Kunstgeschichte



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden